BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
StVO 1960 §29b
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L515.2246168.2.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER und den fachkundigen Laienrichter RR Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rae Dr. Peter Lechenauer und Dr.in Margrit Swozil, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens - Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg, vom 12.07.2021, OB: XXXX ,
1.) betreffend die Nichtvornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass
2.) betreffend die Nichtvornahme der Ausstellung eines Parkausweises gem. § 29b StVO
in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die beschwerdeführende Partei („bP“) beantragte am im Akt ersichtlichen Datum unter Beifügung eines Befundkonvolutes die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis). Entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde gilt dieser Antrag auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses und als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass.
I.2. In der Folge wurde am 26.03.2021 ein ärztliches Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin aufgrund der Aktenlage erstellt. Das Gutachten bewertete die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der bP, ordnete diese den entsprechenden Pos.Nr. der Anlage der Einschätzungsverordnung zu und schätzte diese mit einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH ein; die Voraussetzungen für die genannte begehrte Zusatzeintragung erachtete der medizinische Sachverständige als nicht vorliegend.
I.3. Mit Schreiben vom 29.03.2021 wurde der bP das eingeholte Gutachten zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Am 13.04.2021 langte eine entsprechende Stellungnahme durch den Rechtsvertreter der bP ein, in welcher sowohl der festgestellte Grad der Behinderung als auch die Ablehnung der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" moniert wurden. Beantragt wurde die allumfassende Befundung durch die zu bestellenden medizinischen Sachverständigen.
I.4. Daraufhin wurde die bP über Veranlassung des Sozialministeriumsservice am 27.05.2021 einer Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen (FA f. Chirurgie und Allgemeinmediziner) und am 17.06.2021 einer Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie zugeführt und darüber je ein Gutachten erstellt. Das Gesamtgutachten vom 29.06.2021 ergab einen Gesamtgrad der Behinderung vom 60 v.H. Die "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" erachteten die medizinischen Sachverständigen als nicht vorliegend.
I.5.1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12.07.2021 wurde der am 18.03.2021 bei der bB eingelangte Antrag der bP abgewiesen; die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" liegen nicht vor.
I.5.2. Mit Schreiben der bB vom 15.07.2021 wurde der Behindertenpass im Scheckkartenformat der bP übermittelt.
I.6. Gegen den unter Punkt I.5.1. genannten Bescheid erhob die bP durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 26.08.2021 Beschwerde. Hingewiesen wird auf die Stellungnahme vom 12.04.2021 und im Hinblick auf die erhebliche Funktionseinschränkung durch die schwere Beinverletzung und die damit einhergehende Beeinträchtigung in Bezug auf die Fortbewegung wird die Nichtvornahme der Zusatzeintragung moniert. Die bP könne maximal eine Wegstrecke von 100 bis 150 m zurücklegen; darüber hinaus bedarf sie eines Rollers. Das Ein- und Aussteigen sei nur erschwert möglich. In den öffentlichen Verkehrsmitteln habe die bP Angst, umgestoßen zu werden und bekomme Angst- und Panikzustände. Der festgestellte Grad der Behinderung im chirurgischen Gutachten von 20 % sei ebenso wie die seitens des Gutachters nicht objektivierbaren Stürze nicht zutreffend. Unzutreffend sei auch, dass sich der Dauerzustand im Vergleich zum Vorgutachten nicht geändert habe.
I.7. Mit Schreiben vom 08.09.2021 erfolgte die Beschwerdevorlage, welche am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht einlangte.
I.8. Die Beratung und Abstimmung im nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte am 10.2.2021.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.0. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Die bP ist österreichischer Staatsangehöriger und an der im Akt ersichtlichen Adresse im Inland wohnhaft.
In Entsprechung der nachfolgenden Gutachten geht das ho. Gericht vom nachfolgenden Sachverhalt aus. Der Inhalt der genannten Gutachten wird im zitierten Umfang zu den Feststellungen des gegenständlichen Erkenntnisses erhoben:
Teilgutachten vom 31.05.2021:
„…
Derzeitige Beschwerden:
Der Patient kommt in Begleitung seiner Schwiegermutter und mit 2 Stützkrücken zur Untersuchung. Er berichtet über Schmerzen im linken Unterschenkel und eine Bewegungseinschränkung im linken Sprunggelenk. Weiters berichtet er über ein „Einknicken“ im linken Kniegelenk und Schmerzen im linken Hüftgelenk. Die Gehstrecke wird mit Krücken bis 25 Minuten angegeben - 1 Stockwerk kann er mit Handlauf überwinden. Die Hauttransplantation am linken Unterschenkel medial ist gut verheilt, ebenso die Entnahmestelle am linken Oberschenkel. Die Begleitperson hat er wegen seiner Schwindelproblematik mitgenommen. Weitere Funktionseinschränkungen werden auch auf Nachfrage nicht angegeben.
[…]
Klinischer Status – Fachstatus:
[…]
Untere Extremitäten:
Sprunggelenk links: Bewegungsumfang: 0-0-40, Neurologischer Status: es besteht ein Taubheitsgefühl im Bereich der Transplantationsstelle am linken Unterschenkel medialseitig, weiters besteht eine geringe-bis mittelgradige Fußheberschwäche links, Gefäßstatus: alle peripheren Gefäße tastbar, Haut: altersgemäße Hautstruktur, blande Transplantationsnarbe am linken Unterschenkel medialseitig, abgeheilte Hautentnahmestelle am linken Oberschenkel.
