Normen
AVG §56
EURallg
MOG 2007 §19 Abs2 idF 2013/I/189
VwGVG 2014 §17
VwRallg
32013R1308 GMO landwirtschaftliche Erzeugnisse Art160
32017R0891 Delegierte Verordnung Art59
32017R0891 Delegierte Verordnung Art59 Abs1
32017R0891 Delegierte Verordnung Art59 Abs2
32017R0891 Delegierte Verordnung Art59 Abs3
32017R0891 Delegierte Verordnung Art7
62011CJ0024 Spanien / Kommission
62013CJ0662 Surgicare VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021070006.J00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) vom 19. Dezember 2008 wurde die mitbeteiligte Partei als Erzeugerorganisation anerkannt.
2 Am 10. Mai 2017 führten Organe der Agrarmarkt Austria (AMA) eine Kontrolle in den Betriebsräumlichkeiten der mitbeteiligten Partei durch. In deren Rahmen wurde moniert, dass die mitbeteiligte Partei keine ausreichend nachvollziehbaren Aufzeichnungen über die Kontrolle der Andienungsverpflichtungen ihrer angeschlossenen Erzeuger angefertigt habe und nach den derzeitigen vertraglichen Regelungen nicht gewährleistet sei, dass lediglich aktive Erzeuger an der Entscheidungsfindung über den Betriebsfonds der mitbeteiligten Partei teilnähmen. Dennoch wurde festgestellt, dass die mitbeteiligte Partei die Voraussetzungen für die Anerkennung als Erzeugerorganisation nach wie vor erfülle.
3 In der Folge erließ der Vorstand für den Geschäftsbereich I der AMA (der nunmehrige Revisionswerber) den Bescheid vom 28. August 2017.
4 Mit Spruchpunkt I. dieses Bescheids wurde ausgesprochen, die Anerkennung der mitbeteiligten Partei als Erzeugerorganisation bleibe weiter aufrecht, weil die gemäß § 7 Erzeuger-Rahmenbedingungen-Verordnung, BGBl. II Nr. 326/2015, normierten Anerkennungskriterien noch immer gegeben seien.
5 Mit Spruchpunkt II. wurde der mitbeteiligten Partei ‑ in Abänderung des Bescheids des BMLFUW vom 19. Dezember 2008 ‑ die Anerkennung als Erzeugerorganisation „für ausschließlich zur Verarbeitung bestimmte Erzeugnisse“ erteilt.
6 In den Spruchpunkten III. bis V. wurden der mitbeteiligten Partei drei Auflagen betreffend die Anerkennungskriterien als Erzeugerorganisation vorgeschrieben. Insbesondere habe sie gemäß Spruchpunkt III. bis zum Ende des Erntejahres 2018 näher umschriebene Nachweise über die Kontrolle der Andienungsverpflichtungen ihrer angeschlossenen Erzeuger vorzulegen.
7 In Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass ‑ sollten die Nachweise gemäß den Spruchpunkten III. bis V nicht erbracht werden ‑ die jeweiligen Auflagen als nicht erfüllt gälten und der Revisionswerber ein Sanktionsverfahren nach Art. 59 der Delegierten Verordnung (EU) 2017/891 der Kommission vom 13. März 2017 zur Ergänzung (unter anderen) der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse (Delegierte VO [EU] 2017/891 und VO [EU] Nr. 1308/2013) einzuleiten habe, was jedenfalls die Aussetzung der Anerkennung als Erzeugerorganisation zur Folge hätte.
8 Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
9 In weiterer Folge versuchte die mitbeteiligte Partei, den Auflagen der Spruchpunkte III. bis V. des Bescheids vom 28. August 2017 durch die Vorlage von entsprechenden Unterlagen zu entsprechen.
10 Bei einer neuerlichen Kontrolle durch die AMA am Betrieb der mitbeteiligten Partei am 28. und 29. November 2018 wurde bestätigt, dass diese die Anerkennungsvoraussetzungen als Erzeugerorganisation laut Bescheid vom 28. August 2017 erfüllt habe.
11 Am 13. Mai 2019 wurde der mitbeteiligten Partei ein Warnschreiben des Revisionswerbers vom 9. Mai 2019 zugestellt, das auf Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 gestützt war.
12 Darin teilte der Revisionswerber der mitbeteiligten Partei erstmals mit, dass die unter Spruchpunkt III. des Bescheids vom 28. August 2017 erteilte Auflage nicht fristgerecht erfüllt worden sei. Unter Hinweis auf Art. 59 Abs. 1 Delegierte VO (EU) 2017/891 wurde der mitbeteiligten Partei aufgetragen, binnen einer Frist von vier Monaten ab rechtswirksamer Zustellung des Warnschreibens als Abwehrmaßnahme gegen den festgestellten Verstoß ein detailliertes Konzept vorzulegen, aus dem hervorgehe, wie in Zukunft die volle Kenntnis über die Erzeugung der angeschlossenen Mitglieder gewährleistet und nachweisbar durch schriftlich festgehaltene Prüfschritte umgesetzt werde. Für den Fall der Nichtbeachtung der Anerkennungskriterien innerhalb der gesetzten Frist verwies der Revisionswerber auf die Rechtsfolge des Art. 59 Abs. 2 Delegierte VO (EU) 2017/891 , wonach die Anerkennung der Erzeugerorganisation für einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten ‑ gerechnet ab dem Tag des Eingangs des Warnschreibens ‑ ausgesetzt werden könne. Weiters wies er auf die Aussetzung von Beihilfezahlungen ab dem Zeitpunkt der Feststellung von Verstößen gemäß Art. 59 Abs. 1 leg. cit. hin.
