BVwG I403 2144996-1

BVwGI403 2144996-16.2.2017

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:I403.2144996.1.00

 

Spruch:

I403 2144996-1/3E

I403 2145000-1/3E

I403 2145006-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerden der XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, sowie des minderjährigen XXXX und des minderjährigen XXXX, beide geboren am XXXX und nigerianische Staatsbürger, gegen die Spruchpunkte I der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2016, Zl. 1045964205/140198361; Zl. 1099799100/152035525; Zl. 1099797901/152035415, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2016, Zl. 1045964205/140198361 wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte I der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2016, Zl. 1099799100/152035525 und Zl. 1099797901/152035415 wird stattgegeben und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX sowie XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsbürgerin, stellte am 21.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihr sei versprochen worden, dass sie in Europa als Reinigungskraft arbeiten könne, tatsächlich hätte sie aber in Italien als Prostituierte arbeiten sollen. Sie sei daher nach Österreich geflüchtet.

Am 24.11.2015 wurden die beiden Söhne der Erstbeschwerdeführerin (Zweit- und Drittbeschwerdeführer) geboren, für welche ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Eigene Fluchtgründe wurden nicht geltend gemacht.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 29.02.2016 als Opfer von Menschenhandel von der Landespolizeidirektion Vorarlberg vernommen. Die Staatsanwaltschaft Feldkirch stellte das Ermittlungsverfahren gemäß § 190 Z StPO wegen Unzuständigkeit ein (Benachrichtigung zu GZ XXXX vom 19.04.2016).

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2016 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 21.11.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. Nr. 100/2005 idgF abgewiesen (Spruchpunkt I). Ihr wurde allerdings gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt (Spruchpunkt II) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 15.12.2017 erteilt (Spruchpunkt III).

Aufgrund des Umstandes, dass für Zweit- und Drittbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden, wurden ihre Anträge auf internationalen Schutz mit den im Spruch genannten Bescheiden in Bezug auf den Asylstatus abgewiesen (Spruchpunkt I), wurde ihnen aber in Ableitung des Status ihrer Mutter und gesetzlichen Vertreterin der Status von subsidiär Schutzberechtigten zugesprochen (Spruchpunkte II und III).

Gegen die am 20.12.2016 zugestellten Bescheide wurde fristgerecht am 16.01.2017 Beschwerde erhoben und eine Vollmacht für die Vertretung durch den Verein Menschenrechte Österreich vorgelegt. Angefochten wurde Spruchpunkt I der Bescheide. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge die angefochtenen Bescheide dahingehend abändern, dass den Beschwerdeführern der Status von Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu die angefochtenen Bescheide im Spruchpunkt I beheben und an das BFA zurückverweisen und eine mündliche Verhandlung durchführen. Inhaltlich wurde vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung geworden sei und als Mitglied einer sozialen Gruppe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention den Flüchtlingsstatus zugesprochen bekommen müsse.

Beschwerden und Bezug habende Akte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 19.01.2016 vorgelegt und von Seiten der belangten Behörde erklärt, dass auf die Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichtet werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Nigerias und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005. Ihnen wurde mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2016 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Der entsprechende Spruchpunkt ist in Rechtskraft erwachsen. Der Schutzstatus wurde gewährt, da die reale Gefahr besteht, dass es der Erstbeschwerdeführerin als Mutter von einjährigen Zwillingen ohne familiäres Netzwerk nicht möglich wäre, sich eine Existenzgrundlage aufzubauen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist nicht gegeben.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, nämlich dem Versprechen, dass sie als Reinigungskraft arbeiten könne, von einer Frau nach Italien gebracht, wo sie zur Prostitution gezwungen wurde, ehe ihr die Flucht gelang.

Die Erstbeschwerdeführerin muss mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten, in Nigeria Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe "Opfer von systematisch organisiertem Frauenhandel" zu erleiden. Die Erstbeschwerdeführerin liefe im Falle einer Rückkehr Gefahr, von den Personen, die für ihre Außerlandesbringung verantwortlich waren, oder von anderen Personen, die sich ihre Zwangslage zunutze machen würden, wiederum zur Prostitution gezwungen oder andersweitig verfolgt zu werden. Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes um ein Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung.