Gesamtmobilität – Gangbild:
Die Gesamtmobilität ist nicht eingeschränkt-Gehstrecke von 300-400 m ist möglich (Anamnese: 20-25 Minuten mit 2 Stützkrücken). Einbeinstand links nicht durchführbar. Zehen-und Fersengang beidseits nicht möglich. Das Gangbild ist linkshinkend aber sicher.
[…]
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1) Teilparese des N.peronaeus links-Fußheberschwäche.
Einstufung der Erkrankung eine Stufe oberhalb des unteren Wert des Rahmensatzes mit 20 %-Fußhebung ist beeinträchtigt-Stürze nicht objektivierbar.
Pos. Nr. 04.05.13, GdB 20 %
Gesamtgrad der Behinderung 20 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Position 1 als Hauptdiagnose-Teilparese des N.peronaeus-ergibt auch den Gesamtgrad der Behinderung von insgesamt 20 %.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Derzeit liegen keine weiteren Erkrankungen bzw. Funktionseinschränkungen im Bewegungsapparat vor.
Die angegebenen Belastungsschmerzen im linken Knie-und linken Sprunggelenk können bei der klinischen Untersuchung nicht evaluiert werden.
Schwindelsymptomatik: Eine neurologische Abklärung wurde bis dato nicht durchgeführt.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Im Vergleich zum Vorgutachten haben sich keine wesentlichen Veränderungen im gesundheitlichen Gesamtzustandes des Bewegungsapparates ergeben.
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
Festlegung des Gesamtgrades der Behinderung im Bewegungsapparat mit 20 %.
Dauerzustand
[…]
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Die Funktionseinschränkungen an der linken unteren Extremität (Teilparese des N.peronaeus/Funktionsseinschränkung im linken Sprunggelenk) sind nicht so erheblich, dass der Patient ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benützen könnte. Inwieweit derzeit noch 2 Stützkrücken verwendet werden, entzieht sich der gutachterlichen Kenntnis, und konnte auch bei der klinischen Untersuchung nicht evaluiert werden. Vor allem auch deshalb, danach dem Reha-Aufenthalt (2018) bereits keine Gehbehelfe mehr verwendet wurden.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten? Derzeit liegt keine immunologische Erkrankung vor, die die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels verunmöglicht. Eine Chemotherapie bzw. immunsuppressive Behandlung nach Organtransplantation ist keine Indikation, laut EVO, zur Eintragung der Unzumutbarkeit.
…“
Teilgutachten vom 28.06.2021:
„….
Derzeitige Beschwerden:
Dem Klienten geht es nach wie vor psychisch nicht gut. Er hat eine depressive Verstimmung, eine Antriebslosigkeit, eine psychische Erschöpfung sowie eine Lustlosigkeit. Er grübelt sehr viel. Es waren auch Suizidgedanken vorhanden, welche jetzt allerdings wieder abgeklungen sind. Es kommt immer wieder zu Flashbacks und Intrusionen in Bezug auf den Unfall, außerdem hat er panikartige Angstzustände. Die Belastbarkeit ist reduziert.
Er hat nach dem Unfall wieder einen Arbeitsversuch gestartet, welcher allerdings gescheitert ist.
[…]
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1) Mittelgradig depressive Episode, posttraumatische Belastungsstörung, somatoforme autonome Funktionsstörung (Schwindel)
Bei dem Klienten hat sich nach dem Arbeitsunfall vom 04.11.2017 eine ausgeprägte depressive Symptomatik sowie posttraumatische Problematik entwickelt. Er ist zur psychiatrischen Rehabilitation stationär gewesen, ist fachärztlich in Kontrolle und auch in Psychotherapie sowie medikamentös entsprechend eingestellt. Nur mäßige Teilremission der Symptomatik.
Pos. Nr. 03.06.02, GdB 60 %
Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Der Gesamtgrad der Behinderung wird durch die Nr. 1 mit 60% festgelegt.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
psychiatrisch keine
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Erstantrag
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
Entfällt bei Erstantrag
Nachuntersuchung 06/2023 - da unter fortlaufender Therapie und je nach somatischer Situation und Leistungsfähigkeit eine Änderung der psychischen Befindlichkeit eintreten kann.
[…]
Gesamtgutachten vom 30.6.2021:„…
Zusammenfassung der Sachverständigengutachten
Name der/des SV Fachgebiet Gutachten vom
Dr. […] Psychiatrie 25.06.2021
Dr. […] Chirurgie, Allgemeinmedizin 29.05.2021
Die genannten Gutachten sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Gesamtbeurteilung.
Auflistung der Diagnosen aus oa. Einzelgutachten zur Gesamtbeurteilung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1) Mittelgradig depressive Episode, posttraumatische Belastungsstörung, somatoforme autonome Funktionsstörung (Schwindel)
Bei dem Klienten hat sich nach dem Arbeitsunfall vom 04.11.2017 eine ausgeprägte depressive Symptomatik sowie posttraumatische Problematik entwickelt. Er ist zur psychiatrischen Rehabilitation stationär gewesen, ist fachärztlich in Kontrolle und auch in Psychotherapie sowie medikamentös entsprechend eingestellt. Nur mäßige Teilremission der Symptomatik.