13 Mit E-Mail vom 9. September 2019 teilte der Revisionswerber der mitbeteiligten Partei mit, dass die erforderlichen Abwehrmaßnahmen zur Behebung des festgestellten Verstoßes gesetzt worden seien. Die mit Zustellung des Warnschreibens eingetretene Aussetzung der Beihilfezahlungen gemäß Art. 59 Abs. 1 Delegierte VO (EU) 2017/891 trete daher ab sofort außer Kraft.
14 Sodann erließ der Revisionswerber den Bescheid vom 24. Jänner 2020, der auf § 19 Abs. 2 Marktordnungsgesetz 2007 (MOG 2007) gestützt war.
15 Mit Spruchpunkt 1. dieses Bescheids wurde Spruchpunkt I. des Bescheids des Revisionswerbers vom 28. August 2017 dahingehend abgeändert, dass die mit Bescheid vom 19. Dezember 2008 erteilte Anerkennung als Erzeugerorganisation „im Fall der fristgerechten Setzung der Abhilfemaßnahmen laut Spruchteil III. weiter aufrecht bleibt.“
16 Mit Spruchpunkt 2. wurde die unter Spruchpunkt II. des Bescheids vom 28. August 2017 erteilte Auflage dahingehend abgeändert, dass „[d]ie Einhaltung dieser Auflage [...] bis spätestens 28. August 2018 durch die Vorlage von Prüfprotokollen nachzuweisen [ist], ein entsprechendes Prüfkonzept ist bis spätestens 31.10.2017 vorzulegen.“
17 Mit Spruchpunkt 3. wurde Spruchpunkt VI. des Bescheids vom 28. August 2017 - mit für den vorliegenden Revisionsfalls unwesentlichen Korrekturen ‑ unverändert gelassen.
18 Mit Spruchpunkt 4. wurde das Warnschreiben des Revisionswerbers vom 9. Mai 2019 ersatzlos behoben.
19 Mit Spruchpunkt 5. wurde die Anerkennung der mitbeteiligten Partei als Erzeugerorganisation „gemäß Art 59 Abs. 3 VO (EU) 2017/891 mit Wirksamkeit ab 28. August 2017 widerrufen.“
20 Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde.
21 Mit Spruchpunkt I. der Beschwerdevorentscheidung des Revisionswerbers vom 26. August 2020 wurde der Beschwerde gegen den Bescheid vom 24. Jänner 2020 stattgegeben und dieser Bescheid behoben.
22 Mit Spruchpunkt II. wurde auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 MOG 2007 Spruchpunkt I. des Bescheids vom 28. August 2017 dahingehend abgeändert, dass „gegenüber der [mitbeteiligten Partei] festgestellt [wird], dass die gemäß § 7 VO BGBl. II Nr. 326/2015 normierten Anerkennungskriterien nicht gegeben sind und daher die laut Bescheid vom 19.12.2008 erteilte Anerkennung als Erzeugerorganisation nicht weiter bestätigt werden kann.“
23 Mit Spruchpunkt III. wurde das Warnschreiben des Revisionswerbers vom 9. Mai 2019 ersatzlos behoben.
24 Mit Spruchpunkt IV. wurde die Anerkennung der mitbeteiligten Partei als Erzeugerorganisation „gemäß Art 59 Abs 3 VO (EU) 2017/891 mit Wirksamkeit ab 28.08.2017“ widerrufen.
25 Mit Schreiben vom 11. September 2020 beantragte die mitbeteiligte Partei die Vorlage ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht.
26 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei statt und behob die Beschwerdevorentscheidung des Revisionswerbers vom 26. August 2020 ersatzlos. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für zulässig.
27 Nach Feststellung des oben dargestellten Sachverhalts führte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, es sei im vorliegenden Fall strittig, ob der Revisionswerber zur rückwirkenden Änderung seines Bescheids vom 28. August 2017 berechtigt gewesen und der Widerruf der Anerkennung als Erzeugerorganisation gegenüber der mitbeteiligten Partei zur Recht erfolgt sei.
28 Die unionsrechtlichen Bestimmungen sähen vor, dass bei festgestellten Verstößen gegen die Anerkennungskriterien einer Erzeugerorganisation zwingend ein Sanktionsverfahren nach Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 einzuleiten sei, das bestimmte ‑ vom Verwaltungsgericht näher dargestellte ‑ Verfahrensschritte im Fall der Nichtbeachtung der Anerkennungskriterien durch eine Erzeugerorganisation vorsehe.
29 Aus dem Bescheid des Revisionswerbers vom 28. August 2017 ergebe sich, dass bereits bei der Kontrolle am 10. Mai 2017 die Nichtbeachtung von Anerkennungskriterien durch die mitbeteiligte Partei festgestellt worden sei. Insbesondere sei ein Verstoß gegen die Andienungsverpflichtung gemäß Art. 160 VO (EU) Nr. 1308/2013 iVm. Art. 7 lit. a Delegierte VO (EU) 2017/891 festgestellt worden. Da es sich bei diesem festgestellten Verstoß um die Nichtbeachtung eines Anerkennungskriteriums nach Art. 7 leg. cit., nämlich der Kenntnis über die Erzeugung der Mitglieder, handle, wäre ein Sanktionsverfahren nach Art. 59 leg. cit. einzuleiten und der mitbeteiligten Partei gemäß dessen Abs. 1 leg. cit. spätestens zwei Monate, nachdem der Verstoß festgestellt worden sei - sohin bis längstens 10. Juli 2017 - per Einschreiben ein Warnschreiben, in dem der festgestellte Verstoß, die Abhilfemaßnahmen und die Frist, innerhalb derer diese Maßnahmen ergriffen werden müssten, aufgeführt seien, zu übermitteln gewesen, wobei die Frist nicht mehr als vier Monate hätte betragen dürfen.
