BVwG W189 2114428-1

BVwGW189 2114428-13.12.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W189.2114428.1.00

 

Spruch:

W189 2114426-1/13E

 

W189 2114428-1/6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine, vertreten durch ARGE-Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2015, Zlen. 1.) 1021556207-14710059 und 2.) 1021556403-14710067, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.11.2018, zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9 FPG und § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

II. In Erledigung der Beschwerden wird die spruchgemäße Erledigung zu § 55 AsylG 2005 gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG ersatzlos behoben.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

Das Vorbringen der Beschwerdeführer steht in einem derartigen Zusammenhang bzw. ist soweit miteinander verknüpft, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller Beschwerdeführer abzuhandeln war. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers (BF2); gemeinsam werden sie als die BF bezeichnet.

 

1. BF1 und BF2, Staatsangehörige der Ukraine, reisten gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 15.06.2014 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

 

Im Zuge der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.06.2014 erklärte BF1, Staatsangehörige der Ukraine, Zugehörige der Volksgruppe der Ukrainer und christlich-orthodoxen Glaubens zu sein. Sie sei ledig und habe ein Kind, BF2. Im Herkunftsstaat habe BF1 die Grundschule von 1988 bis 1997 besucht und habe zuletzt als Schneiderin gearbeitet. Dort würden die Mutter und der Bruder von BF1 leben und sei ihr Vater bereits verstorben. Zum Fluchtgrund gab BF1 zu Protokoll, dass sie am 02.05.2014 in Odessa an einer Demonstration teilgenommen habe, wo ungefähr 50 Personen getötet worden seien. Sie selber habe dabei geholfen, Molotow-Cocktails vorzubereiten und habe nun Angst, von unbekannten Personen umgebracht zu werden. Weiters gab BF1 an, dass BF2 seit seiner Geburt ständig bei ihr sei und für ihn daher dieselben Fluchtgründe gelten würden.

 

2. Am 10.06.2015 wurde BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und gab zu Protokoll, dass sie in ihrer Erstbefragung zwar angegeben habe, ihre Reisepässe würden sich im Herkunftsstaat befinden, diese jedoch beim Schlepper verblieben seien. Sie sei ukrainische Staatsangehörige, Zugehörige der Russischen Volksgruppe und russisch-orthodox. BF1 sei in Moldawien geboren, ledig und gesund. In der Ukraine habe sie die Grundschule besucht, als Schneiderin und danach als Marktverkäuferin gearbeitet. Sie habe keine wirtschaftlichen Probleme gehabt. Auch würden die Mutter und der Bruder von BF1 im Herkunftsort leben; ihr Vater sei im Jahr 2008 gestorben. Ihre Mutter wohne in der Eigentumswohnung von BF1. In der Ukraine habe BF1 einen Lebensgefährten gehabt und habe sie vier Tage in der Woche bei ihm in Odessa gelebt. Sie habe für diesen am Markt gearbeitet und sei er nicht der Vater ihres Kindes - dieser sei unbekannten Aufenthaltes und habe sie BF2 alleine großgezogen.

 

BF1 habe ein Handy mit SMS und Fotos gehabt, jedoch sei es in der Zwischenzeit kaputt gewesen und seien alle Daten verloren gegangen. Dabei habe es sich um Droh-SMS von einer unbekannten Nummer gehandelt, die sie am 07.05.2014 erhalten habe, in denen den BF gedroht und BF2 auch beschimpft worden sei. Davor habe sie einen Anruf von einer unbekannten Nummer erhalten, jedoch habe sie nicht abgehoben und aus Angst das Handy ausgeschaltet. Die SMS sei gleich nachdem sie es wieder eingeschalten hätte gekommen, jedoch wisse sie nachgefragt nicht, ob es dieselbe Nummer gewesen sei. Die SMS sei am Telefonspeicher gewesen, weswegen sie sie trotz SIM-Verlustes in ihrer Erstbefragung habe vorlegen können. Danach gefragt, was BF1 für den Fall ihrer Rückkehr zu befürchten habe, gab sie zu Protokoll, dass sie es nicht wisse, aber glaube, sie könne umgebracht werden. Weiters gab sie zu ihren Fluchtgründen an, dass ihr Lebensgefährte Mitglied des rechten Sektors und auch beim Machtumsturz am Maidan-Platz in Kiew gewesen sei. Dort habe sie ihn auch besucht und auch übernachtet, jedoch sei sie auf sein Anraten am 17.02.2014 wieder zurückgefahren, da "gefährliche Aktionen" geplant gewesen seien. Er sei verändert wieder nachhause gekommen und ihr gegenüber gewalttätig gewesen. Am 02.05.2014 habe ihr Lebensgefährte sie gebeten, leere Bierflaschen zu holen. Er habe sie sodann vom Markt abgeholt und sie seien zur Tankstelle gefahren, wo er einen Benzinkanister vollgefüllt habe. Danach seien sie ins Zentrum von Odessa gefahren, wo sie sie eine Gruppe von Frauen getroffen hätten und habe er BF1 aufgefordert, diesen bei der Herstellung von Molotow-Cocktails zu helfen. Da sie Angst vor ihm gehabt habe, habe sie die Trichter gehalten und Fetzen gerissen. Er sei gewalttätig und aggressiv gewesen und noch dazu habe sie für ihn gearbeitet, er habe sie bezahlt. Von ihrer Mutter, die nur eine Invalidenrente bezogen habe, habe sie keine finanzielle Unterstützung erwarten können. Sie habe sich auch an niemanden sonst wenden können, da die gemeinnützigen Organisationen viel zu lange brauchen würden und habe sie auch niemals mit solchen Organisationen zu tun gehabt. Aufgefordert führte BF1 fort, dass sie danach noch einige Zeit auf dem Platz geblieben seien und sie danach wieder nachhause zu ihrer Mutter und BF2 gefahren sei. Nachgefragt gab sie an, dass ihr Lebensgefährte dabei keine Probleme gemacht habe. Nachdem BF1 die schrecklichen Ereignisse im Fernsehen gesehen habe, habe sie ihn angerufen; ihm sei es gut gegangen. Weiters führte BF1 aus, dass sie bei den Vorbereitungen fotografiert und gefilmt worden sei. Aus diesem Grund sei sie nicht mehr arbeiten gegangen und nur noch mit ihrer Mutter und BF2 zuhause geblieben; sie hätten von Erspartem, der Invalidenrente und den Verkaufserlösen ihrer Mutter gelebt. Am 06.05.2014 habe BF1 den Drohanruf erhalten und am 07.05.2014 die Droh-SMS. Auf Vorhalt, wonach sie eingangs der Befragung angegeben habe, nicht abgehoben zu haben, erwiderte BF1, dass sie doch abgehoben habe. Eine ihr unbekannte männliche Stimme habe sie beschimpft und gesagt, dass man sie finden würde. Sie habe den Anrufer niemals gefragt, wer er sei und was er von ihr wolle, da sie Angst gehabt und das Handy abgedreht habe. Ungefähr drei Wochen vor ihrer Ausreise hätten die BF bei Verwandten gelebt und hätten die Reise durch Erspartes und Leihe von Bekannten finanziert. Befragt gab BF1 zu Protokoll, dass sie Ende Mai das letzte Mal mit ihrem Lebensgefährten telefoniert habe; er habe gesagt, dass er in den Krieg in die Ost-Ukraine fahren werde. BF1 sei niemals persönlich aufgesucht, angegriffen, oder mit Fotos konfrontiert worden. Sie sei auch niemals wegen dem Drohanruf bei der Polizei gewesen. Auf Vorhalt, wonach sie in der Ukraine eine Straftat begangen habe, gab BF1 an, dass ihr das damals nicht bewusst gewesen sei; sie habe auch nicht gewusst, dass sie auf einem öffentlichen Platz sein werde. Sie sei dumm gewesen und habe Angst vor ihrem Lebensgefährten gehabt. BF1 habe im Herkunftsland niemals Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt, es seien keine Gerichtsverfahren anhängig und sei sie auch niemals in Haft gewesen oder festgenommen worden. Sie sie auch niemals Mitglied einer Partei, parteiähnlichen oder terroristischen Organisation gewesen.

 

Zu den Lebensumständen im Bundesgebiet gab BF1 an, dass die BF keine Verwandten oder sonstigen Familienangehörigen in Österreich haben und würden sie von Leistungen aus der Grundversorgung leben. BF1 lerne Deutsch und BF2 besuche die Schule. Die BF seien nicht Mitglieder in Vereinen oder Organisationen und hätten Bekannte im Bundesgebiet. Im Herkunftsstaat lebe noch die Mutter von BF1, zu der sie in telefonischem Kontakt stehe und der es gut gehe; sie bekomme keine Drohungen.

 

Vorgelegt wurden der Inlandsreisepass von BF1 und die Geburtsurkunde von BF2 und eine Deutschkurs Teilnahmebestätigung.

 

Am Ende der Einvernahme wurde BF1 die Möglichkeit gegeben, in die Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat Einsicht zu nehmen und gegebenfalls hierzu schriftlich Stellung zu beziehen. BF1 verzichtete auf eine vollständige Übersetzung und wurden die Feststellungen auszugsweise mit ihr erörtert. Dazu gab sie an, dass die Lage in der Ukraine katastrophal sei, und zwar in allen Bezeigungen - Arbeitslosigkeit, hohe Preise, Besitz von Waffen und Unruhen in den Städten.

 

3. Mit Stellungnahme vom 07.07.2015 wurde durch BF1 moniert, dass sie am Tag ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nervlich angeschlagen gewesen sei und nicht alles habe vorbringen können. BF1 habe ihren Lebensgefährten und ihre Bekannten nicht "verraten" wollen und deshalb bei der besagten Aktion mitgemacht. Auch habe sie mit ihrem Lebensgefährten keine Auseinandersetzung haben wollen, da er aggressiv gewesen sei. BF1 habe keine Hilfsorganisationen besucht, weil sie ihre Hilfe nicht gebraucht habe; sie habe finanziell abgesichert gelebt, ihr Kind großgezogen und habe sie das Land nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

 

4. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurden ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57, 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in die Ukraine festgestellt. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend wurde ausgeführt, dass das Vorbringen hinsichtlich einer Verfolgung von BF1 aufgrund ihrer Beteiligung bei der Herstellung von Molotow-Cocktails, nicht glaubhaft sei, da es widersprüchlich, logisch nicht nachvollziehbar und vage gewesen sei. Auch sei BF1 bis zu ihrer Ausreise niemals persönlich aufgesucht worden. Glaubhaft sei nur, dass sie durch ihren Lebensgefährten genötigt worden sei, bei der Herstellung der Brandflaschen mitzuwirken, wodurch sie sich strafbar gemacht habe aber kein Flüchtling im GFK geworden sei. BF1 sei eine gesunde, arbeitsfähige Frau und könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie sich für den Fall einer Rückkehr in eine ausweglose Lage begeben würde. Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass die BF somit nicht in der Lage gewesen seien, eine Bedrohungssituation iSd. Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen. Die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass kein reales Risiko einer derart extremen Gefahrenlage vorliege, welches einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstelle würde und somit einer Rückführung der BF in ihr Heimatland entgegenstehen würde. Schließlich bestünden im Bundesgebiet keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen haben, nicht gegeben seien.

 

5. Gegen diese Bescheide wurde durch die rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben und wurden diese zur Gänze angefochten. Insbesondere wurde nach Wiedergabe des Sachverhaltes vorgebracht, dass die Behörde ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei und nur unzureichende Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen habe. Die ihr vorgeworfenen Widersprüche in der Einvernahme würden auf Missverständnissen basieren und sei aus dem zeitlichen Kontext der telefonischen Drohungen und den Vorfällen am 02.05.2014 in Odessa für BF1 klar gewesen, weshalb man sie bedroht habe. Auch sei die Mutter von BF1 Ende Juli 2015 aufgesucht worden, da man nach den BF gesucht habe. Die ehemaligen Nachbarn hätten ebenfalls davon berichtet, dass unbekannte Personen immer wieder mit dem Auto vorbeifahren und nach BF1 fragen würden. Insbesondere sei das Privat- und Familienleben der BF falsch beurteilt worden. Sie seien sehr bemüht sich im Bundesgebiet zu integrieren und würden über zahlreiche soziale Kontakte verfügen. BF1 besuche einen Deutschkurs und BF2 die Schule. BF1 leide aufgrund der fluchtauslösenden Ergebnisse an massiven Angstzuständen, Herzrasen und Atemnot und werde demnächst eine Therapie beginnen. Der Beschwerde beigelegt wurden Empfehlungsschreiben, eine Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2014/2015 und eine Bestätigung von OMEGA, Transkulturelles Zentrum für psychische und physische Gesundheit und Integration vom 04.09.2015.

 

6. Mit Eingaben der rechtsfreundlichen Vertretung vom 05.10.2015, vom 20.10.2015 und vom 06.06.2018 wurden Integrationsunterlagen der BF, wie zum Beispiel ein Arbeitsvorvertrag sowie ein Zertifikat des ÖSD für BF1 sowie Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben für die BF zur Vorlage gebracht.

 

7. Am 07.11.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, zu welcher BF1 und die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden. Im Rahmen dessen wurde BF1 Gelegenheit geboten, ausführlich zu ihren Fluchtgründen Stellung zu nehmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete mit Schreiben vom 31.08.2018 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und ist ein Vertreter der Behörde entschuldigt nicht erschienen. Vorgelegt wurden eine Bestätigung eines Auszugs aus dem Hausregister bzgl. des aktuellen Wohnsitzes der Mutter von BF1, ein Zertifikat des ÖSD vom 16.03.2018 betr. bestandener Prüfung Deutsch Niveau B1, eine Bestätigung über die geplante Beschäftigung als Haushaltshilfe für 20 Wochenstunden, Schulbesuchsbestätigungen der HTL Graz-Gösting vom 20.09.2018, das Abschlusszeugnis der NMS Feldkirchen bei Graz, Schuljahr 2017/18 samt Empfehlungsschreiben dieser Schule sowie ein Empfehlungsschreiben eines Freundes von BF2.

 

8. Am 05.12.2018 übermittelte die BF1 durch ihre Rechtsvertreterin eine Stellungnahme und legte einen ärztlichen Entlassungsbrief des LKH Graz Süd-West, Abteilung für Psychiatrie, vom 28.11.2018 bei aus welchem hervorgeht, dass BF1 vom 10.11.bis 29.11.2018 dort stationär in Folge einer suizidalen Krise behandelt wurde, wobei BF1 in weiterer Folge als therapeutische Maßnahme die Einnahme diverser Psychopharmaka (Sertralin, Dominal forte, Seroquel und Passedan Tropfen) empfohlen wurden. Beigelegt wurde weiters ein Empfehlungsschreiben der HTL Graz-Gösting betreffend BF2, der seit September 2018 die erste Klasse der genannten Schule besucht. Schließlich wurde noch auf einen Artikel aus der Tageszeitung "Presse" vom 02.05.2016 verwiesen, der den zweiten Jahrestag betreffend die Brandkatastrophe von Odessa zum Gegenstand hatte.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der BF, beinhaltend die Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.06.2014 und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.06.2015 von BF1, sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.11.2018 samt Stellungnahme vom 05.12.2018, und schließlich durch Einsicht in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS und IZR sowie durch Einsichtnahme in das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine.

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Festgestellt wird, dass die BF Staatsangehörige der Ukraine, Zugehörige der Volksgruppe der Russen und sich zum orthodoxen Glauben bekennen. Sie sprechen sowohl Ukrainisch als auch Russisch. BF2 ist der minderjährige ledige Sohn von BF1. BF1 ist in Moldawien geboren, hat in der Ukraine neun Jahre die Grundschule besucht und den Beruf als Näherin erlernt. Sie hat als Schneiderin und danach als Marktverkäuferin gearbeitet. Im Herkunftsstaat lebten die BF gemeinsam mit der Mutter von BF1 in einer Eigentumswohnung in Odessa, die es auch weiterhin gibt. Der Vater von BF1 ist im Jahr 2008 verstorben und ist der Vater von BF2 unbekannten Aufenthaltes. Die BF hatten im Herkunftsstaat keine finanziellen Probleme und lebten wirtschaftlich abgesichert. Die BF sind gesund.

 

1.2. Die BF stellten nach illegaler Einreise am 15.06.2014 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Ukraine eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

 

Die BF können auch weiterhin in Odessa leben, das weit entfernt von den von Unruhen betroffenen Gebieten in der Ukraine gelegen ist, oder in einem anderen Ort in der Ukraine, wie zum Beispiel in Kiew, und wo die Lage ebenfalls ruhig ist.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

 

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihrem Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

 

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF1 eine weiterführende medizinische/psychiatrische Behandlung in der Ukraine vorsätzlich vorenthalten werden würde.

 

Die BF befinden sich seit Juni 2015 im Bundesgebiet und haben keine Verwandten oder sonstigen Angehörigen in Österreich. BF1 beherrscht das Niveau B1 der deutschen Sprache, engagiert sich freiwillig, arbeitet mit Dienstleistungschecks und verfügt über einen Arbeitsvorvertrag für die geplante Beschäftigung als Haushaltshilfe für 20 Std/Woche, mit einem geplanten Bruttomonatslohn von 867,-

Euro. BF2 geht in die Schule; er besuchte die Neue Mittelschule Feldkirchen bei Graz und hatte dort einen guten Erfolg. Er ist seit dem Schuljahr 2018/2019 in der HTL Graz-Gösting. Die BF haben einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet. Sie leben von Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF sind nicht Mitglieder in Vereinen oder Organisationen und konnte eine überdurchschnittliche Integration der BF im Bundesgebiet nicht festgestellt werden. Die Mutter und der Bruder von BF1 leben weiterhin im Herkunftsort. Die Mutter von BF1, zu welcher BF1 in regelmäßigem telefonischen Kontakt steht, ist sehbehindert, bezieht eine Invalidenrente und ist in ein Wohnheim gezogen. Die Eigentumswohnung von BF1 existiert auch weiterhin und steht leer. Der Bruder von BF1, zu welchem sie nur wenig Kontakt hat, lebt auch in einer Eigentumswohnung in der Nähe von Odessa. BF1 verfügt auch über enge Freundschaften in der Ukraine, die ihr bei der Finanzierung der Ausreise geholfen haben.

 

Die BF sind strafgerichtlich unbescholten und BF1 steht im erwerbsfähigen Alter.

 

1.3. Zum Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

 

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

 

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

 

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

 

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

 

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

 

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

KI vom 30.11.2017, Zeugen Jehovahs (relevant für Abschnitt 15/Religionsfreiheit)

 

In verschiedenen Regionen der Ukraine beklagen religiöse Minderheiten Diskriminierung durch lokale Behörden. Die ukrainischen Gesetze verbieten jedenfalls Diskriminierung aufgrund des Glaubens, und religiöse Gruppen haben auch Möglichkeiten im Gesetzgebungsprozess gehört zu werden. Ukrainische Gerichte haben an mehreren Orten Polizeistrafen aufgehoben, welche gegen Zeugen Jehovahs wegen der Verteilung ihrer Schriften an öffentlichen Orten verhängt worden waren. Es gibt Berichte von physischen Angriffen auf Zeugen Jehovahs und von Vandalenakten gegen ihre Einrichtungen. Für 2016 werden 21 Fälle von Vandalismus (davon drei Brandstiftungen) gegen Königreichhallen gezählt, während es 2015 noch 56 Fälle von Vandalismus (davon fünf Brandstiftungen) waren. Es gibt aber auch Berichte über behördliche Gegenmaßnahmen, etwa die Verurteilung von Tätern bei Körperverletzungen. 2015 hatte der Gemeinderat eines ukrainischen Dorfes im Oblast Kirovohrad alle Religionsgemeinschaften außer der lokalen orthodoxen Gemeinde verboten, darunter auch die Zeugen Jehovahs. Dieses Verbot wurde auf Intervention des Büros des Ombudsmanns zurückgenommen, was die Zeugen Jehovahs sehr begrüßten. (USDOS 15.8.2017a).

 

In früheren Jahren zählten die Zeugen Jehovahs 64 Körperverletzungen (2008-2014) und 190 Vandalenakte (2008-2013) bei, nach eigenen Angaben, 150.000 Mitgliedern. Sie beklagten die Passivität von Polizei und Gerichten bei der Verfolgung der Delikte (JW 28.7.2014). 2014-2016 zählten die Zeugen Jehovahs 115 Übergriffe; acht Täter wurden in diesem Zeitraum gerichtlich verurteilt. Auch beklagten sie Einmischung der Behörden bei der Errichtung von Königreichsälen (UNHRC 31.8.2017). Andererseits sehen die Zeugen Jehovahs in der Ukraine ihre Position im Land durch ein ukrainisches Gerichtsurteil gestärkt, das der Religionsgemeinschaft die Anmietung von Gebäuden erleichtert (JW 24.3.2017). Laut Bericht wurde der Tag der offenen Tür der Zeugen Jehovahs in Lemberg auch von Behördenvertretern besucht (JW 25.7.2017).

 

Die Zeugen Jehovas sind eine jener Religionsgemeinschaften, deren Angehörige in der Ukraine ausdrücklich für einen Wehrersatzdienst aus Gewissensgründen infrage kommen, was auch für den Mobilisierungsfall gilt, wie eindeutig gerichtlich bestätigt wurde (USDOS 10.8.2016) (siehe dazu Kap. 9.1. Wehrersatzdienst, Anm.).

 

Die Separatisten in den selbsternannten Volksrepubliken Donetsk (DPR) und Lugansk (LNR) sperrten unter anderem eine Reihe von Zeugen Jehovahs ein. Nachdem in der DPR ein Gesetz zum Verbot von Sekten erlassen wurde, wurden einige Königreichhallen der Zeugen Jehovas besetzt, zwei davon aber auch wieder zurückgegeben (USDOS 15.8.2017a). Auf der Krimhalbinsel wird faktisch russisches Recht umgesetzt (USDOS 15.8.2017b). Die Zeugen Jehovahs wurden auf der Krimhalbinsel im April 2017 durch Entscheidung des russischen Verfassungsgerichts für illegal erklärt, weil sie eine extremistische Organisation seien. Am 1. Juni 2017 wurden alle 22 Gemeinden dieser Religionsgemeinschaft auf der Krim (geschätzte 8.000 Mitglieder) amtlich abgemeldet. Am 9. Juni 2017 wurde einem Zeugen Jehovahs auf der Krim erklärt, er habe als solcher in der Russischen Föderation kein Recht auf einen Wehrersatzdienst aus Glaubengründen. Am 27. Juni 2017 wurde das Oberhaupt einer Gemeinde der Zeugen Jehovahs wegen unerlaubter Missionierungstätigkeit vor Gericht geladen und starb später am Tag an einer Herzattacke (OHCHR 25.9.2017).

 

Quellen:

 

? JW - Jehovahs Witnesses (24.3.2017): Oberstes Gericht der Ukraine stärkt Versammlungsfreiheit,

https://www.jw.org/de/aktuelle-meldungen/rechtliche-entwicklungen/nach-region/ukraine/high-gericht-st ärkt-versammlungsfreiheit/, Zugriff 29.11.2017

 

? JW - Jehovahs Witnesses (25.7.2017): Behörden­vertreter besuchen Zweigbüro von Jehovas Zeugen in der Ukraine am Tag der offenen Tür, https://www.jw.org/de/aktuelle-meldungen/pressemitteilungen/nach-region/ukraine/behoerdenvertreter-besuchen-zweigbuero-jehovas-zeugen-tag-der-offenen-tuer/ , Zugriff 29.11.2017

 

? JW - Jehovahs Witnesses (28.7.2014): Passivität der Strafverfolgungsbehörden in der Ukraine leistet weiteren Straftaten Vorschub,

https://www.jw.org/de/aktuelle-meldungen/rechtliche-entwicklungen/nach-region/ukraine/religioes-motivierte-gewalt-bleibt-ungestraft/ , Zugriff 29.11.2017

 

? OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights (25.9.2017): Situation of human rights in the temporarily occupied Autonomous Republic of Crimea and the city of Sevastopol, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1506587856_crimea2014-2017-en.pdf , Zugriff 29.11.2017

 

? UNHRC - UN Human Rights Council (31.8.2017): Summary of Stakeholders' submissions on Ukraine; Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1510062028_g1725515.pdf , Zugriff 29.11.2017

 

? USDOS - US Department of State (15.8.2017a): 2016 Report on International Religious Freedom - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/345317/489112_de.html , Zugriff 29.11.2017

 

? USDOS - US Department of State (15.8.2017b): 2016 Report on International Religious Freedom - Ukraine (Crimea), https://www.ecoi.net/local_link/345319/489113_de.html , Zugriff 29.11.2017

 

? USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/328420/455696_en.html , Zugriff 29.11.2017

 

Politische Lage

 

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

 

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka) 142

 

Volksfront (Narodny Front) 81

 

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok) 43

 

Selbsthilfe (Samopomitsch) 26

 

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka) 20

 

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna) 20

 

Gruppe Wolja Narodu 19

 

Gruppe Widrodshennja 24

 

Fraktionslose Abgeordnete 48

 

(AA 2 .2017a)

 

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

 

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

 

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

 

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2 .2017c).

 

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

 

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

 

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Halbinsel Krim

 

Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten:

Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als "extremistisch" eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).

 

Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u.

a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).

 

Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).

 

Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren 2014 und 2015 werden nicht angemessen untersucht (USDOS 3.3.2017b).

 

Die Rechte der Bevölkerung der Krim, besonders der Krimtataren, werden weitgehend verletzt. Der krimtatarische Mejlis wurde verboten und krimtatarische Führungspersönlichkeiten dürfen die Krim nicht betreten oder sind inhaftiert (FH 29.3.2017).

