BVwG W222 2237817-1

BVwGW222 2237817-11.4.2022

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W222.2237817.1.00

 

Spruch:

W222 2237817-1/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch die BBU GmbH – Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer Verhandlung am 21.01.2022 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 46, 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch als „BF“ bezeichnet), ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 28.10.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Erstbefragung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF – unter Beiziehung eines Dolmetschers für Punjabi – zu seiner Person an, in XXXX geboren worden und ledig zu sein. Er gehöre der Religionsgemeinschaft der Skih an. Zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit gab er an, Punjabi/Panschabi zu sein. Seine Muttersprache sei Punjabi. Er habe die Grundschule, allgemein bildendende höhere Schule besucht. Als Berufsausbildung gab er „ XXXX “ an. An Familienangehörigen führte er im Rahmen der Befragung seinen Vater, seine Mutter sowie einen Bruder an. Sein Wohnsitz im Herkunftsstaat sei „ XXXX “, XXXX , Punjab, Indien. Am 18.09.2020 habe er den Entschluss zur Ausreise aus seinem Herkunftsstaat gefasst und sei sein Reiseziel anlässlich des Verlassens des Herkunftsstaates England gewesen, da es dort ihre Gesellschaft und viele Tempel gebe. Am XXXX .09.2020 sei er per Flugzeug legal aus dem Herkunftsstaat ausgereist und sei er mit einem Reisedokument ausgereist, welches sich beim Schlepper in Serbien befinde. Er würde versuchen, eine Kopie, von Indien zu beschaffen. Er sei mit dem Flugzeug nach Armenien gereist, wo er sich einen Monat aufgehalten habe und sei weiter per Flugzeug nach Serbien gereist, von wo er nach einen 7-tägigen Aufenthalt über unbekannte Länder nach Österreich weitergereist sei. Befragt gab er weiters an, dass ihm in der Vergangenheit ein Visum betreffend Ghana sowie Armenien ausgestellt worden sei. Seine Reise sei schlepperunterstützt erfolgt und hätten die Kosten 1 Million indischen Rupien betragen. Befragt, ob er Beschwerden oder Krankheiten habe, die ihn an dieser Einvernahme hindern würden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden, gab er an, nein, er könne dieser Einvernahme ohne Probleme folgen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF an:

„Meine Familie hat Streit mit privaten Personen über unsere Grundstücke. Das ist mein Fluchtgrund, andere Gründe habe ich nicht.“

Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst vor seinen Gegnern, - diese privaten Personen.

Befragt, ob es konkrete Hinweise gebe, dass dem BF bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe oder er im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, gab er „nein“ an.

Mit Verfahrensanordnung vom XXXX .11.2020 wurde dem BF gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (§ 29 Abs. 3 Z 5 AsylG 2005).

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch als „BFA“ bezeichnet) am 01.12.2020 gab der BF im Beisein einer Rechtsberaterin sowie einer Dolmetscherin für Punjabi im Wesentlichen an (sprachliche Unzulänglichkeiten korrigiert):

„LA: Welche ist Ihre Muttersprache und welche Sprachen sprechen Sie sonst noch?

VP: Meine Muttersprache ist Punjabi, ich spreche ansonsten noch etwas Hindi. Ich bin damit einverstanden, dass die Einvernahme in der Sprache Punjabi, welche ich ausreichend beherrsche, durchgeführt wird. Lesen kann ich Punjabi.

LA: Wie verstehen Sie die Dolmetscherin?

VP: Sehr gut.

LA: Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen die anwesenden Personen vor?

VP: Nein.

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?

VP: Ja.

Anmerkung:

Die anwesende Rechtsberaterin erklärt auf konkrete Nachfrage hin, dass im gegenständlichen Fall am 01.12.2020 von XXXX Uhr bis XXXX Uhr ein Rechtsberatungsgespräch stattgefunden hat.

Belehrung:

[ … ]

Haben Sie das alles verstanden?

VP: Ja.

LA: Haben Sie bisher über das Videosystem alles gut verstanden?

VP: Ja.

LA: [ … ]

VP: [ … ]

LA: Werden Sie im Asylverfahren durch einen Rechtsanwalt oder durch eine andere Person vertreten?

VP: Nein.

LA: Leiden Sie an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten oder benötigen Sie Medikamente?

VP: Nein.

LA: [ … ]

VP: [ … ]

 

Anmerkung: Der Ast. unterfertigt eine Einverständniserklärung zur Einholung medizinischer Unterlagen und ärztlicher Befunde.

LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

VP: Ja. Zu meinen Ausreisegründen wurde ich nicht befragt.

Feststellung: Sie wurden bereits im Zuge der Erstbefragung zu Ihrer Identität und zu Ihren persönlichen Daten befragt.

LA: Entsprechen diese Angaben den Tatsachen oder haben Sie etwas zu berichtigen?

VP: Die Angaben, die ich dort gemacht habe entsprechen denn Tatsachen und sind richtig.

Anmerkung. Berichtigung der Verfahrensidentität Namen.

Eine neue Verfahrenskarte wird nach der EV ausgestellt.

LA: Sie haben in der Erstbefragung Angaben über Ihre Eltern und Ihren Bruder gemacht. Wo halten sich diese auf?

VP: Im Punjab in XXXX . XXXX .

LA: Haben Sie weitere Familienangehörige (Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) in Indien?

VP: Wir haben nur ein gutes Verhältnis zu je einem Onkel mütterlicher und väterlicherseits. Früher hatten wir zu einem Onkel väterlicherseits auch ein gutes Verhältnis. Nach dem Streit jedoch nicht mehr.

LA: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie in Indien?

VP: Ja, telefonisch. Nachgefragt gebe ich an, mit meinen Eltern habe ich zuletzt am Sonntag gesprochen. Ich rufe so ca. alle 3-4 Tage an, Kurzanrufe.

LA: Sie haben in der Erstbefragung angegeben, dass Sie versuchen würden, eine Kopie Ihres Reisepasses aus Indien zu beschaffen. Was haben Sie bisher unternommen, um diese zu erhalten?

VP: Meinen Reisepass hat der Schlepper.

LA: Haben Sie versucht über Ihre Eltern eine Kopie des Passes oder ein Ersatzdokument zu erhalten?

VP: Nein. Bisher habe ich gar nichts versucht.

LA: Welche Dokumente mussten Sie dazu vorlegen und wo befinden sich diese?

VP: Es liegt ca. 8 Jahre zurück. Erinnerlich sind ein Foto und die Adresse.

LA: Mussten Sie keine Dokumente wie. Z.B. ID-Card, Geburtsurkunde usw. vorlegen?

VP: Ja, Geburtsurkunde kann ich mich erinnern. Diese befindet sich bei den Eltern.

LA: Sie werden aufgefordert, eine Kopie des Reisepasses und andere indische Dokumente, wie ID-Card, Geburtsurkunde, Führerschein, Schulzeugnisse usw.) umgehend der Behörde in Kopie und anschließend im Original vorzulegen. Haben Sie das verstanden?

VP: Ja.

LA: Traten Sie in Österreich und/oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU jemals unter falschen Personalien in Erscheinung? Falls ja, wann und wo bzw. unter welchen Personalien?

VP: Nein.

LA: Wie geht es Ihren Familienangehörigen (Eltern, Bruder) in Indien wirtschaftlich/finanziell?

VP: Meine Mutter ist XXXX . Mein Vater ist XXXX . Ich würde sagen, die Familie zählt zur Mittelschicht, die Familie hat genug zum Leben.

Mein Bruder geht noch zur Schule oder studiert. Er macht einen Bachelor in XXXX , so wie ich auch gemacht habe.

LA: Wie geht es Ihren anderen Verwandten in Indien wirtschaftlich/finanziell?

VP: Mein Onkel väterlicherseits gehört auch zur Mittelschicht und hat politische Beziehungen. Mein Onkel mütterlicherseits gehört der gehobenen Schicht an.

LA: Wie haben Sie Ihre Reise finanziert? Wie viel Geld haben Sie ausgegeben und woher hatten Sie das Geld?

VP: Die Reise nach Österreich kostete 1 Million indische Rupien (ca. € 11.300.-.) Ein wenig war mein Erspartes, welches ich als XXXX verdiente, ein anderer Teil war vom Onkel ausgeborgt.

LA: Sie haben angegeben, dass Sie in Indien als XXXX und XXXX gearbeitet haben.

LA: Wie viel Geld haben Sie in Indien monatlich verdient?

VP: Ich habe ca. 15.000 bis 20.000 indische Rupien monatlich verdient. Nachgefragt gebe ich an ich konnte gut davon leben.

LA: Hatten Sie ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung?

VP: Ich habe bei meinen Eltern gelebt. In einem kleinen Haus. Wir hatten einen Vorraum, eine Küche, Bad und Toilette und ein größeres Zimmer.

LA: Haben Sie familiäre Beziehungen in Österreich bzw. in einem anderen EU-Land?

VP: Nein.

LA: Beantworten sie die nachstehenden Fragen mit „ja“ oder „nein“. Sie haben später noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

LA: Sind Sie vorbestraft oder waren sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie Probleme mit den Behörden in der Heimat.

VP: Ich bin nicht vorbestraft. Ich war inhaftiert und hatte Probleme mit den Behörden.

LA: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief, etc.

VP: Nein.

LA: Sind oder waren Sie politisch tätig.

VP: Ja.

LA: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei.

VP: Ja. Die Partei heißt XXXX .

LA: Hatten Sie in Ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses bzw. Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit irgendwelche Probleme.

VP: Ja.

LA: Hatten Sie persönlich gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)

VP: Nein.

LA: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil.

VP: Ja.

LA: Sie haben nunmehr die Möglichkeit, Ihre Beweggründe für das Verlassen Ihrer Heimat zu schildern. Bitte schildern Sie möglichst lebensnahe, also konkret und mit sämtlichen Details, sodass auch unbeteiligte Personen Ihre Darstellung nachvollziehen können.

VP: Ich habe in einem Sikh Tempel gearbeitet. Im Mai wurde unsere heilige Schrift im Sikh Tempel von unbekannten angezündet. Danach kam es zu Protesten. Es wurden sehr viele Anzeigen gemacht, die Polizei sollte den oder die Täter ausfindig machen. Aber die Polizei hat kaum etwas unternommen. Im Juni haben wir dann sitzend protestiert. Wie die österreichische Behörde weiß, sind derzeit die Behörden in Indien hinduistisch besetzt. Der Präsident ist dafür ausschlaggebend. Wir haben zwei Tage sitzend protestiert. Die Polizei hat diese sitzenden Proteste aufgelöst, indem sie Tränengas geworfen haben und auch geschossen haben. Die Polizei nahm auch junge Männer fest. Ich und 3 weitere Personen wurden auch für eine Woche festgehalten. Ich bin nach meiner Freilassung wieder in den Sikh Tempel gegangen. Wir wissen bis dato nicht, wer die Heilige Schrift verbrannt hat. Ich bin auch ein Sikh, die Regierung ist eine Hinduistische. Wir bekommen nicht unsere Rechte. Die Polizei kommt und nimmt junge Männer mit. Von einem jungen Mann wissen die Eltern nicht, was mit ihrem Sohn geschehen und wo er verblieben ist. Das ist kein Einzelfall. Und dann gab es noch Grundstücksstreitigkeiten väterlicherseits. Durch den Streit mit diesem Onkel ist der Kontakt zu ihm immer schlechter geworden.

LA: Möchten Sie sonst noch etwas vorbringen?

VP: Es geht bei dem Streit um ein Ackerland. Es reicht für die Familie, sich zu ernähren. Der Onkel hat auch politischen Kontakt. So hat er immer darauf bestanden, dass wir das Ackerland verkaufen. Wir wollten dies jedoch nicht. Deshalb hat der Onkel veranlasst, dass die Polizei zu uns nach Hause kam und meinen Vater und mich für einen Tag mitgenommen hat, obwohl wir nichts angestellt hatten. Damit wollte der Onkel seinen politischen Einfluss unterstreichen. Die Polizei in Indien ist bestechlich und ist auch Marionette der Politiker. Einmal später hat mein Onkel alleine mit mir gesprochen und gedroht. Wir sollten sein Angebot annehmen, ansonsten könnte mit mir etwas Schlimmes passieren. Sie können jederzeit die politische Lage in Indien verfolgen. Die Bauern in Indien bekommen nicht ihre Rechte. Ich wollte noch erzählen, wie es den Sikhs unter der derzeitigen Regierung geht.

LA: Was war schlussendlich der Ausschlaggebende Grund, das auschlaggebende Ereignis für Ihre Ausreise?

VP: Es war, als mich die Polizei im Juni dieses Jahres für eine Woche unbegründet festgenommen hatte. Zweitens war ausschlaggebend, dass mich die Polizei neuerlich unbegründet mitgenommen hat, weil mein Onkel dies durch seinen politischen Einfluss machen konnte. Unsere Familie hat seit Juli, seit der Streit um das Grundstück eskalierte, beim Onkel mütterlicherseits gewohnt in XXXX . Nachgefragt gebe ich an, es ist 20 km von zuhause entfernt.

LA: War dort die Familie sicher?

VP: Wir haben uns dort sicher gefühlt. Nachgefragt gebe ich an, die Familie wohnt seit letzter Woche wieder zuhause.

Ich habe in verschiedenen Sikh Tempeln gelebt. Von August bis September in einem Tempel in XXXX . Ich habe dort als XXXX gearbeitet. Dann bin ich im September wieder zurück zu meinem Onkel. Der Onkel und mein Vater wollten, dass ich aus Indien ausreise, weil es für mich nicht mehr sicher war. Dann habe ich das Land verlassen.

LA: Haben sie somit sämtliche Gründe die Sie veranlasst haben, Ihr Heimatland zu verlassen, vollständig geschildert.

VP: Ja. Ich habe alles geschildert.

LA: War Ihr Aufenthalt im Tempel in XXXX sicher?

VP: Ja, es hat niemand gewusst.

LA. Wie weit ist der Tempel in XXXX von Ihrem Zuhause entfernt?

VP: 200 km.

LA: Haben Sie versucht in einer anderen Gegend oder einer größeren Stadt zu leben?

VP: Nein.

LA. Warum nicht, Sie hatten alle Möglichkeiten dazu?

VP: Ich habe in anderen Städten niemanden, den ich kenne. Wo hätte ich hingehen sollen.

LA: Vorhalt: Sie haben hier auch niemanden. Was sagen Sie dazu?

VP: Ich wollte deshalb nach England, weil die Sikh Gemeinde dort größer ist, ich meine die Sikh Gemeinde lebt dort in Sicherheit.

LA: Haben Sie jemals versucht auf legalem Wege nach England zu kommen?

VP: Es dauert sehr lange, bis man nach England kommen kann. Dies kostet viel Zeit und Geld.

LA: Was würden Sie konkret erwarten, wenn jetzt sie in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten und sich zum Beispiel in einer anderen Gegend oder größeren Stadt niederlassen.

VP: Ich bin als Sikh in Indien nicht sicher. Und zweitens die Streitigkeiten sind auch noch nicht beendet.

LA. Wie viele Sikhs leben in Indien?