30 Stattdessen habe der Revisionswerber entgegen den in Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 unionsrechtlich vorgesehenen Verfahrensschritten den Bescheid vom 28. August 2017 erlassen und ausgesprochen, dass die erteilte Anerkennung als Erzeugerorganisation weiter aufrecht bleibe, der mitbeteiligten Partei unter Setzung von Fristen Auflagen erteilt und darauf hingewiesen, dass ein Sanktionsverfahren gemäß Art. 59 leg. cit. eingeleitet werden müsse, sollten die Auflagen nicht erfüllt werden.
31 Wenn der Revisionswerber nunmehr vermeine, der Bescheid vom 28. August 2017 entspreche hinsichtlich des Verstoßes gegen die Andienungskontrolle einer Fristsetzung gemäß Art. 59 Abs. 2 Delegierte VO (EU) 2017/891 , sei ihm zu entgegnen, dass eine solche Fristsetzung bereits die zweite Stufe des unionsrechtlich vorgesehenen Sanktionsverfahrens darstelle. Voraussetzung für eine derartige Fristsetzung sei daher, dass der jeweiligen Erzeugerorganisation ein Warnschreiben gemäß Art. 59 Abs. 1 leg. cit. übermittelt worden und die mit diesem Warnschreiben festgesetzte Frist zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen bereits abgelaufen sei.
32 Der Revisionswerber habe es verabsäumt, der mitbeteiligten Partei ein Warnschreiben gemäß Art. 59 Abs. 1 Delegierte VO (EU) 2017/891 zu übermitteln und dies erst im Mai 2019 betreffend den Verstoß gegen die Andienungskontrolle nachgeholt. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers habe die Auflage unter Spruchpunkt III. des Bescheids vom 28. August 2017 bereits mangels vorher ergangenen Warnschreibens keiner Fristsetzung gemäß Art. 59 Abs. 2 leg. cit. entsprochen. Damit habe der Revisionswerber das in Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 normierte Sanktionsverfahren nicht eingehalten und sei von unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften abgewichen.
33 Die Bestätigung der Anerkennung als Erzeugerorganisation und die Erteilung von Auflagen mit rechtskräftigem Bescheid vom 28. August 2017 sei in Hinblick darauf, dass der Revisionswerber diesen Bescheid trotz festgestellter Nichtbeachtung einiger Anerkennungskriterien erlassen habe, unionsrechtswidrig.
34 Zu prüfen bleibe, ob dieser Verstoß gegen unionsrechtliche Bestimmungen den Revisionswerber berechtige, den rechtskräftigen Bescheid vom 28. August 2017 gemäß § 19 Abs. 2 MOG 2007 abzuändern.
35 Diese Bestimmung berechtige die AMA dazu, Bescheide zu den in §§ 7, 8 bis 8h und 10 MOG 2007 angeführten Maßnahmen zusätzlich zu den in § 68 AVG angeführten Gründen von Amts wegen aufzuheben oder abzuändern, soweit dies zur Erfüllung unionsrechtlicher Vorgaben erforderlich sei. Da in § 7 MOG 2007 auch die Anerkennung von Erzeugerorganisationen Erwähnung finde, sei § 19 Abs. 2 MOG 2007 auf Sachverhalte betreffend Erzeugerorganisationen grundsätzlich anzuwenden. Fraglich erscheine jedoch, ob diese Bestimmung den Revisionswerber lediglich ermächtige, Bescheide aufzuheben bzw. abzuändern, die gegen unionsrechtliches materielles Recht verstießen, oder auch Bescheide, die gegen unionsrechtliches Verfahrensrecht verstießen.
36 Dazu führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, den - im angefochtenen Erkenntnis abgedruckten - Gesetzesmaterialien (ErläutRV 37 BlgNR 23. GP und ERläutRV 2291 BlgNR 24. GP ) lasse sich nicht entnehmen, ob es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, dass § 19 Abs. 2 MOG 2007 auch im Fall von Verstößen gegen unionsrechtliches Verfahrensrecht zur Anwendung kommen solle.
37 Da § 19 Abs. 2 MOG 2007 jedoch die Erfüllung unionsrechtlicher Vorgaben zum Ziel habe, sei in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob das Unionsrecht die Abänderung des gegen unionsrechtliche Verfahrensvorschriften verstoßenden Bescheids vom 28. August 2017 erforderlich mache.
38 Die ‑ im angefochtenen Erkenntnis dargestellte ‑ Rechtsprechung des EuGH zum Vertrauensschutz (Hinweise auf EuGH 14.3.2013, Agrargenossenschaft Neuzelle, C-545/11 ; 2.7.2015, Demmer, C‑684/13 ; 20.12.2017, Erzeugerorganisation Tiefkühlgemüse eGen, C‑516/16 ) beziehe sich auf festgestellte Verstöße gegen materielles Unionrecht und könne daher allenfalls schlagend werden, insoweit der mitbeteiligten Partei die Anerkennung als Erzeugerorganisation erteilt worden sei, obwohl die (materiellrechtlichen) Voraussetzungen für diese Anerkennung tatsächlich nicht vorgelegen seien. Soweit der Revisionswerber jedoch zwingendes unionsrechtliches Verfahrensrecht nicht eingehalten und entgegen der Bestimmung des Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 kein Sanktionsverfahren durchgeführt habe, stehe die Judikatur des EuGH einem begründeten Vertrauen der mitbeteiligten Partei auf die Rechtskonformität der Vorgehensweise des Revisionswerbers nicht entgegen. Von der mitbeteiligten Partei könne zwar die Kenntnis der Voraussetzungen für die Anerkennung als Erzeugerorganisation erwartet werden; es sei ihr jedoch nicht zumutbar, den Verstoß des Revisionswerbers gegen zwingendes unionsrechtliches Verfahrensrecht zu erkennen bzw. dessen Folgen zu tragen, diene doch die Einhaltung der vorgeschriebenen Verfahrensschritte nicht nur dem Schutz der finanziellen Interessen der Union, indem der Spielraum der Behörde eingeengt werde, sondern auch der Rechtsklarheit und damit dem Schutz der Antragsteller.
