VwGH Ra 2016/17/0302

VwGHRa 2016/17/030222.11.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, Hofrätin Mag.a Nussbaumer‑Hinterauer, Hofrat Mag. Brandl sowie die Hofrätinnen Mag. Liebhart‑Mutzl und Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revisionen 1. der Landespolizeidirektion Oberösterreich, sowie 2. des Bundesministers für Finanzen, gegen die Spruchpunkte I. sowie III. bis V. der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 24. September 2016, LVwG‑480003/14/Gf/MSch/DC/Mu, LVwG‑480004/14/Gf/MSch/DC/Mu, betreffend Maßnahmenbeschwerde (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich; mitbeteiligte Parteien: 1. F KFT in S, 2. N S in L, beide vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hafferlstraße 7/2. Stock):

Normen

AVG §59 Abs1
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
GSpG 1989 §3
GSpG 1989 §4
GSpG 1989 §50 Abs4
HausRSchG 1862
VwGG §28 Abs1 Z4
VwGG §28 Abs2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016170302.L00

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte III. und V. der angefochtenen Entscheidung richtet, zurückgewiesen.

Der Bund hat den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. zu Recht erkannt:

A. Die Revision des Bundesministers für Finanzen wird abgewiesen.

Der Bund hat den mitbeteiligten Parteien weitere Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B. Die angefochtene Entscheidung wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und IV. wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Am 22. Juni 2016 fand eine glücksspielrechtliche Kontrolle in einem Lokal in Wels statt. In der Folge erhoben die Lokalbetreiberin sowie die im Lokal befindliche Angestellte (die nunmehrigen mitbeteiligten Parteien) eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B‑VG gestützte Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG).

2 Mit der angefochtenen Entscheidung des LVwG wurde mit Spruchpunkt I. ausgesprochen, dass die erstmitbeteiligte Partei durch das zwangsweise Eindringen von Beamten des Einsatzkommandos Cobra, der Bundespolizei sowie der Finanzpolizei in ihre Betriebsräumlichkeiten in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Hausrechts verletzt worden sei. Mit Spruchpunkt II. wurde ausgesprochen, dass die von Beamtinnen der Bundespolizei vorgenommene Durchsuchung die zweitmitbeteiligte Partei in ihrem Grundrecht auf Menschenwürde und auf Nichtvornahme einer erniedrigenden Behandlung verletzt habe. Mit Spruchpunkt III. wurde die Beschwerde, soweit sie sich gegen das Abdecken von Kameraobjektiven durch Beamte der Finanzpolizei richtete, als unzulässig zurückgewiesen. Die Spruchpunkte IV. und V. betreffen die Kostenvorschreibung an die jeweils obsiegende Partei. Mit Spruchpunkt VI. erklärte das LVwG die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

3 Das LVwG stellte folgenden Sachverhalt fest: Am 5. Juni 2016 hätten Beamte des Stadtpolizeikommandos Wels in einem näher bezeichneten Lokal wegen des Verdachts der Übertretung des GSpG eine Kontrolle durchgeführt. Das Lokal habe nur durch den unversperrten Hinterausgang betreten werden können. Es sei festgestellt worden, dass sich im Lokalinneren mehrere Automaten befunden hätten. Mangels Teilnahme eines Sachverständigen der Finanzpolizei sei keine vorläufige Beschlagnahme ausgesprochen worden. In der Folge sei für den 22. Juni 2016 eine neuerliche Kontrolle von der LPD Oberösterreich sowie der Finanzpolizei vereinbart worden. Diese Kontrolle sei von einem bestimmten Angehörigen des Polizeikommissariates Wels geleitet worden. An dem Einsatz seien Beamte der Finanzpolizei, Exekutivbeamte der Bundespolizei sowie des Einsatzkommandos Cobra beteiligt gewesen. Alle Beamten seien weisungsmäßig dem Einsatzleiter der LPD unterstanden, die der Finanzpolizei darüber hinaus ‑ nämlich: bezüglich der Überprüfung und Bespielung der Automaten ‑ auch der Leitungsbefugnis einer bestimmten anderen Person. Es habe sich ausschließlich um eine Kontrolle gemäß § 50 Abs. 4 GSpG gehandelt; der Zweck der Amtshandlung habe im Auffinden (vermeintlich) illegaler Glücksspielautomaten bestanden, wobei sich die Verdachtslage auf die vorangegangene Kontrolle am 5. Juni 2016 gegründet habe. Eine staatsanwaltschaftliche Ermächtigung sei nicht vorgelegen. Vor der Kontrolle habe eine Einsatzbesprechung stattgefunden, bei der unter anderem geklärt worden sei, wie man sich Zutritt zu den Räumlichkeiten verschaffen wolle; aufgrund der Kontrolle am 5. Juni 2016 sei bekannt gewesen, dass es mehrere Türen mit Riegeln bzw. Querbalken gegeben habe. Ein vorab kontaktierter Schlüsseldienst habe dazu angegeben, dass deren Öffnung sehr lange dauern würde bzw. technisch überhaupt nicht möglich sei; die Feuerwehr habe das Öffnen der Tür mit dem Hinweis, dass dies „zu gefährlich“ sei, abgelehnt, weshalb in der Folge das Einsatzkommando Cobra vom Einsatzleiter beigezogen worden sei. In der Einsatzbesprechung habe sich ergeben, dass die Automaten möglicherweise Reizgas versprühen könnten und dass ein solcher Effekt mittels Funkfernbedienung ausgelöst werden könne.

