AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:I412.2186497.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch Caritas der Erzdiözese Wien, Asylrechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, RD XXXX vom 03.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres erteilt.
III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der sonstigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, stellte am 03.05.2017 als Minderjährige einen Antrag auf internationalen Schutz. Auf eine nähere Befragung wurde bei der Ersteinvernahme unter Hinweis auf die Betreuung durch LEFÖ-IBF und der Kenntnis des BKA Wien über den Sachverhalt betreffend Menschenhandel auf nähere Ausführungen dazu in der Niederschrift verzichtet.
In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt schilderte die Beschwerdeführerin, vom Sohn der Stiefgroßmutter sexuell missbraucht worden zu sein. Sie sei verstoßen worden und habe dann für eine Frau als Kinderbetreuerin und Kellnerin gearbeitet. Diese habe sie an eine Freundin vermittelt, die sie nach Europa hätte bringen sollen. In Libyen sei sie von Kriminellen gefasst und an ein Bordell verkauft worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Eine Verfolgung oder Bedrohung der Beschwerdeführerin in Nigeria sei von ihr nicht glaubhaft gemacht worden.
Gegen den angefochtenen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 07.02.2018 Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und den Status eines Asylberechtigten zuerkennen; in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu feststellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen ist; oder den Bescheid zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen; und eine mündliche Verhandlung anberaumen. Es wurde insbesondere betont, dass die Beschwerdeführerin als Opfer von Menschenhandel in Nigeria in Gefahr wäre, aufgrund der nicht abbezahlten Schulden von „Mami Tega“ oder der weiteren Täterin in Libyen bzw. deren Netzwerke ausfindig gemacht und verfolgt zu werden.
Die Beschwerde wurde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und letztlich der Gerichtsabteilung I412 mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes neu zugewiesen.
Nach Parteiengehör zu ihrer aktuellen persönlichen Situation langte am 23.03.2021 eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias. Ihre Identität steht nicht fest. Sie ist mittlerweile volljährig, Angehörige der Volksgruppe Edo und stammt aus einem südlich von Benin City gelegenen Ort. Sie besuchte dort eine Grundschule.
Die Beschwerdeführerin verfügt in Nigeria über kein tragfähiges familiäres Auffangnetz. Sie verließ Nigeria im Jahr 2014 im Alter von ca. 15 Jahren und reiste über Libyen nach Österreich, wo sie im März 2017 Kontakt zur Opferschutzeinrichtung LEFÖ und dem BKA Wien aufnahm. Am 03.05.2017 stellte sie als Minderjährige einen Antrag auf internationalen Schutz.
Sie war in einer Schutzwohnung der IBF-LEFÖ untergebracht und wurde durch die Opferschutzeinrichtung psychisch nach Traumatisierung und in rechtlicher Hinsicht betreut.
Die Beschwerdeführerin wurde in Libyen zur Prostitution gezwungen. Sie wurde als Minderjährige Opfer sexueller Gewalt und Opfer von Menschenhandel. Sie würde bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existentielle Notlage geraten und hätte keine Unterstützung durch ihre Verwandten zu erwarten. Aufgrund ihrer instabilen psychischen Situation wäre sie auch in der realen Gefahr, wieder Opfer von Menschenhandel und/oder sexueller Gewalt zu werden.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten. Sie hat ihren Wohnsitz in Wien und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Im November 2019 hat sie die Sprach- und Integrationsprüfung Niveau B1 bestanden und daneben an einigen Sozial- und Bildungskursen teilgenommen.
1.2. Zur allgemeinen Situation in Nigeria:
Zur Lage im Herkunftsstaat werden die für das gegenständliche Verfahren relevanten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria vom 23.11.2020 festgestellt:
1. Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.11.2020
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).
Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das
Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).
In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).
In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/lo- cal/2025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_- abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_- 2019),_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
• AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-n ode/nigeriasicherheit/205788#content_5 ,16.4.2020
• BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345 , Zugriff 28.10.2020
• CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/ nigeria/nigeria-security-tracker/p29483 , Zugriff 8.10.2020
• DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protes-ten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-pol izeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft , Zugriff 28.10.2020
• EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_C OI_Nigeria_SecuritySituation.pdf , Zugriff 16.4.2020
• FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi .net/de/dokument/2035799.html , Zugriff 30.9.2020
• Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in -zamfara-state-on-june-20 , Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)
• Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police -unit-accused-of-killings-and-brutality , Zugriff 28.10.2020
• UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria , Zugriff 8.10.2020
2. Grundversorgung
Letzte Änderung: 17.11.2020
Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte (GIZ 6.2020). 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe). Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abschätzbar (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 % gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 % erwartet (WKO 14.9.2020).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).
Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 6.2020) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Einerseits ist das Land nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen. Andererseits verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten wegen fehlender Transportmöglichkeiten (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen - in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c).
Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB
10.2019) . Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Davon sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 9.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 9.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 9.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).
Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 9.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmittelpreise variieren nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup", „garri" oder „pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m2 Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffent¬lichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
• AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.d e/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790 , Zugriff 5.10.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff 5.10.2020
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Ge-sellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
• IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annua l_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf , Zugriff 15.4.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https: //www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html , Zugriff 13.10.2020
3. Medizinische Versorgung:
Letzte Änderung: 23.11.2020
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 9.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 7.9.2020). Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 9.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).
Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019). Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).
Nach anderen Angaben gibt es insgesamt für die inzwischen annähernd (VAÖB 23.1.2019) 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen (Punch 22.12.2017) der 180-200 Millionen (Punch 22.12.2017: 180 Mio; VAÖB 23.1.2019: 200 Mio) Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 9.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein (ÖB 10.2019). Eine medizinische Grundversorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 16.1.2020). Gemäß Angaben einer anderen Quelle werden Tests und Medikamente an staatlichen Gesundheitseinrichtungen dann unentgeltlich abgegeben, wenn diese überhaupt verfügbar sind. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).
In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 9.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).
In Nigeria gibt es wie in anderen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (7.9.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www. auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#c ontent_5 , Zugriff 5.10.2020
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
• AfricaCDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/ , Zugriff 13.10.2020
• AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera. com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html , Zugriff 16.4.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ec oi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
• HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-c onditions-chained-abused , Zugriff 16.4.2020
• Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punc hng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/ , Zugriff 16.4.2020
• VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme
• VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme
4. Rückkehr:
Letzte Änderung: 15.06.2020
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafen-geländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33" nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
5. Frauen:
Letzte Änderung: 23.11.2020
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.1.2020), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 11.3.2020). Frauen werden in der patriarchalen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts¬ und Lebensbereichen benachteiligt, v.a. dort, wo traditionelle Regeln gelten (AA 16.1.2020).
So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwen-zeremonien über sich ergehen lassen. Z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt. Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 16.1.2020). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden (BS 2020; vgl. LHRL 9./10.2019).
Frauen ist es in Nigeria gesellschaftlich nicht zugedacht, Karriere zu machen. Männer gelten als Versorger der Familie (WRAPA 9./10.2019). Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen kaum eine Rolle. Jene mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz, z.B. eine Richterin beim Obersten Gerichtshof und die Finanzministerin (BS 2020).
Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Job-angebot (WRAPA 9./10.2019; vgl. EMB B 9./10.2019). Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten. Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert, während sie in der informellen Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 11.3.2020).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, körperlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Mit Stand September 2019 ist das Gesetz in neun Bundesstaaten ratifiziert worden. Es ist im Federal Capital Territory (FCT) und den Bundesstaaten Anambra, Benue, Ebonyi, Edo, Ekiti, Enugu, Kaduna und Oyo gültig, in anderen Bundesstaaten erst, sobald es dort verabschiedet wird (USDOS 11.3.2020). Bis dato [Stand: Oktober 2019] wurde noch kein Fall unter Anwendung des VAPP vor Gericht gebracht (WRAPA 9./10.2019).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert, die Polizei schreitet oft nicht ein. In ländlichen Gebieten zögern Polizei und Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht übersteigt. Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen, bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von maximal drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 11.3.2020). Im Falle von häuslicher Gewalt kann sich das Opfer an die Polizei wenden, jedoch besteht das Risiko, dass die Betroffene wieder nach Hause geschickt wird (LHRL 9./10.2019; vgl. LNGO A 9./10.2019). Sollte eine Frau hingegen verletzt sein, würde der Ehemann inhaftiert werden (LHRL9./10.2019). Abuja verzeichnet die höchste Rate von häuslicher Gewalt, auch aus diesem Grund gibt es aber in Abuja viele von Frauen geführte Haushalte. Auch in anderen Städten wie Lagos oder Port Harcourt sind Frauen nun besser sensibilisiert und verlassen Beziehungen, in denen Missbrauch vorkommt. Sie können allerdings vermehrt Stalking, Gewalt oder gar Ermordung durch den Ex-Partner ausgesetzt sein. In ländlichen Gegenden ist die Sensibilisierung der Frauen weniger vorangeschritten und es ist für sie schwieriger, sich Gewalt in der Beziehung zu entziehen (WRAPA 9./10.2019).
Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft für Straftäter, die älter als 14 Jahre alt sind. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sorgen Schutzbeamte, die sich mit Gerichten koordinieren, dafür, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Da das VAPP bis dato aber nur in wenigen Bundesstaaten ratifiziert wurde, gelten in den meisten Vergewaltigungs-fällen bundesstaatliche strafrechtliche Regelungen. Vergewaltigungen bleiben weitverbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass eines von vier Mädchen und einer von zehn Buben vor dem 18. Geburtstag sexueller Gewalt ausgesetzt war (USDOS 11.3.2020).
Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 weibliche Genitalverstümmlung (FGM/C) auf nationaler Ebene (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; GIZ 9.2020b), dieses Gesetz ist aber bisher nur in einzelnen Bundesstaaten umgesetzt worden (AA 16.1.2020), nach anderen Angaben gilt es bis dato nur im FCT. 13 andere Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze verabschiedet (US-DOS 11.3.2020; vgl. EASO 11.2018b). Die Regierung unternahm im Jahr 2019 keine Anstrengungen, FGM/C zu unterbinden (USDOS 11.3.2020). Andererseits wird mit unterschiedlichen Aufklärungskampagnen [Anm.: seitens NGOs] versucht, einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Bei der Verbreitung gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen - meist ländlichen - Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd ist die Praxis weit verbreitet, im Norden eher weniger (AA 16.1.2020). Die Verbreitung von FGM ist jedenfalls zurückgegangen (NHRC 9./10.2019; vgl. LHRL 9./10.2019; WRAPA 9./10.2019). Während im Jahr 2013 der Anteil beschnittener Mädchen und Frauen noch bei 24,8 Prozent lag, waren es 2017 nur noch 18,4 Prozent (EASO 11.2018b).
Für Opfer von FGM/C bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind, gibt es Schutz und/oder Unterstützung durch staatliche Stellen und NGOs, wie wohl davon auszugehen ist, dass es schwierig ist, außerhalb des FCT staatlichen Schutz zu erhalten. Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Die Bewegungsfreiheit der Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Je gebildeter die Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie ihre Kinder beschneiden lassen. Wenn der Vater die Mutter bei ihrer Weigerung, das gemeinsame Kind beschneiden zu lassen, unterstützt, dann können die Eltern dies auch verhindern. Allerdings gab es v.a. in der Vergangenheit Einzelfälle, wo Großeltern ein Kind beschneiden ließen (NHRC 9./10.2019).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2 025287/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_(Stand_September_2019) ,_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
• BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf , Zugriff 18.5.2020
• EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report - Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EAS O_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf , Zugriff 11.4.2019, S129ff
• EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf , Zugriff 20.4.2020
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020b): Nigeria - Ge-sellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/ , Zugriff 2.10.2020
• Iroko - Assoziazione onlus (21.3.2018): Oba of Benin (Edo State) revokes curses on victims of trafficking, http://www.associazioneiroko.org/slide-en/oba-of-benin-edo-state-re vokes-curses-on-victims-of-trafficking/ , Zugriff 20.4.2020
• LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO A- Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NHRC - National Human Rights Commission (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ec oi.net/en/file/local/2021612/NIGR_ÖB_Bericht_2019_10.pdf , Zugriff 18.11.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office (8.2019): Country Information and Guidance Nigeria: Nigeria:Female Genital Mutilation (FGM), https://assets.publishing.service.gov.uk/gover nment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/825243/Nigeria_-_FGM_-_CPIN_- _v2.0__August_2019_.pdf , Zugriff 21.4.2020
• USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practi- ces 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html , Zugriff 20.4.2020
• Vanguard (10.3.2019): Our gods will destroy you; Oba of Benin curse human traffickers, https://www.vanguardngr.com/2018/03/gods-will-destroy-oba-benin-curse-human-traffick ers/ , Zugriff 20.4.2020
• WRAPA-AnisaAri, Snr. Program Coordinator; Umma Rimi, Programme Officer, NGO Wo- men’s Rights Advancement and Protection Alternative (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
5.1. (Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel
Letzte Änderung: 15.06.2020
Gemäß zweier Quellen müssen Frauen, um einen Mietvertrag abzuschließen, einen männlichen Bürgen beibringen (WRAPA 9/10.2019; vgl. LNGO A 9/10.2019). Dies kann ein Freund, ein Kollege, oder ein Verwandter sein (WRAPA 9/10.2019). Gemäß einer anderen Quelle ist es für Frauen in Abuja kein Problem, alleine zu leben oder zu arbeiten (LNGO B 9/10.2019). Auch andere Quellen bestätigen, dass es für alleinstehende Frauen möglich ist, alleine zu leben und eine Wohnung zu mieten (EMB D 9./10.2019; vgl. EMB B 9/10.2019). Die Situation für alleinstehende Frauen ist allerdings schwierig. Sozialer Druck in Hinblick auf ein traditionelles
Rollenbild besteht (WRAPA 9./10.2019). Üblicherweise ist es für Frauen und alleinstehende Mütter möglich, Arbeit zu finden (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB A9./10.2019; EMB B 9./10.2019). Die Art der Arbeit hängt von der Bildung ab (EMB A 9./10.2019). Demgegenüber stehen eine hohe Arbeitslosigkeit und ein geringes Jobangebot (WRAPA 9.10.2019; vgl. EMB B).
Nigeria verfügt über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency forthe Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration (ÖB 10.2019). Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschenschmuggels zuständig, hat seit ihrer Gründung 2003 bis Ende 2018 die Verurteilung von 388 Schleppern erreicht sowie bis Ende 2018 13.533 Opfern von Menschenhandel geholfen (AA 16.1.2020). NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem um 2.000 US-Dollar mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2019). Es gibt außerdem einige NGOs, die für zurückkehrende Frauen Unterstützung anbieten (EMB D 9./10.2019). Generell gibt es neben NAPTIP noch andere NGOs, welche über Frauenhäuser verfügen. Meist liegt der Fokus aber auf Menschenhandel (NHRC 9./10.2019). NAPTIP verfügt in Nigeria über mehrere Shelter, vermittelt Frauen aber auch an andere Organisationen - etwa MeCAHT oder WOTCLEF - weiter (NAPTIP 9./10.2019).
Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex-Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Zusätzlich unterstützen Gattinnen der Gouverneure eigene „pet projects". Die bekannteste Vertreterin ist Dr. Amina Titi Atiku Abubakar, Gründerin und Vorsitzende der NGO WOTCLEF, die es bis zur Akkreditierung durch die UN gebracht hat und zahlreiche Projekte im Frauenbereich unterstützt (ÖB 10.2019).
Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes - und dort vor allem in den Städten - werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 16.1.2020). Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit für alle vor, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Die Bewegungsfreiheit der Frauen und Kindern aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt (UKHO 8.2019). Auch im Allgemeinen dürfte der Wechsel des Wohnortes für alleinstehende Frauen ohne Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk schwieriger sein (UKHO 3.2019).
Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:
African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, Email: info@awegng.org (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche, nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).
Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension by Akanu Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel: +234-8095757590, +234-9091333000, Email: wacoln ig@gmail.com , wacolnig@yahoo.com , wacolenugu@wacolnigeria.org . WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an: Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).
Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b james Oluleye Crescent (Harmony Enclave), offAdeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, (+234) 818 005 6401, Email: womenadvocate@yahoo.com (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).
Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org (WHER o.d.a): WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.b).
The Women’s Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel: +234 8033188767, +234 8037190133, +234 8033347896, Email: wocon95@yahoo.com , info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönlicher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).
Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.: 08188699961, 08172125692, 07063807887, Email:
Wrapa399@gmail.com , wrapa399@yahoo.com . WRAPA ist eine Organisation, die bun¬desweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, http: //www.awegng.org/contactus.htm , Zugriff 21.4.2020
• AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, http://www.aw egng.org/aboutus.htm , Zugriff 21.4.2020
• EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• EMB D - westliche Botschaft D (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO A- Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• LNGO B - Repräsentantinnen der lokalen NGO B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NAPTIP - National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (9/10.2019): Inter-view im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• NHRC - National Human Rights Commission (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
• ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria
• UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/ system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF , Zugriff 21.4.2020
• UKHO - United Kingdom Home Office (8.2019): Country Information and Guidance Nigeria:
Nigeria:Female Genital Mutilation (FGM), https://assets.publishing.service.gov.uk/gover nment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/825243/Nigeria_-_FGM_-_CPIN_- _v2.0 August_2019_.pdf , Zugriff 21.4.2020
• WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/ , Zugriff 21.4.2020
• WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.a): WARDC - Contact us, http://wardcnigeria.org/contact-us/ , Zugriff 27.4.2020
• WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.b): WARDC - About us, http://wardcnigeria.org/what-we-do/ , Zugriff 27.4.2020
• WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.a): WHER - Contact, https: //whernigeria.org/contact/, Zugriff 21.4.2020
• WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.b): WHER - About us, https: //whernigeria.org/about/, Zugriff 21.4.20120
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womencon sortiumofnigeria.org/?q=content/contact , Zugriff 21.4.2020
• WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenc onsortiumofnigeria.org/?q=about-us , Zugriff 21.4.2020
• WRAPA - Women’s Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https: //wrapanigeria.org/faq/, Zugriff 21.4.2020
1.3. Zum Menschenhandel in Nigeria:
Auf Basis eines aktuellen Berichtes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zum Menschenhandel wird festgestellt:
Der organisierte Menschenhandel bleibt eines der dringlichsten menschenrechtlichen Probleme in Nigeria. Nigeria ist eine Drehscheibe des Menschenhandels und eines der fünf größten Herkunftsländer von Opfern des Menschenhandels in der EU. Menschenhändler missbrauchen häufig das Asylsystem, insbesondere um den Aufenthalt und eine Mobilität in der EU zu ermöglichen. IOM berichtete 2018 von einem Anstieg von nigerianischen Frauen, die über Libyen in die EU reisen; bei 80% könne davon ausgegangen werden, dass sie Opfer sexueller Ausbeutung werden.
Traditionell stammt die Mehrheit der nigerianischen Opfer des Menschenhandels in Europa aus dem südwestlichen nigerianischen Bundesstaat Edo. Laut Europol, der Strafverfolgungsbehörde der Europäischen Union, ist das typische nigerianische Menschenhandelsnetzwerk zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen nicht hierarchisch strukturiert, sondern eher in einzelnen Zellen organisiert. In diesen üben Frauen das Kerngeschäft aus (Rekrutierung und Ausbeutung der Opfer), während Männer in unterstützender Funktion tätig sind. In vielen Fällen kommt der erste Kontakt zwischen dem künftigen Opfer und dem Menschenhändlernetzwerk durch Freunde oder Verwandte des Mädchens zustande. Die konkreten Gespräche über die Reise nach Europa finden oft zuhause bei der Frau oder in anderer familiärer Umgebung statt. In dieser Phase wurden die jungen Frauen zumindest in den ersten Jahren der 1990er mit der Aussicht auf lukrative Verdienstmöglichkeiten als Hausmädchen, Verkäuferin, Frisörin, einer Beschäftigung in Fabriken oder Restaurants sowie der Möglichkeit einer Ausbildung geködert. Mittlerweile ist es in Nigeria jedoch allgemein bekannt, dass sehr viele Nigerianerinnen, die nach Europa reisen, dort als Prostituierte tätig sind.
Den Opfern des Menschenhandels wird stets ein wesentlich höherer Geldbetrag in Rechnung gestellt als der, der für deren Schleusung nach Europa von der Madam bezahlt werden musste. Wie UNDOC berichtet, wird nach Ankunft der Frauen in Europa von den Menschenhändlern nicht der in Nigeria ursprünglich in Naira genannte Betrag, sondern der gleiche Betrag in Euro gefordert. Diese Schuldsumme ist dann von den Frauen in Zwangsprostitution abzuarbeiten, was drei Jahre oder mehr dauern kann. Im Rahmen des nigerianischen Menschenhandels werden die Opfer vor der Abreise nach Europa häufig zu einem Voodoo (oder Juju) - Schrein gebracht, wo der Vertrag zwischen den Frauen und den Menschenhändlern in einer von einem Juju-Priester durchgeführten traditionellen Juju-Zeremonie bestätigt und besiegelt wird
Soweit die Einreise nach Europa durch den Missbrauch des Asylsystems erfolgt, nehmen die Frauen nach ihrer Unterbringung in einer Asylaufnahmeeinrichtung telefonisch Kontakt zu einem Mitglied des Menschenhandelsnetzwerkes auf. Die entsprechende Telefonnummer haben sie bereits bei ihrer Abreise in Nigeria erhalten. Die Kontaktperson organisiert dann die Abholung der Frauen und bringt sie zum Ort ihrer künftigen Beschäftigung. Soweit es sich um noch minderjährige junge Frauen handelt, wird ihnen von den Menschenhändlern aufgetragen, sich bei der Registrierung als volljährig auszugeben. Dies geschieht, damit die Minderjährigen in einer „offenen“ Aufnahmeeinrichtung für Erwachsene untergebracht werden, aus der sie sich einfacher entfernen können und zu der auch die Menschenhändler einen leichteren Zugang haben als bei einer Unterbringung in einer besser kontrollierten Schutzeinrichtung für Minderjährige. Soweit die Einreise über das Mittelmeer nach Italien erfolgte, werden die Mädchen bereits in Italien zur Prostitution gezwungen bevor sie zur Madam in ihr eigentliches Zielland in Europa gebracht werden. Von dort werden die Opfer oftmals in einem Rotationsverfahren auch in andere europäische Städte verbracht.