Pos. Nr. 03.06.02, GdB 60 %
2) Teilparese des N.peronaeus links-Fußheberschwäche.
Einstufung der Erkrankung eine Stufe oberhalb des unteren Wert des Rahmensatzes mit 20 %-Fußhebung ist beeinträchtigt-Stürze nicht objektivierbar.
Pos. Nr. 04.05.13, GdB 20 %
Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Gesundheitsstörung 2 steigert nicht weiter wegen fehlenden Zusammenhangs mit der führenden Gesundheitsstörung und relativ geringer zusätzlicher wesentlicher Belastung im Alltag.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Derzeit liegen keine weiteren Erkrankungen bzw. Funktionseinschränkungen im Bewegungsapparat vor.
Die angegebenen Belastungsschmerzen im linken Knie- und linken Sprunggelenk können bei der klinischen Untersuchung nicht evaluiert werden.
Schwindelsymptomatik: Eine neurologische Abklärung wurde bis dato nicht durchgeführt.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
-Im Vergleich zum Vorgutachten haben sich keine wesentlichen Veränderungen im gesundheitlichen Gesamtzustandes des Bewegungsapparates ergeben
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
-Festlegung des Gesamtgrades der Behinderung im Bewegungsapparat mit 20 %.
-Im psychiatrischen Fachgutachten wird - trotz derzeit bestehender Teilremission - ein GdB von 60 % festgesetzt, was anläßlich der anberaumten Nachuntersuchung 06/2023 zu evaluieren ist.
Nachuntersuchung 06/2023 - Derzeit bereits eine absehbare Teilremission der Gesundheitsstörung 1, eine weitere Besserung und Stabilisierung der psychischen Situation ist zu erwarten.
[…]
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Es sind kein Einschränkungen vorhanden, die ein Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würden. Die Funktionseinschränkungen an der linken unteren Extremität (Teilparese des N. peronaeus / Funktionseinschränkung im linken Sprunggelenk) sind nicht so erheblich, dass der Patient ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benützen könnte. Inwieweit und warum derzeit -wie berichtet- noch 2 Stützkrücken verwendet werden, entzieht sich der gutachterlichen Kenntnis, und konnte auch bei der klinischen Untersuchung nicht evaluiert werden. Vor allem auch deshalb, da nach dem Reha-Aufenthalt (2018) bereits keine Gehbehelfe mehr notwendig waren oder verwendet wurden.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten? nein
…“
2.0. Beweiswürdigung:
2.1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem zweifelsfrei feststehenden und von den Verfahrensparteien nicht beanstandeten Akteninhalt.
2.2. Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen. Die Ausführungen der bB stellen sich als tragfähig dar und stellten die nachfolgenden Ausführungen hierzu lediglich Konkretisierungen und Abrundungen dar.
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).
Ebenso kann die Partei Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, GZ 2005/07/0108).
Wird einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben, liegt keine Verletzung des Parteiengehörs vor (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).
Unter dem Blickwinkel der höchstgerichtlichen Judikatur, insbesondere der zitierten Entscheidungen, sind die gegenständlich eingeholten Sachverständigengutachten vom 31.05.2021 (FA f. Chirurgie und Allgemeinmedizin) und vom 28.06.2021 (FA f. Psychiatrie) sowie die Gesamtbeurteilung vom 30.06.2021, schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine relevanten Widersprüche auf. Nach Würdigung des erkennenden Gerichtes erfüllen sie auch die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchungen eingehend erhobenen klinischen Befunden, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen. Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises. Es wird auf die Art der Funktionsbeeinträchtigungen und deren Ausmaß eingegangen sowie insbesondere die Auswirkungen auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel beurteilt.
Der Sachverständige (Facharzt für Psychiatrie) verkennt nicht, dass sich bei der bP nach dem Arbeitsunfall vom 04.11.2017 eine ausgeprägte depressive Symptomatik sowie posttraumatische Problematik entwickelt hat. Sie war zur psychiatrischen Rehabilitation stationär aufhältig, ist fachärztlich in Kontrolle und auch in Psychotherapie sowie medikamentös entsprechend eingestellt, jedoch besteht nur eine mäßige Teilremission der Symptomatik. Die in der Beschwerde behaupteten Angstzustände und Panik bei Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, sind weder dem Gutachten vom 28.06.2021 noch dem vorgelegten ärztlichen Entlassungsbrief des Rehazentrum M. vom 15.03.2021 noch dem vorgelegten Arztbrief Dr. Michael L. vom 09.03.2020 zu entnehmen bzw. finden sich hierzu auch in den entsprechenden medizinischen Bescheinigungsmitteln keine anamnetisch basierte Hinweise; so befinden sich unter dem Kapifle „derzeitige Beschwerden“ im entsprechenden Gutachten keine diesbezüglichen Ausführungen. Vielmehr führt der Sachverständige aus, dass keine diesbezüglichen Funktionseinschränkungen vorhanden seien, welche die Fähigkeit der bP an der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in einer hier relevanten Weise beeinträchtigen würden.
