AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:W211.1404874.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Somalia, vertreten durch Rechtsanwalt Edward W. Daigneault, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 1XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.07.2014 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die am 16.09.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
2. Bei ihrer Erstbefragung am selben Tag gab sie an, verheiratet zu sein, somalisch zu sprechen und der Volksgruppe der Benadiri anzugehören. Der Aufenthaltsort ihres Mannes und ihrer vier Kinder sei unbekannt. Sie haben in Mogadischu, im Bezirk XXXX, gelebt.
Die beschwerdeführende Partei sei am 25.08.2007 mit einem gefälschten Reisepass mit dem Flugzeug über Dubai in die Türkei gereist. Nach drei Tagen in der Türkei sei sie auf einem LKW versteckt über unbekannte Länder nach Österreich gekommen.
Als Fluchtgrund gab die beschwerdeführende Partei an, dass sie aufgrund ihrer Stammeszugehörigkeit verfolgt und von Banditen drei Monate lang festgehalten worden sei. Während dieser Anhaltung habe sie Zwangsarbeiten verrichten müssen und sei auch geschlagen worden. Als sie freigelassen worden sei, habe sie ihren Mann und ihre Kinder nicht mehr finden können. Bei einer Rückreise fürchte sie, getötet zu werden.
3. Bei einer weiteren Einvernahme am 25.09.2007 meinte die beschwerdeführende Partei, die Dolmetscherin zu verstehen und körperlich und geistig in der Lage zu sein, der Einvernahme zu folgen.
Sie habe zu Hause nicht mehr leben können und daher ihr Haus verkauft; der Käufer des Hauses habe dann den Schlepper organisiert und auch bezahlt.
Erneut zu ihrem Fluchtgrund befragt, gab sie an, dass sie im Bezirk XXXX gelebt habe, in dem auch der Stamm der "Reevhamar" [richtig wohl: Reer Hamar] präsent sei. Diese würden in der Nacht die Leute überfallen und die Mädchen abholen. Einmal haben sie die beschwerdeführende Partei geholt und zwei Monate festgehalten und vergewaltigt. Nach zwei Monaten habe sie zurückkehren können, aber ihre Familie sei dann verschwunden gewesen. Eine Nachbarin habe ihr gesagt, dass die Familie aus Angst weggegangen sei. Ein Nachbar habe dann ihr Haus gekauft und ihr zu einem Schlepper verholfen, damit sie nach Europa reisen habe können.
Sie sei im Juni 2007 entführt worden. Der Polizei habe sie diesen Vorfall nicht gemeldet; die könne nichts machen.
Sie habe schon früher flüchten wollen, habe aber kein Geld gehabt. Das Haus habe ihrer Mutter gehört, die mittlerweile gestorben sei. Deshalb habe sie das Haus verkaufen können.
Bei einer Rückkehr fürchte sie zu sterben und wieder überfallen und vergewaltigt zu werden. Sie könne sich in der Heimat an niemanden wenden.
4. Am 30.04.2008 langte eine Stellungnahme eines gewillkürten Vertreters ein, in welcher ausgeführt wurde, dass die beschwerdeführende Partei wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit zu den Benadiri verfolgt werde. Es habe bei der Einvernahme Verständnisschwierigkeiten gegeben, weshalb richtiggestellt werden solle, dass nicht der Stamm Reer Hamar die Bevölkerung überfiele, sondern die beschwerdeführende Partei im Gebiet des Stammes der Reer Hamar lebe, dem sie ja auch angehöre. Die Benadiri würden oft mit den Reer Hamar gleichgesetzt werden. Außerdem sei sie drei, nicht zwei, Monate festgehalten worden.
Vorgelegt wurde auch eine Bestätigung vom 28.04.2008, dass sich die beschwerdeführende Partei seit Anfang April 2008 wegen Ängsten und Schafstörungen in Behandlung bei einer klinischen Psychologin befinde.
5. Am 06.05.2008 fand eine weitere Einvernahme beim Bundesasylamt statt. Die beschwerdeführende Partei gab an, keine Einwände gegen die Dolmetscherin und keine Verständnisschwierigkeiten zu haben.
Sie habe in Mogadischu mit ihrer Mutter und ihren drei Kindern gelebt. Ihr [erster] Mann sei glaublich im Mai 2002 an Gelbsucht gestorben. Sie habe bei der Ersteinvernahme angegeben, dass ihr Mann und ihr Sohn gestorben seien. Sie habe dann 2004 noch einmal nach moselmischen Recht geheiratet. Sie wisse nicht, wo ihre Familie sei. Ihre mittlere Tochter sei bei ihrer Schwester in Mogadischu. Nun herrsche aber Krieg und sie wisse nicht, ob ihre Schwester und ihre Tochter noch dort seien. Der Aufenthalt ihrer ältesten und ihrer jüngsten Tochter sei ihr nicht bekannt. Im Jahr 2006 sei ihre Mutter gestorben. Zuletzt habe sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in ihrem Haus in XXXX gelebt.
In psychologischer Behandlung sei sie, weil sie sich um ihren Mann und ihre Kinder sorge und sie sich an viele schlimme Dinge erinnere. Eine Gebärmutterzyste müsse operativ entfernt werden.
Fluchtauslösend sei ihre letzte Entführung gewesen. Sie sei Anfang Juni 2007 von den Rebellen verschleppt und bis August festgehalten worden. Die beschwerdeführende Partei schilderte weiter detailreich, wie sie verschleppt, festgehalten und von den Rebellen immer wieder vergewaltigt worden sei. Es sei eine weitere Frau mit ihr in Gefangenschaft gewesen, die ihr bei der Flucht geholfen habe. Nach ihrer Flucht habe ihr ein Nachbar erzählt, dass es im Bezirk eine Auseinandersetzung gegeben habe und alle geflohen und dann manche wieder zurückgekommen seien. Ihre Familie jedoch nicht.
Sie habe immer schon das Land verlassen wollen, aber keine Möglichkeit dazu gehabt. Zwischen 2006, nach dem Tod der Mutter, und ihrer Ausreise 2007 habe sie versucht, das Haus zu verkaufen.
Sie sei bereits 1995 einmal entführt worden, und dann nochmals 2007. Nach ihrer ersten Entführung habe sie nicht fliehen können, weil das Geld gefehlt habe. Ihre Mutter habe sie gebraucht und sie habe dann erneut geheiratet. Sie habe sich mit ihrem Verbleib in Somalia abgefunden und gehofft, dass der Friede einmal käme. Der Grund für ihre jetzige tatsächliche Ausreise war die Entführung im Jahr 2007.
Viele Frauen würden entführt und vergewaltigt werden. Sie gehöre der Volksgruppe der Reer Hamar an und glaube, dass die Entführungen gezielt gewesen seien. Sie gehöre zu einer schwachen Volksgruppe, die nicht bewaffnet sei. Die Reer Hamar seien Händler, genauer Fischhändler, machen Holzarbeiten und nähen Kleider für Textilfirmen. Die Reer Hamar leben in Mogadischu in den Bezirken Hamarwayne, Shangani und Hamardjajab.
6. Am 09.07.2008 langte der Bericht einer Sprachanalyse ein, der bestätigte, dass der sprachliche Hintergrund der beschwerdeführenden Partei im Süden Somalias liege. Diese Analyse gründe sich auf grammatische, lexikalische und phonologische Eigenschaften der Sprache der beschwerdeführenden Partei. Diese spreche Somali auf muttersprachlichem Niveau und drücke sich grammatikalisch korrekt aus. Sowohl der Wortschatz als auch die Aussprache können in Südsomalia lokalisiert werden.
7. Eine schriftliche Stellungnahme des Vertreters der beschwerdeführenden Partei vom 13.11.2008 verwies auf eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Somalia und die besonders verschärfte Situation der beschwerdeführenden Partei als Frau in Somalia.
8. Bei der Einvernahme am 18.11.2008 gab die beschwerdeführende Partei erneut befragt an, dass sie nicht wisse, wo ihr Ehemann und zwei ihrer Töchter sich aufhielten; sie kenne nur den Aufenthalt einer Tochter. Sie habe ihren ersten Mann 1990 und ihren zweiten 2004 geheiratet. Ihren zweiten Mann kenne sie schon seit ihrer Kindheit; sie seien zusammen aufgewachsen. Die beschwerdeführende Partei wurde weiter nach ortspezifischen Details befragt. Befragt, welchem Stamm sie angehöre, sagte sie, den Ban Dhabow; dies sei ein Subclan der Reer Hamar. Die Reer Hamar sei ein Minderheitenstamm.
9. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei vom 16.09.2007 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).
Nach einer Wiedergabe des Verfahrensganges und der Einvernahmen stellte die belangte Behörde, soweit wesentlich, fest, dass die zur Begründung des Asylantrags vorgebrachten Fluchtgründe mangels Glaubhaftmachung nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden könne. Hingegen könne festgestellt werden, dass eine Rückkehr nach Somalia für die beschwerdeführende Partei eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Darüber hinaus traf die belangte Behörde damals aktuelle Feststellungen zur Situation in Somalia.
Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt, soweit hier wesentlich, aus, dass sich die beschwerdeführende Partei bei den Einvernahmen widersprochen habe, weshalb die Behauptung einer Entführung und Vergewaltigung nicht glaubhaft sei, da Angaben zum Kernbereich des Fluchtvorbringens widerspruchsfrei erfolgen müssten. Darüber hinaus haben sich aus dem Vorbringen auch keine Hinweise auf eine Verfolgung wegen der Stammeszugehörigkeit der beschwerdeführenden Partei ergeben.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wurde, soweit wesentlich, demzufolge geschlussfolgert, dass die beschwerdeführende Partei mit ihrem Vorbringen keine konkrete oder drohende Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte.
10. Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende rechtzeitige Beschwerde, in der zuerst auf die schriftlichen Stellungnahmen vom 05.05.2008 und 13.11.2008 verwiesen und weiter ausgeführt wurde, dass etwaige Unstimmigkeiten in den Einvernahmen auf die Traumatisierung und die schwierigen Verfahrenssituationen zurückzuführen gewesen seien. Die Rückschlüsse des Bundesasylamtes auf "plausible" Informationen, die die beschwerdeführende Partei in ihrer Gefangenschaft hätte bekommen sollen, sei nicht nachvollziehbar. Es werde weiter der Feststellung entgegen getreten, dass es keine Verfolgung aufgrund der Stammeszugehörigkeit der beschwerdeührenden Partei gegeben habe, weshalb wiederum auf die bereits erstatteten Vorbringen verwiesen werde. Die ethnisch motivierten Übergriffe stellten einen Fluchtgrund nach der Genfer Konvention dar und seien vom Bundesasylamt nicht ausreichend gewürdigt worden. In diesem Zusammenhang fehlten auch Feststellungen zur den Reer Hamar. Die beschwerdeführende Partei habe ihre Bedrohungssituation geschildert. Die Berichtslage stelle klar, dass es bei privater Verfolgung in Somalia keinen staatlichen Schutz gebe, der Mitglieder von Minderheitenclans beschützen können. Außerdem gehöre sie als weibliches Mitglied eines Minderheitenclans einer sozialen Gruppe im Sinne der GFK an. Des Weiteren stehe ihr auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Im Falle der beschwerdeführenden Partei bestehe daher eine subjektiv und objektiv wohlbegründete Furcht vor Verfolgung, und es wäre ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen gewesen.
11. Am 31.07.2009 langte eine Information des damals gewillkürten Vertreters der beschwerdeführenden Partei ein, nach welcher dieser die Vollmacht wegen eines Wohnsitzwechsels der beschwerdeführenden Partei zurückgelegt habe. Mit Verfahrensanordnung vom 10.11.2011 wurde der beschwerdeführenden Partei eine Rechtsberatung zur Seite gestellt.
12. Mit Schreiben vom 15.05.2014 wurden die beschwerdeführende Partei und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem nunmehr zuständigen Bundesverwaltungsgericht am 01.07.2014 unter gleichzeitiger Übermittlung mehrerer aktueller Länderberichte zu Somalia geladen.
13. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2014 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters zu dieser Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei.
14. Am 01.07.2014 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit der beschwerdeführenden Partei und ihrer gewillkürten Vertretung eine mündliche Verhandlung durch.
Befragt, ob es noch Familienangehörige in Somalia gebe, brachte die beschwerdeführende Partei vor, dass noch ihre Schwester dort lebe. Sie rufe die beschwerdeführende Partei ab und zu an, und es gehe ihr gut. Eines ihrer drei Kinder sei mittlerweile gestorben, eine Tochter und ihr Gatte würden in Äthiopien leben, und eine Tochter als anerkannter Flüchtling hier in Österreich.
Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab die beschwerdeführende Partei an, dass Banditen ab und zu in den Bezirk gekommen seien und Leute überfallen haben. Sie habe das Haus verkaufen und in den Jemen ziehen wollen. Die Banditen haben das Haus angegriffen und den Verkaufserlös gefordert. Deshalb habe sie das Land verlassen. Zwischen dem Überfall und dem Verkauf des Hauses seien 2 bis 3 Monate vergangen. Ihre Kinder seien damals bei der Schwiegermutter der beschwerdeführenden Partei gewesen. Darauf aufmerksam gemacht, dass sie bei den anderen Einvernahmen eine andere Fluchtgeschichte erzählt habe, meinte die beschwerdeführende Partei, dass sie die Geschichte lediglich abgekürzt habe. Es habe auch einen Vorfall gegeben, bei dem sie nach XXXX mitgenommen worden sei. Sie meinte weiter:
"R: Wie sind Sie geflohen?