VP: Diese sind alle nicht in Sicherheit in Indien, sie bekommen keine Rechte.

LA: Befürchten Sie irgendwelche staatliche Sanktionen bei einer Rückkehr?

VP: Nein. Ich habe nur Angst, wenn ich in XXXX als Sikh ankomme, ansonsten befürchte ich nichts. Ich habe nichts angestellt.

LA: Vorhalt: In der Erstbefragung haben Sie lediglich Grundstücksstreitigkeiten mit privaten Personen angeführt. Nunmehr bringen Sie einen völlig neuen Grund vor. Dies ist der Behörde weder nachvollziehbar noch glaubhaft, dass Sie damals gar nichts von Problemen als Sikh vorbrachten. Was sagen Sie dazu?

VP: Mir wurde von der Polizei gesagt, ich solle mich kurzhalten, es würde ein Interview geben. Der letzte ausschlaggebende Grund, das letzte Ereignis war der Streit wegen dem Grundstück. Ich wollte heute alles detailliert erzählen.

LA: Sind Sie, falls notwendig, mit amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung Ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes/Vertrauensperson einverstanden.

VP: Ja.

LA: Habe ich Sie nun richtig verstanden? Sie möchten ausschließlich wegen der angeführten Grundstücksstreitigkeiten in Indien hier in Österreich bleiben?

VP: Ja, dies ist der hauptsächliche Grund meines Asylantrages. Weiters meine Verfolgung als Sikh in Indien.

LA: Ihnen wurde bereits am XXXX .11.2020 die Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG und die VAO § 52a BFA-VG mit der Ladung zugestellt.

Möchten Sie eine Stellungnahme zur beabsichtigten Vorgangsweise des BFA (Abweisung des Antrages auf int. Schutz gem. §§ 3,8 AsylG und Erlassung einer Rückkehrentscheidung) abgeben?

VP: Ich kann keinesfalls nach Indien zurück.

LA: Ihnen wurden ebenfalls die Länderfeststellungen zu Indien mit der Ladung ausgefolgt. Haben Sie dazu eine schriftliche Stellungnahme vorbereitet, oder möchten Sie nunmehr dazu Stellung nehmen?

VP: Es war in deutscher Sprache, ich konnte das nicht lesen.

LA: Sie wohnen bei Freunden in XXXX , haben Sie nicht versucht, dass man Ihnen dabei behilflich ist?

VP: Nein, bedauerlicherweise.

LA: Sie sind nach sehr kurzer Zeit nach Antragstellung nach XXXX verzogen. Wie kam es zu dem Kontakt?

VP: Ich wohne derzeit im Sikh Tempel. Ich bin Vegetarier, ich hatte im Camp immer Fleisch angeboten bekommen. Den Kontakt hatte ich aus Google. Außerdem war im Camp ein Inder, der schon länger hier ist, dieser hat es mir bestätigt.

LA: Wie bestreiten Sie in Österreich Ihren Lebensunterhalt?

VP: Im Sikh Tempel erhält man Unterkunft und Verpflegung. Ich habe keine Unkosten.

LA: Wollen Sie abschließend noch etwas anführen was Ihnen besonders wichtig erscheint?

VP: Ich bin deshalb aus Indien geflüchtet, um in Sicherheit ein freies Leben führen zu können.

LA: Frage an die Rechtsberaterin: Haben Sie Fragen oder ein Vorbringen?

RB-Fragen: Hatten Sie in der Religionsgemeinschaft eine höhere Position?

VP: Ich verstehe die Frage nicht.

RB: Die Frage wird wiederholt.

VP: Ich war bei den XXXX der Organisator der Gruppen. Es gibt in den Sikh Tempeln, wo ich tätig war, mehrere Gruppen.

RB Frage: Hatten Sie in der XXXX , XXXX eine führende Position?

VP: Nein.

RB: Ich habe keine weiteren Fragen und kein Vorbringen.

LA: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Angaben vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu machen?

VP: Ja.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt. Nach erfolgter Rückübersetzung:

LA: Haben Sie die Dolmetscherin während der gesamten Befragung über das Video System einwandfrei verstanden und hat Ihnen diese alles rückübersetzt?

VP: Ja.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Ich habe keine Einwände, es wurde alles richtig und vollständig protokolliert.

LA: Wünschen Sie die Ausfolgung einer Kopie der Niederschrift?

VP: Ja. (Anm.: Dem ASt. wird eine schriftliche Ausfertigung dieser Niederschrift ausgefolgt)

Anmerkung: Die Verfahrenspartei wird über den weiteren Verlauf des Verfahrens aufgeklärt.

LA: Frage an Antragsteller, Rechtsberaterin und Dolmetscherin nach der Qualität der Bild- und Tonübertragung?

Antwort: Alle anwesenden Personen bestätigten eine gut und brauchbare Qualität während des gesamten Parteiengehörs über das Videosystem.

LA: Bestätigen Sie nunmehr durch Ihre Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift und die erfolgte Rückübersetzung!

VP: Ich bestätige mit meiner Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Niederschrift. Ebenfalls bestätige ich den Erhalt einer berichtigten Verfahrenskarte.

[ … ]“

Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für seine freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA zusammengefasst – nach Anführung des Verfahrensgangs – aus, der gesunde, arbeitsfähige sowie voll handlungsfähige BF habe keine glaubwürdige Verfolgung im Heimatland vorgebracht und Indien legal mit einem Reisepass an einer offiziellen Grenze mit dem Flugzeug verlassen. Eine Gefahr einer Verfolgung in Indien habe nicht festgestellt werden können. Der BF verfüge über eine Schulausbildung und habe als XXXX sowie XXXX in Indien gearbeitet. Jene Tätigkeiten könne er weiter ausüben als auch jedwede andere Arbeit in Indien annehmen. Ein Familienleben im Bundesgebiet habe nicht festgestellt werden können und habe er auch keine sozialen Kontakte, die ihn an Österreich binden würden. Des Weiteren beziehe er kein geregeltes Einkommen, gehe er keiner Erwerbstätigkeit nach und sei er in Österreich auf Unterstützung der Grundversorgung angewiesen. Seit seinem „Untertauchen“ lebe er von Zuwendungen Dritter (Sikh Tempel). Hinsichtlich des als nicht glaubhaft beurteilten Fluchtvorbringens wurde im Wesentlichen ausgeführt, mit dem Vorbringen betreffend die Streitigkeiten wegen Grundstücke mit dem Onkel habe der BF keinerlei politisch, ethnisch, religiös oder geschlechtsspezifisch begründete staatliche oder staatlich geduldete Verfolgung glaubhaft gemacht, weswegen dieses Vorbringen zu keiner Asylgewährung führen könne. Nicht nachvollziehbar erscheint, dass der BF im Rahmen der Erstbefragung lediglich den Grundstücksstreit erwähnt habe, die Probleme als Sikh nicht angeführt habe. Selbst wenn ihm von der Polizei gesagt worden sein sollte, er solle sich kurzhalten, wäre zu erwarten gewesen, dass er zumindest etwaige Probleme als Sikh zumindest in den wesentlichen Punkten angeführt hätte. Auch erweise sich der vom BF präsentierte Fluchtgrund tatsächlich als zu blass und zu oberflächlich. Der BF habe selbst angegeben, dass er nach der Freilassung aus der Anhaltung durch die Polizei wieder in den Tempel zurückkehren habe können. Weitere diesbezüglichen polizeilichen oder behördlichen Maßnahmen habe er nicht angeführt. Hätte er diesbezüglich weitere polizeiliche oder behördliche Maßnahmen erwartet, so wäre er nicht in den Tempel zurückgekehrt, sondern hätte diese Gegend unmittelbar nach der Freilassung verlassen. Hinsichtlich der behaupteten politischen Tätigkeit sowie Mitgliedschaft in einer Partei namens XXXX habe der BF selbst auf Befragung der Rechtsberaterin angeführt, dass er keine führende Position in der Bewegung gehabt habe. Für die Behörde stehe es zweifelsfrei fest, dass BF keinesfalls als Ziel staatlicher Repressalien anzusehen sei. Dies werde auch dadurch untermauert, dass die Polizei ihn nach der Anhaltung im Zusammenhang mit der Sitzdemonstration wieder freigelassen habe und er danach völlig frei und ungehindert seine Tätigkeit als XXXX nachgehen habe können. Hinsichtlich der behaupteten Probleme aufgrund des Religionsbekenntnisses bzw. der Volksgruppenzugehörigkeit habe der BF auf Befragung durch die Rechtsberaterin, ob er eine höhere Position in der Religionsgemeinschaft innegehabt habe, angegeben, dass er bei den XXXX in den Tempeln der Organisator der Gruppen gewesen sei. Dazu sei festzuhalten, dass er diese Tätigkeiten in verschiedenen Tempeln durchführen habe können. Angaben über eine Unterbindung staatlicherseits habe er nicht vorgebracht. Zu den allgemein gehaltenen Angaben, dass die Skikh in Indien generell keine Rechte erhielten, werde auf die Länderfeststellungen zu Indien verwiesen, woraus sich ergebe, dass der BF hinsichtlich der Zugehörigkeit zu den SIkh keinerlei Repressalien zu befürchten habe. Auch habe der BF weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme angeführt, dass er mit staatlichen Repressalien rechne. Er hätte nur Angst, wenn er in XXXX als Sikh ankomme, ansonsten befürchte er nichts, er hätte nichts angestellt. Ebenso deute der Umstand, dass er mit dem Flugzeug an einer offiziellen Grenze den Herkunftsstaat legal verlasse habe und offenbar keine Bedenke gehabt habe, sich der Passkontrolle auszusetzen, daraufhin, dass er staatliche Verfolgungshandlungen weder selbst befürchtet habe noch zu befürchten gehabt habe. Die angegebenen Streitigkeiten wegen Grundstücken könnten keinesfalls einen Anspruch auf internationalen Schutz begründen. Ergänzend sei anzumerken, dass der BF vor der Behörde selbst angegeben habe, dass seine Familie wieder zu Hause wohne. Hätte seine Familie tatsächlich Befürchtungen hinsichtlich Probleme wegen des Grundstückes mit seinem Onkel, so wäre diese wohl kaum wieder nach Hause geblieben, sondern bei anderen Verwandten geblieben. Auch könne sich jedermann in Indien an die für derartige Streitigkeiten zuständigen Behörden wenden, um so sein Recht zu erhalten. Selbst wenn er tatsächlich Angst vor privaten Personen habe, könne er sich in Indien in allen Landesteilen niederlassen, was ihm jederzeit persönlich möglich wäre, zumal er in der Lage gewesen sei für die Reise zusammen ca. EUR 11.300 aufzubringen. Auch habe der BF in der Erstbefragung angeführt, nach England reisen zu wollen, da es dort seine Gesellschaft und viele Tempel gebe. Bei tatsächlicher Befürchtung hinsichtlich Verfolgung durch Private hätte er sich bereits bei erster Gelegenheit schon unter den Schutz eines anderen sicheren Staates gestellt. Bis auf die einwöchige Festnahme im Zusammenhang mit einer Sitzdemonstration sowie die eintägige durch den Onkel veranlasste Anhaltung habe er keinerlei konkret ihn betreffende Vorfälle vorgebracht. Er habe auch keine schlechte Behandlung durch die Polizei im Zuge der Anhaltungen angeführt. Der BF müsse sohin keine Befürchtungen vor Verfolgung haben. Zusammengefasst könne nicht der Schluss zugelassen werden, dass BF Indien aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Im Hinblick auf seine Situation im Falle einer Rückkehr wurde insbesondere auf die in Indien bestehenden Anknüpfungspunkte (Eltern, Onkel), seine Arbeitsfähigkeit sowie die Arbeitserfahrungen in Indien und die Möglichkeit des BF, in Indien ein adäquates Leben zu führen, hingewiesen. Auch bestünden keine anderen Hinweise, dass eine Abschiebung nach Indien unzulässig sei. Rechtlich folge daher die Abweisung des internationalen Schutzes hinsichtlich der Zuerkennung eines Asylberechtigen, zumal eine Verfolgung oder eine wohlbegründete Furcht nicht glaubhaft gemacht worden sei. Zumal der gesunde und nicht immungeschwächte BF in Indien insbesondere nicht in eine existenzbedrohende Lage geriete sowie keine sonstigen einer Abschiebung entgegenstehende Anhaltspunkte hervorgekommen seien, sei auch der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung eines subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen gewesen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG seien nicht gegeben und erweise sich auch eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf das Privat- und Familienlebens des BF als zulässig, zumal sich der BF insbesondere erst seit kurzer Zeit in Österreich aufhalte, kein Familienleben im Bundesgebiet vorliege und keine Hinweise auf eine entscheidungserhebliche Integration gegeben seien. Die Zulässigkeit der Abschiebung ergebe sich im Wesentlichen aus den für die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz maßgeblichen Gründen und sei die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festzusetzen, da keine besonderen Umstände festgestellt worden seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF im Wege seiner damaligen Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde und monierte nach Anführung von Fluchtgründen im Wesentlichen die Verletzung von Verfahrensvorschriften, unzureichende Länderfeststellungen, unrichtige Feststellungen aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens und einer mangelhaften Beweiswürdigung sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung. Beantragt wurde u.a. die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Am 17.12.2020 langte die Beschwerdevorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

In der Folge langte die Vollmachtsbekanntgabe der nunmehrigen, im Spruch genannten, Rechtsvertretung beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Am 21.01.2022 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Rahmen welcher der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für Punjabi sowie seiner Rechtsvertretung einvernommen wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt nicht erschienen. Der genaue Verhandlungsverlauf ist der Niederschrift der mündlichen Verhandlung zu entnehmen (OZ 8).

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurden die in den Feststellungen zur Lage in Indien, LIB Indien vom 31.05.2021, zitierten Erkenntnisquellen ins Verfahren eingeführt.

Mit Eingabe vom 04.02.2022 legte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung folgende Unterlagen vor (bezeichnet wie vom BF):

- Bestätigung des Vereins XXXX über gemeinnützige Tätigkeiten und Unterkunft im Vereinsgebäude vom XXXX .1.2022

- Empfehlungsschreiben der XXXX über gemeinnützige Tätigkeiten und Unterstützung bei der weiteren Integration vom 16.01.2022

- Anmeldung zum A1 Prüfungstermin am XXXX .2.2022 beim XXXX - Berichte über religiöse Unruhen in der Herkunftsregion des BF aus den Jahren 2014 und 2017

Mit Schreiben vom 11.03.2022 wurde ein ÖSD Zertifikat A1 des BF vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger von Indien und wurde in XXXX , Punjab, Indien geboren und ist dort auch aufgewachsen. Er ist Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Sikhs und der Volksgruppe der „Punjabi“. Der BF ist ledig und seine Muttersprache ist Punjabi, die er in Wort und Schrift mächtig ist. Weiters spricht der BF noch etwa Hindi. Er hat 12 Jahre lang die Schule besucht und nach seinen Angaben ein Bachelorstudium im Fach XXXX begonnen, jedoch nicht abgeschlossen. Er hat in Indien Arbeitserfahrungen als XXXX sowie XXXX in Chors gesammelt. Nach seinen Angaben hat er sich von XXXX .11.2017 bis März 2019 in Ghana zum Tempelsingen in einem Sikh-Tempel aufgehalten und ist danach wieder nach Indien zurückgekehrt.