39 Durch die Nichteinhaltung der Verfahrensvorschrift des Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 und die rückwirkende Abänderung des Bescheids vom 28. August 2017 mit der verfahrensgegenständlichen Beschwerdevorentscheidung sei der mitbeteiligten Partei im Ergebnis die Möglichkeit genommen worden, den Widerruf der Anerkennung als Erzeugerorganisation binnen vorgesehener Frist zu verhindern.
40 Zu berücksichtigen sei auch, dass der Einhaltung von unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften und insbesondere der vorgesehenen unionsrechtlichen Fristen grundlegende Bedeutung zukomme. Insbesondere habe der EuGH im sogenannten Anlastungsverfahren betreffend den Ausschluss bestimmter Ausgaben im Rahmen der gemeinsamem Agrarpolitik von der gemeinschaftlichen Finanzierung Verfahrensbestimmungen im Rahmen dieser Verfahren als „Verfahrensgarantien“ der Mitgliedstaaten bezeichnet und entschieden, dass etwa eine entsprechende Mitteilung der Kommission an einen Mitgliedstaat im Vorfeld sämtliche dem Mitgliedstaat zur Last gelegten Unregelmäßigkeiten enthalten müsse, um ihre Warnfunktion zu erfüllen, widrigenfalls eine Anlastung nicht erfolgen könne (Hinweis auf EuGH 3.5.2012, Königreich Spanien gegen Kommission, C‑24/11 P ).
41 Daraus ergebe sich für das vorliegende Verfahren die maßgebliche Bedeutung unionsrechtlichen Verfahrensrechts, welches auch von der Kommission zwingend einzuhalten sei. Der Grundsatz des Schutzes von finanziellen Interessen der Gemeinschaft trete demgegenüber zurück.
42 In Hinblick auf die unionsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit berechtige der vorliegende Verstoß gegen ein unionsrechtlich strikt konzipiertes Verfahren, wie es Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 vorsehe, den Revisionswerber nicht zur rückwirkenden Abänderung des Bescheids vom 28. August 2017 zu Lasten der mitbeteiligten Partei.
43 Da Art. 59 Abs. 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 den fruchtlosen Ablauf des von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats festgelegten Aussetzungszeitraums für den Widerruf der Anerkennung als Erzeugerorganisation voraussetze, erwiesen sich der Widerruf der Anerkennung als Erzeugerorganisation gegenüber der mitbeteiligten Partei mit Bescheid vom 24. Jänner 2020 bzw. Beschwerdevorentscheidung vom 26. August 2020 ebenso wie die Abänderung des Bescheids vom 28. August 2017 unter Berufung auf § 19 Abs. 2 MOG 2007 als unzulässig.
44 Der Beschwerde sei daher stattzugeben und die Beschwerdevorentscheidung vom 26. August 2020 ersatzlos zu beheben gewesen.
45 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Es fehle Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob § 19 Abs. 2 MOG 2007 den Revisionswerber auch zur Abänderung bzw. Aufhebung von Bescheiden ermächtige, wenn er selbst gegen unionsrechtliches Verfahrensrecht verstoßen habe.
46 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts.
47 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
48 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird zunächst auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage inhaltlich Bezug genommen, weshalb sie sich als zulässig erweist. Sie ist jedoch aus den nachfolgenden Erwägungen nicht begründet.
49 Die Art. 152 und 160 VO (EU) Nr. 1308/2013 lauten (auszugsweise):
„Artikel 152
Erzeugerorganisationen
(1) Die Mitgliedstaaten können auf Antrag Erzeugerorganisationen anerkennen, die:
a) aus Erzeugern aus bestimmten der in Artikel 1 Absatz 2 genannten Sektoren bestehen und von diesen Erzeugern gemäß Artikel 153 Absatz 2 Buchstabe c kontrolliert werden;
b) auf Initiative der Erzeuger gebildet wurden;
c) ein spezifisches Ziel verfolgen, das mindestens eine der folgenden Zielsetzungen einschließen kann:
i) einer planvollen und insbesondere in quantitativer und qualitativer Hinsicht nachfragegerechten Erzeugung;
ii) Bündelung des Angebots und Vermarktung der Erzeugung ihrer Mitglieder, auch durch Direktwerbung;
iii) Optimierung der Produktionskosten und Investitionserträge als Reaktion auf Umwelt- und Tierschutznormen und Stabilisierung der Erzeugerpreise;
(...)
Artikel 160
Erzeugerorganisationen im Sektor Obst und Gemüse
Im Sektor Obst und Gemüse verfolgen die Erzeugerorganisationen mindestens eines der in Artikel 152 Absatz 1 Buchstabe c Ziffern i bis iii genannten Ziele.
Die einer Erzeugerorganisation beigetretenen Erzeuger werden durch deren Satzung dazu verpflichtet, ihre gesamte betreffende Erzeugung über die Erzeugerorganisation abzusetzen.