P: Eine Frau, die für die Banditen gekocht hat, hat mir bei der Flucht geholfen.
R: Wie hat sie Ihnen geholfen zu fliehen?
P: Sie ist mit einem Banditen verheiratet. Sie hat mich getröstet, wenn ich weinte und ich die Probleme "verweigerte". (Bei der Rückübersetzung erklärt die P, dass damit eine Vergewaltigung gemeint ist). Wenn ich davon erzählte, hat sie gefragt, wie sie mir helfen kann. Wenn die Männer auf Kontrollgang an bestimmte Punkte gingen, um dort Personen zu überfallen, sind nur die Frau und ich im Haus geblieben. Ich habe ihr gesagt, dass ich kleine Kinder habe. Als ich das Haus verlassen habe, sagte ich ihr, dass meine Kinder in der Schule waren bzw. auf mich warten würden. Ich habe immer mit ihr gesprochen, bis sie entschieden hat, mir zu helfen. Sie hat mir gesagt, dass sie in der Früh einkaufen gehen wird, damit sie am Abend kochen kann, und sie sagte mir, wenn sie gegangen ist, soll ich auch gehen. Ein Mann war eingeschlafen, sie sagte mir, ich solle das Haus verlassen, bevor der Mann wieder wach wird.
R: Wer war der Mann, der geschlafen hat?
P: Es war einer der Banditen.
R: Wie lange waren Sie gefangen?
P: Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, es war aber mehr als 10 Tage.
R: Was ist passiert, als Sie geflohen sind und nach Hause gegangen sind?
P: Ich konnte nicht nach Hause, da sich die Banditen im Bezirk befunden haben. Ich bin in ein anderes Haus gegangen, in XXXX Markt. Ich habe die Frau, zu der ich ging, nach meinen Kindern gefragt und sagte mir diese Frau, dass meine Kinder bei der Großmutter sind. Ich sagte ihr, dass sie jemanden finden solle, um mein Haus zu verkaufen. Ich bin nicht mehr nach Hause gegangen. So habe ich mich zu meiner Ausreise entschieden.
R: Diese Angaben haben Sie so bei den Einvernahmen nicht gemacht. Sie sagten, Sie wüssten nicht, wo sich Ihre Kinder befinden. Was sagen Sie dazu?
P: Ich wusste nicht, wo sich meine Kinder befanden. Diese Frau hat es mir erzählt. Die Großmutter lebt nicht in diesem Bezirk. Sie lebt in Afgooye.
R: Welchem Clan gehören Sie an?
P: Ich gehöre der Reer Hamar an.
R: Wo leben die Reer Hamar hauptsächlich?
P: Sie leben in Hamarwayne und in Shangani.
R: Kennen Sie weitere Subclans der Reer Hamar?
P: Ja.
R: Welche sind das?
P: Ich gehöre der Dhabar weyne an.
R: Wer sind die Ban Dhabow?
P: Sie sind auch Reer Hamar, so wie die Shaanshi und die Moorshe.
R: In einem ursprünglichen Protokoll haben Sie angemerkt, Sie wären eine Ban Dhabow. Was sagen Sie dazu?
P: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich kann mir nur erklären, dass es bei der Übersetzung zu einem Missverständnis gekommen ist.
R: Sprechen die Reer Hamar einen eigenen Dialekt?
P: Ja, sie haben einen anderen Akzent.
R: Sie sprechen Somalisch und den Dialekt?
P: Ja.
R: Möchten Sie noch etwas angeben, warum Sie das Land verlassen haben?
P: Ja, früher war meine Mutter da, jetzt nicht mehr. Man wird als Frau vergewaltigt, überfallen. Man kann nicht arbeiten, man kann nichts tun.
R: Haben Sie noch regelmäßig Kontakt, mit Personen die in Mogadischu leben?
P: Ich habe nur zu meiner Schwester Kontakt. Sie ruft mich ab und zu an, auch bei Festen etc
...".
15. Am 15.07.2014 langte eine schriftliche Stellungnahme des Vertreters der beschwerdeführenden Partei ein, in welcher dieser vorbrachte, dass die Reer Hamar in Somalia regelmäßig Verfolgung erleiden würden. Die beschwerdeführende Partei könne dieser Verfolgung, etwa durch eine Verheiratung mit einem Angehörigen eines Mehrheitsclans, nicht ausweichen. Außerdem sei der Tochter und dem Enkelkind der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Mit Verweis auf den 36. Erwägungsgrund der StatusRL 2011/95/EU werde festgestellt, dass Familienangehörige aufgrund der Tatsache, dass sie mit einem Flüchtling verwandt sind, in der Regel gefährdet seien, in einer Art und Weise verfolgt zu werden, dass ein Grund für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gegeben sein könne. Es sei der beschwerdeführenden Partei daher der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.
16. Das Bundesverwaltungsgericht forderte den Akt jener Tochter der beschwerdeführenden Partei an, der in Österreich der Asylstatus zuerkannt wurde. Aus diesen Unterlagen geht hervor, dass der Tochter der beschwerdeführenden Partei, X., mit Bescheid vom 09.07.2012 der Antrag auf internationalen Schutz vom 28.12.2011 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde (Spruchpunkt III.).
In ihrer Einvernahme am 20.03.2012 gab X. an, sie sei von Al Shabaab geschlagen worden, weil sie keine Burka getragen habe. Sie sei auch geschlagen worden, weil die Al Shabaab herausgefunden habe, dass sie ferngesehen und Videos angesehen haben.
Der Spruchpunkt I. des Bescheids vom 09.07.2012 wurde vom Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 16.09.2013 behoben und die Angelegenheit an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Begründend führte der Asylgerichtshof insbesondere aus, dass nicht ersichtlich sei, dass sich die Behörde mit den behaupteten Ausreisemotiven - konkret den geltend gemachten Misshandlungen durch die Al Shabaab aufgrund des Verstoßes gegen deren religiöse Regeln - auseinandergesetzt und diese auf ihre Asylrelevanz hin geprüft habe. Dabei könne jedoch ohne eingehende Prüfung nicht ausgeschlossen werden, dass in casu als in der GFK aufgezählter Grund "religiöse" im Zusammenhang mit "geschlechtsspezifischer Verfolgung" zum Tragen käme. Auch könne nicht von vornherein festgestellt werden, dass den dargestellten Diskriminierungen die für die Begründung der Flüchtlingseigenschaft erforderliche Intensität fehlen würde. Das Bundesasylamt hätte daher X. detailliert zu ihren Ausreisemotiven zu befragen und Länderfeststellungen dazu treffen müssen, inwieweit Frauen in Somalia von Seiten der Al Shabaab Diskriminierungen in jener Art zu befürchten haben, und ob ihnen allenfalls staatlicher Schutz zukäme. Weiter habe die Behörde nur allgemein auf eine geänderte Lage in Mogadischu hingewiesen, ohne darauf einzugehen, dass nach ihren eigenen getroffenen Länderfeststellungen die Islamisten nur weitestgehend, aber eben nicht vollständig, aus der Stadt abgezogen seien. Schließlich seien keine Länderfeststellungen zur Rückkehrsituation von alleinstehenden Frauen getroffen worden.
Mit Bescheid vom 02.10.2013 wurde X. daher gemäß § 3 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Begründend führte die Behörde aus, dass sie aufgrund des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes zum Schluss gekommen sei, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Asylberechtigung vorliegen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund des Asylantrags vom 16.09.2007, der Einvernahmen der beschwerdeführenden Partei beim Bundesasylamt, der Beschwerde vom 26.02.2009 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.02.2009, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahme in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung am 01.07.2014 werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.
1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:
1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias. Sie stellte am 16.09.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Eine Tochter der beschwerdeführenden Partei lebt in Österreich und hat den Status einer Asylberechtigten inne.
In Somalia lebt noch eine Schwester der beschwerdeführenden Partei, mit welcher sie gelegentlich Kontakt hat. Ihr Mann und ihre zweite Tochter leben in Äthiopien.
1.1.2. Festgestellt wird, dass die beschwerdeführende Partei eine Angehörige der Reer Hamar bzw. der Benadiri ist.
1.1.3. Die beschwerdeführende Partei ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Festgestellt wird, dass der beschwerdeführenden Partei in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
2. Länderberichte zur Situation in Somalia
Im Folgenden werden die wesentlichen Informationen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben.
2.1. Allgemeine Sicherheitslage in Mogadischu
2.1.1. Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia (September 2013)
"Nach dem Abzug der al Shabaab aus Mogadischu im August 2011 und den wiederholten Offensiven der Truppen der Afrikanischen Union (AMISOM) und der Übergangsregierung (TFG) ist die somalische Hauptstadt heute weitestgehend ein von den Islamisten befreiter und von direkten Kampfhandlungen verschonter Teil des Landes. Die Situation hat sich über die vergangenen Monate stabilisiert und mittelfristig ist keine Lagebildänderung abzusehen. Eine effektive Rückkehr der Islamisten nach Mogadischu kann ausgeschlossen werden.
Die Sicherheitslage ist z.B. während des Ramadan prekär. Die generelle Sicherheitssituation für die Bevölkerung von Mogadischu hat sich allerdings verbessert. Diese Verbesserungen betreffen in erster Linie die Bezirke im Zentrum, den Westen der Stadt und die Hafengegend. Die Bewegungsfreiheit hat sich dramatisch verbessert, illegale Straßensperren wurden entfernt, die noch verbliebenen sind von staatlichen Sicherheitskräften besetzt. Durchgehend treffen Heimkehrer aus IDP-Lagern im Afgooye-Korridor, aus anderen somalischen Regionen und aus der Diaspora ein. Die noch im Jahr 2012 von einigen Experten geäußerten Bedenken hinsichtlich der Gefahr, dass (Clan‑)Milizen in Mogadischu wieder die Oberhand gewinnen könnten, kann als nicht mehr gegeben bezeichnet werden.
Es gibt kaum noch direkte bewaffnete Zusammenstöße. Damit ist auch das Risiko für Zivilisten, unbeteiligt ins Kreuzfeuer zu geraten, drastisch gesunken. Zivilisten sind vorrangig von Handgranaten- und Sprengstoffanschlägen betroffen. Auch wenn die Priorität der al Shabaab auf Zielen der Sicherheitskräfte und der Regierung liegt, richten sich Sprengstoffanschläge auch regelmäßig gegen Zivilisten. Anschläge mit Handgranaten wiederum können Opfer von unbeteiligten Personen zur Folge haben.
Es besteht aufgrund der verdeckten Präsenz von AS in der Stadt für mehrere Risikogruppen eine Gefahr. Quellen bei DIS/Landinfo nennen hier: Regierungsmitarbeiter, AMISOM, Mitarbeiter internationaler Organisationen, Angehörige der Sicherheitskräfte, mit der Regierung zusammenarbeitende Personen, Politiker und Deserteure.
Mogadischu selbst ist vielleicht nicht befriedet, es befindet sich jedoch definitiv nicht im Kriegszustand. Für den einfachen Stadtbewohner droht hingegen als einzige Gefahr, sich zur falschen Zeit am falschen Ort zu befinden - wie es auch in fast allen Sicherheitsberichten zitiert wird. Nachdem der Krieg aus der Stadt verbannt worden ist, nachdem Milizen und Claneinfluss am Verschwinden sind, stellen Terrorismus und Kriminalität nunmehr die Hauptbedrohungen dar. (Seite 10f)"
2.1.2. Danish Immigration Service und Landinfo, Update on security and protection issues in Mogadishu and South-Central Somalia (März 2014)
Der Bericht wurde auf Basis einer fact finding mission im November 2013 erstellt, in deren Rahmen verschiedene Einzelpersonen und Vertreter nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen sowie internationaler Organisationen befragt wurden. Er enthält zusammengefasst folgende Aussagen zur allgemeinen Sicherheitslage in Mogadischu.
Die Randgebiete Mogadischus seien weiterhin anfällig für verschiedene Arten von Guerilla- bzw. terroristischen Angriffen (Seite 9; Quelle: UNDSS).
Die Sicherheitslage sei differenziert zu betrachten. Es gebe einerseits ein allgemeines Sicherheitsproblem, das alle Somalier betreffe. Dieses sei darin begründet, dass die Regierung nicht die volle Kontrolle habe und es darüber hinaus interne politische Probleme gebe. Die Sicherheitssituation habe sich seit April 2013 in bestimmten Gebieten jedoch verbessert. Andererseits gebe es Sicherheitsrisiken, die speziell vor allem Mitarbeiter und Partner der Regierung oder internationaler Organisationen beträfen. Wenngleich die Al-Shabaab nirgends in Mogadischu die Kontrolle über bestimmte Gebiete habe, könne sie dennoch in der ganzen Stadt agieren. Daher gebe es in Mogadischu keine sicheren Bereiche (Seite 9, Quelle: internationale NGO "C").
Die Sicherheitssituation in Mogadischu habe sich in den letzten zwei Jahren verbessert, sei jedoch immer noch problematisch. Die letzten vier Monate (bis November 2013) seien relativ ruhig gewesen, in letzter Zeit habe es jedoch wieder mehr Vorfälle gegeben, bei den meisten davon habe es sich um gezielte Tötungen gehandelt, die vermutlich mit Clans zusammenhängen würden. Es gebe vermutlich eine Verbindung zwischen Kriminalität und Clans (Seite 9, Quelle: internationale NGO "A").