4 Da die Lokaltür in der Folge trotz Androhens von Zwang nicht geöffnet worden sei, sei die Eingangstür unter Verwendung eines Rammbocks, eines Spatens und eines Winkelschleifers gewaltsam aufgebrochen worden. Auch weitere Türen seien gewaltsam geöffnet worden; die Beamten seien dabei teilweise maskiert gewesen und hätten Waffen getragen. In einem unversperrten Kellerraum sei die zweitmitbeteiligte Partei vorgefunden worden, die von mehreren Polizeibeamtinnen nach einem Funkfernauslöser durchsucht worden sei. Die zweitmitbeteiligte Partei habe sich dazu auch ausziehen müssen; in der Folge sei ihre Handtasche durchsucht und ihr das Mobiltelefon abgenommen worden. Eine Fernbedienung sei nicht gefunden worden. Die zweitmitbeteiligte Partei habe sich unkooperativ, aber nicht aggressiv verhalten. Zwei Überwachungskameras seien mit Post‑its abgedeckt worden. Ein Bespielen der vorgefundenen Geräte sei nicht möglich gewesen. Diese seien vorläufig in Beschlag genommen worden und zwar derart, dass diese vor Ort belassen, jedoch mit amtlichen Siegeln versehen worden seien.

5 Rechtlich führte das LVwG aus, dass vor dem Hintergrund der näher dargestellten Rechtslage die Bediensteten der Finanzpolizei als gesetzlich dazu befugt anzusehen seien, aus eigenem Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt zu setzen. In diesem Fall würden sie jedoch nicht „als Abgabenbehörde“, sondern als Hilfsorgane tätig. Die Kompetenzen für Verwaltungsstrafverfahren und Betriebsschließungsverfahren lägen jedoch bei den Bezirksverwaltungsbehörden bzw. der LPD. Der Abgabenbehörde komme keine Kompetenz zu, den Bediensteten der Finanzpolizei als ihre Hilfsorgane eine Ermächtigung zur Setzung von Zwangsakten zu erteilen. Eine Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes (BFG) komme daher nur in Betracht, soweit Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt von Organwaltern der Finanzpolizei aus eigenem gesetzt worden seien. Sofern Organe der Finanzpolizei aufgrund eines auf § 50 Abs. 1 erster Satz GSpG gestützten Auftrags der LPD hin eingeschritten seien, sei das Landesverwaltungsgericht zur Entscheidung zuständig. Da die Kontrolle unter Leitung der LPD Oberösterreich stattgefunden habe, sei das Betreten des Lokals der LPD zuzurechnen. Lediglich soweit es um die autonome Begutachtung und Bespielung der aufgefundenen Geräte und damit im Zusammenhang stehende Maßnahmen ‑ wie das Abdecken der Objektive sowie die Anbringung von Amtssiegeln ‑ gehe, lägen Akte der Finanzpolizei vor, für deren Überprüfung das BFG zuständig sei.

