BVwG W258 2144207-1

BVwGW258 2144207-119.9.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W258.2144207.1.00

 

Spruch:

W258 2144207-1/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch Mag. Nadja LORENZ, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116/17-19, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.10.2017 zu Recht:

 

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") stellte am 21.02.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.02.2015 gab der BF zusammenfassend an, er sei Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan"), gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei in der Provinz XXXX , in Afghanistan geboren. Er sei ledig und kinderlos und habe in XXXX zwölf Klassen der Grundschule besucht. Er habe auch in Kabul und Mazar-e Sharif gelebt. Aus Afghanistan sei er geflohen, weil sein Vater für die Regierung arbeite, weswegen die Familie von den Taliban verfolgt und bedroht worden sei.

 

Mit Aktenvermerk vom 21.05.2015 wurde das Asylverfahren vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge kurz "belangte Behörde") gemäß § 24 Abs 1 Z 1 und Abs 2 AsylG 2005 aufgrund unbekannten Aufenthaltes des BF eingestellt. Über Antrag des BF vom 09.06.2015 setzte die belangte Behörde das Verfahren fort.

 

In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 18.08.2016 gab der BF ergänzend an, seine Eltern und Geschwister würden derzeit in Tape Farat, in der Provinz Baglan leben. Sein Vater habe 30 Jahre, zuletzt als General, für das afghanische Militär gearbeitet. Deswegen werde sein Vater als Christ angesehen und von den Paschtunen gehasst. Auch seine Verwandten würden seine Familie verachten. Seine Familie sei deswegen gezwungen, versteckt zu leben und es sei ihnen auch nicht möglich, das Grundstück samt Haus der Familie in XXXX aufzusuchen. Seit einem Bombenanschlag, der seinen Vater zur Aufgabe seiner Tätigkeit für das afghanische Militär bringen sollte und den der Vater des BF unverletzt überlebt hat, arbeite der Vater des BF nicht mehr. Die Familie des BF lebe seither von den Ersparnissen des Vaters. Der BF habe monatlich Kontakt zu seiner Familie. Er habe zwar noch sehr viele Verwandte in Afghanistan, er und seine Familie hätten auf Grund der Tätigkeit seines Vaters aber keinen Kontakt zu anderen Verwandten.

 

Er selbst sei wegen der Arbeit seines Vaters in der Schule gemobbt und geschlagen worden. Nach der Matura habe er deswegen nach Kunduz gehen müssen, wo es aufgrund stärkerer Präsenz der Taliban gefährlicher sei. Von den Taliban sei er selbst nicht bedroht worden, er sei aber exponiert, weil ihn sein Vater mit seinem Militärfahrzeug von der Schule abgeholt habe. Er habe als Pharmazeut in einer Apotheke, in einer Bibliothek und in einer Buchhandlung gearbeitet.

 

Zu seinem Glauben befragt, führte der BF aus, dass er nur mäßig gläubig sei, derzeit keine Lust zum Beten habe und auch nicht in die Moschee gehe.

 

In seiner Stellungnahme vom 22.10.2016 wies der BF auf die katastrophale Sicherheitslage in Afghanistan und die fehlende Existenzmöglichkeit im Falle einer Rückkehr hin. Weiters führte er aus, dass nach ständiger Judikatur auch einer von Privatperson bzw privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung Asylrelevanz zukommen könne, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen zu unterbinden. Die Behörden Afghanistans seien gegenüber dem BF schutzunfähig sowie schutzunwillig in Hinblick auf die relativ "high-profile" Position seines Vaters. Für den Fall einer Abschiebung bestehe für den BF die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung. In Österreich sei er hingegen bereits ausgezeichnet integriert.

 

Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

 

Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde des BF vom 29.12.2016, in der er im Wesentlichen unrichtige Feststellungen, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht. Zudem brachte der BF ergänzend vor, er habe Afghanistan verlassen, weil er von seinem Onkel und seinem Cousin verfolgt werde; weiters leider er unter posttraumatischen Belastungsstörungen und schlafe kaum. Sein Vater habe seinen Beruf aufgegeben, weil ihm einmal eine Bombe auf dem Weg gelegt worden sei. Rückkehrer würden im Ausland diskriminiert und die Taliban würden dies als Vorwand für Zwangsrekrutierungen nutzen. Ergänzend zu den Länderberichten verwies der BF auf aktuelle Nachrichten. Abschließend stellte der BF den Antrag, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen.

 

Mit Schriftsatz vom 23.03.2017 zog der BF sein Vorbringen hinsichtlich der Bedrohung durch seinen Onkel und seinen Cousin zurück und führte zusammenfassend aus, dass er und seine Familie vom Rest der Paschtunen sowie vom Rest der Familie beschimpft und bedroht worden seien. Sein Vater gelte durch seine Tätigkeit beim (von den USA) finanzierten Militär für andere Paschtunen als Volksverräter. Überdies sei er seit einem knappen Jahr mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten rumänischen Staatsbürgerin liiert. Er habe sich einen "westlichen" Lebensstil angeeignet, der im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan seine Situation und die seiner Familie nochmals wesentlich verschlechtern würde.

 

Zusammen mit der Ladung vom 11.09.2017 zur mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden dem BF Länderberichte übermittelt, zu denen er mit Stellungnahme vom 22.09.2017 im Wesentlichen ausführte, dass von keiner sicheren Erreichbarkeit seiner Heimatprovinz ausgegangen werden könne. Im Übrigen sei das Gutachten von Mag. Mahringer zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes untauglich, zumal es unter anderem widersprüchlich und unschlüssig sei.

 

In der am 19.10.2017 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt. Er brachte ergänzend vor, dass er vom islamischen Glauben abgefallen sei, weshalb er in Afghanistan verfolgt werden würde.

 

Mit Stellungnahme vom 02.11.2017 brachte der BF ergänzend zum Abfall von seinem Glauben vor.