Laut einer anderen Aussage habe sich die Situation seit April 2013 verschlechtert. Die Regierung sei außerstande Gegenmaßnahmen zu ergreifen, und AMISOM habe nicht genügend Ressourcen. Die Sicherheitssituation habe sich in den letzten sechs Monaten zwar nicht verschlechtert, die jüngsten politischen Entwicklungen seien jedoch besorgniserregend.
In Mogadischu gebe es grundsätzlich keine speziell sicheren bzw. unsicheren Gegenden, die Al-Shabaab könne jederzeit überall zuschlagen. Sie greife gezielt jene Gebiete an, die sie für verwestlicht halte, etwa verschiedene Restaurants, Märkte oder den Badestrand (Seite 10, Quelle: Journalist).
2.1.3. Schweizer Flüchtlingshilfe, Somalia: Sicherheitssituation in Mogadischu - Auskunft der SFH-Länderanalyse (25.10.2013)
"Trotz der Vertreibung der Al-Shabaab aus Mogadischu im August 2011, der Wahl eines Parlamentes im August 2012 sowie der Wahl von Hassan Sheik Mohamud zum neuen Präsidenten Somalias im September 2012, bleibt die Sicherheitslage unberechenbar und instabil. Die Kontrolle der somalischen Regierung reicht kaum über Mogadischu und einige Städte im Süden hinaus. Al-Shabaab ist noch nicht am Ende, sondern kontrolliert bzw. operiert in weiten Teilen Süd- und Zentralsomalias und demonstriert ihr Potential mit spektakulären Anschlägen auf hoch gesicherte Einrichtungen in Mogadischu.
In den Berichten des UN-Generalsekretärs wird immer wieder auf die unbeständige und unberechenbare Sicherheitslage in Mogadischu und in Zentral- und Südsomalia hingewiesen. In wichtigen Städten wie Baidoa und Kismaayo werden auch 2013 wöchentlich Anschläge verübt. In den Gebieten Afgooye und Merka kommt es täglich zu Anschlägen. Nach dem Abzug äthiopischer und somalischer Truppen aus Xuddur (Bakool) am 17. März 2013, eroberten Al-Shabaab Milizen die Stadt gleich wieder zurück. Dies war der erste große territoriale Gewinn der Al-Shabaab seit Monaten.
Die Anzahl der Anschläge in Mogadischu ist in diesem Jahr im Vergleich zu 2012 gestiegen. Im letzten Bericht vom September 2013 beschreibt der UN Generalsekretär die Sicherheitssituation als extrem unbeständig und weist auf eine weitere Zunahme von Anschlägen in Mogadischu hin. Auch UNOCHA weist im Juni 2013 auf die unbeständige und unvorhersehbare Sicherheitssituation hin.
Gemäß Amnesty International ist der Alltag in Mogadischu von Gewalt geprägt. Die Übergriffe erfolgen willkürlich wie auch gezielt. Zivilistinnen und Zivilisten leben in extremer Unsicherheit, es kommt zu physischer Gewalt, Vergewaltigungen und Erpressungen. Die Sicherheitskräfte der Regierung und deren verbündete Milizen können keinen Schutz bieten. Sie sind oft selbst in die Übergriffe involviert. Die Kapazitäten der Somali National Armed Forces (SNAF) sind eingeschränkt. Die Streitkräfte sind außerdem von der Unterstützung der African Union Mission in Somalia (AMISOM) abhängig. Die Regierung konnte das Machtvakuum, welches nach der Vertreibung der Al-Shabaab in Mogadischu entstanden war, bis jetzt nicht füllen. Lokale Milizen und Kommandanten haben in vielen Quartieren die Kontrolle übernommen. In Mogadischu wurden in den ersten sechs Monaten diesen Jahres 2000 durch Waffen verwundete Zivilisten behandelt. Im Juni 2013 waren es 322 durch Waffen verwundete Personen, die in von der WHO unterstützten Spitälern behandelt wurden.
Zunahme von Anschlägen. Der UN-Generalsekretär beschreibt im September 2013 einen akuten Anstieg von Anschlägen in Mogadischu. Im Mai und Juni gab es doppelt so viele Anschläge mit Handgranaten wie zu Beginn des Jahres. Bombenanschläge haben sich im Juni 2013 im Vergleich zum Januar 2013 sogar verdreifacht. Fast täglich kommt es zu gezielten Tötungen. Auch Amnesty International berichtet über täglich explodierende Handgranaten und Sprengfallen (Improvised Explosive Device, IED) sowie über gezielte Anschläge gegen Zivilisten, darunter Journalisten, Geschäftsleute, Regierungsmitglieder und Clanälteste. Das UNHCR beschreibt Ende September 2013, dass der somalische Staat Personen, die von Al-Shabaab verfolgt werden, keinen Schutz gewähren kann und weist - ebenso wie Amnesty International - auf die besondere Gefährdung von Politikern, Journalisten, Geschäftsleuten und Clanältesten hin.
Seit Anfang 2013 verübt die Al-Shabaab komplexe Anschläge gegen hoch gesicherte Symbole des westlichen Einflusses sowie der somalischen Regierung. Dabei kommen auch häufig Zivilistinnen und Zivilisten ums Leben. Im April 2013 starben über 30 Personen bei einem Anschlag auf ein Gericht. Am selben Tag wurde ein Selbstmordanschlag auf den Konvoi einer türkischen Hilfsorganisation verübt. Am 25. April wurde ein stellvertretender Staatsanwalt ermordet und am 5. Mai 2013 starben über zehn Personen bei einem Selbstmordanschlag auf einen Regierungskonvoi mit einer Delegation aus Katar. Am 20. Mai und am 17. Juni kam es zu einem Granatenangriff auf ein beliebtes Restaurant. Am 12. Juli forderte ein Angriff auf einen AMISON Konvoi über 17 zivile Opfer. Am 27. Juni gelang der Al-Shabaab ein komplexer Anschlag auf die türkische Botschaft und am 19. Juni verübte sie eine Attacke auf die UNO. Bei einem Anschlag vom 7. September 2013 in der Nähe eines Restaurants starben 30 Zivilistinnen und Zivilisten. Die Schlagkraft der Al-Shabaab verdeutlicht nicht zuletzt der Anschlag vom September 2013 in Kenia auf ein Einkaufszentrum. Dabei kamen über 60 Menschen ums Leben.
Am 14. August 2013 zog sich die humanitäre Organisation Médecins Sans Fronti-ères nach 22 Jahren aus Somalia zurück, da die Sicherheit der Angestellten nicht mehr gewährleistet werden kann. Übergriffe, Morde und Entführungen von humanitären Helfenden werden immer häufiger von bewaffneten Gruppen wie auch von zivilen Führern geduldet wenn nicht sogar unterstützt. Das macht Somalia zu einem der unsichersten Länder der Welt.
Strategiewechsel der Al-Shabaab. Gemäß der Jamestown Foundation hat die Al-Shabaab einen Strategiewechsel vollzogen und verlegt sich neuerdings auf eine Guerilla-Taktik anstatt wie bisher auf die Kontrolle von großen Gebieten. Nach dramatischen Spannungen innerhalb der Al-Shabaab und der Tötung seiner internen Widersacher, hat sich seit Juni 2013 Ahmed Godane als Führer der Al-Shabaab durchgesetzt. Er unterhält gute Beziehungen zur Al-Kaida.
In Mogadischu hat Al-Shabaab zwar die großen Militärbasen verlassen, sie ist jedoch weiterhin präsent. Die Kontrolle der Stadt ist gemäß der Jamestown Foundation je nach Tageszeit zwischen den Regierungskräften und der Al-Shabaab in zwei Schichten aufgeteilt. Sprecher der Al-Shabaab gaben im Mai 2013 bekannt, dass sie in der Nacht weiterhin die südlichen Quartiere in Mogadischu kontrollieren:
Huriwaa, Yaqshid und Dayniile. Einwohner bestätigen dies. In der Nacht werden von Al-Shabaab diejenigen Menschen bestraft, die tagsüber mit der Regierung kooperieren. So wurde zum Beispiel im Mai 2013 ein traditioneller Führer von Al-Shabaab umgebracht, da er Teil eines Begrüßungskomitees für den Präsidenten war.
Sicherheitskräfte. Der Aufbau effizienter und vor allem disziplinierter Sicherheitskräfte ist eine große Herausforderung. Die Soldaten, meistens ehemalige Milizen, sind selbst oft in Erpressung und Ausbeutung der Bevölkerung involviert. 2012 gab es in und um Mogadischu über 60 illegale Straßensperren, die von Soldaten und regierungsfreundlichen Milzen erstellt wurden. Nachdem diese abgebrochen worden waren, sind in der Zwischenzeit wieder viele aufgebaut worden. Sicherheitskräfte sind auch in extralegale Tötungen involviert. Problematisch ist weiter die Infiltration der Sicherheitsdienste durch Angehörige krimineller, radikaler und aufständischer Gruppen. Die Disziplinlosigkeit der somalischen Sicherheitskräfte mag ein Grund dafür sein, dass Einwohnerinnen und Einwohner die Al-Shabaab den Regierungssoldaten vorziehen. Unter der Kontrolle der Al-Shabaab war es für sie vor allem gefährlich, wenn sie Verbindungen zur Regierung unterhielten oder die Befehle der Al-Shabaab missachteten. In Gebieten, die von der Regierung kontrolliert werden, sind die Quellen der Unsicherheit vielfältiger, so auch die Gefahr, ins Kreuzfeuer zwischen einzelnen Regierungsfraktionen zu kommen. Im November 2012 stellte selbst der Präsident fest, dass die meisten Vergewaltigungen von Regierungssoldaten verübt werden. Diese bringen oft sowohl die Opfer als auch die Zeugen um. (Seiten 1 - 4)"
2.1.4. UNHCR, International Protection Considerations with Regard to people fleeing Southern and Central Somalia (Jänner 2014)
Seit August 2011 steht Mogadischu nominal unter Kontrolle der Regierung, unterstützt durch Truppen der Afrikanischen Union. Die Sicherheitssituation in der Stadt hat sich seitdem verbessert, offene Kampfhandlungen sind seltener geworden und das wirtschaftliche Treiben wird wieder aufgenommen. Die Al-Shabaab ist jedoch weiterhin in der Lage, tödliche Anschläge, auch in den bestgesicherten Teilen der Stadt, zu verüben, deren Opfer überwiegend Zivilisten seien. Solche Anschläge werden jede Woche verübt. Ziel dieser Anschläge sind häufig Regierungsinstitutionen und öffentliche Bereiche wie Restaurants, Märkte und Hotels. Im Jahr 2013 haben sowohl Ausmaß als auch Intensität der Anschläge zugenommen. Abgesehen von Selbstmordanschlägen und ähnlichen Angriffen wird unter anderem auch von allgemeinen Einschüchterungen, Misshandlungen und Zwangsrekrutierungen von Zivilisten berichtet. Neben der Al-Shabaab gibt es noch weitere gewaltsame, bewaffnete Gruppierungen, die Berichten zufolge zum Teil denselben ideologischen Hintergrund wie die Al-Shabaab haben (Seite 4ff).