Bei Erzeugerorganisationen und Vereinigungen von Erzeugerorganisationen im Sektor Obst und Gemüse wird davon ausgegangen, dass sie im Rahmen ihrer Aufgaben in wirtschaftlichen Fragen im Namen und im Auftrag ihrer Mitglieder handeln.“
50 Die Art. 7 und 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 lauten (auszugsweise):
„Artikel 7
Strukturen und Tätigkeiten der Erzeugerorganisationen
Die Mitgliedstaaten vergewissern sich, dass die Erzeugerorganisationen über das Personal, die Infrastruktur und die Ausrüstung verfügen, die zur Einhaltung der Anforderungen gemäß den Artikeln 152, 154 und 160 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 und zur Ausübung ihrer wesentlichen Aufgaben erforderlich sind; diese umfassen insbesondere
a) die Kenntnis über die Erzeugung ihrer Mitglieder,
(...)
Artikel 59
Nichtbeachtung der Anerkennungskriterien
(1) Hat ein Mitgliedstaat festgestellt, dass eine Erzeugerorganisation eines der Anerkennungskriterien im Zusammenhang mit den Anforderungen von Artikel 5, Artikel 7, Artikel 11 Absätze 1 und 2 sowie Artikel 17 nicht beachtet, so übermittelt er der betreffenden Erzeugerorganisation spätestens zwei Monate, nachdem der Verstoß festgestellt wurde, per Einschreiben ein Warnschreiben, in dem der festgestellte Verstoß, die Abhilfemaßnahmen und die Fristen aufgeführt sind, innerhalb deren diese Maßnahmen ergriffen werden müssen, wobei die Frist nicht mehr als vier Monate betragen darf. Ab dem Zeitpunkt, zu dem ein Verstoß festgestellt wird, setzen die Mitgliedstaaten die Beihilfezahlungen so lange aus, bis die Abhilfemaßnahmen zu ihrer Zufriedenheit getroffen worden sind.
(2) Werden die Abhilfemaßnahmen gemäß Absatz 1 nicht innerhalb der vom Mitgliedstaat festgesetzten Frist getroffen, wird die Anerkennung der Erzeugerorganisation ausgesetzt. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Erzeugerorganisation über den Zeitraum der Aussetzung, der unmittelbar nach Ablauf der für die Abhilfemaßnahmen gesetzten Frist beginnt und ab dem Eingang des Warnschreibens bei der Erzeugerorganisation höchstens zwölf Monate beträgt. Die Anwendung horizontaler nationaler Rechtsvorschriften, die die Aussetzung einer solchen Handlung nach Einleitung eines diesbezüglichen Gerichtsverfahrens vorsehen können, bleibt hiervon unberührt. Während der Aussetzung der Anerkennung kann die Erzeugerorganisation ihre Tätigkeit fortsetzen, doch die Beihilfezahlungen werden so lange zurückgehalten, bis die Aussetzung der Anerkennung aufgehoben wird. Der jährliche Beihilfebetrag wird für jeden vollen Kalendermonat oder Teil davon, in dem die Anerkennung ausgesetzt war, um 2 % gekürzt. Die Aussetzung endet an dem Tag, an dem die Kontrolle ergibt, dass die betreffenden Anerkennungskriterien erfüllt sind.
(3) Werden die Kriterien bis zum Ende des von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats festgelegten Aussetzungszeitraums nicht erfüllt, so widerruft der Mitgliedstaat die Anerkennung mit Wirkung ab dem Zeitpunkt, ab dem die Anerkennungsvoraussetzungen nicht erfüllt wurden, oder, wenn dieses Datum nicht ermittelt werden kann, ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verstoß festgestellt wurde. Die Anwendung horizontaler nationaler Rechtsvorschriften, die die Aussetzung der Anerkennung nach Einleitung eines diesbezüglichen Gerichtsverfahrens vorsehen können, bleibt hiervon unberührt. Ausstehende Beihilfen für den Zeitraum, in dem die Nichtbeachtung festgestellt wurde, werden nicht ausgezahlt und zu Unrecht gezahlte Beihilfen wiedereingezogen.
(...)“
51 § 19 MOG 2007, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 46/2018, lautet auszugsweise:
„Vorschriften zu Bescheiden und Rückzahlung
§ 19. (...)
(2) Bescheide zu den in §§ 7, 8 bis 8h und 10 angeführten Maßnahmen können zusätzlich zu den in § 68 AVG angeführten Gründen von Amts wegen von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, aufgehoben oder abgeändert werden, soweit dies zur Erfüllung unionsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist.
