Normen
KFG 1955 §85 Abs1;
KFG 1967 §102 Abs1;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §38;
VwGVG 2014 §50;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017020242.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Aufwandersatzbegehren der revisionswerbenden Partei wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft vom 25. April 2017 wurde dem Mitbeteiligten zur Last gelegt, sich als Lenker, obwohl es ihm zumutbar gewesen sei, vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt zu haben, dass das von ihm am 17. Mai 2016 verwendete Fahrzeug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspreche, weil höchste zulässige Achslast der 2. und 3. Achse eines dem Kennzeichen nach näher bestimmten Lastkraftwagens - unter Angabe des jeweils zulässigen und des tatsächlichen, darüber hinausgehenden Gewichts - überschritten worden seien. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 102 Abs. 1 iVm § 101 Abs. 1 lit. a KFG übertreten, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs. 1 KFG Geldstrafen von EUR 260,-- und EUR 70,-- (Ersatzfreiheitsstrafen 130 und 35 Stunden) verhängt wurden.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde begründete der Mitbeteiligte im Wesentlichen mit dem Verdacht über Messfehler und der Bestreitung einer tatsächlichen Überladung.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der Beschwerde statt, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Weiters sprach es aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.
4 Begründend wurde ausgeführt, dass die verba legalia des § 102 Abs. 1 KFG dazu verpflichteten, sich vor der Inbetriebnahme vom Zustand des zu lenkenden Kraftfahrzeuges zu überzeugen. Das sei nicht deckungsgleich mit dem von der Revisionswerberin vorgeworfenen Antritt der Fahrt, weshalb die Tatbegehung während der Frist für die Verfolgungsverjährung in nicht ausreichend konkretisierter Form angelastet worden sei und nicht mehr korrigiert werden könne. Ähnliches gelte für die Formulierung "dass die höchste zulässige Achslast des(r) Lastkraftwagens".
5 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.
6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragt, die Revision nicht zuzulassen und in jedem Fall der Revision nicht Folge zu geben sowie die Revisionswerberin zum Aufwandersatz zu verpflichten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das angefochtene Erkenntnis weiche insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, als das Landesverwaltungsgericht die verba legalia des § 102 Abs. 1 KFG als Formalerfordernis für das Konkretisierungsgebot des § 44a VStG ansehe.
8 Die Revision ist - entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes, der zudem nur formelhaft, im Wesentlichen mit dem Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG, und damit nicht gesetzmäßig im Sinne des § 25a Abs. 1 VwGG begründet ist - zulässig und begründet:
9 Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Das erfordert in aller Regel die Angabe von Tatort, Tatzeit sowie des wesentlichen Inhaltes des Tatgeschehens (vgl. Lewisch/Fister/Weilguni, Verwaltungsstrafgesetz2, § 44a Rz 3, mwN).
10 Die Umschreibung der Tat hat so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist; sie darf keinen Zweifel daran bestehen lassen, wofür der Täter bestraft worden ist. Ungenauigkeiten bei der Konkretisierung der Tat haben nur dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Strafbescheides, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird. Die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat hat sich am jeweils in Betracht kommenden Tatbild zu orientieren (vgl. VwGH 13.12.2017, Ro 2017/02/0027 bis 0028, mwN).
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind an Verfolgungshandlungen im Sinn des § 32 Abs. 2 VStG hinsichtlich der Umschreibung der angelasteten Tat die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Tatumschreibung im Spruch des Straferkenntnisses nach § 44a Z 1 VStG. Eine die Verfolgungsverjährung nach § 31 VStG unterbrechende Verfolgungshandlung nach § 32 Abs. 2 VStG ist auf eine bestimmte physische Person als Beschuldigten, auf eine bestimmte Tatzeit, den ausreichend zu konkretisierenden Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a Z 2 VStG zu beziehen; die (korrekte) rechtliche Qualifikation der Tat ist hingegen nicht erforderlich. Es ist somit erforderlich, dass sich die Verfolgungshandlung im Sinn der §§ 31 und 32 VStG auf alle der späteren Bestrafung zugrunde liegenden Sachverhaltselemente beziehen muss (vgl. zu alldem VwGH 5.12.2017, Ra 2017/02/0186, mwN).
12 Gemäß § 102 Abs. 1 KFG darf ein Kraftfahrzeuglenker ein Kraftfahrzeug erst in Betrieb nehmen, wenn er sich, soweit dies zumutbar ist, davon überzeugt hat, dass das von ihm zu lenkende Kraftfahrzeug und ein mit diesem zu ziehender Anhänger sowie deren Beladung den hiefür in Betracht kommenden Vorschriften entsprechen.
13 Wenn die Revisionswerberin dem Mitbeteiligten eine Unterlassung vor Antritt der Fahrt zur Last legte, stimmt diese Umschreibung mit § 85 Abs. 1 Kraftfahrgesetz 1955 überein. Mit dem KFG 1967 wollte der Gesetzgeber in rechtssystematischer und sprachlicher Hinsicht die Einheit der Rechtssprache und die Eindeutigkeit und Bestimmtheit der Normen wahren (ErläutRV 98 BlgNR 10. GP 58 und ErläutRV 186 BlgNR 11. GP 68), wobei der neue - auf das Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges abstellende - § 102 Abs. 1 KFG 1967 dem bisherigen § 85 Abs. 1 Kraftfahrgesetz 1955 entsprechen soll (ErläutRV 186 BlgNR 11. GP 118).
14 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde die Beschreibung des Tatgeschehens dahingehend, dass sich ein Lenker eines Kraftfahrzeuges vor Antritt der Fahrt nicht davon überzeugt habe, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Vorschriften entspreche, obwohl dies aus näher geschilderten Gründen nicht zutreffe, für eine Subsumtion unter § 102 Abs. 1 KFG nicht beanstandet (vgl. VwGH 5.11.1997, 97/03/0105; VwGH 29.5.1998, 98/02/0050 und 0132; VwGH 30.1.2004, 2003/02/0020).
15 Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Mitbeteiligte durch die von der Revisionswerberin gesetzten Verfolgungshandlungen an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte gehindert oder der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt gewesen wäre.
16 Im Dunkeln bleibt die Begründung des Landesverwaltungsgerichtes, wonach die von der Revisionswerberin gewählte Formulierung über die Achslasten nicht ausreichend konkret sein solle.
17 Der Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes, dem Mitbeteiligten sei die Tatbegehung in nicht ausreichend konkretisierter Form angelastet worden, kann daher nicht beigetreten werden.
18 Das angefochtene Erkenntnis ist sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
19 Ein Aufwandersatz für die Amtsrevisionswerberin steht nach § 47 Abs. 4 VwGG nicht zu.
Wien, am 20. November 2018
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