2.2. Schutzfähigkeit der Regierungskräfte
2.2.1. Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia (September 2013)
"Rechtsschutz/Justizwesen
Das Fehlen einer funktionierenden zentralen Regierung hat zum Zerfall des Landes in Regionen mit unterschiedlich ausgeprägter quasi-staatlicher Ordnung, Rechtsstaatlichkeit und Justiz geführt. Die neue Übergangsverfassung legt die Scharia als Hauptquelle der Gesetzgebung und den Islam als Staatsreligion fest. (AA 12.6.2013)
Die Verfassung sieht zwar Gewaltenteilung und eine unabhängige Justiz vor, aber sowohl unter der ehemaligen Übergangsregierung als auch unter der neuen Regierung ist der Aufbau einer unabhängigen Justiz genauso wenig vorangekommen wie derjenige anderer staatlicher Strukturen. So wurde ein Oberster Gerichtshof eingerichtet und besetzt, konnte aber bisher keine wesentlichen Aufgaben erfüllen. Das staatliche Justizwesen ist in weiten Teilen des Landes nicht funktionsfähig. (AA 12.6.2013; vgl. USDOS 19.4.2013; vgl. DIS 5.2013) Es wird noch einige Zeit dauern, bis es in Somalia ein funktionierendes Justizsystem gibt, das auch fair und effizient ist. Der Benadir Court und der Benadir Supreme Court sind zwar in Betrieb, allerdings sind diese Institutionen von Korruption geplagt. (DIS 5.2013)
Es kann aber nicht von einem umfassenden Rechts- und Justizsystem gesprochen werden. (ÖBN 8.2013) Strafverfolgung ohne anwaltlichen Beistand und ohne die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, sowie überlange Haft ohne eine fundierte Anklage sind in allen Landesteilen verbreitet. (AA 12.6.2013)
Die Justiz unterliegt politischer Einflussnahme der jeweiligen Machthaber. Hochrangige Justizvertreter, v.a. Richter, sind zudem regelmäßig Pressionen nicht-staatlicher Stellen ausgesetzt. (AA 12.6.2013; vgl. ÖBN 8.2013) Im Juli 2012 wurde ein Staatsanwalt in Zentralsomalia erschossen. Es mangelt zudem ganz eklatant an ausgebildeten Richtern und Anwälten sowie an Gesetzesdokumentation und Fallarchivierung. Dies gilt in besonderem Maße für den Süden und das Zentrum des Landes und, soweit bekannt, etwas weniger ausgeprägt in Puntland. Diese Punkte führen zur Verletzung rechtsstaatlicher Grundprinzipien. Allerdings bemüht sich die neue Regierung seit Ende 2012 um Fortschritte. So hat sie in mehreren Fällen Übergriffe der Sicherheitskräfte strafrechtlich verfolgen lassen und damit ein Zeichen gegen die weitgehende Straflosigkeit gesetzt. Zudem besteht eine gewisse Bereitschaft, die Unabhängigkeit der Justiz zu respektieren. (AA 12.6.2013)
Zivile Richter haben oftmals Angst, Zivilfälle abzuhandeln. Daher werden die meisten derartigen Fälle vor dem Militärgericht behandelt. Seit September 2012 gibt es auch mobile Gerichte, die von der UN finanziert werden und ca. 200 Fälle pro Monat verhandeln. Diese Gerichte tagen in Bezirken, die für Richter zu gefährlich sind. (USDOS 19.4.2013)
Im ganzen Land vermitteln traditionelle Älteste in Rechtsstreitigkeiten. Clans machen häufig von der traditionellen Justiz Gebrauch. In den meisten Gebieten basiert die Gerichtsbarkeit auf traditionellem und Gewohnheitsrecht, der Scharia und dem Strafgesetz aus den Jahren vor 1991. (USDOS 19.4.2013) Urteile werden häufig nach traditionellem Recht von Clan-Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur den relativ eng begrenzten Bereich eines bestimmten Clans. Bei Sachverhalten, die mehrere Clans betreffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen, auch und gerade in Strafsachen. (AA 12.6.2013)" (Seite 14f)
"Sicherheitsbehörden
Die Polizei untersteht unterschiedlichen regionalen Verwaltungen und der Regierung. Die National Police Force untersteht dem Innenministerium. Die Präsenz wurde allmählich von Mogadischu auf andere Städte (z.B. Afgooye, Balcad, Merka) ausgedehnt. In Mogadischu sind zwei unterschiedliche Polizeikräfte aktiv: Jene der Regierung und jene der Regionalverwaltung Benadir. In neu eroberten Städten fällt die Polizeiarbeit meist den Truppen der Armee und alliierten Milizen zu. Die Führung und die Kontrolle der Polizei sind schwach, es mangelt an Infrastruktur und Logistik. (USDOS 19.4.2013)
Die somalische Polizei umfasst mittlerweile rund 6.000 Polizisten und Polizistinnen. (IRIN 13.5.2013) Davon erhalten 5.388 (die große Mehrheit davon versieht ihren Dienst in Mogadischu) ihre Gehälter von UNDP, finanziert v.a. von Japan und der EU. (UNSC 31.1.2013) Ausbildungskurse finden regelmäßig in Dschibuti statt, die neuen Polizisten werden danach zurück nach Mogadischu geschickt. Es gibt auch zweimonatige Ausbildungskurse in der somalischen Hauptstadt selbst. Diese werden teilweise vom Polizeikontingent der AMISOM (ca. 150 Polizisten) durchgeführt. (BAA 25.7.2013) Außerdem bestehen v.a. bilaterale Initiativen, etwa durch Italien und die Türkei (Ausbildung von Polizeikräften in Mogadischu). (ÖBN 8.2013) Die Regierung von Japan stellt finanzielle Ressourcen für die Ausbildung und für die Ausrüstung der Polizei zur Verfügung. Auch damit wird zur zunehmenden Professionalität beigetragen. (BAA 25.7.2013)
Die Präsenz der Polizei hat - teils aufgrund der Inkorporation von Milizen - zugenommen. Die Polizei reagiert auf kriminelle Handlungen, und jede Tat kann angezeigt werden. Allerdings ist die Erfolgsquote noch gering. Die Milizen von Warlords und Bezirkschefs sind weitgehend verschwunden, eine letzte existiert im Bezirk Medina. (DIS 5.2013)
Die Polizeikräfte in Mogadischu und Afgooye sind vergleichsweise organisiert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass hier die besser ausgebildeten und ausgerüsteten Polizisten ihren Dienst verrichten. Trotzdem kommt es in regelmäßigen Abständen immer noch zu internen Konfrontationen. (BAA 25.7.2013)
Auch in Baidoa aber auch in Merka, Afgooye und Wanla Weyn gibt es nunmehr Polizeikräfte. Allerdings ist die Logistik eine ernste Herausforderung für weitere Stationierungen. (UNSC 31.5.2013) Die Entitäten Ximan&Xeeb und Galmudug verfügen über eigene Sicherheitskräfte. (BAA 25.7.2013)
In diesem Jahr hat die Mission der Afrikanischen Union in Somalia (African Union Mission in Somalia - AMISOM) die autorisierte Stärke von 17.731 Mann erreicht. (UNSC 31.1.2013) Insgesamt hat sich nichts an der Tatsache geändert, dass die somalische Regierung und andere gegen al Shabaab (AS) kämpfende Kräfte sehr von der Unterstützung durch AMISOM und die mehreren Tausend im Land stationierten äthiopischen Soldaten abhängig sind. (BAA 25.7.2013)" (Seite 16f)
"Korruption
Somalia war im Jahr 2012 laut Transparency International zum wiederholten Male das korrupteste Land der Welt (Platz 174 von 174, gemeinsam mit Nordkorea und Afghanistan). (TI 2013) Die in der Verfassung vorgesehene Antikorruptionskommission ist noch nicht eingerichtet worden. Es ist unklar, welche Gesetze zur Bestrafung für Korruption in Kraft sind. Im Juli 2012 wurde ein hoher Finanzbeamter, der in einem UN-Bericht über Korruption aussagte, ermordet. (USDOS 19.4.2013)
In Puntland gibt es ebenfalls keine Antikorruptionskommission. Es gab dort im Jahr 2012 keine Verfahren wegen Korruption. Al Shabaab hebt in ihren Gebieten unvorhersagbar Zakat- und Sadaqa-Steuern ein. Außerdem wurden humanitäre Hilfsgüter entfremdet oder gestohlen. (USDOS 19.4.2013)" (Seite 19)
Im Zusammenhang mit Ausführungen zur allgemeinen Menschenrechtslage wird angeführt, dass "generelle Straflosigkeit die Norm" bleibe, v. a. in Süd- und Zentralsomalia. Allerdings würden die Behörde einige Schritte tätigen, um Offizielle, die für Vergehen verantwortlich seien, zur Rechenschaft zu ziehen (USDOS 19.04.2013) (Seite 23)
In Bezug auf sexuelle Übergriffe gegen Frauen führt der Bericht der Staatendokumentation mit Berufung auf das Auswärtige Amt an, dass "wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet" sei. (Seite 38)
2.2.2. UNHCR, International Protection Considerations with Regard to people fleeing Southern and Central Somalia (Jänner 2014)
Die Regierungskontrolle über Mogadischu bleibe nominal, und während es weniger offene bewaffnete Konflikte gebe seit sich die Al Shabaab im August 2011 aus der Stadt zurückgezogen habe, bleibe die Verbesserung der Sicherheitslage eine ernsthafte Herausforderung für die SFG. Die nach wie vor hohe Zahl an Zwischenfällen, darunter auch gezielte Tötungen von Journalisten, Angehörigen der Gerichtsbarkeit, Regierungsbeamten und anderen sowie die Kampfhandlungen zwischen Regierungskräften und in der Stadt dominanten verbundenen Milizen, illustrieren diese Probleme. Die neue Somalische Regierung habe unterschiedliche Erfolge dabei erzielt, sich der schwierigen Situation in den Regionen unter ihrer Kontrolle anzunehmen. Sie habe öffentliche Zusagen gemacht, Übergriffe zu verfolgen, den Sicherheitssektor zu reformieren und ihre eigenen Truppen zur Rechenschaft zu ziehen - auch hinsichtlich sexueller Übergriffe. Doch konkrete Veränderungen seien, nach der Berichtslage, minimal geblieben. Berichte würden weiter ausführen, dass die Polizei großteils auf lokaler Ebene organisiert sei, mit wenig Kontrolle durch den Staat und auf Basis von unzureichenden rechtlichen Grundlagen. Es gebe außerdem kein funktionierendes, organisiertes System der Strafrechtspflege in Süd- und Zentralsomalia, noch gebe es eine anerkannte oder etablierte Behörde bzw. Struktur, die einen einheitlichen Standard eines fairen Verfahrens vorgeben würde. Die Durchsetzung von Strafrecht sei, den Berichten folgend, willkürlich bis nicht-existent.
Die Leistungsfähigkeit der SNSF bleibe beschränkt, insbesondere unter Berücksichtigung einer unterentwickelten nationalen Kommando- und Kontrollstruktur, von Clan-begründeten Streitigkeiten, von beschränktem Material und Ressourcen sowie von Problemen der Disziplin. Beinahe die gesamte Polizei sei in Mogadischu stationiert und bleibe zu schwach, um die öffentlichen Sicherheitsaufgaben vom Militär zu übernehmen. Außerhalb von Mogadischu, in manchen städtischen Gebieten in Süd- und Zentralsomalia unter der Kontrolle der Regierungstruppen oder der AMISOM gebe es örtliche Sicherheitsstrukturen, jedoch mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit und Regierungstreue. (Seite 7).
2.3. Clanstruktur und Minderheiten
2.3.1. Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia (September 2013)
"Eine Besonderheit der Politik und Geschichte Somalias liegt in der Bedeutung der Clans (auf gemeinsame Herkunft zurückgehende Großfamilienverbände mit bis zu siebenstelliger Zahl von Angehörigen). Die Kenntnis der Clanstrukturen und ihrer Bedeutung für die somalische Gesellschaft ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der politischen und historischen Entwicklungen in Somalia. (AA 3.2013a)
Die übergeordneten Clans in Somalia sind die Hawiye, Darod, Issaq, Dir und die Digil-Mirifle bzw. Rahanweyn. Aufgrund des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist es nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. (AA 3.2013a) Somalia wird oft fälschlicherweise als ein Land mit ethnisch homogener Bevölkerung, Kultur und Sprache dargestellt. Die als solche wahrgenommene Mehrheit der Bevölkerung besteht aus nomadisch-viehzüchtenden ethnischen Somali, die die sogenannten "noblen Clans" Darood, Hawiye, Dir und Isaaq bilden. Diese Gruppen sprechen Af-Maxaa-tiri, die offizielle Sprache Somalias nach der Unabhängigkeit. Eine zweite große Gruppe bilden die primär sesshaften agrarisch-viehzüchtenden Gruppen, die im Gebiet zwischen den Flüssen Juba und Shabelle in Südsomalia ansässig sind und als Digil-Mirifle oder Rahanweyn bekannt sind. Ihre Sprache ist das Af-Maay-tiri, das sich recht deutlich von Af-Maxaa-tiri unterscheidet. Jenseits dieser ethnischen Homogenität findet man die Minderheiten. (ACCORD 12.2009)
Es gibt eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt und aus denen seit Beginn des Bürgerkrieges viele der bewaffneten Milizen als Hauptakteure der Kämpfe hervorgingen. Angehörige eines (Sub‑)Clans können in Gebieten, die von einem anderen (Sub‑)Clan dominiert werden, auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen um Unfälle, Eigentum oder Wasser. (AA 12.6.2013; vgl. USDOS 19.4.2013) Der Subclan ist ein entscheidendes Identifikationsmerkmal und bestimmt maßgeblich, welche Position eine Person oder Gruppe in politischen oder bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt. (AA 3.2013a) Es ist zu beachten, dass sich die tatsächlichen politischen Dynamiken nicht allein unter Bezugnahme auf diese größeren Clangruppen nachvollziehen lassen, zumal es stets Rivalitäten und Streitigkeiten auf Ebene der Unterclans bzw. Unter-Unterclans gibt, die eine Rolle spielen. Diese führen häufig dazu, dass sich die Unterclans der großen Clangruppen häufig in clangruppenübergreifenden politischen Bündnissen zusammenschließen. (ACCORD 12.2009)
Das Hauptsiedlungsgebiet der Darod liegt im Nordosten (Puntland) und im Süden Somalias. Die Hawiye leben hauptsächlich in Zentralsomalia und Mogadischu, die Issaq im Nordwesten des Landes (Somaliland). Die Dir leben vor allem im Nordwesten Somalias an der Grenze zu Djibouti und im Süden des Landes. Die Digil und Mirifle leben als Ackerbauern vor allem im fruchtbaren Südwesten Somalias, Zentrum dieser Clans ist die Stadt Baidoa. (AA 12.6.2013)" (Seite 30f).