 

Auf der Krim setzten die de-facto-Behörden ihre Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher pro-ukrainischer Opposition fort, wobei sie zunehmend auf russische Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zurückgriffen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Dutzende Personen anstrengten, die als illoyal betrachtet wurden. In keinem der Fälle von Verschwindenlassen, die sich im Anschluss an die russische Besetzung ereignet hatten, gab es gründliche Ermittlungen. Die russischen Behörden hielten Parlamentswahlen auf der Krim ab, die international nicht anerkannt wurden. Die bereits stark eingeschränkten Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden 2016 noch weiter beschnitten. Die Websites einiger unabhängiger Medienkanäle, die in den Jahren zuvor gezwungen waren, ihren Sitz auf das ukrainische Festland zu verlegen, wurden von den De-facto-Behörden auf der Krim gesperrt. Am 7. März 2016 verbot der Bürgermeister von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alle öffentlichen Versammlungen, die nicht von den Behörden organisiert wurden. Ethnische Krimtataren waren von dem Bestreben der De-facto-Behörden zur Beseitigung jeglicher pro-ukrainischer Opposition nach wie vor besonders stark betroffen. Am 18. April wurde der Medschlis, eine von der krimtatarischen Volksversammlung Kurultai gewählte Vertretung, aufgelöst und am 26. April von einem Gericht als "extremistisch" verboten. Das Verbot wurde am 29. September vom Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation bestätigt (AI 22.2.2017).

 

Russland setzt Kritiker der Krim-Okkupation weiterhin politischer Strafverfolgung aus und schränkt die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiter ein. Krimtataren werden unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung verfolgt (HRW 12.1.2017).

 

Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

 

Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren aus. Exemplarisch sei auf das Argument verwiesen, wonach Parkflächen während der Schulferien für Kinderaktivitäten freizuhalten und dementsprechend öffentliche kulturelle Veranstaltungen der Krimtataren aus Anlass des Tags der Flagge der Krimtataren in Simferopol am 26. Juni 2014 zu untersagen seien (ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Ostukraine

 

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2 .2017b).

 

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

 

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

 

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

 

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

 

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

 

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

 

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

 

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

 

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

 

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

 

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

 

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

 

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Die Sicherheitsbehörden unterstehen effektiver ziviler Kontrolle. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Gelegentlich kam es zu Anklagen, oft aber blieb es bei Untersuchungen. Der Menschenrechtsombudsmann hat die rechtliche Möglichkeit, Ermittlungen innerhalb der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsverletzungen zu initiieren. Die Sicherheitsbehörden verhindern generell gesellschaftliche Gewalt oder reagieren darauf. In einigen Fällen kam es aber auch zu Fällen überschießender Gewaltanwendung gegen Demonstranten oder es wurde versäumt Personen vor Drangsale oder Gewalt zu schützen (USDOS 3.3.2017a).

 

Die Sicherheitsbehörden haben ihre sowjetische Tradition überwiegend noch nicht abgestreift. Reformen werden von Teilen des Staatsapparats abgelehnt. Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst (SBU) waren jahrzehntelang Instrumente der Repression; im Bereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gibt es weiterhin überlappende Kompetenzen. Die 2015 mit großem Vertrauensvorschuss neu geschaffene und allseits für ihre Integrität gelobte Nationalpolizei muss sich auseinandersetzen mit einer das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und der Auseinandersetzung im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, einige wenige Personen in der Konfliktregion (Ostukraine) unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

 

Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen Geheimdienst SBU als auch durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Bezüglich der Polizeigewalt gegen Maidan-Demonstranten im Jahre 2014 wurden vier Berkut-Beamte wegen der Tötung von drei Demonstranten und Verletzung 35 weiterer angeklagt (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

 

Da die alte ukrainische Polizei, die sogenannte Militsiya, seit Ende der Sowjetunion mit einem sehr schlechten Ruf als zutiefst korrupt zu kämpfen hatte und sie nach den Ereignissen des sogenannten Euromaidan zu sehr mit - zum Teil tödliche r- Gewalt gegen Demonstranten gleichgesetzt wurde, reagierte die neue Regierung in der post-Janukowitsch-Ära sehr schnell und präsentierte bereits Ende 2014 eine Strategie zur Einführung einer neuen Polizeieinheit, welche korruptionsfrei, weniger militaristisch und serviceorientierter sein sollte. Die relevante Gesetzgebung konnte schließlich im November 2015 in Kraft treten. Die neue Nationalpolizei nahm ihre Tätigkeit aber bereits Anfang Juli 2015 auf, als die ersten 2.000 neuen Beamten nach nur drei Monaten Ausbildung ihren Eid ablegten. Diese kurze Ausbildungszeit erklärt sich auch aus der Notwendigkeit heraus, die neuen Beamten rasch auf die Straße zu bekommen, wo sie wohlgemerkt ohne Anleitung durch erfahrene (Militsiya‑)Beamte Dienst taten, sozusagen als Verkörperung des Wandels. Die etwa 12.000 Nationalpolizisten tun derzeit Dienst in den Großstädten, inklusive Odessa, Kharkiv, Kiew und Lemberg, sowie in 32 Oblast-Hauptstädten im ganzen Land, inklusive der ukrainisch kontrollierten Teile der Ostukraine. Es ist geplant, dass sie danach schrittweise auf den Autobahnen und im ganzen Land tätig werden sollen. Geplant und durchgeführt wurde die Polizeireform v.a. von georgischen Experten, die bereits in ihrer Heimat einschlägige und international beachtete Erfahrungen gesammelt hatten. Um die Trennung vom alten System zu verdeutlichen, wurde die Militsiya angewiesen nicht mehr auf den Straßen präsent zu sein. Dort patrouilliert nur noch die Nationalpolizei. In den Revieren jedoch wird Innendiensttätigkeit weiterhin von der Militsiya verrichtet, deren Ende praktisch besiegelt ist. Die Kooperation zwischen den beiden Wachkörpern ist folglich eher problembeladen. Die neuen Polizisten verrichten praktisch ausschließlich Patrouillentätigkeiit. Wenn sie jemanden festnehmen wird die weitere Ermittlungsarbeit - auch mangels Erfahrung der Nationalpolizisten - weiter von der Militsiya gemacht, bevor es zu einer Anklage kommen kann. Die Reform der Kriminalpolizei und weiterer Einheiten, mit ihren etwa 150.000 Beamten in der gesamten Ukraine, steht erst bevor und wird als der wahre Belastungstest für die Polizeireform gesehen. Mit dem Eintritt der ersten neuen Nationalpolizisten in den Kriminaldienst wird frühestens nach drei Jahren gerechnet. Bewerber für die Nationalpolizei müssen sich eingehender Fitness- und Persönlichkeitstest unterziehen. Angehörige der Militsiya können in den neuen Wachkörper wechseln, müssen aber die Vorgaben erfüllen und sich den Eignungstest unterziehen. Ende 2015 hatten sich 18.044 Milizionäre diesem Prozess gestellt und 62% davon haben die ersten zwei (von drei) Testrunden überstanden (General Skills Test, Professional Skills Test und kommissionelles Interview). An diesem Auswahlprozess sind Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt und die EU beobachtet diesen. Nationalpolizisten werden im Vergleich zur Militsiya sehr gut bezahlt, was Korruption vorbeugen soll. In den ersten zwei Monaten wurden 28 der neuen Beamten entlassen, zwei davon wegen Korruptionsvorwürfen. Trotz dem Mangel an Erfahrung der neuen Polizisten, der immer wieder kritisiert wurde, werden die ersten Monate in denen die neue Nationalpolizei Dienst tat, als Erfolg betrachtet. Im Vergleich zur Militsiya wurden die neuen Beamten öfter gerufen, reagierten aber trotzdem schneller. Die Zahl der Notrufe vervierfachte sich binnen kurzer Zeit, was als Beweis des Vertrauens der Bürger in die Polizei gewertet wird. 85% der Kiewer Bevölkerung halten die Polizei für glaubwürdig, aber nur 5% sagen dasselbe über die Militsiya. In anderen Großstädten sind die Werte ähnlich. Der Anstieg der Kriminalität (+20% in Kiew im Jahre 2015 gegenüber dem Jahr davor) wird von Kritikern in Zusammenhang mit der neuen Polizei gebracht. Jedoch werden auch der Konflikt im Osten des Landes, die allgemein schlechte ökonomische Lage, sowie die Anwesenheit zahlreicher Personen aus der Ostukraine, die aufgrund des Konflikts ihren Lebensmittelpunkt nach Kiew verlagert haben (IDPs und andere) als relevante Faktoren genannt. Auch angeführt wird, dass der Anstieg der Kriminalität eher damit zu tun haben könnte, dass in der Nationalpolizei die Statistiken nicht mehr frisiert und die neuen Polizisten aufgrund höheren Bürgervertrauens schlicht öfter zur Hilfe gerufen werden. Der Wandel der Polizei geht auch einher mit einem Wandel des Innenministeriums, das nach den Worten des Innenministers von einem "Milizministerium" zu einem zivilen Innenministerium europäischer Prägung wurde. Der Rücktritt von Vize-Innenministerin Ekaterina Zguladze-Glucksmann und von Polizeichefin Khatia Dekanoidze, zwei der zahlreichen georgischen Experten, die zur Durchsetzung von Reformen engagiert worden waren, im November 2016, gab bei einigen Beobachtern Anlass zur Sorge über die Zukunft der ukrainischen Polizeireform. Dekanoidze beklagte bei ihrem Abgang, dass, trotzdem es ihr gelungen sei die Grundlagen für einen Polizeikörper westlichen Zuschnitts zu legen, man ihr nicht genug Kompetenzen für eine noch radikalere Reform in die Hand gegeben hätte (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Das sichtbarste Ergebnis der Polizeireform der Ukraine, die am 2. Juli 2015 beschlossen wurde, ist sicherlich die (Neu‑)Gründung der Nationalen Polizei, die im selben Monat noch in drei ausgewählten Regionen und insgesamt 32 Städten (darunter auch Kiew, Lemberg, Kharkiv, Kramatorsk, Slaviansk und Mariupol) ihre Tätigkeit aufnahm. Als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, das anhand von europäischen Standards mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft aufgebaut wurde, stellt die neue Nationale Polizei jedenfalls einen wesentlichen Schritt vorwärts dar. Mit 7. November 2015 ersetzte die neue Nationale Polizei der Ukraine offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte Militsiya. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Struktur aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungs-Prozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritäts-Prüfungen durchlaufen. Mit 20 Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses. Im Zuge dessen wurden 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft. Allgemein wird der vorläufig große Erfolg dieser Reform oft als Aushängeschild der allgemeinen Reformvorhaben gesehen. Nach dem Rücktritt der ehemaligen georgischen Innenministerin Khatia Dekanoidze wurde, im Zuge eines offenen und transparenten Verfahrens, Serhii Knyazev als neuer Leiter der Nationalen Polizei ausgewählt und am 8. Februar 2017 ernannt. Eine gewisse Verlangsamung der Reformen im Polizeibereich ist zu bemerken (ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Folter und unmenschliche Behandlung

 

Obwohl Folter laut Verfassung und Gesetzen verboten sind, gibt es Berichte, dass Sicherheitsbehörden solche Praktiken anwenden. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben, was zu einem Klima der Straflosigkeit beiträgt.

Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Menschenrechtsorganisationen berichten von Todesfällen in Gefängnissen, u.a. wegen Folter. Während der ersten neun Monate 2016 eröffnete die Generalstaatsanwaltschaft 35 Verfahren wegen Vorwürfen von Folter oder erniedrigender Behandlung unter Beteiligung von staatlichen Sicherheitsorganen. Gemäß ukrainischem Innenministerium wurden im selben Zeitraum 133 Ermittlungen bezüglich verschiedener Vergehen gegen Polizisten aufgenommen, davon fünf wegen Folter. 20 Beamte wurden disziplinarisch bestraft und zehn weitere entlassen.

 

Aus der Ostukraine wird berichtet, dass Regierungstruppen und regierungstreue Gruppen dort im Zuge von militärischen Operationen Menschenrechtsverletzungen begehen, auch Folter (USDOS 3.3.2017a).

 

Der "Parliament commissioner for Human Rights" (Ombudsmann) der Ukraine fungiert gleichzeitig als Nationaler Präventivmechanismus (NPM) des Optionalen Protokolls des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (ÖB 4.2017).

 

Im Februar 2016 wurde die neue Ermittlungsbehörde zur Untersuchung mutmaßlicher Straftaten von Ordnungskräften und Militär offiziell ins Leben gerufen. Der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter brach seinen Besuch in der Ukraine am 25. Mai 2016 vorzeitig ab, nachdem der Inlandsgeheimdienst der Ukraine (Sluschba bespeky Ukrajiny - SBU) ihm den Zugang zu einigen seiner Einrichtungen in der Ostukraine verweigert hatte. Berichten zufolge werden dort Gefangene in geheimer Haft gehalten, gefoltert und anderweitig misshandelt. Der Unterausschuss setzte seinen Besuch schließlich im September 2016 fort und erstellte einen Bericht, dessen Veröffentlichung von den ukrainischen Behörden jedoch nicht genehmigt wurde (AI 22.2.2017).

 

Der Menschenrechtskommissar des Europarats besuchte die Ukraine im März 2016 und berichtet von Fällen von Misshandlung durch pro-ukrainische Freiwilligenbataillone und den SBU im Konfliktgebiet der Ostukraine. Im Falle des SBU geschahen diese Misshandlungen meist in Hafteinrichtungen in Kharkiv, Kramatorsk und am Flughafen Mariupol (CoE 11.7.2016).

 

Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe besuchte die Ukraine im November 2016 und berichtete, dass die Mehrheit der Personen, die kürzlich in Haft waren, darauf hinwies, dass die Polizei sie korrekt behandelt hat und es gab keine weiteren Berichte über Misshandlung durch SBU-Beamte oder durch Polizeibeamte in Polizeigefangenenhäusern. Die grundlegenden Rechte (auf einen Arzt, auf einen Anwalt, auf Information) werden vor allem von der Polizei nicht immer gewährt. Es gibt weiterhin Berichte über Gewaltanwendung durch Beamte bei Verhören, um Geständnisse zu erhalten. Obwohl seit 2013 die Schwere der Vorfälle abgenommen hat, ist die Zahl der Vorwürfe immer noch bedenklich. Die Situation in den Untersuchungsgefängnissen ist generell schlechter als in den Justizanstalten, sie sind immer noch stellenweise überbelegt und auch Gewalt unter den Häftlingen ist dort präsenter als in den Justizanstalten (CoE 19.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Korruption

 

Korruption ist in der Ukraine endemisch. Dies findet sich nicht zuletzt im Corruption Perception Index von Transparency International reflektiert, der die Ukraine im Jahr 2016 auf Platz 131 von 176 untersuchten Ländern einstuft. Im Jahr 2007 rangierte die Ukraine im selben Ranking noch auf Platz 118 von 179 untersuchten Ländern. Vor allem seit dem Sturz des Janukowitsch-Regimes zeigt der Trend aber wieder in eine positive Richtung. Die endemische Korruption war einer, wenn nicht der Grund für den Sturz des alten Regimes und vereint weiterhin große Teile der Bevölkerung und vor allem auch der Zivilgesellschaft hinter einem gemeinsamen Ziel. Am 14. Mai 2013 verabschiedete das ukrainische Parlament ein neues Antikorruptionsgesetz, nicht zuletzt aufgrund einer im Aktionsplan zur Liberalisierung des Visaregimes für die Ukraine vorgesehen Vorgabe. Das Gesetz fordert u.a. verstärkte Berichtspflichten für (Neben‑)Einkünfte und Aufwendungen von öffentlich Bediensteten und von Bediensteten staatlicher Betriebe sowie ihrer Familien. Das Gesetz sieht außerdem den Schutz von Personen vor, die Korruption anzeigen. Als positiver Schritt wird die Verabschiedung eines neuen Gesetzes "Über öffentliche Auftragsvergaben" am 10. April 2014 gewertet. Insbesondere die neuen Publizitätskriterien sollen den Vergabeprozess transparenter und damit kontrollierbarer machen. Vor dem Hintergrund der am 26 .Oktober 2014 abgehaltenen vorzeitigen Parlamentswahlen wurde am 14. Oktober 2014 ein neues umfassendes Reformpaket zur Bekämpfung der Korruption vorgelegt, durch das neue Institutionen geschaffen bzw. neue Verfahren zur Korruptionsverhütung und -bekämpfung eingeführt wurden. So wurde die Schaffung des Nationalen Anti-Korruptions-Büros (NABU) beschlossen und am 16. April 2015 eröffnet. Hauptziel des NABU ist es, v.a. Korruption auf höchster (politischer) Ebene zu bekämpfen. Besetzt wurde das Büro infolge eines strikten und offenen Auswahlverfahrens. Die Ausstattung des Büros mit vollwertigen Ermittlungsbefugnissen ist jedoch weiterhin ausständig und innenpolitisch sehr umstritten. Ende 2015 wurde ebenfalls eine gesonderte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft geschaffen, die alle Korruptions-Fälle von der Generalstaatsanwaltschaft übernehmen soll. Als drittes neues Element wurde auch die Nationale Behörde für die Korruptionsprävention (NAPC) ins Leben gerufen. Politisch oft heikle Korruptionsfälle sollen dadurch auf neue, unabhängige Strukturen ausgelagert werden. Vom Leiter des NABU, Artem Sytnyk, sowie zahlreichen im Bereich der Korruptionsbekämpfung tätigen NGOs, als auch von der EU und anderen internationalen Partnern, wird ebenfalls die Schaffung eigener Anti-Korruptionsgerichte gefordert, womit von Ermittlung über Anklage bis hin zum Urteil die Kette bei der Korruptionsbekämpfung durch neue, in der Theorie unabhängigere Institutionen geschlossen wäre. Die Schaffung eines solchen Antikorruptionsgerichtes ist grundsätzlich in der in Kraft getretenen Justizreform vorgesehen, die Vorstellung von Gesetzesentwürfen hierzu verläuft jedoch nur schleppend. Seitens des Präsidenten wird teils öffentlich an der Notwendigkeit zusätzlicher "Parallelstrukturen" gezweifelt. Es kommt auch immer wieder, zuletzt im Herbst 2016 sehr öffentlich, zu Auseinandersetzung zwischen den traditionellen und den neu-geschaffenen Institutionen im Bereich Korruptionsbekämpfung, vor allem auch deshalb, da trotz der Gründung der neuen Institutionen die alten weiterhin viele ihrer Kompetenzen behalten haben. Ein großer Erfolg war nach mehrfacher Verschiebung und mit anfänglichen technischen Schwierigkeiten die Einführung eines umfassenden, der gesamten Öffentlichkeit zugänglichen elektronischen Vermögenserklärungssystems. Mit Stichtag 31. Oktober 2016 mussten alle Politiker und hohen Beamten der Ukraine verpflichtend ihre Vermögenserklärung online abgeben. Es wurden über 100.000 elektronische Vermögenserklärungen registriert. Das System gilt als Schlüsselelement im Kampf gegen die Korruption im Lande und wurde in erster Linie auf massiven internationalen Druck hin eingeführt. Die Veröffentlichung des enormen Reichtums vieler Politiker - die Gesamtsumme der deklarierten Bargeldbestände der 413 Parlamentsabgeordneten beläuft sich auf über €430 Mio. - löste aber auch breite Empörung innerhalb der Bevölkerung aus. Weiterhin problematisch bleibt, dass die mit der Überprüfung der Erklärung beauftragten Behörden nicht in der Lage sind, die enorme Menge an Daten zu verarbeiten. Die bisher eingeleiteten Untersuchungen seitens des NAPC, die mittlerweile teilweise auch schon wieder eingestellt wurden, schienen weiters den Fokus auf regierungskritische Oppositionspolitiker zu legen, anstatt systematisch mit einer Überprüfung der Erklärungen zu beginnen. In den letzten Wochen äußerte vor allem der Premierminister der Ukraine öffentlich und starke Kritik an der Leitung des NAPC (ÖB 4.2017).

 

Trotz Anstrengungen der Regierung zu ihrer Bekämpfung, sind Korruption und die Straflosigkeit in diesem Zusammenhang weiterhin ein Problem auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und Judikative und in der Gesellschaft. Entsprechende Gesetze werden nicht effektiv umgesetzt. 2016 traten einige hohe Amtsträger zurück, die mit dem Auftrag eingesetzt worden waren, die Korruption zu bekämpfen. Es gibt zwei Antikorruptionsbehörden, die National Agency for Prevention of Corruption (NAPC) und das National Anticorruption Bureau of Ukraine (NABU). Das NAPC ist verantwortlich für die Entwicklung der nationalen Antikorruptionspolitik, Beobachtung der Einhaltung der Gesetzgebung und die Überprüfung der Einkommensdeklarationen hoher Beamter. Es ist seit Mai 2015 tätig. Im August 2016 wurde ein e-declaration-System geschaffen, bei dem Beamte ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen. Bis November hatten 120.000 hohe Beamte davon Gebrauch gemacht. Die Ergebnisse sind öffentlich zugänglich. Verdachtsfälle werden zur Ermittlung an NABU weitergeleitet. Das NABU ist die Hauptermittlungsbehörde in Korruptionsfällen betreffend hohe Amtsträger (u.a. Präsident, Minister, Abgeordnete, Gouverneure, etc.). Es ist nur zuständig für Delikte, die nach seiner Gründung 2015 begangen wurden. 25.000 offene Altfälle liegen noch bei der Generalstaatsanwaltschaft. Unterstützt von der ebenfalls neu gegründeten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, wurden jedenfalls bis 1. Oktober 2016 243 Korruptionsverfahren eröffnet. 31 Fälle betreffend 70 Personen, darunter Richter, Staatsanwälte und Beamte, kamen zur Anklage. Viele der Vergehen waren aber eher geringfügig. Als hochrangiger Fall ist die Anklage des Parlamentsabgeordneten Oleksandr Onyshchenko zu nennen, dessen Immunität dafür eigens aufgehoben wurde. Onyshchenko ist aber weiterhin flüchtig. Zwischen Juli 2015 und Juli 2016 wurden in der Ukraine 952 Personen wegen Korruption verurteilt. Davon wurden 312 mit Bußgeldern belegt (70% der Bußgelder blieben unter UAH 20.000), 336 Personen erhielten Bewährungsstrafen und 137 Verurteilungen wurden wieder aufgehoben. 128 Personen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, wogegen in 95 Fällen noch Rechtsmittel anhängig sind. Nur drei dieser 952 Personen waren Beamte in nennenswerter Position. Generalstaatsanwaltschaft und Justiz stehen in der öffentlichen Kritik, weil so wenig hochrangige Korruptionsfälle verfolgt werden. Es gibt Berichte, dass die Generalstaatsanwaltschaft NABU absichtlich behindert. Im August 2016 gab es gar einen Zugriff von Organen der Generalstaatsanwaltschaft auf das NABU-Hauptquartier in Kiew wegen angeblicher illegaler Abhöraktionen des NABU gegen die Generalstaatsanwaltschaft. Später gab es in dem Zusammenhang noch eine widerrechtliche Festnahme von NABU-Beamten. Der Fall wurde später untersucht und drei Mitglieder des Büros des Generalstaatsanwalts suspendiert. Das Lustrationsgesetz von 2014 zur Entfernung von politisch belasteten Mitarbeitern aus dem ukrainischen Staatsdienst ist gemäß Justizministerium zu 99% umgesetzt. Etwa 70.000 Beamte und Amtsträger waren auf der Lustrationsliste. Die Überprüfungen führten zur Entlassung von etwa 1.000 Beamten. Laut parlamentarischem Antikorruptionskomitee wurden 80% der Amtsträger der Ära Janukowitsch von ihren Posten entfernt. Die rigorose Anwendung des Gesetzes wurde aber vermieden. Im SBU wurden etwa nur 50 Beamte der Lustration unterzogen, in der Justiz nur 40 Richter (acht von ihnen bekämpften das Ergebnis und wurden wieder eingesetzt) (USDOS 3.3.2017a).

 

Auch die Finanzierung der politischen Parteien, die Energietarife und das Management der öffentlichen Unternehmen wurden in Angriff genommen. Mit den Antikorruptionsmaßnahmen des Jahres 2016 wurde eine gute Basis gelegt, aber weitere Verbesserungen sind nur mit ausreichendem Willen der politischen Führung möglich (FH 29.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Ombudsmann

 

Der Parlamentarische Menschenrechtskommissar (Ombudsmann) der Ukraine, Valeriya Lutkovska, fungiert gleichzeitig als Nationaler Präventivmechanismus (NPM) des Optionalen Protokolls des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Der Ombudsmann arbeitet beim Monitoring von Haftbedingungen regelmäßig mit NGOs zusammen. Beobachter bewerten sie als effektive Förderin der Menschenrechte. Der Ombudsmann arbeitet als Partner mit führenden Menschenrechtsgruppen zusammen und engagiert sich für die Rechte von Krimtataren, IDPs, Romas, Behinderten, LGBTI-Personen und Häftlingen. Der Ombudsmann kann Untersuchungen von Verfehlungen der Sicherheitsbehörden initiieren (USDOS 3.3.2017a; vgl. ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Am 1.5.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen (AA 7.2.2017).

 

Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:

 

• Stellungspflichtige (Pre-conscripts)

 

• Wehrpflichtige (Conscripts)

 

• aktive Soldaten

 

• zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) - sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden

 

• Reservisten - zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren.