 

Am 28.08.2018 wurde dem BF wegen Zeitablauf das aktuelle Länderinformationsblatt vom 29.06.2018 übermittelt und ihm eine Frist zur allfälligen Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt. In seiner Stellungnahme vom 05.09.2018 führte der BF zusammengefasst aus, nach den aktuellen Richtlinien des UNHCR werde Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative ausgeschlossen. Darüber hinaus betone UNHCR die Wichtigkeit des Zuganges zu sozialen Netzwerken als unerlässlichen Faktor für die Relokation. Der BF hätte mangels Netzwerk, Orientierung und Erfahrung sowie aufgrund seiner wahrnehmbaren Fremdheit in Afghanistan keine Möglichkeit, den für ein zumutbares Leben notwendigen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Der BF habe darüber hinaus eine verwestlichte Wertehaltung und sei als Person, der die Abweichung von religiösen Normen unterstellt werde, schutzbedürftig.

 

Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme des BF als Partei sowie Einsicht in den Verwaltungsakt des BF sowie in die folgenden Urkunden:

 

* Anmeldebestätigung VHS Deutsch Level B1 vom 21.03.2017, Kursbestätigung Deutsch Level B1 vom 09.05.2016, Kursbestätigung Deutsch Level A2 vom 06.06.2017 und Kursbesuchsbestätigung der VHS Deutsch, Integrationskurs A1 vom 30.11.2015 als Konvolut (Beilage ./1),

 

* Kopien von Ausweisen und Urkunden hinsichtlich der Tätigkeit des Vaters des BF beim afghanischen Militär als Konvolut (Beilage ./2),

 

* die mit Schriftsatz vom 22.09.2017 vorgelegte Kursbesuchsbestätigung Deutsch B1 der VHS XXXX (Beilage ./3),

 

* Anmeldebestätigung des österreichischen Integrationsfonds zur Sprachprüfung B1 (Beilage ./4),

 

* Besuchsbestätigung des Sprachstudios XXXX vom 04.10.2017 über einen Deutschkurs Level B2 Intensiv (Beilage ./5),

 

* Antrag auf Feststellung zur Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft vom XXXX (Beilage ./6),

 

* Konvolut an AKH-Bestätigungen (Beilage ./7),

 

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (in Folge kurz "UNHCR 19.04.2016"; Beilage ./I),

 

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29.06.2018 (in Folge kurz "LIB"; Beilage ./III),

 

* ein Bildschirmausdruck der Website afghanistan.www.liveuamap.com (in Folge kurz "Lagekarte 05.09.2017"; Beilage ./V),

 

* Ausdruck der Website Afghanistan, www.liveuamap.com vom 19.10.2017, der die Gebietskontrolle der Region Kabul, Soruk und Baglan zeigt (in Folge kurz "Lagekarte 19.10.2017"; Beilage ./VI),

 

* Stellungnahme von Sarajudin Rasuly vom 14.02.2017 zur AZ W124 1419984-1, hinsichtlich der Frage, ob Taliban in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat Zivilisten angreifen (in Folge kurz "Rasuly 14.02.2017"; Beilage ./VII) und

 

* Strafregisterauszug vom 18.09.2018.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

 

1.1. Zur individuellen Situation des BF:

 

Der männliche, volljährige, kinderlose und gesunde BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Er spricht sowohl Dari als auch Paschtu und wurde im Jahr XXXX in der Provinz Samangan, in Afghanistan geboren. Das genaue Geburtsdatum des BF kann nicht festgestellt werden. Als der BF noch ein Kind war, hat seine Familie mit ihm in Kabul, Sangar und - etwa vier bis fünf Jahre - in Mazar-e Sharif gelebt. Schließlich sind sie nach Baglan gezogen, von wo aus der BF schleppergestützt nach Europa ausgereist ist.

 

Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet Österreichs eingereist und stellte am 21.02.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Der BF hat in Afghanistan die Grundschule mit der zwölften Klasse beendet, wobei er eine nicht genau feststellbare Anzahl an Klassen übersprungen hat, und hat maturiert. In Afghanistan hat der BF als Pharmazeut in einer Apotheke und als Verkäufer in einer Buchhandlung gearbeitet. Mit diesem Einkommen hat er seinen Lebensunterhalt in seinem Heimatstaat bestritten.

 

Seine Kernfamilie besteht aus seinen Eltern, zwei Brüdern und zwei Schwestern, welche nach wie vor in Baglan, Afghanistan leben. Die ältere Schwester des BF ist verheiratet und hat zwei Kinder. Der BF hält regelmäßig Kontakt zu seinen Eltern. In Afghanistan verfügt der BF noch über zwei Onkel und drei Tanten väterlicherseits sowie zwei Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits, mit denen er allerdings nicht in Kontakt steht. Weitere Verwandte des BF leben in Mazar-e Sharif mit denen auf Grund der Tätigkeit seines Vaters für das afghanische Militär kein Kontakt besteht.

 

Der Vater des BF hat bei der Afghanischen Nationalarmee als Soldat (zuletzt) im Rang eines Major gearbeitet. Er hat diese Tätigkeit aufgegeben, weil er beschuldigt worden ist, Sachen der Regierung gestohlen zu haben. Derzeit arbeitet der Vater des BF gelegentlich als Hilfsarbeiter in der Baubranche.

 

Der BF hat diverse Deutschkurse besucht - zuletzt auf dem Niveau B2 -, hat eine Prüfung für den Hauptschulabschluss gemacht und absolviert derzeit ein Abendgymnasium. Er hat gelegentlich über die XXXX gearbeitet. Der BF pflegt in Österreich Freundschaften und lebt mit einem Österreicher, welchen der BF als "Wahlonkel" bezeichnet, in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX . Überdies führt der BF seit etwa zwei Jahren und zwei Monaten mit einer in Österreich aufhältigen rumänischen Staatsangehörigen eine intime Beziehung, mit der er nicht gemeinsam wohnt, verlobt oder verheiratet ist und keine Kinder hat.

 

Der BF kleidet sich westlich, trägt einen westlichen Haarschnitt und trinkt ab und zu Alkohol. Abgesehen davon hat der BF keine westlichen Werte übernommen.

 

Der BF ist kein Mitglied eines Vereins. In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten.