6 Weiters führte das LVwG aus, das im GSpG verankerte Monopolsystem sei nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Da eine Bestrafung der beiden mitbeteiligten Parteien daher rechtswidrig sei, erwiesen sich das gewaltsame Betreten des Lokals sowie die Durchsuchung der zweitmitbeteiligten Partei schon deshalb als rechtswidrig. Selbst bei Außerachtlassung der Unionsrechtswidrigkeit käme man jedoch zu keinem anderen Ergebnis: Es seien nämlich die Bestimmungen des HausrechtsG zu beachten. Dies bedeute, dass Exekutivbeamte der Bundespolizei im Fall der eigenmächtigen Vornahme einer Hausdurchsuchung selbst bei Gefahr im Verzug einer vorangehenden schriftlichen Ermächtigung der Behörde bedürften. Da keine solche behördliche Ermächtigung vorliege, sei das zwangsweise Betreten des Lokals rechtswidrig sowie überdies unverhältnismäßig. Es sei nämlich nicht versucht worden, durch die Hintertür in das Lokal zu gelangen; die Beamten des Einsatzkommandos Cobra hätten darauf hingewiesen, dass im Fall der zwangsweisen Öffnung der Eingangstür mit einem erheblichen Sachschaden zu rechnen sei. Die Beiziehung der Einsatzgruppe Cobra sei rechtlich nicht gedeckt gewesen. Deren Vorgangsweise sei ein überschießendes Instrumentarium. Da Gefahr im Verzug nicht vorgelegen sei, hätte es zwingend einer Ermächtigung der Staatsanwaltschaft, die sich auf eine entsprechende richterliche Bewilligung hätte gründen müssen, bedurft. Da der Reizgasaustritt „lediglich als eine vielleicht doch nicht gänzlich auszuschließende Gefährdung in Erwägung gezogen“ worden sei, könne die Durchsuchung der Handtasche nicht auf § 40 SPG gestützt werden. Von der zweitmitbeteiligten Partei sei keine Gefahr ausgegangen; sie sei auch nicht festgenommen worden. Eine andere Rechtsgrundlage komme aber nicht in Betracht. Die Aufforderung, die Kleider auszuziehen, sei unverhältnismäßig gewesen, ebenso die Aufforderung, sich nach vorne zu beugen. Die entsprechende Amtshandlung sei daher rechtswidrig gewesen.

7 Gegen Spruchpunkt I. dieser Entscheidung erhob der Bundesminister für Finanzen (BMF) fristgerecht Revision. Zur Zulässigkeit führte er aus, dass das LVwG bei der Beurteilung der Unionsrechtskonformität des GSpG von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Darüber hinaus sei die Frage der sachlichen Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt, die im Zuge von Glücksspielkontrollen von Organen der Finanzpolizei gesetzt werden, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Es gebe noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung der gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen der §§ 12 AVOG und 50 GSpG. Das LVwG sei aus näher dargelegten Gründen zur Behandlung der Maßnahmenbeschwerde in Bezug auf die Finanzpolizei sachlich nicht zuständig.

8 Darüber hinaus erhob die Landespolizeidirektion Oberösterreich gegen alle Spruchpunkte der Entscheidung Revision. Zur Zulässigkeit brachte sie u.a. vor, dass das LVwG von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, weil die bloße Besichtigung eines durch das Hausrecht geschützten Raumes keine Hausdurchsuchung darstelle.

9 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung, in der sie den Ausführungen der Revisionswerber entgegentraten und die kostenpflichtige Ab‑ bzw. Zurückweisung der Revisionen sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragten.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der beiden Revisionen wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung erwogen:

11 Im Fall einer Amtsrevision geht es nicht um die Geltendmachung subjektiver Rechte, weshalb in solchen Revisionen das Formerfordernis der Angabe der Revisionspunkte nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG nicht zum Tragen kommt. Die Grenzen des Rechtsstreites werden bei Amtsrevisionen durch die Anfechtungserklärung des Revisionswerbers gezogen.

12 Dabei tritt an die Stelle der Angabe der Revisionspunkte nach § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG das in § 28 Abs. 2 VwGG enthaltene Gebot der Erklärung über den Umfang der Anfechtung. Diesem Gebot ist bereits dann entsprochen, wenn die Revision die Angabe enthält, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit angefochten werde (vgl. VwGH 26.6.2014, Ra 2014/03/0004, mwH). Da die vorliegende Revision der LPD diese Angabe enthält, erweist sie sich insoweit als zur ordnungsgemäßen Behandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof geeignet.

13 Die Revision des Bundesministers für Finanzen wendet sich im Sinne des in dieser Revision ausdrücklich gestellten Aufhebungsantrages nur gegen Spruchpunkt I., die der LPD aufgrund des unbeschränkten Aufhebungsantrages jedoch gegen alle Spruchpunkte der angefochtenen Entscheidung.

14 Liegen ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ in der angefochtenen Entscheidung trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu prüfen (vgl. dazu VwGH 21.6.2017, Ro 2016/03/0011).