In Indien leben seine Eltern sowie sein jüngerer Bruder. Des Weiteren leben im Herkunftsstaat weitere Verwandte (Onkel, Tanten, beide Großeltern väterlicherseits sowie der Großvater mütterlicherseits).

Im Bundesgebiet verfügt der BF über keinerlei Familienangehörige, er lebt auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Dem Beschwerdeführer ist es nicht möglich, ein Gespräch in deutscher Sprache zu führen, so musste die an ihn gestellten Fragen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung von der Dolmetscherin übersetz werden. Er hat am 17.02.2022 das ÖSD Zertifikat A1 absolviert. Im Bundesgebiet ist er polizeilich gemeldet und lebt er unentgeltlich in einem Sikh-Tempel sowie engagiert er sich im Rahmen der SIkh-Gemeinschaft (insbesondere im Sikh-Tempel) sozial. Er betätigt sich auch im Rahmen dessen im Chor. Österreichische Freunde hat er nicht gefunden.

Nach seinen Angaben möchte er in der Zukunft einen Führerschein-Kurs absolvieren und sich außerhalb des Sikh-Tempels sozial betätigen. Von der XXXX wird ihm Unterstützung bei der weiteren Integration im Bundesgebiet zugesichert.

Nach eigener Aussage verteilt er Zeitungen und verdient ungefähr EUR 800 bis EUR 850 netto seit vier Monaten, zahlt er nach eigenen Angaben auch Steuern und ist krankenversichert.

Der BF ist weitgehend gesund und arbeitsfähig.

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.

Der BF ist im September 2020 legal mit dem Flugzeug aus Indien ausgereist und hat am 28.10.2020 im Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Zu den vorgebrachten Fluchtgründen wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer keiner konkreten, individuellen Verfolgung in Indien ausgesetzt ist. Gründe, die eine Verfolgung oder sonstige Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht.

Die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie stellt kein Rückkehrhindernis dar. COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Der Beschwerdeführer ist körperlich gesund und gehört im Hinblick auf sein Alter von rund XXXX Jahren sowie aufgrund des Fehlens einschlägiger physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Aktuell besteht in Österreich (auch für nicht sozialversicherte Personen) niederschwellig die Möglichkeit einer Impfung gegen SARS-CoV-2, die nach derzeitigem Wissensstand jedenfalls einen weitgehenden Schutz vor schweren Krankheitsverläufen bildet.

Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Indien wird Folgendes festgestellt:

COVID-19

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von

Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als „Apotheke der Welt“ durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine „praktizierte Sorglosigkeit“. Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, „Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei“, wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https: //www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefi ngnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.d e/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw 42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicatio nFile&v=4 , Zugriff 12.10.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf , Zugriff 18.1.2021

FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/healt h/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-m odi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengalu ru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-a nzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutant en-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/inthe-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-change s/, Zugriff 22.3.2021

TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress, http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst , Zugriff 22.3.2021

WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html , Zugriff 18.1.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance (NDA)“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/loc al/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebu ngsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf , Zugriff 15.10.2020

AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/ de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 6.5.2021

BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http: //www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf , Zugriff 23.3.2021

CIA - Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/th e-world-factbook/countries/india/#people-and-society , Zugriff 6.5.2021

DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender CoronaZahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi -inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021

DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817 , Zugriff 28.2.2020

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https: //www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-del hi-16652177.html , Zugriff 28.2.2020

FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2046516.html, Zugriff 6.5.2021

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/ , Zugriff 11.5.2021

KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626 , Zugriff 14.2.2020

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-i n-neu-delhi , Zugriff 20.2.2020

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/c ontents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 11.5.2021

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf , Zugriff 18.2.2020

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/ , Zugriff 16.1.2020

TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theg uardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law , Zugriff 28.2.2020

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff am 6.5.2021

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das SouthAsia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan („Line of Control“) deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel „einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen“, heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe „in Wort und Geist“ ab dem 25.Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).

Indien und China

Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten „Line of Actual Control“ (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).

Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).

Indien und Bangladesch

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).

Indien und Nepal

Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).

Indien und Sri Lanka

Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE („Tamil Tigers“) in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes, https: //www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefi ngnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 11.5.2021

BBC – British Broadcasting Corporation (3.7.2020): Locals remain anxious amid India-China border stand-off, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-53020382 , Zugriff 22.7.2020

BBC – British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile – Overview, http://www. bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384 , Zugriff 29.1.2019

BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http: //www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf , Zugriff 23.3.2021

bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (29.4.2021): Kaschmir,https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54616/kaschmir , Zugriff 7.5.2021

bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (12.12.2017): Konfliktporträt: Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien , Zugriff 18.3.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-r eport-india.pdf , Zugriff 22.3.2021

EFSAS – European Foundatition for South Asia Studies, Topics Indo-Pak Relations, https://www. efsas.org/topics/indo-pak-relations.html, Zugriff 23.3.2021

FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2019): Pakistan: Wir behalten uns vor, auf Indiens Angriffe zu reagieren, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indische-luftwaffe-verletzt-den-pa kistanischen-luftraum-16061769.html, Zugriff 6.8.2019

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2046516.html, Zugriff 23.3.2021

FIDH – International Federation for Human Rights (23.6.2020): China/India/Pakistan: De-escalate tensions along border lines and seek peaceful resolution of disputes, 23.6.2020

https://www.fidh.org/en/region/asia/india/china-india-pakistan-de-escalate-tensions-along-border-l ines-and-seek , Zugriff 22.7.2020

GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, https: //www.liportal.de/indien/geschichte-staat/ , Zugriff 23.3.2021

Gov.o.I. PIB – Government of India, Press Information Bureau (25.2.2021): Joint Statement, https: //www.pib.gov.in/PressReleseDetail.aspx?PRID=1700682, Zugriff 7.5.2021

HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2043608.html, Zugriff 23.3.2021

KO – Kaschmir Observer (25.6.2020): Indian, Pakistani Troops Trade Fire In North Kashmir, https: //kashmirobserver.net/2020/06/25/indian-pakistani-troops-trade-fire-in-north-kashmir/ , Zugriff 22.7.2020

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

Piazolo, Michael (2008): Macht und Mächte in einer multipolaren Welt. Springer Verlag. Seite 201

SATP – South Asia Terrorism Portal (3.5.2021a): Data Sheet - Punjab, Number of Terrorism Related Incidents Year Wise, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/india-punjab , Zugriff 6.5.2021

SATP – South Asia Terrorism Portal (3.5.2021b): Data Sheet - India Yearly Fatalities: 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india , Zugriff 6.5.2021

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, Juli 2020

https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf , Zugriff 22.7.2020

SZ – Süddeutsche Zeitung (26.2.2021): Wenn plötzlich Frieden ausbricht, https://www.sueddeut sche.de/politik/line-of-control-kaschmir-indien-waffenruhe-pakistan-1.5219103, Zugriff 7.5.2021

SZ – Süddeutsche Zeitung (26.2.2019): Indien bombardiert pakistanischen Teil Kaschmirs, https: //www.sueddeutsche.de/politik/indien-pakistan-luftangriff-1.4345509 , Zugriff 6.8.2019

Wagner, C. (2020). The Indian-Chinese confrontation in the Himalayas: a stress test for India’s strategic autonomy.

(SWP Comment, 39/2020). Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik -SWP- Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit. https://doi.org/10.18449/2020C39 , Zugriff 22.10.2020

WP – The Washington Post (26.2.2019): India strikes Pakistan in severe escalation of tensions between nuclear rivals, https://www.washingtonpost.com/world/pakistan-says-indian-fighter-jets-c rossed-into-its-territory-and-carried-out-limited-airstrike/2019/02/25/901f3000-3979-11e9-a06c-3 ec8ed509d15_story.html?utm_term=.ee5f4df72709 , Zugriff 6.8.2019

Punjab

Letzte Änderung: 31.05.2021

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab (und anderen Konfliktzonen) haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 30.3.2021; vgl. BBC 20.10.2015). Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders dar als im übrigen Indien (ÖB 9.2020).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab (sowie Uttar Pradesh und Haryana) weiterhin ein Problem dar (USDOS 30.3.2021).

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2018 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2019 waren es zwei Todesopfer und im Jahr 2020 wurden durch terroristische Gewalt drei Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Bis zum 3.5.2021 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 3.5.2021).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert. In manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben (ÖB 9.2020).

Im Zuge der Bauernproteste gegen die 2020 beschlossene Liberalisierung des Agrarsektors ist ein neues, gegen die religiöse Minderheit der Sikhs gerichtetes politisches Narrativ von der hindunationalistischen BJP instrumentalisiert worden, nachdem sich Widerstand gegen die Marktrefom auch bei den Sikhs aus dem Punjab formiert hatte. Politiker der Bharatiya Janata Party (BJP) unterstellten den protestierenden Sikhs vereinzelt, für ein unabhängiges Khalistan zu kämpfen und weckten damit in der Bevölkerung Erinnerungen an die Bewegung aus den 1980er und 1990er Jahren (BAMF 12.4.2021).

Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https: //www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefi ngnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 6.5.2021

BBC – British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://www. bbc.com/news/world-asia-india-34578463 , Zugriff 18.10.2018

MoHA – Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India [Indien] (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusin dia.gov.in/2011census/C-01.html , Zugriff 18.10.2018

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

SATP – South Asia Terrorism Portal (3.5.20201c): Datasheet – Punjab, Data View, https://www.sa tp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india-punjab, Zugriff 6.5.2021

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 6.5.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 31.05.2021

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 23.9.2020). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 3.3.2021). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen.

Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 9.2020).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen erlaubt die Inhaftierung ohne Anklage oder aufgrund von vage definierten Vergehen (FH 3.3.2021). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 23.9.2020).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 23.9.2020).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit („National Security Act“, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit („Jammu and Kashmir Public Safety Act“, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem bzw. zwei Jahren (in Fällen des Public Safety Act) ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 23.9.2020).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden, in einigen Fällen sogar mit Todesfolge.

Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 23.9.2020).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des „Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)“, und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 30.3.2021).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 9.2020).

Indische Einzelpersonen - oder NGOs im Namen von Einzelpersonen oder Gruppen - können sogenannte Rechtsstreitpetitionen von öffentlichem Interesse („Public Interest Litigation petitions“, PIL) bei jedem Gericht einreichen, oder beim Obersten Bundesgericht, dem „Supreme Court“ einbringen, um rechtliche Wiedergutmachung für öffentliche Rechtsverletzungen einzufordern (CM 2.8.2017).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 3.3.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local /2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsr elevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf , Zugriff 19.3.2020

CM – Citizen Matters (2.8.2017): A guide to filing a Public Interest Litigation (PIL), http://citizenmat ters.in/a-guide-to-filing-a-public-interest-litigation-pil-4539 , Zugriff 13.8.2019

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom House: Freedom in the World 2021 - India,https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html , Zugriff 27.4.2021

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 27.4.2021

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 31.05.2021

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 1.2021) und untersteht den Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 1.2021).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 1.2021; vgl. FH 3.3.2021). Es gibt zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 30.3.2021). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 13.1.2021).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 1.2021). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 23.9.2020; vgl. BICC 1.2021). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 1.2021).

Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes nachgesagt (BICC 7.2020).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zurAufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 30.3.2021). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act, UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 30.3.2021).

Den Sicherheitskräften wird durch den Armed Forces (Special Powers) Act selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen (HRW 13.1.2021) weitgehende Immunität vor Strafverfolgung gewährt (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021).

Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu und Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 23.9.2020).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 23.9.2020). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 9.2020). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 23.9.2020).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force“) unterstehen dem Büro des Premierministers.

Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros („Intelligence Bureau“ - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungsund Analyseflügel („Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020

BICC - Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http: //www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 27.4.2021

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom House: Freedom in the World 2021 - India,https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html , Zugriff 27.4.2021

HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2043608.html, Zugriff 27.4.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020) Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights

Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 27.4.2021

War Heros of India (15.1.2017): Special Forces of India Part 3: Special Frontier Force, https://gallantryawardwinners.blogspot.com/2017/01/Special-Frontier-Force.html , Zugriff 19.3.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 31.05.2021

Indien hat im Jahr 1997 das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 23.9.2020). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 1.2021). Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der UN Anti-Folterkonvention ist, wurde vom Parlament bisher nicht verabschiedet (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021).

Folter ist in Indien zwar verboten (AA 23.9.2020) und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bei den Sicherheitskräften, doch bleiben Menschenrechtsverletzungen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren, weil Opfer ihre Rechte nicht kennen, eingeschüchtert werden oder die Folter nicht überleben (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 9.2020; vgl. FH 3.3.2021). Es gibt Berichte, dass Folter im Beobachtungszeitraum angewendet wurde (USDOS 30.3.2021). Die der Nationalen Menschenrechtskommission gemeldeten Zahlen lassen darauf schließen, dass sich im Jahr 2019 1.723 Todesfälle in richterlichem oder polizeilichem Gewahrsam ereignet haben (FH 3.3.2021).

Aufgrund von Folter erlangte Aussagen sind zwar vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen (AA 23.9.2020), es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangene (AA 23.9.2020). Trotz der Trainings für Senior Police Officers, bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse durch Sicherheitskräfte verbreitet (ÖB 9.2020).

Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam, die unter Umständen auch tödlich enden (TIE 24.9.2020). In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Von Ausnahmen abgesehen, werden gesetzeswidrige Handlungen in diesem Bereich geahndet. Die angerufenen Gerichte haben hierbei in den letzten Jahren verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten. Auch über Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die Nationale Menschenrechtskommission. Auch diese werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim (ÖB 9.2020).

Gelegentlich wird auch von Tötungen bei gestellten Zwischenfällen (sog. "encounter killings") berichtet. So wurden in einem aufsehenerregenden Fall im Dezember 2019 in Hyderabad vier einer Gruppenvergewaltigung und des Mordes beschuldigte Verdächtigte von der Polizei bei einem angeblichen Lokalaugenscheines "auf der Flucht" erschossen. Die Tat wurde von Teilen der Gesellschaft und einigen Politikern explizit begrüßt (AA 23.9.2020).

Fälle von Folter in Polizeigewahrsam und außergerichtlichen Tötungen machten deutlich, dass es nach wie vor an Verantwortlichkeit für polizeiliche Übergriffe mangelt und Polizeireformen nicht durchgesetzt werden können (HRW 13.1.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf , Zugriff 28.4.2021

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html , Zugriff 28.4.2021

HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html , Zugriff 28.4.2021

TIE – Indian Express (24.9.2020): Explained: How Tamil Nadu Police’s brutal act of revenge claimed lives of a father and son, https://indianexpress.com/article/explained/explained-tamil-nadu-police-custodial-torture-father-son-killed-thoothukudi-6479190/ , Zugriff 16.10.2020

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 28.4.2021

Korruption

Letzte Änderung: 31.05.2021

Korruption ist weit verbreitet (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) im Jahre 2020 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 86. Platz von 180 Staaten auf (2019: Bewertung 40, 80. Rang von 180 Staaten) (TI 2021; vgl. TI 2020).

NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienstleistungen wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 30.3.2021). Die unteren Bereiche des Gerichtswesens sind von Korruption betroffen und die meisten Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte zu erhalten (FH 3.4.2020). Korruption ist auf allen Regierungsebenen vertreten (USDOS 30.3.2021).

Obwohl Politiker und Beamte regelmäßig bei der Entgegennahme von Bestechungsgeldern erwischt werden, gibt es zahlreiche Korruptionsfälle, die unbemerkt und unbestraft bleiben (FH 3.3.2021). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig straflos davon (USDOS 30.3.2021).

Groß angelegte politische Korruptionsskandale haben wiederholt Bestechlichkeit und anderes Fehlverhalten aufgedeckt, doch wird den Behörden eine selektive, parteiische Durchsetzung bei Bestrafungen vorgeworfen (FH 3.3.2021).

Die Regierung berichtet, dass zwischen März 2019 und Februar 2020 insgesamt 12.458 Korruptionsbeschwerden gemeldet worden sind. Von diesen wurden 12.066 Fälle behandelt oder aufgeklärt. Darüber hinaus wird durch die Regierung festgestellt, dass durch die Central Vigilance Commission, die sich mit Korruption in der Regierung befasst, im Jahr 2019 insgesamt 2.752 Fälle überprüft wurden. Mehr als 950 Fälle waren 2019 noch nicht abgeschlossen (USDOS 30.3.2021). Ende 2020 waren davon noch knapp 590 Fälle beim Central Bureau of Investigation (CBI) seit über einem Jahr zur Untersuchung anhängig. Sechs davon betreffen Personen des politischen Lebens (TET 11.2.2021).

Eine von Transparency International und Local Circles durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass ein Einsatz von Bestechungsgeldern immer noch das effizienteste Mittel darstellt, um die Arbeit von Regierungsstellen abzuwickeln. Die Zahl jener Personen, die zugaben, ein Bestechungsgeld bei Behörden erlegt zu haben, lag 2019 bei 51 Prozent (2017: 45 Prozent). Die drei korruptionsanfälligsten Bereiche sind Grundbucheintragungen und Grundstücksangelegenheiten, sowie die Polizei und die kommunalen Vertretungen (IT 26.11.2019; vgl. IT 11.10.2018).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2025925.html , Zugriff 9.3.2020

IT – India Times (26.11.2019): Incidents of bribery in India reduced by 10 pc since last year: Survey., https://www.indiatoday.in/india/story/incidents-of-bribery-in-india-reduced-by-10-pc-since-last-ye ar-survey-1622859-2019-11-26 , Zugriff 17.3.2020

IT – India Times (11.10.2018): Bribery records 11 per cent growth in one year, finds survey, https: //www.indiatoday.in/india/story/56-per-cent-paid-bribe-in-last-one-year-91-per-cent-don-t-know-a bout-anti-corruption-helpline-survey-1360392-2018-10-11 , Zugriff 7.11.2018

TET – The Economic Times (11.2.2021): 588 cases pending investigation by CBI for over a year: Govt, https://economictimes.indiatimes.com/news/politics-and-nation/588-cases-pending-investig ation-by-cbi-for-over-a-year-govt/articleshow/80836303.cms, Zugriff 28.4.2021

TI – Transparency International (2021): Corruption Perceptions Index 2020, https://www.transpar ency.org/en/cpi/2020/index/ind , Zugriff 11.5.2021

TI – Transparency International (2020): Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transpar ency.org/cpi2019 , Zugriff 20.2.2020

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 10.5.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 31.05.2021

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).

Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 1.2021). Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Während die Bürger-und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 1.2021 vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, ÖB 9.2020).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 30.3.2021). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 30.3.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http: //www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 11.5.2021

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2046516.html, Zugriff 11.5.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020: Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html , Zugriff 22.7.2020

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 11.5.2021

Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 31.05.2021

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit. Im Allgemeinen können Einzelpersonen die Regierung öffentlich oder privat kritisieren, ohne Repressalien fürchten zu müssen. In bestimmten Fällen nutzen die Behörden Gesetze gegen Aufwiegelung und strafrechtliche Verleumdung, um Bürger zu verfolgen, die Regierungsbeamte oder die staatliche Politik kritisieren (USDOS 30.3.2021).

Obwohl die Pressefreiheit in der indischen Verfassung nicht dezidiert erwähnt ist, wird auch diese von der Regierung im Allgemeinen in der Praxis respektiert (USDOS 30.3.2021). Unabhängige Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021. Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen. Im März 2020 rief Premierminister Modi die Medien dazu auf, die Verbreitung von „Pessimismus, Negativität und Gerüchten“ zu verhindern. Viele verstehen diese Aussage als Warnung, den Umgang der Behörden mit der Pandemie nicht zu kritisieren (FH 3.3.2021), investigativer Journalismus mit Bezug auf Verfehlungen der Regierung zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie im April 2021 setzt die Medienschaffenden im Land zudem zunehmend unter Druck (SI 26.4.2021). Im Jahr 2020 wurden Dutzende Journalisten verhaftet, die sich kritisch über den Umgang der Regierung mit der Coronavirus-Pandemie geäußert hatten (FH 3.3.2021). Gegenwärtig befinden sich drei Journalisten in Haft (Stand: 6.5.2021) (RSF 5.2021).

Das Gesetz verbietet Inhalte, die religiöse Gefühle verletzen und Feindschaften zwischen Gruppen provozieren könnten. Die Behörden haben sich auf diese Regeln berufen, um Printmedien, Rundfunk und Fernsehen sowie die Veröffentlichung und Verbreitung von Büchern einzuschränken (USDOS 30.3.2021). So verbieten die Regierungen der Bundesstaaten die Einfuhr oder den Verkauf bestimmter Literatur, die nach Ansicht der staatlichen Zensoren aufrührerisches Material enthalten oder kommunale oder religiöse Spannungen provozieren können (USDOS 30.3.2021).

Es wird von Fällen berichtet, in welchen durch die Regierung oder als regierungsnah eingestufte Akteure, Vertreter regierungskritischer Medien unter Druck gesetzt oder schikaniert und in einigen Fällen auch getötet wurden (USDOS 30.3.2021). Medienschaffende werden aber auch Ziel durch Übergriffe von maoistischen Guerillas und kriminellen Gruppen (RSF 2021). Solche Angriffe werden selten geahndet, einige fanden unter der Komplizenschaft oder aktiven Beteiligung der Polizei statt (FH 3.3.2021). Darüber hinaus werden Kritiker des Hindu-Nationalismus in Online-Belästigungskampagnen als „anti-indisch“ diffamiert (RwB 2019).

Der Staat hat auch weiterhin das Monopol auf das AM-Radio und beschränkt die Vergabe von Lizenzen an FM-Radiostationen, deren Sendungen Unterhaltungs- und Bildungszwecken dienen. Satellitenfernsehen ist weit verbreitet und stellt für das staatliche Fernsehnetzwerk eine Konkurrenz dar (USDOS 30.3.2021). Menschrechtsverletzungen, Korruption und politische Skandale finden in der Berichterstattung breiten Niederschlag. Indien hat eine sehr breite Medienlandschaft, wobei die Pressefreiheit durch informelle Maßnahmen eingeschränkt wird (AA 23.9.2020).

Indische Behörden bedienen sich gesetzlicher Einschränkungsmöglichkeiten, um Sicherheitsrisiken abzuwenden. So können seit Juli 2019 durch eine Erweiterung des Anti-Terrorgesetztes Unlawful Activities Prevention Act (UAPA) nun auch einzelne Personen als „Terroristen“ registriert werden. Bislang wurde dies nur auf bekannte islamistische Terroristen angewendet, aber einige Beobachter befürchten, dass in Zukunft auch Regierungskritiker davon betroffen sein könnten (AA 23.9.2020). Am 6.4.2021 wurde in Kaschmir eine Richtlinie erlassen, die es Medienschaffenden aus Gründen der nationalen Sicherheit untersagt, sich Polizeieinsätzen zu nähern oder Live-Berichte von Feuergefechten zu senden (BAMF 12.4.2021).

Die Internetnutzung wächst rapide. Experten gingen im Januar 2020 von 688 Millionen Internetnutzern aus (ca. 50 Prozent der Bevölkerung). Ein freier Zugang zum Netz ist gerade in Indien zentral für die Ausübung von Meinungs- und Pressefreiheit (AA 23.9.2020). Zwar ist im regionalen Vergleich die Internetfreiheit Indiens relativ hoch (AA 23.9.2020), es gibt jedoch einige Beschränkungen des Internetzuganges sowie Berichte, dass die Regierung gelegentlich Nutzer digitaler Medien wie Chatrooms und persönliche Kommunikation überwacht. IT-Gesetze erlauben es der Regierung, Internetwebsites und Inhalte zu blockieren und das Senden von Nachrichten mit aufrührerischem oder anstößigem Inhalt zu strafrechtlich zu verfolgen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Der Internetzugang wird durch die Regierung präventiv vor antizipierten gewaltsamen Protesten lokal/regional den Internetzugang abgeschaltet. Wegen geäußerter Kritik auf dem Mikrobloggingdienst Twitter forderte die indische Zentralregierung die Verantwortlichen des Unternehmens auf, Meldungen zu löschen, die die Regierung und ihre Corona-Maßnahmen kritisieren (DW 25.4.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.9.2020): AA-Bericht Indien, https://www.ecoi.net/en/file/l ocal/1456128/4598_1547112244_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-zur-asyl-und-abschiebu ngsrelevanten-lage-in-der-republik-indien-stand-juni-2018-18-09-2018.pdf, Zugriff 16.10.2020

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https: //www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefi ngnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 10.5.2021

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RSF – Reporter ohne Grenzen (5.2021): Indien, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/indien . Zugriff 6.5.2021

RwB – Reporters without Borders (2019): World press freedom index 2019, https://rsf.org/en/india , Zugriff 16.3.2020

SI – Scroll.in (26.4.2021): Fact check: Did states fail to use PM-Cares funds allocated by the Centre to build oxygen plants? https://scroll.in/article/993309/fact-check-did-states-fail-to-use-pm-caresfunds-allocated-by-the-centre-to-build-oxygen-plants , Zugriff 6.5.2021

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 6.5.2021

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Letzte Änderung: 31.05.2021

Das Gesetz garantiert die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und die lokalen Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 30.3.2021; vgl. DFAT 10.12.2020). Während einige Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wie z.B. eine Bestimmung der Strafprozessordnung, welche die Behörden ermächtigt, die Versammlungsfreiheit einzuschränken und Ausgangssperren zu verhängen, wenn „sofortige Verhinderung oder schnelle Abhilfe“ erforderlich ist - finden regelmäßig friedliche Protestveranstaltungen statt, obwohl durch die Maßnahmen der Eindämmung der COVID-19-Pandemie dazu geführt hat, dass 2020 weniger solcher Veranstaltungen stattfgefunden haben. Die nationale Regierung und einige Landesregierungen setzten zwischen Dezember 2019 und März 2020 Versammlungsverbote und scharfe Munition ein, um die breit getragenen Proteste gegen den Citizenship Amendment Act (CAA) und Vorschläge zur Einführung eines Bürgerregistrierungsverfahrens landesweit zu unterdrücken. Demonstranten wurden festgenommen und der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert. Kritiker behaupen, dass die im März 2020 verhängte und ab Mai 2020 allmählich gelockerte Abriegelungsmaßnahmen im Land von der Regierung teilweise genutzt wurde, weitere CAA-Proteste zu verhindern und Andersdenkende zum Erliegen zu bringen (FH 3.3.2021).

Ein Antrag für das Abhalten von Versammlungen und Demonstrationen muss vorab bei den zuständigen lokalen Behörden gestellt werden. Vereinzelt werden Anträge abgelehnt, wie beispielsweise in Jammu und Kaschmir, wo die Behörden Separatistengruppen manchmal keine Erlaubnis ausstellen (USDOS 30.3.2021; vgl. ÖB 9.2020) und die Sicherheitskräfte manchmal Mitglieder politischer Gruppen, die an Protesten teilnehmen, der Zutritt zu Demonstrationen verweigert, oder diese verhaften (USDOS 30.3.2021). In Zeiten von Unruhen in Jammu und Kaschmir ziehen die Behörden die Strafprozessordnung heran, um öffentliche Versammlungen zu verbieten oder Ausgangssperren zu verhängen (USDOS 30.3.2021).

Sicherheitskräfte unterbinden häufig Demonstrationen und setzen Berichten zufolge übermäßige Gewalt ein, wenn sie versuchen, Demonstranten auseinanderzutreiben. So soll die Polizei von Delhi während der kommunalen Unruhen im Februar [2020] schwere Menschenrechtsverletzungen begangen habe. Es wird behauptet, dass die Polizei „mitschuldig und aktiv an der Gewalt beteiligt“ gewesen sei, bei der mehr als 50 Personen, die meisten von ihnen Muslime getötet wurden (USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung schützt auch das Recht Vereinigungen und Gewerkschaften zu bilden. Dieses Recht unterliegt allerdings „angemessenen“ Einschränkungen im Interesse der öffentlichen Ordnung, des Anstands oder der Moral (DFAT 10.12.2020). Gewerkschaftliche Streiks und öffentliche Protestveranstaltungen können zur Lahmlegung des gesamten öffentlichen Lebens im betroffenen Gebiet und zu Gewalttätigkeiten führen. Gewerkschaften spielen in Indien jedoch eine relativ geringe Rolle, da nur etwa zehn Prozent der indischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind. Der „Essential Services Maintenance Act“ erlaubt es der Regierung, Streiks in staatlichen Unternehmen zu verbieten (ÖB 9.2020).

Opposition

Die politische Opposition kann sich frei betätigen. Die Wahlen zu den Gemeindeversammlungen, Stadträten und Parlamenten auf bundesstaatlicher wie nationaler Ebene sind frei, gleich und geheim. Sie werden - ungeachtet von Problemen, die aus der Größe des Landes, verbreiteter Armut bzw. hoher Analphabetenrate und örtlich vorkommender Manipulationen resultieren - nach Einschätzung internationaler Beobachter korrekt durchgeführt. Behinderungen der Opposition kommen insbesondere auf regionaler und kommunaler Ebene vor, z.B. durch nur eingeschränkten Polizeischutz für Politiker, Vorenthalten von Genehmigungen für Wahlkampfveranstaltungen, tätliche Übergriffe durch Anhänger anderer Parteien. Derartige Vorkommnisse werden von der Presse aufgegriffen und können von den politischen Parteien öffentlichkeitswirksam thematisiert werden. Sie ziehen in der Regel auch Sanktionsmaßnahmen der unabhängigen und angesehenen staatlichen Wahlkommission („Election Commission of India“) nach sich (AA 23.9.2020).

Indien hat Hunderte von politischen Parteien, die bei der Wahlkommission registriert sind, wobei nur eine kleine Gruppe als nationale Parteien registriert sind. Neben den großen nationalen Parteien Kongress (in ihren Wurzeln sozialistisch inspirierte nationale Sammlungsbewegung), Bharatiya Janata Party (BJP, hindu-nationalistisch) sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend von politischer Bedeutung sind (AA 23.9.2020; vgl. DFAT 10.12.2020).