 

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen:

 

Der BF wurde in der Schule von seinen Mitschülern auf Grund der Tätigkeit seines Vaters als Offizier für das afghanische Militär beleidigt und beschimpft. Vor der Schule haben ihn unbekannte Jugendliche wegen der Tätigkeit seines Vaters geschlagen und ihm dabei ua die Nase gebrochen. Die letzten Übergriffe auf den BF fanden etwa fünf Monate vor seiner Ausreise aus Afghanistan statt. Nachdem der BF die Schule abgeschlossen hat, kam es zu keinen Übergriffen mehr auf ihn.

 

Der BF und seine Familie werden durch die Taliban weder individuell bedroht noch kam es zu Übergriffen der Taliban auf den BF und seine Familie. Die Taliban haben auf den Vater des BF wegen seiner Tätigkeit für das afghanische Militär keinen Bombenanschlag verübt bzw hat er diese Tätigkeit nicht wegen einem Bombenanschlag oder einer Bedrohung durch die Taliban aufgegeben.

 

Der Vater des BF wurde auf Grund seiner Tätigkeit für das afghanische Militär von seinen Verwandten beschimpft und bedroht. Der BF und seine Kernfamilie haben nicht versteckt gelebt. Es kam - abgesehen von den Problemen des BF in und vor der Schule - weder während noch nach Beendigung seiner Tätigkeit für das afghanische Militär zu Übergriffen auf den Vater des BF oder seine Kernfamilie.

 

Der BF ist weder vom Islam abgefallen oder zum Christentum konvertiert noch wird das von Dritten in Afghanistan angenommen.

 

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat des BF:

 

1.3.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan:

 

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB S 20). Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB S 24).

 

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB S 24).

 

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben. Dies deutet auf einen Rückgang von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (LIB S 30 f).

 

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB S 31).

 

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (LIB S 34).

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die Afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (LIB S 23).

 

1.3.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz der Kernfamilie des BF, Baglan:

 

Im Februar 2017 galt Baglan (Baglan) als eine der am schwersten umkämpften Provinzen des Landes. Die Sicherheitslage hatte sich seit Anfang 2016 verschlechtert, nachdem die Taliban anfingen, koordinierte Angriffe in Schlüsseldistrikten in der Nähe der Hauptstadt auszuführen. Dies führte zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften. Regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen versuchen ihre Aktivitäten in einigen Schlüsselprovinzen des Nordens und Nordostens zu verstärken. Nichtsdestotrotz gehen die afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte mit Anti-Terrorismus-Operationen gegen diese Gruppierungen vor. Auch zählt Baglan zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam (LIB S 60).

 

Im Zeitraum 01.01.2017 bis 30.04.2018 wurden in der Provinz 102 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB S 61).

 

1.3.3. Zur Sicherheitslage in Mazar-e Sharif:

 

Die Hauptstadt der Provinz Balkh, Mazar-e Sharif, liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts-und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (LIB S 64).

 

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (LIB S 64).

 

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (LIB S 64 f).

 

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (LIB S 65).

 

In der Provinz befindet sich ua das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command -North), sowie auch das Camp Shaheen (LIB S 65).

 

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB S 65 f).

 

Die afghanischen Verteidigungs-und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (LIB S 66 f).

 

Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB S 67).

 

1.3.4. Zur Situation von Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und deren Familien:

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte, insbesondere Mitglieder der afghanischen nationalen Polizei, werden zunehmend in gezielten Kampagnen angegriffen. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) greifen auch ehemalige Mitglieder der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte an (UNHCR S 41 f).

 

Regierungsfeindliche Kräfte haben Familienangehörige, darunter Frauen und Kinder, afghanischer nationaler Sicherheitskräfte als Vergeltungsmaßnahme und gemäß dem Prinzip der Sippenhaft angegriffen. Sie wurden Opfer von Schikanen, Entführungen, Gewalt und Tötungen. So entführten militante Taliban in der Provinz Dschuzdschan (auch Jawzjan bzw Jowzjan geschrieben) am 31. Oktober 2015 vier Zivilisten, deren Söhne ehemalige Soldaten der afghanischen nationalen Streitkräfte waren, und bezichtigten sie der Unterstützung der Regierung. Während der Angriffe auf Kunduz im September 2015 vergewaltigten und töteten Taliban-Mitglieder Familienangehörige, darunter Kinder, von Polizeibefehlshabern und Soldaten. Am 28. Juni 2015 entführten und töteten regierungsfeindliche Kräfte den 17-jährigen Sohn eines Mitarbeiters der afghanischen nationalen Polizei in der Stadt Farah. Am 20. Juli 2014 haben die Taliban in der Provinz Faryab mit einem improvisierten Sprengkörper acht Personen getötet, die alle Familienangehörige eines Befehlshabers der afghanischen lokalen Polizei waren. Die Taliban werden weiters beschuldigt, im Juli 2014 in der Provinz Logar den 15-jährigen Sohn eines ehemaligen Mitglieds der afghanischen nationalen Streitkräfte enthauptet zu haben. (UNHCR S 47 f) Die Übergriffe auf die Familien von Angehörigen der nationalen Sicherheitskräfte fanden dabei in Gebieten statt, in denen die Taliban militärisch aktiv waren.

 

1.3.5. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge:

 

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 1.1.2018 und 15.5.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21 Prozent erwachsene Frauen und 55 Prozent minderjährige Kinder (LIB S 309).

 

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30 Prozent der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.3.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (LIB S 310). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54 Prozent der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (LIB S 311).

 

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw (LIB S 311 f).

 

1.3.6. Grundversorgung und Wirtschaft:

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich sechs Prozent prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4 Prozent aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4 bzw 1,8 Prozent. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um drei Prozent zurückgingen und die Importe um acht Prozent stiegen (LIB S 314).

 

1.3.7. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

 

In den Jahren 2016 und 2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013 bis 2014 bei 22,6 Prozent gelegen hatte, um ein Prozent. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 Prozent davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (LIB S 314 f).

 

1.3.8. Projekte der afghanischen Regierung:

 

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 bis 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen (LIB S 315).

 

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (LIB S 316).

 

1.3.9. Medizinische Versorgung:

 

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund zehn Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (LIB S 318).