 

(BFA/OFPRA 5.2017)

 

Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für physisch taugliche Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, jedoch für Akademiker nur 12 Monate. Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage). Das System der Wehrpflicht in der Ukraine funktioniert und ist gerecht, aber nur eine kleine Zahl der Wehrpflichtigen wird auf einmal einberufen (16.000 bis 20.000), denn viele Wehrpflichtige sind aus verschiedenen Gründen untauglich (gesundheitliche oder familiäre Gründe, Verurteilungen, usw.). Der Wehrdienst kann aus bestimmten familiären, beruflichen oder Gründen der Bildung verschoben werden (BFA/OFPRA 5.2017). Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt (AA 7.2.2017).

 

Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017). Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z. B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).

 

An den Wehrpflichtigen ergeht ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Im Dezember 2014 wurde vom ukrainischen Verteidigungsministerium verlautbart, dass die Streitkräfte von 130.000 auf einen Personalstand von 250.000 aufgestockt werden sollen. Um dies zu erreichen wurde der Sold für Zeitsoldaten attraktiviert. Ende 2014 lag er bei UAH 3.453 und wurde 2016 nochmals auf UAH 7.000 angehoben (BFA/OFPRA 5.2017). Zum Vergleich: der ukrainische Durchschnittslohn lag im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €) (ÖB 4.2017). Diese Verträge sind derart beliebt (2016 bis September 53.000 Verpflichtungen), dass 2014-2016 40-60% der ukrainischen Soldaten Zeitsoldaten waren, 50% Mobilisierte und 10% Grundwehrdiener. Wehrdiener werden, ebenso wie kampferfahrene Mobilisierte ermutigt, sich als Zeitsoldaten weiter zu verpflichten. 2015 waren 4,4% derer, die Zeitverträge abschlossen Grundwehrdiener, 24,2% waren Mobilisierte und 71,4% waren Zivilisten. Gemäß Gesetz können sich Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren verpflichten (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Es gibt Berichte über Schikane im Militär. Es gab 2016 deswegen einen Selbstmord, der von der Polizei mittlerweile als Tötungsdelikt verfolgt wird (USDOS 3.3.2017a).

 

Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfalle, können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Wehrersatzdienst

 

Das Gesetz über den Ersatzdienst vom 12.12.1991 (Nr. 1975-XII) regelt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Möglichkeit, den Ersatzdienst unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abzuleisten. Die Wehrpflichtigen durchlaufen bei der Stellung sämtliche Untersuchungen im jeweils zuständigen Militärkommissariat. Spätestens zwei Monate vor dem Einberufungstermin muss der Wehrpflichtige bei der für den jeweiligen Wohnort zuständigen Behörde einen begründeten Antrag auf Wehrersatzdienst einreichen. Als Grund ist nur die religiöse Überzeugung bei entsprechender Zugehörigkeit zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft zulässig (AA 7.2.2017), und zwar

 

1. Adventists-Reformists

 

2. Seventh Day Adventists

 

3. Evangelical Christians

 

4. Evangelical Christians-Baptists

 

5. "The Penitents" - the Slavic Church of the Holy Ghost

 

6. Jehovah's Witnesses

 

7. Charismatic Christian Churches (and churches assimilated to them according to registered statutes)

 

8. Union of Christians of the Evangelical Faith - Pentecostals (and churches

 

assimilated to them according to registered statutes)

 

9. Christians of Evangelical Faith;

 

10. Society for Krishna Consciousness

 

(BFA/OFPRA 5.2017)

 

Im Kriegsfalle oder Ausnahmezustand kann das Recht auf den Ersatzdienst gesetzlich für bestimmte Zeit eingeschränkt werden. Der Ersatzdienst dauert 27 Monate, für Hochschulabsolventen 18 Monate. Er wird in staatlichen Sozial-, Gesundheits- und Kommunaleinrichtungen oder beim Roten Kreuz abgeleistet. Der Ersatzdienst hat in der Ukraine kaum Tradition und ist in der Gesellschaft noch wenig verankert. Über die Zahl der Ersatzdienstleister macht das ukrainische Verteidigungsministerium keine offiziellen Angaben. NGO-Vertreter gehen von bislang 7.500 Anträgen aus (AA 7.2.2017).

 

Es gibt Berichte, dass der Wehrersatzdienst auch in der Praxis zugänglich ist, wenn die nötigen Dokumente vorgelegt werden. Es gibt aber auch Berichte, dass Bestechungsgelder verlangt worden wären, um diesen Zugang zu erhalten. Rechtlich ist es auch möglich, wenn auch mit engen Zeitfenstern, dass nach der Einberufung konvertierte Wehrpflichtige noch in den Genuss des Ersatzdienstes kommen können (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Kleriker sind nicht grundsätzlich von der Wehrpflicht ausgenommen. Seit Anfang 2016 ist der militärseelsorgerische Dienst neue geregelt und genaue Auswahlkriterien, Rechte und Pflichten und die rechtliche Stellung der Militärkapläne festgelegt (USDOS 10.8.2016).

 

Das Recht auf religiöse Verweigerungsgründe im Mobilisierungsfalle ist aber nicht eindeutig geregelt. Trotzdem verständigte man sich darauf, die Friedensbestimmungen sinngemäß anzuwenden und informierte die Militärkommissariate entsprechend. Aber es gab dennoch Fälle, in denen dieses Recht verletzt wurde. Gerichtsurteile in solchen Fällen sind uneinheitlich - es gab zumindest einen Freispruch, aber auch mehrere Verurteilungen wegen Nichtbefolgung der Mobilisierung trotz Vorliegens religiöser Verweigerungsgründe. Es ist jedoch nicht ersichtlich, ob in diesen Fällen eine Bestätigung einer der in der Verfassung festgelegten Religionsgemeinschaft vorlag (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. IRF 22.6.2016).

 

Es gab Beschwerden von Religionsgemeinschaften an den Präsidenten und den Premier, dass die Armee versucht Verweigerer aus Gewissengründen trotzdem einzuziehen. Letzteres wird auf Gesetzeslücken zurückgeführt, die im Falle der Mobilisierung keinen Ersatzdienst vorsehen. Die Regierung wurde gebeten das zu reparieren. Im Juni 2016 bestätigte der High Specialized Court of Ukraine das Urteil eines Bezirksgerichts von 2014, dass Verweigerer aus Gewissensgründen auch im Falle der Mobilisierung das Recht auf einen Ersatzdienst haben. Es gab keine weiteren Strafverfolgungen bezüglich des Ersatzdienstes. Im September 2016 wurde vom selben Gerichtshof ein Urteil aufgehoben, mit dem ein Verweigerer aus Gewissensgründen wegen Flucht vor der Mobilisierung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im Juni 2016 unterstütze der Kharkiv District Administrative Court die Beschwerde eines Verweigerers aus Gewissensgründen, der zum Wehrdienst einberufen werden sollte. (USDOS 10.8.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Mobilisierung

 

Gemäß Gesetz können zum Wehrdienst verpflichtete Männer (also solche, die den Grundwehrdienst bereits abgeleistet haben) im Alter von 18 bis 60 Jahren und zum Wehrdienst verpflichtete Frauen zwischen 20 und 50 Jahren dienen. Umfang und Ausgestaltung einer (Teil‑)Mobilisierung sind vom Staatspräsidenten festzulegen. Sie gelten für das gesamte Staatsgebiet mit Ausnahme der Krim. Grundsätzlich gibt es vier Stufen, abhängig von der Eskalation des Konflikts. In der ersten Stufe werden Freiwillige, Reserveoffiziere und -unteroffiziere aus besonders benötigten militärischen Bereichen einberufen. In der zweiten Stufe werden Reserveoffiziere und -unteroffiziere aller militärischen Bereiche einberufe. In der dritten Stufe werden auch Ungediente und Frauen (Ärztinnen, Krankenschwestern, Technikerinnen) einberufen. In der vierten und letzten Stufe muss alles diesen, was eine Waffe halten kann. Am 21. August 2014 beschränkte der Präsident die Mobilisierung auf Reservisten mit Spezialkenntnissen (Fallschirmjäger, Granatwerfertruppen, Artilleristen, Logistiker und andere Spezialisten (Ärzte, Elektriker, Mechaniker, Fahrer), sowie Personen mit Kampferfahrung. Für eine Mobilisierung infrage kamen nur Personen im Alter von 25 bis 46 Jahren. 8% der Mobilisierten waren Frauen, meist Medizinerinnen oder Funkerinnen (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Am 1.Mai.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen (Teilmobilisierungen), die hauptsächlich Reservisten betrafen. Aber auch Grundwehrdienstleistende wurden zur sechsmonatigen Grundausbildung einberufen. Richter, Vollzeitstudenten, Post-Graduate-Studenten, Priester, Väter mit drei und mehr minderjährigen Kindern, Parlamentsabgeordnete und Straftäter sind von der Mobilisierung ausgenommen. Ende Oktober 2016 wurde die 6. Mobilisierungswelle abgeschlossen. Weitere Mobilisierungswellen sind bislang nicht vorgesehen. Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017).

 

Hintergrund für die Mobilisierungswellen war die Notwendigkeit zusätzliches qualifiziertes Personal in die Armee zu holen und eine Rotation der Truppen zu ermöglichen. Von den sechs Mobilisierungswellen in der Ukraine zwischen 2014 und 2016, war die

4. mit ca. 150.000 Einberufenen die umfangreichste. Aber nach den medizinischen Tests wurde nur knapp die Hälfte tatsächlich mobilisiert. Mobilisierte wurden frühestens nach einem dreimonatigen Training in die ATO-Zone geschickt. Es gibt aber auch Berichte, dass die Dinge in der Praxis etwas anders gehandhabt wurden, etwa telefonische Einberufungen, nichterfolgte medizinische Untersuchungen was dazu führte, dass Kranke (Tuberkulose, Epilepsie) einberufen wurden. Einige sollen auch ohne die dreimonatige Vorbereitung in die ATO-Zone verlegt worden sein. Es gibt aber auch Berichte über bewusste Falschinformationen, die von Russland im Internet lanciert werden, um den Mobilisierungsprozess zu stören. Hatte es 2014 noch Beschwerden über die schlechte Ausrüstung gegeben, wurde dieses Problem 2015 gelöst. (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z.B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle (AA 7.2.2017). Binnenvertriebene (IDPs) sind nicht ausgenommen, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Wehrpflichtige haben einen Wohnortwechsel binnen einer Woche zu melden. Im Fall einer Vollmobilisierung, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Bei den bisherigen Mobilisierungswellen war die Vorgehensweise folgendermaßen: An den Wehrpflichtigen ergeht per Post ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats. Bei Unzustellbarkeit wird der Bescheid persönlich zugestellt oder hinterlegt (etwa bei einem Concierge) (BFA/OFPRA 5.2017). Es gibt auch Berichte, dass die Einberufung an die Arbeitsstätte gesandt oder der Betreffende direkt an der Arbeitsstätte abgeholt wurde (AA 7.2.2017).

 

Foto einer sogenannten draft notice (Mobilisierungsbefehl) aus einem online zugänglichen Zeitungsartikel (KP 27.8.2016).

 

Der Betreffende muss zu einer Gesundheitsüberprüfung erscheinen und wird je nach Ergebnis für tauglich, teiltauglich oder untauglich befunden. Wer gesundheitlich untauglich ist, kann nach 6 Monaten zu einer erneuten Untersuchung geladen werden. Es ist ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Tauglichkeitskommission möglich. Nicht mobilisiert werden u.a. bestimmte Funktionsträger, Väter mit fünf oder mehr Kindern unter 16 Jahren und Personen, die sich um Pflegefälle kümmern, Studenten, Lehrer usw. Im Falle einer allgemeinen Mobilisierung ist auch kein Ersatzdienst mehr möglich. Die Bezahlung ist geregelt. Wird ein Mobilisierter verwundet, ist eine Kompensation vorgesehen, die sich am Grad der Behinderung orientiert. Wir ein Soldat getötet, erhält die Familie eine Einmalzahlung von UAH 609.000. Die soziale Absicherung der Soldaten und ihrer Familien wurde legislativ abgesichert, wenn auch der ukrainische Sozialminister Mitte 2016 verlautbarte kaum mehr Mittel für die Kompensationszahlungen für die Einkommen der Mobilisierten zu haben (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Durch die Attraktivierung des Dienstes als Zeitsoldat verpflichteten sich derart viele Personen, dass nach der 6. Mobilisierungswelle auf eine (bereits angekündigte) 7. Welle verzichtet werden konnte. Im November 2016 versicherte Präsident Poroschenko, dass es nach Abschluss der Demobilisierung der 6. Welle keine Mobilisierten mehr an der Front der ATO-Zone geben würde. Die Demobilisierten werden in die Reserve übernommen, wobei diejenigen mit einer guten Akte im Notfall auch als erste wieder mobilisiert würden (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Im Juli 2016 verabschiedete das ukrainische Parlament ein umstrittenes Amnestiegesetz, das die in der ATO-Zone in der Ostukraine eingesetzten Kämpfer für minderschwere Verbrechen der Strafverfolgung ausnehmen würde. Präsident Poroschenko legte aber sein Veto gegen das Gesetz ein. Im Juli verhafteten die Behörden den Chef des Freiwilligenbataillons Aidar wegen Entführungen, Raub und anderen Gewaltverbrechen gegen Zivilisten. Bei der Anklage blockierten Bataillonsangehörige das Gerichtsgebäude und mehrere Parlamentsabgeordnete forderten seine Freilassung. Das Gericht setzte ihn schließlich zur weiteren Untersuchung auf freien Fuß (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Wehrdienstverweigerung / Desertion

 

Die Entziehung vom Wehrdienst wird nach Art. 335 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Eine Mobilisierungsentziehung kann gemäß Art. 336 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Für Entziehung von der Wehrerfassung sieht Art. 337 eine Geldstrafe bis zu 50 Mindestmonatslöhnen oder Besserungsarbeit bis zu zwei Jahren oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vor. Für Entziehung von einer Wehrübung ist Geldstrafe bis zu 70 Mindestmonatslöhnen oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vorgesehen (AA 7.2.2017).

 

Desertion ist gemäß Art. 408 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren strafbar. Wenn sie organisiert in einer Gruppe oder mit Waffe erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zehn Jahren. Wenn die Desertion unter der Geltung von Kriegsrecht oder im Gefecht erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zwölf Jahren. Es gibt eigene Strafen für Soldaten im Falle von Selbstverstümmelung oder anderen Formen sich dem Dienst zu entziehen, die in Art. 409 beschrieben sind. Gemäß Art. 210 des Code of Ukraine ist Vermeidung der Mobilisierung durch Reservisten eine Straftat (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Aufgrund des Problems der Wehrdienstverweigerung regeln seit Jänner 2015 Gesetzesänderungen die Auslandreisen von Personen, die unter die Teilmobilisierungen fallen. Ukrainische Bürger im wehrfähigen Alter müssen demnach ein Dokument eines Militärkommissariats vorweisen, wenn sie ins Ausland reisen wollen (GS 9.2.2017). Demgegenüber besagt der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amts, dass derzeit keine Erkenntnisse vorliegen, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 7.2.2017).

 

Die Mobilisierungswellen waren in der Ukraine nicht sehr beliebt und die Ukrainer unternahmen einiges, um die Mobilisierung zu vermeiden. Viele Personen hatten legale Verweigerungsgründe, aber selbst wenn man diese nicht hatte, war/ist die Verweigerung auch innerhalb der Ukraine recht einfach. Das Ausmaß des Problems ist umstritten. Generell nennen offizielle Stellen eher geringere Zahlen, als andere Quellen. Im März und April 2014 wurde inoffiziellen Zahlen zufolge die Einberufung von 70 bis 95% der Reservisten in Kiew ignoriert. Hunderte ukrainische Männer sollen vor der Wehrpflicht ins Ausland geflohen sein. Es gibt sogar Berichte über Ukrainer die auf der Flucht vor der Mobilisierung in Sri Lanka gestrandet sind. Offiziellen Zahlen zufolge sind 2014 85.792 im Rahmen der Teilmobilisierung Einberufene, nicht erschienen und 9.969 haben erwiesenermaßen den Dienst verweigert. 2015 waren rund 40.000 Mobilisierungsbefehle nötig, um 1.000 Personen tatsächlich einzuziehen. Viele Verweigerer verstecken sich aktiv unter einer anderen als ihrer offiziellen Meldeadresse, während es Fälle geben mag, in denen die Betreffenden ohne Meldung unter einer anderen Adresse leben, verreist sind, etc. Um die Einberufung zu verweigern gibt es de facto viele Wege, zur Not Bestechung, welche in den Militärkommissariaten ein massives Problem darstellt. Es soll sogar Unternehmen möglich gewesen sein Mitarbeiter vom Dienst freizukaufen. Es gibt aber auch Berichte über Rigorose Kontrollen an Straßen, Grenzübergängen und Arbeitsplätzen bei der Suche nach Wehrdienstverweigerern (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Es gibt Berichte über einen korrupten Handel mit medizinischen Untauglichkeitsbescheinigungen in dessen Zusammenhang es zur Verhaftung eines Militärbeamten kam (Reuters 3.2.2015).

 

Darüber hinaus haben 2014 bis zu 30% der Soldaten ihre Posten verlassen, was auf mangelnde Vorbereitung/Ausbildung oder mangelnde geistige Stabilität zurückgeführt wurde. Gegen diese Probleme wurde aber etwas unternommen und später sank die Rate der Soldaten, die den Dienst in der ATO-Zone verweigerten, auf unter 1%. Die ukrainische Armee wird heute als besser geführt und disziplinierter wahrgenommen, als früher. Die Furcht vor der Mobilisierung hat auch dazu geführt, dass sich viele männliche Binnenflüchtlinge nicht aktiv als IDPs registrierten (BFA/OFPRA 5.2017).

 

8.490 Soldaten wurden 2014 Wehrvermeidung strafverfolgt, 2.287 gemäß Art. 407 des Strafgesetzbuches (unerlaubte Abwesenheit), 4.880 wegen Desertion, (Art. 408) und 1.323 wegen Art. 409 (Selbstverstümmelung etc.). 2015 wurden bis Mitte April 7.560 Ermittlungen gegen Soldaten begonnen, davon 1.964 wegen Art. 407, 948 wegen Art. 408 und 107 wegen Art. 409. 2015 wurde ein 40 Jahre alter Mann aus der Ostukraine wegen Nichtbefolgung zweier Mobilisierungsbefehle gemäß Art. 336 zu 3 Jahren Haft verurteilt. 2016 gab es weitere Ermittlungen wegen Wehrdienstverweigerung. Die Gerichte bewerten jeden Fall gesondert, um die individuelle Schwere der Schuld zu bewerten. Wenn der Betreffende mit den Behörden zusammenarbeitet, sind die Gerichte geneigt Strafen zu verhängen, die den Betreffenden nicht von der Gesellschaft isolieren (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Der 6. Mobilisierungswelle haben sich insgesamt 26.800 Personen entzogen, etwa 1.500 davon wurden strafverfolgt. Die Korruption im Militärapparat wird von Verweigerern immer wieder als Schlupfloch genützt. Menschenrechtsanwälte bezweifeln aufgrund der nie erfolgten Ausrufung des Kriegsrechtes generell die Legalität der Mobilisierungen. In Kiew liefen im August 2015 47 Verfahren gegen Wehrdienstverweigerer und ca. 400 Personen verbüßten deshalb Haftstrafen (KP 27.8.2015).

 

2015 hat die Regierung die Strafverfolgung bezüglich Wehrdienstverweigerung verstärkt, wobei sich das Strafmaß oft auf Bewährungsstrafen beschränkte (UNHCR 9.2015; VB 10.12.2015). Viel größer war aber das Problem der ukrainischen Behörden, die Verweigerer bzw. Deserteure aufzufinden. Es war für sie leicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Die Polizei verabsäumte es schlichtweg, Deserteure zu Hause aufzuspüren und festzunehmen (die Ukraine verfügt über keine Militärpolizei, Anm.). Bei den Personen, die sich der Einberufung entziehen, ist es meist so, dass diese nach unbekannt verzogen sind oder das Land überhaupt verlassen haben. Auch medizinische Untauglichkeit war ein zunehmendes Problem (IBT 5.10.2015). Da die Einberufungen an den Ort der aufrechten Meldung gesendet werden, genügt es bereits, sich nicht zu melden und/oder schwarz zu arbeiten, um sich der Zustellung zu entziehen. Aber auch die Korruption ist ein Problem. Zum Teil fordern korrupte Militärbeamte Bestechungsgelder aktiv ein (WP 25.4.2015).

 

Grundsätzlich ist es möglich, dass Ukrainer bei Rückkehr aus dem Ausland strafverfolgt werden, weil sie sich der Mobilisierung entzogen haben, da diese Personen in ein Einheitliches Staatsregister der Personen, die sich der Mobilisierung entziehen, eingetragen wurden. Zugriff auf dieses Register haben der Generalstab der Streitkräfte der Ukraine und auch das Innenministerium. In der Praxis gibt es trotz zahlreicher Fahndungen jedoch nur wenige Anklagen und kaum Verurteilungen (VB 21.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Der Grundrechtskatalog der Verfassung enthält neben den üblichen Abwehrrechten eine große Zahl von Zielbestimmungen (z. B. Wohnung, Arbeit, Erholung, Bildung). Die Ukraine ist Vertragsstaat der meisten Menschenrechtskonventionen. Extralegale Tötungen sind nach den Ereignissen auf dem Euromaidan zwischen November 2013 und Februar 2014 außerhalb der Konfliktgebiete im Osten des Landes nicht mehr bekannt geworden (AA 7.2.2017).

 

Die signifikantesten Menschenrechtsprobleme der Ukraine sind, neben konfliktbezogenen Missbrauchshandlungen in der Ostukraine, Korruption und damit verbundene Straflosigkeit, mangelnde Unterstützung von IDPs, Haftbedingungen, Diskriminierung und Missbrauchshandlungen durch Beamte des Staates und damit verbundene Straflosigkeit. Eine Reihe nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen arbeiten in der Regel ohne Beschränkungen durch die Regierung, untersuchen Menschenrechtsfälle und publizieren ihre Ergebnisse. Die Regierung ist kooperativ und lädt Menschenrechtsgruppen aktiv zu überwachenden Tätigkeiten, Mitarbeit bei Gesetzesentwürfen etc. ein. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiteten 2015 mit der Regierung beim Entwurf der Nationalen Menschenrechtsstrategie und dem diesbezüglichen Aktionsplan zusammen. Der Ombudsmann kritisierte aber die langsame Umsetzung der Strategie und den Widerstand bestimmter Ministerien dagegen, besonders wenn die Rechte von IDPs betroffen sind. Das wird auch von anderen Beobachtern bestätigt (USDOS 3.3.2017a).

 

Die Zivilgesellschaft ist weiterhin das stärkste Element in der ukrainischen demokratischen Transition. Sie spielt eine wichtige Rolle indem sie Reformen vorantreibt, durch die Phase der Gesetzwerdung begleitet, der Bevölkerung kommuniziert und ihre Umsetzung in der Praxis beobachtet. So geschehen im Falle der Antikorruptionsmaßnahmen oder durch Teilnahme an Kommissionen zur Auswahl neuer Beamter im Zuge der Reform des öffentlichen Dienstes usw. (FH 29.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Meinungs- und Pressefreiheit

 

War die Medienlandschaft während der Präsidentschaft von Janukowitsch durch eine merkliche Ausdünnung im Angebot unabhängiger und kritischer Fernsehsender und Zeitungen gekennzeichnet, die nicht zuletzt auf eine fortschreitende Konzentrierung der Eigentumsverhältnisse in den Händen weniger regierungsnaher Vertreter zurückzuführen war, haben die seit Februar 2014 stattgefundenen Umwälzungen spürbare Fortschritte in Richtung einer pluralistischeren und von behördlichen Zwangsmaßnahmen freien Berichterstattung in Radio und Fernsehen geführt. An der strukturellen Abhängigkeit der populären Medien von einigen wenigen, finanzkräftigen Magnaten konnte die neue politische Lage bislang jedoch nichts zu ändern. Laut dem World Press Freedom Index 2016 liegt die Ukraine weltweit auf Rang 107 in Sachen Medienfreiheit - eine signifikante Verbesserung um insgesamt 22 Plätze seit 2015. Zahlreiche Gesetze, etwa das Gesetz über transparente Eigentumsverhältnisse von Medien und die Umwandlung des staatlichen Rundfunks in einen tatsächlichen öffentlichen Rundfunk wurden seit dem Euromaidan erlassen, deren Umsetzung geht jedoch nur langsam voran (ÖB 4.2017).

 

Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen keinen staatlichen Restriktionen, leiden jedoch unter der wirtschaftlichen Schwäche des unabhängigen Mediensektors und dem Übergewicht von Medien, die Oligarchen gehören oder von ihnen finanziert werden (AA 7.2.2017).