Hauptclans:
"Die nomadischen Gruppen im segmentären Clan-System umfassen drei bis vier Haupt-Clan-Familien. 1) Die Darood werden üblicherweise in die drei große Gruppen Ogaden, Marehan und Harti unterteilt. Die Harti setzen sich aus den Majerteen, die heute vornehmlich in Puntland leben, sowie aus den Dulbahante und Warsangeli zusammen, die innerhalb der Grenzen Somalilands ansässig sind. Das Territorium Puntlands überlappt fast zur Gänze mit dem Verbreitungsgebiet der Majerteen-Clanfamilie. Die Marehan bewohnen Süd-/Zentralsomalia, wo sie in der Gedo-Region besonders dominant sind. Die Ogaden sind in Äthiopien, Kenia und Südsomalia zu finden, wo sie in den vergangenen Jahren verstärkt an Kontrolle über das Nieder- und Mittel-Juba-Gebiet gewannen. Aufgrund ihrer Präsenz sowohl im Norden, in Süd-/Zentralsomalia und innerhalb der Grenzen Äthiopiens und Kenias können die Darood als die stärksten pan-somalischen Nationalisten betrachtet werden. (ACCORD 12.2009)
2) Hawiye: Hier stellen Habar Gedir und Abgal die wichtigsten Untergruppen dar. Die Hawiye findet man in Süd-/Zentralsomalia. Insbesondere die Habar Gedir und Abgal-Gruppen dominieren Mogadischu. In den anderen Regionen sind die Hawiye weniger präsent. Generell begnügen sie sich mit der Kontrolle über Süd-/Zentralsomalia. 3) Dir: Dazu gehören Gruppen wie Issa, Gadabursi und Biymaal. Dir-Gruppen leben in Somaliland sowie in Süd-/Zentralsomalia. 4) Isaaq: Die Isaaq unterhalten jedenfalls Verwandtschaftsbeziehungen zu Dir-Gruppen wie Biymaal, Issa und Gadabursi. Die Isaaq stellen den überwiegenden Bevölkerungsanteil in Somaliland. (ACCORD 12.2009)
Die agrarisch-viehzüchtenden Somali bezeichnen sich selbst als Saab und umfassen die beiden Gruppen Mirifle und Digil sowie die Rahanweyn, die sich manchmal als identisch mit Mirifle und Digil sehen. Die Clanstruktur dieser Gruppen weicht erheblich von jener der nomadischen Gruppen ab. Diese Gruppen betreiben keine Wanderviehwirtschaft sondern Ackerbau. Daneben halten sie auch Kamele, die als letzte Nahrungsreserve im Fall von Dürren dienen. Bei Eintreten von Dürren können diese Gruppen auch migrieren, wenngleich diese Wanderungen von den Migrationsformen der Nomaden zu unterscheiden sind. So definieren sich die agrarisch-viehzüchtenden Gruppen lokal, und ihre Heimatregion ist für ihre Identität von größerer Bedeutung als ihre Clanzugehörigkeit. Die Organisationen der Ältesten sind im Vergleich zu jenen der nomadischen Gruppen weitaus hierarchischer strukturiert und in ihrer Form enger mit den jeweiligen Dörfern und Heimatregionen verbunden. (ACCORD 12.2009)
Bei manchen Clans ist unklar, ob sie eine nicht-somalische oder eine somalische Minderheit darstellen oder ob sie durch ihren Hintergrund überhaupt Nachteile erleiden. Sowohl die Ashraf als auch die Sheikhal haben einen speziellen religiösen Status. Aufgrund dieses Status' werden sie respektiert. Quellen widersprechen sich bezüglich der Frage, ob diese Gruppen generell den Schutz von Clans erhalten, bei welchen sie leben. Heutzutage haben beide Gruppen politischen Einfluss und sie spielen eine wichtige Rolle in der Ökonomie und in der Bildung. Die Ashraf sind teils in die Rahanweyn integriert, teils in die Benadiri, bei welchen sie leben. Die Sheikhal wiederum sind größtenteils mit den Hawiye assoziiert und werden von diesen geschützt. Eine Quelle gibt allerdings an, dass beide Gruppen noch immer diskriminiert werden und aufgrund ihres nicht-somalischen Hintergrundes und der Absenz eigener bewaffneter Milizen vor dem Problem von Menschenrechtsverletzungen stehen könnten. (MBZ 30.11.2012)" (Seite 32f)
Minderheiten und kleine Clan Gruppen:
"Eine signifikante Anzahl an somalischen Staatsbürgern ist nicht Mitglied eines "noblen" Clans. Sie werden pauschal als "Sab" oder "nicht-Samaal" bezeichnet. Diese Gruppen umfassen Personen arabisch-persischer Abstammung in den Küstenstädten, Somali-sprechende Abkömmlinge von Sklaven und islamische Somali-sprechende Personen nicht-somalischer Herkunft entlang des Shabelle. Die Definition von "Minderheit" variiert, doch umfasst sie allgemein: Bantu/Jareer (inkl. Gosha, Makane, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli); Bravenese, Rerhamar, Bajuni, Eeyle, Jaaji/Reer Maanyo, Barawani, Galgala, Tumaal, Yibir, Midgan/Gaboye/Madhibaan. (UNHCR 5.5.2010; vgl. USDOS 19.4.2013)
Andere Gruppen werden zwar als Minderheiten erachtet, sind aber eng mit gewissen großen Clans assoziiert, zum Beispiel die Biymaal mit den Dir oder die Sheikhaal mit den Hawiye. Die Position dieser Gruppen in Beziehung zu den Samaal ["noble" Clans] variiert und hat sich im Laufe der Zeit verändert. Dies gilt auch für ihren Zugang zu Sicherheit, Justiz und anderen Rechten. (UNHCR 5.5.2010)
Minderheiten sind keine Clans, obwohl sie von den nomadischen Clans, die diese in ihre Clanstruktur assimilieren wollen, häufig als solche bezeichnet werden. Erstens verrät die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht, ob die betreffende Person davon bedroht ist, Ziel von Angriffen zu werden oder nicht. Zweitens ist der Begriff "Minderheit" in manchen Fällen irreführend, zumal viele Minderheiten wie etwa die Bantus an zahlreichen Orten Süd-/Zentralsomalias de facto die lokale zahlenmäßige Mehrheit bilden. Dennoch werden sie von den militärisch stärkeren nomadischen Clans unterdrückt. Im gesamtstaatlichen Kontext stellen sie eine Minderheit dar, da es ihnen an territorial übergreifender Dominanz fehlt. Von diesem Muster bilden die Sab (Waable) eine Ausnahme, da sie auch zahlenmäßig gesehen, eine klare Minderheit darstellen, zumal sie über zahlreiche Gebiete verstreut leben. Drittens lässt sich im Fall einiger Clangruppen (wie etwa der Biymaal) die umgekehrte Situation beobachten, dass diese mancherorts in kleineren Siedlungsinseln leben und daher auf lokaler Ebene mit einiger Rechtfertigung als "Minderheiten" bezeichnet werden können, jedoch nicht auf gesamtsomalischer Ebene, da sie einer mächtigen Clanfamilie angehören. So sind solche Gruppen allgemein in der Lage, das Gebiet, in dem sie eine "Minderheit" darstellen, zu verlassen und in einem anderen Gebiet, wo ihr Clan die Mehrheit bildet, Schutz zu erhalten (wiewohl Dominanz keineswegs mit vollkommener Kontrolle gleichzusetzen ist, zumal überall in Süd-/Zentralsomalia stets mehrere Clans sowie "Minderheiten" präsent sind). Dies bedeutet jedoch, dass diese Gruppen dazu gezwungen sind, ihre lokalen Gebiete, die sie möglicherweise über Generationen bewohnt haben, zu verlassen. (ACCORD 12.2009)" (Seite 33f)
Ethnische Minderheiten:
"Minderheiten können eine unterschiedliche ethnische Herkunft haben, als die Samaal ["noble" Clans]. Dies gilt zum Beispiel für die Bantu Sklaven-Nachkommen und die Gosha im Zwischenstromland. Ihnen werden von den Somali unterschiedliche herabwürdigende Namen gegeben, wie etwa Boon (Person niedrigen Status') und Addoon (Sklave). Wie auch andere Bantu werden sie auch Jareer genannt (heißt: hartes Haar). (UNHCR 5.5.2010) Die Bantu werden häufig als kleine Gruppen beschrieben, die vielleicht sechs Prozent der Bevölkerung bilden, doch könnten sie in Wirklichkeit 20 % darstellen, und in Süd-/Zentralsomalia könnte es lokale Bezirke geben, in denen die Bantu sogar 50 % der lokalen Bevölkerung bilden. (ACCORD 12.2009)
Die Bantu sind die größte Gruppe an nicht-Somalis. Sie sind in den IDP-Lagern überrepräsentiert, in den Flüchtlingslagern außerhalb Somalias aber unterrepräsentiert, weil sie kaum über die Möglichkeiten verfügen, aus dem Land zu fliehen. Berichten zufolge treten Bantu der al Shabaab bei, da sie dort nicht diskriminiert werden. (MBZ 30.11.2012)
Zu den küstenbewohnende Gruppen zählen die Benadiri, Barawani, Bajuni sowie die Jaaji (oder auch: Reer Maanyo). Die Barawani und die Bajuni sind Gruppen arabischer Herkunft. (ACCORD 12.2009) Die Benadiri werden diskriminiert, allerdings können sie ihre Situation durch Mischehen verbessern. Im Berichtszeitraum sind zuvor vertriebene Benadiri nach Hamarweyne in Mogadischu zurückgekehrt. Viele Benadiri sind erfolgreiche Wirtschaftstreibende. Der Chef der Finanzverwaltung von Mogadischu ist ein Benadiri. Viele Benadiri können ihr einstmals verlorenes Gut - auch Immobilien - zurückerlangen und sind nicht einem Risiko ausgesetzt, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. (MBZ 30.11.2012)" (Seite 35)
Aktuelle Situation:
"Daten oder verlässliche Informationen über die tatsächliche Situation der unterschiedlichen Minderheitengruppen sind nur eingeschränkt verfügbar. In Süd-/Zentralsomalia gibt es praktisch weder Menschenrechtsbeobachter noch Anthropologen. Auch an lokalen Menschenrechtsorganisationen, welche sich mit der Situation von Minderheiten befassen würden, gibt es nur sehr wenige. Es muss unterstrichen werden, dass eine generalisierende Aussage für alle Angehörigen einer spezifischen Minderheitengruppe nicht möglich ist. Weder unter Wissenschaftlern noch unter den Somalis selbst herrscht völlige Einigkeit bezüglich der exakten Klassifikation der unterschiedlichen Clans und Minderheiten. Die nicht-somalischen Minderheiten haben keine Clanstruktur oder eine Clanstruktur, die weniger in die Tiefe geht, wie jene der somalischen Clan-Familien. Traditionell stehen diese Minderheiten außerhalb der somalischen Clan-Struktur und genießen nur dann Clan-Schutz, wenn dies ein somalischer Clan zugesichert hat. Es existieren unterschiedliche Formen der Assoziierung und Integration von nicht-somalischen Minderheiten. (MBZ 30.11.2012)
Einzelne Minderheiten (u.a. Bantu, Jarir, Benadir, Rer Hamar, Midgan, Gaboye) leben unter schwierigen sozialen Bedingungen und sehen sich wirtschaftlich, politisch und sozial oft ausgegrenzt. Grundsätzlich wurde bei der Bildung der föderalen Regierung Ende 2012 auf eine möglichst breite Zusammensetzung aller Clans und Subclans geachtet. (ÖBN 8.2013) Bei den IDP-Frauen sind es oft Minderheitsangehörige, die zu Opfern von Vergewaltigungen werden. Insgesamt hat sich die Sicherheitssituation für Minderheitenangehörige und Angehörige kleiner Clans während des vergangenen Jahres aber beachtlich verbessert. (DIS 5.2013) In Mogadischu ist es unwahrscheinlich, dass es nur aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit zu Übergriffen auf Minderheitenangehörige kommt. Der Polizeichef der Stadt gehört z.B. der ethnischen Minderheit der Brawani an. (UKBA 9.2013) Es gibt in Mogadischu keine gezielten Misshandlungen oder Diskriminierung einzelner Gruppen mehr. (BAA 25.7.2013; vgl. DIS 5.2013) Überhaupt spielt die Clanzugehörigkeit in Mogdischu nur noch eine untergeordnete Rolle. Auch das traditionelle Rechtssystem hat an Macht eingebüßt. Die Menschen nehmen eher die Regierungsjustiz in Anspruch - v.a. in wirtschaftlichen Fragen. Folglich ist der Clan nicht mehr sosehr eine Schutzstruktur sondern vielmehr eine soziale Struktur. (DIS 5.2013)
Eheschließungen zwischen Somalis und Angehörigen nicht-somalischer Minderheitengruppen sind traditionell nicht erlaubt. (MBZ 30.11.2012; vgl. USDOS 19.4.2013) Wenn solche eingegangen werden, ist mit negativen Konsequenzen zu rechnen. Es kann zu Gewalt seitens des Mehrheitsclans gegen die entsprechende Minderheit kommen, oder aber das Paar wird zur Scheidung gezwungen. In den wenigen bekannten Fällen derartiger Eheschließungen ist es zum Abbruch des Kontakts zwischen dem Mehrheitsclan und dem Ehepaar gekommen. (MBZ 30.11.2012) Allerdings schätzt die schwedische Behörde nach ihrer FFM im Jahr 2012 den Druck auf Mischehen v.a. in urbanen Gebieten geringer ein. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ehefrau einer Minderheit angehört. (MV 6.5.2013)
Viele Angehörige der Midgan, Tumal, Yibir oder Galgala siedeln traditionell in Gebieten, in welchen sie ein gewisses Maß an Schutz vom dominanten Clan im Gebiet erhalten können und sie sich ökonomisch betätigen können. Die meisten sind in große Clans oder Subclans assimiliert. Auch wenn sie aufgrund ihres geringen sozialen Status' hin und wieder diskriminiert oder belästigt werden, können sie sich unter den Schutz ihres Patronage-Clans stellen, wenn zu diesem bereits eine längere Beziehung besteht. Dies gilt allerdings nicht, wenn Angehörige dieser Minderheiten den Schutz durch ihren Schutzclan verloren haben. Minderheitenangehörige können aufgrund ihres niedrigen sozialen Status' auf Diskriminierung und auf Misshandlungen durch andere Clangruppen stoßen. Außerhalb von Mogadischu kann es vorkommen, dass Minderheitenangehörige sich des Schutzes größerer Clans im gleichen Gebiet versichern können. (UKBA 9.2013)
Die Benadiri wiederum sind nicht mehr länger Subjekt gezielter Gewalt, so wie in früheren Jahren. Auch wenn ein gewisses Maß an Diskriminierung verbleibt, spielen sie eine Rolle in der Politik, haben sie Beziehungen zu dominanten Clans aufgebaut, sind Mischehen eingegangen und haben Geschäfte etabliert. Allerdings kann dies von Ort zu Ort variieren und es hängt davon ab, was der Einzelne beitragen kann. (UKBA 9.2013)
In Puntland können (autochthone) Minderheitengruppen im Rahmen des Xeer ebenfalls direkt mit großen Clans verhandeln. Im Falle einer Verweigerung steht das formelle Rechtssystem offen. Ein Vertreter von UN OCHA gab an, dass es Minderheiten wie den Midgan oder Bantu an Clan-Schutz mangle, während etwa die Madhiban mit großen Clans assoziiert seien und dadurch Clan-Schutz genießen. (MV 30.11.2012)" (Seite 35ff)
2.3.2. Schweizer Flüchtlingshilfe, Somalia: Sicherheitssituation in Mogadischu - Auskunft der SFH-Länderanalyse, 25.10.2013
"Aufgrund der fehlenden staatlichen Schutzmöglichkeiten sind die Menschen in Mogadischu auf alternative Schutzmechanismen angewiesen:
Clanstrukturen sind eine Quelle des Schutzes, aber ebenso auch der Unsicherheit. Die Clanstrukturen wurden unter der Herrschaft der Al-Shabaab zerstört. Nach deren Vertreibung aus Mogadischu hinterließen sie ein Machtvakuum, welches von der Regierung bis heute nicht aufgefüllt werden kann. Der Clan und die Clanzugehörigkeit sind deshalb wieder wichtig geworden. Mächtige Einzelpersonen und Milizen, vor allem von den Mehrheitsclans, haben sich etabliert. Milizen, die zwar in die SNAF integriert wurden, sind nach wie vor primär gegenüber ihren Clans loyal. Die Clanzugehörigkeit ist grundlegend für den Zugang zu Schutzmechanismen. Angehörige von Minderheitenclans sind von der politischen Beteiligung ausgeschlossen und haben nur beschränkten Zugang zum Justizsystem. Der Zugang zu Nahrung, zum Gesundheitssystem und zu Bildung ist ebenfalls eingeschränkt. Auch wenn das für viele Somalierinnen und Somalier gilt, sind Angehörige von Minderheitenclans überproportional betroffen. UNHCR weist darauf hin, dass die Sozialstruktur nach 20 Jahren Krieg und Vertreibung dermaßen zerstört ist, dass die erweiterte Familie keinen Schutz mehr bieten kann. Die Unterstützungsnetze beschränken sich nur noch auf die Kernfamilie - wenn überhaupt. Bei der Überlebenssicherung sind Einzelpersonen auf die Hilfe der Kernfamilie angewiesen, da die erweiterte Familie oder der Clan keine Unterstützung bieten kann. Dies gilt insbesondere für Minderjährige und Jugendliche sowie für ältere Menschen und alleinstehende Frauen und Mütter, die Minderheitenclans angehören. (Seite 4)"
2.3.3. UNHCR, International Protection Considerations with Regard to people fleeing Southern and Central Somalia (Jänner 2014)
In einigen Gebieten Süd- und Zentralsomalias habe die Bedeutung des Schutzes Einzelner durch den eigenen Clan in den letzten Jahren abgenommen. Besonders in Mogadischu habe die eigene Kernfamilie den Clan als wichtigsten Schutzmechanismus abgelöst. Dennoch würden Somalier weiterhin grundsätzlich in den vom eigenen Clan dominierten Gebieten sicherer sein. Angehörige von Minderheitenclans wären nach wie vor Benachteiligungen ausgesetzt (Seiten 8 und 9).