 

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert.

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011 bis 2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012 bis 2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren.

 

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41 Prozent der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 bis 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baglan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (LIB S 318 f).

 

1.3.10. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung:

 

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

 

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90 Prozent der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB S. 319 f).

 

1.3.11. Krankenhäuser in Afghanistan:

 

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (LIB S 321 f).

 

1.3.12. Religionsfreiheit:

 

Etwa 99,7 Prozent der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7 Prozent Sunniten. Schätzungen zufolge sind etwa 10 bis 19 Prozent der Bevölkerung Schiiten. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3 Prozent der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand. Das afghanische Strafgesetzbuch enthält keine Definition von Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (LIB S 266 f).

 

1.3.13. Rückkehrer:

 

Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.03. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB S 327).

 

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils zwei bis drei Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (LIB S 328 f).

 

Personen werden von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. UU werden Rückkehrer von regierungsfeindlichen Gruppen als Ausländer oder vermeintliche für ein westliches Land tätige Spione gefoltert oder getötet (UNHCR 19.04.2016 S 46 f).

 

1.3.14. Zwangsrekrutierung:

 

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden (UNHCR 19.04.2016 S 51 f).

 

1.3.15. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative (Auszug UNHCR 19.04.2016):

 

"[...] Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

 

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

 

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

 

[...] Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte [...] in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte [...] befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte [...] im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

 

[...]

 

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig. [...]"

 

2. Die Feststellungen ergeben sich aus der folgenden

Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF und zur allgemeinen

Lage:

 

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, zum Leben des BF, seiner Familie und seiner Ausreise nach Europa ergeben sich aus den im Wesentlichen gleichbleibenden, übereinstimmenden und schlüssigen Aussagen des BF im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren. Das genaue Geburtsdatum des BF konnte nicht festgestellt werden, weil er lediglich sein Geburtsjahr kannte (OZ 1 S 91); soweit im Kopf des Erkenntnisses ein Geburtstag und ein Geburtsmonat genannt wird, dient dies nur zur Identifizierung des BF im gegenständlichen Verfahren.

 

Dass der BF gesund ist, ergibt sich aus seiner Einvernahme im Beschwerdeverfahren (OZ 8 S 2). Dem Vorbringen des BF in der Beschwerde, wonach er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide (OZ 1 S 243) konnte nicht gefolgt werden. So führte der BF dazu in der mündlichen Verhandlung befragt aus, dass er damit lediglich gemeint habe, unter Kopfschmerzen und Vergesslichkeit zu leiden. Im Zuge der Beschwerdeverhandlung konnten auch keine Einschränkungen des BF wahrgenommen werden. Der BF konnte sich ohne Einschränkungen bewegen und artikulieren und auf Fragen antworten. Zwar hat er sich in der gerichtlichen Einvernahme einmal auf Vergesslichkeit berufen (OZ 8 S 10), dies aber erst über den Vorhalt eines Widerspruchs, den er mit angeblicher Vergesslichkeit aufzulösen versucht hat. Sie ist daher als reine Schutzbehauptung zu werten.

 

Die Feststellungen zum westlichen Bekleidungsstil und Haarschnitt des BF ergeben sich aus der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der Beschwerdeverhandlung. Die Feststellung, wonach der BF keine weiteren westlichen Werte übernommen hat, gründet sich auf seine hg Vernehmung. So ist alleine daraus, dass der BF in Österreich eine intime Beziehung führt, ab und zu Alkohol trinkt und den Wunsch hegt, sich ein Tattoo stechen zu lassen (OZ 8 S 22 f), kein substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan erkennbar.

 

Dass der BF diverse Deutschkurse besucht hat und die Feststellungen zu seinen Deutsch-Kenntnissen ergeben sich aus den unbedenklichen Urkunden (Beilagen ./1 bis ./5) sowie der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung (OZ 8 S 18). Die weiteren Feststellungen zu den familiären Bindungen, zum Privatleben und zur Integration des BF in Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und glaubhaften Aussagen. Dass der BF nicht gemeinsam mit seiner Freundin wohnt, ergibt sich aus seiner hg Aussage, wonach er - zum Teil gemeinsam mit seinem Wahlonkel - in einer Wohnung seines Wahlonkels wohnt und der BF nur Freunde in die Wohnung lassen darf, wenn der Wahlonkel nicht anwesend ist (OZ 8 S 20).

 

Die Feststellung, dass der Vater des BF als Soldat im Rang eines Major beim afghanischen Militär gearbeitet hat, ergibt sich aus der Aussage des BF in der Beschwerdeverhandlung und der vorgelegten Kopie des Militärausweises seines Vaters (OZ 1 S 123), auf dem sein Rang mit "MAJ", einer Abkürzung für den Dienstgrad Major, vermerkt ist. Den Angaben des BF vor der belangten Behörde, wonach sein Vater den Rang eines Generals bekleidet hat (OZ 1 S 91), konnte daher nicht gefolgt werden.

 

Das Vorbringen des BF in seinem verwaltungsbehördlichen Asylverfahren, wonach sein Vater seine Tätigkeit beim afghanischen Militär habe aufgeben müssen, weil die Taliban ihn dazu mit einem Bombenanschlag gezwungen hätten, wurde vom BF in der Beschwerdeverhandlung nicht mehr aufrechterhalten, in der der BF angab, sein Vater wäre - zu Unrecht - beschuldigt worden, Sachen der Regierung gestohlen zu haben (OZ 8 S 7), weshalb dies als Grund für die Beendigung seiner Tätigkeit als Soldat festzustellen war und weiters festzustellen war, dass die Taliban für das Ausscheiden seines Vaters aus dem afghanischen Militär nicht ursächlich waren und deswegen keine Bombenanschläge auf ihn verübt worden sind.

 

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus seinem Strafregisterauszug.

 

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen gründen. Insoweit in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zu Grunde liegen, haben sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuellen Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert. Insbesondere in Bezug auf die vom BF in seiner Stellungnahme angeführten aktuellen UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, wonach Kabul keine innerstaatliche Fluchtalternative darstelle, ist festzuhalten, dass das erkennende Gericht im vorliegenden Fall eine innerstaatlichen Fluchtalternative für Kabul nicht berücksichtigt hat.