 

Verfassung und Gesetze garantieren Rede- und Pressefreiheit. Die Regierung respektiert diese Rechte jedoch nicht immer. Die Regierung setzt gelegentlich Maßnahmen zur Zensur von Informationen, die als Bedrohung für die nationale Sicherheit, Souveränität oder Integrität wahrgenommen werden. Weiter Probleme waren Selbstzensur, gekaufte Berichterstattung und enge Verbindungen zwischen Medienbesitzern und politischen Parteien. In der Ukraine (außerhalb der Krim und den separatistischen Gebieten der Ostukraine) ist freie Meinungsäußerung und Kritik an der Regierung mit wenigen Ausnahmen möglich. Kommunistische und nationalsozialistische Symbole sind verboten, es gab aber diesbezüglich keine Fälle von Strafverfolgung. Äußerungen gegen die nationale Sicherheit, Souveränität oder Integrität, sowie zur Anstachelung von rassistischer oder religiöser Gewalt etc. sind verboten. Unabhängige Medien und Internetseiten sind in der Ukraine aktiv und bringen eine breite Palette von Meinungen zum Ausdruck. Die erfolgreichsten privaten Medien gehören einflussreichen Oligarchen, was sich auf deren Berichterstattung auswirkt. Unabhängige Medien haben außerdem Schwierigkeiten, wirtschaftlich mit diesen zu konkurrieren. Gewalt gegen Journalisten ist weiterhin ein Problem, nimmt aber ab. Die Täter sind Private, keine Staatsorgane. Beklagt wird trotzdem, dass mangelnde Aufklärung solcher Vorfälle einer Kultur der Straflosigkeit Vorschub leiste. Es gibt Berichte über Angriffe auf Journalisten, die zu Behördenkorruption recherchieren. Online-Drohungen gegen Journalisten, vor allem wenn diesen unpatriotische Berichterstattung vorgeworfen wird, ist ein Problem. Gegen den als pro-russisch wahrgenommenen Fernsehsender INTER gab es mehrere gewalttätige Angriffe. Bezüglich eines Brandanschlags laufen behördliche Ermittlungen. Der bekannte Journalist Pavel Sheremet wurde im Juli 2016 in Kiew Opfer einer Autobombe. Die Hintergründe sind unklar. Selbstzensur geschieht meist zum Schutz politischer Verbündeter oder aus Angst, als unpatriotisch zu gelten bzw. Berichterstattung zu liefern, die von Russland als Propaganda genützt werden könnte. Auch die strengen Gesetze bezüglich übler Nachrede werden oft benutzt, um Journalisten einzuschüchtern. Die Regierung verbietet weiterhin gelegentlich Werke angeblich pro-russischer Künstler (Filme, Fernsehsendungen, etc.) oder verhängt Einreisverbote gegen russische Journalisten. Die Signale der meisten russischen Fernsehsender werden blockiert. Anfang 2016 wurde die illegale Beschlagnahme von Material oder Ausrüstung von Journalisten unter Strafe gestellt. Sie illegal von ihrer Arbeit abzuhalten oder zu stören, kann demnach mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Der Zugang zum Internet wird nicht eingeschränkt, wird aber gelegentlich vom Staat überwacht. Es gibt Berichte, dass Nutzer sozialer Medien für angebliche separatistische oder extremistische Aussagen von den ukrainischen Behörden mit Geldstrafen oder gar Gefängnis sanktioniert wurden (USDOS 3.3.2017a).

 

Die ukrainische Medienlandschaft ist pluralistisch und Regierungskritik ist weit verbreitet. Die größten Medien befinden sich unter Kontrolle von Oligarchen, was sich in deren Linie äußert. Ein neuer öffentlicher Rundfunksender wurde offiziell gegründet, budgetäre Probleme und bürokratischer Widerstand verzögerten jedoch seine Inbetriebnahme. Sein Direktor trat wegen des mangelnden Willens der Regierung ihn zu unterstützen zurück. Die Bedeutung des Fernsehens als Informationslieferant ist immer noch groß, nimmt aber ab. Die Nutzung des Internets nimmt zu. Die Medienfreiheit in der Ukraine wird von Freedom House als "partly free" bewertet (FH 29.3.2017).

 

Medien, deren Ausrichtung als pro-russisch oder pro-separatistisch wahrgenommen wurde oder die sich besonders kritisch über die Behörden äußerten, wurden unter Druck gesetzt, u. a. indem man ihnen mit dem Entzug der Zulassung oder mit physischer Gewalt drohte. Das Innenministerium drohte dem Fernsehsender Inter mehrfach mit Schließung. Dem beliebten Fernsehmoderator Savik Shuster, der die italienische und die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde von der ukrainischen Einwanderungsbehörde unter Verletzung geltender Bestimmungen die Arbeitserlaubnis entzogen. Das Berufungsgericht in Kiew setzte die Erlaubnis am 12. Juli 2016 wieder in Kraft. Im Anschluss leiteten die Steuerbehörden ein Strafverfahren gegen Savik Shusters Fernsehsender 3S.TV ein. Am 1. Dezember gab Savik Shuster angesichts des Drucks und fehlender finanzieller Ressourcen bekannt, den Betrieb des Senders einzustellen. Ruslan Kotsaba, ein freiberuflicher Journalist und Blogger aus Iwano-Frankiwsk, wurde am 12. Mai 2016 wegen "Behinderung der rechtmäßigen Aktivitäten der ukrainischen Streitkräfte in einem bestimmten Zeitraum" zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er war 2015 festgenommen worden, nachdem er in einem YouTube-Video ukrainische Männer aufgefordert hatte, sich der Einberufung in die Armee zu widersetzen. Am 12. Juli wurde er in einem Rechtsmittelverfahren freigesprochen und unverzüglich auf freien Fuß gesetzt. Im Fall der Ermordung des Journalisten Oles Buzina, der 2015 von zwei maskierten Tätern erschossen worden war, blieben die Ermittlungen ohne Ergebnis (AI 22.2.2017).

 

Die Regierung setzte weiterhin in Bezug auf die Medienfreiheit umstrittene Maßnahmen, um Russlands Propaganda zu begegnen (HRW 12.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

 

2013 stellte der EGMR fest, dass die ukrainische Verfassung zwar in allgemeiner Form die Versammlungsfreiheit garantiere, dass eine zufriedenstellende Spezifizierung auf einfachgesetzlicher Basis jedoch fehle. Aufgrund der weiterhin bestehenden rechtlichen Unsicherheit wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängigen Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Zu den Verpflichtungen des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung dieser Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, scheinen beispielsweise jedoch nicht rechtlich klar geregelt zu sein, und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden auch einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen. Auch viele andere Elemente auf diesem Bereich sind von einer relativen Rechtsunsicherheit gezeichnet, etwa die Definition der "Friedlichkeit" einer Versammlung. Ende 2015 wurden zwei Gesetzesentwürfe "über die Garantien der Versammlungsfreiheit" in die Rada eingebracht, jedoch vorerst nicht weiter behandelt. Die Verabschiedung eines mit 1. Jänner 2013 in Kraft getretenen Vereinsgesetzes durch das ukrainische Parlament ist als positiver Schritt zu werten, das Gesetz ist unverändert gültig und räumt bislang bestehende administrative Hürden bei der Registrierung und beim Betrieb eines Vereins aus dem Weg. Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Registrierte Vereine können ihre Tätigkeit nunmehr auf das gesamte Territorium der Ukraine ausdehnen. Die Vereinsgründung kann nur aus eng definierten Gründen untersagt werden, und eine Entscheidung über eine allfällige Untersagung der Aufnahme der Vereinstätigkeiten hat innerhalb von sieben Tagen ab Registrierung zu erfolgen. Sofern die Aktivitäten des Vereins dem in den Statuten festgelegten Vereinszweck entsprechen, kann dieser auch wirtschaftlich tätig werden (ÖB 4.2017).

 

Die Versammlungsfreiheit wurde im Euromaidan 2013/2014 unter erheblichen Opfern verteidigt. Sie ist seither unangefochten (AA 7.2.2017).

 

Versammlungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht generell, aber einfachgesetzlich haben die Behörden breite Möglichkeiten das Demonstrationsrecht einzuschränken. 2016 waren die Demonstrationen generell friedlich, zum Teil aber von erheblichen Polizeiaufgeboten begleitet, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Fähigkeit der Nationalpolizei die Sicherheit von Demonstrationen zu gewährleisten, hat sich verbessert. Es gibt Berichte über Gewalt gegen LGBTI-Demonstrationen. Auch die Vereinigungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert, und die Regierung respektiert dieses Recht generell. Lediglich Mitglieder der Kommunistischen Partei sind gewissen Schikanen unterworfen. Kommunistische (und nationalsozialistische) Symbole sind verboten (USDOS 3.3.2017a).

 

Drohungen und Gewalt nichtstaatlicher Akteure halten gelegentlich Gruppen davon ab Demonstrationen abzuhalten, speziell wenn es um LGBTI-Belange geht. Die Zivilgesellschaft floriert seit 2014 (FH 1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Haftbedingungen

 

Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen sind immer wieder Gegenstand von Klagen gegen die Ukraine vor dem EGMR. Die Haftbedingungen in ukrainischen Gefängnissen werden weiterhin von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Als Teil der allgemeinen Reformbemühungen der Ukraine ist derzeit jedoch auch eine Reform des Strafvollzugs im Gange, die auch aktiv von der EU unterstützt wird. Dennoch bleiben die Bedingungen weit hinter europäischen Standards. Als Prioritäten für die anstehende Gefängnisreform nennt die Regierung eine bessere Bezahlung und Ausbildung des Gefängnispersonals, transparente Auswahlverfahren und eine "Demilitarisierung" der Personalstrukturen. Für eine tatsächliche und merkbare Verbesserung der Haftbedingungen in der Ukraine fehlen jedoch in erster Linie die budgetären Mittel. 2014 wurde ein Gesetz angenommen, dass NGOs, Medienvertretern, Parlamentariern etc. den Zugang zu Strafvollzugsanstalten sowie das Führen von vertraulichen Gesprächen mit Häftlingen erlaubt (ÖB 4.2017).

 

Die Haftbedingungen in ukrainischen Untersuchungshaftanstalten und Gefängnissen verbessern sich nur langsam und in den verschiedenen Anstalten nur sehr ungleichmäßig. Fortschritte in einigen Vollzugseinrichtungen kontrastieren mit weiterhin schlechten Zuständen in einigen U-Haftanstalten und unerträglichen Bedingungen in psychiatrischen Einrichtungen. Immerhin ist die Zahl der Insassen nach einer Reform der Strafprozessordnung deutlich rückläufig. Mit Stand 1.9.2016 gab es in der Ukraine ca. 60.000 Häftlinge bei rund 100.000 Haftplätzen. Das stellt einen erheblichen Rückgang im Vergleich zu 2002 (215.000 Häftlinge) dar. Trotz erheblicher Fortschritte sind schlecht bezahltes und unzureichend ausgebildetes Wachpersonal, überbelegte Großraumzellen, mangelhafte Ernährung, unzureichende medizinische Betreuung, unzulängliche hygienische Verhältnisse sowie unverhältnismäßig starke Beschränkungen von Kontakten zur Außenwelt weiterhin nicht völlig verschwunden (AA 7.2.2017).

 

Misshandlung Strafgefangener und Festgenommener durch Polizei und Gefängnispersonal ist weiterhin weit verbreitet. Die Haftbedingungen sind weiterhin schlecht, erreichen nicht internationale Standards und sind bisweilen eine ernste Gefahr für Gesundheit und Leben von Insassen. Misshandlung, Mangel an angemessener medizinischer Betreuung und Ernährung, schlechte hygienische Verhältnisse und Lichtmangel sind anhaltende Probleme. In Polizei- und Untersuchungsgefängnissen sind die Bedingungen schlechter als in Gefängnissen niedriger und mittlerer Sicherheitsstufe. Erwachsene und Jugendliche werden generell getrennt untergebracht, es gibt aber gegenteilige Berichte hierzu aus manchen Untersuchungsgefängnissen. Trotz Reduktion der Häftlingszahlen, ist Überbelegung in Untersuchungsgefängnissen weiterhin ein Problem. Es gibt Berichte von Häftlingen über unbezahlte (Zwangs‑) Arbeit und auch über Gewalt unter Häftlingen. Viele Gefängnisse am Rande der Konfliktzone im Donbas wurden nicht rechtzeitig evakuiert. Seite September 2016 wurden 17 Gefangene von den Separatisten wieder in regierungskontrolliertes Gebiet überstellt. In der Ukraine können Gefangene Beschwerden an den Ombudsmann richten. Dieser hat 2016 bis Oktober 1.114 Beschwerden von Gefangenen oder deren Angehörigen erhalten. Menschenrechtsorganisationen zufolge demotivieren oder zensurieren Gefängnisverwaltungen bisweilen Beschwerden von Insassen bzw. bestrafen diese. Es gibt Beschwerden, dass tuberkulosekranke Häftlinge nicht von anderen Häftlingen getrennt werden. Unabhängige Überwachung der Hafteinrichtung durch nationale und internationale Menschenrechtsgruppen ist erlaubt (USDOS 3.3.2017a).

 

Seit Annahme des Gesetzes über die Nationalpolizei wurden auch viele Substandard-Polizeigefangenenhäuser (temporary holding facilities) zeitweilig geschlossen und sollen renoviert werden. Die Abläufe bei der medizinischen Versorgung der Gefangenen wurden überarbeitet, und erste Schritte zur Einführung eines umfassenden Gefangenenüberwachungssystems gesetzt. Die Mehrheit der Personen, die kürzlich in Haft waren, wies darauf hin, dass die Polizei sie korrekt behandelt hat, und es gab keine weiteren Berichte über Misshandlung durch SBU-Beamte oder durch Polizeibeamte in Polizeigefangenenhäusern. Die grundlegenden Rechte (auf einen Arzt, auf einen Anwalt, auf Information) werden vor allem von der Polizei nicht immer gewährt. Es gibt weiterhin Berichte über Gewaltanwendung durch Beamte bei Verhören, um Geständnisse zu erhalten. Obwohl seit 2013 die Schwere der Vorfälle abgenommen hat, ist die Zahl der Vorwürfe immer noch bedenklich. Die Haftbedingungen in den Polizeigefangenenhäusern sind für die 72 Stunden, welche die Polizei Personen maximal festhalten darf, zufriedenstellend. Die Praxis Personen aber länger dort festzuhalten, anstatt sie in Untersuchungsgefängnisse zu überstellen, besteht aber weiterhin. Die Reform des Gefängnissystems, einschließlich Maßnahmen zur Reduzierung der Zahl der Häftlinge und Stärkung ihrer Rechte, geht weiter. Diese Reformen haben jedoch noch nicht auf die Untersuchungsgefängnisse durchgeschlagen. Sie sind immer noch stellenweise überbelegt und das Regelwerk veraltet. Dort ist auch Gewalt unter den Häftlingen präsenter als in den Justizanstalten. Die medizinische Versorgung wurde als Problem erkannt, und es gibt intensive Bemühungen zu ihrer Verbesserung, auch die Verbesserung der Koordinierung und Kooperation mit dem Gesundheitsministerium. Es gibt aber immer noch zu wenig Wachpersonal, die Gehälter sind niedrig und die Arbeitsbelastung hoch (CoE 19.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Todesstrafe

 

Die Todesstrafe wurde im Jahr 2000 abgeschafft und durch lebenslange Haft ersetzt. Die Ukraine ist Vertragsstaat des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK (AA 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

Relevante Bevölkerungsgruppen

 

Frauen

 

Durch den bewaffneten Konflikt und die Menschenrechtsverletzungen kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wird 2017 erwartet. Es gibt nicht ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall‑) Einrichtungen mit geschultem Personal. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den separatistischen Teilen der Ostukraine sind dort Frauen besonders gefährdet Opfer von Missbrauch, Sexsklaverei und Human Trafficking zu werden (ÖB 4.2017).

 

Die Verfassung schreibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausdrücklich vor. Auch im Übrigen gibt es keine rechtlichen Benachteiligungen. Nach ukrainischem Arbeitsrecht genießen Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Tatsächlich werden sie jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Die Ukraine ist noch immer Herkunftsland für grenzüberschreitenden Menschenhandel (AA 7.2.2017).

 

Vergewaltigung ist gesetzlich verboten, Vergewaltigung in der Ehe wird aber nicht ausdrücklich erwähnt. Es gab 2016 bis September 355 Anzeigen wegen (versuchter) Vergewaltigung, von denen 47 vor Gericht kamen. Häusliche Gewalt ist ebenfalls verboten, aber weiterhin ein ernstes Problem. Man kann dafür unmittelbar für fünf Tage von der Polizei festgenommen werden. Es gab 2016 bis September 922 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt, von denen 833 vor Gericht kamen. Die Situation im Donbas führte zu einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen, sei es durch posttraumatischen Stress unter IDPs oder unter heimkehrenden Kämpfern. Für weibliche IDPS gibt es keine speziellen sozialen Dienstleistungen in diese Richtung. Das Sozialministerium gibt an, in einem halben Jahr ca. 38.000 Verwarnungen und Schutzbefehle wegen häuslicher Gewalt ausgestellt zu haben. Etwa 65.000 Personen sind wegen solcher Vergehen unter Polizeibeobachtung. Staatliche Schutzzentren haben 2016 bis Juli 423 Familien mit 3.934 Personen unterstützt. Sozialzentren überwachen Familien in Zusammenhang mit Missbrauch und NGOs betreiben zusätzliche Zentren in einigen Regionen. NGOs zufolge mussten aber viele staatliche Zentren wegen Geldmangel schließen. Ressourcenknappheit und administrative Hürden (z.B. aufrechte Wohnsitzmeldung, Kapazitäten, etc.) können den Zugang zu Schutzeinrichtungen in der Praxis schmälern. Entlang der Kontaktlinie in der Ostukraine gibt es von beiden Seiten Berichte über sexuelle Gewalt gegen Frauen aber auch Männer (USDOS 3.3.2017a).

 

Geschlechterdiskriminierung ist verboten, dem Problem wird von amtlicher Seite aber wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Arbeitgeber diskriminieren Beobachtern zu folge offen nach Geschlecht, Alter und äußerer Erscheinung. Etwa 12% der Parlamentsabgeordneten sind Frauen und laut Gesetz müssen 30% der Listenplätze bei Wahlen für Frauen reserviert werden. Es gibt aber keine Sanktionen bei Zuwiderhandlung, wohl aber finanzielle Anreize für Parteien (FH 1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Bewegungsfreiheit

 

Die Verfassung und Gesetze garantieren die Freiheit sich innerhalb und außerhalb des Staates frei zu bewegen. Die Regierung schränkt diese Rechte in der Praxis jedoch ein, besonders nahe der Konfliktzone in der Ostukraine (USDOS 3.3.2017a).

 

Die Kontaktlinie zwischen den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Ostukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk (DNR und LNR), ist mittlerweile de facto zu einer Grenze geworden. Bis zu 700.000 Personen oder mehr überqueren diese Grenze im Monat in beide Richtungen, um Sozialleistungen zu konsumieren, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, Verwandte zu besuchen oder einzukaufen. Es gibt sogar einige Arbeitspendler. Seit Jänner 2015 ist zum Überqueren der Kontaktlinie an einem der fünf offiziellen Übertrittspunkte eine eigene Erlaubnis (propusk) nötig, um in die regierungskontrollierten Gebiete (government controlled areas, GCA) einzureisen. Diese werden vom ukrainischen Geheimdienst SBU ausgestellt. Seit im Juli 2015 ein elektronisches System eingeführt wurde, ist es aber leichter geworden. An den Übertrittspunkten sind auf ukrainischer Seite Vertreter verschiedener Behörden vertreten: Grenzwache, Armee, Polizei und Finanzbehörden. Freiwilligenbataillone sind dort nicht mehr vertreten. Es wird gegenüber der Krim und der DNR/LNR von der ukrainischen Grenzwache dasselbe Regime angewendet wie an einer Außengrenze. Papiere der selbsternannten "Behörden" der DNR/LNR werden zur Einreise in die Ukraine nicht anerkannt. Wer nur solche Dokumente besitzt, muss sich ukrainische Dokumente ausstellen lassen. Dazu sind ukrainische Notare an den Übertrittspunkten anwesend. Es besteht hierzu andauernder Kontakt zwischen der Grenzwache und dem staatlichen Migrationsdienst. Die Anwesenheit so vieler Behördenvertreter an den Übertrittspunkten garantiert generell die Einhaltung der Gesetze, es gibt aber Berichte über Korruption. Von den Checkpoints der Armee gibt es Beschwerden über rüdes Verhalten der dort eingesetzten Soldaten. Es gibt Beschwerdemechanismen, wie etwa die Anti-Terrorist Operation Hotline, aber diese sind nicht allen bekannt. Auf der NGCA-Seite gibt es Berichte über Beleidigungen. Außerdem sammeln die separatistischen Kräfte Berichten zufolge die International Mobile Station Equipment Identity (IMEI) von Zivilisten (das ist eine eindeutige 15-stellige Seriennummer, anhand derer jedes Mobiltelefon weltweit eindeutig identifiziert werden kann, Anm.) und prüfen Bilder und SMS auf deren Mobiltelefonen. Die Übertrittspunkte haben im Sommer in der Regel von 6-20 Uhr geöffnet; im Frühjahr/Herbst von 7-18:30 und im Winter von 8-17:00 Uhr. Aber sie werden immer wieder spontan geschlossen, oft wegen Sicherheitsbedenken. Im Sommer kann der Übertritt so bis zu 36 Stunden in Anspruch nehmen. Manchmal müssen Reisende über Nacht warten. Infrastruktur (Wasser, Toiletten) gibt es kaum. Ungeräumte Landminen abseits der Straßen sind ebenfalls eine Gefahr für Reisende. Zusätzlich erschwert wird der Reiseverkehr dadurch, dass öffentliche Transportmittel (Busse, Züge) nicht die Kontaktlinie überqueren dürfen, wodurch die Reisenden gezwungen den Übertritt zu Fuß hinter sich zu bringen und auf der anderen Seite mit einem anderen Verkehrsmittel weiterzufahren (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Am 4. April 2016 trat das Gesetz Nr. 888-19 "On Amendments to Several Legislative Acts of Ukraine on Extension of Authorities of Local Self-Government Agencies and Optimization of Administrative Services" vom 10. Dezember 2015 in Kraft Es enthebt den Staatlichen Migrationsdienst der Ukraine von seiner Kompetenz, die Wohnsitze der Bürger zu registrieren (Wohnsitzmeldung und -abmeldung) und legt diese Aufgabe in die Hände der lokalen Verwaltungskörper. Die Resolution des Ministerkabinetts Nr. 207 vom 2. März 2016 enthält nähere Bestimmungen zur Wohnsitzmeldung. Gemäß der neuen Rechtslage müssen Ukrainer einen Wohnsitzwechsel binnen 30 Tagen melden. Mit 1. Oktober 2016 trat das Gesetz "On the Uniform State Demographic Register and Documents Confirming Citizenship of Ukraine, ID or Personal Status" in Kraft. Auch dieses Gesetz brachte erhebliche Neuerungen. War es bis dahin verpflichtend, sich mit vollendetem 16. Lebensjahr einen Inlandspass ausstellen zu lassen, ist dies seither mit vollendetem 14. Lebensjahr zu tun. Der Inlandspass hat nunmehr die Form einer ID-Karte. Zuständig ist nach wie vor der Staatliche Migrationsdienst (NRC 2016). Auf der neuen ID-Karte ist ein Chip auf dem die Wohnsitzmeldung gespeichert wird. Wenn die lokale Behörde das nicht bewerkstelligen kann, erhält man stattdessen eine Meldebestätigung und muss auf die Bezirksbehörde gehen und den Wohnsitz dort im Chip speichern lassen (GP o.D.).

 

Als Wohnsitz gilt der Ort, an dem man für mehr als sechs Monate im Jahr lebt (SMS 31.5.2016). Ein Ukrainer oder legal aufhältiger Fremder muss sich binnen 30 Kalendertagen ab Abmeldung seines vorherigen Wohnsitzes am neuen Wohnort anmelden. Früher waren lediglich zehn Tage vorgesehen. Man kann dafür nur noch einen Wohnsitz anmelden. Die Information über Ab- und Anmeldung werden von den lokalen Behörden dem Staatlichen Migrationsdienst weitergegeben, welcher die in das Unified State Demographic Register einträgt (Lexology 19.4.2016).

 

Ein normaler ukrainischer Bürger kann die Meldeadresse einer anderen Person legal nicht in Erfahrung bringen, da es dem Gesetz über den Schutz der persönlichen Daten widersprechen würde. Das Gesetz schreibt vor welche Behörden in welchen Fällen (etwa die Polizei im Rahmen einer Ermittlung) die Meldeadresse einer Person abfragen darf. Ob es möglich ist diese Regelungen durch Korruption zu umgehen, kann nicht eingeschätzt werden (VB 21.7.2017). (Es sei dazu allgemein auf die Kapitel 7. Korruption und 5. Sicherheitsbehörden dieses LIB hingewiesen, Anm.)

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

IDPs und Flüchtlinge

 

Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons - IDPs) ist bis Januar 2017 auf 1.650.410 Personen gestiegen. Nach Angaben von UNHCR halten sich darüber hinaus

1.481.377 Ukrainer in Nachbarländern auf (Asyl und andere legale Formen des Aufenthalts) auf. Die Registrierung, Versorgung und Unterbringung von IDPs erfolgt auf Basis des 2014 in Kraft getretenen IDP-Gesetzes (AA 7.2.2017).

 

Zwar versucht die ukrainische Regierung die Situation der IDPs zu verbessern und hat seit Ausbruch des Konflikts auch einiges an Fortschritten erzielt, dennoch bleibt beispielsweise der Zugang zu Wohnmöglichkeiten und sozialen Leistungen oft schwierig. Die Integration der IDPs, die über die ganze Ukraine verteilt sind, wird mangels Budgetmittel hierfür oft nur unzureichend gefördert und in vielen Fällen nur dank intensiven Bemühungen der Zivilgesellschaft vorangetrieben (ÖB 4.2017).