2.3.4. Home Office, Operational Guidance Note Somalia, September 2013
Das Home Office geht in seiner Operational Guidance Note zum Thema Minderheiten davon aus, dass es in Mogadischu unwahrscheinlich ist, dass ein Somalier rein aufgrund einer ethnischen Zugehörigkeit das Ziel von Gewalt werden würde. Angehörige von Minderheiten können aber auch in Mogadischu Opfer von Diskriminierung und Misshandlungen wegen ihres niedrigen sozialen Standes werden.
Außerhalb von Mogadischu können Angehörige von Minderheiten unter bestimmten Umständen den Schutz größerer Clans in Anspruch nehmen.
Die Benadiri sind nicht mehr Opfer einer gezielten Gewalt, die sie früher erdulden mussten. Wenn auch Fälle von Diskriminierung immer noch vorkommen, spielen sie mittlerweile eine Rolle in der Politik, haben Beziehungen zu dominanten Clans geknüpft, sind Mischehen eingegangen und haben Geschäfte aufgebaut. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist für Benadiri eher unwahrscheinlich.
Angehörige der Midgan, Tumal Yibir oder Galgala haben sich traditionell in Regionen angesiedelt, in denen sie bis zu einem gewissen Grad Schutz durch einen dominanten Clan bekommen haben. (Seite 44f).
2.3.5 Canada: Immigration and Refugee Board of Canada: Somalia: The Reer Hamar and/or Benadiri, including the location of their traditional homeland, affiliated clans and risks they face from other clans, 03.12.2012
Insbesondere betreffend die Risiken, denen Reer Hamar Angehörige ausgesetzt seien, führt dieser Bericht aus, dass, obwohl die Benadiri vor dem Bürgerkrieg eine privilegierte Stellung inne gehabt haben, sie danach von anderen Gruppen gezielt diskriminiert worden seien und ihnen Geschäfte und Liegenschaft enteignet worden seien. Sie haben großräumig organisierte Gewalt und Angriffe von Milizen erlitten. Benadiri Frauen und Mädchen seien gezielte Opfer von Vergewaltigungen und Zwangsheiraten gewesen. Nach mehreren Quellen seien die Benadiri unbewaffnet und unfähig, sich selbst zu schützen. Nach "Jane¿s Country Risk Assessment" seien die Benadiri "leichte Opfer" während des Bürgerkriegs gewesen, da sie keine Fraktion zugeordnet gewesen seien und auch keine Verbindung zu Somali Clans gehabt haben.
Manche Quellen würden ausführen, dass das Risiko der Verfolgung der Benadiri stark abgenommen habe. Insbesondere können Reer Hamar durch Mischehen mit Mitgliedern der Hawiye Abgal und der Habr Gedir Beziehungen zu starken Clans aufbauen und damit ein gewisses Maß an Schutz erhalten. Nach einem ACCORD Bericht aus 2009 würden die Reer Hamar nun auch am politischen Prozess in Somalia teilnehmen. Dem würden Aussagen eines "unabhängigen Forschers" gegenüber stehen, nach denen sie eine politische und wirtschaftliche Minderheit seien und ihre Vertretung in der Regierung nur ein Feigenblatt darstelle.
Minority Rights Groups International berichtete, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen im ganzen Land verbreitet sei, jedoch Frauen aus Minderheitengruppen noch stärker davon betroffen seien, als andere Frauen in Somalia.
2.4. Frauen
2.4.1. Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia (September 2013)
"Gewalt gegen Frauen - insbesondere sexuelle Gewalt - ist lt. Berichten der VN und internationaler NGOs in der gesamten Region weit verbreitet. (ÖBN 8.2013) Die Situation von Frauen und Mädchen wird von Menschenrechtsexperten als besonders prekär eingeschätzt. Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 waren Frauen und Mädchen stets den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. (AA 12.6.2013)
Vergewaltigung ist gesetzlich verboten, allerdings wird das Gesetz nur selten durchgesetzt. (USDOS 19.4.2013) Straflosigkeit ist ein Problem. (ÖBN 8.2013) Der Strafrahmen reicht von der Todesstrafe bis zu mehreren Jahren Gefängnis. Hinsichtlich ehelicher Vergewaltigung gibt es keine Gesetze. UNHCR und UNICEF haben ein Muster an systematisch und unter Straflosigkeit begangenen Vergewaltigungen vor allem von IDP-Frauen und Angehörigen von Minderheitenclans dokumentiert. Von Oktober bis Dezember 2012 wurden aus Mogadischu alleine 522 Vergewaltigungen gemeldet, 40 % davon wurden von Männern in Uniform begangen. Einige Angehörige der Sicherheitskräfte wurden auch verhaftet. So verurteilte etwa das Militärgericht in Mogadischu vier Männer zu je fünf Jahren Haft, nachdem sie ein 15jähriges Mädchen vergewaltigt hatten. Der somalische Präsident hat auch angekündigt, dass der Vergewaltigung schuldig befundene Angehörige der Sicherheitskräfte nunmehr mit dem Tod bestraft werden sollen. (USDOS 19.4.2013) Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet. (AA 12.6.2013)
Auch in Puntland und Somaliland gab es im Jahr 2012 Verurteilungen wegen Vergewaltigungen. Allerdings werden die formalen Rechtswege in Vergewaltigungsfällen nur selten genutzt. Vielmehr wird oft auf traditionellem Wege Kompensationsgeld ausverhandelt. Das Opfer geht dabei meist leer aus. (USDOS 19.4.2013)
Häusliche Gewalt bleibt ebenfalls weiterhin ein ernstes Problem, auch wenn die Verfassung jede Gewalt gegen Frauen verbietet. (USDOS 19.4.2013; vgl. AA 12.6.2013)
In Folge der Verluste im Bürgerkrieg sind viele Frauen zum Familienoberhaupt geworden und tragen damit die alleinige Verantwortung für Ernährung und Erhalt der Familie. (AA 12.6.2013)
In der Praxis besteht trotz gegenteiliger Verbote in der Verfassung auch eine Diskriminierung der Frauen im Allgemeinen. So sind es z.B. nur Männer, welchen die Anwendung der Scharia unterliegt, (USDOS 19.4.2013) in welcher ohnehin unterschiedliche Maßstäbe für Frauen und Männer verankert sind (etwa hinsichtlich des Erbrechts). (AA 12.6.2013) Dementsprechend wird diese oft zugunsten von Männern ausgelegt. Auch im traditionellen Rechtssystem werden Frauen diskriminiert. (USDOS 19.4.2013) Die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen werden von Männern dominiert. Frauen sind traditionell vielfach benachteiligt. (AA 12.6.2013) Im öffentlichen Dienst aber auch im Privatsektor sind nur wenige Frauen angestellt, was teils auf den geringen Anteil höher gebildeter Frauen zurückzuführen ist. Hinsichtlich des Besitzes oder Führens von Betrieben werden Frauen - außer im Gebiet der al Shabaab - nicht diskriminiert. (USDOS 19.4.2013)
Der Anteil weiblicher Abgeordneter in dem seit August 2012 tagenden Parlament beträgt 14 %. Es gibt bei 10 Kabinettsmitgliedern zwei Ministerinnen in der Regierung (für Auswärtige Angelegenheiten sowie für Soziale Fragen und Entwicklung). Die Situation in Puntland ist ähnlich. (AA 12.6.2013)
In Somaliland konnten die Frauen moderate Verbesserungen im öffentlichen Leben erreichen. Präsident Silanyo nahm zwei Frauen in sein Kabinett auf. Im Unter- und im Oberhaus sitzt jeweils nur eine Frau als Abgeordnete. Den Vorsitz der somaliländischen Menschenrechtskommission übernahm eine Frau. (FH 1.2013)." (Seite 38f)
"Die Verfassung verurteilt FGM als grausam und erniedrigend und setzt sie der Folter gleich. Damit ist FGM verboten. Trotzdem wird eine Genitalverstümmelung in Somalia landesweit an fast allen Mädchen und jungen Frauen praktiziert. In der Regel erleiden dabei Mädchen im Alter von zehn bis 13 Jahren die Genitalverstümmelung in ihrer weitreichendsten Form (pharaonische Beschneidung/Infibulation). (USDOS 19.4.2013; vgl. AA 12.6.2013) Entsprechend verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen; viele überleben die Verstümmelung nicht. (AA 12.6.2013)
In Somaliland und Puntland wurde versucht, diese Praxis einzuschränken. (AA 12.6.2013) Im Jahr 2011 hat der puntländische Präsident allerdings ein Gesetz unterschrieben, das die Sunna-Beschneidung legalisiert. Dahingegen arbeitet die somaliländische Regierung mit der UN-FGM/C Task Force zusammen, um eine eigene Strategie zu entwickeln. (USDOS 19.4.2013)" (Seite 40)
2.4.2. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - IFA/Frauen, 09.01.2014
Zusammenfassung:
"Grundsätzlich rangiert laut UN und britischer Behörde Somalia an zweiter Stelle der schlimmsten Staaten für Frauen. Die somalische Gesellschaft ist auf eine Diskriminierung der Frauen ausgerichtet, Gewalt gegen Frauen in der Kultur verankert. Trotzdem gibt es zahlreiche Haushalte, in welchen die Frau den Unterhalt für die Familie verdient - etwa als Kleinhändler im städtischen Bereich. Laut UN-Generalsekretär bleiben die Anstrengungen der Regierung, um die Gewalt gegen Frauen und Mädchen einzudämmen, gering.