 

Die Feststellung, wonach die Übergriffe der Taliban auf Familien von Angehörigen der nationalen afghanischen Sicherheitskräfte nur in Gebieten stattfanden, in denen die Taliban militärisch aktiv waren, gründet auf das LIB, wonach die einzelnen festgestellten Vorfälle allesamt in Gebieten stattfanden, die volatil oder durch die Taliban bedroht oder kontrolliert worden sind (LIB S 107, wonach Dschuzdschan zu den volatilen Provinzen in Nordafghanistan zählt; LIB S 31 und S 134, wonach Kunduz eine der volatilsten Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten ist, die von den Taliban kontrolliert werden; LIB S 24, wonach die Stadt Farah von den Taliban bedroht wird; LIB S 81, wonach Faryab zu den relativ volatilen Provinzen im Norden Afghanistans gehört, in der bewaffnete regierungsfeindliche Gruppen in einer Anzahl an Distrikten aktiv waren und LIB S 145, wonach Logar zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans gehört).

 

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen:

 

2.2.1. Zur Bedrohung des BF auf Grund der Tätigkeit seines Vaters für das afghanische Militär:

 

Die Feststellungen zu den Auswirkungen der Tätigkeit des Vaters des BF auf ihn und seinen Vater, der - nicht festgestellten - Bedrohung durch die Taliban und die Umstände der Beendigung der Tätigkeit des Vaters des BF für das afghanische Militär gründen auf die glaubhafte und schlüssige Aussage des BF in der Beschwerdeverhandlung (OZ 8 S 7 ff). Da die vom BF geschilderten Übergriffe ausschließlich während seiner Schulzeit und entweder in oder unmittelbar vor seiner Schule stattgefunden haben, konnte die Feststellung getroffen werden, dass die Übergriffe auf ihn mit seiner Schulzeit geendet haben. Die zeitliche Feststellung des letzten Übergriffs auf den BF gründet auf seine Aussage in der Beschwerdeverhandlung (OZ 8 S 13).

 

Dem - ursprünglichen - Vorbringen des BF, er sei auf Grund der Tätigkeit seines Vaters für das afghanische Militär durch die Taliban, andere Paschtunen und paschtunischen Familienangehörigen gefährdet, konnte nicht gefolgt werden. So hat er zwar noch in der Beschwerdeverhandlung ausgesagt, sein Vater sei von den Taliban bedroht worden, er konnte über Rückfrage aber keine weiteren Bedrohungen als die - festgestellten - Übergriffe auf ihn selbst schildern. Dass der BF über Rückfrage angab, konkrete Übergriffe auf seine Familie durch die Taliban vergessen zu haben, ist nicht nachvollziehbar und als Schutzbehauptung zu werten. Auch aus der - allgemein gehaltenen - Aussage des BF, seine Familie könne nicht zu ihrem Haus in der Provinz Kabul zurück, weil dort die Taliban seien bzw weil die Paschtunen seinen Vater hassen würden (OZ 1 S 93 und OZ 8 S 10), konnte keine individuelle Bedrohung des BF oder seiner Kernfamilie abgeleitet werden.

 

Auch seinen Angaben, wonach ihn seine Familie in Mazar-e-Sharif töten würde, müsste er dort leben, konnte nicht gefolgt werden. Erstens blieben seine diesbezüglichen Angaben sehr allgemein und vage. Zweitens konnte er - außer, dass er von den Jungen dieser Verwandtschaft beschimpft worden sei - keine Übergriffe oder Drohungen seiner Verwandten auf bzw gegen ihn schildern. Letztlich begründete der BF seine Furcht lediglich mit dem Umstand, dass seine Verwandten mit der Tätigkeit seines Vaters für das afghanische Militär nicht einverstanden gewesen wären; diese Tätigkeit hat sein Vater aber inzwischen aufgegeben.

 

Den Angaben des BF, wonach sein Vater versteckt wohnen müsse (OZ 1 S 93; OZ 8 S 11) konnte nicht gefolgt werden, weil sie im Widerspruch zu seiner Aussage stehen, wonach sein Vater gelegentlich Arbeiten als Hilfsarbeiter am Bau verrichtet (OZ 8 S 6).

 

2.2.2. Zum vorgebrachten Abfall vom Islam bzw zur Konvertierung zum Christentum:

 

Dem Vorbringen des BF, er sei vom Islam abgefallen bzw möchte als Christ leben, konnte ebenfalls nicht gefolgt werden.

 

Erstens sind seine Angaben zu seiner Praktizierung des Islam widersprüchlich: Während er sich in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde noch als mäßig gläubigen Muslim bezeichnet hat, der betet, wenn er Zeit und Lust hat, derzeit aber nicht betet oder in die Moschee geht (OZ 1 S 97), will er in seiner hg Einvernahme den Islam bereits in Afghanistan abgelehnt, nicht gebetet und die Moschee nur zum Schein besucht haben (OZ 8 S 14).

 

Zweitens blieben die Begründungen des BF, warum er sich vom Islam ab- und dem Christentum zugewendet hat, oberflächlich, nicht nachvollziehbar oder bezogen sich tatsächlich auf die unterschiedlichen Gesellschaft- und Lebensformen in Afghanistan und Österreich: So sei der Islam nie seine Religion gewesen. Der Islam sei wegen der Probleme des BF in Afghanistan (OZ 8 S 14) und weil Muslime an manchen Orten gehasst werden (OZ 8 S 17) schlecht. Das Verhalten, das Leben und die Freiheit der Christen möge er (OZ 8 S 17).

 

Drittens muss davon ausgegangen werden, dass jemand, der sich einer neuen Religion zuwendet, sich mit der neuen Religion beschäftigt und über sie gewisses Wissen erworben hat. Der BF war aber lediglich vier Mal in einer christlichen Kirche und verfügt über fast kein Wissen über das Christentum. Zwar kennt er das Kreuz als christliches Symbol, er kennt aber kein einziges christliches Gebet (OZ 8 S 17) und konnte auf grundlegende Fragen keine richtigen Antworten geben; so vermeint der BF, dass Christen zu Weihnachten das neue Jahr feiern (OZ 8 S 17).