(...)“
52 Die Materialien zum Agrarrechtsänderungsgesetz 2007, BGBl. I Nr. 55/2007, ErläutRV 37 BlgNR 23. GP 9 zu § 19 MOG 2007, lauten:
„Über die in § 68 AVG bzw. ‑ im Bereich der Abgaben (§ 13) §§ 300ff BAO ‑ vorgesehenen Möglichkeiten hinaus sind weitergehende Möglichkeiten zur amtswegigen Abänderung oder Aufhebung von Bescheiden vorzusehen. Ein wesentlicher Hintergrund für diese Sonderregelung ist die in den Gemeinschaftsrechtsvorschriften festgehaltene vierjährige Verjährungsfrist für die Verfolgung (Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 2988/95, Art. 73 Verordnung (EG) Nr. 796/2004). Wird im Rahmen einer Vorortkontrolle festgestellt, dass z.B. eine beantragte Fläche in natura kleiner als die vorhandene Fläche ist, hat zwingend eine Rückverfolgung dieser Fläche für die letzten vier Jahre zu erfolgen. Durch Änderungen im Gemeinschaftsrecht aber auch infolge der Überprüfung der Abwicklung der gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen durch Organe der Europäischen Kommission und des Europäischen Rechnungshofs kann sich die Notwendigkeit zur Abänderung von Bescheiden ergeben. Auch die Bestimmungen über die anderweitigen Verpflichtungen (§ 12) verlangen eine Bescheidabänderung (Kürzung der Direktzahlungen als verwaltungsrechtliche Maßnahme), wenn für das betreffende Antragsjahr ein Verstoß gegen zu berücksichtigende Vorschriften festgestellt wurde. Dieser Sachverhalt tritt vor allem dann ein, wenn der Verstoß nicht im Rahmen der gemäß Art. 45 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 vorzunehmenden Kontrolle durch die zuständige Cross Compliance-Kontrollbehörde festgestellt wurde, sondern auf andere Weise (Meldung eines abgeschlossenen Strafverfahrens wegen Verstoßes gegen die betreffenden Vorschriften) zur Kenntnis gebracht wurde.“
53 Die Materialien zum Verwaltungsgerichtsbarkeits ‑ Anpassungsgesetz - BMLFUW ‑ Land‑ und Forstwirtschaft, BGBl. I Nr. 189/2013, ErläutRV 2291 BlgNR 24. GP 12 zu § 19 Abs. 2 MOG 2007, lauten:
„Über die in § 68 AVG vorgesehenen Möglichkeiten hinaus werden mit Abs. 2 weitergehende Möglichkeiten zur amtswegigen Abänderung oder Aufhebung von Entscheidungen vorgesehen. Dies ist durch die unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 9 Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 in Verbindung mit Art. 3 Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95) bedingt, wonach der Mitgliedstaat zur Wiedereinziehung der infolge Unregelmäßigkeiten oder Versäumnisse abgeflossenen Beträge verpflichtet ist (vergleiche auch EuGH verb. Rs 146/81 u.a.).“
54 Im vorliegenden Fall wirft das Verwaltungsgericht die Rechtsfrage auf, ob der Revisionswerber trotz Nichteinhaltung des Sanktionsverfahrens nach Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 nachträglich einen Widerruf der Anerkennung auf Grundlage der nationalen Verfahrensbestimmung des § 19 Abs. 2 MOG 2007 aussprechen könne.
55 Die Einleitung des Verwaltungssanktionsverfahrens nach Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 erfolgt rechtswirksam, indem die nationale Behörde der Erzeugerorganisation spätestens zwei Monate nach Feststellung eines Verstoßes gegen die Anerkennungskriterien in Zusammenhang mit den Anforderungen des ‑ gegenständlich relevanten ‑ Art. 7 Delegierte VO (EU) 2017/891 per Einschreiben ein Warnschreiben übermittelt, in dem der festgestellte Verstoß, die Abhilfemaßnahmen und die Fristen, innerhalb deren diese Maßnahmen ergriffen werden müssen, aufgeführt sind, wobei diese Frist nicht mehr als vier Monate betragen darf. Zudem normiert Abs. 1 leg. cit. die ex lege Aussetzung von der Erzeugerorganisation gewährten Beihilfen ab dem Zeitpunkt der Feststellung des Verstoßes bis zu jenem Zeitpunkt, zu dem die Abhilfemaßnahmen zur Zufriedenheit der Behörde getroffen worden sind.
56 Werden die Abhilfemaßnahmen gemäß Abs. 1 leg. cit. nicht innerhalb der von der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats festgesetzten Frist getroffen, wird die Anerkennung der Erzeugerorganisation gemäß Art. 59 Abs. 2 Delegierte VO (EU) 2017/891 ausgesetzt. Der Aussetzungszeitraum beträgt ab dem Eingang des Warnschreibens bei der Erzeugerorganisation höchstens zwölf Monate. Während der Aussetzung der Anerkennung kann die Erzeugerorganisation ihre Tätigkeit fortsetzen, doch die Beihilfezahlungen werden so lange zurückgehalten, bis die Aussetzung der Anerkennung aufgehoben wird. Der jährliche Beihilfebetrag wird für jeden vollen Kalendermonat oder Teil davon, in dem die Anerkennung ausgesetzt war, um 2 % gekürzt. Werden die Kriterien bis zum Ende des festgesetzten Aussetzungszeitraums nicht erfüllt, so widerruft die zuständige Behörde des Mitgliedstaats die Anerkennung mit Wirkung ab den in Art. 59 Abs. 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 genannten Zeitpunkten. Ausstehende Beihilfen für den Zeitraum, in dem die Nichtbeachtung festgestellt wurde, werden nicht ausgezahlt und zu Unrecht gezahlte Beihilfen wiedereingezogen.
57 Das das Sanktionsverfahren nach Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 einleitende Warnschreiben muss, um seinen Warnzweck erfüllen zu können, sämtliche der Erzeugerorganisation zur Last gelegten Verstöße hinreichend genau umschreiben. Nur ein solches Warnschreiben kann eine umfassende Kenntnis der Erzeugerorganisation von den Vorbehalten der Behörde garantieren und den Bezugspunkt für die Berechnung der Frist für die Abhilfemaßnahmen gegen die festgestellten Verstöße nach Abs. 1 leg. cit. und des allenfalls darauffolgenden Zeitraums der Aussetzung der Anerkennung als Erzeugerorganisation nach Abs. 2 leg. cit. bilden (vgl. dazu die Anforderungen, die der EuGH an die „schriftliche Mitteilung“ der Kommission im Anlastungsverfahren stellt: EuGH 3.5.2012, Königreich Spanien/Kommission, C‑24/11 P , Rn 27 ff). Die Verfahrensgarantien des Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 werden jedenfalls missachtet, wenn die Behörde die Anerkennung als Erzeugerorganisation bereits aussetzt (Abs. 2 leg. cit.) oder gar widerruft (Abs. 3 leg. cit.), ohne der Erzeugerorganisation zuvor ein der Anforderung des Art. 59 Abs. 1 leg. cit. entsprechendes Warnschreiben zu übermitteln. Durch die fehlende Übermittlung eines solchen Warnschreibens wird der Erzeugerorganisation von vornherein das ihr im Verfahren nach Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 eingeräumte Recht, die Aussetzung bzw. den Widerruf der Anerkennung zu verhindern, genommen.