Zu den wichtigsten indischen Parteien gehören Indian National Congress (INC), Bharatiya Janata Party, Bahujan Samaj Party (BSP), Communist Party of India und Communist Party of India (Marxist). Bekannte und einflussreiche regionale Parteien sind Telugu Desam Party (TDP) in Andhra Pradesh, Muslim League in Kerala, Shiv Sena in Maharashtra, Dravida Munnetra Kazhagam in Tamil Nadu und Samajwadi Party in Uttar Pradesh (GIZ 1.2021a).

Neben den nationalen Parteien spielen in jedem Bundesstaat zahlreiche regionale Bewegungen eine wichtige Rolle. Der Einfluss der regionalen Parteien hat Berichten zufolge stetig zugenommen, oft auf Kosten des Kongresses (DFAT 10.12.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf , Zugriff 5.5.2021

GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/#c285 , Zugriff 5.5.2021

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2046516.html, Zugriff 5.5.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 5.5.2021

Haftbedingungen

Letzte Änderung: 31.05.2021

Es gibt drei Klassen der Unterbringung, wobei die Kategorie A gewissen Privilegien (Einzelzelle, Transistorradio, Verpflegung durch Angehörige) bietet. Der Großteil der Gefangenen (Kategorie C) muss sich allerdings mit spärlichen Verhältnissen zufrieden geben. Hier ist es die Regel, dass sich bis zu 50 Inhaftierte eine Großraumzelle teilen müssen, keine Betten zur Verfügung stehen und im Winter Decken fehlen (ÖB 9.2020). Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet, für die Hygiene sind die Häftlinge selbst verantwortlich (AA 23.9.2020). Sanitäre Einrichtungen, medizinische Versorgung und der Zugang zu Trinkwasser sind häufig unzureichend und können mit der extremen Überbelegung der Haftanstalten lebensbedrohlich sein (USDOS 30.3.2021). Bei Bedarf wird ins (oftmals unzureichend ausgestattete) staatliche Krankenhaus eingeliefert (AA 23.9.2020). Doch kann jeder Häftling die Haftbedingungen hinsichtlich Unterbringung, Hygiene, Verpflegung und medizinischer Behandlung durch Geldzahlungen verbessern. Auch ist es üblich, dass Häftlinge von Verwandten zusätzlich versorgt werden (AA 23.9.2020). Auf Geschlechtertrennung wird geachtet. Eine Trennung von Kleinkriminellen und Schwerverbrechern gibt es selten. Nach dem Gesetz müssten Jugendliche in eigens vorgesehenen Jugenstrafanstalten untergebracht werden, allerdings kann vor allem in ländlichen Regionen nicht davon ausgegangen werden (ÖB 9.2020).

Gefängnisse und Haftanstalten sind auch weiterhin personell unterbesetzt und eine ausreichende Infrastruktur fehlt (USDOS 30.3.2021; vgl. NRCB 8.2020).

Dem Bericht des Prison Statistics of India (PSI) aus dem Jahr 2019 zufolge, gibt es 1.350 Gefängnisse landesweit mit einer genehmigten Kapazität von 403.739 Personen - bei einer Häftlingszahl von 478.600 (USDOS 30.3.2021; vgl. WPB 31.12.2019). Der Frauenanteil unter den Inhaftierten liegt bei 4,2 Prozent (WPB 31.12.2019). Der Anteil der Gefängnisinsassen an der Gesamtbevölkerung ist mit ca. 0,34 Prozent zwar niedrig (AA 23.9.2020), dennoch sind die Hafteinrichtungen im Land überfüllt (AI 7.4.2021). Nach offiziellen Angaben liegt die durchschnittliche Belegungsquote der Haftanstalten auf nationaler Ebene in Indien bei 118,5 Prozent (WPB 31.12.2019). Die Gefängnisse in Uttar Pradesh melden die höchste Überbelegung mit einer Belegungsrate von 168 Prozent, gefolgt von Uttarakhand mit 159 Prozent und Meghalaya mit 157 Prozent (USDOS 30.3.2021). Knapp 70 Prozent aller Gefangenen sind Untersuchungshäftlinge (USDOS 30.3.2021; vgl. WPB 31.12.2019), denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 23.9.2020).

Das Gesetz untersagt willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, dennoch bleibt lang andauernde, willkürliche Inhaftierung ein bedeutendes Problem als Folge eines überlasteten und nicht entsprechend ausgestatteten Gerichtssystems sowie wegen mangelnder Rechtssicherheit. Die Polizei nutzte spezielle Sicherheitsgesetze, um die gerichtliche Überprüfung von Verhaftungen hinauszuzögern (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung bemüht sich mithilfe von sogenannten "Fast Track-Gerichten", die Überbelegung der Gefängnisse zu verringern sowie lang andauernde Inhaftierungen zu reduzieren (USDOS 11.3.2020). Im Dezember 2019 veröffentlichte das Ministerium für Recht und Justiz das "Scheme on Fast Track Special Courts for Expeditious Disposal of Cases of Rape and Protection of Children against Sexual Offences (POCSO) Act". Das Gesetz zielt darauf ab, 1.023 Fast-Track-Gerichte im ganzen Land einzurichten, um die 166.882 Vergewaltigungs- und POCSO-Gesetzesfälle zu erledigen, die bei verschiedenen Gerichten anhängig sind. Einige NGOs kritisierten, dass diese Gerichte kein ordnungsgemäßes Verfahren einhalten und Inhaftierte, die sich keine Kaution leisten können, in Haft bleiben müssen (USDOS 30.3.2021).

Es gibt weiterhin Berichte über Tötungen, Folter, Misshandlungen und Vergewaltigungen von Häftlingen durch die Polizei und Haftpersonal insbesondere von Angehörigen marginalisierter Gruppen (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021).

Ein Gesetzentwurf, der Folter verhindern soll, ist noch anhängig (FH 3.3.2021). Manche Vergewaltigungsopfer hatten aufgrund des drohenden sozialen Stigmas und möglicher Vergeltungshandlungen Angst sich zu melden und das Verbrechen anzuzeigen, speziell dann, wenn der Täter ein Polizist oder ein anderer Beamter war. Die Nationale Menschenrechtskommission (National Human Rights Commission - NHRC) hat das Mandat, Vergewaltigungsfälle in denen Polizisten involviert sind zu untersuchen. Die NHRC ist gesetzlich befugt, Informationen über Mitglieder des Militärs und der paramilitärischen Streitkräfte zu verlangen, jedoch hat sie kein Mandant, Fälle zu untersuchen, die diese Einheiten betreffen (USDOS 30.3.2021).

Der Public Safety Act (PSA) gilt nur in Jammu und Kaschmir und erlaubt staatlichen Behörden die Festnahme von Personen ohne Anklage oder gerichtliche Überprüfung für bis zu zwei Jahren. Während dieser Zeit ist den Familienmitgliedern kein Zugang zu den Häftlingen erlaubt. 2019 wurden 662 Personen unter dem PSA verhaftet, von denen sich bis August [2020] noch 412 in Haft befunden haben (USDOS 30.3.2021).

Die NHRC erhielt und untersuchte Häftlingsbeschwerden über Menschenrechtsverletzungen im Laufe des Jahres. Von Vertretern der Zivilgesellschaft wird jedoch angenommen, dass aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen nur wenige Häftlinge Beschwerden einreichen (USDOS 30.3.2021; vgl. HRW 12.1.2021).

Das Asia Centre of Human Rights (ACHR) berichtet, dass zwischen Anfang April 2017 und Ende Februar 2018 insgesamt 1.674 Personen in Haft gestorben sind (ACHR 26.6.2018). Nach Angaben des National Crime Records Bureau (NCRB) sollen im Jahr 2017 bis zu 100 Personen in Polizeigewahrsam gestorben sein. Davon befanden sich 58 Personen in Haft und 42 Personen in polizeilicher oder gerichtlicher Untersuchungshaft (IS 2.11.2019).

Im August [2020] veröffentlichte die NCRB den Bericht "Prison Statistics of India (PSI) 2019", der 1.775 Todesfälle von Insassen in Gerichtsgewahrsam im Jahr 2019 dokumentierte (USDOS 30.3.2021). Nach Regierungsangaben war ein großer Teil der Todesfälle in den Gefängnissen des Landes (AA 18.9.2018) auf Krankheiten wie Tuberkulose und HIV/Aids zurückzuführen, deren Verlauf durch die Haftbedingungen und mangelhafte Versorgung verschlimmert bzw. beschleunigt wird. Bei Bedarf werden Häftlinge in (oftmals unzureichend ausgestattete) Krankenhäuser eingeliefert (AA 19.7.2019). Ein großer Teil der Todesfälle in Gefängnissen (1845) war 2018 auf Krankheiten zurückzuführen (AA 23.9.2020).

Im Juni [2020] berichtete die Nationale Kampagne gegen Folter über den Tod von insgesamt 125 Personen in Polizeigewahrsam im Jahr 2019. Dem Bericht zufolge waren 74 Prozent der Todesfälle auf angebliche Folter oder Misshandlungen zurückzuführen, während das Ableben von 19 Prozent der dokumentierten Fälle unter fragwürdigen Begleitumständen zustande gekommen sind. Von den 125 Todesfällen in Polizeigewahrsam meldete Uttar Pradesh mit 14 Fällen den höchsten Anteil, gefolgt von Tamil Nadu und Punjab mit jeweils 11 Todesfällen. Unter den 125 Todesfällen in Polizeigewahrsam, die von der Nationalen Kampagne gegen Folter im Jahr 2019 dokumentiert wurden, waren 13 Opfer aus Dalit- und Stammesgemeinschaften und 15 Muslime (USDOS 30.3.2021).

Das indische Recht schreibt vor, dass durch einen Richter eine Ermittlung bei einem Todesfall in Gewahrsam erfolgen muss. Dabei ist die Polizei verpflichtet, einen First Information Report (FIR) zu erstellen, eine nicht am bisherigen Verlauf der Ermittlungen beteiligte Abteilung der Polizei unterucht darauf hin den Todesfall. Eine Information des NHRC, durch das die durchzuführende Autopsie filmen muss und einen entsprechenden Bericht erstellt, wird per Gesetz gefordert. Internationale Menschenrechtsorganisationen behaupten, dass das Gesetz nicht konsequent angewendet wird (DFAT 10.12.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf , Zugriff 19.3.2020

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

ACHR – Asian Centre for Human Rights (4.7.2019): India ‘refuses’ to ratify UN convention on torture despite 19% rise in custodial deaths, http://www.achrweb.org/achr-in-media/india-refuses-to-ratify-un-convention-on-torture-despite-19-rise-in-custodial-deaths/ , Zugriff 18.3.2020

AI – Amnesty International (7.4.2021): India 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048696.html , Zugriff 5.5.2021

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf , Zugriff 21.5.2021

FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html , Zugriff 5.5.2021

HRW – Human Rights Watch: World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html , Zugriff 5.5.2021

IS – IndiaSpend (2.11.2019): 100 Custodial Deaths Recorded In 2017, But No Convictions, https://www.indiaspend.com/100-custodial-deaths-recorded-in-2017-but-no-convictions/ , Zugriff 18.3.2020

NCRB – National Crime Records Bureau MoHA [Indien] (8.2020): Prison Statistic India 2019, https://ncrb.gov.in/sites/default/files/PSI-2019-27-08-2020.pdf , Zugriff 21.5.2021

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 5.5.2021

WPB – World Prison Brief (31.12.2019): World Prison Brief data, India, https://www.prisonstudies.org/country/india , Zugriff 5.5.2021

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 31.05.2021

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 23.9.2020), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020).

Neben den vier Religionen indischen Ursprungs - dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem Jainismus und dem Sikhismus - gibt es in Indien den Islam und das Christentum sowie noch wenige andere Religionen. Die Inder sind laut dem indischen Zensus von 2011 zu 79,8 Prozent Hindus, 14,2 Prozent Muslime, 2,3 Prozent Christen und zu 1,7 Prozent Sikhs. Die restlichen 2 Prozent verteilen sich auf die anderen Religionsgemeinschaften (GIZ 1.2021d). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 9.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).

Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 23.9.2020). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 4.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020). In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).

Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder „Verlockung“ erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen, manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 3.3.2021). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh „Nötigung“ der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch „Betrug“, „Gewalt“ und „Anstiftung“ umfassen. Die Definition von „Verführung“ wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS 10.6.2020).

Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).

Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).

Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 23.9.2020).

Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch halten Vorfälle kommunaler Gewalt an (USDOS 10.6.2020). Hassverbrechen, gegen religiöse Minderheiten werden zumeist ungestraft begangen (AI 7.4.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

AI – Amnesty International (7.4.2021): India 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048696.h tml, Zugriff 5.5.2021

CIA – Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/th e-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 5.5.2021

FH – Freedom House: Freedom in the World 2021 - India, 3. März 2021https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html , Zugriff 5.5.2021

GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021d): Indien, Gesellschaft, https://www.liportal.de/indien/gesellschaft/ , Zugriff 5.5.2021

HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2022689.html , Zugriff 13.3.2020

HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/1422455.html , Zugriff 17.1.2020

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020Annual Report; USCIRF – Recommended for

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USDOS – US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html , Zugriff 22.7.2020

Sikhs

Letzte Änderung: 31.05.2021

In Indien leben rund 20,8 Millionen Sikhs. Der Sikhismus ist die vorherrschende Religion im Bundesstaat Punjab (ca. 16 Millionen Menschen) mit bedeutenden Bevölkerungszahlen in Haryana (1,2 Millionen), Delhi (570.581), Rajasthan (872.930), Uttar Pradesh (643.500) und Uttarakhand (295.530) (DFAT 10.12.2020).

Die Sikhs (60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs), stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen (auch bundesweit – praktisch alle indischen Generalstabschefs der Bundesarmee waren bisher Sikhs) offen (ÖB 9.2020).

In der Verfassung werden Sikhs, Buddhisten und Jains im Hinduismus zusammengefasst. Der Sikhismus stellt also rechtlich keine eigenständige Religion dar. Streitpunkte zwischen den SikhGruppen ist das Ausmaß in dem die Autonomie eines unabhängigen Sikh-Staates, bekannt als „Khalistan“, unterstützt werden soll (DFAT 10.12.2020). Im Dezember 2019 verabschiedete das Parlament das Citizenship (Amendment) Act (CAA), dass einen beschleunigten Weg zur Staatsbürgerschaft für Sikhs vorsieht (USDOS 30.3.2021).

Die sezessionistische Terrorbewegung für ein unabhängiges „Khalistan“ wurde 1993 zerschlagen. Es gibt allerdings Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die militante Bewegung in Punjab wieder zu beleben, auch wenn der harte Kern der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierungen wie der Babbar Khalsa International (BKI) in andere Unionsstaaten bzw. nach Pakistan ausgewichen ist. Unterstützung in finanzieller- und logistischer Form erfolgt insbesondere aus Pakistan (vom Geheimdienst ISI) und vom westlichen Ausland (UK, Deutschland, Kanada usw.) (ÖB 9.2020).