15 Im Hinblick auf Spruchpunkt III. wird von der LPD weder in der Zulässigkeitsbegründung eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, noch wird auf diesen Spruchpunkt in der Revision an irgendeiner Stelle explizit Bezug genommen. Die Revision der LPD erweist sich daher, soweit sie sich gegen Spruchpunkt III. (und der mit Spruchpunkt III. in untrennbarem Zusammenhang stehenden Kostenentscheidung in Spruchpunkt V.) richtet, mangels gesonderter Darlegung der maßgeblichen Zulässigkeitsgründe als unzulässig und war aus diesem Grund zurückzuweisen (VwGH 17.10.2017, Ro 2016/01/0011).

16 Über die Revision der LPD gegen die Entscheidung über die auf dem SPG gründende Zwangsmaßnahmen (Spruchpunkt II.) entscheidet der nach der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichtshofes dafür zuständige Senat.

17 Zur Entscheidung über die gegen Spruchpunkt I. und IV. erhobenen Revisionen:

18 A) Zur Revision des BMF:

19 Soweit in der Revision des BMF zur Zulässigkeit geltend gemacht wird, das LVwG sei von näherer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zur Beurteilung der Unionsrechtskonformität abgewichen, ist auszuführen, dass der Verwaltungsgerichtshof seit seiner Entscheidung vom 10. Oktober 2016, Fr 2016/17/0005, die Auffassung vertritt, dass bei Kontrollen gemäß § 50 Abs. 4 GSpG und bei solche Kontrollen zum Gegenstand habenden Maßnahmenbeschwerden eine allfällige Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols des Bundes und eine etwa daraus folgende Unanwendbarkeit der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen des GSpG, insbesondere der sich darauf beziehenden Strafbestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG sowie der §§ 53 und 54 GSpG betreffend die Beschlagnahme und Einziehung von Glücksspielautomaten und sonstigen Eingriffsgegenständen, mit denen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, nicht zwangsläufig die Rechtswidrigkeit einer Kontrolle gemäß § 50 Abs 4 GSpG und damit verbundener Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt bewirkt. Fragen der Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des GSpG stellen sich daher im vorliegenden Verfahren nicht, weshalb ein Abweichen des LVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der Unionsrechtskonformität (insbesondere VwGH 16.3.2016, Ro 2015/17/0022) im hier vorliegenden Zusammenhang keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuwerfen vermag (VwGH 6.7.2017, Ra 2017/17/0451).

20 Eine Abweichung der Entscheidung des LVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Unbeachtlichkeit der Beurteilung der Unionsrechtswidrigkeit in Maßnahmebeschwerdeverfahren wird vom BMF nicht geltend gemacht. Insofern wird daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt.

21 Soweit der BMF vorbringt, es sei eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, welches Verwaltungsgericht sachlich über das zwangsweise Betreten der Geschäftsräumlichkeiten durch Organe der Finanzpolizei zu entscheiden habe, erweist sich die Revision als zulässig.

22 Sie ist insofern jedoch nicht berechtigt:

23 Wie der Verwaltungsgerichtshof ist seinem Erkenntnis vom 22. November 2017, Ro 2016/17/0003, ausgeführt hat, ist bei aus eigenem durchgeführten, auf § 50 Abs. 4 GSpG gestützten Kontrollen der Finanzpolizei das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung über eine aus Anlass einer solchen Kontrolle erhobenen Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B‑VG zuständig. Auf die näheren Ausführungen dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

24 Im vorliegenden Fall lag nach den Sachverhaltsfeststellungen des LVwG jedoch keine von den Organen der Finanzpolizei aus eigenem durchgeführte Amtshandlung im Hinblick auf das zwangsweise Betreten der Geschäftsräumlichkeiten vor: Das LVwG stellte fest, dass zwischen der zuständigen Verwaltungsstrafbehörde (der LPD Oberösterreich) sowie den Organen der Finanzpolizei eine gemeinsame Kontrolle vereinbart worden sei. Die Amtshandlung sei von einem bestimmten Mitarbeiter der LPD geleitet worden. Die Anordnung zur Anwendung von Zwangsgewalt zur Öffnung der Türen sei von diesem Einsatzleiter der LPD gekommen, die Zwangsgewalt sei von Organwaltern der LPD ausgeübt worden, die in der Folge auch als erste die Geschäftsräumlichkeiten betreten haben.