58 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist es nach dem Grundsatz der nationalen Organisations- und Verfahrensautonomie (grundsätzlich) Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die für den indirekten Vollzug des Unionsrechts zuständigen Behörden zu bestimmen und die Modalitäten der Verfahren zu regeln, sofern dabei der Äquivalenzgrundsatz und der Effektivitätsgrundsatz gewahrt werden. Der Grundsatz der Organisations- und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten findet aber dort seine Grenze, wo das Unionsrecht selbst die für seinen Vollzug zuständigen Behörden bestimmt oder Vorgaben für die Ausgestaltung des Verfahrens zu seiner Durchsetzung setzt (vgl. VwGH 18.10.2016, Ro 2015/03/0029 mit Hinweis auf EuGH 12.2.2015, Surgicare - Unidades de Saude SA, C‑662/13 , Rn 26).
59 Der Grundsatz der nationalen Organisations- und Verfahrensautonomie wird durch Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 insoweit eingeschränkt, als diese Bestimmung im Fall der durch einen Mitgliedstaat festgestellten Nichtbeachtung der Anerkennungskriterien für Erzeugerorganisationen im Obst- und Gemüsesektor nach Art. 160 VO (EU) Nr. 1308/2013 iVm. der Delegierten VO (EU) 2017/891 durch eine bereits anerkannte Erzeugerorganisation ein zwingend durchzuführendes Verwaltungssanktionsverfahren auf Unionsebene vorsieht. Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 enthält von den nationalen Behörden unmittelbar anzuwendende verfahrensrechtliche Vorgaben, die ‑ neben dem Schutz der finanziellen Interessen der Union und den Erzeugerorganisationen eingeräumten Verfahrensgarantien ‑ die Einheit und Effektivität der Durchsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik im Obst- und Gemüsesektor sicherstellen sollen.
60 Zwar soll auch die nationale Verfahrensvorschrift des § 19 Abs. 2 MOG 2007 ‑ wie aus den entsprechenden Gesetzesmaterialien (ErläutRV 37 BlgNR 23. GP 9 und ErläutRV 2291 BlgNR 24. GP 12) unzweifelhaft hervorgeht ‑ dem Schutz der finanziellen Interessen der Union dienen. Dessen Anwendung - wie in der Beschwerdevorentscheidung des Revisionswerbers vom 26. August 2020 - scheidet jedoch im Fall eines gegen eine anerkannte Erzeugerorganisation festgestellten Verstoßes gegen die Anerkennungskriterien nach Art. 160 VO (EU) Nr. 1308/2013 iVm. Delegierte VO (EU) 2017/891 von vornherein aus, weil dafür ein von den Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwendendes Verwaltungssanktionsverfahren auf Unionsebene in Gestalt des Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 vorgesehen ist. Die Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 19 Abs. 2 MOG 2007, nämlich, dass ein Eingriff in die Rechtskraft „zur Erfüllung unionsrechtlicher Vorgaben erforderlich ist“, liegt in einer solchen Konstellation nicht vor.
61 § 19 Abs. 2 MOG 2007 kann mangels Anwendbarkeit im vorliegenden Fall nicht dazu dienen, die „Anerkennung als Erzeugerorganisation nicht weiter zu bestätigen“ (Spruchpunkt II. der Beschwerdevorentscheidung vom 26. August 2020), das auf Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 gestützte Warnschreiben vom 9. Mai 2019 ersatzlos zu beheben (Spruchpunkt III. der Beschwerdevorentscheidung) und die Anerkennung der mitbeteiligten Partei als Erzeugerorganisation „gemäß Art 59 Abs. 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 mit Wirksamkeit ab 28.08.2017“ zu widerrufen (Spruchpunkt IV. der Beschwerdevorentscheidung). Dabei fällt auch nicht ins Gewicht, dass der rechtskräftige Bescheid des Revisionswerbers vom 28. August 2017 unter Missachtung des Verfahrensablaufs, wie ihn Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 vorsieht, erlassen wurde.
62 In Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 sind ‑ wie bereits ausgeführt ‑ die finanziellen Interessen der Union durch die vorgesehene Aussetzung der Beihilfezahlungen sowie deren Kürzung und den Wiedereinzug zu Unrecht bezahlter Beihilfen ausreichend berücksichtigt. Mit der Anwendung des § 19 Abs. 2 MOG 2007 würden darüber hinaus die in Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 der Erzeugerorganisation eingeräumten Verfahrensgarantien, den Widerruf der Anerkennung als Erzeugerorganisation zu verhindern, gleichsam außer Kraft gesetzt. Eine solche Beeinträchtigung der der Erzeugerorganisationen unionsrechtlich eingeräumten Rechtsposition ist gerade nicht „zur Erfüllung unionsrechtlicher Vorgaben“ geboten. Ein Widerruf der Anerkennung als Erzeugerorganisation kann somit nur unter Einhaltung der Verfahrensgarantien des Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 ausgesprochen werden.
63 Indem das Verwaltungsgericht davon ausging, dass die Beschwerdevorentscheidung des Revisionswerbers vom 26. August 2020, mit der die Anerkennung der mitbeteiligten Partei als Erzeugerorganisation im Sinn des Art. 59 Abs. 3 Delegierten VO (EU) 2017/891 widerrufen wurde, jedenfalls nicht auf § 19 Abs. 2 MOG 2007 habe gestützt werden dürfen, hat es die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage im Ergebnis zutreffend gelöst.