Andere in Indien verbotenen militanten Sikh-Organisationen sind: Babbar Khalsa International, Khalistan Commando Force, Khalistan Zindabad Force und International Sikh Youth Federation.

Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020). Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden BKI-Militante in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert. Angeblich hat der BKI gemeinsam mit der LeT im pakistanischen West Punjab ein gemeinsames Büro errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Es erfolgen jedoch Verhaftungen, sobald jemand offen eine verbotene Organisation (z.B. die Bewegung Khalistan) unterstützt (ÖB 9.2020).

Sikhs können Ziele von örtlich begrenzter Diskriminierung sein. Es wird angenommen, dass Sikhs in Indien im Allgemeinen einem geringes Maß an offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind (DFAT 10.12.2020). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden (ÖB 9.2020). Doch werden die seit Monaten in Indien andauernden Bauernproteste gegen die von der Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors auch von den Sikhs im Punjab, die vom bisherigen System profitierten, mitgetragen. Das hissen einer Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi interpretiert die indische Regierung als Beteiligung der „Khalistan-Bewegung“ an den Protesten (BAMF 22.3.2021). Gegen protestierende Angehörige der Sikhs wurden Ermittlungen wegen ihrer angeblichen Verbindung zu separatistischen Gruppen einleitet (HRW 19.2.2021).

Quellen:

BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes, https: //www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefi ngnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 11.5.2021

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf , Zugriff 10.5.2021

HRW – Human Rights Watch (19.2.2021): India: Government Policies, Actions Target Minorities, https://www.ecoi.net/de/dokument/2045877.html , Zugriff 11.5.2021

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 11.5.2021

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 31.05.2021

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020), allerdings verlangen Zentralregierung und die Bundesstaatenregierungen vor Reiseantritt von indischen Staatsbürgern spezielle Genehmigungen, um bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen betreten zu dürfen (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus wird von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Angehörige der Dalits berichtet. Auch sind die Regierungen der Bundesstaaten angewiesen, die Bewegungsfreiheit der Rohingya auf bestimmte Orte zu beschränken (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung kann jedem Antragsteller per Gesetz die Ausstellung eines Reisepasses verweigern, wenn der Antragsteller an Aktivitäten außerhalb des Landes teilnimmt, „die der Souveränität und Integrität der Nation abträglich sind“. Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller, einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren, zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 30.3.2021).

Angesichts massiv gestiegener COVID-19-Infektionszahlen können nächtliche Ausgangssperren oder Lockdowns in allen Städten/Bundesstaaten ohne lange Vorankündigung verhängt werden (BMEIA10.5.2021). Zunehmend werden Ausgangssperren orts- und lageabhängig verhängt. Viele Bundesstaaten führen zudem oft kurzfristig Einreisebeschränkungen und Kontrollmaßnahmen sowie sonstige einschränkende Maßnahmen ein. Das Verbindungsangebot des nationalen Eisenbahn- und Flugverkehrs ist gegenwärtig stark reduziert, die Einreise auf dem Landweg ist weiterhin nicht möglich (AA 30.4.2021).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem (DFAT 10.12.2020), sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020). In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 9.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.4.2021): Indien: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID19-bedingte Reisewarnung) (gültig seit 27.4.2021), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenp olitik/laender/indien-node/indiensicherheit/205998, Zugriff 30.4.2021

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2021): Indien (Republik Indien) Aktuelle Hinweise (Unverändert gültig seit: 3.5.2021), https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/indien/ , Zugriff 10.5.2021

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf , Zugriff 22.3.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 30.4.2021

Meldewesen

Letzte Änderung: 31.05.2021

Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020, DFAT 10.12.2021). Allerdings besteht für alle Einwohner (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen (ÖB 9.2020). Flüchtlinge sind von dieser Möglichkeit jedoch ausgeschlossen (USDOS 30.3.2021). Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher. Mittlerweile wurden über 1,2 Mrd. Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 9.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf , Zugriff 22.3.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html , Zugriff 28.4.2021

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 31.05.2021

Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Millionen Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).

Im Geschäftsjahr 2020/21 (1.April 2020 – 31.März 2021) brach Indiens BIP Wachstum mit einem Minus von sieben bis neun Prozent deutlich ein. Der massivste Wachstumsrückgang seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947, verdeutlicht die Auswirkungen der strengen Lockdown Maßnahmen in der ersten sechs Monaten des Vorjahres (WKO 4.2021; vgl. TIE 26.1.2021). 80 Prozent der Arbeiterschaft im informellen Sektor während des Lockdown ihre Arbeit verloren (AAAI 8.2020). Hundertausende Wanderarbeiter flohen in den Wochen danach aus den Städten. Weil auch der Zug- und Bahnverkehr von der Regierung ausgesetzt wurde, müssten viele Arbeiter zum Teil auf den Autobahnen und Gleisen Hunderte Kilometer zu Fuß in ihre Dörfer zurücklegen. Hunderte starben dabei (HO 28.4.2021). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind für die Armen besonders gravierend (SZ 25.1.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Ab Oktober 2020 konnte wieder ein starker Wachstumsanstieg verzeichnet werden. Die Investitionsförderungsprogramm der Regierung und die Erleichterung der Vergabebedingungen für Investitionskredite haben sehr wesentlich zum Wiederanspringen der Konjunktur beigetragen (WKO 4.2021). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von mehr als sieben Prozent erwartet (TIE 26.1.2021).

Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem informellen Sektor zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019; vgl. AAAI 8.2020).

Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 2020; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Bundesstaaten geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 2020).

Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmern ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 2020).

Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz (AA 23.9.2020). Ein Programm, demzufolge 800 Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten (also etwa 2/3 der Bevölkerung) wurde bis November 2020 verlängert. Die Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Krise und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).

Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020).

Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 rund 1,2 Milliarden indischer Bürger eine Aadhaar-ID ausgestellt (ORF 27.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Um eine Aadhaar-Karte zu erhalten, sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wodurch sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere zugänglich ist. Die Verwendung biometrischer Daten, einschließlich Gesichtsauthentifizierung, Iris und Fingerabdruck, soll die doppelte Vergabe von UIDs an ein und dieselbe Person reduzieren oder verhindern. Während es möglich sein kann, eine Aadhaar-Karte unter falschem Namen zu erhalten, ist es weniger wahrscheinlich, dass eine Person mit denselben biometrischen Daten eine zweite Aadhaar-Karte unter einem anderen Namen erhalten kann (DFAT 10.12.2020). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018; vgl. DFAT 10.12.2020). Die Aadhaar-Karte selbst ist kein sicheres Dokument, da sie auf Papier gedruckt wird, und obwohl sie nicht wie ein Personalausweis behandelt werden sollte, ist sie es in der Praxis doch (DFAT 10.12.2020).

Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

AAAI – Action Aid Association (India) (8.2020): Workers in the Time of Covid-19, https://www.acti onaidindia.org/wp-content/uploads/2020/08/Workers-in-the-time-of-Covid-19_ebook1.pdf , Zugriff 7.5.2021

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2020): Länderinformationsblatt Indien, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2019_India_DE.pdf , Zugriff 7.5.2021

BBC - British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds world’s largest biometric scheme, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-44777787 , Zugriff 17.1.2019

BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http: //ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 20.10.2020 • DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf , Zugriff 7.5.2021

FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (9.2019): Feminist perspectives on the future of work in India, http: //library.fes.de/pdf-files/bueros/indien/15719.pdf , (Zugriff 18.3.2020

HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutant en-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html , Zugriff 7.5.2021

HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/do kument/2022689.html , Zugriff 17.1.2020

HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens Rights, https: //www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html , Zugriff 17.1.2019

ORF - Österreichischer Rundfunk [Österreich] (27.9.2018): Indiens Form der digitalen Überwachung, https://orf.at/stories/3035121/ , Zugriff 17.1.2019

ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

PIB - Press Information Bureau Government of India Ministry of Labour & Employment (23.7.2018): Modernisation of Employment Exchanges, http://pib.nic.in/newsite/PrintRelease.aspx?relid=18085 4 , Zugriff 13.3.2020

SZ – Süddeutsche Zeitung (25.1.2021): Globale Armut steigt dramatisch an, https://www.suedde utsche.de/wirtschaft/armut-corona-oxfam-kinder-1.5183057, Zugriff 7.5.2021

TIE – The Indian Express (26.1.2021): Indian economy estimated to contract by 9.6% in 2020, grow at 7.3% in 2021: UN, https://indianexpress.com/article/business/economy/indian-economyestimated-to-contract-by-9-6-per-cent-in-2020-grow-at-7-3-per-cent-in-2021-un-7162196/ , Zugriff 7.5.2021

WKO - Aussenwirtschaft Austria [Österreich] (4.2021): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 11.5.2021

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 31.05.2021

Indiens Gesundheitssystem steht bedingt durch einem akuten Mangel an Infrastruktur, einem Mangel an qualifiziertem Personal im Gesundheitssektor vor einer Reihe von Herausforderungen. Artikel 47 der Verfassung überträgt den Bundesstaaten die Verantwortung für die Anhebung des Ernährungs- und Lebensstandards sowie für die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Infolgedessen besteht eine große Diskrepanz zwischen den Leistungen des Gesundheitssektors der einzelnen Bundesstaaten, wie auch zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (DFAT10.12.2020).

Eine gesundheitliche Minimalversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt (ÖB 9.2020; vgl. BAMF 2020). Sie ist aber durchwegs unzureichend (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Einige wenige private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten europäische Standards. Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 23.9.2020). Darüber hinaus gibt es viele weitere Institutionen, die bezahlbare Behandlungen anbieten (BAMF 2020). Ebenfalls gibt es Gemeindegesundheitszentren und spezialisierte Kliniken. Diese sind für alle möglichen generellen Gesundheitsfragen ausgestattet und bilden die Basis des Gesundheitswesens in städtischen Gegenden. Sie werden von der Regierung betrieben und nehmen auf Empfehlung der Ersteinrichtungen Patienten auf. Jede dieser Einrichtungen ist für 120.000 Menschen aus städtischen bzw. 80.000 Patienten aus abgeschiedenen Orten zuständig. Für weitere Behandlungen können Patienten von den Gemeindegesundheitszentren zu Allgemeinkrankenhäusern transferiert werden. Die Zentren besitzen daher auch die Funktion einer Erstüberweisungseinrichtung. Sie sind dazu verpflichtet, durchgängig Neugeborenen- bzw. Kinderfürsorge zu leisten sowie Blutkonservenvorräte zu besitzen. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben (BAMF 2020).

Seit 2017 sind landesweit 5.624 Gemeindegesundheitszentren verfügbar. Die Zentralregierung in New Delhi betreibt auch 189 Aam Aadmi Mohalla-Kliniken für die medizinische Grundversorgung. Staatliche Gesundheitszentren bilden die Basis des öffentlichen Gesundheitswesens. Dies sind meist Ein-Personen-Kliniken, die auch kleine Operationen anbieten. Diese Zentren sind grundsätzlich in der Nähe aller Dörfer zu finden. Insgesamt gibt es mehr als 25.650 solcher Kliniken in Indien. 60 Prozent dieser Kliniken werden lediglich von nur einem Arzt betrieben. Einige Zentren besitzen spezielle Schwerpunkte, darunter Programme zu Kinder-Schutzimpfungen, Seuchenbekämpfung, Verhütung, Schwangerschaft und bestimmte Notfälle (BAMF 2020).

Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welcher sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von – vom Arbeitgeber zu entrichtenden – diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutterkarenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 9.2020). Für 10.000 Inder stehen 0,8 praktizierende Ärzte (StBA 16.12.2020) und 0,5 Klinikbetten je tausend Einwohnern zur Verfügung (StBA 16.12.2020; vgl. GTAI 23.4.2020). Zwölf indische Bundesstaaten (Bihar, Jharkhand, Gujarat, Uttar Pradesh, Andhra Pradesh, Chhattisgarh, Madhya Pradesh, Haryana, Maharashtra, Odisha, Assam und Manipur), in denen etwa 70 Prozent der gesamten Bevölkerung Indiens leben, verfügen über weniger als den nationalen Durchschnitt von 55 öffentlichen Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner (DFAT 10.12.2020).

Im September 2019 wurde mit der Einführung des indienweiten Pradhan Mantri Jan Arogya Abhiyaan begonnen (auch „Modicare“ genannt), einer Krankenversicherung, die insgesamt 500 Millionen Staatsbürger umfassen soll, welche sich ansonsten keine Krankenversicherung leisten können. Diese Krankenversicherung deckt die wichtigsten Risiken und Kosten ab. Dazu kommen noch verschiedene öffentliche Krankenversicherungen in einzelnen Unionsstaaten mit unterschiedlichem Empfänger- und Leistungsumfang (ÖB 9.2020). Eine private Gesundheitsversorgung ist vergleichbar teuer und die Patienten müssen einen Großteil der Kosten selber zahlen. Für den Zugang zu den Leistungen ist grundsätzlich ein gültiger Personalausweis nötig (Adhaar card, Voter ID, PAN) (BAMF 2020).

Seit Mitte Februar 2021 steigen die Coronavirus-Infektionen in Indien wieder an. Bis dahin hatte sich seit dem vorläufigen Pandemie Höhepunkt im September 2020 die Lage fast wieder normalisiert. In einigen Städten wie z.B. Mumbai und Bangalore und zuletzt auch in New Delhi wurden Eindämmungsmaßnahmen ergriffen, um den Druck auf das das Gesundheitssystem zu reduzieren. Diese Maßnahmen blieben aber, zumindest bisher, sowohl lokal als auch zeitlich beschränkt (WKO 4.2021). Ein Problem in Indien bleiben die Einhaltung der individuellen Vorsichtsmaßnahmen (Abstand halten, Masken tragen und Hände waschen). Sowohl bei politischen Kundgebungen als auch an öffentlichen Feiertagen, wie zuletzt beim Frühlingsfest Holi Ende März, wurde die Maskenpflicht bei weitem nicht flächendeckend eingehalten (WKO 4.2021). Die Regierung will möglichst rasch das landesweite Impfprogramm umsetzen. Im ersten Schritt sollen bis August 2021 insgesamt 300 Millionen Menschen geimpft werden und bis Ende 2022 eine Immunisierung der Bevölkerung erreicht werden. Mit Stand Ende März 2021 sind 63 Millionen Inder geimpft. Personen, die älter als 45 Jahre sind seit 1. April zur Impfung zugelassen (WKO 4.2021).

Die staatliche Krankenversicherung erfasst nur indische StaatsbürgerInnen unterhalb der Armutsgrenze. Für den Rest der Bevölkerung ist eine beitragspflichtige Krankenversicherung durch verschiedene private und staatliche Firmen zu unterschiedlichen Konditionen gegeben.

Bekannte Versicherer sind General Insurance, Bharti AAA, HDFC ERGO, Bajaj, Religare, Apollo Munich, New India Assurance, Max Bupa etc. (BAMF 2020).