Eine weitere Tragik im System des nigerianischen Menschenhandels ist, dass manche Opfer nach Abzahlung ihrer Schulden selbst zu Täterinnen werden (Quelle: BAMF).
Staatlicher Schutz
Eine effektive Umsetzung der Gesetze wird durch unzureichende Ressourcen und Kompetenzkonflikte zwischen Zentral- und Bundesstaaten behindert (Quelle: EASO, Country Guidance). Der besonders betroffene Bundesstaat Edo State hat 2018 ein Gesetz gegen den Menschenhandel verabschiedet, das höhere Strafen für Schleuser vorsieht (Quelle: Auswärtiges Amt). Der Gouverneur des Edo State hat zudem eine „Edo State Task Force“ ins Leben gerufen, um den Menschenhandel nach Europa zu bekämpfen (Quelle: US DoS Report).
Gefahren für den Fall einer Rückkehr nach Nigeria
Die wenigsten Opfer von Menschenhandel kehren freiwillig nach Nigeria zurück, obwohl ihnen dies die Möglichkeit bieten würde, sich für ein Programm der unterstützten freiwilligen Rückkehr von IOM zu entscheiden. Die meisten abgeschobenen Frauen werden daher bei ihrer Rückkehr von den Behörden nicht als Opfer von Menschenhandel identifiziert (EASO, Sexhandel).
Dennoch kann auch für Nigeria nicht festgestellt werden, dass Frauen und Mädchen generell dem Risiko unterliegen, Opfer von Frauenhandel zu werden. Es kann ebenfalls nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Opfer von Frauenhandel, das nach Nigeria zurückkehrt, automatisch einer Verfolgung der Menschenhändler unterliegt, welche sie ursprünglich nach Europa verbracht hatten. Dies ist abhängig von der individuellen Situation (UK Home Office). Zu berücksichtigen sind die Höhe der noch offenen „Schulden“, ob das Opfer gegen die Täter ausgesagt hat, die Kenntnisse der Täter über die Familie des Opfers, Alter, Familienstand, finanzielle Mittel, soziales Netzwerk, die Involvierung der Familie in den Menschenhandel, … (Quelle: EASO, Country Guidance)
Manche Opfer von Menschenhandel fürchten eine Vergeltung durch die Menschenhändler oder „Madams“, insbesondere wenn es noch offene „Schulden“ gibt. Die Gefahr einer möglichen Vergeltung liegt eher in einem „Re-Trafficking“ denn in körperlicher Gewalt. Allerdings gibt es auch vereinzelte Beispiele von Entführungen, körperlicher Gewalt, Einschüchterung, Brandlegung oder der Tötung von Familienmitgliedern. Einige Opfer von Menschenhandel weigern sich auch, gegen die Täter auszusagen aus Angst vor Rache. Viele Opfer von Menschenhandel finden sich in einer Menschenhandelssituation wieder; einige aus eigenem Willen, andere werden durch Menschenhändler dazu gezwungen oder durch ihre Familie dazu gedrängt (Quelle: EASO, Country Guidance).
Das Risiko für ein Re-Trafficking steigt insbesondere, wenn die „Schulden“ noch nicht bezahlt sind oder die Frauen ohne Vermögen nach Nigeria zurückkehren. Die Mitglieder der Volksgruppe Edo akzeptieren Prostitution generell nicht; wenn Frauen mit einem gewissen Wohlstand aus Europa zurückkehren, müssen sie dennoch nicht verbergen, woher das Geld stammt (Quelle: EASO, Sexhandel). Die Gefahr einer sozialen Stigmatisierung ist dagegen besonders hoch, wenn die Frauen oder Mädchen ohne Erspartes oder mit gesundheitlichen Problemen zurückkehren (Quelle: EASO, Country Guidance).
Manche, aber nicht alle Frauen bekommen im Fall einer erzwungenen Rückkehr bei offenen „Schulden“ Probleme mit den Menschenhändlern. NAPTIP (siehe unten) kann sie dabei unterstützen, rechtlich gegen die Menschenhändler vorzugehen, doch hängt dies von der Bereitschaft der Opfer zur Aussage bei der Polizei ab.
In den großen Städten des Südens ist es für alleinstehende Frauen einfacher sich eine Existenz aufzubauen als im Norden. Frauen mit einer höheren Bildung haben bessere Voraussetzungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).
NAPTIP und NGOs
Die National Agency for Prohibiton of Trafficking in Persons (NAPTIP) ist die zentrale staatliche Agentur im Kampf gegen Menschenhandel. In den letzten Jahren wurden die Ressourcen stark erhöht, doch sind die Mittel noch immer nicht ausreichend (Quelle: US DoS Report). Aktuell sind mehr als 1000 Mitarbeiter bei NAPTIP beschäftigt (UK Home Office). NAPTIP hat seit ihrer Gründung 2003 359 Verurteilungen von Schleppern erreicht (Quelle: Auswärtiges Amt; Stand 11.09.2018) sowie nach eigenen Angaben seit 2012 bis heute 13.007 Opfern von Menschenhandel assistiert (Quelle: Auswärtiges Amt). Anderen Berichten zufolge wurde 5000 Opfern von Menschenhandel durch NAPTIP geholfen (Quelle: EASO, Actors).
NAPTIP bietet auch Unterstützung für Opfer von Menschenhandel an; dies reicht von Schutzzentren, Beratung, Zugang zum Rechtssystem bis zur Unterstützung bei der Reintegration (Quelle: EASO, Actors). Neben dem Hauptquartier in Abuja gibt es neun Zentren, die das gesamte Staatsgebiet abdecken sollen: Lagos, Benin, Enugu, Uyo, Sokoto, Kano, Maiduguri, Osogbo and Makurdi. In all diesen Zentren gibt es „transit shelters“, in welchen 334 Opfer von Menschenhandel bis zu sechs Wochen untergebracht und medizinisch und psychologisch betreut werden (Quelle: US DoS Report). Daneben bekommen die Opfer von Menschenhandel auch berufliche Ausbildungen (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Auch wenn NAPTIP sich nur um Opfer von Menschenhandel kümmern sollte, werden auch immer andere Verbrechensopfer an die Behörde verwiesen, was die Kapazitäten verringert (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).
Sollte eine längere Betreuung notwendig sein, werden die Mädchen und Frauen an NGOs vermittelt (Quelle: US DoS Report). So führt etwa das Frauenministerium zwei Schutzzentren, welche Opfer von Menschenhandel von NAPTIP zugewiesen bekommen; daneben gibt es in Bakhita Village, Lagos (The African Network Against Human Trafficking – ANAHT), in Benin City (The Nigerian Conference of Women Religious), in Abuja (The Women Trafficking and Child Labour Eradication Foundation – WOTCLEF) und in Jos, Plateau State (Grace Gardens) Schutzzentren (Quelle: EASO, KeySocioEconomic). Es gibt einige NGO´s, die im Kampf gegen Menschenhandel aktiv sind; diese sind in der Dachorganisation „Network of Civil Society Organization Against Child Trafficking, Abuse and Labour“ (NACTAL) vereint (Quelle: EASO, KeySocioEconomic).