64 Aus diesem Grund muss auf die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung des EuGH zum Vertrauensschutz, auf die auch in den Revisionsgründen Bezug genommen wird, zur Lösung des vorliegenden Revisionsfall nicht näher eingegangen werden.
65 Soweit der Revisionswerber in den Revisionsgründen dem Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz vorwirft, es habe die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Alcan (EuGH 20.3.1997, Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH, C-24/95 ) übersehen, nach der es einem sorgfältigen Gewerbetreibenden zuzumuten sei, sogar Kenntnis über das Notifikationsverfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV zu haben, weshalb es der mitbeteiligten Partei zuzumuten sei, nicht auf einen Verstoß des Revisionswerbers gegen das Sanktionsverfahren nach Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 zu vertrauen, ist ihm zu entgegnen, dass dieses Urteil des EuGH die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe betraf. Der EuGH hat jedoch bereits ausgesprochen, dass sich die Feststellungen des Urteils in der Rechtssache Alcan nicht auf ‑ vorliegend allenfalls relevante ‑ Unionsbeihilfen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik übertragen ließe, fehle bei solchen Unionsbeihilfen doch der den nationalen Unternehmen eingeräumte Wettbewerbsvorteil, der die staatlichen Beihilfen kennzeichne (vgl. EuGH 16.7.1998, Ölmühle Hamburg AG und Jb Schmidt Söhne GmbH & Co KG/Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Rs C-298/96 , Rn 36 f). Aus diesem Grund kann das Urteil des EuGH in der Rechtssache Alcan der Revision nicht zum Erfolg verhelfen.
66 Der Revisionswerber hält dem Verwaltungsgericht ferner vor, den Sinn und Zweck des Art. 59 Delegierte VO (EU) 2017/891 verkannt zu haben. Insbesondere habe es übersehen, dass die Abs. 1 bis 3 des Art. 59 leg. cit. zwei verschiedene Verfahren regelten und den darin normierten Höchstfristen unterschiedliche Bedeutung zukomme. Richtigerweise müsse der erste Teilsatz des Abs. 3 leg. cit. dahingehend verstanden werden, dass darin bloß festgelegt werde, dass es der nationalen Behörde versagt sei, die Anerkennung vorzeitig zu widerrufen.
67 Damit verkennt der Revisionswerber aber seinerseits das in Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 normierte Verfahren.
68 Nach dem unbestrittenen Sachverhalt wurde bei einer am 10. Mai 2017 von der AMA durchgeführten Vor-Ort-Kontrolle ein Verstoß der mitbeteiligten Partei gegen das Anerkennungskriterium nach Art. 7 lit. a VO (EU) 2017/891 (Kenntnis über die Erzeugung ihrer Mitglieder) festgestellt. Nach der Anordnung des Art. 59 Abs. 1 Delegierte VO (EU) 2017/891 hätte der Revisionswerber daher der mitbeteiligten Partei innerhalb von zwei Monaten ab Feststellung des Verstoßes ‑ somit ab dem 10. Mai 2017 ‑ per Einschreiben ein der Anforderung des Abs. 1 leg. cit. entsprechendes Warnschreiben zustellen müssen, in dem der festgestellte Verstoß nach Art. 7 lit. a leg. cit., die dagegen zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen und die dafür eingeräumte Frist aufgeführt sind. Dies hat der Revisionswerber jedoch unterlassen.
69 Wenn der Revisionswerber dazu vorbringt, die mitbeteiligte Partei sei bereits mit dem rechtskräftig gewordenen Bescheid vom 28. August 2017 auf den am 10. Mai 2017 festgestellten Verstoß hingewiesen worden, so ist ihm sein eigenes Vorbringen entgegenzuhalten, wonach mit diesem Bescheid ‑ entgegen Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 - trotz des festgestellten Verstoßes gegen die Anerkennungskriterien die Anerkennung der mitbeteiligten Partei als Erzeugerorganisation ausdrücklich bestätigt wurde. Wie das Verwaltungsgericht dazu im Ergebnis zutreffend ausführte, entbehrte die Bestätigung der Anerkennung und die gleichzeitige Vorschreibung von Auflagen zur Erfüllung der Anerkennungskriterien in Hinblick auf den am 10. Mai 2017 festgestellten Verstoß jeglicher gesetzlicher, insbesondere unionsrechtlicher Grundlage. Der Bescheid vom 28. August 2017 konnte daher jedenfalls nicht als (verspätet übermitteltes) Warnschreiben im Sinn des Art. 59 Abs. 1 Delegierte VO (EU) 2017/891 betrachtet werden.
70 Mit der Beschwerdevorentscheidung vom 26. August 2020 änderte der Revisionswerber den Bescheid vom 28. August 2017 ‑ in unzulässiger Weise ‑ auf der Grundlage des § 19 Abs. 2 MOG 2007 dahingehend ab, dass er die Anerkennung der mitbeteiligten Partei als Erzeugerorganisation vom 19. Dezember 2008 mit Wirkung ab dem 28. August 2017 widerrief. Ein solcher Widerruf war mangels zuvor zwingend gebotener Durchführung des in Art. 59 Abs. 1 bis 3 Delegierte VO (EU) 2017/891 geregelten Sanktionsverfahrens unionsrechtswidrig.
71 Das Verwaltungsgericht hat daher die Beschwerdevorentscheidung des Revisionswerbers vom 26. August 2020 zu Recht ersatzlos behoben (vgl. zur an die Stelle des Ausgangsbescheides tretenden Berufungsvorentscheidung als alleiniges Objekt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts etwa VwGH 24.2.2022, Ro 2020/05/0018, Rn 18, mwN). Die Revision war somit nach § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
72 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. September 2022
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