 

Im Zuge der Entwicklungen um die Annexion der Krimhalbinsel durch Russland wurden schon geschätzte 50-60.000 Personen innerhalb der Ukraine vertrieben. Viele davon wollen oder können nicht auf die Krim zurückkehren, solange diese in russischer Hand ist. Der Konflikt um den Donbas hatte noch größere Auswirkungen. 1,7 Millionen Menschen sind in der Ukraine offiziell als Binnenvertriebene (Internally Displaced Persons, IDPs) registriert. Es wird angenommen, dass es viel mehr Betroffene gibt, da viele sich nicht registriert haben. Gründe für die Nichtregistrierung sind vielfältig: fehlende Papiere, Angst vor der Wehrpflicht, Angst vor Diskriminierung, Abneigung gegen die Behörden, etc. Jedenfalls können nur registrierte IDPs die entsprechende Unterstützung erhalten. Von diesen 1,7 Mio. leben aber nur 800.000 bis 1 Mio. dauerhaft in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten (government controlled areas, GCA, im Gegensatz non-government controlled areas, NGCA). Der Rest lebt (wieder in den NGCA bzw. pendelt regelmäßig hin und her. Von den IDPs in der Ukraine registrierten sich die meisten im Osten des Landes, in der Nähe ihrer Herkunftsorte. Die meisten sind privat untergebracht (Familie, Freunde, Freiwillige) oder eingemietet, obwohl leistbare private Unterbringung oft von schlechter Qualität ist. Viele suchen die offizielle Hilfe angeblich gar nicht. Nur die ärmsten oder schwächsten bleiben in den kollektiven Zentren (weniger als 5%), die eigentlich als kurzzeitige Unterbringung intendiert waren. Meist handelt es sich um Ferienanlagen, Sanatorien, etc. Meist sind sie eher abgelegen und daher unattraktiv. Eine übergreifende nationale Strategie zur Unterbringung oder Integration der IDPs gibt es nicht. Ende 2016 gab es 270 derartige Zentren für etwa 10.000 IDPs, die meist keine Mittel für eine alternative Unterbringung haben. Die Unterbringungsdauer ist zwar nicht begrenzt, wenn die Zentren aus Geldmangel schließen müssen, sind die Leute oft gezwungen in die NGCA zurückzukehren. NGOs beliefern die Zentren oft mit Nahrungsmitteln. In den Zentren ist in der Regel Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegeben. Grundsätzlich haben IDPs ein Recht auf medizinische und psychologische Behandlung in den kommunalen medizinischen Einrichtungen am Ort der Wohnsitzmeldung. Hier ist oft die Finanzierung ein Problem, welche die Kommunen stemmen müssen, da die Regierung keine zusätzlichen Gelder für die Krankenversorgung der IDPs an die Gemeinden ausgeschüttet hat. Ein weiteres Problem ist die im medizinischen Sektor weit verbreitete Korruption, wodurch vieles selbst zu bezahlen ist. Wenn IDPs arbeitsfähig sind, sind sie dazu angehalten sich Arbeit zu suchen.

Sie bekommen dann für sechs Monate Beihilfen: UAH 880 für die ersten zwei Monate, UAH 440 für die nächsten zwei Monate und UAH 220 für die letzten zwei Monate. (Familien erhalten so bis zu UAH 2.000 im Monat. Wer dies nicht erhält (aus welchen Gründen auch immer, lebt von Erspartem und/oder NGO-Hilfe. Auch die Integration in den Arbeitsmarkt ist problematisch. 38% der IDPs waren im September 2016 arbeitslos. In einigen Städten gibt es Pilotprojekte, um IDPs bei der Jobsuche und Integration zu unterstützen. Seit April 2016 ist ein eigenes Ministerium für die Belange der IDPs zuständig, das Ministry of Temporarily Occupied Territories and IDPs (MTOT&IDPs), aber in der Anfangsphase sind der Migrationsdienst und das Sozialministerium noch involviert. Die ukrainischen Gesetze sehen vor, dass jeder Bürger am Ort des Wohnsitzes gemeldet sein muss, um dort Zugang zu sozialen Leistungen zu haben. Üblicherweise wird dies mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. IDPs hingegen benötigen ein IDP-Zertifikat, um Zugang zum Sozialsystem zu erhalten (das beinhaltet auch Auszahlung von Pensionen, Beihilfen, Kindergeld, Zugang zu Schulen, Kindergärten, medizinischer Versorgung, etc.). Widersprüchliche und schlecht umgesetzte Gesetzesänderungen rund um IDPs und ihre Registrierung und Versorgung führten in der Vergangenheit dazu, dass diese uneinheitlich gehandhabt wurden (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Ende 2014 wurde beschlossen, Pensions- und Sozialgelder nur noch an Personen auszuzahlen, die in BCA leben. Die Auszahlung von Pensions- und Sozialgeldern an IDPs wurde folglich an die Verifizierung des Orts des Aufenthalts gekoppelt, um zu verhindern, dass sie diese Leistungen beziehen, tatsächlich aber in NGCA leben. 500.000-600.000 IDPs waren im Feber 2016 von vorübergehenden Suspendierungen ihrer Zahlungen betroffen. Wartezeiten betrugen bis zu zwei Monate. Das Sozialministerium muss nunmehr den Aufenthaltsort von IDPs halbjährlich verifizieren, was einen erheblichen Aufwand bedeutet und zum Teil mit Verzögerungen von bis zu vier Monaten verbunden ist, in denen keine Gelder ausbezahlt werden. Es gibt Fälle, in denen IDPs aufgrund dessen Mieten in GCA nicht mehr bezahlen konnten und in NGCA zurückkehrten. Viele IDPs, speziell Pensionisten, sind auf soziale Transferzahlungen als einzige Einnahmequelle angewiesen (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. PCU 3.2017).

 

Ein einheitliches Register für IDPs wurde erst im September 2016 gesetzlich vorgesehen und soll beim Sozialministerium angesiedelt sein. Andere Behörden müssen den Zugriff auf dieses Register schriftlich beantragen.

 

Weitere Probleme bezüglich IDPs sind, dass sie bislang an drei Wahlen nur eingeschränkt teilnehmen konnten. Es wird aber an einer Lösung dieses Problems gearbeitet. Während es relativ einfach ist, sich beim Staatlichen Migrationsdienst der Ukraine Duplikate verlorener Dokumente ausstellen zu lassen, auch um sich als IDP registrieren zu können, ist es komplizierter Änderungen eintragen zu lassen, die sich in NGCA zugetragen haben, z.B. Geburten, Todesfälle, etc. Diese müssen nämlich von einem Gericht bestätigt werden, was bis zu zwei Monate dauern kann. Schulbesuch für Kinder von IDPs ist kein Problem, es wurden sogar mehr Lehrer eingestellt, um den erhöhten Bedarf zu decken. Unterricht in den Kollektivzentren für IDPs findet eher sporadisch statt. Generell hängt bei diesem Thema viel vom Engagement der Eltern ab. Studenten hatten gewisse Probleme sich in neuen Universitäten zu immatrikulieren, hierzu wurden aber spezielle rechtliche Voraussetzungen geschaffen (BFA/OFPRA 5.2017).

 

Die IDPs von der Krim ließen sich meist im Westen der Ukraine nieder. Da sie unter den ersten und aktivsten Gegnern der russischen Besetzung der Krim waren, haben sie gute und freundliche Beziehungen mit den Aufnahmegemeinden aufgebaut. Aber dennoch stoßen sie als IDPs auf gewisse Probleme, wie Schwierigkeiten eine Unterkunft zu finden (hier sind die hohen Kosten und mangelnde staatliche Unterstützung ein Problem), sowie das Fehlen eines klaren Verständnisses für die Bedürfnisse der Krimtataren (z.B. im kulturellen und sozialen Bereich). Es gab isolierte Zwischenfälle mit Krimtataren, aber sie stellen keinen allgemeinen Trend dar. IDPs aus dem Donbas blieben eher im Osten. Mehr als die Hälfte der IDPs lebt in der Ostukraine bei Familie oder Freunden. Die Solidarität der ukrainischen Zivilgesellschaft ist immer noch stark, aber mit zunehmender Dauer tendenziell abnehmend. Die Angaben zum Bild der IDPs in der Aufnahmegesellschaft sind abweichend. In manchen Fällen wird eine neutrale oder freundliche Haltung gegenüber den Binnenvertriebenen behauptet, Mitgefühl und Verständnis der schwierigen Situation wird ausgedrückt und Hilfsbereitschaft erklärt. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise auf Diskriminierung und Vorurteile gegen Binnenvertriebene sowie negative Stereotype und die Existenz versteckter und potenzieller sozialer Konflikte. Je näher Menschen in der Konfliktzone leben, desto höher ist ihr Verständnis für die Binnenvertriebenen. Im Westen der Ukraine gibt es mehr negative Stereotypen gegen IDPs, auf der andren Seite sind IDPs gerade im Westen sehr gut integriert. Negative Ansichten basieren meist nur auf Hörensagen, nicht jedoch auf persönlicher Erfahrung, und echte Konflikte zwischen Anwohnern und IDPs sind sehr selten. Es gibt aber regionale Unterschiede. Die meisten IDPs gibt es neben der Ostukraine in der Hauptstadt Kiew, und dort ist die Meinung über IDPs am schlechtesten. Besonders der Anstieg der Kriminalität wird ihnen angelastet und angesichts der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation werden IDPs in Kiew besonders als Konkurrenz um immer teurer werdenden Wohnraum und um Arbeitsplätze wahrgenommen. Die Tatsache, dass IDPs meist Russisch sprechen, ist hingegen kein Grund für Diskriminierung. Generell hat die Diskriminierung von Binnenvertriebenen eher ökonomische Gründe. (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. UN 20.9.2016).

 

Die Binnenvertriebenen sind fortgesetzt mit Schwierigkeiten konfrontiert, juristische Dokumente sowie Zugang zu Bildung, Renten, sowie zu Finanzinstituten und zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. 2016 sperrte die Regierung alle Sozialzahlungen an Binnenvertriebene bis zur Überprüfung ihrer Anwesenheit in staatlich kontrollierten Gebieten, angeblich zur Bekämpfung von betrügerischen Zahlungen. Die Suspendierung der Zahlungen erfolgte oftmals ohne jegliche Vorankündigung und betraf ca. 85% der IDPs in den unter ukrainischer Kontrolle befindlichen Gebieten und 97% in den Separatistengebieten. Speziell ältere oder behinderte Menschen waren oft nicht in der Lage, den Weg auf sich zu nehmen, um ihren Status zu überprüfen. Diese Vorgangsweise der ukrainischen Regierung führte zu heftiger Kritik u.a. des Europarats. Bemühungen, die IDPs zu integrieren, werden durch das Fehlen einer entsprechenden staatlichen Strategie und einen Mangel finanzieller Ressourcen erschwert. Dies drängt die IDPs wirtschaftlich und sozial an den Rand der Gesellschaft. Die angespannte Arbeitsmarktsituation und die insgesamt schwache Wirtschaft zwingen viele IDPs dazu, in inadäquaten bzw. Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Finanziell leistbare Privatunterkünfte sind oft in schlechtem Zustand. Auch bei der Arbeitssuche kommt es zu Diskriminierung. Insbesondere Krimtataren wird darüber hinaus von Banken nur ein eingeschränkter Zugang zu Finanzdienstleistungen gewährt, obwohl der ukrainische Verwaltungsgerichtshof eine Entscheidung der Nationalbank aufgehoben hat, wonach Krimtataren non-residents wären. Die Regierung gewährt nur jenen Personen Unterstützung, die sich als Binnenvertriebene registrieren lassen. Der gesetzlich vorgesehenen Verpflichtung, Binnenvertriebenen Unterkünfte zuzuweisen, wird von den Behörden oftmals nicht nachgekommen (USDOS 3.3.2017a).

 

Mietkosten und Betriebskosten sind seit dem Ausbruch der Krise massiv gestiegen, was es sowohl den Binnenvertriebenen als auch den Ortsansässigen erschwert, geeignete Unterkünfte zu finden. Dies wiederum verstärkt die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen, zumal oftmals den IDPs die Schuld für die schwierige Situation zugeschrieben wird. Viele IDPs beklagen, dass man ihnen Wohnungen nicht vermieten möchte, oder dass die Vermieter hohe Kautionen verlangen, aus Angst, die Mieter könnten die Miete nicht regelmäßig begleichen. Es kommt auch immer wieder vor, dass sich Vermieter aus steuerlichen Gründen weigern, Verträge zu unterzeichnen. Ohne Vertrag und ohne offizielle Registrierung am Wohnsitz führen dazu, dass manche IDPs keine Wohnsubventionen in Anspruch nehmen können. Es sind aber keine Fälle von Obdachlosigkeit unter IDPs bekannt (OSZE 7.2016; vgl. BFA/OFPRA 5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Grundversorgung und Wirtschaft

 

Die Ukraine erbte aus dem Restbestand der ehemaligen Sowjetunion bedeutende eisen- und stahlproduzierende Industriekomplexe. Neben der Landwirtschaft spielt die Rüstungs-, Luft- und Raumfahrt- sowie die chemische Industrie eine große Rolle im ukrainischen Arbeitsmarkt. Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle. Für das erste Quartal 2016 lag die Arbeitslosenquote in der Ukraine bei 10,3%. 2016 waren 688.200 Arbeitsmigranten, 423.800 langzeitig und 264.400 kurzzeitig, im Ausland beschäftigt. Der ukrainische Arbeitsmigrant verdient mit durchschnittlich 930 US-Dollar pro Monat rund dreimal mehr als der Durchschnittsukrainer daheim. Der Durchschnittslohn lag in der Ukraine im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €). Dies ist eine Steigerung von 50 Euro zum Jahr davor. Das Nettogehalt beträgt etwa 166 Euro. In der Hauptstadt Kyiv liegt der Durchschnittslohn bei ca. 223 Euro und in den nordöstlichen Regionen sowie in Czernowitz und Ternopil bei etwa 160 Euro. Der Mindestlohn wurde mit 2017 verdoppelt und beträgt nun brutto 110 Euro, netto 88 Euro. Das Wirtschaftsministerium schätzt den Schattensektor der Wirtschaft derzeit auf 35%, anderen Schätzungen zufolge dürfte dieser Anteil aber eher gegen 50% liegen. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde im Jänner 2017 mit 1.544 Hrywnja (aktuell ca. 53 Euro), ab 1. Mai 2017 mit 1.624 Hrywnja (ca. 56 Euro) und ab 1. Dezember 2017 mit 1.700 Hrywnja (ca. 59 Euro) festgelegt (ÖB 4.2017).

 

Die Wirtschaftslage konnte - auf niedrigem Niveau - stabilisiert werden, die makroökonomischen Voraussetzungen für Wachstum wurden geschaffen. 2016 ist die Wirtschaft erstmals seit Jahren wieder gewachsen (gut 1 %). Die Jahresinflation sank 2016 auf gut 12 % (nach ca. 43 % im Vorjahr). Die Realeinkommen sind um einige Prozent gestiegen, nachdem sie zuvor zwei Jahre lang jeweils um zweistellige Prozentzahlen gefallen waren. Der (freie) Wechselkurs der Hrywnja ist etwa seit dem Frühjahr 2015 weitgehend stabil, Zahlungsbilanzungleichgewichte nahmen deutlich ab. Ohne internationale Finanzhilfen durch IWF und andere wäre die Ukraine aber vermutlich weiterhin mittelfristig zahlungsunfähig. Regierung und Nationalbank bemühen sich bislang erfolgreich, die harten Auflagen, die mit den IWF-Krediten einhergehen, zu erfüllen (u. a. Sparhaushalt auch für 2017 verabschiedet; Abbau der Verbraucherpreissubventionen für Energie; erhebliche, Konsolidierung des Bankensektors, marktwirtschaftliche Reformen, Deregulierung) (AA. 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Sozialsystem

 

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser z. T. nicht ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kinder bleibt daher karg. Ohne zusätzliche Einkommensquellen bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar in der Regel regelmäßig gezahlt, sind aber größtenteils sehr niedrig (AA 7.2.2017).

 

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Änderungen in den Anspruchsanforderungen, in der Finanzierung des Systems und der Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP 2013 auf 18,5% 2015 weiter auf 17,8% vor allem wegen der Reduktion von Sozialleistungen besonders im Bereich der Pensionen. Alleinstehende Personen mit Kindern können in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Gezahlt wird diese für Kinder, die jünger als 18 Jahre alt sind (bzw. Studenten unter 23 Jahren). Die Zulage orientiert sich am Existenzminimum für Kinder (entspricht 80% des Existenzminimums für alleinstehende Personen) und dem durchschnittlichen Familieneinkommen. Außerdem existiert eine Hinterbliebenenrente. Der monatlich ausgezahlte Betrag beträgt 50% der Rente des Verstorbenen für eine Person, bei zwei oder mehr Hinterbliebenen werden 100% ausgezahlt. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Hinzu kommt ein Zuschuss bei der Geburt oder bei der Adoption eines Kindes sowie die oben erwähnte Beihilfe für Alleinerziehende. Der Geburtszuschuss beträgt ab Mai 2017 46.680 Hrywnja (ca. 1.400 Euro). Der Adoptionszuschuss (der sich nicht nur auf Adoption, sondern auch auf Kinder unter Vormundschaft bezieht) beläuft sich ab Mai 2017 auf bei Kindern von 0-5 Jahren auf monatlich 1.167 Hrywnja (ca. 40€) und für Kinder von 6-18 Jahren auf 1.455 Hrywnja (ca. 50 Euro). Der Mutterschutz beginnt sieben Tage vor der Geburt und endet in der Regel 56 Tage danach. Arbeitende Frauen erhalten in dieser Periode 100% des Lohns. Bis das Kind 3 Jahre alt ist bekommt die Mutter zwischen 130 (ca. 4,5 Euro) und 1.450 Hrywnia (ca. 50 Euro). Eine Vaterschaftskarenz gibt es nicht. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 975 Hrywnja (ca. 39 Euro) und maximal 4.872 Hryvnja (169 Euro) Arbeitslosengeld pro Monat. Nicht versicherte arbeitslose erhalten mindestens 544 Hryvnja (ca. 19 Euro). Das Arbeitslosengeld setzt sich wie folgt zusammen: mit weniger als zwei Beschäftigungsjahren vor dem Verlust der Arbeit beträgt die Berechnungsgrundlage 50% des durchschnittlichen Verdienstes; bei zwei bis sechs Jahren sind es 55%; bei sieben bis zehn Jahren 60% und bei mehr als zehn Jahren 70% des durchschnittlichen Verdienstes. In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70%. Die gesetzlich verpflichtende Pensionsversicherung wird durch den Pensionsfonds der Ukraine verwaltet, der sich aus Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aus Budgetmitteln und diversen Sozialversicherungsfonds speist. Arbeitsmigranten können sich freiwillig an diesem Pensionsfonds beteiligen. Spezielle Pensionsschemata existieren u.a. für Öffentlich Bedienstete, Militärpersonal, Richter und verschiedene Berufsgruppen aus der Schwerindustrie. Neben der regulären Alterspension kommen Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten zur Auszahlung. Mit dem am 6. September 2011 im ukrainischen Parlament verabschiedeten "Gesetz zur Pensionsreform" wird sich das ursprüngliche Pensionsantrittsalter für Frauen von 55 Jahren in einem Übergangszeitraum auf das der Männer, welches bei 60 Jahren liegt, angleichen. Private Pensionsvereinbarungen sind seit 2004 gesetzlich möglich. Eine vor allem von internationalen Geldgebern geforderte neue Pensionsreform zur Reduzierung des großen strukturellen Defizits des staatlichen Pensionsfonds ist derzeit in Arbeit und wurde von der Regierung mehrmals versprochen, vorerst jedoch noch nicht angenommen. Im Jahr 2016 belief sich die Durchschnittspension auf 1699,5 Hrywnja (ca. 59 Euro), die Invaliditätsrente auf 1545,2 Hrywnja (ca. 53,5 Euro) und die Hinterbliebenenpension 1640,3 Hrywnja (ca. 57 Euro) . Die meisten Pensionisten sind daher gezwungen weiter zu arbeiten. Die Ukraine hat mit 12 Millionen Pensionisten (entspricht knapp einem Drittel der Gesamtbevölkerung) europaweit eine der höchsten Quoten in diesem Bevölkerungssegment, was sich auch im öffentlichen Haushalt wiederspiegelt: 2009 wurde mit 18% des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine, das für Pensionszahlungen aufgewendet wurde, ein Rekordwert erreicht. Zum Stand 2014 sank diese Zahl immerhin auf 17,2%, bleibt jedoch weiterhin exorbitant hoch (ÖB 4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgung ist der Regel nach kostenlos und flächendeckend. Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, auch innere und psychische Krankheiten behandelt werden können, existieren sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal. Dennoch ist gelegentlich der Beginn einer Behandlung korruptionsbedingt davon abhängig, dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft. Neben dem öffentlichen Gesundheitswesen sind in den letzten Jahren auch private Krankenhäuser beziehungsweise erwerbswirtschaftlich geführte Abteilungen staatlicher Krankenhäuser gegründet worden. Die Dienstleistungen der privaten Krankenhäuser sind jedoch für den größten Teil der ukrainischen Bevölkerung nicht bezahlbar. Fast alle gebräuchlichen Medikamente werden im Land selbst hergestellt. Die Apotheken führen teilweise auch importierte Arzneien. In den Gebieten Donezk und Lugansk (unter Kontrolle der ukrainischen Regierung) leidet die medizinische Versorgung jedoch unter kriegsbedingten Engpässen: so wurden einige Krankenhäuser beschädigt und/oder verloren wesentliche Teile der Ausrüstung; qualifizierte Ärzte sind nach Westen gezogen. Im Donezker Gebiet gibt es zurzeit keine psychiatrische Betreuung, da das entsprechende Gebietskrankenhaus vollständig zerstört ist. Das Gebietskrankenhaus des Lugansker Gebiets musste sämtliche Ausrüstung zurücklassen und konnte sich nur provisorisch in Rubeschne niederlassen. Eine qualifizierte Versorgung auf sekundärem Niveau (oberhalb der Versorgung in städtischen Krankenhäusern) ist dort zurzeit nicht gegeben (AA 7.2.2017).

 

Gemäß Verfassung haben ukrainische Bürger kostenlosen Zugang zu einem umfassenden Paket an Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. Es gibt kein beitragsgestütztes staatliches Krankenversicherungsschema. Das System wird durch allgemeine Steuern finanziert, aber es herrscht chronischer Geldmangel (BDA 13.7.2015).

 

Die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen orientieren sich am Erhalt der Infrastruktur und der Belegschaft der Krankenhäuser, nicht aber an der notwendigen Behandlung. Da in der ukrainischen Verfassung zwar für alle Bürger der freie Zugang zur Gesundheitsfürsorge garantiert ist, jedoch keine spezifischen Verpflichtungen für den Staat und die Krankenhäuser genannt werden bzw. die Verteilung der zugewiesenen Budgetmittel den konkreten Gesundheitseinrichtungen obliegt, ist der Nährboden für Intransparenz und die Notwendigkeit für informelle Zuwendungen durch die Patienten gelegt. Die Patienten müssen somit in der Praxis die meisten Leistungen selbst bezahlen: Behandlungen, Medikamente, selbst das Essen und oft auch das Krankenbett. Patienten, die diese Kosten nicht aufbringen können, werden in der Regel schlecht oder gar nicht behandelt (ÖB 4.2017).

 

Aufgrund der wirtschaftlichen Lage hat die Regierung mehrere Versuche unternommen, den Umfang der garantierten medizinischen Leistungen einzuschränken. Hierzu wurde es staatlichen Gesundheitseinrichtungen erlaubt für bestimmte nicht lebensnotwendige Leistungen vom Patienten (oder dessen etwaiger privater Krankenversicherung) eine Gebühr zu verlangen. Die Entscheidung, welche Leistungen kostenlos erfolgen, obliegt dem Gesundheitsdienstleister. Dies führte zu mangelnder Transparenz des Systems und zu einer Erhöhung der bereits bestehenden informellen Zahlungen. Es gibt keine klare Linie zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen medizinischen Leistungen. Zahlungen aus eigener Tasche machten 2012 42,3% der gesamten Gesundheitsausgaben aus, und sie nehmen in allen Bereichen zu: offizielle Servicegebühren, Medikamente und informelle Zahlungen. Schätzungen zufolge sind zumindest 10% aller Geldflüsse im ukrainischen Gesundheitswesen unter dem Begriff "informelle Zahlungen" zu subsumieren. In der Regel werden derartige Zuwendungen vor der entsprechenden Behandlung geleistet. Die Höhe der Zuwendung bestimmt in der Folge die Qualität und die Schnelligkeit der Behandlung (BDA 13.7.2015; vgl. ÖB 4.2017).

 

Während die medizinische Versorgung in Notsituationen in den Ballungsräumen als befriedigend bezeichnet werden kann, bietet sich auf dem Land ein differenziertes Bild: jeder zweite Haushalt am Land hat keinen Zugang zu medizinischen Notdiensten. Die hygienischen Bedingungen vor allem in den Gesundheitseinrichtungen am Land sind oftmals schlecht. Aufgrund der niedrigen Gehälter und der starken Motivation gutausgebildeter Mediziner, das Land für bessere Verdienst- und Karrieremöglichkeiten im Ausland zu verlassen, sieht sich das ukrainische Gesundheitssystem mit einer steigenden Überalterung seines Personals und mit einer beginnenden Ausdünnung der Personaldecke, vor allem auf dem Land und in Bereichen der medizinischen Grundversorgung, konfrontiert (ÖB 4.2017).