Der EGMR unterstreicht, dass es den Vertragsstaaten vorbehalten ist, eine Interne Fluchtalternative (IFA) festzustellen. Allerdings müssen dafür einige Dinge gegeben sein: Die Person muss das fragliche Gebiet erreichen können; sie muss im fraglichen Gebiet aufgenommen werden; sie muss sich dort niederlassen können.
Die britischen OGN beinhalten Auszüge aus einem Benchmark-Urteil der britischen Berufungsinstanz, in welchem darauf hingewiesen wird, dass Frauen v.a. im städtischen Bereich bei Vorhandensein von Clan- und Familienunterstützung eine IFA finden können. Allerdings gibt es einige Frauen, die von einer IFA unverhältnismäßig hart getroffen würden. Die - u.a. humanitären - Umstände vor Ort sind zu berücksichtigen.
Der UNHCR erklärt, dass eine IFA für Mogadischu nur dann als annehmbar erachtet werden kann, wenn die fragliche Person ausreichend Unterstützung durch die Kern- oder die erweiterte Familie in Anspruch nehmen kann und wenn gleichzeitig Clanschutz im Ort der Rückführung gegeben ist. UNHCR erachtet bei einer Absenz ausreichender Unterstützung durch die Kern- oder erweiterte Familie bei gleichzeitigem Clanschutz eine IFA in Mogadischu für folgende Personengruppen nicht als gegeben:
Unbegleitete Minderjährige oder Jugendliche mit dem Risiko einer Zwangsrekrutierung und anderer schwerer Verstöße;
Junge Männer mit dem Risiko, als Sympathisanten der al Shabaab erachtet und dementsprechend durch Sicherheitskräfte der Regierung drangsaliert zu werden;
Ältere Menschen;
Menschen mit physischen oder psychischen Behinderungen;
Alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne männlichen Schutz, vor allem Angehörige von Minderheitenclans.
Angehörige der Diaspora können ungehindert nach Mogadischu zurückkehren und tun dies auch. Es gibt diesbezüglich keine Diskriminierung. Die Rückkehrer aus der Diaspora verfügen meist über ausreichend Ressourcen. UNHCR ergänzt, dass aber einige dieser "Rückkehrer" Somalia auch schon wieder verlassen haben.
Auch aus den direkten Nachbarländern kehren Flüchtlinge nach Somalia zurück. Ähnliche Bewegungen gibt es innerhalb des Landes, wo IDPs in ihre Heimat zurückkehren.
Quellen im Bericht von DIS/Landinfo erklären, dass eine Person, die nach Mogadischu zurückkehrt, auf Kontaktpersonen oder Familienverbindungen bzw. ein Netz in Mogadischu angewiesen ist. Quellen im Bericht von DIS/Landinfo erklären, dass eine Person, die nach Mogadischu zurückkehrt, auf Kontaktpersonen oder Familienverbindungen angewiesen ist. UNHCR erläutert, dass jeder Rückkehrer auf ein Netzwerk angewiesen ist, um in der Stadt überleben zu können. Dies betrifft jedenfalls unbegleitete Minderjährige oder Jugendliche mit dem Risiko einer Zwangsrekrutierung und anderer schwerer Verstöße; junge Männer mit dem Risiko, als Sympathisanten der al Shabaab erachtet und dementsprechend durch Sicherheitskräfte der Regierung drangsaliert zu werden; ältere Menschen; Menschen mit physischen oder psychischen Behinderungen; alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne männlichen Schutz, vor allem Angehörige von Minderheitenclans.
UNHCR erklärt weiter, dass Neuankömmlinge in der Stadt, die weder über Clan- noch über Familienbeziehungen verfügen, schnell in das Visier der Sicherheitskräfte kommen können.
Der UNHCR stellt fest, dass die Rückkehrer in ein städtisches Gebiet, sofern kein vordefinierter Zugang zu Unterkunft oder Broterwerb vorliegt, und wo die Person über keine ausreichenden Unterstützungsnetzwerke verfügt, sich diese Person in jener Situation wiederfinden wird, in der sich die IDPs befinden. Daher muss die bereits vorhandene Anzahl an IDPs (in Mogadischu 336.000-360.000) und deren Situation berücksichtigt werden, wenn eine Rückführung nach Mogadischu angedacht wird. Es mangelt bereits jetzt an grundlegenden Ressourcen (u.a. Land und Trinkwasser). Der UNHCR berichtet hinsichtlich der IDPs in Mogadischu von:
körperlicher Gewalt; Einschränkung der Bewegungsfreiheit;
Einschränkung des Zugangs zu Nahrung und Unterkunft;
Diskriminierung. Zusätzlich leiden die IDPs gemäß UN-Generalsekretär und UNHCR unter unvorbereiteten Delogierungen und damit einhergehend oftmals Entzug der Lebensgrundlage. Unter den Zwangsdelogierten befinden sich laut UN-Generalsekretär auch Waisenkinder, alleinerziehende Mütter, und Behinderte.
Mehrere Quellen bei DIS/Landinfo teilen die Ansicht, wonach die IDPs in Mogadischu eine gefährdete Gruppe sind.
Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind in Mogadischu laut UNHCR weit verbreitet. Folglich können viele Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken.
Laut UN-Generalsekretär bleiben die humanitären Bedürfnisse trotz einiger Verbesserungen enorm, das Erreichte fragil. Die Zahl der Personen in Krisen- oder Notsituation sank ca. 870.000. Weitere 2,3 Millionen Menschen ringen damit, auch nur minimale Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Unterernährungsraten bleiben hoch: 206.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt.
Humanitäre Kräfte helfen den Familien, ihre Grundbedürfnisse zu stillen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem Broterwerb, auf der Vieh- und Landwirtschaft. Die FAO, UNICEF und das WFP haben Infrastruktur wieder hergestellt (z.B. Bewässerungssysteme). In den ersten neun Monaten des Jahres 2013 profitierten 35.000 Haushalte von einem Geld-für-Arbeit-Programm. Im Berichtszeitraum half das WFP ca. 853.000 Menschen pro Monat [u.a. mit Nahrungsmittelhilfe].
Mehrere Quellen im Bericht von DIS/Landinfo gehen davon aus, dass Clanschutz in Mogadischu nicht mehr von hoher Relevanz ist. Vor allem aber die IDP-Frauen von Minderheiten leiden unter sexueller Gewalt und Vergewaltigung [Anm.: Anzunehmen ist, dass alle in Mogadischu nicht stark vertretenen Clans als - lokale - Minderheiten zu erachten sind]. Die sexuelle Gewalt grassiert selbst in von der Regierung geführten IDP-Lagern.
Andere Quellen im gleichen Bericht widersprechen und erklären, dass der Clanschutz immer noch eine gewichtige Rolle spielt. Auch der UNHCR geht davon aus, dass gerade hinsichtlich des Schutzes einer Person der Clan in Mogadischu nach wie vor von großer Relevanz ist.
Dem EGMR ist bewusst, dass die Menschenrechts- und Sicherheitslage in Mogadischu gegenwärtig ernst, fragil und oftmals unberechenbar ist. Allerdings übt al Shabaab keine Kontrolle mehr über die Stadt aus; gibt es keine Frontkämpfe und keinen Artilleriebeschuss mehr;
ging die Zahl ziviler Opfer zurück;
Folglich erkennt der EGMR, dass die gegenwärtige Situation in Mogadischu keine solche ist, in welcher jede Person in der Stadt einer ernsten Gefahr gemäß Artikel 3 der Konvention ausgesetzt wäre."
"Im u.zit. FFM-Bericht von DIS und Landinfo berichten zahlreiche Quellen übereinstimmend, dass die Themen Clan und Clan-Schutz in Mogadischu an Bedeutung verloren haben bzw. überhaupt nicht mehr relevant sind. Dies gilt für alle Stadtbewohner, auch für Angehörige von kleinen oder schwachen Clans und für Minderheitengruppen. Ausnahme sind gemäß UNHCR die IDPs. Niemand ist in Mogadischu nur aufgrund seiner Clan-Zugehörigkeit einem besonderen Risiko ausgesetzt.
Vor allem die IDP-Frauen von Minderheiten leiden unter sexueller Gewalt und Vergewaltigung.
Hinsichtlich Clan-Schutz sagt eine UN-Agentur: Es besteht für niemanden in Mogadischu eine Gefahr nur aufgrund seiner Clan-Zugehörigkeit. Es spiele keine Rolle, ob man einem großen oder kleinen Clan oder einer Minderheit angehöre. Auch traditionelle Konfliktlösungsmechanismen spielen nur mehr eine untergeordnete Rolle. Die Menschen verlassen sich schon eher auf die Behörden als auf den Clan - vor allem in ökonomischen Angelegenheiten.
Eine internationale NGO gibt an, dass Clan-Schutz viel weniger Gewicht habe, als noch vor zwei oder drei Jahren. Er sei nicht mehr wichtig, da es in Mogadischu keine Clan-Milizen und keine Clan-Konflikte mehr gibt. Zurückkehrende Personen seien nur aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit keinem Risiko ausgesetzt. Dies gilt auch für Angehörige kleiner Clans oder von Minderheiten. Wenn es Probleme gibt, können sich Menschen entweder an die Polizei, an ihren Abgeordneten oder an einen Clan-Ältesten wenden.
Das Elman Peace and Human Rights Centre gibt an, dass Clan-Schutz kein Thema mehr sei. Dies sei ein großer Schritt vorwärts. Selbst marginalisierte Gruppen sind davon betroffen. Die Situation für schwache oder kleine Clans und für ethnische Minderheiten habe sich massiv verbessert. Es ist nicht mehr von Relevanz, welchem Clan man angehört.
UNHCR bestätigt, dass in Mogadischu niemand mehr nur aufgrund der Clanzugehörigkeit einem Risiko ausgesetzt ist. Ausnahme davon seien die IDPs.
Eine Diaspora-Organisation in Mogadischu gibt an, dass Clan-Schutz nicht mehr länger relevant ist.
Eine internationale Organisation gibt an, dass sich jeder auf seinen Clan verlässt. Die Regierung, das Parlament, die Polizei, der Geheimdienst - sie alle sind nach Clans organisiert. Wenn also jemand eine Behörde in Anspruch nimmt, dann tut er dies über seine Clan-Verbindungen. Wenn jemand eine Leibwache ordert, dann tut er dies über den Clan. Allerdings können sich die Menschen in Mogadischu nunmehr unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen.
Hakan Bilgin vom IMC sagt, dass es noch zu früh sei, um vom Ende der Clan-Thematik in Mogadischu zu sprechen. Denn die Stadt werde von Abgal und Habr Gedir kontrolliert. Die Clans unterstützen und schützen ihre Mitglieder immer noch. Je einflussreicher und wichtiger jemand sei, desto mehr werde er vom Clan beschützt. Kleine Clans und Minderheiten sind mehr auf Polizei, Militär oder AMISOM angewiesen. Aber auch Hakan Bilgin stimmt zu, dass Angehörige von ethnischen Minderheiten oder kleinen Clans keinem größeren Risiko ausgesetzt sind, als jene von großen Clans. Dies sei ein sehr positiver Schritt in die richtige Richtung.
Eine internationale Agentur gibt an, dass die Clan-Thematik in Mogadischu nicht mehr von großer Bedeutung sei. Der Bedarf an Clan-Schutz gehe zurück, niemand frage mehr nach der Clan-Zugehörigkeit. Außer für Darod-Angehörige sei es für niemanden mehr relevant, in Mogadischu über Clan-Beziehungen zu verfügen."
(FFM Landinfo 05/2013)
"Aufgrund der generellen Diskriminierung von Frauen in Somalia und der Unfähigkeit des Staates, in vielen Gebieten von Süd-/Zentralsomalia Schutz zu gewährleisten, werden die meisten Antragstellerinnen internationalen Schutzes bedürfen. Faktoren, die berücksichtigt werden müssen sind: Clan, Alter, Gesundheit, ökonomischer Status, Familienverantwortung, Verbindungen zur Diaspora, und andere individuelle Umstände.
In einem richtungsweisenden Urteil hat die britische Berufungsbehörde erkannt, dass einer Person, die enge Clan- oder Familienverbindungen in einem Gebiet Süd-/Zentralsomalias hat, das außerhalb der Kontrolle der al Shabaab liegt - v.a. in Städten - eine IFA zur Verfügung stehen kann. Allerdings sind die humanitären Bedingungen zu berücksichtigen.
Individuelle Reisen von Frauen sind aufgrund der spezifischen Risiken in Somalia schwierig. Allerdings ist eine unbegleitete Reise von Frauen nicht völlig ausgeschlossen. Angesichts der Position der Frauen in der somalischen Gesellschaft, der Möglichkeit, dass Frauen unter Umständen nicht in der Lage sind, wirtschaftlich zu überleben oder sich die Unterstützung von Clan oder Familie zu sichern, kann für einige Frauen eine IFA unverhältnismäßig hart sein." (UK Home Office 09.2013, Operational Guidelines)
"Heute gibt es im Vergleich zum Jahresanfang 2012 mehr Recht und Ordnung in Mogadischu. Seit Oktober 2012 gab es außerdem signifikante Verbesserungen bei der Sicherheitslage. Es gibt weder Kämpfe noch Granatbeschuss. Die meisten Straßensperren wurden entfernt und es besteht keine Gefahr, dass Mogadischu wieder unter Warlords aufgeteilt wird. Die UN hat die Sicherheitsbewertung für fast alle Bezirke von Mogadischu um zwei Stufen gesenkt. Auch wenn Sicherheit nach wie vor ein Thema ist und Verbesserungen nötig sind, fühlen sich die Menschen generell sicherer.