 

Letztlich ergibt sich aus seinen Angaben, wonach er mäßig gläubig sei, bete wenn er Zeit und Lust dazu habe, die Moschee in Afghanistan besuche, damit die Menschen ihn als Muslim wahrnehmen würden (OZ 1 S 97, OZ 8 S 14), dass alle Religion eigentlich ähnlich seien, ihm die Religion Anderer nicht wichtig sei (OZ 8 S 14 und 17) und dass er sich in Afghanistan nicht viele Gedanken über Religion gemacht habe (OZ 8 S 18), dass der Glaube - in welcher Ausprägung auch immer - kein wesentlicher Bestandteil des Lebens des BF ist und er in der Lage und auch gewillt ist, sich den jeweiligen örtlichen Anforderungen für Muslime anzupassen. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass er über Frage des erkennenden Richters, ob er nicht in Afghanistan seinen Glauben weiter so "praktizieren" könnte, keine Antwort wusste, sondern nur seine - nicht seinem Glauben zuzurechnenden - Probleme in Afghanistan erwähnte (OZ 1 S 14 ff). Eine innere Überzeugung des BF, dass er den Islam als Religion ablehne bzw sich dem Christentum zugewendet hat, ist daraus jedenfalls nicht ableitbar.

 

Dass der BF einige Zeit lang eine Halskette mit Kreuz getragen und - drei Tage vor der mündlichen Beschwerdeverhandlung - einen Antrag auf Feststellung zur Nichtzugehörigkeit zur islamischen Glaubensgemeinschaft gestellt hat (Beilage ./6), vermag daran nichts zu ändern.

 

Zwar gab der BF zum Kreuz befragt zuerst an, er habe es getragen, weil er als Christ leben habe wollen (OZ 8 S 15), über Rückfrage, warum er mit so wenig Wissen über das Christentum bereits ein Kreuz getragen hat, relativierte er aber dahingehend, dass er das Kreuz getragen habe, weil das Christentum und der Islam gleich seien und er nicht verstehe, warum sie gegeneinander seien und damit ihn die Muslime nicht mehr begrüßen und an ihm vorbeigehen würden (OZ 8 S 17). Eine innere Glaubensüberzeugung konnte aus dem Tragen des Kreuzes daher ebenso wenig abgeleitet werden, wie aus seinem Antrag auf Feststellung zur Nichtzugehörigkeit zur islamischen Glaubensgemeinschaft, der knapp vor der Beschwerdeverhandlung eingebracht worden ist.

 

Insgesamt war daher davon auszugehen, dass sich der BF zwar nicht im besonderen Maße für den Islam interessiert, er aber weder vom Islam abgefallen noch Christ geworden ist. Dass Dritte in Afghanistan auch nicht annehmen, dass der BF vom Islam abgefallen bzw zum Christentum konvertiert ist, ergibt sich aus der hg Einvernahme des BF, wonach er von seinem Interesse am Christentum nur seinen Wahlonkel erzählt habe (OZ 8 S 18).

 

3. Rechtlich folgt daraus:

 

Zu A):

 

3.1. Asyl nach § 3 AsylG 2005:

 

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Flüchtling im Sinn Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in Folge kurz als "GFK" bezeichnet) ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva).

 

Auch einer von Privatpersonen bzw privaten Gruppierungen ausgehender und auf einem Konventionsgrund beruhender Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 03.03.2017, Ra 2016/01/0293). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl VwGH 06.07.2011, Zl 2008/19/0994; 24.02.2015, Ra 2014/18/0063; zum Erfordernis der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit siehe VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

 

Relevant kann dabei nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; zum Entscheidungszeitpunkt muss mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu rechnen sein (vgl ua VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

 

3.1.1. Zu den individuellen Fluchtgründen:

 

Aus den Feststellungen kann keine auf Grund der Konventionsgründe erfolgte individuelle Verfolgung des BF abgeleitet werden.

 

3.1.2. Zur Gefährdung des BF auf Grund der Tätigkeit seines Vaters für die afghanische Nationalarmee:

 

Die Taliban verfolgen auch Familien von - auch ehemaligen - Angehörigen der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte und der BF wäre als Sohn eines Offiziers mittleren Ranges der afghanischen Nationalarmee daher grundsätzlich auch noch gefährdet, wenn sein Vater seine Tätigkeit als Soldat inzwischen aufgegeben hat. Beim BF realisieren sich diese Gefahren aber gerade nicht: Die Bedrohungen finden nämlich grundsätzlich nur in Gebieten statt, die von den Taliban bedroht oder kontrolliert werden. Die dem BF offenstehende innerstaatliche Fluchtalternative Mazar-e Sharif (siehe dazu Punkt 3.2.), wird von der afghanischen Regierung kontrolliert; sie ist nicht umkämpft und wird von den Taliban nicht bedroht. Sein Vater hat dabei als Offizier mittleren Ranges nicht eine derart exponierte Stellung, dass er als derartig wichtiges Ziel gesehen würde ("high profile"), dass sein Sohn auch in einem Gebiet verfolgt werden würde, in dem die Taliban grundsätzlich keine Präsenz haben. Auch konnten sich sein Vater und seine restliche Kernfamilie in Afghanistan mehrere Jahre ohne Übergriffe durch die Taliban aufhalten. Die Beschimpfungen, Bedrohungen und Übergriffe auf den BF haben mit Abschluss seiner Schulausbildung aufgehört und der BF konnte im Anschluss etwa fünf Monate ohne weitere Übergriffe oder Bedrohungen in Afghanistan leben. Die bloße - denkbare - entfernte Möglichkeit einer Verfolgung des BF durch die Taliban auf Grund der ehemaligen Tätigkeit seines Vaters reicht für eine asylrevante Verfolgung nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

 

3.1.3. Zu einer allfälligen Verfolgungsgefahr aufgrund "Verwestlichung":

 

Wenn der BF vorbringt, er sei in Afghanistan auf Grund seiner "westlichen Einstellung" gefährdet ist ihm entgegen zu halten, dass sich aus dem bloßen Umstand, dass sich der BF dreieinhalb Jahre in Österreich aufhält, ab und zu Alkohol trinkt, sich westlich kleidet, eine intime Beziehung führt und mäßiges Interesse am Islam hat in Zusammenschau mit den Länderfeststellungen keine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der GFK genannten Gründe hätte, ableiten lässt. Im Übrigen ist aus den Länderfeststellungen nicht ableitbar, dass alleine ein Aufenthalt in Europa und eine westliche Geisteshaltung bei Männern bei einer Rückkehr nach Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Insbesondere verneint der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur auch eine Vergleichbarkeit solcher Sachverhalte mit seiner Judikatur zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen (vgl VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).