In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich (AA 23.9.2020). Apotheken sind in Indien zahlreich und auch in entlegenen Städten vorhanden (BAMF 2020). Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich. Indien ist der weltweit größte Hersteller von Generika und Medikamente kosten einen Bruchteil der Preise in Europa (AA 23.9.2020). Die Kosten für die notwendigsten Medikamente sind staatlich kontrolliert, sodass diese weitreichend erhältlich sind (BAMF 2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 16.10.2020

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (2020): Länderinformationsblatt Indien 2020, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2020_India_DE.pdf , Zugriff 7.5.2021 • DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-infor mation-report-india.pdf , Zugriff 11.5.2021

GTAI – German Trade and Invest [Deutschland] (23.4.2020): Covid-19: Gesundheitswesen in Indien, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/covid-19-gesundheitswesen-in-i ndien-234420 , Zugriff 15.5.2020

StBA – Statistisches Bundesamt [Deutschland] (16.12.2020): Indien: Statistisches Länderprofil, https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/indien.p df?__blob=publicationFile , Zugriff 7.5.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

WKO - Aussenwirtschaft Austria [Österreich] (4.2021): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 11.5.2021

Rückkehr

Letzte Änderung: 31.05.2021

Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 23.9.2020; vgl. DFAT 10.12.2020). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020).

Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, die die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 9.2020). Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert (ÖB 9.2020).

Indien verfügt über kein zentrales Meldesystem, das es der Behörde ermöglicht, den Aufenthaltsort von Einwohnern im eigenen Bundesstaat zu überprüfen, geschweige denn in einem der anderen Bundesstaaten oder Unionsterritorien (DFAT 10.12.2020). Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 9.2020).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local /2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lag e_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf , Zugriff 15.10.2020

DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf , Zugriff 22.3.2021

ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang sowie die Feststellungen zum Verfahrensablauf ergeben sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie des Gerichtsaktes.

Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität des BF nicht festgestellt werden. Soweit dieser namentlich genannt wird dient dies lediglich der Identifizierung des BF als Verfahrenspartei.

Die Feststellungen zur Person des BF einschließlich seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Schulbildung und Arbeitserfahrungen, seinem Familienstand, seinem familiären Umfeld und sowie seiner Ausreise aus Indien stützen sich auf seine insoweit glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF konnten aufgrund seiner Angaben sowie der vorgelegten Unterlagen getroffen werden. Dass er im Bundesgebiet polizeilich gemeldet ist, folgt aus der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister. Die Feststellungen zu seinen Sprachkenntnissen konnten aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung getroffen werden, im Zuge derer mit ihm der Versuch eines Gesprächs in deutscher Sprache durch die erkennende Richterin unternommen wurde. Zertifikate über absolvierte Deutschkurse oder –prüfungen hat er nicht vorgelegt. Die Feststellung zu seiner Tätigkeit als Verteiler von Zeitungen war aufgrund der diesbezüglichen glaubwürdigen Aussagen zu treffen. Dass er krankenversichert ist, folgt auch aus dem eingeholten AJ-Web-Auszug.

Dass der BF in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist und keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus den amtswegig eingeholten Auszügen.

Dass der Beschwerdeführer weitgehend gesund sowie arbeitsfähig ist, ergibt sich aus seinen diesbezüglich gleichlautenden Angaben. Im Hinblick auf die Angabe des Beschwerdeführers am Ende der mündlichen Verhandlung, Probleme mit den Knien zu haben, legte er keine entsprechenden Nachweise vor und gab er auch selbst diesbezüglich befragt an, in der Lage zu sein, Zeitungen auszuteilen und im Sikh-Tempel zu arbeiten. Dass der junge BF arbeitsunfähig wäre, an einer schwerwiegenden Krankheit leide oder Medikamente oder eine medizinische Behandlung benötige, hat er nie vorgebracht und gab er auch zu Beginn der mündlichen Verhandlung befragt zum Gesundheitszustand an, dass es ihm gut gehe.

Soweit der BF Umstände vorbringt, wonach eine konkrete Gefährdung betreffend seine Person in Indien bestünde, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft ist:

Der BF brache zu seinem Fluchtgrund in der Erstbefragung im Wesentlichen vor, dass seine Familie Streit mit privaten Personen über die Grundstücke der Familie habe. Dies sei sein Fluchtgrund, andere Gründe habe er nicht. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor seinen Gegnern – diese privaten Personen.

Vor dem BFA gab er zu Beginn seiner Einvernahme an, zu seinen Ausreisegründen nicht befragt worden zu sein. Dem ist jedoch bereits die im Akt einliegende Niederschrift der Erstbefragung entgegenzuhalten, deren Seite betreffend die Frage zum Fluchtgrund sowie zu den Rückkehrbefürchtungen vom BF handschriftlich unterschrieben worden ist. Der BF hat auch im Zuge jener Erstbefragung, welche unter Beziehung eines Dolmetschers für Punjabi durchgeführt wurde, befragt angegeben, den Dolmetscher zu verstehen, befragt bestätigt, dass er alles verstanden habe und wurde auch von ihm befragt angegeben, dass ihm die aufgenommene Niederschrift in eine für ihn verständliche Sprache rückübersetzt wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF, wenn auch nur knapp, den oben angeführten Fluchtgrund sowie Rückkehrbefürchtung im Zuge der Erstbefragung – hierzu befragt – angegeben hat, zumal er auch selbst auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, bei seiner ersten Befragung das alles nicht im Detail erzählt zu haben.

Der BF steigerte im Laufe des Verfahrens sein Fluchtvorbringen, indem er dann im Zuge der Einvernahme vor dem BFA zusätzlich einen völlig neuen Sachverhalt zu Protokoll brachte:

Vor dem BFA brachte er nämlich zunächst befragt zusammengefasst vor, dass er inhaftiert gewesen sei und Probleme mit den Behörden gehabt habe. Er sei politisch tätig und Mitglied der Partei „ XXXX “. Auch habe er Probleme aufgrund des Religionsbekenntnisses bzw. der Volksgruppenzugehörigkeit gehabt und habe er an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teilgenommen.

In freier Erzählung schilderte der BF, der in einem Sikh-Tempel gearbeitet hätte, hinsichtlich seiner Beweggründen für das Verlasen seiner Heimat, im Wesentlichen zu Beginn, dass er aufgrund der Verbrennung der heiligen Schrift im Sikh-Tempel durch Unbekannte, mit anderen sitzend demonstriert habe, da die Polizei kaum etwas unternommen habe. Der sitzende Protest sei aufgelöst worden, in dem die Polizei Tränengas geworfen und auch geschossen habe. Der BF und 3 weitere Personen seien für eine Woche festgehalten worden. Nach der Freilassung sei er wieder in den Sikh-Tempel gegangen und wüssten sie bis dato nicht, wer die heilige Schrift verbrannt habe.

Nicht nachvollziehbar erscheint bereits, dass der erwachsene sowie über Bildung verfügende BF, der auch keine psychischen Probleme, Beeinträchtigungen, Traumatisierungen odgl. vorbrachte, etwas so Einschneidendes, wie einen einwöchigen Gefängnisaufenthalt in der ersten Befragung – selbst, wenn man nur kurz einen Fluchtgrund anführen solle – nicht einmal ansatzweise erwähnte.

Auch haben sich hinsichtlich des behaupteten Vorfalls im Zusammenhang mit der unbegründeten einwöchigen Festnahme durch die Polizei zahlreiche Widersprüche sowie Ungereimtheiten ergeben:

Auffällig war, dass es dem BF nicht möglich war, zeitlich genauer einzugrenzen, wann genau das heilige Buch – die Ursache für die Proteste – beleidigt worden wäre. Während es vor dem BFA im Mai gewesen sei, war er sich in der mündlichen Verhandlung zunächst nicht sicher, ob es im Juni oder Juli gewesen sei und gab erst auf Vorhalt an, dass es im Juni gewesen sei. Ihm war es auch zunächst befragt in der mündlichen Verhandlung nicht möglich, einigermaßen genau anzugeben, wie viele Leute vor dem Tempel protestiert hätten (zuerst gab der BF lediglich „viele“ an). Erst auf weitere Nachfrage gab er an, er glaube 300 – 400 Personen. Widersprüchlich erschien im Übrigen auch, dass der Schilderung vor dem BFA zufolge zwei Tage lang sitzend protestiert worden sei, dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung zufolge jedoch drei Tage lang und seien sie am vierten Tag von der Polizei von vertrieben worden, wobei er zuvor auch angab, dass sie alle ca. eine Woche lang vor dem Sikh-Tempel gesessen seien. Dem BF gelang es auch auf Vorhalt nicht, die Widersprüche in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar aufzuklären. Widersprüche ergaben sich weiters hinsichtlich der behaupteten Auflösungsmodalität der Protestaktion durch die Polizei. Der Schilderung vor dem BFA zufolge hätte die Polizei die sitzenden Proteste aufgelöst, indem sie Tränengas geworfen und auch geschossen hätten. Hiervon abweichend schilderte in der mündlichen Verhandlung zunächst, dass sie von der Polizei mit Wasserwerfern bzw. Rauchgranaten von dort vertrieben worden seien. Der BF vermochte diesen Widerspruch nicht nachvollziehbar aufzuklären, zumal er am Ende der Verhandlung befragt durch die Rechtsvertretung wiederum abweichend angegeben hat, dass auch mit scharfer Munition geschossen worden sei, wobei bei ihrer Protestaktion keiner angeschossen worden sei, aber seien sie mit Stöcken geschlagen worden und seien verletzt gewesen. Davor verneinte er jedoch befragt durch die Richterin, ob (abgesehen von Wasserkanonen und Rauchgranaten) die Polizei sonst noch in irgendeiner anderen Form die Protestaktion aufgelöst habe. Dem BF gelang es nicht, die Widersprüche nachvollziehbar aufzuklären.

Weiters erwiesen sich die Schilderungen des BF zur Protestaktion detailarm und vage. Auch auf Nachfragen in der mündlichen Verhandlung gelang es ihm nicht, die behaupteten Geschehnisse einigermaßen genau und konkret zu darzulegen. Das oberflächliche Vorbringen des BF stellt ein Indiz dar, dass seine Angaben offensichtlich nicht einen Sachverhalt betrafen, den er selbst erlebt hatte.

Insbesondere schilderte der BF von der – ein gewiss einschneidendes Erlebnis darstellende – Verhaftung sowie Festnahme nur äußerst oberflächlich und vage. Bereits im Vorbringen vor dem BFA war hinsichtlich dessen jegliche Konkretisierung zu vermissen. Ebenso konnte er diese behaupteten Vorfälle auch auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht einigermaßen genau und konkret schildern. Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass er laut Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz grundlos 2 bis 3 Wochen festgehalten worden sei, vor dem BFA sowie Bundesverwaltungsgericht berichtete der BF hingegen bloß von einer einwöchigen Anhaltung.

Der BF erwähnte ferner befragt vor dem BFA, Mitglied der XXXX zu sein, jedoch keine führende Position gehabt zu haben. Nähere Angaben machte der BF im weiteren Verfahren jedoch nicht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab er auf diesbezügliche Befragung durch die Rechtsvertretung am Ende der Verhandlung bloß an, dass die Unterstützer dieser Bewegung geholfen hätten, dass sie von der Polizei entlassen worden seien – was der BF im Übrigen durch die Richterin befragt zur vorgebrachten Anhaltung nicht einmal im Ansatz erwähnte.

Der BF legte zwar durch seine Rechtsvertretung als „Berichte über religiöse Unruhen in der Herkunftsregion des BF aus den Jahren 2014 und 2017“ bezeichnete Unterlagen vor, sind jene jedoch nicht geeignet nachzuweisen, dass konkret der BF sich an solche Proteste beteiligt und unbegründet verhaftet worden wäre, zumal auch die behaupteten Vorfälle im Mai, Juni oder Juli 2020 stattgefunden haben sollen, die Berichte sich jedoch nicht auf diesen Zeitraum beziehen.

Eine konkrete ihn betreffende Rückkehrbefürchtung hinsichtlich einer staatlichen Sanktion im Zusammenhang mit der Protestaktion sowie Verhaftung und einwöchigen Anhaltung wurde vom BF nicht einmal vorgebracht. Dem BF war es vielmehr möglich, unter Verwendung eines Reisedokumentes legal mittels Flugzeug aus Indien auszureisen, und gab er weiters vor dem BFA befragt an, dass gegen ihn keine aktuellen staatlichen Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief etc. bestünden.

Soweit der BF als Rückkehrbefürchtung pauschal geltend macht, dass die Sikhs in Indien keine Rechte hätten, als Sikh verfolgt zu werden bzw. dass er als Sikh in Indien nicht sicher sei bzw. Angst hätte, wenn er in XXXX als Sikh ankomme, ist zu erwidern, dass er damit keine Umstände, die individuell und konkret ihn betreffen, vorbringt. Der BF als Angehöriger der Religion der Sikhs gehört einer religiösen Minderheit in Indien. Den Länderberichten zufolge können Sikhs zwar Ziele von örtlich begrenzten Diskriminierungen sein. Im Allgemeinen sind Sikhs in Indien aber einem geringen Maß an offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass alle Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt werden würden. In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials wird jedenfalls keine Gefährdung in jenem Ausmaß erreicht, welche notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Angehörigen der Religion der Sikh in Indien für gegeben zu erachten. Es ist somit davon auszugehen, dass die Zugehörigkeit einer Person zur religiösen Minderheit der Sikhs für sich alleine nicht ausreicht, um davon ausgehen zu müssen, dass diese Person der Gefahr einer Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse bzw. einer bestimmten Glaubensgemeinschaft ausgesetzt wäre.

Auch das Vorbringen hinsichtlich der behaupteten Grundstücksstreitigkeiten sowie die behauptete Bedrohung durch den Onkel erwies sich als nicht glaubhaft:

Diesbezüglich brachte er vor dem BFA im Wesentlichen vor, dass es Grundstücksstreitigkeiten väterlicherseits gegeben habe und durch den Streit mit diesem Onkel der Kontakt zu ihm immer schlechter geworden sei. Es gehe bei dem Streit um ein Ackerland. Der Onkel habe auch politischen Kontakt. So habe er immer darauf bestanden, dass sie das Ackerland verkaufen. Sie hätten dies jedoch nicht gewollt. Deshalb habe der Onkel veranlasst, dass die Polizei zu ihnen nach Hause gekommen sei und seinen Vater und ihn für einen Tag mitgenommen hat, obwohl sie nichts angestellt hätten. Damit habe der Onkel seinen politischen Einfluss unterstreichen wollen. Die Polizei in Indien sei bestechlich. Einmal später habe sein Onkel alleine mit ihm gesprochen und gedroht. Sie sollten sein Angebot annehmen, ansonsten könnte mit ihm etwas Schlimmes passieren. Die Familie habe seit Juli, seit der Streit um das Grundstück eskaliert sei, beim Onkel mütterlicherseits gewohnt. Sie hätten sich dort sicher gefühlt. Die Familie wohne seit letzter Woche wieder zuhause. Die Streitigkeiten seien auch noch nicht beendet.