Es liegen keine Asylausschlussgründe im Sinne des § 6 AsylG 2005 vor; die Erstbeschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

Aufgrund des Umstandes, dass es sich um ein Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 handelt, ist dem Zweit- und dem Drittbeschwerdeführer der gleiche Status zuzuerkennen wie ihrer Mutter, der Erstbeschwerdeführerin.

2. Beweiswürdigung:

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Das Bundesamt stellte in dem angefochtenen Bescheid fest, dass die Erstbeschwerdeführerin in Nigeria keine familiären Anknüpfungspunkte mehr hat und dass ihr eine Rückkehr nicht zumutbar ist, da die reale Gefahr besteht, dass sie sich keine Existenzgrundlage mehr aufbauen könnte. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wurde von der belangten Behörde verneint. Diese Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes sind unbestritten, da Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide nicht bekämpft wurde.

Das Bundesamt verneinte allerdings das Vorhandensein der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und begründete dies damit, dass die Erstbeschwerdeführerin Nigeria aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe und sie keine Verfolgung oder Bedrohung durch den nigerianischen Staat zu befürchten habe. Für Zweit- und Drittbeschwerdeführer seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden.

Konkret führt das Bundesamt im angefochtenen Bescheid aus, dass die Erstbeschwerdeführerin wegen des Versprechens, in Europa als Reinigungskraft arbeiten zu können, Nigeria verlassen habe; deswegen habe sie Nigeria aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Das Vorbringen, dass sie in Italien aufgefordert worden sei, als Prostituierte zu arbeiten und einen Betrag von 60.000 Euro zurückzuzahlen, sei nicht asylrelevant, da es sich außerhalb Nigerias zugetragen habe. Mit dieser Argumentation übersieht die belangte Behörde, dass die Erstbeschwerdeführerin Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung wurde und sich die "Tathandlung" nicht nur auf Italien bezieht, sondern dass das Anwerben der Erstbeschwerdeführerin und ihre Täuschung über die tatsächlichen Umstände der Reise in Nigeria erfolgt sind.

Insgesamt hat die belangte Behörde es unterlassen, einer durch das diesbezüglich konsistente und schlüssige Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin indizierten näheren Erörterung eines etwaigen Frauenhandels-Aspektes der Fluchtgeschichte nachzukommen. Die belangte Behörde bestritt das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin auch nicht. Die Fluchtgeschichte der Erstbeschwerdeführerin erfüllt auch viele der typischen Kriterien eines Falles von Frauenhandel. Sie hat keinen familiären Rückhalt, war bereits in Nigeria Opfer sexueller Gewalt und wurde mit dem Versprechen auf ein besseres Leben nach Italien gelockt.

Dies entspricht den Informationen, die dem Bundesverwaltungsgericht zu Frauenhandel in Nigeria vorliegen: Nigeria ist eine der Drehscheiben des internationalen Frauen- und Menschenhandels: So wurden beispielsweise im Rahmen eines Screenings von über 160 Asylverfahren nigerianischer Antragstellerinnen aus den Jahren 2009 und 2010 festgestellt, dass in nahezu einem Drittel der Fälle Indikatoren für Menschenhandel in den Verfahrensakten dokumentiert waren (Krohn, Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren, in:

IOM/UNHCR/BAMF: Identifizierung und Schutz von Opfern des Menschenhandels im Asylsystem, Nürnberg 2012). In den Statistiken des deutschen Bundeskriminalamtes erscheint Nigeria als besonders relevantes Herkunftsland von Opfern von Menschenhandel aus Staaten außerhalb Europas, mit weitverzweigten und grenzüberschreitend agierenden Menschenhandelsstrukturen (BKA, Bundeslagebild Menschenhandel 2012, S. 8; zitiert nach Janetzek, Lindner, Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren – Teil I, Asylmagazin 4/2014, S. 105-113). Die meisten Opfer stammen aus Benin City, der Hauptstadt des Bundesstaats Edo. Die überwiegende Mehrheit der Opfer von Menschenhandel, die zum Zweck der Prostitution nach Europa verbracht werden, gehört zur ethnischen Gruppe der Edo. Die Rekrutierung Minderjähriger hat zugenommen, wohl weil sich erwachsene Frauen, vor allem in den Städten, der Risiken stärker bewusst sind, denen sie beim Menschenhandel ausgesetzt sind. Vielen Frauen, die Opfer von Menschenhandel wurden, ist der Verlust der Unterstützung durch Familie oder Gemeinschaft gemeinsam. Die nigerianische Regierung hat mit mehreren Maßnahmenpaketen versucht, gegen das Phänomen Handel mit Frauen anzugehen; dazu gehört insbesondere auch die Errichtung einer Agentur zur Bekämpfung des Menschenhandels, der National Agency for Prohibition of Traffic in Persons and other related matters (NAPTIP), im August 2003, zu deren Auftrag Untersuchung, Verfolgung, Überwachung, Beratung, Wiedereingliederung, Aufklärung und Fortbildung gehören. Es wird jedoch trotz all dieser Bemühungen geschätzt, dass die staatlichen Ausgaben in diesem Bereich unzureichend sind, insbesondere im Hinblick auf die Befriedigung der Nachfrage nach NAPTIP-Diensten. Die Entscheidung darüber, dass eine Frau zum Arbeiten nach Europa geht, geht in manchen Fällen von der Familie aus. Prostitution wird in Nigeria moralisch nicht akzeptiert, weshalb die heimkehrenden Mädchen von ihren Gemeinschaften zwei Reaktionen erwarten können. Kommt das Mädchen mit Geld zurück, wird es von der Gesellschaft akzeptiert, auch wenn die Gemeinschaft weiß, dass es in Europa als Prostituierte gearbeitet hat. Wurde das Mädchen jedoch abgeschoben oder kommt es ohne Geld, grenzt die Gemeinschaft das Mädchen aus, und sogar die eigene Familie kann das Mädchen ablehnen. Ein Problem für zurückgekehrte Opfer ist das Fehlen sozialer Unterstützungsnetze; je länger das Opfer in Europa gelebt hat, desto eher fehlt es ihm an solchen Netzen. Viele haben den Eindruck, in Nigeria könne man ohne Familie keinen Erfolg haben, und denken: "In Nigeria bist du ohne deine Familie nichts." Die Unterstützung durch Unterstützungsorganisationen kann soziale Netze nicht ersetzen, auch können sich die Organisationen nicht ständig um die heimgekehrten Opfer kümmern. Für manche Frauen besteht die einzige Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt nach Ablauf der Unterstützung durch Unterstützungsorganisationen zu verdienen, in der Prostitution. Für zurückkehrende Opfer von Menschenhandel stehen mehrere Unterkünfte zur Verfügung, die von der NAPTIP und verschiedenen Unterstützungsorganisationen betrieben werden. Es ist nicht genau bekannt, wie viele Frauen sich in den NAPTIP-Unterkünften aufhalten. Von den Quellen werden unterschiedliche maximale Aufenthaltszeiten genannt; manche sprechen von sechs Wochen, andere von einer Spanne zwischen zwei und sechs Wochen. Haben Frauen nach sechs Wochen noch immer keinen sicheren Aufenthaltsort oder Mittel für ihren Lebensunterhalt, kann der Aufenthalt in der NAPTIP-Unterkunft verlängert werden. Nach Angaben der IOM bleiben nur die Frauen länger als zwei Wochen in den Unterkünften, die gegen Menschenhändler ausgesagt haben und deren Fälle von der NAPTIP untersucht werden. Auf der anderen Seite sind Frauen, die in einer NAPTIP-Unterkunft leben, stigmatisiert, weil jeder davon ausgeht, dass sie im Ausland als Prostituierte gearbeitet haben. Daher schicken die NAPTIP-Mitarbeiter sie so bald wie möglich zu ihren Familien oder in Unterkünfte in anderen Gebieten Nigerias (Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Oktober 2015 zu "Nigeria: Sexhandel mit Frauen"; abrufbar unter https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457689242_bz0415678den.pdf ).

Es ist unbestritten und wurde auch dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt, dass die Erstbeschwerdeführerin Nigeria unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (einer Tätigkeit als Reinigungsfrau) verließ und in Italien zur Prostitution gezwungen werden sollte.

In der Folge ist zu prüfen, ob im gegenständlichen Fall die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe von systematisch organisiertem Frauenhandel vorliegt (vgl. dazu AsylGH 14.05.2009, C 15 263.728-0/2008 und VwGH, 23.02.2011, 2011/23/0064; oder die Definition der "geschlechtsspezifischen Verfolgung" auf www.unhcr.at , wo explizit auch Frauenhandel genannt ist).

Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin erscheint als einer der typischen Fälle, in denen eine Frau, welche sich in einer Situation der Hilfsbedürftigkeit befand, nach Europa gebracht und hier zur Prostitution gezwungen wurde. Es ist nicht generell davon auszugehen, dass alle Frauen, die Opfer des Frauenhandels werden, automatisch den Status eines Flüchtlings zuerkannt bekommen. Zur Frage, ob in Menschenhandelsfällen aus Art. 4 EMRK ein Refoulement-Verbot abzuleiten sei, hat sich der EGMR im Jahr 2011 erstmals geäußert. Im Verfahren einer nigerianischen Zwangsprostituierten, welche Frankreich nach Abweisung ihres Asylgesuchs ausweisen wollte, erwog der Gerichtshof, dass sich aufgrund des absoluten Charakters von Art. 4 EMRK grundsätzlich eine Verpflichtung Frankreichs ergeben kann, eine erneute Rekrutierung der Beschwerdeführerin in ein Prostitutionsnetzwerk in Nigeria zu verhindern. Die Pflicht, gestützt auf Art. 4 EMRK von einer Ausweisung abzusehen, besteht im konkreten Fall jedoch nur, wenn gegenüber den Behörden ein unmittelbares Risiko ("risque imminent") einer erneuten Rekrutierung oder von Vergeltungsmaßnahmen glaubhaft gemacht wird (vgl. Entscheidung des EGMR V.F. gegen Frankreich vom 29.11.2011, 7196/10).

Wie oben zu entnehmen ist, bieten die verschiedenen Institutionen in Nigeria, insbesondere NAPTIP, Opfern von Frauenhandel bei ihrer Rückkehr Unterstützung. Diese ist allerdings quantitativ und auch zeitlich befristet. Die Frauen werden möglichst bald zu ihren Familien zurückgeschickt. Nun hat die Beschwerdeführerin keinen Familienverband, zu dem sie zurückkehren könnte; dies wurde auch von der belangten Behörde festgestellt.

Als Ursache für das Risiko eines Re-Trafficking von Rückkehrerinnen nennt der EGMR die fehlende Unterstützung, ja Ablehnung durch ihre Familien: "( ) les femmes expulsées d’un pays d’Europe et renvoyées au Nigeria sont souvent stigmatisées et rejetées par leurs familles ou communautés, généralement parce qu’elles n’ont pas remboursé leur dette. De plus, les rapports internationaux disponibles ( ) mettent en lumière la difficulté de subsister au Nigéria en dehors d’un lien communautaire, de même que de se relocaliser en dehors de tout lien social. ( ) La relocalisation est particulièrement malaisée pour les jeunes femmes seules retournées d’Europe et qui n’ont pas de formation ou d’éducation leur permettant d’être indépendante" (vgl. Entscheidung des EGMR V.F. gegen Frankreich vom 29.11.201, 7196/10; bestätigt wird dies auch den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Oktober 2015 zu "Nigeria: Sexhandel mit Frauen", insbes. S. 36 ff.; Finnish Immigration Service, Country Information Service, Public theme report: Human Trafficking of Nigerian Women to Europe, 24. März 2015 insbes. S. 24 ff., beide mit Hinweisen auf aktuelle Studien aus diversen europäischen Staaten). Zwangsprostituierte, die ohne Geld und/oder krank aus Europa zurückkehren, werden von ihren Familien häufig abgelehnt und wieder in die Prostitution gezwungen. NGOs können soziale Beziehungsnetze nicht ersetzen und die Frauen – wenn überhaupt – nur für kurze Zeit begleiten und unterstützen, so dass diesen häufig nur die Prostitution bleibt, um überleben zu können (vgl. dazu Urteil des Schweizer Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.07.2016, D-6806/2013, S. 38; abrufbar unter

http://www.ksmm.admin.ch/dam/data/ksmm/dokumentation/informationen/urteil-bvger-2016-07-18-d.pdf ).

Die Erstbeschwerdeführerin hat im Falle einer Rückkehr keine familiäre oder soziale Unterstützung zu erwarten; bereits das Bundesamt stellte fest, dass sie im Falle einer Rückkehr über keine Existenzgrundlage verfügen würde. Es besteht daher die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass sie erneut in die Hände von Menschenhändlern gerät. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wurde bereits vom Bundesamt ausgeschlossen.

Dass für Zweit- und Drittbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden, ergibt sich aus den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin in der Einvernahme am 11.02.2016.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) 3.1. Zur (funktionellen) Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Weder das Asylgesetz 2005 noch das Fremdenpolizeigesetz 2005 sehen eine Entscheidung durch Senate vor, sodass das Bundesverwaltungsgericht den vorliegenden Beschwerdefall durch Einzelrichter zu entscheiden hat.

3.2. Zur anzuwendenden Rechtslage:

§ 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 10/2016, lautet:

"Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) (3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. .

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

§ 34 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 10/2016, lautet:

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) (4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) 3.3. Zur Gewährung von Asyl (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide):

Die Erstbeschwerdeführerin hat glaubhaft vorgebracht, dass sie von einer Frau aufgrund eines falschen Versprechens nach Italien gelockt und dort zur Prostitution gezwungen worden war.

Das Vorbringen wirft die Frage auf, ob es sich bei der Beschwerdeführerin um ein Opfer von Menschen- bzw. Frauenhandel handeln könnte und ob ihr gegebenenfalls deswegen Asyl zu gewähren wäre. Grundsätzlich kann es durchaus Fälle geben, wo eine Asylrelevanz wegen Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe von systematisch organisiertem Frauenhandel gegeben ist (vgl. dazu VwGH, 23.02.2011, 2011/23/0064 und AsylGH 14.05.2009, C 15 263.728-0/2008 bzw. BVwG vom 11.04.2016, GZ. W211 1425426-1 sowie BVwG vom 18.05.2015, I403 2107012-1 und oder auch die Definition der "geschlechtsspezifischen Verfolgung" auf www.unhcr.at , wo explizit auch Frauenhandel genannt ist).

Unter "Menschenhandel" ist im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie 2011/36/EU (Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels; Umsetzungsfrist: April 2013) "die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über die andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung" zu verstehen.

Ausbeutung im Sinne der genannten Richtlinie umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung sowie Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen (einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme). Ausbeutung liegt vor, sobald eine Person genötigt wird (unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, Entführung, Betrug, Täuschung usw.), wobei es keine Rolle spielt, dass das Opfer seine Zustimmung gegeben hat.

Im Fall der Beschwerdeführerin, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Italien verbracht und dort zur Prostitution gezwungen werden sollte, liegt ein Fall von Menschenhandel vor, der seinen Ausgang im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, in Nigeria, genommen hat. Nigeria ist, wie bereits festgestellt wurde, eine Drehscheibe des internationalen Frauen- und Menschenhandels. Die Geschichte der Beschwerdeführerin deckt sich mit den typischen

Erfahrungen von Betroffenen: Auffallend ist, dass viele Frauen der Gruppe möglicher Menschenhandelsbetroffener angeben, vor der Flucht ihre Familie verloren oder mit dieser gebrochen zu haben. (Krohn,

Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren, in: IOM/UNHCR/BAMF:

Identifizierung und Schutz von Opfern des Menschenhandels im Asylsystem, Nürnberg 2012, S. 34). Die Beschwerdeführerin wurde das Opfer organisierten Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung. Opfer von Menschenhandel können Flüchtlinge im Sinne von Art 1 A (2) der GFK sein, aber nur, wenn sie alle der dort genannten Voraussetzungen für das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft erfüllen (UNHCR-Richtlinien zum Schutz von Opfern von Menschenhandel; vgl. auch EGMR, Statement of Facts – 49113/09, L.R. gegen Vereinigtes Königreich).

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der dem § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.9.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280).

Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.4.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334).

Die Beschwerdeführerin ist Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe, der in Nigeria Verfolgung droht. Mitglieder dieser Gruppe sind nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und die sich hiervon befreit haben. Es handelt sich um eine klar definierbare, nach außen wahrnehmbare und von der Gesellschaft wahrgenommene und ausgegrenzte Gruppe (vgl. dazu VG Stuttgart, 16.05.2014, GZ: A 7 K1405/12 oder auch Asylgerichtshof, 14.05.2009, GZ: C15 263.728-0/2008).

Wenn die Erstbeschwerdeführerin an ihren Herkunftsort zurückkehren würde, müsste sie Verfolgungshandlungen durch die Frau, welche sie nach Italien verbracht und zur Prostitution gezwungen hatte bzw. durch deren Netzwerk fürchten. Einen familiären Rückhalt hat die Erstbeschwerdeführerin nicht. Aufgrund der noch offenen Geldforderung ergibt sich eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen zu befürchten hätte.

Im Fall der Beschwerdeführerin liegt daher ein Asylgrund vor und ist auch davon auszugehen, dass sie wohlbegründete Furcht haben muss, im Falle einer Rückkehr wieder in eine Situation zu geraten, in der sie zur Prostitution gezwungen wird .

Bei dieser Verfolgung handelt es sich allerdings um eine von nichtstaatlichen Akteuren ausgehende, welche nur dann, wenn der nigerianische Staat die Beschwerdeführerin nicht zu schützen vermögen würde, asylrelevant ist. Die erkennende Richterin des Bundesverwaltungsgerichtes geht davon aus, dass der nigerianische Staat nicht in der Lage ist, der Beschwerdeführerin ausreichenden Schutz vor dieser durch Privatpersonen drohenden Verfolgung zu bieten. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, entscheidend, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteils aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil auf Grund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH, 28.10.2009, Zl. 2006/01/0793 sowie 13.11.2008, Zl. 2006/01/0191).

Eine Schutzwilligkeit des nigerianischen Staates ist durchaus anzunehmen. Bereits 2003 wurden in Nigeria alle Formen des Menschenhandels verboten und die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP) etabliert. Es stellt sich allerdings die Frage der Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates, die etwa durch das VG Stuttgart in seinem Urteil vom 16.05.2014 (A7 K 1405/12) mit folgenden Worten verneint worden war: "Die Maßnahmen der Regierung sind jedoch nicht weitgreifend. NAPTIP hat zwar nach eigenen Angaben zwischen 2008 und 2011 die Verurteilung von mindestens 120 Menschenhändlern erreicht. NAPTIP, aber auch der National Immigration Service und UNODC gehen von einer weitaus höheren Dunkelziffer des Menschenhandels aus. Das NAPTIP ist unterfinanziert, und die wenigen Einrichtungen für Opfer sind in einem schlechten Zustand. Es werden nur mangelhafte Maßnahmen zur Rehabilitation und keine zur Reintegration der Opfer angeboten. Rückgeführte Opfer sind gefährdet, von den Händlern und den "Madames" bedroht und unter Druck gesetzt zu werden. Sie müssen mit Diskriminierung durch die Familie und das soziale Umfeld und mit Vergeltung des Sponsors rechnen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria – Update vom März 2010; Österreichisches Rotes Kreuz/ACCORD, "Nigeria – Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21.06.2011; Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.08.2013)."

Diese Einschätzung deckt sich durchaus mit jener des US Department of State und dem Country Narrative zu Nigeria aus dem Trafficking in Persons Report 2014 (Juni 2014;

http://www.state.gov/documents/organization/210741.pdf ). Dort wird Nigeria ebenfalls als Quelle und Transitland für Menschenhandel beschrieben. Die nigerianische Regierung würde die Minimumstandards im Kampf gegen Menschenhandel nicht vollkommen einhalten; es wurde empfohlen die Finanzierung von NAPTIP zu erhöhen. Opfer von Menschenhandel würden Unterstützung in einem der 8 Schutzzentren finden, allerdings in der Regel nur für sechs Wochen. Aus Sicht der erkennenden Richterin kann, selbst für den Fall, dass die Beschwerdeführerin einen der rund 300 Plätze in einem NAPTIP-Zentrum erhält, nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin nach sechs Wochen keine Verfolgung mehr zu befürchten hätte.

Von einer Schutzfähigkeit des nigerianischen Staates kann daher nicht ausgegangen werden; diesbezüglich ist auch auf das Faktum zu verweisen, dass die Verschleppung zwecks Zuführung zur Prostitution in Nigeria keinesfalls als Einzelschicksal gesehen werden kann (vgl. dazu VwGH, 23.02.2011, Zl. 2011/23/0064).

Doch auch dies bedeutet noch nicht automatisch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für alle vom Menschenhandel betroffenen nigerianischen Frauen. So hat der EGMR in der Vergangenheit Beschwerden zurückgewiesen, mit denen nigerianische Frauen gegen eine Rückkehrentscheidung nach Nigeria vorgehen wollten, indem sie auf die Gefahr einer Zwangsprostitution in Nigeria verwiesen (vgl. EGMR, V.F vs. France, 7196/10; 29.11.2011 oder auch EGMR, Idemugia

v. France, 27.03.2012). Der EGMR erkannte gewisse Fortschritte in der Bekämpfung des Menschenhandels durch die nigerianischen Behörden an und ging vor allem von einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus.

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Flucht- bzw. Schutzalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, Zl. 98/01/0352; VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401; VwGH 22.5.2003, Zl. 2001/20/0268, mit Verweisen auf Vorjudikatur).

Es würde sich daher im konkreten Fall die Frage stellen, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegt und ob diese der Erstbeschwerdeführerin zumutbar wäre. Dies wurde allerdings von der belangten Behörde bereits ausgeschlossen.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich die Erstbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Menschenhandel bedrohten Frauen, außerhalb Nigerias befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG 2005) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist nicht hervorgekommen.

Der Erstbeschwerdeführerin war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Erstbeschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Erstbeschwerdeführerin stellte ihren Antrag auf internationalen Schutz am 21.11.2014 und damit vor dem 15.11.2015, wodurch § 2 Abs. 1 Z 15 und § 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an die Zweit- bis Drittbeschwerdeführer ist nachfolgendes festzuhalten:

Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Abs 1 Z 22) von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz,

so gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3);

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Familienangehörige sind gemäß § 2 Abs 1 Z 22 AsylG 2005, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Die Zweit- und Drittbeschwerdeführer sind die minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin und damit Familienangehörige der Erstbeschwerdeführerin im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

Da nunmehr der Erstbeschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird, ist auch den Zweit- bis Drittbeschwerdeführern nach § 34 Abs. 2 iVm Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang zuzuerkennen. Hinweise darauf, dass den Zweitbis Drittbeschwerdeführern die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit der Erstbeschwerdeführerin in einem anderen Staat möglich wären, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Daher war spruchgemäß zu entscheiden.

Eine mündliche Erörterung ließ gegenständlich eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten, da der maßgebliche Sachverhalt ohnehin feststand und bloß die Beurteilung der Rechtsfrage anstand. Es war im Verfahren unbestritten, dass die Erstbeschwerdeführerin Nigeria im Glauben verließ, in Europa eine Stelle als Reinigungskraft anzutreten, dass sie aber tatsächlich der Prostitution zugeführt werden sollte. Es war auch bereits von der belangten Behörde festgestellt worden, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht besteht. Zu beurteilen war nur die Rechtsfolge dieses Sachverhaltes, welche aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes aufgrund der höchstgerichtlichen Judikatur eindeutig ist. Das Bundesamt beantragte auch nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, sondern teilte vielmehr mit Beschwerdevorlage mit, dass die Teilnahme an einer etwaigen mündlichen Verhandlung ohnehin nicht möglich sei. Soweit in der Beschwerde eine mündliche Verhandlung beantragt wurde, erübrigt sich diese, da dem Antrag auf Gewährung von Asyl mit vorliegendem Erkenntnis stattgegeben wird. Eine mündliche Verhandlung konnte daher entfallen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

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