 

Medikamente sollten grundsätzlich kostenlos sein, mit der Ausnahme spezieller Verschreibungen im ambulanten Bereich - und selbst hier gibt es gesetzliche Ausnahmen, die Angehörige bestimmter Gruppen und Schwerkranke (Tbc, Krebs, etc.) offiziell von Kosten befreien. In der Realität müssen Patienten die Medikamente aber meist selbst bezahlen. Dies trifft vor allem auf Verschreibungen nach stationärer Aufnahme in Spitälern zu. Viele Ukrainer zögern aus finanziellen Gründen Behandlungen hinaus bzw. verzichten ganz darauf. Andere verkaufen Eigentum oder leihen sich Geld, um eine Behandlung bezahlen zu können (BDA 13.7.2015; vgl. ÖB 4.2017).

 

Das Budget für den staatlichen Gesundheitssektor deckt z.B. die Behandlungskosten nur für 30% der Patienten mit HIV, für 37% der Patienten mit Tuberkulose, für 9% der Patienten mit Hepatitis, für 66% der Kinder mit Krebserkrankung und für 27% der erwachsenen Patienten mit Hämophilie. Die Finanzierung ist kompliziert, was zu Unterbrechungen und damit zu ernsthaften Risiken für die Patienten führen kann (OHCHR 3.6.2016).

 

Eine umfangreiche Reform des Gesundheitssystems ist derzeit in Planung bzw. befindet sich in einem sehr frühem Stadium der Umsetzung, schreitet jedoch nur langsam voran. Geplant sind unter anderem Schritte in Richtung einer stärkeren Dezentralisierung, eine gesetzliche Krankenversicherung, stärkere Autonomie von Kliniken, Krankenhäusern und Ärzten usw. (ÖB 4.2017).

 

Private medizinische Behandlung und private Krankenversicherungen sind vorhanden, vor allem in den urbanen Zentren. Diese sind teuer, die Qualität ist dafür oft höher als in öffentlichen Krankenhäusern. Der Privatsektor ist klein und besteht überwiegend aus Apotheken, stationären und ambulanten Diagnoseeinrichtungen, und privat praktizierenden Ärzten. Beratungsgebühren variieren zwischen 180 UAH (Allgemeinmediziner) und 210 UAH (Spezialist). Private Krankenversicherungen werden üblicherweise von Personen mit gesundheitlichen Problemen abgeschlossen, um die Kosten der Behandlung in Bezug auf Direktzahlungen zu reduzieren, ein höheres Maß an Komfort zu erhalten, oder Wartelisten zu vermeiden. In der Regel sind ältere Menschen (60-70 Jahre) und Personen mit Krebs, Tuberkulose, Diabetes, HIV usw. aber ausgeschlossen. Es gibt auch Krankenfonds, eine Art nicht-kommerzielle private Krankenversicherung, die 2013 1,4% der ukrainischen Bevölkerung umfassten und für ihre Mitglieder die Direktzahlungen bzw. Kosten für Medikamente usw. ganz oder teilweise übernehmen (BDA 13.7.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rückkehr

 

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Um neue Dokumente zu beantragen, müssen sich Rückkehrer an den Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich - wie bei anderen Personengruppen auch - Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation

 

UKRAINE

 

Rechter Sektor, Situation IDPs in der Westukraine

 

Anfragende Stelle: BvWG

 

Sachbearbeiter: Reka Erdelyi, BA

 

1. Gehen Polizei oder Staatsanwaltschaften Anzeigen wegen Übergriffen durch Angehörige des "Rechten Sektors" nach?

 

2. Gibt es dazu Anzeigen- und Verurteilungsstatistiken?

 

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

 

Aufgrund der spezifischen Art der Fragestellung wurde diese dem Verbindungsbeamten des BM.I (VB) zur Recherche übermittelt. Eine Quellenbeschreibung findet sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at sowie in der dort ersichtlichen Methodologie der Staatendokumentation.

 

Zusammenfassung:

 

Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass Übergriffe durch Mitglieder des "Rechten Sektors" genauso ermittelt werden, wie andere Straftaten. Entsprechende Statistiken zu Anzeigen und Verurteilungen gibt es nicht.

 

Einzelquellen:

 

Dem Bericht des BM.I-Verbindungsbeamten für die Ukraine ist folgendes zu entnehmen:

 

Recherchen im Internet ergaben folgendes:

 

1. Ja, die Übergriffe durch die Mitglieder des "Rechten Sektors" werden genauso ermittelt, wie andere Straftaten

 

www.Ukropnews.com

 

www.fakty.ua

 

www.iPress.ua

 

2. Statistiken zu den Anzeigen und Verurteilungen in Straftaten durch Angehörige des "Rechten Sektors" gibt es nicht.

 

VB des BM.I in Kiew (26.10.2016): Bericht des VB: per E-Mail

 

3. Gibt es nähere Informationen betreffend Diskriminierung von Ostukrainern durch die westukrainische Bevölkerung?

 

4. Wie ist die Wohn- und Arbeitssituation der IDPs?

 

5. Gibt es aktuelle Hilfsprogramme durch die Regierung?

 

Quellenlage/Quellenbeschreibung:

 

In öffentlich zugänglichen Quellen wurden im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche auf Deutsch und Englisch einige aktuelle Informationen gefunden. Eine ausgewogene Auswahl wird entsprechend den Standards der Staatendokumentation im Folgenden zur Verfügung gestellt. Eine Quellenbeschreibung findet sich auf dem Quellenblatt der Staatendokumentation auf www.staatendokumentation.at sowie in der dort ersichtlichen Methodologie der Staatendokumentation. Weniger bekannte Quellen werden im Abschnitt "Einzelquelle" beschrieben.

 

Informationen zur Fragestellung finden sich auch auf dem Koordinationsboard in der AFB UKRA_SOL_Luhansk_Diskriminierung von IDPs in Restukraine_2015_02_05_AS.

 

Zusammenfassung:

 

Den nachfolgend zitierten Quellen ist zu entnehmen:

 

Eine fehlende staatliche Strategie und fehlende Finanzmitteln führten zu einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Marginalisierung von IDPs.

 

Die ukrainische Regierung hat 2016 ein "Ministerium für die zeitweise okkupierten Gebiete und Binnenflüchtlinge" eingerichtet, das Hilfsleistungen, soziale Versorgung und Eingliederung in die Aufnahmegemeinden koordinieren soll. Darüber hinaus wurden verschiedene Gesetze für die Verbesserung der Situation der Binnenflüchtlinge verabschiedet. Umsetzung und Finanzierung sind jedoch ein Problem.

 

Seit mehreren Monaten schlägt eine gesetzlich geregelte Vereinfachung des Registrierungsverfahrens für Binnenflüchtlinge auf die Durchführungsebene nicht durch, weil die nötigen Durchführungsverordnungen fehlen.

 

Bei Auszahlung von Pensionen und Sozialhilfe für Binnenflüchtlinge gibt es Verzögerungen, weil die neue Regelung vorsieht, dass zuerst die Wohnadresse der IDPs überprüft werden muss. Partner von UNHCR bieten Unterstützung für Binnenflüchtlinge an, damit sie ihre finanzielle Unterstützung schneller wieder erhalten.

 

Binnenflüchtlinge haben Anspruch auf sechs Monate staatlich geförderte Unterkunft - danach sollten sie privat untergebracht oder wieder zurückgekehrt sein. Die Kommunen sind bei der Wohnraumfrage aber längst an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gestoßen. Die meisten Gemeinden, die eine hohe Anzahl von IDPs aufnehmen, erhalten keine zusätzlichen staatlichen Mittel sondern sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

 

Berichten zufolge erhielten bislang 670.000 IDPs eine staatliche finanzielle Unterstützung. Nicht arbeitsfähige Personen erhalten 884 Hryvnja (37,7 Euro) pro Monat, arbeitsfähige 442 (18,8 Euro) pro Monat. Die durchschnittliche Rente liegt gegenwärtig bei 1.523 Hryvnja (64,9 Euro).

 

Die Integration der IDPs in den ukrainischen Arbeitsmarkt ist jedoch aufgrund des generellen Mangels an Arbeitsplätzen schwierig. IDPs müssen oft entweder Niedriglohnjobs annehmen, prekäre Arbeitsverhältnisse ohne oder mit eingeschränkten Arbeitnehmerrechten eingehen oder sie bekommen gar keine Arbeit. Rund 5.000 wurde erfolgreich eine Anstellung vermittelt, etwa 20.000 sind als arbeitslos registriert. Im März 2015 trat ein Gesetz in Kraft, das die Situation von Binnenflüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt leicht verbesserte.

 

Es gibt zwar aktuelle Berichte über die positive und neutrale Einstellung der ukrainischen Bevölkerung gegenüber IDPs, es kommt jedoch immer wieder zu Diskriminierungsfällen. Diese sind aber weder zahlreich noch systematisch. Binnenvertriebene werden immer wieder beim Zugang zu Beschäftigung, Unterkunft, Bankdienstleistungen und medizinischer Versorgung (etwa wegen fehlender Dokumente zur Bestätigung der Registrierung als Binnenflüchtling) benachteiligt. Es gibt Berichte, dass Vermieter weniger bereit sind an Binnenflüchtlinge Wohnungen zu vermieten oder sie sogar aus den Wohnungen werfen, seit die Lebensbedingungen von IDPs behördlich überprüft werden.

 

Einzelquellen:

 

Reliefweb berichtet im Januar 2016, dass das ukrainische Ministerkabinett in den letzten Jahren verschiedene Gesetze über die staatliche finanzielle Unterstützung für IDPs verabschiedete.

 

Nach der Verordnung vom 1. Oktober 2014 ist eine gezielte monatliche Unterstützung für registrierte IDPs vorgesehen, um die Kosten für die Unterkunft und Versorgung abzudecken. Seit der 2015 erhalten IDPs diese Unterstützungsform sechs Monate lang.

 

Für IDPs können demnach auch Einmalzahlungen gewährt werden können.

 

Laut dem Gesetz über die Sicherung der Rechte und Freiheiten der Binnenvertriebenen vom 20. Oktober 2014 haben IDPs das Recht auf Neuregistrierung ihrer IDP-Zertifikate und danach können sie die Sozial- und Verwaltungsdienste des jeweiligen Aufenthaltsorts, für 6 Monate kostenlose Unterkunft, Arzneimittelversorgung u.a. Leistungen in Anspruch nehmen. Es fehlt jedoch einen Mechanismus für die Umsetzung dieses Gesetzes.

 

Einige Änderungen wurden auch bei der staatlichen Unterstützung für Kombattanten, für deren Kinder, für Kinder in den Konfliktzonen, die einen oder beide Elternteile verloren und für IDP-Kinder eingebracht (volle oder teilweise Ermäßigung der Studiengebühren, Zugang zu günstigen langfristigen Darlehen für Bildung, Stipendien, kostenlose Bücher, kostenlose Unterkunft in Studentenheimen etc.). Diese Regelungen wurden im Mai 2014 verabschiedet, für das Jahr 2016 jedoch nicht budgetiert.

 

Im Januar 2015 wurde das Gesetz über Garantien des Schutzes von Wohn- und Eigentumsrechten der Bevölkerung in den Konfliktzonen und der IDPs, und der Rückzahlung von Schulden für Löhne, Stipendien und Renten, die aufgrund der Anti-Terror-Operation nicht ausgezahlt wurden, verabschiedet. Obwohl das Gesetz angenommen wurde, teilte der Staatshaushalt für Jahr 2016 keine Mittel für die Umsetzung der Bestimmungen zu.

 

Im Juli 2015 wurde ein Aktionsplan für Beschäftigung und Berufsausbildung von IDPs genehmigt. In dessen Rahmen wurde das Fachministerium aufgefordert, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen; um die Berufsausbildung und berufliche Umschulung zu erleichtern; um die beruflichen Fähigkeiten zu verbessern; um die Lohnkosten für Arbeitgeber zu kompensieren, die IDPs einstellen. Darüber hinaus erfolgten noch weitere Gesetzesänderungen, um die Integration der IDP-s in den ukrainischen Arbeitsmarkt zu erleichtern.

 

Financial assistance:

 

•On 1 October 2014, the Cabinet of Ministers (CoM) adopted Resolution No. 505 envisaging the state monthly targeted assistance for registered IDPs to cover accommodation costs and utilities up to UAH 884 (approx. USD 40) for unemployable people and UAH 442 (approx. USD 20) for able-bodied people, but not more than UAH 2,400 (USD 109) per family. Monthly targeted assistance was extended for 6 months (Resolution No.212-VII of 31 March 2015) and the amount for disabled people of category 3 was increased to UAH 1,074 (approx. USD 49) in Resolution of CoM No. 95 of 11 March 2015.

 

•Resolution of CoM No. 535 of 01 October 2014 creates one-time cash assistance from money donated by individuals and legal entities in support of the conflict-affected population and IDPs. The assistance focuses on orphaned children whose parents died in the region of the Government of Ukraine's 'Anti-terrorist Operation', families with disabled people, families with serious medical cases, families with pregnant women and large families, and equals one minimum wage. The amount ranges between UAH 1,176 - UAH 2,352 (approx. USD 53 - USD 107) depending on the category of people receiving the assistance.

 

•The law "On ensuring of rights and freedoms of internally displaced people" No.1706-VII of 20 October 2014 envisages the right of IDPs to re-register and receive social and administrative services at the place of actual residence and envisages the right for free accommodation during the initial six months after IDP registration; assistance with transfer of movable assets; free transportation to the place of origin in case of return and provision of medicines, etc. However, there is no mechanism of implementation of the Law.

 

[...]

 

Specific assistance for various categories of IDPs:

 

•Amendments were introduced to certain laws of Ukraine on state support of combatants, their children, children who lost one or both parents in the region of hostilities as well as IDP children for accessing vocational and higher education in the form of a full or partial payment of tuition fees; reduced long-term loans for education; a social stipend; free books; free access to the internet in state and communal educational facilities; and free accommodation in dormitories (Law No. 425-VIII of 14 May 2014). However, these amendments were not budgeted for 2016.

 

[...]

 

•On 13 January 2015, the Law No.85-VIII "On guarantees protecting housing and property rights of the conflict-affected population and IDPs, envisaging repayment of debts on salaries, stipends and pensions accrued due to conduct of the 'Anti-terrorist Operation" was adopted; establishing a moratorium on forced sale of housing of the mentioned categories of people as well as a moratorium on penalty charges imposed by energy suppliers on them for late payment of energy bills. However, the budget 2016 didn't allocate the funds for implementation of the provisions of the Law.

 

•On 4 June 2015, the CoM adopted a procedure (Resolution No. 356) according to which the State provides financial assistance for orphan children, children deprived of parental care and to foster parents displaced from temporary occupied territories and the area of the 'Anti-terrorist Operation'.

 

•On 8 July 2015, the Cabinet of Ministers approved the Action plan on employment and vocational education of IDPs for 2015-2016 entrusting line ministries to take action on creation of new job places; facilitation of vocational education, professional (re)training and skills upgrading of IDPs; development of a compensation scheme for employers hiring IDPs; a scheme covering one-time transport costs of IDPs for relocation to the place of employment if located in another city; and provision of one-time payments for business start-ups (Resolution No.505 of 08 July 2015) The Government has allocated UAH 21 million (approx. USD 954,545) for implementation of the plan; Resolution No.696 of 08 September 2015 provides a mechanism for the compensation to employers who hire IDPs.

 

•The same day, the CoM of Ukraine amended the procedure of registration, re-registration of unemployed and keeping records on people looking for job simplifying the package of documents for IDPs to register as unemployed (Resolution No. 473). The Ministry of Social Policy of Ukraine developed a mechanism to obtain a duplicate of a work record book for IDPs which can be issued by a new employer in the place of displacement (Order No. 720/1642/5 of 06 October 2014).

 

Reliefweb (31.1.2016): Ukraine: Overview on State Assistance for IDP-s - January 2016,

http://reliefweb.int/report/ukraine/ukraine-overview-state-assistance-idps-january-2016-enruuk , Zugriff 8.11.2016

 

Die Hanns Seidel Stiftung berichtet:

 

Inmitten enormer wirtschaftlicher Probleme, einem politischen Neuanfang und einem Krieg im Osten des Landes sieht sich die Ukraine mit mindestens 1,7 Millionen Binnenflüchtlingen konfrontiert. Eine andere Zählart geht von 1,35 Millionen Familien aus, die durch den Krieg im Osten entwurzelt und in der Ukraine registriert wurden. Von diesen haben bislang 670.000 staatliche finanzielle Unterstützung erhalten. Eine zusammenfassende finanzielle Quantifizierung der ukrainischen und internationalen Hilfsleistungen, die sich mit der aus russischen Medien kolportierten Zahl von rund 230.000.000 €

russischer Unterstützungsleistungen für Flüchtlinge in der RF für 2014 und 2015 vergleichen ließe, liegt bisher nicht vor. Die ukrainischen Behörden gingen in der Flüchtlingssituation zunächst von einer relativ schnellen Rückkehr zur Normalität aus. So haben Flüchtlinge Anspruch auf sechs Monate staatlich geförderte Unterkunft - danach sollten sie bei Verwandten oder Freunden beherbergt, selbst auf die Beine gekommen oder wieder zurückgekehrt sein. Die Kommunen sind bei der Wohnraumfrage aber längst an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gestoßen. Der zur Verfügung stehende Wohnraum in städtischen Gemeinschaftsunterkünften reicht nicht aus und leer stehender Wohnraum ist in gewachsenen Gemeinden selten.

 

Während die primäre Nothilfe für Flüchtlinge und Vertriebene relativ schnell anlief und durch Unterstützung insbesondere aus dem europäischen Ausland vor allem in Notaufnahmelagern weiter ausgebaut wurde, ist die öffentliche Verwaltung der Ukraine mit vielen Problemen überfordert. Ausweisdokumente, Personenstandsurkunden und andere Unterlagen stellen viele Antragsteller vor unüberwindbare Probleme, da die ukrainische Bürokratie auf Dokumenten basiert, die im Donbas und auf der Krim nicht mehr zugänglich sind oder nicht mehr ausgestellt werden. Grundsätzlich gilt, dass in der Ukraine alle neuausgestellten (russischen) Dokumente von der Krim - beispielsweise Krankenkarten oder Ausbildungszertifikate - nicht anerkannt werden (siehe Infokasten). Seit mehreren Monaten wird eine gesetzlich geregelte Vereinfachung des Registrierungsverfahrens für Binnenflüchtlinge auf der Durchführungsebene verschleppt: Die notwendige Gegenbestätigung der Migrationsbehörde auf Registrierungsformularen kommunaler Sozialämter wurde zwar offiziell aufgehoben - nachgeordnete Verwaltungsbehörden verlangen diese aber weiterhin, was zu nervenaufreibenden und langwierigen Streitereien der Antragsteller mit den Behörden führt. Hier kommt ein bekanntes ukrainisches Problem zum Tragen: Progressive Gesetze alleine nützen wenig, solange es keine entsprechenden Durchführungsverordnungen für die jeweiligen Amtsstuben gibt.

 

Auch die Integration in den ukrainischen Arbeitsmarkt gestaltet sich schwierig, weil es in der aktuellen Wirtschaftskrise - Wirtschaftswachstum 2014 -7 Prozent, 2015 rund -10 Prozent - ohnehin nicht genügend Arbeit gibt.

 

Eine weitere wichtige symbolische Hürde wurde im Oktober 2015 nicht genommen: Die meisten Binnenflüchtlinge konnten nicht an den Kommunalwahlen teilnehmen, weil das Wahlgesetz nicht rechtzeitig an die Situation angepasst wurde, obwohl dies von ukrainischen Menschenrechtsorganisationen und der OSCE dringend gefordert worden war. Selbst wenn man dies der aktuellen krisenhaften Situation zuschreiben und es bei Kommunalwahlen noch eben so hingenommen werden kann, muss dieses Problem bis zu den spätestens 2018 bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen geklärt werden.

 

Die Einstellung der ukrainischen Bevölkerung den Flüchtlingen gegenüber war / ist ambivalent: Einerseits sind die Flüchtlinge aus dem Donbas Opfer der Situation und definitiv nicht diejenigen, die in Donetsk und Lugansk gegen ukrainische Wehrpflichtige kämpfen; andererseits kommen sie doch aus der Gegend, die beim Referendum am 11. Mai 2014 mehrheitlich gegen den Verbleib in der Ukraine stimmte - ein Generalverdacht bestand, so der Journalist Wladislaw Bulatshik: "2014 sahen sich die Binnenflüchtlinge mit diesem Problem konfrontiert. Sie hatten ihre Häuser zurückgelassen und flüchteten sich in die friedlichen Gebiete der Ukraine. Dort aber waren viele Anwohner nicht bereit, den Flüchtlingen Wohnraum zu vermieten. Viele fanden keine Arbeit, wurden als "Separatisten" verunglimpft, die ihre Heimat verraten hätten und schlimmeres. Es dauerte fast ein Jahr, bis sich die Situation normalisierte und die Ukrainer die "Donetsker" nicht mehr fürchteten. Auch heute gibt es noch hier und da Einzelfälle der Diskriminierung von Flüchtlingen, aber das sind nicht mehr viele und nicht systematisch, wie das noch vor zwei Jahren der Fall war."

 

Die bestätigt auch eine aktuelle Studie des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen UNHCR, der zufolge die überwiegende Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung inzwischen eine positive oder neutrale Einstellung den Flüchtlingen gegenüber an den Tag legt. Am 20. April 2016 wurde in der ukrainischen Regierung das "Ministerium für die zeitweise okkupierten Gebiete und Binnenflüchtlinge" eingerichtet, Minister ist Vadym Chernysch. Hier sollen nun die Hilfsleistungen, die soziale Versorgung und die Eingliederung in die neuen Wohnorte koordiniert werden.

 

Hanns Seidel Stiftung - Argumente und Materialien der Entwicklungszusammenarbeit (29.6.2016): Zwischen Kiew und Moskau http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/Publikationen/160712_AMEZ_18_Kiew..pdf , Zugriff 24.10.2016

 

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtet im Juni 2016, dass das neu eingeführte Verfahren zur Erneuerung der IDP-Zertifikate mit der vorübergehenden Suspendierung der Auszahlung von Pensionen und Sozialhilfe für Binnenflüchtlinge verbunden ist. Diese werden nämlich nicht ausgezahlt, solange die Wohnadresse der IDPs überprüft werden. Das Problem verschärft sich durch die fehlende Klarheit und die mangelnde Kohärenz zwischen den staatlichen Behörden bezüglich des Verfahrens zur Neu-Registrierung der IDP-Zertifikate. Partner von UNHCR bieten Unterstützung für Binnenflüchtlinge an, damit sie ihre finanzielle Unterstützung schneller wieder erhalten. Die Durchführung der erneuten Registrierung ist für Personen in den nicht staatlich kontrollierten Gebieten - vor allem für Ältere und vulnerable Gruppen - besonders kompliziert. Darüber hinaus dauert das Verfahren von der Antragsstellung bis zum tatsächlichen Zahlungseingang ca. ein Monat lang.

 

Das sog. von UNHCR geleitete Protection Cluster (PC) setzt sich weiterhin gegen die willkürliche Suspendierung der sozialen Leistungen für IDPs für eine von der Neu-Registrierung unabhängige Auszahlung und für die Harmonisierung der Gesetzesvorschriften für IDPs bezüglich Wohnsitzregistrierung ein.

 

Der PC äußert sich besorgt darüber, dass alle Sozialleistungen und Pensionszahlungen ab Juli 2016 von der 'Oshchadbank' ausbezahlt werden müssen. Für die Auszahlung brauchen die Bankfilialen die IDP-Akten von der zuständigen staatlichen Behörde. Das Problem ist jedoch, dass es mehrere Monate dauern kann, bis die Bank die nötigen Dokumente erhält. Während der Wartezeit werden keine staatlichen Beihilfen ausgezahlt und diese akkumulieren sich auch nicht.

 

The blanket suspension of social assistance and pension payments for IDPs pending verification of residential addresses remains a primary concern. The problem is compounded by the lack of clarity and consistency among state authorities regarding procedure for the renewal of IDP certificates. UNHCR's partners provide assistance to IDPs on how to reinstate the payments. The reregistration process is more complicated for those living in non-government controlled areas due to the necessity to cross the line of contact and lack of information, particularly for the elderly and other vulnerable groups. The procedure for reinstatement from the moment of application to the receipt of payments takes approximately one month.

 

[...]

 

The Protection Cluster led by UNHCR, continued its advocacy to stop the arbitrary suspension of social payments and benefits to IDPs, to de-link social payments and pensions from IDP registration and to harmonize the IDP Law with by-laws and regulations related to residence registration. Lack of harmonization creates obstacles to IDP registration, renewal of IDP certificates and re-instatement of social benefits.

 

[...]

 

The Cluster is concerned that as of 1 July all IDP social benefits and pensions must be paid through 'Oshchadbank'. The procedure for allocating benefits is complex due to the need for bank branches to receive IDP case folders from local DoSP offices. This can take several months, during which assistance is not paid and does not accumulate.

 

[...]

 

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (10.6.2016): UKRAINE:

 

UNHCR OPERATIONAL UPDATE,

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1466150037_unhcr-ukraine-operational-update-10jun16-final.pdf , Zugriff 4.11.2016

 

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtet im Oktober 2016, dass die Suspendierung der Auszahlung von Pensionen und Sozialhilfe für Binnenflüchtlinge bis zur Überprüfung ihrer Wohnadresse ein weiterhin bestehendes Problem ist. Die Suspendierung betraf bisher 500.000-600.000 Binnenvertriebene, davon konnte die Hälfte der IDPs ihre Ansprüche noch nicht wieder geltend machen. Partner von UNHCR bieten weiterhin Unterstützung für Binnenflüchtlinge an, damit sie ihre finanzielle Unterstützung wieder erhalten. Die Partner des sog. von UNHCR geleiteten Protection Cluster (PC) baten in einem offiziellen Schreiben die Regierung, die Rechtsvorschriften zur Regelung der Wiedereinsetzung und des Erhalts von Sozialleistungen und -zahlungen zu ändern, damit Binnenflüchtlinge einen einfacheren Zugang zu den Beihilfen haben. Der Ministerrat verabschiedete bereits die Einführung einer IDP-Datenbank.