 

3.1.4. Zur Gefährdung wegen Zwangsrekrutierung:

 

Einer (versuchten) Zwangsrekrutierung kommt dann Asylrelevanz zu, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Entscheidend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist, mit welchen Reaktionen der Taliban der BF aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (vgl VwGH vom 15.03.2016, Ra 2015/01/0069 uvm).

 

Aus den Länderfeststellungen (Pkt. II.1.3.14.) geht zwar hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang nutzen. Daraus ist jedoch nicht ersichtlich, dass jeder junge Erwachsene automatisch einer Verfolgung auf Grund von drohender Zwangsrekrutierung in Afghanistan ausgesetzt wäre; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so zB VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Dies gilt im Besonderen für die dem BF offenstehende innerstaatliche Fluchtalternative Mazar-e Sharif (siehe dazu Punkt 3.2.), weil Mazar-e Sharif relativ sicher ist und derzeit nicht von den Taliban kontrolliert wird, weshalb das Risiko einer Zwangsrekrutierung für den BF weiter reduziert ist.

 

3.2. Subsidiärer Schutz nach § 8 AsylG 2005:

 

3.2.1. Allgemeines:

 

Gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Nach § 8 Abs 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs 1 leg cit mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg cit zu verbinden.

 

Die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art 2 oder 3 EMRK setzt dabei eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

 

Für den Herkunftsstaat Afghanistan ist derzeit die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, 18.03.2016, Ra 2015/01/0255, 13.09.2016, Ra 2016/01/0096, jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).

 

3.2.2. Zur Rückführung nach Baglan:

 

Der BF stammt aus der Provinz Baglan, in der sich die Sicherheitslage seit Anfang 2016 verschlechtert hat, nachdem die Taliban anfingen, koordinierte Angriffe in Schlüsseldistrikten in der Nähe der Hauptstadt auszuführen. Auch zählt Baglan zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam. Dem BF würde daher - auch ohne eine festgestellte individuelle Bedrohung - bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art 3 EMRK drohen.

 

3.2.3. Zur innerstaatliche Fluchtalternative:

 

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005; vgl hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein, dh es muss ihm möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 23.01.2018, Ra2018/18/0001).

 

3.2.3.1. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif:

 

Die afghanische Regierung hat die Kontrolle über Mazar-e Sharif. In Mazar-e Sharif ist die allgemeine Lage vergleichsweise sicher und stabil, auch wenn Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, nicht auszuschließen sind. Die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen vermag für sich alleine betrachtet aber noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art 3 EMRK verstoßen würde bzw für den Betroffenen unzumutbar wäre. Allein der Umstand, dass ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet bei der derzeitigen Gefahrenlage für den BF noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (vgl VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137).

 

Hinsichtlich der bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur eingeschränkt möglich. Die Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist in Mazar-e Sharif aber zumindest grundlegend gesichert.

 

Mazar-e Sharif ist über den Luftweg aufgrund des vorhandenen internationalen Flughafens sicher erreichbar.

 

3.2.3.2. Zur Situation des BF:

 

Der BF ist ein gesunder und arbeitsfähiger Mann im erwerbsfähigen Alter, der über eine mehrjährige Schulbildung und Berufserfahrung als Pharmazeut und Verkäufer verfügt, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der BF hat den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, wodurch er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und der Sprache vertraut ist. Er hat als Kind mit seiner Familie bereits mehrere Jahre in Mazar-e Sharif gelebt. Der BF verfügt daher - wenngleich, weil er zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in Mazar-e Sharif noch ein Kind war, über nicht stark ausgeprägte - Kenntnisse über Mazar-e Sharif, ebenso sein Vater, der ihm - zumindest grundlegende - Ortsinformationen zukommen lassen könnte. Von den in Mazar-e Sharif lebenden Verwandten des BF kann er zwar auf Grund ihrer kritischen Haltung gegenüber der (ehemaligen) Tätigkeit seines Vaters als Soldat für die afghanische Nationalarmee keine Unterstützung erwarten, sie würden ihn aber auch nicht verfolgen. Der BF gehört daher keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Außerdem kann der BF durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Mazar-e Sharif das Auslangen finden; deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Seine Existenz könnte er dort mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei ihm seine Sprachkenntnis, Schulbildung und Berufserfahrung als Pharmazeut und Verkäufer zu Gute kommen.

 

Es gibt somit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der BF in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (zB Nahrung, Unterkunft) einer ausweglosen bzw existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre und nicht nach Anfangsschwierigkeiten Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte führen könnte, wie es auch andere Landsleute führen können.

 

Allein seine fehlenden tragfähigen Beziehungen in Mazar-e Sharif vermögen die Gefahr einer individuellen Bedrohung des Lebens des BF nicht darzutun (vgl VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095), sie machen die innerstaatliche Fluchtalternative auch nicht unzumutbar (vgl VfGH 12.12.2017, E 2068/2017; zur Ausnahme vom Erfordernis eines Zugangs zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet für alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf siehe Punkt II.1.3.15.).

 

Auch die wohl schwierige Lebenssituation des BF bei einer Neuansiedlung in Mazar-e Sharif bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche und in wirtschaftlicher Hinsicht stellt für sich ebenfalls keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und damit keine Verletzung von Art 3 EMRK dar (vgl in Bezug auf Kabul VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).

 

3.2.3.3. Gesamtbetrachtung:

 

Es ist daher in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass der BF im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in Mazar-e Sharif in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif möglich und auch zumutbar ist.

 

3.3. Zur (Nicht‑)Erteilung eines Aufenthaltstitels und zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung:

 

3.3.1. Allgemeines:

 

Wird der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, sofern kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt wird (§ 10 Abs 1 AsylG 2005). Dies ist von Amts wegen zu prüfen (§ 58 Abs 1 Z 2 AsylG 2005).

 

3.3.2. Zur (Nicht‑)Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005:

 

Gemäß § 57 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

 

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der BF ein Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.3.3. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG:

 

Die relevante Rechtsnorm für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach dem 8. Hauptstück des FPG ist § 52 FPG. Gemäß § 52 Abs 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

 

Würde durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

3.3.3.1. Zum Eingriff in das Privat- und Familienleben:

 

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann ua Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die folgenden Kriterien zu berücksichtigen (vgl VfSlg 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423): Erstens die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, zweitens das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, drittens die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, viertens der Grad der Integration, fünftens die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, sechstens die strafgerichtliche Unbescholtenheit, siebentens Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, achtens die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und schließlich neuntens die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Zum Eingriff in das Familienleben des BF:

 

Das nach Art 8 EMRK geschützte Familienleben ist nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Beziehungen beschränkt, sondern erfasst auch faktische Familienbindungen, bei welchen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben (VwGH 20.01.2011, 2007/01/1400 uva).

 

Ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK begründet, ist auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen abzustellen, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl VwGH 28.06.2011 2008/01/0527).

 

Der BF hat seit etwa zwei Jahren und zwei Monaten eine intime Beziehung mit einer rumänischen Staatsangehörigen mit der er nicht gemeinsam wohnt, verlobt oder verheiratet ist und mit der er keine Kinder hat. Sie sind ihre Beziehung zu einem Zeitpunkt eingegangen, in dem sie sich bewusst sein mussten, dass auf Grund des Aufenthaltsstatus des BF der Fortbestand ihrer Beziehung im Aufenthaltsland von vornherein unsicher gewesen ist. Daraus lässt sich keine enge persönliche Bindung im Sinne des Art 8 EMRK ableiten.

 

Da der BF über keine weiteren Familienangehörigen oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art 8 EMRK auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher lediglich allenfalls in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.

 

Zum Eingriff in das Privatleben des BF:

 

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua gegen Lettland, Appl 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Im vorliegenden Fall hält sich der BF seit seiner Antragstellung am 21.02.2015 im Bundesgebiet auf, wo er nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren verfügt hat. Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und stellte in weiterer Folge seinen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Dem BF ist zu Gute zu halten, dass er sich in der Zeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet um eine Integration in Österreich bemüht gezeigt hat, indem er unter anderem in Österreich Deutschkurse besucht hat, gelegentlich über die Caritas gearbeitet hat, eine Prüfung für den Hauptschulabschluss absolviert hat und ein Abendgymnasium besucht sowie in Österreich Freundschaften, insbesondere zu seinem "Wahlonkel" pflegt und auch eine Freundin hat.

 

Allerdings ist relativierend festzuhalten, dass der Zeitraum des Aufenthalts des BF, in dem er die angeführten Integrationsschritte setzte, mit lediglich dreieinhalb Jahren als kurz zu werten ist (vgl VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; vgl auch VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, wonach einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt). Für diesen Zeitraum hat der Beschwerdeführer jedenfalls nicht solch außergewöhnliche Integrationsleistungen erbracht, die für seinen Verbleib in Österreich ausschlagen würden.

 

Auch hat der BF nach wie vor eine enge Bindung zu Afghanistan, zumal er den Großteil seines Lebens in Afghanistan verbracht hat, dort sozialisiert worden ist und seine Familie nach wie vor dort lebt. Es ist daher davon auszugehen, dass sich der BF nach dreieinhalbjähriger Abwesenheit vom Herkunftsstaat wieder in die dortige Gesellschaft eingliedern können wird.

 

Dass der Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

 

Diesen schwach ausgeprägten privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

 

Die Dauer des Verfahrens von dreieinhalb Jahren übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl VfSlg 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt gegen Norwegen, Appl 47017/09).

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG iVm Art 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

3.3.3.2. Zu einem etwaigen sonstigen Aufenthaltsrecht:

 

§ 52 Abs 2 Z 2 FPG setzt weiters voraus, dass dem BF kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzung liegt vor.

 

Die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 wurde somit zu Recht erlassen.

 

3.3.4. Zur Zulässigkeit einer Abschiebung:

 

Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg cit in einen bestimmten Staat zulässig ist. Die in § 50 Abs 1 FPG genannten Abschiebehindernisse entsprechen dabei den Tatbeständen der §§ 3 und 8 Abs 1 AsylG 2005, deren Erfüllung bereits zu den Punkten 3.1. und 3.2. verneint worden ist.

 

Die Abschiebung ist schließlich nach § 50 Abs 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht.

 

Die Abschiebung des BF nach Afghanistan ist daher zulässig.

 

3.3.5. Zur Frist zur freiwilligen Ausreise:

 

Gemäß § 55 Abs 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 leg cit zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs 2 leg cit vierzehn Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist zur freiwilligen Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen vierzehn Tage festgesetzt werden (§ 55 Abs 3 leg cit ).

 

Da derartige Umstände nicht vorgebracht wurden und auch im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen sind, ist die Frist zu Recht mit zwei Wochen festgelegt.

 

Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid auch in diesem Spruchpunkt als unbegründet abzuweisen.

 

3.3.6. Sonstiges:

 

Die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens war aufgrund der durch die umfassenden Länderberichte ausreichend klaren Sachlage nicht erforderlich.

 

Auch auf die Kritik am Gutachten des Sachverständigen Mahringer war nicht weiter einzugehen, weil keine der Feststellungen in dem Gutachten gründen.

 

Die vom BF zitierten Länderberichte stehen zu den Länderfeststellungen nicht im Widerspruch oder beziehen sich auf inzwischen aktualisierte Berichte, weshalb darauf ebenfalls nicht näher einzugehen war.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der (jeweils zitierten) bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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