Die Zahl an Vergehen durch somalische Sicherheitskräfte geht zurück. Heute haben die Menschen nur mehr dann Angst vor der Polizei, wenn diese nach einem Angriff der al Shabaab in Aufruhr ist. Dann kann es vorkommen, dass Soldaten um sich schießen. Wenn die Situation aber normal ist, haben die Menschen keine Angst vor der Polizei oder den Soldaten der Armee.
Es kommt zu Vergehen durch somalische Sicherheitskräfte und mit ihnen verbündeten Milizen. Allerdings hat der UN Sicherheitsrat unterstrichen, dass der Präsident von Somalia Initiativen gegen die Straflosigkeit für Vergehen der Sicherheitskräfte ergriffen hat.
Außer den IDPs gibt es heute keine Gruppen mehr in Mogadischu, die als einem besonderen Risiko ausgesetzt bezeichnet werden können. [abseits dem Risiko gezielter Attentate durch al Shabaab]"
"Das Risiko, alleine aufgrund der Clan-Zugehörigkeit angegriffen zu werden, ist in Mogadischu stark zurückgegangen. Es macht keinen Unterschied, ob jemand zu einem starken oder schwachen Clan gehört, oder zu einer ethnischen Minderheit. Für alle Gruppen hat sich die Sicherheitssituation stark verbessert.
Traditionelle Streitbeilegung wird kaum noch akzeptiert. Nunmehr ist der Clan eher eine soziale Struktur denn ein Schutzmechanismus. Dementsprechend haben allerdings große Clans (v.a. Hawiye Habr Gedir und Abgaal) Vorteile, da ihre Netzwerke mehr Gewicht haben. Sie haben einen besseren Zugang zu staatlichen Institutionen (inkl. Polizei).
Es gibt kaum noch Clan-Milizen in Mogadischu.
Zurückkehrende Personen sind keinem speziellen Risiko aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit mehr ausgesetzt. Dies gilt auch für Angehörige von Minderheitenclans und für ethnische Minderheiten. Der Polizeichef von Mogadischu gehört selbst einer Minderheit an.
Bei Problemen mit anderen Personen oder wenn sie Angst haben, können sich Menschen an die Polizei, Clanälteste oder ihren Abgeordneten wenden. Allerdings ist das Vertrauen in die Polizei noch nicht stark ausgeprägt.
Die Menschen können sich unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit in Mogadischu frei bewegen.
Eine Person, die nicht aus Mogadischu stammt, wird sich vor ihrem Eintreffen mit Bekannten oder Verwandten, Freunden und über Freunde genannte Kontaktpersonen in Kontakt setzen, bevor sie dorthin fährt.
Der UNHCR gibt zu bedenken, dass eine Person für das Überleben in Mogadischu auf das Vorhandensein von Familienverbindungen angewiesen ist." (FFM Landinfo 05/2013)
2.5. Versorgungslage und Rückkehrer
2.5.1. Bundesasylamt, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia (September 2013)
"Die Versorgungslage für Rückkehrer, die nicht über größeres eigenes Vermögen verfügen, ist äußerst schwierig. Somalia ist eines der ärmsten Länder der Welt. Soziale Sicherungs-systeme sind nicht vorhanden; private Hilfe wird allenfalls im Klan- und Familienverband oder im Einzelfall auch durch internationale Nichtregierungsorganisationen geleistet. Die Lebensbedingungen für Rückkehrer, die nicht über familiäre oder andere soziale Bindungen verfügen, sind unter diesen Bedingungen sowie angesichts der prekären Sicherheitslage extrem schwierig. Schon in den Vorjahren lebte etwa ein Drittel der Bevölkerung permanent an bzw. teilweise auch schon jenseits der Grenze zur akuten Hungersnot. Die von Mitte 2011 bis Mitte 2012 andauernde, am Horn von Afrika ausgebrochene Dürre, die Somalia besonders hart traf, verschärfte diese Problematik noch. (Seite 46)"
"Die Rückkehr von somalischen Flüchtlingen nach Somalia im Berichtszeitraum ist zweifellos eine Tatsache. In jüngster Zeit und insbesondere nach der Vertreibung der radikal-islamistischen Opposition aus Mogadischu und anderen Städten in Südsomalia hat die Zahl der Rückkehrer zugenommen. Die Flüge aus Istanbul, Nairobi und dem Mittleren Osten nach Mogadischu sind schon Monate im Voraus ausgebucht. Diese Rückkehrer werden nicht diskriminiert. Es ist allerdings nach wie vor schwierig, nach Mogadischu zurückzukommen, ohne über ein Netzwerk, Familie, Freunde oder Bekannte vor Ort zu verfügen. Die Rückkehrer tragen zur Teuerung in der Hauptstadt bei (z.B. Mietpreise).
Auch auf dem Landwege erreichen Rückkehrer Mogadischu. Außerdem gibt es auch IDPs, die von Mogadischu in andere Teile Süd-/Zentralsomalias zurückkehren (Bay, Middle und Lower Shabelle). Weiters sind alleine im Zeitraum Jänner-März 2013 ca. 14.000 Menschen aus Kenia nach Somalia zurückgekehrt. Einige der aus Kenia Zurückkehrenden konnten in Mogadischu bei ihrer Familie unterkommen, andere mussten auf IDP-Lager ausweichen. Beobachter, darunter v.a. UNHCR, warnen vor der nicht-existenten Infrastruktur und mangelnden Einrichtungen für somalische Rückkehrer. Somalia scheint auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in größerem Ausmaß nicht vorbereitet zu sein. (Seite 48)"
2.5.2. UNHCR, International Protection Considerations with Regard to people fleeing Southern and Central Somalia (Jänner 2014)
Für Somalier sei es sehr schwer, ohne unterstützendes Netzwerk in Mogadischu zu überleben. Neuankömmlinge in der Stadt, insbesondere wenn sie keine Mitglieder von im Bezirk etablierten Clans oder Familien sind, müssen sich auf eine prekäre Existenz in der Hauptstadt einstellen. Dasselbe gelte für Rückkehrer, die aus Bezirken stammen, die noch immer von Milizen kontrolliert, oder es früher gewesen seien. Somalier der Diaspora, die während des Jahres 2013 nach Mogadischu zurückgekehrt seien, haben eher zu einflussreicheren Bevölkerungsschichten gehört und haben auf wirtschaftliche und soziale Ressourcen zurückgreifen können (Seite 9).
Insbesondere zu Rückkehrfragen betreffend (alleinstehende) Frauen, siehe auch oben unter 2.4.
3. Beweiswürdigung:
3.1. Die Feststellungen zur Person ergeben sich aus den in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben der beschwerdeführenden Partei sowie aus ihren Sprach- und Ortskenntnissen.
Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden. Soweit diese namentlich genannt wird, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung der beschwerdeführenden Partei als Verfahrenspartei dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd § 38 AVG bedeutet.
Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
3.2. Die Feststellungen zur Clanzugehörigkeit und zur familiären Situation der beschwerdeführenden Partei in Somalia ergeben sich aus ihren Angaben in den Einvernahmen vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung.
Dass die beschwerdeführende Partei eine Angehörige der Reer Hamar, also der Benadiri, ist, wurde seitens der belangten Behörde nicht bestritten. Es wurde diebsbezüglich zwar auch keine Feststellung im angefochtenen Bescheid getroffen. Dennoch, insbesondere aufgrund der konsistenten Angaben der beschwerdeführenden Partei zu ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass diese tatsächlich der Volksgruppe der Reer Hamar, also einer Minderheit in Somalia, angehört.
3.3. Die Feststellung zur Unbescholtenheit der beschwerdeführenden Partei ergibt sich aus dem Auszug aus dem Strafregister vom 13.05.2014.
4. Rechtliche Beurteilung:
4.1. Allgemeine Rechtsgrundlagen
4.1.1. Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 7 B-VG wird der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Verwaltungsgericht des Bundes und hat daher gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren, und somit auch das gegenständliche, zu Ende zu führen.
4.1.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen.
Zu Spruchteil A)
4.2. Rechtsgrundlagen zu Spruchteil A:
4.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
4.2.2. Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt mithin nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen.
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2003, Zl. 2001/20/0011).
Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH vom 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; vom 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH vom 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können jedoch im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).
Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet.
Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH vom 24.03.1999, Zl. 98/01/0352).
4.2.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0208; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihr dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann mithin nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl. 99/01/0256 mwN). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, "The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN sowie VwGH vom 20.09.2004, Zl. 2001/20/0430).
4.3. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
4.3.1. Im Falle der beschwerdeführenden Partei ist von einer wohlbegründeten Furcht vor einer aktuellen und maßgeblichen Verfolgung aus Gründen der Rasse und ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention auszugehen.
Im gegenständlichen Fall ist insbesondere die Verbindung der Zugehörigkeit zu einer Minderheit und der Situation als Frau in Somalia maßgeblich für die Annahme einer aktuellen und asylrelevanten Verfolgungsgefahr.
4.3.2. Die vom Bundesverwaltungsgericht zur Prüfung herangezogenen Länderinformationen gehen einhellig davon aus, dass die Situation von Frauen in Somalia als besonders prekär eingeschätzt werden muss. Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 waren Frauen und Mädchen stets den besonderes Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. UNHCR und UNICEF haben ein Muster an systematisch und unter Straflosigkeit begangenen Vergewaltigungen vor allem von IDP Frauen und Angehörigen von Minderheitenclans dokumentiert (siehe oben unter 2.4.1.).
Die Operational Guidelines des UK Home Office gehen davon aus, dass aufgrund der generellen Diskriminierung von Frauen in Somalia und der Unfähigkeit des Staates, in vielen Gebieten von Süd- und Zentralsomalia Schutz zu gewährleisten, die meisten Antragstellerinnen internationalen Schutz bedürfen. Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, sind: Clan, Alter, ökonomischer Status, Familienverantwortung, Verbindungen zur Diaspora und andere individuelle Umstände (siehe oben unter 2.4.2.).
Die Länderberichte gehen weiter davon aus, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative für Benadiri eher unwahrscheinlich ist (Home Office, siehe oben unter 2.3.4.), bzw. dass für alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne männlichen Schutz, vor allem Angehörige von Minderheitenclans, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu bei Absenz ausreichender Unterstützung durch die Kern- oder erweiterte Familie bei gleichzeitigem Clanschutz nicht gegeben ist (UNHCR, oben unter 2.4.2.).
4.3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hält die aktuelle Situation von Frauen in Somalia auf Basis der relevanten Berichtslage für außerordentlich prekär und weist insbesondere auf die dokumentierte Intensität der Eingriffe in die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung vieler Frauen in Somalia hin.
Im Falle der beschwerdeführenden Partei kommt noch zur allgemein unsicheren Situation von Frauen in Somalia hinzu, dass die relevanten Berichte einhellig davon ausgehen, dass Frauen, die Minderheiten angehören, in besonders starken Ausmaß Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt in Somalia werden. Ihre Zugehörigkeit zu den Reer Hamar einerseits, wie auch der nunmehr mangelnde Familienzusammenhalt - nur mehr ihre Schwester lebt in Somalia -, führen dazu, dass ihr im Falle einer eventuellen Rückkehr der Rückhalt und Schutz einer Kern- oder erweiterten Familie fehlen würde. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Reer Hamar ist weiter nicht von einem maßgeblichen Schutz durch den Clan auszugehen.
Damit ist die beschwerdeführende Partei ein Mitglied der Diaspora, die bereits vor bald sieben Jahren Somalia verlassen hat, welche über keine nennenswerte Kern- oder erweiterte Familie in Somalia mehr verfügt und die einer Minderheit in Somalia angehört.
Ob das Vorbringen der beschwerdeführenden Partei betreffend eine Verschleppung und fortgesetzte Vergewaltigung im Juni 2007 nun glaubhaft ist oder nicht, dient im besten Fall als Indiz für eine Verfolgungsgefahr, tut jedoch im Endeffekt nichts zur Sache, da das Bundesverwaltungsgericht angehalten ist, eine Prognose über eine objektive und wohlbegründete Furcht vor einer aktuellen und maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgung hinsichtlich eines Eingriffs von erheblicher Intensität zu treffen.
4.3.4. Von einer entsprechenden Schutzwilligkeit und -fähigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden geht das Bundesverwaltungsgericht in Hinblick auf die diesbezüglichen Länderinformationen nicht aus (siehe oben unter 2.2.).
4.3.5. Von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist ebenfalls nicht auszugehen, da die beschwerdeführende Partei in Mogadischu hauptsozialisiert war und in anderen Bereichen Somalias, wobei hier eigentlich nur der Norden mit Puntland und Somaliland in Frage käme, über keine familiären oder sozialen Anhaltspunkte verfügt (vgl. EGMR, 05.09.2013, K.A.B./Schweden, Nr. 886/11, Abs 82ff).
4.3.6. Zusammenfassend führt das Bundesverwaltungsgericht daher aus, dass der beschwerdeführenden Partei aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen und ihre Herkunft als Reer Hamar im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung von erheblicher Intensität drohen würde.
4.3.7. Schließlich weist das Bundesverwaltungsgericht auch darauf hin, dass die belangte Behörde der Tochter der beschwerdeführenden Partei den Titel der Asylberechtigten zuerkannte, was ihm ebenfalls als Hinweis auf das Bestehen einer maßgeblichen Verfolgungsgefahr dient.
4.3.8. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status eines/einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