 

The suspension of social and pension payments to IDPs until verification of their residential address takes place is an ongoing concern.

 

The Council of Ministers adopted resolution no. 646, introducing procedures on the establishment, maintenance and access to a consolidated database of IDPs.

 

[...]

 

The suspension of social assistance and pension payments for IDPs pending verification of residential addresses remains a key protection concern. Suspension have affected some 500,000-600,000 IDPs, of which half have not yet had their entitlements reinstated. UNHCR's partners assist IDPs with advice on how to reinstate the payments. The re-registration process is more difficult for those living in non-government controlled areas due to the necessity to cross the line of contact and lack of available information, particularly for the elderly and other vulnerable groups. The procedure for reinstatement from the moment of application to the receipt of payments takes approximately one month.

 

[...]

 

Cluster partners sent a letter to the Government asking that it amend legislation regulating the procedures for the reinstatement and receipt of social benefits and payments to make it easier for IDPs to access these benefits.

 

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (10.2016): UKRAINE:

 

UNHCR OPERATIONAL UPDATE,

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1476797802_unhcr-ukraine-operational-update-oct16-final.pdf , Zugriff 4.11.2016

 

Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) berichtet im Zeitraum von Mai bis August 2016, dass die Zahl der registrierten IDPs laut Angaben des Ministeriums für Soziales

1.714.388 betrug. Die Integration dieser Personengruppe blieb jedoch aufgrund der fehlenden staatlichen Strategie und somit der nicht Bereitstellung von Finanzmitteln bisher erfolglos. Das führte zu einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Marginalisierung der Binnenflüchtlinge. Die meisten Gemeinden, die eine hohe Anzahl von IDPs aufnehmen, erhalten keine zusätzlichen Mitteln vom Staat und sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Darüber hinaus besteht ein dringender Bedarf an Erwerbstätigkeit und Unterbringung für IDPs.

 

Es gibt zwar eine aktuelle Studie über die durchweg positive oder neutrale Einstellung der ukrainischen Bevölkerung gegenüber Binnenvertriebenen, der OHCHR beobachtete jedoch fortlaufend Fälle von Diskriminierung von Binnenflüchtlingen beim Zugang zu Beschäftigung, Unterkunft oder Bankdienstleistungen. Die staatliche Überprüfung der Lebensbedingungen von IDPs trug dazu bei, dass Vermieter weniger bereit sind, Wohnungen an Binnenflüchtlinge zu vermieten oder IDPs sogar aus den Wohnungen werfen. OHCHR berichtet auch, dass für Binnenvertriebene der Zugang zu ihren Bankeinlagen und Krediten verweigert wurde.

 

Einige Gesetzesänderungen haben den Zugang von IDPs zu Versorgung auf diskriminierende Weise erschwert. Seit 1. Juni 2016 müssen pensionierte IDPs ihre Leistungen über die staatliche Oshchadbank beziehen und sich dort regelmäßig identifizieren. Bei Nichtbefolgung, werden die Leistungen eingestellt, bis man den Anordnungen nachkommt. Andere Bezieher sozialer Leistungen sind nicht an die staatliche Bank gebunden. Auch sind Berichten zufolge von diesen Oshchadbank-Konten weder Online-Zahlungen noch Einkäufe mit Bankomatkarte in den Separatistengebieten möglich.

 

A. Economic and social rights and early warning

 

122. According to the Ministry of Social Policy, 1,714,388 individuals were registered as IDPs as of 15 August 2016. Their integration has remained impeded by the absence of a State strategy and the consequent absence of allocation of financial resources, leading to the economic and social marginalisation of IDPs. Most communities hosting large numbers of IDPs have not received additional resources from the State and fully rely on humanitarian actors. Employment and accommodation are among IDPs' most pressing needs.

 

B. Social security and protection of internally displaced persons

 

132. While a recent study showed an overwhelmingly positive or neutral attitude of Ukraine's population towards IDPs, OHCHR has consistently observed cases of discrimination against IDPs in accessing employment, accommodation or banking services based on the place of their origin. Checks of IDPs' 'living conditions' have contributed to the reluctance of landlords to rent housing to IDPs and to evictions. OHCHR also interviewed IDPs who were denied access to their bank deposits and credit.

 

134. By depriving IDPs of their social entitlements, the Government is further deepening the socio-economic hardships of IDPs and their dependency on humanitarian aid. The deteriorating situation caused by the IDP laws may force the State authorities and international donors to reintroduce major humanitarian projects in the Government-controlled territories instead of focusing on integration and recovery programmes.

 

135. Several legislative changes136 have imposed undue and discriminatory obstacles for IDPs to access their social entitlements. As of 1 June 2016, IDP pensioners started receiving special bank cards (meant to also serve as identity documents) from the statedowned 'Oshchadbank' bank. As of 1 July 2016, all social benefits and pensions must be paid to IDPs only via this bank, while all other recipients of social entitlements are free to use any other bank in Ukraine. IDP pensioners are also requested to undergo physical identification in Oshchadbank branches twice during the first year, followed by an annual visit. In case of failure to do so, all operations with the person's account will be suspended automatically by the bank until the IDP presents himself or herself. This provision imposes an additional burden on people with disabilities as well as for IDPs living in rural and remote areas. OHCHR also received information137 that people receiving pension payments into their bank accounts cannot conduct online payments or purchases with their bank cards from the territories controlled by the armed groups. Allegedly, payments are only possible from Government-controlled territory.

 

OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (3.3.2016):

Report on the human rights situation: 16 May to 15 August 2016, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1474458521_ukraine15threport.pdf , Zugriff 2.11.2016

 

Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) berichtet im Zeitraum von November 2015 bis Februar 2016, dass Zivilisten in den von der Regierung kontrollierten Konfliktzonen, IDPs und entlassene Soldaten bei der Ausübung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Rechte mit Hindernissen konfrontiert sind. Staatliche Initiativen oder Integrationsprogramme für IDPs aus den von Konflikten betroffenen Gebieten bleiben weiterhin knapp.

 

Die Ukraine hat 1,6 Mio. IDPs registriert, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten leben ca. 800.000 bis 1 Million davon. Sie sind aufgrund ihres Status Diskriminierungen ausgesetzt sind, obwohl das ganze Ausmaß des Problems nicht ermittelt werden konnte. So zum Beispiel müssen IDP-s und demobilisierte Soldaten entweder Niedriglohnjobs annehmen oder sie haben prekäre Arbeitsverhältnisse mit eingeschränkten oder ohne Arbeitnehmerrechte oder bekommen gar keine Arbeit.

 

Ein weiteres Problem ist, dass die ukrainische Regierung keine Geburts- und Sterbeurkunden anerkennt, die in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgestellt werden. Diese Tatsache verursacht zahlreiche Schwierigkeiten für IDPs.

 

Fehlende Dokumente zum Nachweis der Registrierung als IDP können zu Problemen beim Zugang zur medizinischer Versorgung führen.

 

Seit September 2015 ist ein Trend zu beobachten demnach Binnenflüchtlinge kontinuierlich und sukzessiv in ihre Häuser zurückkehren, die sich in den von den bewaffneten Gruppen kontrollierten Gebieten befinden.

 

Economic and social rights

 

148. Civilians living in the territories controlled by armed groups continued to suffer violations of their economic and social rights, including their right to the highest attainable standard of physical and mental health and housing, land and property rights. Civilians living under Government control in conflict-affected areas, IDPs and demobilized soldiers faced particular obstacles to the exercise of their economic and social rights. OHCHR is concerned about continuing reports of discrimination preventing these groups from accessing quality healthcare, social services, employment and housing. Government programmes or initiatives to assist the integration of IDPs who fled from the conflictaffected area remain scarce. This is of concern, as some IDPs seem to be losing hope to return home, as OHCHR observed in Kharkiv. The Government has registered 1.6 million IDPs, with 800,000 to 1 million living in territories controlled by the Government.

 

149. IDPs from conflict-affected areas residing in Government-controlled territories continued to face discrimination on the basis of their status, although the full extent of the problem could not be ascertained. For example, OHCHR received reports that some employers in Zaporizhzhia are biased against IDPs and frequently refuse to give them jobs because of their place of origin. Difficulties in finding employment force IDPs to accept low-paid jobs or precarious contracts, with limited or no labour rights. Similarly, there have been reports of discrimination against demobilized soldiers, who often face negative attitudes for taking part in the war, or because some employers consider them as "psychologically and emotionally unstable".

 

150. The Government of Ukraine does not recognize birth and death certificates issued by the 'Donetsk people's republic' and 'Luhansk people's republic'. As a result, children born in areas controlled by the armed groups do not have documents that are recognized in Ukraine. This causes legal and practical hardships, notably to access social, medical or employment services in Government-controlled territory. On 4 February, Parliament adopted the Law No. 3171103 concerning the establishment of the facts of birth or death occurring on the temporary occupied territory of Ukraine - the Autonomous Republic of Crimea and certain districts of Donetsk and Luhansk regions. The Law, if signed by the President, will simplify the existing general procedure of judicial establishment of legal facts104 for cases concerning birth and/or death that took place in the areas controlled by armed groups; however people will still need to obtain a court decision validating such documents. In line with the jurisprudence of the International Court of Justice and the European Court of Human Rights105, civil registration documents issued in territories controlled by armed groups should be recognized through administrative procedure rather than court review. The current procedure results in discrimination on the basis of origin.

 

[...]

 

Right to the highest attainable standard of physical and mental health

 

152. IDPs have often faced obstacles to access needed medical care and basic services, often as a result of discriminatory grounds related to their status. On 6 and 21 January, OHCHR interviewed female IDPs from Donetsk region who were denied medical assistance in Zaporizhzhia city hospital and in Dnipropetrovsk on the grounds that they did not have an IDP registration certificate, which is required to access any public services.

 

153. Demobilized and injured Ukrainian soldiers have faced difficulties accessing physical and psychological rehabilitation services due to bureaucratic delays in recognizing their veteran status, as well as a lack of allocated resources. OHCHR recalls that rehabilitation is an integral element of any 'Disarmament, Demobilization, and Reintegration' effort of ex-combatants106.

 

154. Across Ukraine, OHCHR has collected worrying information about increasing domestic violence by demobilized soldiers. Their families struggle with a lack of support services. The Government has due diligence obligations to effectively respond to domestic violence, ensure accountability for perpetrators, provide meaningful reparations and protect victims.

 

155. Despite the growing need for medical services caused by the conflict and its consequences, healthcare system expenditures were cut by 10.8 per cent (almost six billion UAH) in the State Budget for 2016, which is likely to further constrict the availability, affordability and accessibility of quality healthcare for the population at large.

 

[...]

 

Housing, land and property rights

 

159. In a trend observed since September 2015, IDPs have gradually continued returning to their homes in areas controlled by the armed groups. While no comprehensive data is available on the number of returnees to date, OHCHR has observed a notable increase in the number of residents in urban areas in Donetsk and Luhansk regions.

 

161. However, housing, land and property issues, particularly the damage, seizure or looting of property, and lack of justice and compensation mechanisms, remained one of the major concerns for civilians living in the conflict zones and for IDPs from these areas. Continued fighting and the destruction of or damage to property are obviously major impediments to return.

 

[...]

 

164. The housing rights of IDPs living in Government-controlled areas are also at risk. For instance, in Odesa, OHCHR received information that the situation of IDPs with disabilities may further deteriorate due to planned budget cuts for accommodation. Local authorities have assured OHCHR that they will find ways to ensure that all IDPs receive adequate support and housing. IDPs in Odesa region are frequently housed in unoccupied or abandoned homes, putting them under constant threat of eviction. According to UNHCR, many IDPs continue to live in poor quality housing, with the most vulnerable often living in collective centres, which, as at February 2016, were sheltering approximately 14,000 people.

 

[...]

 

OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (3.3.2016):

Report on the human rights situation: 16 November 2015 to 15 February 2016;

https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457515112_ukraine-13th-hrmmu-report-3march2016.pdf , Zugriff 27.10.2016

 

Die Zeitschrift Osteuropa, eine im Berliner Wissenschaftsverlag monatlich erscheinende Zeitschrift, welche aktuelle Entwicklungen in Politik und Kultur Osteuropas interdisziplinär analysiert, berichtet Mitte 2015 folgendes:

 

Die OCHA (United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs) sprach Mitte Mai 2015 von 1,283 Millionen Binnenflüchtlingen, von denen sich 471 000 im Gebiet Donec'k und 176 000 im Gebiet Luhans'k aufhalten würden. Demnach sind lediglich gut die Hälfte der Binnenflüchtlinge in weiter westlich gelegenen Gebieten der Ukraine untergekommen, die meisten in den angrenzenden Gebieten: 169 000 im Gebiet Charkiv, 90 500 im Gebiet Zaporižžja und 73 500 im Gebiet Dnipropetrovs'k. In der Stadt Kiew sind es 90 500, die Zahlen in den übrigen Gebieten der Ukraine liegen deutlich darunter. Nach Russland sind laut OCHA knapp 700 000 Menschen aus der Ukraine geflüchtet, nach Belarus 81 000 und nach Polen 52 000.

 

[...]

 

Auch innerhalb der Ukraine erhalten Bürger, die aus den besetzten und umkämpften Gebieten im Osten des Landes fliehen mussten, staatliche Unterstützung. Zu ihrem Schutz verabschiedete die Verchovna Rada 2014 ein "Gesetz über die Rechte und Freiheiten von Binnenflüchtlingen"[30], das Diskriminierung verbietet, jeden Rückkehrzwang ausschließt und Unterstützung für eine freiwillige Rückkehr garantiert. Daneben erleichtert es die Anmeldung am neuen Wohnort, die nötig ist, um ein Bankkonto zu eröffnen und ein Gewerbe anzumelden, sowie den Zugang zu bestimmten sozialen Leistungen - insbesondere zur Arbeitslosenunterstützung und zu Rentenzahlungen. Voraussetzung ist, dass die Binnenflüchtlinge einen Nachweis über ihren aktuellen Wohnort vorlegen.[31] Darüber hinaus verpflichtet das Gesetz die Regierung, eine Integrationspolitik für IDPs zu entwickeln, die eine bessere langfristige Planung für die Betroffenen ermöglichen soll.

 

Einem Beschluss der Regierung aus dem Jahr 2014 zufolge sind staatliche Zuwendungen für Binnenflüchtlinge an einen offiziell bestätigten Status als IDP gebunden.[32] Diese Einschränkung führt zu langen Warteschlangen und stellt für ältere oder behinderte Menschen ein erhebliches Hindernis dar. Anfang April 2015 waren nach Informationen der Rentenkasse und der Regierung 1 195 000 Personen als IDP registriert.[33]

 

Im ersten Quartal 2015 gab die Regierung 905 Millionen Hryvnja (38,6 Millionen Euro) für die Unterstützung der Binnenflüchtlinge aus:

Nicht arbeitsfähige Personen erhalten 884 Hryvnja (37,7 Euro) pro Monat, arbeitsfähige 442 (18,8 Euro) pro Monat. Die durchschnittliche Rente liegt gegenwärtig bei 1523 Hryvnja (64,9 Euro). Ende 2014 hatten sich insgesamt 30 000 Personen als arbeitssuchend gemeldet. Rund 5000 wurde erfolgreich eine Anstellung vermittelt, etwa 20 000 sind als arbeitslos registriert.[34] Im März 2015 trat ein Gesetz in Kraft, das die Situation von Binnenflüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt leicht verbesserte. Der Staat bietet Arbeitgebern, die IDPs einstellen, für bis zu sechs Monaten - in manchen Regionen bis zu einem Jahr -, eine Kompensation der Lohnkosten. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber sich verpflichtet, die Person für einen Zeitraum zu beschäftigen, der mindestens doppelt so lang ist, wie jener, in dem er die Kompensationszahlungen erhält.[35]

 

Auch an ukrainische Staatsbürger auf der Krim werden entsprechend Renten und Sozialleistungen ausgezahlt, sofern sie einen gültigen ukrainischen Pass und eine Bestätigung der zuständigen russländischen Behörden vorlegen, dass sie aus Russland keine Rentenzahlungen erhalten.[36] Ein Beschluss der Nationalbank vom November 2014, alle auf der Krim gemeldeten Bürger als Nicht-Ukrainer zu behandeln,[37] hatte die betroffenen Bankkunden vorübergehend in große Schwierigkeiten gebracht. Er wurde allerdings bereits im Dezember 2014 modifiziert: Bei Binnenflüchtlingen ist jetzt ihre auf der IDP-Registrierung verzeichnete temporäre Adresse maßgeblich, so dass sie allen anderen Bürgern juristisch gleichgestellt sind.[38] Eine Verbesserung der Lage der Binnenflüchtlinge versprechen einige neuere Gesetze, die in erster Lesung von der Verchovna Rada verabschiedet worden sind. So sollen etwa IDPs eine stärkere staatliche Finanzierung bei der Berufsausbildung sowie der Hochschulbildung erhalten.[39]

 

Damit sind aber noch längst nicht alle Ziele erreicht, die das Gesetz über Rechte und Freiheiten der IDPs formuliert. Offene Fragen betreffen etwa die Sammlung und Überprüfung persönlicher Daten, die Grundprinzipien des Datenschutzes entsprechen soll (Artikel 4.9); die Registrierung arbeitsloser IDPs in den Gebieten, in denen sie sich tatsächlich aufhalten (Artikel 7.1, Absatz 2); ihren kostenlosen Rücktransport an den ursprünglichen Wohnort (Artikel 11.8, Absatz 15) sowie die finanzielle Unterstützung von verletzten oder arbeitsunfähigen Binnenflüchtlingen bzw. Familien und Minderjährigen, die kein Einkommen mehr haben, bei der Rückzahlung von Baudarlehen oder der Bedienung von Zinsen (Artikel 17.2).

 

Auch das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) richtet in seinem "Strategic Response Plan" 2015 für die Ukraine besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse der Binnenflüchtlinge.[40] Rund 900 000 Personen, darunter 508 000 IDPs aus der Ostukraine und der Krim, sollen in den Genuss von sozialer, finanzieller und anderweitiger humanitärer Hilfe kommen. Die am stärksten gefährdeten Personengruppen - Behinderte, Alte, Kinder und Frauen - sollen bevorzugt berücksichtigt werden.

 

Zeitschrift Osteuropa (4/2015): Nie wieder Krieg - Flüchtlinge aus der Ostukraine,

http://www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2015/4/nie-wieder-krieg/ , Zugriff 24.10.2016

 

Das gegenständliche Produkt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellt.

 

Anfragebeantwortungen (AFB) der Staatendokumentation beinhalten auf Basis einlangender Anfragen recherchierte Quellen und Zusammenfassungen. Beide sind unterschiedlich gekennzeichnet. Auch eine Beschreibung von Quellen und Quellenlage wird gegeben. Die AFB kann Arbeitsübersetzungen fremdsprachiger Quellen beinhalten.

 

Das gegenständliche Produkt erhebt bezüglich der zur Verfügung gestellten Informationen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Aus dem vorliegenden Produkt ergeben sich keine Schlussfolgerungen für die rechtliche Beurteilung eines konkreten Verfahrens. Das vorliegende Dokument kann insbesondere auch nicht als politische Stellungnahme seitens der Staatendokumentation oder des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gewertet werden.

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Aufgrund der im Verfahren vorliegenden nationalen Dokumente der BF (Inlandsreisepässe und Geburtsurkunde) steht die Identität der BF fest.

 

Die Feststellungen zu den Lebensumständen im Herkunftsstaat, zu den Privat- und Familienverhältnissen, sowie die Feststellung, dass die BF keine Verwandten oder sonstigen Angehörigen in Österreich haben, BF1 das Niveau B1 der deutschen Sprache beherrscht, sich freiwillig engagiert, mit Dienstleistungschecks arbeitet und über einen Arbeitsvorvertrag für die geplante Beschäftigung als Haushaltshilfe für 20 Std/Woche, mit einem geplanten Bruttomonatslohn von 867,-

Euro, verfügt, dass BF2 in die Schule geht und über seinen Schulerfolg, die BF einen Freundes- und Bekanntenkreis im Bundesgebiet haben, nicht Mitglieder in Vereinen oder Organisationen sind und an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leiden, ergeben sich aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 07.11.2018 und insbesondere den im Verfahren vorgelegten ÖSD-Zeugnis von BF1 und den Schulnoten von BF2, sowie den in Vorlage gebrachten Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben, einem Auszug aus dem Dienstleistungscheck-Online vom 14.04.2018 und letztlich der Arbeitszusage für BF1 vom 10.04.2018 und die Bestätigung über die Ableistung von Freiwilligenarbeit vom 15.10.2015.

 

Die Feststellungen, dass die BF Leistungen aus der Grundversorgung beziehen und strafgerichtlich unbescholten sind, beruhen auf einem aktuellen Auszug aus dem Grundversorgungsystem und dem österreichischen Strafregister.

 

2.2. Das Fluchtvorbringen der BF stellt sich dermaßen dar, dass BF1 von ihrem Lebensgefährten aufgefordert worden sei, bei der Herstellung von Molotow-Cocktails mitzuwirken, welche beim "Massaker von Odessa" zum Einsatz gekommen seien. Später habe sie aus diesem Grund einen Drohanruf und Droh-SMS erhalten, weshalb sie um ihr Leben und jenes von BF2 fürchte.

 

Die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes kommt nach Einvernahme von BF1 zum klaren Ergebnis, dass die von ihr geschilderten Umstände für das Verlassen des Herkunftsstaates nicht glaubhaft sind und sie auch keine bestehende aktuelle Gefahr im Herkunftsstaat glaubhaft machen konnte. Dies aus folgenden Gründen:

 

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP ; AB 328 BlgNR 18. GP ] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).

 

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

 

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

 

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u.

a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

 

4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u. v.a.m.).

 

Das Vorbringen der BF erfüllt die soeben genannten Kriterien, um ein Vorbringen als glaubwürdig zu beurteilen, nicht. Das Vorbringen hat sich insbesondere als widersprüchlich, unplausibel und nicht nachvollziehbar dargestellt.

 

BF1 gab zu ihren Fluchtgründen an, dass ihr Lebensgefährte Anhänger des rechten Sektors gewesen sei, sie selbst jedoch kein Verständnis für die Verfeindung der Ukraine mit der Russischen Föderation habe. Nichtsdestotrotz habe ihr Lebensgefährte sie eines Nachmittages von der Arbeit abgeholt und mit ihr die Bestandteile für die Herstellung von Molotow-Cocktails besorgt. Danach seien sie zum Platz gefahren, wo BF1 ungefähr eine halbe Stunde lang gemeinsam mit anderen die Flaschen präpariert habe. Wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bereits vorgehalten, lässt sich aus den Schilderungen von BF1 logisch nicht erklären, warum ausgerechnet sie aufgefordert worden sein soll, bei der Herstellung von Molotow-Cocktails mitzuwirken, da BF1 - wie eigens angegeben - eine völlig konträre politische Position zu jener ihres Lebensgefährten gehabt habe und keine Solidarität von ihrer Seite aus hätte erwartet werden können. Aus ihren Angaben lässt sich auch nicht erschließen, dass es nicht bereits genügend Helfer und Helferinnen für dieses Ereignis gegeben hätte. So gab sie danach gefragt, wie viele Frauen bei der Herstellung mitgeholfen hätten, an, dass es ungefähr zehn Frauen gewesen seien und es überdies auch noch an anderen Stellen "Leute" gegeben habe, die Molotow-Cocktails vorbereitet hätten. Wieso ihr Lebensgefährte also einen derartigen Aufwand betrieben und das Risiko auf sich genommen haben soll, eine Person zu aktivieren, von der keine Solidarität erwarten werden kann, nur um eine halbe Stunde Unterstützung von BF1 zu bekommen, obwohl es ausreichend Aktivisten gegeben hat, ist bereits nicht nachvollziehbar.

 

Überdies ist es für die erkennende Richterin logisch nicht erklärbar, dass BF1 nicht gewusst haben will, dass es sich bei dem Ereignis um eine Demonstration gehandelt hat, bei welcher die Flaschen zum Einsatz kommen würden und sie sich durch ihre Beteiligung strafbar gemacht hat. Wie in der mündlichen Verhandlung vorgehalten, hätte BF1 schon bei der Hinfahrt auffallen müssen, dass sie sich mitten in einer Demonstration befindet, da zu jenem Zeitpunkt, als BF1 hingefahren sei will, bereits viele Menschen auf dem Platz gewesen seien. Ihrer Antwort, wonach es stimme, dass dort "Chaos" geherrscht habe, sie sich jedoch nicht zurechtgefunden habe, da sie zum ersten Mal in "so einer Situation" gewesen sei, ist klar zu entgegnen, dass sie in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angegeben hat, ihren Lebensgefährten im Februar 2014 besucht zu haben, als er am Maidan-Platz in Kiew im Zeltlager übernachtet habe. Somit ist davon auszugehen, dass BF1 in der Vergangenheit sehr wohl Berührungspunkte zu Demonstrationen und Protesten gehabt hat und hätte ihr somit bewusst sein müssen, dass es sich bei der konstatierten Menschenansammlung in Odessa ebenfalls um eine Demonstration gehandelt hat. Dass BF1, wie behauptet, erst am Abend in den Nachrichten aufgefallen sei, was am Platz geschehen sei, ist somit völlig unglaubwürdig.