Quellen:
„BAMF“ – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland): Länderreport 27; Nigeria; Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, Juni 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033595/laenderreport-27-nigeria.pdf ; Zugriff am 30. September 2020
„EASO Country Guidance“ – European Asylum Support Office: Country Guidance: Nigeria; Guidance note and common analysis, Februar 2019
https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
„Auswärtiges Amt“ (Deutschland): AA-Bericht Nigeria, 10. Dezember 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/1456143/4598_1547113065_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-bundesrepublik-nigeria-stand-oktober-2018-10-12-2018.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
„EASO, Actors“ – European Asylum Support Office: Nigeria; Actors of Protection, November 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2001364/2018_EASO_COI_Nigeria_ActorsofProtection.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
„UK Home Office“ - United Kingdom Home Office, Country Policy and Information Note - Nigeria: Trafficking of women, November 2016, https://www.refworld.org/docid/5833112f4.html (Zugriff am 02.04.2019).
„EASO, Sexhandel“ - European Asylum Support Office: Nigeria: Sexhandel mit Frauen, Oktober 2015.
„EASO, KeySocioEconomic“ – European Asylum Support Office: Nigeria; Key socio-economic indicators, November 2018
https://www.ecoi.net/en/file/local/2001365/2018_EASO_COI_Nigeria_KeySocioEconomic.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
„EASO, Targeting“ – European Asylum Support Office: Nigeria; Targeting of individuals, November 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf (Zugriff am 29. März 2019)
USDOS – US Department of State: 2020 Trafficking in Persons Report: Nigeria, 25. Juni 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2036211.html ; Zugriff am 30. September 2020
2. Beweiswürdigung:
Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Zudem wurde der Beschwerdeführerin Gelegenheit geboten, mittels Parteiengehör Stellung zu ihrer aktuellen persönlichen Situation zu nehmen.
2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Da die Beschwerdeführerin den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht ihre Identität nicht zweifelsfrei fest. Bezüglich Ihres Geburtsdatums ist festzuhalten, dass ein medizinisches Gutachten zur Altersfeststellung eingeholt wurde. Das Ergebnis wich um ein halbes Jahr vom angegebenen Alter der Beschwerdeführerin ab. Im gegenständlichen Verfahren kann die Frage, ob das von der Beschwerdeführerin angegebene Geburtsdatum herangezogen werden sollte, allerdings dahingestellt bleiben, da jedenfalls feststeht, dass die Beschwerdeführerin als Minderjährige nach Österreich gekommen ist und zum Entscheidungszeitpunkt die Volljährigkeit erreicht hat.
Der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ergibt sich aus ihren Angaben in der Stellungnahme nach Parteiengehör. Dass die Beschwerdeführerin traumatisiert ist, wurde im Verfahren gleichbleibend vorgebracht. Eine Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich daraus allerdings nicht. Dass die Beschwerdeführerin derzeit medikamentös behandlungsbedürftig ist, wurde auch in der letzten Stellungnahme vom 23.03.2021 nicht vorgebracht. Es ist daher von ihrer grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit auszugehen.
Ebenso konnten nach Parteiengehör und aufgrund der beigebrachen Bestätigungen über absolvierte Kurse und die Sprachprüfung Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände der Beschwerdeführerin in Österreich getroffen werden. Diese Angaben werden durch Auszüge aus dem Betreuungsinformationssystem und dem ZMR ergänzt, woraus sich der Bezug von staatlicher Unterstützungsleistung und der Wohnsitz ablesen lassen.
Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen in Nigeria, ihrer familiären Situation, ihrer Herkunft sowie ihrer Staatsangehörigkeit gründen sich auf die Angaben der Beschwerdeführerin in der Erstbefragung am 03.05.2017, vor dem BFA (Protokoll vom 03.10.2017) und im Beschwerdeschriftsatz sowie in der aktuellen Stellungnahme nach Parteiengehör.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage im Strafregister der Republik Österreich.
2.3. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin begründete ihre gegenständliche Antragstellung im Wesentlichen damit, dass sie vom Sohn der Stiefgroßmutter, bei der sie aufgewachsen sei, missbraucht worden sei. Man habe ihr das nicht geglaubt und daher sei sie verstoßen worden. Zudem sei sie Opfer von Menschenhandel geworden und in Libyen zur Prostitution gezwungen worden. Konkret wurde das Vorbringen in der Beschwerde folgendermaßen artikuliert: „Die Minderjährige verließ ihr Herkunftsland Nigeria, nachdem ihr versprochen wurde, dass sie in Europa als Kinderbetreuerin Geld verdienen könne und eine Schule besuchen könne. In Nigeria war sie in einer sozial prekären Situation: Ihre Mutter starb bereits bei der Geburt. Der Vater bzw. dessen zweite Ehefrau waren nicht bereit sich um die Minderjährige – damals im Kindesalter – zu kümmern, weswegen der Großvater und dessen zweite Frau (Großstiefmutter der Bf.) die weitere Betreuung übernommen hatte. Als der Sohn der Großstiefmutter sie vergewaltigte, glaubte man ihr nicht, und verstieß sie, weswegen in Folge bei einer ihr bis dahin noch nicht bekannten Frau – „Mama Tega“ unterkommen konnte. Diese Frau nutzte die besondere Schutzbedürftigkeit der Minderjährigen aus, ließ sie für sich arbeiten, duldete auch, dass Gäste in deren Restaurant die Minderjährige unsittlich berührten – dies da „Mama Tega“ dadurch „zufriedene Gäste“ erwartete. […] Schlussendlich organisierte Mama Tega, gemeinsam mit einer anderen Frau – unterstützt durch ihre „Leute“ die Ausreise der Minderjährigen. […] Zur Vorbereitung der Ausreise durchlief die Minderjährige ein sog. Juju-Ritual um sicherzustellen, dass die Reisekosten zurückgezahlt werden. Im Zuge der Vorbereitungen wurde der Minderjährigen eindringlich vermittelt, dass sie die Reisekosten „zurückzahlen“ müsse. […] In Libyen wurde die Minderjährige von kriminellen Gruppen festgehalten und von Mama Tega Geld erpresst, […] allerdings wurde sie folglich von einer anderen nigerianischen Frau von den Kriminellen „ausgelöst“ – sohin „abgekauft“. Infolge dessen war die Minderjährige gezwungen für einen Zeitraum von etwa 2 Jahren sich zu prostituieren […] Der Minderjährigen wurde erklärt, dass diese die Reisekosten „abarbeiten müsse“. […]“ In diesem Vorbringen wird eine Verfolgung durch „Mama Tega“ und der nigerianischen Täterin in Libyen wegen weiterhin offener Schulden behauptet; diese werden im Folgenden näher erörtert.
2.3.1. Zur Frage des sexuellen Missbrauchs durch den Sohn der Stiefgroßmutter:
Vor dem Bundesamt gab die Beschwerdeführerin an, dass sie während des Zusammenlebens mit der Stiefgroßmutter immer wieder von deren Sohn vergewaltigt worden sei. Wenn die Großmutter nicht zuhause war, habe er sie sexuell missbraucht. Sie habe die Vorfälle ihrer Stiefgroßmutter erzählt, diese habe ihr aber nicht geglaubt und sie zu einem Priester geschickt. Auch der habe sie der Lüge bezichtigt und der Großmutter geraten, sie aus dem Haus zu jagen.
Das Bundesverwaltungsgericht hält es durchaus für möglich, dass die Beschwerdeführerin bereits in Nigeria Opfer sexueller Gewalt wurde, ebenso dass ihr dies durch eine im gleichen Haushalt lebende Person angetan wurde. Wenn das Bundesamt vermeint, die Beschwerdeführerin hätte ihr Vorbringen gesteigert, weil sie den Missbrauch nicht bereits in der Erstbefragung angegeben hat, so übersieht es, dass bereits im Protokoll der Erstbefragung unter Pkt. 14 ausdrücklich angeführt wird: „Der Verein LEFÖ-IBF, Ansprechpartnerin […] und das BKA Wien ist über den Sachverhalt bez. Menschenhandel betr. AW in Kenntnis, deshalb keine näheren Ausführungen in Niederschrift“.
Auch mit dem Vorhalt, die Beschwerdeführerin hätte keine fundierten Angaben zum Sohn der Stiefgroßmutter machen können, zeigt es keine Unglaubwürdigkeit auf. Die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt des Missbrauchs noch im Kindesalter und auch zum Zeitpunkt der Einvernahme noch minderjährig und darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Fragen zur Person des Peinigers beim Opfer von sexueller Gewalt eine psychische Belastung darstellen. Die Beschwerdeführerin hat im Übrigen von sich aus geschildert, dass sie ihn „Onkel“ nannte, er nicht arbeitete, im Haus des Großvaters lebte und beschrieb sie auch sein Aussehen. In Zusammenschau mit dem Alter zum Zeitpunkt der Befragung und dem Erlebten sowie der verstrichenen Zeit von mehreren Jahren (die auch durch das Alter der Beschwerdeführerin noch eine größere Bedeutung hat) teilt die erkennende Richterin die Bedenken der belangten Behörde an der Glaubhaftigkeit dieser Angaben daher nicht. Außerdem ergibt sich auch aus den Länderfeststellungen, dass sexuelle Gewalt in Nigeria häufig vorkommt und war die Beschwerdeführerin ohne den Schutz ihrer Eltern und Verwandten besonders vulnerabel.
2.3.2. Zur Frage des Menschenhandels:
Die Beschwerdeführerin brachte vor, bei einer Frau untergekommen zu sein, für die sie als Kinderbetreuerin und als Kellnerin gearbeitet habe. Ihr sei dann versprochen worden, dass sie eine weitere Frau nach Europa bringen würde, wo sie eine Schule besuchen und arbeiten könne. Vor der Ausreise sei sie einem Ritus unterzogen worden und habe sie schwören müssen, der Frau in Europa das Geld für die Reise zurückzuzahlen, sonst werde sie vom Juju getötet. In Libyen sei sie aber von Kriminellen festgehalten worden, um von der „Mama Tega“ Geld zu erpressen. Sie sei von einer Nigerianerin „freigekauft“ worden und diese habe sie in einem Bordell zur Prostitution gezwungen, um die Schulden abzuarbeiten. Bei einer Auseinandersetzung im Laufhaus sei ihr die Flucht gelungen.
Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin erscheint durchaus plausibel und steht es auch in Einklang mit den Berichten über die Struktur und Vorgehensweise der Menschenhändlerorganisationen in Nigeria. Es bestehen zwar gewisse Zweifel seitens der erkennenden Richterin, woher die Kriminellen in Libyen den Kontakt zur „Mama Tega“ in Nigeria herstellen konnten, doch ändert dies letztlich nichts daran, dass glaubhaft erscheint, dass die Beschwerdeführerin als Minderjährige aus Nigeria weggelockt wurde, um letztlich in Europa der Prostitution nachzugehen.
In einer Stellungnahme der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels (LEFÖ-IBF) vom 06.10.2017 wurde zudem dargelegt, dass die Beschwerdeführerin am 23.03.2017 vom Bundeskriminalamt als Opfer von Menschenhandel in die Betreuung des Vereins vermittelt wurde. Es wurde wörtlich ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin „anfangs besonders schwer von den an ihr begangenen Taten beeindruckt [war] und konnte [sie] kaum darüber sprechen. Sie war häufig traurig und zurückgezogen und brach in Tränen aus, wenn ihre Geschichte zum Thema wurde. Die Beamten des Bundeskriminalamtes haben ihr aus dem Grund Zeit gelassen, ihre Aussage zu tätigen […]“.
Auch wenn das Gericht daher davon ausgeht, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um ein Opfer von Menschenhandel handelt und ihre Angaben glaubhaft sind, stellt sich die Frage, ob daraus eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr resultiert. In der Beschwerde wurde dies dahingehend konkretisiert, dass die Beschwerdeführerin eine individuelle Verfolgung durch „Mama Tega“ und die Nigerianerin in Libyen befürchte, weil sie versprechen musste, die Reisekosten zurückzuzahlen. Sie habe zwar in Libyen als Prostituierte für die Nigerianerin gearbeitet, konnte aber bei einer Auseinandersetzung entkommen. Außerdem hat die Beschwerdeführerin in einem Strafverfahren (welches letztlich eingestellt wurde, weil eine Strafverfolgung außerhalb Österreichs nicht möglich war) gegen die betreffenden Personenausgesagt und befürchte sie deshalb die Gefahr, dass diese Rache nehmen oder sie neuerlich zur Ausbeutung „vermitteln“ würden.
Es ist unklar, ob die Beschwerdeführerin von der Stiefgroßmutter oder einem Nachbarn an „Mama Tega“ vermittelt wurde (Protokoll vom 03.10.2017, S. 7). Nachdem der Kontakt zur Menschenhändlerin in der Folge über „Mama Tega“ geknüpft wurde, erscheint es naheliegend, dass es dem Netzwerk möglich wäre, die Beschwerdeführerin aufzuspüren, wenn sie zu ihrer Stiefgroßmutter bzw. zurückkehren würde. Sollte sie wieder bei der Großmutter sein, würde aber auch der Nachbar dies mitbekommen und ist daher unerheblich, wer sie an „Mama Tega“ vermittelt hat. Zudem wäre eine Rückkehr zu ihrer Steifgroßmutter aber auch aufgrund des Umstandes, dass sie als Kind von deren Sohn missbraucht wurde, nicht zumutbar.
In Nigeria lebt (vermutlich) der Vater der Beschwerdeführerin. Dieser hat sie aber zum Großvater geschickt, weil er eine andere Frau hatte. Es ist daher äußerst unwahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin nunmehr zu ihrem Vater zurückkehren könnte und von diesem unterstützt würde. Außerdem gab die Beschwerdeführerin glaubhaft an, keinen Kontakt zum Vater zu haben und den Aufenthaltsort nicht zu kennen.
Zudem werden viele Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, bei einer Rückkehr von ihrer Familie verstoßen. Prostitution wird in Nigeria moralisch nicht akzeptiert, wobei die heimkehrenden Frauen insbesondere dann mit Ablehnung und sozialer Stigmatisierung zu rechnen haben, wenn sie in ihr Heimatland abgeschoben werden und keine finanziellen Mittel vorweisen können. Die Unterstützung durch NGO´s oder NAPTIP kann soziale Netze nicht ersetzen, auch sind die meisten Maßnahmen nur kurzfristig bemessen; so dauert der Aufenthalt in einem Schutzhaus von NAPTIP in der Regel sechs Wochen. Auf der anderen Seite sind Frauen, die in einer NAPTIP-Unterkunft leben, stigmatisiert, weil jeder davon ausgeht, dass sie im Ausland als Prostituierte gearbeitet haben. Daher schicken die NAPTIP-Mitarbeiter sie so bald wie möglich zu ihren Familien oder in Unterkünfte in anderen Gebieten Nigerias (Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Oktober 2015 zu „Nigeria: Sexhandel mit Frauen“; abrufbar unter https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457689242_bz0415678den.pdf ). Für manche Frauen besteht die einzige Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt nach Ablauf der Unterstützung durch gemeinnützige Organisationen zu verdienen, in der Prostitution.
Als ein besonderes Risiko für ein Re-Trafficking von Rückkehrerinnen nennt der EGMR die fehlende Unterstützung, ja Ablehnung durch ihre Familien (vgl. Entscheidung des EGMR V.F. gegen Frankreich vom 29.11.201, 7196/10; bestätigt wird dies auch den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Oktober 2015 zu „Nigeria: Sexhandel mit Frauen“, insbes. S. 36 ff.; Finnish Immigration Service, Country Information Service, Public theme report: Human Trafficking of Nigerian Women to Europe, 24. März 2015 insbes. S. 24 ff., beide mit Hinweisen auf aktuelle Studien aus diversen europäischen Staaten). Zwangsprostituierte, die ohne Geld und/oder krank aus Europa zurückkehren, werden von ihren Familien häufig abgelehnt und wieder in die Prostitution gezwungen. NGOs können soziale Beziehungsnetze nicht ersetzen und die Frauen – wenn überhaupt – nur für kurze Zeit begleiten und unterstützen, so dass diesen häufig nur die Prostitution bleibt, um überleben zu können (vgl. dazu Urteil des Schweizer Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2016, D-6806/2013, S. 38; abrufbar unter http://www.ksmm.admin.ch/dam/data/ksmm/dokumentation/informationen/urteil-bvger-2016-07-18-d.pdf ).
Die Beschwerdeführerin hat im Falle einer Rückkehr keine familiäre Unterstützung zu erwarten; sie wurde bereits als Minderjährige Opfer von sexuellem Missbrauch, Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es besteht daher die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie entweder Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hat, da sie vor den Menschenhändlern flüchtete und auch ihre „Schulden“ nicht bezahlt hatte, oder dass sie erneut in die Hände von Menschenhändlern gerät, da sie keine andere Möglichkeit hat, ihre grundlegenden Bedürfnisse abzusichern. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist auch nicht gegeben, da ihr diese aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität (psychisch belastende Situation, keine soliden familiären Bindungen, keine abgeschlossene Berufsausbildung, Minderjährigkeit bei der Verbringung nach Europa) nicht zumutbar ist.
Zugleich wäre es der psychisch belasteten Beschwerdeführerin nicht möglich, fern eines Familienverbandes für eine eigene Existenz zu sorgen. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin – selbst wenn sie in ersten Zeit ihrer Rückkehr nach Nigeria durch NAPTIP unterstützt würde – nicht in der Lage wäre, selbständig für sich zu sorgen, so dass entweder damit zu rechnen wäre, dass sie sich wieder zu ihrer Stiefgroßmutter begibt, was die Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen erhöhen und wohl auch keine langfristige Unterstützung bedeuten würde, oder dass sie aufgrund ihrer Traumatisierung wieder Opfer sexueller Gewalt und/oder des Frauenhandels würde.
Eine Minderjährigkeit ist zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr gegeben. Dennoch steht fest, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine sehr junge Erwachsene handelt, die als Kind bzw. Minderjährige sexuelle Gewalt erfahren musste. Auch wenn aktuell kein akuter Behandlungsbedarf bestehen sollte, ergibt sich aus den Stellungnahmen der Interventionsstelle LEFÖ-IBF, dass die Beschwerdeführerin mit den Folgen der Traumatisierung zu kämpfen hat und entsprechend betreut und beraten werden muss. Sie leidet an psychischen Problemen und kann von einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgegangen werden, wenn sie nach Nigeria zurückkehren würde, da sie in Nigeria kein starkes familiäres Netzwerk aufzuweisen hat. Erschwerend kommt hinzu, dass alleinstehende Frauen, die nach Nigeria zurückkehren, unter einer Stigmatisierung leiden. Die Beschwerdeführerin ist daher als besonders vulnerabel anzusehen.
Für den Fall einer erzwungenen Abschiebung nach Nigeria wäre mit einer erneuten Traumatisierung und Verschlechterung des psychischen Zustandes zu rechnen, was wiederum negative Auswirkungen auf ihre Erwerbsfähigkeit hätte.
Aufgrund der fehlenden sozialen und familiären Einbettung, des psychisch beeinträchtigten Zustandes der Beschwerdeführerin sowie dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin über keine Berufsausbildung verfügt, und im jugendlichen Alter Opfer sexueller Gewalt wurde, ist davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage wäre, sich in Nigeria aus eigenem eine Existenz zu sichern und aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wahrscheinlich, dass sie in eine existentielle Notlage geraten würde.
2.4. Zu den Länderfeststellungen
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Zu den zur Feststellung zur Situation des Menschenhandels in Nigeria ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage zu machen. Insbesondere wurden die Berichte des European Asylum Support Office berücksichtigt, welche in Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) explizit erwähnt werden, wenn es um die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Einholung genauer und aktueller Informationen über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller geht.
Die Beschwerdeführerin trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht entgegen; die in der Beschwerde vorgenommenen Ergänzungen wurden, soweit entscheidungsrelevant, im gegenständlichen Erkenntnis berücksichtigt bzw. zeigen diese Berichte kein anderes Bild, als im (aktuelleren) Länderinformationsblatt bereits berücksichtigt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
3.1. Zum Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Eine explizite Befürchtung, vom Sohn der Stiefgroßmutter verfolgt zu werden, wurde nicht vorgebracht. Selbst wenn glaubhaft ist, dass er sie als Minderjährige sexuell missbraucht hat, ist von keiner gegenwärtigen Gefahr auszugehen. Zudem wäre eine Bedrohung durch den „Onkel“ nicht als Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe anzusehen.
Darüber hinaus brachte die Beschwerdeführerin aber auch noch vor, Opfer von Menschenhandel zu sein.
Unter „Menschenhandel“ ist im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2011/36/EU „die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über die andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung“ zu verstehen.
Ausbeutung im Sinne der genannten Richtlinie umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung sowie Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen (einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder der Sklaverei ähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme). Ausbeutung liegt vor, sobald eine Person genötigt wird (unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung usw.), wobei es keine Rolle spielt, dass das Opfer seine Zustimmung gegeben hat.
Die Beschwerdeführerin hat glaubhaft dargelegt, dass es sich bei ihr um ein Opfer von Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung handelt.
Im gegenständlichen Fall wurde die Beschwerdeführerin erstens getäuscht (da ihr ein Schulbesuch und Arbeit in Europa versprochen wurden), zweitens genötigt (da ihr in Nigeria bei der Ablegung des Juju-Schwurs gedroht wurde und sie dann in Libyen zur Prostitution gezwungen wurde) und war sie drittens minderjährig, als sie aus Nigeria weggebracht bzw. aus Libyen nach Österreich flüchten konnte.
Es kann auch für Nigeria – das zweifelsohne eine Drehscheibe des Menschenhandels zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung ist - nicht festgestellt werden, dass Frauen und Mädchen generell dem Risiko unterliegen, Opfer von Frauenhandel zu werden. Es kann ebenfalls nicht generell davon ausgegangen werden, dass ein Opfer von Frauenhandel, das nach Nigeria zurückkehrt, automatisch einer Verfolgung durch die Menschenhändler unterliegt, welche sie ursprünglich nach Europa verbracht hatten. Manche, aber nicht alle Frauen bekommen im Fall einer erzwungenen Rückkehr bei offenen „Schulden“ Probleme mit den Menschenhändlern. Es ist daher schwer zu beurteilen, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich mit Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen hätte und welche Form diese hätten. Ebenso erscheint es möglich, dass die Beschwerdeführerin aufgrund einer existentiellen Notlage neuerlich Opfer sexueller Gewalt und/oder wiederum in die Fänge von Menschenhändlern geraten würde. Gerade aufgrund der auch durch ihre angedachte Verbringung nach Europa und die Zwangsprostitution erfolgte Traumatisierung wäre sie in einer besonderen Gefahr.
Unabhängig davon stellt sich aber die rechtliche Frage, ob die Beschwerdeführerin überhaupt als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe („nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben“) angesehen werden kann.
Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (vgl. VwGH 20.10.1999, 99/01/0197; 26.6.2007, 2007/01/0479).
Damit das Vorliegen einer "sozialen Gruppe" im Sinne dieser Bestimmung festgestellt werden kann, müssen nach der Rechtsprechung des EuGH zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe "angeborene Merkmale" oder einen "Hintergrund, der nicht verändert werden kann", gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, "die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten". Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (EuGH 7.11.2013, X u. a., C-199/12 bis C-201/12, Rn. 45; 25.1.2018, F., C-473/16, Rn. 30; 4.10.2018, Ahmedbekova, C-652/16, Rn. 89; vgl. auch VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350). Die Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe erfordert daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, Rn. 17).
Selbst wenn man davon ausgeht, dass nigerianische Opfer von Frauenhandel durch ihre sexuelle Ausbeutung einen gemeinsamen „Hintergrund, der nicht verändert werden kann“ haben, stellt sich die Frage, ob auch das zweite Kriterium der sozialen Gruppe, die „deutlich abgegrenzte Identität, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“, erfüllt ist.
Der Umstand, dass (ehemaligen) Opfern von Kriminalität wie Menschenhandel die Gefahr droht, dass sie von den (nichtstaatlichen) Tätern weiterhin oder neuerlich zum Opfer gemacht werden, reicht nicht aus, um ihnen im Herkunftsland eine deutlich abgegrenzte Identität zu verschaffen, aufgrund derer sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden (VwGH, 11.12.2019, Ra 2019/20/0295). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe nämlich nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479, mit Hinweisen u. a. auf die UNHCR-Richtlinie zum Internationalen Schutz: "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" vom 7. Mai 2002; 29.6.2015, Ra 2015/01/0067).
Aufgrund der unter Punkt 1.3. wiedergegebenen Berichte steht fest, dass nigerianische Frauen, die ohne Vermögen aus Europa zurückkehren, der Gefahr einer sozialen Stigmatisierung unterliegen, da angenommen wird, dass sie der Prostitution nachgegangen sind. Dies wird noch „akzeptiert“, wenn man einen gewissen Wohlstand vorweisen kann, ansonsten kann die Behandlung durch die eigene Familie in Misshandlung, Diskriminierung und dem Druck, sich erneut auf den Weg nach Europa zu begeben, münden. Durch diese Berichte wird allerdings deutlich, dass nicht jede aus Europa zurückkehrende Frau, die Opfer von Menschenhandel wurde, identisch behandelt wird, sondern dass es auf die konkreten Umstände ankommt: So wird etwa eine Frau, welche verheiratet zurückkehrt, anders behandelt werden, als eine alleinstehende Frau mit einem unehelichen Kind und ergibt sich aus den Berichten auch eine unterschiedliche Behandlung von Frauen mit bzw. ohne Vermögen. Eine deutlich abgegrenzte Identität (im Sinne davon, dass sie von der Gesellschaft als andersartig betrachtet werden) aller nach Nigeria zurückkehrenden Frauen, die Opfer von Menschenhandel waren und sich davon befreit haben, kann daher nicht angenommen werden (vgl. dazu VwGH, 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).
Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat Nigeria keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen ist.
3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 200/01/0443).
Die belangte Behörde hat den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass es der Beschwerdeführerin zugemutet werden könne, für ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu sorgen. Die Beschwerdeführerin ist allerdings aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes als besonders vulnerabel anzusehen, was sich sowohl aus der Stellungnahme von LEFÖ-IBF, wie auch aus dem Umstand ergibt, dass ihr als Minderjährige sexueller Missbrauch in mehreren Fällen widerfahren ist.
Auch wenn in Nigeria generell die Möglichkeit einer psychiatrischen Behandlung besteht, ergibt sich aus den Befunden die reale Gefahr einer Retraumatisierung der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria. Eine Unterstützung durch ihre Familie hat die Beschwerdeführerin nicht zu erwarten. Aufgrund der zu befürchtenden Verschlechterung ihres psychischen Zustandes und ihrer fehlenden Berufsausbildung geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass ihr die Annahme einer geregelten Tätigkeit nicht möglich sein wird. Bisher hat sie nur kurz als Kinderbetreuerin und Kellnerin für die Frau gearbeitet, die sie letztlich sexuell ausgenutzt und nach Europa verkauft hat.
Dass alleinstehende Frauen in Nigeria besonderen Schwierigkeiten gegenüberstehen, ergibt sich schon aus den wiedergegebenen Länderfeststellungen (siehe dazu auch VwGH 07.03.2019, 2018/21/0141). Auch wenn dennoch grundsätzlich für alleinstehende Frauen bei einer Rückkehr nach Nigeria trotz aller Schwierigkeiten die Möglichkeit besteht, Unterkunft und Arbeit zu erlangen und es sohin real möglich ist, eine Existenz zu begründen und die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen, sind gegenständlich aber derart exzeptionelle Umstände gegeben, dass im Falle einer Rückkehr der Beschwerdeführerin nach Nigeria die reale Gefahr besteht, dass es ihr nicht möglich ist, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen. Die Beschwerdeführerin leidet an den Folgen der Traumatisierung, die ihre Erwerbsfähigkeit einschränken. Es erscheint glaubhaft, dass sie nicht auf familiäre Unterstützung zurückgreifen kann. Aufgrund der geringen beruflichen Qualifikationen und der wiederholten Erfahrung sexueller Gewalt ist davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage wäre, eine Anstellung zu finden, die ihr eine existenzielle Grundlage sichert. Die Situation erscheint angesichts der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den Arbeitsmarkt zusätzlich erschwert. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, wie die Beschwerdeführerin sich eine, wenn auch bescheidene, Existenz sichern können sollte. Dadurch besteht auch die reale Gefahr, dass sie wieder von einem Menschenhandelsnetzwerk ausgebeutet und erneut Opfer von Menschenhandel wird. Zudem sind Vergeltungsmaßnahmen, wie oben ausgeführt, letztlich nicht auszuschließen.
Die Gewährung eines Status nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 setzt voraus, dass die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK aufgezeigt wird (vgl. zuletzt VwGH, 21.05.2019, Ro 2019/19/0006). Eine solche reale Gefahr besteht im Falle einer Rückkehr für die Beschwerdeführerin für das gesamte Staatsgebiet Nigerias.
Ausschlussgründe im Sinne des § 9 AsylG 2005 liegen nicht vor. Der Beschwerdeführerin ist daher der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 zu erteilen.
3.3. Zur Aufhebung der Rückkehrentscheidung und der Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.
Da im gegenständlichen Fall der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung einschließlich Fristsetzung für die freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat nicht (mehr) vor.
Daher waren die von der belangten Behörde in den Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheides angeordnete „Nichterteilung“ eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria und die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 28 Abs. 2 iVm. § 27 VwGVG ersatzlos aufzuheben.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Der maßgebliche Sachverhalt war aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen (vgl. § 27 VwGVG). Eine mündliche Erörterung hätte auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lassen. Die Voraussetzungen für den Entfall einer mündlichen Verhandlung sind gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 1 VwGVG erfüllt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Zugehörigkeit von Menschenhandel Betroffener zu einer sozialen Gruppe ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu Kriterien für das Vorliegen exzeptioneller Umstände; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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