VwGH Ro 2014/11/0013

VwGHRo 2014/11/001327.5.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des A T in G, vertreten durch Dr. Engelbert Reis, Rechtsanwalt in 3580 Horn, Florianigasse 5, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 9. Dezember 2013, Zl. 41.550/716- 9/13, betreffend zusätzliche Eintragung in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

Normen

BBG 1990 §40 Abs1;
BBG 1990 §42 Abs1;
BBG 1990 §45;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Revisionswerbers, in seinen Behindertenpass den Zusatz "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" einzutragen, gemäß § 42 Abs. 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, sie habe das Gutachten eines Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie vom 27. September 2013 über den Gesundheitszustand des Revisionswerbers eingeholt, welches zu folgendem Ergebnis gelangt sei:

"Diagnosen:

1. Z. n. Spondylodiszits und prävertebralem Abszess, Z. n. Densaxisfraktur

  1. 2.

    COPD

  2. 3. Arterielle Hypertonie

    Beurteilung:

    Bei dem 50-Jährigen finden sich bei voroperierter HWS mit komplikativen Verlauf (Spondylodiszitis mit prävertebralem Abszess und operativer Revision) noch deutliche Einschränkungen der WS-Funktion mit pseudoradiculärer Symptomatik mit Ausstrahlung in Arme und Beine. An den großen Gelenken an den oberen und unteren Extremitäten sind keine relevanten Funktionsbehinderungen festzustellen.

    Für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bedeutet dies, dass kurze Wegstrecken (300 - 400 m) aus eigener Kraft und ohne Fremdhilfe zurückgelegt werden können.

    Gehhilfen werden nicht verwendet.

    Das sichere Ein- und Aussteigen und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel sind aus orthopädischer Sicht gegeben."

    Im Rahmen des Parteiengehörs habe der Revisionswerber, wie bereits zuvor in der Berufung, eingewendet, es sei bislang nur darauf abgestellt worden, dass für den Revisionswerber eine bestimmte Gehstrecke sowie das Ein- und Ausseigen in öffentliche Verkehrsmittel bewältigbar sei, ohne jedoch entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu klären, mit welchen Auswirkungen, vor allem mit welchen Schmerzen dies beim Revisionswerber verbunden sei. Insbesondere sei durch den ärztlichen Sachverständigen festzustellen, ab welcher Gehstrecke beim Revisionswerber Schmerzen und andere Leidenszustände auftreten würden. Der Revisionswerber habe nämlich bis zur nächsten Haltestelle eine Distanz von ca. 9 km zu bewältigen, was angesichts seiner Gesundheitsschädigungen nicht zumutbar sei.

    Ausgehend vom genannten Gutachten meinte die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung, dass der Revisionswerber kurze Wegstrecken ohne Unterbrechung zurücklegen könne und in öffentlichen Verkehrsmitteln vorhandene Niveauunterschiede überwinden könne. Ebenso sei ihm das Stehen in öffentlichen Verkehrsmitteln und die Fortbewegung in diesen möglich, sodass trotz der gegebenen medizinischen Diagnose die "sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel" beim Revisionswerber gewährleistet sei.

    Zum Einwand des Revisionswerbers, die beantragte Zusatzeintragung in den Behindertenpass sei gerechtfertigt, weil es ihm angesichts der genannten Gesundheitsschädigung unzumutbar sei, die etwa 9 km lange Distanz bis zur nächsten Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel zurückzulegen, entgegnete die belangte Behörde, dass dieses Vorbringen keine weiteren Ermittlungen rechtfertige. Die genannten Angaben des Revisionswerbers "betreffend mangelnde Infrastruktur (lebt am Land)" seien gegenständlich nicht zu berücksichtigen, weil die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel relevant sei, nicht aber andere Umstände, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschwerten (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0258).

    Das Ansuchen des Revisionswerbers, die "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in den Behindertenpass einzutragen, sei daher abzuweisen.

    Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision, zu der das Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten unter gleichzeitigem Verzicht auf eine Gegenschrift vorgelegt hat.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die vorliegende Revision ist gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz VwGbk-ÜG zulässig, weil der angefochtene Bescheid am 12. Dezember 2013 zugestellt wurde. Für die Behandlung dieser Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 leg. cit. die Bestimmungen des VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung (abgesehen von der gegenständlich ohnedies nicht in Betracht kommenden Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG) sinngemäß.

2.1. Die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgebenden Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990 idF BGBl. I Nr. 58/2011 (BBG), lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

(3) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Bescheide des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gemäß Abs. 2 entscheidet die Bundesberufungskommission nach dem Bundesberufungskommissionsgesetz, BGBl. I Nr. 150/2002.

(4) Gegen die Entscheidung der Bundesberufungskommission ist eine weitere Berufung unzulässig. ...

..."

2.2. Das Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992, BGBl. Nr. 449/1992 idF BGBl. I Nr. 112/2012, lautet auszugsweise:

"§ 2. (1) Von der Steuer sind befreit:

...

12. Kraftfahrzeuge, die für Körperbehinderte zugelassen sind und von diesen infolge körperlicher Schädigung zur persönlichen Fortbewegung verwendet werden müssen, unter folgenden Voraussetzungen:

...

b) Nachweis der Körperbehinderung durch

...

- die Eintragung einer dauernden starken Gehbehinderung, der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder der Blindheit im Behindertenpass (§ 42 Abs. 1 des Bundesbehindertengesetzes 1990);

..."

3. Der Revisionswerber bringt in der Revision im Wesentlichen vor, sein Grad der Behinderung betrage 50 v.H. Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass sein Wohnort etwa 9 km von der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel entfernt liege und dass das Zurücklegen dieser Wegstrecke für den Revisionswerber "ein absolutes Martyrium" darstelle, sodass seinem Antrag auf Eintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in den Behindertenpass hätte stattgegeben werden müssen. Die belangte Behörde habe jedoch nicht einmal ermittelt, welche Gehstrecke beim Revisionswerber welches Ausmaß an Schmerzen hervorrufe, sondern nur festgestellt, dass von ihm ein kurzer Anmarschweg von 300 bis 400 Metern bewältigbar sei.

4.1. Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 2013, Zl. 2010/11/0021, mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, Zl. 2007/11/0142, und vom 23. Mai 2012, Zl. 2008/11/0128).

4.2. Der Revisionswerber unterzog sich im Verwaltungsverfahren sowohl am 4. Jänner 2013 als auch am 27. September 2013 einer ärztlichen Begutachtung. Die beiden medizinischen Sachverständige gelangten zu dem im Wesentlichen übereinstimmenden Ergebnis, dass dem Revisionswerber die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei, weil dieser kurze Wegstrecken (300 - 400 m) aus eigener Kraft und ohne Fremdhilfe zurücklegen könne und seine Gesundheitsschädigung keine Auswirkungen auf das Ein- und Aussteigen sowie auf die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel habe.

Dieses Gutachtensergebnis wird vom Revisionswerber nicht konkret bestritten. Soweit er vorbringt, in den Gutachten hätte dargelegt werden müssen, mit welchen Schmerzen das Zurücklegen der genannten Strecke (300 - 400 m) verbunden sei, so unterlässt er es, diesbezügliche Schmerzen zu präzisieren und legt damit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dar.

4.3. Der Revisionswerber meint, dass ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel selbst dann unzumutbar sei, wenn er die genannte Strecke von 300 - 400 m bewältigen könne, weil sein Wohnort etwa 9 km von der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel entfernt liege und das Zurücklegen dieser Wegstrecke für ihn ein absolutes Martyrium darstelle. Dem ist mit der belangten Behörde zu entgegnen, dass es bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ankommt, nicht aber auf andere Umstände wie die Entfernung zwischen der Wohnung und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0258).

Wenn die belangte Behörde daher die Ansicht vertritt, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Betreffende eine Wegstrecke von 300 - 400 m ohne Fremdhilfe zurücklegen könne und das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel gewährleistet seien, sei (typischer Weise) die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar, so kann dem nicht entgegen getreten werden (vgl. auch das Erkenntnis vom 23. Mai 2012, Zl. 2008/11/0128, in dem es um eine entsprechende Wegstrecke ging).

5. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 27. Mai 2014

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