Auch der zweite Sachverständige (Facharzt für Chirurgie und Allgemeinmediziner) stellte keine Funktionsbeeinträchtigungen fest, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in einer hier relevanten Weise beeinträchiten würden, zumal die Funktionseinschränkungen an der linken unteren Extremität (Teilparese des N.peronaeus/Funktionsseinschränkung im linken Sprunggelenk) nicht so erheblich sind, dass die bP ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benützen könnte. Im Hinblick auf die Benützung von 2 Stützkrücken sind die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen hervorzuheben, wonach sich die Verwendung von derzeit noch 2 Stützkrücken der gutachterlichen Kenntnis entzieht und konnte dies auch bei der klinischen Untersuchung nicht evaluiert werden. Vor allem auch deshalb, da nach dem Reha-Aufenthalt (2018) bereits keine Gehbehelfe mehr verwendet wurden.
Wenn die bP vorbringt, sie könne eine kurze Wegstrecke nur mehr unter Schmerzen bewältigen, so ist auf die gutachterlichen Ausführungen zu verweisen, wonach die angegebenen Belastungsschmerzen im linken Knie- und linken Sprunggelenk bei der klinischen Untersuchung nicht evaluiert werden konnten. Des Weiteren hält der Sachverständige fest, dass hinsichtlich der „Schwindelsymptomatik“ eine neurologische Abklärung bis dato nicht durchgeführt wurde. Auch brachte die bP anamnetisch im Rahmen der gutachterlichen Untersuchungen keine konkreten Beeinträchtigungen vor, welche auf dieser Schwindel-systematik basieren würden.
Die in der Beschwerde behauptete fortschreitende Lähmungserscheinung mit starkem Anschwellen des linken Unterschenkels, sowie linker Kniegelenksbeeinträchtigung, Schmerzempfinden und Fehlstellung, war in der klinischen Untersuchung nicht erhebbar. Der Sachverständige beschreibt in seiner klinischen Untersuchung des linken Sprunggelenkes den Bewegungsumfang mit 0-0-40. Der neurologische Status ergab ein Taubheitsgefühl im Bereich der Transplantationsstelle am linken Unterschenkel medialseitig sowie besteht weiters eine geringe-bis mittelgradige Fußheberschwäche links. Der Gefäßstatus ergab die Tastbarkeit aller peripheren Gefäße. Der Hautstatus ergab eine altersgemäße Hautstruktur, blande Transplantationsnarbe am linken Unterschenkel medialseitig und abgeheilte Hautentnahme-stelle am linken Oberschenkel.
Die eingeholten Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch.
In den Gutachten wurden alle relevanten, von der bP beigebrachten Unterlagen bzw. Befunde berücksichtigt. Mit den Beschwerdeausführungen trat die bP dem Sachverständigen-gutachten auch nicht substantiiert und nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen und zeigte auch keine den Gutachten zu entnehmende Ungereimtheiten auf.
Auch war dem Vorbringen kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung bzw. Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Mit ihren Beschwerdeausführungen ist die bP den gutachterlichen Ausführungen weder auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten noch hat sie Beweise vorgelegt, die die Annahme zulassen würde, die Schlussfolgerungen des Sachverständigen seien unzutreffend. Dies hat sie jedoch unterlassen. Die gutachterlichen Ausführungen wurden von der bP zudem weder substantiiert bestritten noch wurden Ungereimtheiten oder Widersprüche aufgezeigt, die ein beachtliches Entgegentreten darstellen würden (vgl. VwGH vom 20.10.2008, 2005/07/0108). Soweit die Ausführungen der Gutachter in der Beschwerde unbescheinigt bestritten wurden, stellt dies kein konkretes und substantiiertes Entgegentreten dar.
Gemäß diesem Gesamtgutachten vom 30.06.2021 – als objektivem Amtssachverständigen-gutachten aufgrund der Ermittlung der vorliegenden Gesundheitsschädigungen – ist den Ausführungen der belangten Behörde in Bezug auf die festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bzw. Funktionsstörungen zu folgen und wurde schlüssig dargestellt, welche Folgen sich hieraus für die bP im Rahmen der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ergeben.
Soweit die bP in ihrer Beschwerde nochmals auf die Stellungnahme vom 12.04.2021verweist, sei darauf hingewiesen, dass die hierin getroffenen Ausführungen im fortgesetzten administrativen Ermittlungsverfahren aufgegriffen wurden; insbesondere wurde den darin gestellten Beweisanträgen entsprochen. Soweit sich die Einwände gegen den festgestellten GdB richten, wird auf Punkt 3.5. des gegenständlichen Erkenntnisses verwiesen.
3.0. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:
- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF
- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF
- Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF
- Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010 idgF
- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF
Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.
3.2. Gemäß Art. 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
In Anwendung des Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.
3.3. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 45 Abs. 3 AVG des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.
Die von der bP eingebrachte Beschwerde vom 26.08.2021 erweist sich als fristgerecht und zulässig.
Zu 1.):
3.4. Gemäß § 1 Abs 1 BBG soll Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen durch die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Maßnahmen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert werden.
Gemäß § 1 Abs 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 40 Abs 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Gemäß § 42 Abs 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 Abs 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erlassen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§41 Abs 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 47 BBG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
Gemäß Abs 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen: [.…]
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder dvorliegen.
Gemäß Abs 5 leg cit bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Gemäß § 3 Abs 1 leg cit ist dem Behindertenpassinhaber/der Behindertenpassinhaberin, zum Nachweis, dass er/sie über die Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ verfügt, die im § 29b Abs 2 bis 4 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159 (StVO), genannten Berechtigungen in Anspruch nehmen kann, ein Parkausweis auszustellen. Die in einem gültigen Behindertenpass enthaltene Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder Blindheit“ ist der Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gleichzuhalten.
Gem. § 29b StVO ist den Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses …, die über die Zusatzeintragung „Unzumubarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ … ein Ausweis auszufolgen.
Die Prüfung, ob die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" vorzunehmen ist, hat entlang der Kriterien der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 263/2016 idgF, (konkret: ob bei der bP erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen) zu erfolgen; die Ausführungen der medizinischen Sachverständigen erweisen sich in dieser Hinsicht als ausreichend.
Entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ua. dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080). Auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren, kommt es nicht an (VwGH vom 22.10.2002, GZ 2001/11/0258).
Zu prüfen ist somit die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Fähigkeit, eine kurze Wegstrecke zurückzulegen, zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
In Bezug auf die Motorik ist in Entsprechung der höchstgerichtlichen Judikatur die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014). Auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren, etwa konkrete örtliche Gegebenheiten oder die Dichte des öffentlichen Verkehrsnetzes im Lebensbereich der bP kommt es nicht an (VwGH vom 22.10.2002, GZ 2001/11/0258).
Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass die bP in Bezug auf ihre Motorik jene Kriterien erfüllt, welche ihr aus rechtlicher Sicht die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar erscheinen lassen.
In Bezug auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus psychischer Sicht darf in diesem Zusammenhang auf die Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen verwiesen werden -welchen zwar kein normativer Inhalt zukommt, jedoch als Auslegungshilfe zur Erkundung des Willens des Normengeber herangezogen werden können-, wonach eine erhebliche Einschränkung psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen nur bei Vorliegen der Krankheitsbilder Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr als gegeben anzusehen ist. Diese Krankheitsbilder wurden in den vorliegenden Befunden nicht beschrieben. Wenn die bP in den öffentlichen Verkehrsmitteln Angst vorm Umstoßen hat, kann zum einen nicht festgestellt werden, dass diese Angst jenes erforderliche Ausmaß eine psychischen Erkrankung erreicht und ist sie darauf hinzuweisen, dass sie einen Sitzplatz, der für Personen vorgesehen ist, denen längeres Stehen nicht zumutbar ist (solche Sitzplätze sind in jedem öffentlichen Verkehrsmittel vorhanden und auch gesondert gekennzeichnet) in Anspruch nehmen könnte bzw. erscheinen entsprechende organisatorische Vorkehrungen - beispielsweise eine Sitzplatzreservierung - in dieser Hinsicht geeignet. Darüber hinaus ist es der bP möglich, zum Anhalten ihre Hände zu benützen. Ebenso ergaben sich keine Hinweise, dass in Bezug auf diese Angst eine erfolglose Behandlung von mindestens 1 Jahr stattfand.
Die Sachverständigengutachten vom 31.05.2021 (FA f. Chirurgie, Allgemeinmedizin) und vom 28.06.2021 (FA f. Psychiatrie) sowie die Gesamtbeurteilung vom 30.06.2021 und die Angaben der bP im Verfahren wurden im oben beschriebenen Umfang in freier Beweiswürdigung der Entscheidung des Gerichtes zu Grunde gelegt. Die zitierten Gutachten erfüllen sämtliche der in den angeführten Verordnungen normierten Voraussetzungen und ergibt sich hieraus zusammengefast, dass beim Beschwerdeführer weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vorliegen bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" gebieten, war eine entsprechende Eintragung in den Behindertenpass, nicht vorzunehmen.
Gemäß den Gutachten vom 31.05.2021 (FA f. Chirurgie, Allgemeinmedizin) und vom 28.06.2021 (FA f. Psychiatrie) sowie der Gesamtbeurteilung vom 30.06.2021 getroffenen Feststellungen liegen die rechtlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Ziff. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 263/2016 idgF (welche von der Behörde bzw. vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu treffen sind) - und damit die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung - bei der bP nicht vor.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
3.5. Abschließend weist das ho. Gericht darauf hin, dass die Ausführungen in der Beschwerdeschrift, welche sich gegen den angenommenen Grad der Behinderung richten, ins Leere gehen, weil sich die Beschwerde ausschließlich gegen die Nichtvornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass richtet.
Der Bescheid, in dem der Grad der Behinderung festgestellt wurde (dem ausgestellten Behindertenausweis kommt ex lege Bescheidqualität zu) erwuchs in Rechtskraft und liegt diesbezüglich kein Beschwerdegegenstand vor.
Zu 2.):
3.6. Die Zurechnung einer Erledigung zum Staat setzt nach allgemeinem Verständnis (vgl. nur Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Rz 10 zu § 56) voraus, dass diese entweder von jenem Organwalter, der die Behördenfunktion inne hat selbst oder von einem zumindest abstrakt approbationsbefugten Organwalter genehmigt wurde. Zu den formalen Mindesterfordernissen der schriftlichen Ausfertigung eines Bescheides gehört auch die Erkennbarkeit des Namens des Genehmigenden sowie die ordnungsgemäße Fertigung. Insgesamt ist die Frage, ob eine behördliche Enunziation ein Bescheid ist, nach objektiven Gesichtspunkten (nach dem äußeren Tatbestand) zu beurteilen (vgl. Hengstschläger/Leeb, aaO Rz 11). Folglich hängt die Erkennbarkeit der Behörde nicht von der subjektiven Kenntnis des Adressaten ab (VwGH 28.6.2011, 2010/170176; e contrario VwGH 20.4.1968, 0517/68, wonach die Mitteilung über eine Gesamtbeurteilung, in der die Bezeichnung der qualifizierenden Behörde oder die Unterschrift (Beglaubigung) fehlt, keinen Bescheid darstellt).
Inhalt des Bescheides ist der Satz: „Da die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorliegen, kann ein Ausweis gemäß § 29b – StVO (Parkausweis) nicht ausgestellt werden“, und wurde dieser Satz zwar nach der Rechtsmittelbelehrung aber noch vor der Unterfertigung des Bescheides eingefügt. Er ist somit Bestandteil des angefochtenen Bescheides, stammt von der Behörde und richtet sich an den Bescheidadressaten. Es erschließt sich für das ho. Gericht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, dass es im normativen Willen der Behörde lag, über die Rechtssache, nämlich -neben der Abweisung des Antrages auf die Ausstellung eines Behindertenpasses und die Vornahme der begehrten Zusatzeintragung- dass dem Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b nicht entsprochen wird, rechtsverbildlich zu entscheiden. Für diese Auslegung spricht auch der Umstand, dass entsprechend dem Wortlaut des angefochtenen Bescheides der „Antrag […] abgewiesen“ wurde, keine Einschränkung auf bestimmte Antragspunkte erfolgte und die bP das Antragsformular „Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b Straßenverkehrsordnung 160 (Parkausweis)“ verwendete.
Das ho. Gericht geht daher davon aus, dass im gegenständlichen Fall bescheidmäßig –wenn auch nicht im Rahmen eines sämtlichen Formalien entsprechenden Bescheides- über die beantragte Ausstellung eines Parkausweises gem. § 29b StVO abgesprochen wurde und die Beschwerde hiergegen zulässig ist.
Da weder die Voraussetzungen für Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht vorliegen, scheidet die Möglichkeit der Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO aus.
3.7. Soweit die bB im gegenständlichen, wie auch in einer Vielzahl weiterer Verfahren das Parteiengehör gem. § 45 Abs. 3 AVG verletzte, indem der bP der maßgebliche Sachverhalt, nämlich die im gegenständlichen Erkenntnis auszugsweise zitierten Gutachten nicht zwecks der Einräumung der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zur Kenntnis gebracht wurde, erlaubt sich das ho. Gericht zum wiederholten Male auf die nachfolgenden Umstände hinzuweisen:
Gem. § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. In den im gegenständlichen Verfahren anwendbaren verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen befindet sich keine solche, welche die belangte Behörde von ihrer Obliegenheit gem. § 45 AVG, welche sich auf das dem objektiven Tatsachensubstrat angehörige Elemente bezieht (Erk. d. VwGH vom 23. April 1982, 398/80, ebenso VwGH25.11.2004, 2004/03/0139; Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 25 zu § 45 mwN; VwGH 4.11.1992, 92/01/0560; VwSgl 16.423 A/1930; VwSlg 6580 A/1961; VwSlg 7509 A/1969; VwGH 16.11.1993, 90/07/0036; Erk. d. VwGH v. 9.11.1994, 92/13/0068; VwGH 28.3.1996, 96/20/0129; auch VwGH 13.5.1986, 83/05/0204/0209), entbinden würde.
§ 45 Abs. 3 AVG entsprechend hätte die bB gegenüber der bP das Parteiengehör zu wahren gehabt. Dieser Obliegenheit kam sie jedoch nicht nach und wurde von ihr das Recht der bP aus die Gewährung des Parteiengehörs verletzt.
Im Verwaltungsverfahren ist das "Überraschungsverbot" zu beachten. Darunter ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtlichen Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren (für viele: Erk. vom 29.10.2015, Ro 2015/07/0032 mwN).
Zwar geht der VwGH davon aus, dass seine ständige Rechtsprechung, wonach eine im administrativen Verfahren erfolgte Verletzung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren saniert werden kann, auf das Beschwerdeverfahren vor dem VwG übertragen wird - eine im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erfolgte Verletzung des Parteiengehörs kann dann durch die mit Beschwerde an das VwG verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden, wenn der damit bekämpfte Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergegeben hat (Erk. d. VwGH vom 10.9.2015, Ra 2015/09/0056) (Ungeachtet dieses Umstandes sei darauf hingewiesen, dass auch eine sanierte Verletzung des Parteiengehörs eine Verletzung der Rechte der Partei im Administrativverfahren darstellt und wird der Partei die Möglichkeit genommen, sich noch im Administrativverfahren zum Ermittlungsergebnis zu äußern.) Es stellt sich aber die Frage, ob dies stets der Fall ist und das Verwaltungsgericht immer verhalten ist, das aufgrund des nicht gewährten Parteiengehörs mangelhafte Ermittlungsverfahren zu ergänzen oder sogar über weite Strecken erstmals zu führen bzw. hierdurch der Behörde die Möglichkeit eingeräumt werden soll, den Grundsatz des Parteiengehörs systematisch zu ignorieren, sich so der Verpflichtung zur Ermittlung eines wesentlichen Teils des maßgeblichen Sachverhalts bzw. dessen rechtlicher Würdigung zu entledigen und diese Ermittlungstätigkeit gezielt auf das Verwaltungsgericht abzuwälzen.
