Normen
AVG §19 Abs3
BFA-VG 2014 §40 Abs1
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art18
FrPolG 2005 §39 Abs1
MRK Art3
MRK Art5 Abs1 litc
MRK Art8
PersFrSchG 1988 Art1 Abs2
PersFrSchG 1988 Art2 Abs1 Z3
SPG 1991 §2
SPG 1991 §3
SPG 1991 §40
SPG 1991 §40 Abs1
SPG 1991 §40 Abs2
SPG 1991 §40 Abs4
SPG 1991 §45
SPG 1991 §46
SPG 1991 §5
SPG 1991 §88 Abs1
StPO 1975
StPO 1975 §153 Abs3
StPO 1975 §176 Abs3
StPO 1975 §221 Abs1
StPO 1975 §242 Abs1
VStG §35
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021010410.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Mitbeteiligten auf Kostenersatz wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden aufgrund einer Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten ein gegenüber diesem am 26. Juni 2021 ausgesprochenes Betretungs‑ und Annäherungsverbot sowie die an der Oberbekleidung des Mitbeteiligten durchgeführte Personendurchsuchung gemäß § 40 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) für rechtswidrig erklärt (I.), der Bund zum Aufwandersatz verpflichtet (II.) sowie eine ordentliche Revision für unzulässig erklärt (III.).
2 Zur Rechtswidrigerklärung der Personendurchsuchung führte das Verwaltungsgericht begründend aus, zwei Sicherheitsorgane der Amtsrevisionswerberin hätten (infolge der Annahme, dass ein gefährlicher Angriff des Mitbeteiligten nach § 105 StGB zum Nachteil seiner Ehegattin vorgelegen sei) den Mitbeteiligten im Funkwagen mitgenommen, um ihn zur sofortigen Einvernahme gemäß § 153 Abs. 3 StPO in die Polizeiinspektion (PI) F.‑Straße zu überstellen. Bevor der Mitbeteiligte in den Funkwagen gestiegen sei, sei er nach § 40 Abs. 1 SPG einer Personendurchsuchung an seiner Oberbekleidung unterzogen worden, um eine Gefährdung anderer Personen und des Mitbeteiligten selbst auszuschließen.
Der Mitbeteiligte sei nicht festgenommen worden, weshalb die in § 40 Abs. 1 SPG genannte Voraussetzung zur Durchsuchung einer Person nicht vorgelegen sei; die Vorführung einer Person zur sofortigen Einvernahme nach § 153 Abs. 3 StPO falle nicht unter diese Bestimmung. Eine analoge Anwendung des § 40 Abs. 1 SPG auf den Fall der Vorführung einer Person komme mangels Vorliegen einer planwidrigen bzw. echten Lücke nicht in Betracht.
3 Mit der vorliegenden außerordentlichen Revision bekämpft die Amtsrevisionswerberin das genannte Erkenntnis ausdrücklich nur in diesem Punkt.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Die Amtsrevision bringt zur Zulässigkeit vor, der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 29. Juli 1998, 97/01/0102, 0103, ausgesprochen, dass § 40 Abs. 1 SPG stets heranzuziehen sei, wenn einer Person ‑ auf welcher Grundlage immer ‑ von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Freiheit entzogen worden sei. Das Verwaltungsgericht sei von dieser Rechtsprechung abgewichen, weil eine Beschränkung der Freiheit der Person durch die Vorführung nach § 153 Abs. 3 SPO zweifelsfrei vorliege. Die Vorführung sei ‑ als Begleiterscheinung der durchzuführenden Einvernahme ‑ zwar nicht als Verhaftung, jedoch als „sekundäre Freiheitsbeschränkung“ zu werten.
8 Sollte die genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einschlägig sein, liege keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob eine Personendurchsuchung nach § 40 Abs. 1 SPG für „sekundäre“ Freiheitsbeschränkungen (wie die Vorführung nach § 153 Abs. 3 StPO) zulässig sei. Nur in analoger Anwendung der Regelung des § 40 Abs. 1 SPG auf zur Einvernahme vorgeführte Personen seien eine Gewährleistung der körperlichen Sicherheit des Angehaltenen bzw. dritter Personen sowie das Hintanhalten der Fluchtgefahr möglich.
9 Die Revision ist unzulässig.
10 Ist die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig, liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG vor; das selbst dann, wenn zu einer Frage der Auslegung der anzuwendenden Normen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist (vgl. etwa VwGH 15.5.2019, Ro 2019/01/0006, mwN).
11 § 40 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG), lautet:
„Durchsuchung von Menschen
§ 40. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Menschen, die festgenommen worden sind, zu durchsuchen, um sicherzustellen, dass diese während ihrer Anhaltung weder ihre körperliche Sicherheit noch die anderer gefährden und nicht flüchten.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind außerdem ermächtigt, Menschen zu durchsuchen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, diese stünden mit einem gegen Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum gerichteten gefährlichen Angriff in Zusammenhang und hätten einen Gegenstand bei sich, von dem Gefahr ausgeht.
(3) Die den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in den Abs. 1 und 2 eingeräumten Befugnisse gelten auch für das Öffnen und das Durchsuchen von Behältnissen (zB Koffer oder Taschen), die der Betroffene bei sich hat.
(4) Bei Durchsuchungen gemäß Abs. 1 und 2 haben sich die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf eine Durchsuchung der Kleidung und eine Besichtigung des Körpers zu beschränken, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, der Betroffene habe einen Gegenstand in seinem Körper versteckt; in solchen Fällen ist mit der Durchsuchung ein Arzt zu betrauen.“
12 § 153 Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631 idF BGBl. I Nr. 111/2010 (StPO), lautet (auszugsweise):
„Vernehmungen
§ 153. (1) Vernehmungen dienen der Aufklärung einer Straftat und der Beweisaufnahme.
(2) Eine Person, die vernommen werden soll, ist in der Regel schriftlich vorzuladen. ...
(3) Die Staatsanwaltschaft, in den Fällen der §§ 104, 105 und 107 das Gericht, kann die Vorführung des Beschuldigten zur sofortigen Vernehmung anordnen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass der Beschuldigte sich andernfalls dem Verfahren entziehen oder Beweismittel beeinträchtigen werde. Wenn eine solche Anordnung wegen Gefahr im Verzug nicht eingeholt werden kann oder wenn der Beschuldigte auf frischer Tat betreten oder unmittelbar danach glaubwürdig der Tatbegehung beschuldigt wird oder mit Gegenständen betreten wird, die auf seine Beteiligung an der Tat hinweisen, kann die Kriminalpolizei ihn von sich aus vorführen.
(4) ...“
I. Zur Bestimmung des § 40 Abs. 1 SPG
13 § 40 SPG ermächtigt die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 5 SPG) zur Personendurchsuchung im Dienste der allgemeinen Sicherheitspolizei (§ 3 SPG; vgl. Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz4 [2011] 432). Die Durchsuchung nach § 40 SPG stellt einen Verwaltungsakt dar, der in Ausübung unmittelbarer Befehls‑ und Zwangsgewalt gesetzt wird (vgl. Thanner/Vogl, SPG Sicherheitspolizeigesetz2 [2013] 356; vgl. zur Durchsuchung als „unmittelbare Ausübung behördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt“ nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des SPG bereits VwGH 7.11.1990, 90/01/0195). Eine Personendurchsuchung greift in der Regel in die Grundrechte nach Art. 3 und 8 EMRK ein (vgl. auch dazu Hauer/Keplinger, aaO 433; vgl. weiters die MaterialienErläutRV 148 BlgNR 18. GP 41: „Die Personsdurchsuchung steht in Österreich unter dem Schutz der Art. 3 und 8 EMRK.“).
14 Die „Durchsuchung von Menschen“ nach § 40 Abs. 1 SPG ist nicht Selbstzweck. Sie ist final darauf gerichtet, sicherzustellen, dass die untersuchte Person während ihrer Anhaltung weder ihre eigene körperliche Sicherheit noch die anderer Personen gefährdet bzw. dass sie nicht flüchtet (vgl. VwGH 29.7.1998, 97/01/0102, 0103; vgl. Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz4 [2011] 434).
15 Die Anwendung des § 40 Abs. 1 SPG setzt nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung (arg: „Menschen, die festgenommen worden sind“) die Festnahme der zu durchsuchenden Person durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes voraus.
16 In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner älteren Rechtsprechung zu § 40 (Abs. 1) SPG auf das tatbestandsmäßige Erfordernis einer „Festnahme“ abgestellt (vgl. etwa VwGH 30.1.2001, 2000/01/0018: „Eine Festnahme der Mitbeteiligten lag ... nicht vor ...“).
17 Auch dem ‑ von der Amtsrevision zitierten ‑ Erkenntnis VwGH 97/01/0102, 0103, in dem sich der Verwaltungsgerichtshof mit einer Durchsuchung nach § 40 Abs. 1 (iVm Abs. 4) SPG befasste, lag der Fall eines „Festgenommenen“ zu Grunde.
18 Nach der (jüngeren) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Durchsuchungsbefugnis nach § 40 Abs. 1 SPG demnach ‑ anders als die nicht auf festgenommene Personen beschränkte Regelung nach Abs. 2 ‑ nicht das Vorliegen bestimmter Tatsachen voraus, aufgrund derer zu vermuten sei, der in einem Zusammenhang mit einem gefährlichen Angriff stehende Betreffende hätte „einen Gegenstand bei sich, von dem Gefahr ausgeht“. Sie ist vielmehr in jedem Fall einer Festnahme zulässig, allerdings ausschließlich zu dem Zweck sicherzustellen, dass die festgenommene Person während ihrer Anhaltung weder ihre eigene körperliche Sicherheit noch die von anderen gefährdet und dass sie nicht flüchten kann. An diesem Zweck ist die Intensität der Durchsuchung zu messen, was unter Umständen ‑ wenn etwa zu vermuten wäre, die zu durchsuchende Person habe unmittelbar an ihrem Körper sicherheitsgefährdende oder fluchtbegünstigende Gegenstände befestigt ‑ auch ein völliges Entkleiden der festgenommenen Person rechtfertigen kann. (vgl. VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373, mit Hinweis auf VwGH 30.3.2017, Ra 2015/03/0076; vgl. demgegenüber die ‑ auf den genannten Zweck nicht abstellende ‑ Durchsuchungsermächtigung nach § 119 Abs. 2 StPO).
19 Für eine Personendurchsuchung nach § 40 Abs. 1 SPG ist es somit unerheblich, auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmung ein Mensch festgenommen wurde; die Festnahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes kann daher nicht nur auf der Grundlage des SPG (vgl. § 45), des VStG (vgl. § 35) oder sonstiger Verwaltungsvorschriften, sondern auch auf der Grundlage der StPO erfolgen (vgl. Thanner/Vogl, aaO 356; Pürstl/Zirnsack, Sicherheitspolizeigesetz2 [2011] 205).
20 Vor diesem Hintergrund ist die Aussage des Verwaltungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis 97/01/0102, 0103, wonach „§ 40 SPG stets heranzuziehen [ist], wenn einer Person ‑ auf welcher Grundlage immer ‑ von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Freiheit entzogen wurde“, dahin zu verstehen, dass für die Anwendung des § 40 Abs. 1 SPG eine „Festnahme“ durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erforderlich ist, dass es dabei aber auf die gesetzliche Grundlage, nach der die Festnahme erfolgte, nicht ankommt.
21 Diese Sichtweise wird ‑ wie erwähnt ‑ durch die jüngere, unter Rn. 18 wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestätigt, in der in Bezug auf § 40 Abs. 1 SPG auf die „Festnahme“ bzw. den Zweck der Durchsuchung ‑ eine Eigen‑ oder Fremdgefährdung bzw. eine Flucht „während der Anhaltung“ zu verhindern ‑, abgestellt wird.
22 Von einer Festnahme (Art. 1 Abs. 2 Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, im Folgenden: PersFrG) kann aber nur dann die Rede sein, wenn der Wille der Behörde primär auf eine Freiheitsbeschränkung gerichtet ist, nicht aber auch dann, wenn eine andere Maßnahme den Betroffenen dazu nötigt, längere Zeit bei der Behörde oder ihren Hilfsorganen zu verweilen, diese Beschränkung der Freiheit also (nur) die sekundäre Folge der Bewegungsbehinderung oder einer Anwesenheitspflicht ist (es sei denn, die betreffende Person wäre durch die Maßnahme im konkreten Fall in einer einer Festnahme gleichkommenden Weise in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt worden; vgl. aus der diesbezüglich ständigen Judikatur des VfGH etwa VfSlg. 15.372, mwN; vgl. in diesem Sinn auch Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde [2016] 100 ff; vgl. zum Aspekt der „Freiheitsentziehung“ als Merkmal einer Festnahme auch VwGH 15.11.2000, 99/01/0067).
II. Zur Vorführung nach § 153 Abs. 3 StPO
23 Bei einer Vorführung nach § 153 Abs. 3 StPO handelt es sich um eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme, mit der die Vernehmung einer Person zur Aufklärung einer Straftat bzw. die Beweisaufnahme sichergestellt werden soll. Die Vorführung ordnet gemäß § 153 Abs. 3 erster Satz StPO (grundsätzlich) die Staatsanwaltschaft, in den Fällen der §§ 104, 105 und 107 StPO das Gericht, an (zum Rechtsschutz in diesen Fällen vgl. Fuchs/Ratz, Wiener Kommentar zur Strafprozessordnung [2021] Rz 15/1 zu § 153 StPO).
24 Nach dem letzten Satz des § 153 Abs. 3 StPO erfolgt die Vorführung einer Person unter den dort genannten Voraussetzungen hingegen „durch die Kriminalpolizei von sich aus.“ Die Bestimmung normiert eine Kompetenz der Kriminalpolizei für die sofortige Vorführung eines Beschuldigten ohne vorhergehende Anordnung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts (vgl. OLG Graz vom 15.3.2012, 10 Bs 440/11y).
25 Im gegenständlichen Revisionsfall liegt eine derartige Vorführung des Mitbeteiligten vor. Es handelt sich dabei sohin um ein (selbständiges) Einschreiten von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Rahmen der StPO zur Aufklärung und Verfolgung einer Straftat. Dieses Handeln im Dienst der Strafjustiz („Kriminalpolizei“) zählt nicht zur Sicherheitspolizei bzw. Sicherheitsverwaltung; es handelt sich dabei jedoch um die Ausübung unmittelbarer Befehls‑ und Zwangsgewalt, die mit Maßnahmenbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht bekämpfbar ist (vgl. VwGH 10.11.2021, Ra 2021/01/0211, mwN).
26 Eine (zwangsweise) Vorführung (vgl. neben § 153 Abs. 3 StPO etwa auch § 176 Abs. 3, § 221 Abs. 1 und § 242 Abs. 1 StPO; vgl. weiters etwa § 46 SPG, § 19 Abs. 3 AVG) bewirkt zwar eine vorübergehende Einschränkung der persönlichen Freiheit der vorgeführten Person und stellt solcherart einen Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit dar (vgl. zu § 153 Abs. 3 StPO abermals Fuchs/Ratz, aaO Rz. 11; vgl. weiters etwa VfSlg. 12.656 betreffend Vorführung nach § 19 Abs. 3 AVG; VfSlg. 13.096 betreffend Vorführung zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe).
27 Der mit der Vorführung intendierte Zweck liegt jedoch ‑ anders als bei einer Festnahme (vgl. oben Rn. 22) ‑ nicht in der Freiheitsentziehung bzw. Freiheitsbeschränkung, sondern in der Überstellung einer Person an eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht, und zwar zu Zwecken der Teilnahme an einer Verhandlung, Einvernahme, Beweisaufnahme, ärztlichen Untersuchung, des Antritts einer Freiheitsstrafe etc.
28 Eine Vorführung (hier: nach § 153 Abs. 3 StPO) ist demnach keine Festnahme im Sinn des § 40 Abs. 1 SPG.
29 Dies erhellt im Übrigen auch daraus, dass die Rechtsordnung an verschiedenen Stellen eine Festnahme gerade zum Zweck einer Vorführung (vor eine Verwaltungs‑ oder Gerichtsbehörde) vorsieht und demnach klar zwischen diesen beiden Maßnahmen unterscheidet (vgl. etwa Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK, Art. 2 Abs. 1 Z 3 PersFrG; § 35 VStG; § 39 Abs. 1 FPG; § 40 Abs. 1 BFA‑VG). Einer Vorführung kann sohin ‑ in den gesetzlich geregelten Fällen ‑ die Festnahme der vorzuführenden Person vorangehen.
30 Für die Annahme, dass im vorliegenden Fall die Vorführung (rechtswidrig) solcherart erfolgt wäre, dass der Mitbeteiligte hiedurch in einer einer Festnahme gleichkommenden Weise in seiner persönlichen Freiheit beschränkt ‑ und sohin im Sinne des § 40 Abs. 1 SPG tatsächlich „festgenommen“ ‑ worden wäre, gibt es indes keine Anhaltspunkte.
III. Zur Frage einer analogen Anwendung des § 40 Abs. 1 SPG auf Fälle der Vorführung
31 Eine analoge Anwendung verwandter Rechtsvorschriften zur Lückenfüllung setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Bestehen einer echten (planwidrigen) Gesetzeslücke voraus. Eine solche Lücke ist nur dort anzunehmen, wo das Gesetz (gemessen an der mit seiner Erlassung verfolgten Absicht und seiner immanenten Teleologie) unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Im Zweifel ist das Unterbleiben einer bestimmten Regelung im Bereich des öffentlichen Rechts als beabsichtigt anzusehen (vgl. etwa VwGH 25.6.2020, Ra 2019/09/0157, mwN).
32 Bei der Regelung des § 40 Abs. 1 SPG handelt es sich zudem ‑ infolge der mit einer Personendurchsuchung in der Regel verbundenen Grundrechtseingriffe (vgl. oben Rn. 14) ‑ um ein sog. eingriffsnahes Gesetz, woraus sich im Hinblick auf den aus Art. 18 B‑VG abzuleitenden Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen das Erfordernis einer besonders genauen Determinierung des Eingriffstatbestandes ergibt (vgl. Muzak, B‑VG6 [2020] 169 und die dort zitierte Judikatur des VfGH, etwa VfSlg. 16.566).
33 Ausgehend von diesen Grundsätzen lässt die in § 40 Abs. 1 SPG normierte Beschränkung der Personendurchsuchung auf Fälle einer „Festnahme“ keine planwidrige Unvollständigkeit der Bestimmung erkennen bzw. verbietet sich die Ausdehnung des Anwendungsbereichs (im interpretativen Weg) auf Fälle der „Vorführung“ aus verfassungsrechtlichen Erwägungen.
IV. Ergebnis
34 Die Anwendung des § 40 Abs. 1 SPG setzt nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung die Festnahme der zu durchsuchenden Person durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes voraus. Die Vorführung nach § 153 Abs. 3 StPO stellt keine Festnahme im Sinne des § 40 Abs. 1 SPG dar. Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 40 Abs. 1 SPG auf Fälle der Vorführung (im Wege der Analogie) kommt nicht in Betracht.
35 Das Verwaltungsgericht ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen.
36 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
37 Mangels Einleitung eines Vorverfahrens gemäß § 36 Abs. 1 VwGG durch den Verwaltungsgerichtshof konnte ein Ersatz der Kosten für die seitens des Mitbeteiligten erstattete Revisionsbeantwortung nicht erfolgen (vgl. etwa VwGH 27.7.2016, Ra 2016/06/0070, mwN).
Wien, am 14. Dezember 2022
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