Der BF wurde in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich von der erkennenden Richterin näher befragt, jedoch gelang es ihm nicht sein Vorbringen entsprechend zu konkretisieren oder gar initiativ lebensnah darzulegen. Seine Schilderungen blieben detailarm und gelang es ihm etwa bezüglich dieses Vorbringen nicht, die behauptete Festnahme durch die Polizei auf Veranlassung seines Onkels, ein gewiss einschneidendes Erlebnis, zeitlich genau einzugrenzen, oder gar zu belegen. Der BF hat diesbezüglich lediglich Behauptungen aufgestellt hat, ohne objektivierbare Anhaltspunkte zu nennen, die den Anforderungen der Glaubhaftmachung genügen hätten können. Ebenso oberflächlich und abstrakt blieben die Schilderungen, inwiefern der BF vom Onkel genau unter Druck gesetzt wurde (während in der Beschwerdeschrift vorgebracht wird, dass befürchtet werde, dass der Onkel veranlassen könnte, dass der BF ins Gefängnis kommen könnte oder sogar getötet werde). In der mündlichen Verhandlung gab er befragt zur Rückehrbefürchtung lediglich an, zu befürchten, dass der Onkel sie weiter wegen des Grundstückes schikanieren würde. Weiters blieb der BF nähere Angaben zu den behaupteten politischen Verbindungen des Onkels schuldig und erschöpfte sich in pauschalen und allgemeinen Angaben (in der Beschwerdeschrift wird behauptet, der Onkel sei ein mächtiger Politiker in Indien, ein solches Vorbringen erstattete der BF vor der erkennenden Richterin nicht mehr). Das oberflächliche Vorbringen des BF stellt ein Indiz dar, dass seine Angaben offensichtlich nicht einen Sachverhalt betrafen, den er selbst erlebt hatte.

Unverständlich ist auch, dass sich angesichts der behaupteten Bedrohungslage die Familie des BF noch in Indien befindet und aktuell nur ca. 18 bis 20 km vom Heimatdorf entfernt leben kann und dort sein Vater (dem das besagte Grundstück gehören soll) ein Geschäft betreiben kann sowie der jüngere Bruder des BF nur ca. 22 bis 25 km vom Heimatdorf entfernt studieren konnte. Weshalb dies nicht auch den BF möglich sein sollte, kann nicht nachvollzogen werden. Im Einklang mit den Länderfeststellungen kann nämlich angenommen werden, dass dem BF die Möglichkeit offensteht, sich an einen anderen Ort in seinem Herkunftsstaat zu begeben, um den vermeintlichen Problem zu entgehen, zumal sich auch aus dem Vorbringen des BF in keiner Weise ergibt, dass er etwa von staatlichen Behörden oder von privaten Dritten in (ganz) Indien gesucht bzw. gar gefunden würde.

Im Übrigen machte der BF zur finanziellen Situation seiner Familie widersprüchliche Angaben. Während er vor dem BFA noch angab, dass seine Familie zur Mittelschicht zähle, schilderte er in der mündlichen Verhandlung, dass seine Eltern arm seien. Insofern widersprüchlich erscheint auch, dass er eine Million indische Rupien (auch durch seinen Vater und einen Onkel) für die Ausreise aufbringen konnte, die Familie sich jedoch den Abschluss seines Studiums (seinen Angaben nach hätte dies 200.000 – 250.000 Rupien gekostet) nicht leisten habe können. Vielmehr sei es aber der Familie und den BF möglich gewesen, zusätzlich zu den Ausreisekosten, das Studium des jüngeren Bruders zu finanzieren.

Ebenso nicht nachvollziehbar erschien, weshalb der Onkel erst im Juli 2020 begonnen hat, den BF unter Druck zu setzen, zumal der BF auch vor dem BFA angegeben hat, dass der Onkel immer darauf bestanden habe, dass sie das Ackerland verkaufen sollen. Eine diesbezüglich schlüssige Erklärung hat der BF nicht dargetan.

Außerdem handelt es sich bei der vom BF geschilderten Bedrohungssituationen durch seinen Onkel um eine Verfolgung durch Privatpersonen. Wie den Länderberichten zu Indien jedoch zu entnehmen ist, sind die indischen Behörden grundsätzlich schutzfähig und schutzwillig. Der BF hat im Verfahren überdies nicht substantiiert vorgebracht, dass er von sich aus überhaupt Schutz gesucht hätte bzw. dies zu mindestens versucht hätte – was im Übrigen auch gegen die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens spricht –, sodass gegenständlich auch keine Anhaltspunkte für eine mangelnde Schutzfähigkeit oder fehlende Schutzwilligkeit der Behörden gegeben sind.

Insgesamt betrachtet haben sich in den unbelegten sowie oberflächlichen Aussagen des BF zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche ergeben, die einzig und allein den Schluss zulassen, dass sein Vorbringen hinsichtlich einer konkreten ihn selbst betreffende Verfolgungsgefahr nicht den Tatsachen entspricht. Es obliegt nämlich dem erwachsenen, gesunden und über Bildung verfügenden BF die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern.

Zumal sich sämtliche Schilderungen als vage und schlüssig nicht nachvollziehbar entpuppten, erübrigt dies auch die Erhebung von weiteren landeskundlichen Feststellungen zur „Lage der Sikhs, welche für einen freien Sikh-Staat eintreten“, wie in der Beschwerdeschrift aufgeworfen wird.

Die notorische Lage in Indien betreffend die COVID-19-Pandemie sowie die Definition von Risikogruppen ergeben sich aus allgemein zugänglichen, wissenschaftsbasierten Informationen von WHO (https://www.who.int ) und CDC (https://www.cdc.gov/ ) sowie auf Basis von Informationen der österreichischen Bundesregierung (https://www.oesterreich.gv.at/?gclid=EAIaIQobChMI0ZWfp52a6QIVRaqaCh2o2gR4EAAYASAAEgL9NfD_BwE ) und aus unbedenklichen tagesaktuellen Berichten.

Die Feststellungen zu den niederschwelligen Impfmöglichkeit in Österreich stützen sich auf die allgemein zugänglichen Medienberichte und sind als notorische Tatsachen anzusehen.

Dass der BF mit Blick auf sein Alter und das Fehlen entsprechender psychischer sowie physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 angehört, ergibt sich aus seinen Angaben und den allgemein zugänglichen, wissenschaftsbasierten Informationen von WHO und CDC, der Covid-19-Risikogruppe-Verordnung (BGBl. II. 203/2020), der aktuellen Überwachung der weltweiten Lage durch diese Organisationen sowie aus unbedenklichen tagesaktuellen Berichten (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html ; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ ; https://coronavirus.jhu.edu/map.html ; https://covid19.who.int/ )

Es ist demnach auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür zutage getreten, dass der BF bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Die Feststellungen zur Lage in Indien gründen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend Indien vom 31.05.2021 und den darin jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht auch kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Indien zugrunde gelegt werden konnten. Der BF ist den Länderfeststellungen zudem nicht ausreichend konkret und substantiiert entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, idgF, geregelt (§ 1 leg.cit .).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr – Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung – bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Umstände, die individuell und konkret den BF betreffen und auf eine konkrete Verfolgung des BF hindeuten könnten, konnten nicht festgestellt werden. Demzufolge ergibt sich aus dem Vorbringen des BF keine asylrelevante Verfolgungsgefahr. So kommt es aber nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei der Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgründen immer auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers, nicht aber auf die allgemeinen politischen Verhältnisse, an. Es bestehen auch keine ausreichenden Hinweise dafür, dass sich aus der allgemeinen Situation allein etwas für den BF gewinnen ließe, zumal keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen, dass der BF schon allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu fürchten habe. Wenngleich nicht verkannt wird, dass es in Indien zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann, ist hiebei auch die Anzahl der dort lebenden Personen in Betracht zu ziehen (über 1 Milliarde Menschen), womit sich aber die Anzahl der berichteten Übergriffe relativiert, sodass auch unter Berücksichtigung dieser Berichte über Menschenrechtsverletzungen keine asylrelevante Verfolgungsgefahr betreffend den BF auf Grund der allgemeinen Situation allein mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erkannt werden kann.

Doch selbst wenn man vom Vorbringen des BF ausgeht, ergibt sich aus den nicht ausreichend konkret bestrittenen Feststellungen zur allgemeinen Situation zudem, dass es dem BF möglich wäre, etwaigen Repressionen auszuweichen, zumal sich aus dem Vorbringen des BF jedenfalls nicht ergibt, dass er selbst eine exponierte Persönlichkeit wäre, die landesweit gesucht würde. Es ist sohin von einer innerstaatlichen Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) auszugehen, da sich nämlich aus den Feststellungen ergibt, dass selbst bei strafrechtlicher Verfolgung ein unbehelligtes Leben in ländlichen Gebieten in anderen Teilen Indiens, wie etwa in Uttar Pradesh, möglich ist, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss, bekannte Persönlichkeiten durch einen Umzug einer Verfolgung zwar nicht entgehen können, wohl aber weniger bekannte Personen wie der BF. Für nicht staatliche Akteure, wie im gegenständlichen Fall, dürfte eine Ausforschung nach den Feststellungen nur in Ausnahmefällen möglich sein, sodass es nicht ausreichend wahrscheinlich ist, dass der BF in einem anderen Teil Indiens gefunden würde, zumal der BF keine derartig bekannte Persönlichkeit ist, dass im Falle einer Rückkehr nach Indien außerhalb seiner engeren Heimat überhaupt jemand auf die Idee käme, den BF zu suchen, keinesfalls aber, dass er im Falle einer Suche gefunden würde. Da es nach den herangezogenen Feststellungen Existenzmöglichkeiten für den BF außerhalb seiner engeren Heimat gibt, ist es ihm zumutbar, sich in einen anderen Teil Indiens zu begeben. Dafür, dass es ihm problemlos möglich ist, in viele Teile seines Heimatlandes zu reisen, ohne in seine engere Heimat zurückkehren zu müssen, besteht für Indien keinerlei Zweifel. Es sind sohin die Voraussetzungen für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gegeben, weswegen auch aus diesem Grunde weder die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten noch die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Betracht kommt (vgl. VwGH 24.01.2008, Zl. 2006/19/0985).

Da sohin keine Umstände vorliegen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der BF in seiner Heimat in asylrelevanter Weise bedroht wäre, ist die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten durch das BFA im Ergebnis nicht zu beanstanden. Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, Zl. 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443).

Wie die Beweiswürdigung ergeben hat, ist das Vorbringen des BF hinsichtlich einer ihn selbst betreffenden Verfolgungsgefahr zur Gänze unglaubhaft, weshalb auf Grund des konkreten Vorbringens des BF auch keinerlei Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG 2005 erkannt werden kann.

Zudem ist auch im gegebenen Zusammenhang die innerstaatliche Fluchtalternative einschlägig, sodass auf die bereits oben zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides getätigten und auch hier einschlägigen diesbezüglichen Ausführungen verwiesen wird. Es kommt daher auch aus dem Grunde des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative die Zuerkennung des Status eine subsidiär Schutzberechtigten nicht in Betracht.

Aus der allgemeinen Situation allein ergeben sich aber auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der BF im Falle einer Rückkehr im Sinne des § 8 AsylG 2005 bedroht wäre. Auf die bereits oben zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides getätigten und auch hier einschlägigen Ausführungen wird ebenfalls verwiesen.

Im Hinblick auf die Feststellungen zur allgemeinen Situation, derzufolge die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln gewährleistet ist, kann auch nicht angenommen werden, dass der BF, der in Indien aufgewachsen ist, im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose Lage geriete. Der BF ist ein arbeitsfähiger, junger Mann mit Schulbildung und Arbeitserfahrungen, sodass es ihm zumutbar ist, sich in seiner Heimat den notwendigen Unterhalt zu sichern, was sich auch schon aus den Ausführungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative ergibt. Er verfügt zudem in seiner Heimat über soziale Anknüpfungspunkte (insbesondere Familie), weshalb auch von daher nicht angenommen werden kann, der BF geriete im Falle einer Rückkehr in eine lebensbedrohliche Notlage. Schwierige Lebensumstände genügen für eine Schutzgewährung im Sinne des § 8 AsylG 2005 nicht.

Auch hinsichtlich der weltweiten Ausbreitung von COVID-19 liegen sowohl im Hinblick auf das Alter des BF als auch seinen Gesundheitszustand keine Anhaltspunkte vor, wonach er bei einer allfälligen COVID-19-Infektion einer Risikogruppe für einen schwerwiegenden Verlauf angehören würde. Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist (vgl. in Bezug auf die Verbreitung von COVID-19 VwGH 23.06.2020, Ra 2020/20/0188, mwN).

Exzeptionelle und konkret auf den BF Bezug nehmende Umstände, welche die Annahme einer realen Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat rechtfertigen würden, wurden somit nicht aufgezeigt.

Da sohin keine Gründe für die Annahme bestehen, dass der BF im Heimatland im Sinne des § 8 AsylG 2005 bedroht wäre, ist die durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausgesprochene Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien nicht zu beanstanden.

Zu Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382c EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Der BF befindet sich seit Oktober 2020 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren erfolgte die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist als Staatsangehöriger von Indien kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Der BF hat keine Verwandten oder sonstige nahen Angehörigen in Österreich. Die Rückkehrentscheidung bildet daher keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des BF auf Schutz des Familienlebens.

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.

Der BF befindet sich seit Oktober 2020, sohin nicht einmal 2 Jahre, im Bundesgebiet. Bereits aufgrund dieses kurzen Aufenthaltszeitraumes kann von keiner sonderlichen Integrationsverfestigung im Bundesgebiet ausgegangen werden, zumal der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass der Aufenthalt des Asylwerbers im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479). Dieser Aufenthalt wird zudem dadurch relativiert, dass er bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war, was dem BF bewusst gewesen sein musste. Ausgeprägte private und persönliche Interessen hat er im Verfahren nicht dargetan. Zwar bemüht sich der BF, sich selbst zu erhalten, engagiert er sich im Rahmen der Sikh-Gemeinschaft im Bundesgebiet auch sozial und zeigt gewisse Integrationsbemühungen, ist jedoch, auch angesichts des kurzen Aufenthaltszeitraumes, bloß von einem geringer Grad an Integration auszugehen. Der BF verfügt zwar über ein A1 Deutschzertifikat, doch mussten die an ihn gerichteten Fragen übersetzt werden. Ein außergewöhnliches soziales Engagement des BF ist nicht gegeben und sind intensive Beziehungen bzw. Kontakte zu im Bundesgebiet aufhältigen Personen nicht hervorgekommen. Die Schutzwürdigkeit seines Privat- und Familienlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt hat, nur in geringem Maße gegeben. Im Hinblick auf den Umstand, dass der erwachsene BF den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht hat, ist davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal er dort über soziale Anknüpfungspunkte (insbesondere Familie) verfügt sowie sozialisiert wurde. Der BF beherrscht Punjabi, somit eine gängige Sprache seines Herkunftsstaates.

Der Umstand, dass der BF in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, Zl. 2002/18/0112).

Daher ist davon auszugehen, dass die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.

Daher sind auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben.

Zu Spruchpunkt V. angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.

Zu Spruchpunkt VI. angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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