Der VwGH legt der Gewährung des Parteiengehörs hohes Gewicht bei, und zeigt die ständige Rechtsprechung, dass die Höchstgerichte das Parteiengehör zu den fundamentalen Grundsätzen des Rechtsstaates, der Hoheitsverwaltung und eines geordneten Verwaltungs-verfahrens zählen (für viele: Erk. d. VwGH vom 1.9.2015, 2013/15/0295 mwN; Erk. d. VwGH vom 8.4.2014, 2012/05/0004 mwN) und dessen Verletzung einen besonders qualifizierten und schwerwiegenden Verfahrensmangel darstellt. Die völlige Vernachlässigung des Parteiengehörs stellt einen so wesentlichen Verfahrensmangel dar, dass er als willkürliches Vorgehen der Behörde und als in die Verfassungssphäre reichende Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zu qualifizieren ist (Erk. des VwGH vom 29.5.2013, 2011/01/0241; vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 1998 in VfSlg. Nr. 15.149/1998; sowie das hg. Erkenntnis vom 3. September 2001, Zl. 2001/10/0004) und so in die Verfassungssphäre eingreift.
Hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis bzw. Entscheidungsverpflichtung des ho. Gerichts geht der Gesetzgeber bei den Verwaltungsgerichten vom Primat der Sachentscheidung aus, wenn er festlegt, dass gem. § 28 Abs. 1 VwGVG das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß § 28 Abs. 3 leg. cit. hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Beim vom Gesetzgeber ins Auge gefassten Konzept - nämlich dem Primat der Sachentscheidung und dem untergeordnet die Möglichkeit der Verwaltungsgerichte, bei bestimmten qualifizierten Fallkonstellationen eine kassatorische Entscheidung zu treffen - ging dieser sichtlich von einer belangten Verwaltungsbehörde aus, welche redlich bemüht ist, ein rechtskonformes Ermittlungsverfahren, wozu auch die regelmäßige Gewährung des Parteiengehörs zu zählen ist, zu führen. Dass ihr trotz dieses Bemühens Fehler unterlaufen können, ist evident und wird vom Gesetzgeber zugestanden. Sicherlich hatte der Gesetzgeber keine belangte Behörde vor Augen, welche Ermittlungstätigkeiten gezielt und systematisch unterlässt, und sich so ihrer ihr zugewiesenen Zuständigkeit über weite Strecken entledigt.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,
- wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,
- wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder
- bloß ansatzweise ermittelt hat.
- Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Auch in seinem Erk. vom 11.11.2021, Ra 2021/21/0174 erkannte der VwGH unmissverständlich, dass es der Behörde nicht obliegt, maßgebliche Ermittlungsschritte auf das Verwaltungsgericht abzuwälzen.
In seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 befasste sich der EuGH mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts -bei entsprechender Untätigkeit der Behörde- der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen. Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben. Der EuGH führte weiters aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.
Im gegenständlichen Fall bestehen aufgrund der identen Vorgansweise der bB in Bezug auf die Unterlassung eines ordnungsgemäßen Parteiengehörs in einer Mehrzahl (wenn nicht zwischenzeitig von einer Vielzahl zu sprechen ist) von Verfahren konkrete Anhaltspunkte, dass die bB sowohl in diesem Einzelfall, als auch in einer Vielzahl anderer Verfahren den - wie vom VwGH bezeichnet - fundamentalen Grundsatz des Parteiengehörs ignoriert und so nicht nur in diesem Einzelfall, sondern in einer Vielzahl von Verfahren Willkür übt und gezielt einen essentiellen Teil von Ermittlungen unterlässt, bzw. die Behörde das ho. Gericht zu veranlassen versucht -wie vom EuGH bezeichnet- anstelle der Behörde tätig zu werden und so in seiner Unabhängigkeit gegenüber den Verfahrensparteien zumindest eingeschränkt wird.
Ebenso wird darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Parteiengehörs regelmäßig mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stellungnahme der Partei zur Folge hat, wenn sie jenen Sachverhalt von dem die Behörde ausgeht, für unrichtig bzw. unvollständig hält. Diese Stellungnahme bzw. die im Rahmen dieser Stellungnahme angebotenen Beweismittel sind wiederum ein wesentliches Bescheinigungs-mittel zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch die Behörde.
Die bB setzt offensichtlich gezielt auf den Umstand, dass das Verwaltungsgericht den oa. Umstand in seinem Verfahren aufgreift, sich mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei, welche in der Beschwerde erstmals die Möglichkeit hatte Stellung zu nehmen, auseinandersetzt und im Ermittlungsverfahren in angemessener Weise berücksichtigt. Dies führt regelmäßig zu einem wesentlich komplexeren Beschwerdeverfahren als es der Fall gewesen wäre, wenn die bB ordnungsgemäß das Parteiengehör gewahrt und die Stellungnahme der Partei in ihrem Verfahren berücksichtigt und so ihren weiteren Ermittlungen zu Grunde gelegt hätte.
Die Verwaltungsbehörde unterließ letztlich offensichtlich gezielt und systematisch Ermittlungen, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden müssen (vgl. das bereits zitierte VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, oder jüngst VwGV 11.11.2021, Ra 2021/21/0174, aber auch Urteil des EuGH vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452).
Im konkreten Fall erging trotz der getroffenen Ausführungen letztlich dennoch eine meritorisch Entscheidung, weil aufgrund des –durch Vorenthaltung des Parteiengehörs- erstmaligen Vorbringens in der Beschwerde und dessen Inhalts eine Prüfung und Entscheidung durch das ho. Gericht im gegenständlichen, nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall zweckmäßig erschien.
3.8. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Entscheidung vom 19. Februar 1998, Zl. 8/1997/792/993 (Fall Jacobsson; ÖJZ 1998, 41) unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im Fall Jacobsson vor dem Obersten Schwedischen Verwaltungsgericht nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte (vgl. VwGH 03.11.2015, Zl. 2013/08/0153).
Im vorliegenden Fall haben die Parteien die Durchführung einer Verhandlung durch das Verwaltungsgericht nicht beantragt. Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Grad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen, welche auf Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens einzuschätzen sind. Wie im gegenständlichen Erkenntnis ausgeführt wurde, wurde das hierfür eingeholte – auf Basis einer klinischen Untersuchung erstellte - Gutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet und zeigt die bP weder Widersprüche, Ungereimtheiten noch Mängel auf. Der auf sachverständiger Basis ermittelte, entscheidungsrelevante Sachverhalt ist sohin geklärt, nicht ergänzungsbedürftig und wurden in der Beschwerde keine Rechts- oder Tatsachenfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher abgesehen werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH sind für das Absehen einer mündlichen Verhandlung (ergangen zwar zu § 21 Abs. 7 BFA-VG, im gegesntändlichen Fall aufgrund einer vergleichbaren Interessenslage ebenfalls anwendbar) wegen geklärten Sachverhalts folgende Kriterien beachtlich vgl. Erk. d. VwGH vom 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, Beschluss des VwGH vom 25.4.2017, Ra 2016/18/0261-10, Ra 2017/11/0288-3, 19.12.2017):
- Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde von der bB vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben und weist dieser bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das ho. Gericht noch immer die gebotene Aktualität und Vollständigkeiten auf.
- Die bB musste die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise –wenn zum Teil erst mit Übermittlung des angefochtenen Bescheides- offen gelegt haben und das ho. Gericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen.
- In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der bB festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, welches gegen das Neuerungsverbot gem. § 20 BFA-VG verstößt.
- Auf verfahrensrechtliche Besonderheiten ist Bedacht zu nehmen.
Da die oa. Kriterien im gegenständlichen Fall erfüllt sind, konnte eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben.
Abrundungen zu den als tragfähig erachteten Ausführungen durch das ho. Gericht sind im hier durchgeführten Umfang zulässig, zumal das ho. Gericht die Ausführungen der bB für sich alleine als tragfähig erachtete (VwGH 25.4.2017, Ra 2016/18/0261-10 oder VwGH 29.8.2019, Ra 2019/19/0226 Rn. 10 mwN). Das bloße Behaupten von Mängeln im Administrativverfahren und die ausdrückliche Beantragung einer Beschwerdeverhandlung reicht jedenfalls nicht aus, um beim ho. Gericht die Verhandlungspflicht auszulösen Den nicht unplausiblen Ausführungen der bB wurde in der Beschwerde auch nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb eine Verhandlung unterbleiben konnte (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0108-8, Rn. 12). Auch die –sanierte- Verletzung des Parteiengehörs löste im gegenständlichen Einzelfall die Verhandlungspflicht nicht aus.
Zur allfälligen Frage der Notwendigkeit einer persönlichen Einvernahme im Rahmen einer Verhandlung ist festzustellen, dass in der Beschwerde nicht angeführt wird, was bei einer solchen persönlichen konkret an entscheidungsrelevantem und zu berücksichtigendem Sachverhalt noch hervorkommen hätte können. So argumentiert auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass schon in der Beschwerde darzulegen ist, welche wesentlichen Umstände (Relevanzdarstellung) dadurch hervorgekommen wären (zB. VwGH 4.7.1994, 94/19/0337). Wird dies –so wie im gegenständlichen Fall- unterlassen, so besteht keine Verpflichtung zur neuerlichen Einvernahme iSe hier weiteren Beschwerdeverhandlung.
3.9. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Diesbezüglich ist die vorliegende und im gegenständlichen Erkenntnis zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Darüber stellt sich der anzuwendende Gesetzestext als eindeutig dar und stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung. In Bezug auf die Frage, ob eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen ist, orientiert sich das ho. Gericht ebenfalls an der einheitlichen höchstgerichtlichen Judikatur.
Auf Grundlage der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.
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