 

Auch gestalteten sich sowohl die Angaben von BF1 hinsichtlich der gegen sie gerichteten Bedrohung, als auch jener hinsichtlich ihrer Verfolger, als äußerst vage und nur wenig konkret. Überdies vermochte BF1 den markanten Widerspruch in Ihrer Einvernahme, nämlich, dass sie einerseits den Drohanruf nicht entgegengenommen habe um dann an anderer Stelle anzugeben, diesen Drohanruf doch entgegengenommen zu haben, nicht vernünftig aufzuklären. Weiters vermochte es BF1 weder in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, noch im Rahmen ihrer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuführen, um wen es sich bei ihren Verfolgern handeln soll. Schon in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab BF1 auf Nachfrage zum Anrufer bzw. Absender der Nachricht an, dass sie wahrscheinlich von einem Bekannten gesichtet worden sei, oder man ihre Nummer aus den sozialen Netzwerken gefunden habe. Durch den Leiter der Einvernahme darauf hingewiesen, dass es wohl kein Bekannter gewesen sein könne, wenn sie stets von einer ihr "unbekannten Stimme" berichtet habe, gab sie an, dass es auch ein entfernter Bekannter gewesen sein könne, dessen Stimme sie nicht kennen würde. In ihrer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht überdies konkret danach gefragt, was sie davor zurückhält, in ihr Heimatland zurückzukehren, gab BF1 nur sehr oberflächlich zu Protokoll, dass sie Angst um ihr Leben und jenes ihres Kindes habe. Nochmals aufgefordert, diese Angst zu konkretisieren, führte BF1 erneut sehr allgemein und nur wenig detailliert an, dass sie, nachdem sie den Anruf und die SMS bekommen habe, in großer Angst gewesen sei und sich davor gefürchtet habe, dass die "Leute" die Opfer rächen wollen würden. Zu einem späteren Zeitpunkt nochmals danach gefragt, was der unbekannte Drohanrufer von ihr überhaupt gewollt habe, wiederholte sie ihr allgemeines Vorbringen, wonach man ihr gesagt habe, dass sie Molotow-Cocktails angefertigt habe und es derart viele Opfer gegeben habe, dass sie und ihr Kind ebenfalls sterben müssten. Schließlich gab BF1 zu ihren Vermutungen an, dass sie wisse, dass es in Odessa "eine Personengruppe" gebe, die "solche Leute" (Aktivisten) wie sie suchen würde. Zum Vorhalt, wonach sie laut eigenen Angaben gar keine Aktivistin sei, gab BF1 nur lapidar zu Protokoll, dass sie aber bei der Herstellung der Molotow-Cocktails mitgewirkt habe und sie wisse, dass eine junge Frau, die ebenfalls bei der Herstellung des Sprengstoffes mitgewirkt habe, getötet worden sei. Somit vermochte es BF1 nicht glaubhaft und wahrheitsgetreu zu schildern, um wen es sich konkret bei ihren Verfolgern handeln soll und warum ausgerechnet an ihrer Person ein derart großes Interesse bestehen sollte.

 

Wäre BF1 überdies tatsächlich, wie behauptet, verfolgt worden, so hätten sie ihre Verfolger leicht antreffen können, zumal sie auch angab, nur drei Wochen vor der Ausreise den Hauptwohnsitz verlassen zu haben. Auch nach Vorhalt dieser naheliegenden Vermutung durch die erkennende Richterin gab BF1 der Frage ausweichend zu Protokoll, dass sie nur zuhause geblieben sei, da es ihrer Mutter körperlich schlecht gegangen sei und sie die Rettung hätten rufen müssen. Auf die Frage, ob die Erkrankung ihrer Mutter der Grund gewesen sein soll, dass ihre Verfolger das Interesse an BF1 verloren hätten, gab BF1 erneut der Frage ausweichend an, dass sie vor kurzem übersiedelt seien und sie gehofft habe, dass man sie so schnell nicht finden würde. Nochmals darauf hingewiesen, dass man sie hätte leicht ausfindig machen können, gab BF1 nur lapidar zu Protokoll, dass es wahrscheinlich nicht so schnell gegangen sei, zumal sie auch nicht die einzige involvierte Person gewesen sei. Eine plausible Erklärung blieb BF1 somit schuldig. Auch lässt sich in diesem Zusammengang logisch nicht erklären, wieso ihre Verfolger sie erst ein Jahr später, im Jahr 2015, gesucht und ihre Mutter bedroht haben sollen.

 

Am Rande sei bemerkt, dass BF1 in ihrer Erstbefragungen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt nach ihren Fluchtgründen zu Protokoll gab, dass sie dabei geholfen habe, Molotow-Cocktails vorzubereiten und habe sie nun Angst, von unbekannten Personen umgebracht zu werden. In ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl steigerte sie das bisher getätigte Vorbringen mit dem Zusatz, dass es einen Drohanruf und eine Droh-SMS gegeben habe. Wieso BF1 nicht bereits in ihrer Erstbefragung angab, dass es auch konkrete und Drohanrufe bzw. -SMS gegeben habe, lässt sich logisch nicht erklären. Es wird seitens des Gerichtes zwar nicht verkannt, dass die Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht der ausschöpfenden Darstellung der Fluchtgeschichte gewidmet ist, dennoch sollte das zentrale Fluchtvorbringen jedenfalls in seinen Wesenszügen angeführt werden. Des Weiteren ist festzuhalten, dass ein Beschwerdeführer grundsätzlich in der Lage sein muss, umfassende und inhaltlich übereinstimmende Angaben zu den konkreten Umständen und dem Grund der Ausreise aus dem Herkunftsstaat zu machen, zumal eine Person, die aus Furcht vor Verfolgung ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gerade in ihrer ersten Einvernahme auf konkrete Befragung zu ihrer Flucht die ihr gebotene Möglichkeit nicht ungenützt lassen wird, die Umstände und Gründe ihrer Flucht in umfassender und in sich schlüssiger Weise darzulegen, um den beantragten Schutz vor Verfolgung möglichst rasch erhalten zu können.

 

Wieso BF1 überdies keine Behörde oder Hilfsorganisation aufsuchte, keine Anzeige erstattete und auch sonst nichts gegen die angeblichen, gegen sie gerichteten Drohungen unternahm, ist ebenso wenig nachvollziehbar. Danach gefragt, wieso sie sich nicht an eine Hilfsorganisation gewandt hat, gab sie nur lapidar zu Protokoll, dass sie keine gekannt habe und sie sich generell bei NGOs nicht auskenne. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass - insbesondere heutzutage - von einem erleichterten Zugang zu Informationen auszugehen ist und es BF1 jedenfalls zumutbar gewesen wäre, vor Ort nach Hilfe zu suchen, bevor sie auf das äußerste Mittel der Flucht aus dem Herkunftsstaat zurückgreift. Auf die Frage, wieso sie nicht zur Polizei gegangen sei, gab sie an, dass sie einen Bekannten bei der Polizei gefragt habe, ob sie das tun solle. Da er gemeint habe, sie soll lieber das Land verlassen, und auch sie selbst der Meinung sei, dass die ukrainische Polizei - trotz Anzeigen - nichts unternehmen würden und sie selbst gesehen habe, dass die Polizei auch tatsächlich nichts unternommen habe, als sie die Molotow-Cocktails zubereitet habe, habe sie gewusst, dass sie keine Unterstützung durch die Polizei bekommen würde. Dem ist jedoch zu klar entgegnen, dass sich aus den im Verfahren herangezogenen Länderberichten eindeutig ergibt, dass der ukrainische Staat schutzfähig und -willig ist, und Strafanzeigen nachgegangen wird. Das gänzliche Fehlen staatlichen Schutzes in der Ukraine liegt jedenfalls nicht vor und vermochte es das pauschale Vorbringen von BF1, wonach sie in ihrem Herkunftsstaat keinen Schutz erhalten würde, dies nicht substantiiert zu entkräften.

 

Eine auf das gesamte Staatsgebiet bezogene ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der BF als Zivilpersonen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist trotz der derzeitigen bürgerkriegsartigen Zustände in Regionen der Ostukraine nicht anzunehmen, zumal die BF aus einem weit davon entfernten Teil des Landes stammen und auch wieder in einem solchen ziehen könnten. Den BF ist jedenfalls die Rückkehr in ein von den Unruhen nicht betroffenes Gebiet gewiss und auch vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Situation möglich und zumutbar, zumal sie ausgebildet sind und zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sowie eigenständigen Bestreitung des Lebensunterhalts in der Lage sind, was ihnen auch vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat möglich war. Sie beherrschen die Sprachen des Herkunftsstaates, sind ausgebildet und gingen auch vor ihrer Ausreise einem Erwerb nach und lebten finanziell abgesichert, womit sich die BF auch schnell in die Gesellschaft wieder eingliedern können werden.

 

Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die BF Gefahr laufen würden, in ihrem Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt zu sein. Wie den Länderinformationen unter Punkt

1.3. zu entnehmen ist, herrscht im Herkunftsstaat der BF auch keinesfalls eine Situation, in der jeder Rückkehrer einer existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Insbesondere ist die Lage in der Ukraine - abgesehen von der Krimhalbinsel und der Ostukraine - ruhig sowie eine Grund- und medizinische Versorgung der Bevölkerung gewährleistet und ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass den BF bzw. der BF1 eine allenfalls weiterführende medizinische/psychiatrische Behandlung in der Ukraine vorsätzlich verweigert werden würde. Ebenso geht aus den herangezogenen Länderberichten zweifelsfrei hervor, dass sich die beschriebene Gefährdungslage als lokal begrenzt erweist und die Sicherheitslage in Odessa, wo die BF herkommen, als unbedenklich einzustufen ist.

 

2.3. Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die BF weder in ihrer Einvernahme, noch in der Beschwerde oder in der mündlichen Verhandlung substantiiert entgegengetreten sind, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in der Ukraine zugrunde gelegt werden konnten.

 

3. Rechtliche Beurteilung

 

3.1. Verfahrensbestimmungen

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Zum Spruchteil A)

 

3.2. Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

 

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

 

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen wer-den, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

 

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 2000, Zl. 98/20/0233).

 

Es sei weiters betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung einnimmt (VwGH vom 20.06.1990, 90/01/0041).

 

3.2.2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich nicht, dass den BF in ihrem Heimatland Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe droht, zumal die Fluchtgründe der BF - wie vorhin unter Punkt 2.1. ausführlich dargestellt - nicht glaubwürdig waren.

 

Aus den Gesamtangaben der BF ist nicht ableitbar, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft im Herkunftsstaat konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätten. Ein Vorbringen hinsichtlich einer Verfolgung oder Probleme im Herkunftsstaat im asylrelevanten Ausmaß hat sich nicht ergeben, zumal die BF aus einem Teil der Ukraine stammen, der von der Konfliktzone im Osten weit entfernt ist.

 

Mangels Bestehens einer aktuellen maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählt sind, waren daher die Anträge der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abzuweisen.

 

3.3. Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:

 

3.3.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

§ 8 Abs. 3 iVm. § 11 Abs. 1 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den Teil des Herkunftsstaates des Antragstellers, in dem für den Antragsteller keine begründete Furcht vor Verfolgung und keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht. Gemäß § 1 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter dem Herkunftsstaat der Staat zu verstehen, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

 

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

 

Nach der Judikatur des EGMR obliegt es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Abschiebung behauptet, so weit als möglich Informationen vorzulegen, die den innerstaatlichen Behörden und dem Gerichtshof eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlauben (vgl. EGMR vom 05.07.2005 in Said gg. die Niederlande). Bezüglich der Berufung auf eine allgemeine Gefahrensituation im Heimatstaat, hat die betroffene Person auch darzulegen, dass ihre Situation schlechter sei, als jene der übrigen Bewohner des Staates (vgl. EGMR vom 26.07.2005 N. gg. Finnland).

 

Das Vorliegen eines tatsächlichen Risikos ist von der Behörde im Zeitpunkt der Entscheidung zu prüfen (vgl. EGMR vom 15.11.1996 in Chahal gg. Vereinigtes Königsreich).

 

Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, Zl. 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Ob die Verwirklichung der im Zielstaat drohenden Gefahren eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch den Zielstaat bedeuten würde, ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht entscheidend.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des Asylwerbers in sein Heimatland Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/18/1291). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.

 

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.

 

Den Fremden trifft somit eine Mitwirkungspflicht, von sich aus das für eine Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer derartigen Gefahr ist es erforderlich, dass der Fremde die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert und, dass diese Gründe objektivierbar sind.

 

3.3.2. Im gegenständlichen Fall kann keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention für den Fall der Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat erkannt werden.

 

Weder aus den Angaben der BF zu den Gründen, die für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat maßgeblich gewesen sein sollen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.8.2001, Zl. 2000/01/0443).

 

Ausgehend von den dargestellten allgemeinen Länderberichten zum Herkunftsstaat besteht - trotz der vom Bundesverwaltungsgericht nicht außer Acht gelassenen angespannten Sicherheitssituation in den Konfliktgebieten der Ostukraine und der Krimhalbinsel - kein Grund davon auszugehen, dass jeder Rückkehrer in der Ukraine einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, wobei bereits beweiswürdigend festgehalten wurde, dass eine Rückkehr in die Ukraine außerhalb der Konfliktregion in der Ostukraine möglich und zumutbar ist.

 

Eine völlige Perspektivenlosigkeit für die BF für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat kann somit schlichtweg nicht erkannt werden. Die BF haben jahrelang und bis zur Ausreise aus der Ukraine finanziell abgesichert gelebt. BF1 ist ausgebildet und verfügt über entsprechende Berufserfahrung. Auch wäre es ihr demnach zumutbar durch eigene und notfalls auch wenig attraktive Arbeit das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige zu erlangen. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, ausgeübt werden können.

 

Ziel des Refoulementschutzes ist es nämlich nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Die BF haben einen Großteil ihres Lebens in der Ukraine verbracht und dort bis vor kurzem noch gelebt. Sie beherrschen auch die Sprachen und sind mit den dort herrschenden Gepflogenheiten vertraut. Zudem leben noch die Mutter, der Bruder von BF1 sowie Bekannte der BF in der Ukraine. Da insbesondere BF1 ausgebildet ist, über Berufserfahrung verfügt, sowie Sprachkenntnisse der Landes- bzw. Amtssprache auf Muttersprachenniveau hat, wird es ihr zumutbar sein, in der Ukraine außerhalb der Konfliktzonen in der Ostukraine durch eigene Arbeit den lebensnotwendigen Unterhalt zu erwirtschaften.

 

Unter Verweis auf die Länderinformationen kann für die gesamte Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch schlichtweg nicht festgestellt werden, dass dort eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat iSd. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen ließe.

 

Für die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes haben sich unter diesen Aspekten keine Hinweise ergeben, wonach die BF für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Situation geraten würden.

 

Der Europäische Gerichtshof stellte in seinem Urteil vom 24.04.2018 in der Rs C-353/16 , MP fest, dass die Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen, die auf das Fehlen angemessener Behandlungsmöglichkeiten in seinem Herkunftsland zurückzuführen ist, ohne dass diesem Drittstaatsangehörigen die Versorgung absichtlich verweigert würde, keine ausreichende Rechtfertigung dafür sein könne, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Bezugnehmend auf die im Rahmen der Stellungnahme vom 05.12.2018 vorgelegten Befunde brachten die BF (insbesondere BF1) nie vor, dass gerade ihnen aus einem bestimmten Grund eine medizinische Versorgung verweigert werden würde.

 

Den BF war daher angesichts der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes und der jüngst dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Status subsidiär Schutzberechtigter nicht zuzuerkennen und die Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

 

3.4. Zu den Spruchpunkten III. und IV. der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Die BF befinden sich seit Juni 2014 im Bundesgebiet und ihr Aufenthalt ist nicht geduldet. Sie sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Die BF sind als Staatsangehörige der Ukraine keine begünstigten Drittstaatsangehörigen und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

 

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

 

Die BF sind von der Rückkehrentscheidung gleichermaßen betroffen. Mangels Familienbezuges im Sinne des Art. 8 EMRK zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich bildet die Ausweisung somit keinen unzulässigen Eingriff in das Recht der BF auf Schutz des Familienlebens.

 

Im Falle einer bloß auf die Stellung eines Asylantrags gestützten Aufenthalts wurde in der Entscheidung des EGMR (N. gegen United Kingdom vom 27.05.2008, Nr. 26565/05) auch ein Aufenthalt in der Dauer von zehn Jahren nicht als allfälliger Hinderungsgrund gegen eine Ausweisung unter dem Aspekt einer Verletzung von Art. 8 EMRK thematisiert.

 

In seiner davor erfolgten Entscheidung Nnyanzi gegen United Kingdom vom 08.04.2008 (Nr. 21878/06) kommt der EGMR zu dem Ergebnis, dass bei der vorzunehmenden Interessensabwägung zwischen dem Privatleben des Asylwerbers und dem staatlichen Interesse eine unterschiedliche Behandlung von Asylwerbern, denen der Aufenthalt bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber zukommt, und Personen mit rechtmäßigem Aufenthalt gerechtfertigt sei, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines jahrelangen Asylverfahrens nie sicher ist. So spricht der EGMR in dieser Entscheidung ausdrücklich davon, dass ein Asylweber nicht das garantierte Recht hat, in ein Land einzureisen und sich dort niederzulassen. Eine Abschiebung ist daher immer dann gerechtfertigt, wenn diese im Einklang mit dem Gesetz steht und auf einem in Art 8 Abs 2 EMRK angeführten Grund beruht. Insbesondere ist nach Ansicht des EGMR das öffentliche Interesse jedes Staates an einer effektiven Einwanderungskontrolle jedenfalls höher als das Privatleben eines Asylwerbers; auch dann, wenn der Asylwerber im Aufnahmestaat ein Studium betreibt, sozial integriert ist und schon 10 Jahre im Aufnahmestaat lebte.

 

Die Dauer des Aufenthaltes der BF seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Juni 2014 ist als nicht überdurchschnittlich lang zu bezeichnen und wird weiters dadurch relativiert, dass die Einreise illegal und der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste den BF bewusst gewesen sein.

 

Zu Gunsten der BF war zu bewerten, dass BF1 bereits Deutschkenntnisse des Niveaus B1 hat, mit Dienstleistungschecks arbeitet, über einen Arbeitsvorvertrag verfügt und sich freiwillig engagiert. BF2 ist schulpflichtig, BF2 hat einen guten Schulerfolg und besucht seit dem Schuljahr 2018/2019 die HTL Graz-Gösting. Auch haben die BF Freundschaften und Bekanntschaften im Bundesgebiet geschlossen. Jedoch leben die BF von Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Sie sind auch nicht Mitglieder in Vereinen oder Organisationen und haben die BF sonstige ausgeprägte private oder persönliche Interessen im Verfahren auch nicht dargetan. So konnte eine überdurchschnittliche Integration der BF im Bundesgebiet nicht festgestellt werden. Die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens in Österreich ist insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die BF ihren Aufenthalt nur auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Asylantrag gestützt haben, nur in geringem Maße gegeben. Schließlich ist im Hinblick auf den Umstand, dass die BF den überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht haben, BF1 dort in die Schule ging, einen Beruf erlernte und einem Erwerb nachging und sie und BF2 finanziell abgesichert lebten und beide die Sprachen des Herkunftsstaates beherrschen, davon auszugehen, dass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen, zumal dort die Mutter und der Bruder von BF1 leben, zu denen BF1 auch in Kontakt steht. Überdies verfügt BF1 unvermindert über ihre Wohnung in Odessa, da ihre Mutter in ein Wohnheim gezogen ist.

 

BF2 ist in der Ukraine geboren und verbrachte auch die ersten Jahre seines Lebens im Herkunftsstaat. Zudem lebt BF2 in Österreich im Familienverband mit BF1, spricht die Sprache seines Herkunftsstaates (die Muttersprache) und kann davon ausgegangen werden, dass er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Landes vertraut ist und sich in die Gesellschaft wiedereingliedern können wird. Es ist zwar zu berücksichtigen, dass BF2 sich - nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - nicht mehr im anpassungsfähigen Alter befindet und ist zu prüfen, ob eine Rückführung mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. etwa EGMR 26.01.1999, 43.279/98, Sarumi gegen Vereinigtes Königreich: In dieser Zulässigkeitsentscheidung attestierte der Europäische Gerichtshof Kindern im Alter von 7 Jahren und 11 Jahren eine Anpassungsfähigkeit, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erschienen ließ; vgl. auch VwGH 25.03.2010, Zl. 2009/21/0216; 31.03.2008, Zl. 2008/21/0081; 17.12.2007, Zl. 2006/01/0216). Im vorliegenden Beschwerdefall ist jedoch nicht davon auszugehen, dass BF2 mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wäre, zumal dieser sich seit etwa vier Jahren im Bundesgebiet aufhält und davor über zwölf Jahre im Herkunftsstaat lebte. Dort ist er gesellschaftlich genügend sozialisiert worden und ist aufgrund des guten Schulerfolges, den er im Bundesgebiet erfahren hat, auch davon auszugehen, dass er sich auch im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat schulisch wieder eingliedern können wird.

 

Allfällige ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen hingegen für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt (OGH 08.07.2003, Zl. 4Ob146/03d unter Verweis auf Coester in Staudinger, BGB13 § 1666 Rz 82 mwN). Zudem gehören die Eltern und deren soziookönomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (ebd.).

 

Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Darüber hinaus würde dies dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen, bzw. nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ihrer Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes entsprechen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).

 

Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK - auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. dazu VwGH, 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Bei BF1 ist zwar bei einer Rückkehr mit existentiellen Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang zu rechnen, hinsichtlich der medizinischen Versorgung ist aber von einer ausreichenden Versorgungsmöglichkeit auch hinsichtlich des Zugangs zu pharmazeutischen Produkten auszugehen. Angesichts der Aufenthaltsdauer und der fehlenden familiären Anbindung im Bundesgebiet vermag dieser Aspekt aber keine entscheidende Verschiebung zugunsten ihrer privaten Interessen zu bewirken. Die "unmenschliche Behandlung" einer Person, welche aus einer aussichtslosen existenzbedrohenden Lage resultiert, wird in der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Art. 3 geschützt. Im Rahmen der Prüfung der durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte sind das Interesse an der Fortführung einer Therapie und medizinischen Behandlung bzw. das Interesse an einer sozialen Absicherung zwar in der Abwägung zugunsten des Fremden zu berücksichtigen, doch vermögen sie nicht für sich genommen die Interessensabwägung des § 9 Abs. 2 BFA-VG, die ja auch die Aspekte der Aufenthaltsdauer, des Familienlebens und des Grades der Integration im Bundesgebiet umfasst, zugunsten des privaten Interesses des Drittstaatsangehörigen zu entscheiden. Im Falle der BF, die kein Familienleben in Österreich führen, hier erst seit vier Jahren aufhältig sind und auch kein besonders schützenswertes Privatleben entwickelt haben, ist daher trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten für den Fall einer Rückkehr in die Ukraine von keinem Überwiegen ihrer privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung auszugehen.

 

Die Verhältnismäßigkeit der Verhängung der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.

 

Aufgrund der oa. Ausführungen ist der belangten Behörde letztlich im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass die angefochtenen Bescheide einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben darstellen.

 

Der Umstand, dass die BF in Österreich nicht straffällig geworden sind, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen (VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

Daher ist davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet weniger Gewicht haben und daher gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der BF in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art 8 EMRK dar.

 

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde, zumal im Fall der BF1 hinsichtlich der jüngst aufgetretenen suizidalen Krise ausreichend Behandlungsmöglichkeiten in der Ukraine gegeben sind und keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der BF1 eine allenfalls weiterführende medizinische Behandlung absichtlich vorenthalten werden würde.

 

Auch eine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte liegt für die Ukraine nicht vor, weshalb die Abschiebung der BF in die Ukraine zulässig ist.

 

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Besondere Umstände im Sinne des § 55 Abs. 1 FPG wurden nicht dargetan und es liegen keine Anhaltspunkte vor, die in concreto für eine längere Frist sprächen, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage beträgt.

 

4. Zur Behebung des Ausspruchs zu § 55 AsylG 2005 nach amtswegiger Prüfung:

 

Der Verwaltungsgerichtshof stellte im Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. 2015/21/0101, klar und verweist darauf, dass eine amtswegige Prüfung, ob dem Fremden ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen wäre, über deren "Ergebnis" gemäß § 58 Abs. 3 AsylG 2005 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen ist, nur für den Fall vorgesehen ist, dass eine Rückkehrentscheidung im Grunde des § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Jedenfalls nach der Neufassung des § 58 Abs. 2 AsylG 2005 durch das FrÄG 2015 bietet dessen Abs. 3 keine Rechtsgrundlage (mehr), in Fällen, in denen eine Rückkehrentscheidung erlassen oder nur für vorübergehend unzulässig erklärt wird, darüber hinaus auch noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen, mag der Fremde dadurch auch nicht in Rechten verletzt sein, wenn der im dargestellten Sinn erfolgte Abspruch über die Rückkehrentscheidung zu Recht ergangen war.

 

Soweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl demnach in den angefochtenen Bescheiden von Amts wegen geprüft und ausgesprochen hat, den BF einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 nicht zu erteilen, ist dies aufgrund der dargelegten Gesetzeslage zu Unrecht erfolgt und war die spruchgemäße Erledigung zu § 55 AsylG 2005 zu beheben.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Aus-spruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte