VwGH Ra 2019/02/0094

VwGHRa 2019/02/009411.9.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des S in W, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 17. Juli 2018, Zl. LVwG-602017/12/MK/Bb, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Wels-Land), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs1 Z1
StVO 1960 §20 Abs2
StVO 1960 §99
VStG §19 Abs2
VStG §44a Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §50

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020094.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber wurde mit Strafverfügung der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vom 6. April 2017 schuldig erkannt, er habe unter näher genannten Umständen am 2. April 2017 außerhalb eines Ortsgebietes die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 65 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden. Er habe dadurch § 52 lit. a Z 10a StVO übertreten, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe von EUR 330,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 133 Stunden) verhängt wurde. 2 Dagegen erhob der Revisionswerber Einspruch, worüber die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht mit Straferkenntnis vom 3. Juli 2017 wie folgt absprach:

"Dem Einspruch gegen die Strafverfügung vom 06.04.2017 wird keine Folge gegeben und die in der Strafverfügung festgesetzte Verwaltungsstrafe bestätigt."

3 Weiter werden im Spruch Rechtsgrundlagen, der zu zahlende Gesamtbetrag sowie Eingaben zur Zahlungsfrist angeführt. 4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass dessen Spruch wie folgt zu lauten habe:

"Sie haben am 2. April 2017 um 08:50 Uhr in der Gemeinde M ... mit dem Pkw, Kennzeichen XX, die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich, welcher außerhalb eines Ortsgebietes liegt, kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 65 km/h überschritten. Die in Betracht kommende Messtoleranz wurde bereits zu Ihren Gunsten abgezogen."

5 Der Revisionswerber habe dadurch § 52 lit. a Z 10a iVm § 99 Abs. 2e StVO verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe von EUR 330,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 133 Stunden) verhängt wurde. 6 Insoweit der Revisionswerber geltend mache, das angefochtene Straferkenntnis weise keinen Schuldspruch auf, vermöge er damit keine Rechtswidrigkeit aufzuzeigen. Der Revisionswerber habe gegen die Strafverfügung vom 6. April 2017 mit dem Tatvorwurf der Verwaltungsübertretung nach § 52 lit. a Z 10a iVm § 99 Abs. 2e StVO rechtzeitig Einspruch erhoben, wodurch dieser zwar gemäß § 49 Abs. 2 VStG außer Kraft getreten sei, dies ändere jedoch nichts daran, dass bereits durch die Erlassung der Strafverfügung eine gemäß § 31 Abs. 1 VStG taugliche Verfolgungshandlung innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist nach § 31 Abs. 2 leg. cit. vorgenommen worden sei. Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers sei es daher zulässig und auch geboten, im angefochtenen Straferkenntnis eine Spruchkorrektur vorzunehmen.

7 Zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht zusammenfassend aus, § 99 Abs. 2e StVO sehe u.a. für Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb des Ortgebietes um mehr als 50 km/h eine Strafe von EUR 150,-- bis zu EUR 2.180,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Freiheitsstrafe von 48 Stunden bis zu 6 Wochen, vor. Das vom Revisionswerber gelenkte Fahrzeug sei mittels eines technischen Messgerätes einer Geschwindigkeitsmessung unterzogen worden, wobei nach Abzug der Messtoleranz eine Fahrgeschwindigkeit von 135 km/h festgestellt worden sei. Somit habe das Ausmaß der Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h immerhin 65 km/h betragen. Es könne als bekannt vorausgesetzt werden, dass Geschwindigkeitsüberschreitungen, insbesondere in dem hier gegebenen sehr hohen Ausmaß, dem Rechtsgut "Verkehrssicherheit" sehr abträglich seien. Der Strafrahmen gelte außerhalb des Ortgebietes bereits ab einem Überschreitungsausmaß von 50 km/h, der Revisionswerber habe diese "Untergrenze" jedoch bedeutsam überschritten. Die nach der Anklage gegebene bisherige Unbescholtenheit des Revisionswerbers sei von der belangten Behörde in ausreichendem Maß berücksichtigt worden. Für eine Strafreduzierung finde sich daher kein Ansatz.

8 Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

9 Die gegen dieses Erkenntnis beim Verfassungsgerichtshof

erhobene Beschwerde hat dieser mit Beschluss vom 25. Februar 2019, E 3226/2018-21, abgelehnt und über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

10 Nunmehr hat der Revisionswerber wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Revision gegen das angefochtene Erkenntnis erhoben.

11 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht hat von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung abgesehen; der Revisionswerber hat eine weitere Äußerung eingebracht.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Als zulässig erachtet der Revisionswerber die Revision im Wesentlichen, weil das Verwaltungsgericht über seine Beschwerde gegen die als Straferkenntnis bezeichnete Erledigung der belangten Behörde nicht in der Sache hätte entscheiden dürfen, zumal das Straferkenntnis vom 3. Juli 2017 nicht den in § 44a VStG geforderten Anforderungen entspreche. Das Verwaltungsgericht hätte die Beschwerde mangels tauglichen Anfechtungsgegenstandes mit Beschluss zurückweisen müssen. Weiters habe das Verwaltungsgericht gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen, indem es bei der Strafbemessung berücksichtigt habe, dass der Revisionswerber die zulässige Höchstgeschwindigkeit bedeutend überschritten habe. 13 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

14 Gemäß § 99 Abs. 2e StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von EUR 150,-- bis EUR 2.180,--, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet. 15 Unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 VStG kann die Behörde ohne weiteres Verfahren durch Strafverfügung eine Geldstrafe bis zu EUR 600,-- festsetzen.

16 Nach § 49 Abs. 1 VStG kann der Beschuldigte gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben. Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht wird, dann ist das ordentliche Verfahren einzuleiten (§ 49 Abs. 2 VStG). Richtet sich der Einspruch nicht nur gegen das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten, tritt durch den Einspruch die gesamte Strafverfügung außer Kraft.

17 Das im dritten Abschnitt des VStG geregelte ordentliche Verfahren ist, wenn es nicht zu einer Einstellung oder einer Ermahnung kommt (§ 45 VStG), mit Straferkenntnis zu erledigen. Der Spruch des Straferkenntnisses hat, wenn er nicht auf Einstellung lautet, den Anforderungen des § 44a VStG zu entsprechen.

18 § 44a VStG lautet:

"Der Spruch hat, wenn er nicht auf Einstellung lautet, zu enthalten:

  1. 1. die als erwiesen angenommene Tat;
  2. 2. die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist;

    3. die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung;

  1. 4. den etwaigen Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche;
  2. 5. im Fall eines Straferkenntnisses die Entscheidung über die Kosten."

    19 Diesen Erfordernissen entspricht der Spruch des Straferkenntnisses vom 3. Juli 2017 im vorliegenden Fall nicht:

    20 Während in der Strafverfügung vom 6. April 2017 die entsprechenden Tatbestandselemente (die als erwiesen angenommene Tat; die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist; die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung) im Spruch enthalten sind und somit innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist zum Vorwurf gemacht wurden, finden sich diese im Spruch des Straferkenntnisses der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vom 3. Juli 2017 nicht mehr. 21 Nach § 50 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, über die Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

    22 § 50 VwGVG ist ein Teil des mit "Verfahren in Verwaltungsstrafsachen" überschriebenen 2. Abschnitts des 3. Hauptstückes ("Besondere Bestimmungen") und demnach "in Verwaltungsstrafsachen" anzuwenden. Während § 28 VwGVG unter engen Voraussetzungen den Verwaltungsgerichten erlaubt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen anstatt selbst die Sachentscheidung zu treffen, verpflichtet § 50 VwGVG das Verwaltungsgericht, über die Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist (vgl. etwa VwGH 1.10.2018, Ra 2018/03/0006). 23 "Sache" des Verwaltungsstrafverfahrens ist die dem Beschuldigten innerhalb der Verjährungsfrist zur Last gelegte Tat mit ihren wesentlichen Sachverhaltselementen, unabhängig von ihrer rechtlichen Beurteilung (vgl. etwa VwGH 8.3.2017, Ra 2016/02/0226, mwH).

    24 Nach § 44a Z 1 VStG ist es rechtlich geboten, die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, dass die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale ermöglicht wird (VwGH 23.1.2019, Ra 2018/02/0284, mwH). Eine nicht ausreichende Umschreibung der Tat iSd § 44a Z 1 VStG berechtigt das Verwaltungsgericht nicht, das Straferkenntnis zu beheben. Es ist vielmehr verpflichtet in der Sache selbst zu entscheiden und dabei die Tat in einer dem § 44a Z 1 VStG entsprechenden Weise zu präzisieren, darf aber dabei die Tat nicht auswechseln (etwa VwGH 30.1.2018, Ra 2017/01/0409).

    25 Die Strafverfügung vom 6. April 2017 bezieht sich auf den Revisionswerber als Beschuldigten, auf eine bestimmte Tatzeit (2. April 2017 um 08:50 Uhr), auf den ausreichend konkretisierten Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z 2 VStG. Die Strafverfügung stellt somit eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG dar. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht setzte dadurch eine innerhalb der Verfolgungsverjährung eine alle der Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente enthaltende Verfolgungshandlung (vgl. VwGH vom 20.11.2018, Ra 2017/02/0242, mwH).

    26 Unstrittig ist, dass dem Revisionswerber sowohl in der Strafverfügung vom 6. April 2017 (also innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist) als auch im Straferkenntnis vom 3. Juli 2017 und dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 17. Juli 2018 die Übertretung des § 52 lit. a Z 10a StVO iVm § 99 Abs. 2e StVO vorgeworfen wurde, weil er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 65 km/h im angeführten Bereich außerhalb des Ortsgebietes zu einer bestimmten Zeit überschritten hatte. Indem das Verwaltungsgericht die Tat in einer dem § 44a Z 1 VStG entsprechenden Weise präzisiert und den fehlerhaften Spruch der belangten Behörde richtig gestellt hat, ohne dabei die Tat auszuwechseln, ist es seiner für das Verfahren in Verwaltungsstrafsachen gesetzlich normierten Verpflichtung, in der Sache selbst zu entscheiden, nachgekommen.

    27 Wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, hat das Verwaltungsgericht jedoch gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen. Das Verwaltungsgericht - so der Revisionswerber - habe bei der Strafbemessung berücksichtigt, dass mit den festgestellten 135 km/h das Ausmaß der Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h immerhin 65 km/h betragen habe und als bekannt vorausgesetzt werden könne, dass Geschwindigkeitsüberschreitungen, insbesondere in dem hier gegebenen sehr hohen Ausmaß, dem Rechtsgut "Verkehrssicherheit" sehr abträglich seien. Bei dieser Argumentation liege nach Ansicht des Revisionswerbers ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot vor, weil die Überschreitung der außerhalb des Ortsgebietes zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h bereits Tatbestandsmerkmal der herangezogenen Strafnorm des § 99 Abs. 2e StVO sei. Das Verwaltungsgericht verstoße dadurch gegen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. 28 Gemäß der Judikatur zum Doppelverwertungsverbot dürfen Umstände, die für den Tatbestand oder den Strafsatz relevant sind, nicht noch zusätzlich als Strafzumessungsgründe berücksichtigt werden (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/02/0284, mwH). 29 Wie in der Revision zutreffend ausgeführt wurde, war im gegenständlichen Fall das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung

bereits für den anzuwendenden Strafsatz relevant, weshalb dieses Kriterium nicht auch noch in die Strafbemessung hätte einfließen dürfen. Der Gesetzgeber hat die mit einer erhöhten Geschwindigkeitsüberschreitung einhergehenden Umstände bereits durch die Gliederung der Absätze in § 99 StVO mit ihren unterschiedlichen Strafrahmen entsprechend gewichtet (vgl. erneut VwGH 23.1.2019, Ra 2018/02/0284; 6.7.2015, Ra 2015/02/0042). Aus diesen Erwägungen erweist sich der Strafausspruch des angefochtenen Erkenntnisses als mit Rechtswidrigkeit belastet. 30 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesem Grund wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

31 Die Kostenentscheidung gründete sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung.

Wien, am 11. September 2019

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