25 Aus diesem Grund ist zur Entscheidung über die hier vorliegende, eine einheitliche und insofern nicht trennbare Amtshandlung ‑ nämlich das zwangsweise Betreten der Geschäftsräumlichkeiten durch verschiedene Organwalter ‑ betreffende Maßnahmenbeschwerde auch bezüglich des Betretens durch Organwalter der Finanzpolizei das LVwG zuständig.

26 Es liegt daher keine Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des LVwG vor. Die Revision des BMF ist insoweit nicht berechtigt.

27 B) Zur Revision der LPD:

28 Die Revision der LPD erweist sich bereits im Hinblick auf das Vorbringen, das LVwG sei bei der Beurteilung des Betretens des Lokals von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, als zulässig.

29 Die Revision ist auch berechtigt:

30 Die Absätze 1 bis 4 des § 50 GSpG, BGBl. Nr. 620/1989 idF BGBl. I Nr. 118/2015, lauteten wie folgt:

„STRAF‑ UND VERFAHRENSBESTIMMUNGEN

Behörden und Verfahren

§ 50. (1) Für Strafverfahren und Betriebsschließungen nach diesem Bundesgesetz sind die Bezirksverwaltungsbehörden, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Landespolizeidirektion zuständig. Gegen diese Entscheidungen kann Beschwerde an ein Verwaltungsgericht des Landes erhoben werden.

(2) Diese Behörden können sich der Mitwirkung der Organe der öffentlichen Aufsicht bedienen und zur Klärung von Sachverhaltsfragen in Zusammenhang mit den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes die Amtssachverständigen des § 1 Abs. 3 hinzuziehen. Zu den Organen der öffentlichen Aufsicht zählen jedenfalls die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Abgabenbehörden.

(3) Zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind die Organe der öffentlichen Aufsicht auch aus eigenem Antrieb berechtigt. Die Organe der Abgabenbehörden können zur Sicherung der Ausübung ihrer Überwachungsbefugnisse die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes hinzuziehen.

(4) Die Behörde nach Abs. 1 und die in Abs. 2 und 3 genannten Organe sind zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgaben berechtigt, Betriebsstätten und Betriebsräume sowie Räumlichkeiten zu betreten, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erforderlich ist. Veranstalter und Inhaber sowie Personen, die Glücksspieleinrichtungen bereithalten, haben der Behörde nach Abs. 1, dem Amtssachverständigen (§ 1 Abs. 3) und den Organen der öffentlichen Aufsicht umfassend Auskünfte zu erteilen, umfassende Überprüfungen und Testspiele unter Bereitstellung von Geld oder Spieleinsätzen zu ermöglichen und Einblick in die geführten Aufzeichnungen, in die Aufzeichnungen der Glücksspieleinrichtungen und in die nach diesem Bundesgesetz aufzulegenden Spielbeschreibungen zu gewähren sowie dafür zu sorgen, dass eine anwesende Person diesen Verpflichtungen gegenüber Kontrollorganen nachkommt. Die Behörde nach Abs. 1 und die in Abs. 2 und 3 genannten Organe sind ermächtigt, diese Überwachungsaufgaben mit unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt durchzusetzen. Die Ausübung ist dem Betroffenen anzudrohen. Die Organe haben deren Ausübung zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde, sich zeigt, dass er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann oder der angestrebte Erfolg außer Verhältnis zu dem für die Durchsetzung erforderlichen Eingriff steht. Eine Gefährdung des Lebens oder eine nachhaltige Gefährdung der Gesundheit ist jedenfalls unzulässig.“

31 Gemäß § 50 Abs. 4 GSpG sind die Behörden gemäß § 50 Abs. 1 leg. cit. (die Bezirksverwaltungsbehörden bzw. die Landespolizeidirektion) und die in § 50 Abs. 2 und 3 GSpG genannten Organe (Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Abgabenbehörden) zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgaben berechtigt, Betriebsstätten und Betriebsräume sowie Räumlichkeiten zu betreten, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des GSpG erforderlich ist. Die Behörde nach Abs. 1 und die in Abs. 2 und 3 genannten Organe sind ermächtigt, diese Überwachungsaufgaben mit unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls‑ und Zwangsgewalt durchzusetzen.

32 Eine Kontrolle nach § 50 Abs. 4 GSpG dient nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der Überwachung der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes und nicht nur ausschließlich der Überwachung der Einhaltung des in den §§ 3 und 4 GSpG normierten Glücksspielmonopols. Sinn und Zweck einer Kontrolle gemäß § 50 Abs. 4 GSpG ist es, einen Sachverhalt festzustellen, der die Beurteilung ermöglicht, ob die Bestimmungen des GSpG und nicht nur jene das Glücksspielmonopol des Bundes betreffenden Bestimmungen eingehalten werden (vgl. VwGH 19.12.2016, Ra 2016/17/0038; 6.7.2017, Ra 2017/17/0451, mwN).

33 Dabei ist es den Organen bei Kontrollen nach dem GSpG unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gestattet, jene Maßnahmen zu setzen, die für den reibungslosen Ablauf einer glücksspielrechtlichen Kontrolle notwendig sind (vgl. VwGH 15.12.2014, 2011/17/0333).

34 Es ist nicht Voraussetzung für ein derartiges Betreten von Betriebsstätten zu Kontrollzwecken, dass schon vor dem Betreten feststeht, dass eine Übertretung des Glücksspielgesetzes stattgefunden habe. Sinn und Zweck einer Kontrolle ist es ‑ wie bereits ausgeführt ‑, einen Sachverhalt festzustellen, der die Beurteilung ermöglicht, ob die Bestimmungen des GSpG eingehalten werden (VwGH 18.12.2013, 2013/17/0293; 6.7.2017, Ra 2017/17/0451).

35 Dieses Betretungsrecht ist seit der Novelle BGBl. I Nr. 118/2015 nach dem expliziten Gesetzeswortlaut auch mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchsetzbar, sodass verschlossene Haus‑ oder Zimmertüren geöffnet werden dürfen (vgl. die Materialien RV 684 BlgNR 25. GP , S 33). Die Einholung einer schriftlichen Ermächtigung ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht vorgesehen.

36 Das von § 50 Abs. 4 GSpG normierte Betretungsrecht ist dabei von einer Hausdurchsuchung zu trennen: Das bloße Betreten (einer Wohnung oder Geschäftsräumlichkeit), ohne dort nach etwas zu suchen, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht als Hausdurchsuchung zu beurteilen (vgl. z.B. VfSlg. 13.049/1992, VfSlg. 14.868/1997).

37 Die vom LVwG angestellten Überlegungen zum HausrechtsG sowie zur StPO sind angesichts der vom LVwG getroffenen Feststellungen, wonach die einschreitenden Beamten die Geschäftsräumlichkeiten lediglich ‑ wenn auch unter Anwendung von Zwangsgewalt ‑ betreten haben, daher nicht nachvollziehbar (vgl. zu in anderen Gesetzen eingeräumten Betretungsrechten die ständige Judikatur des VwGH: 8.9.1995, 95/02/0204 zu § 50 FrG; 31.1.2013, 2008/04/0217 zu § 338 GewO; 19.1.2010, 2007/05/0254 zu § 35 TSchG).

38 Insoweit das LVwG das zwangsweise Betreten der Geschäftsräumlichkeiten als unverhältnismäßig qualifizierte, weil mehrere Türen aufgebrochen werden mussten und nicht versucht wurde, über den ‑ im Übrigen nach dem Akteninhalt auch durch Querbalken gesicherten ‑ Hinterausgang in das Lokal zu gelangen, ist festzuhalten, dass für eine derartige Beurteilung feststehen müsste, dass den konkret einschreitenden Beamten, bevor sie in das Lokal eingedrungen sind, bekannt war, dass sie mit geringerer Gewaltanwendung durch den Hintereingang in das Lokal hätten gelangen können. Derartige Feststellungen liegen hier nicht vor. Nach den Feststellungen des LVwG haben die einschreitenden Beamten zunächst versucht, ohne Anwendung von Gewalt in die Räumlichkeiten zu gelangen, was jedoch mangels Reaktion der im Lokal befindlichen Angestellten nicht möglich war. Durch das Anbringen zahlreicher Hindernisse, die ein Betreten der Räumlichkeiten verhindern sollten, wurde in Kauf genommen, dass die erfolgte Gewaltanwendung notwendig wurde.

39 Der Revision der LPD gegen die zusammenhängenden Spruchpunkte I. und IV. (der zweitgenannte Spruchpunkt betrifft die Kostenentscheidung zu Spruchpunkt I.) war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts Folge zu geben (vgl. zu zusammenhängenden Kostenentscheidungen: VwGH 11.5.2017, Ra 2015/21/0240).

40 Über die Revision der LPD gegen den Spruchpunkt II. der Entscheidung ergeht ‑ wie erwähnt ‑ eine gesonderte Entscheidung durch den hiefür zuständigen Senat des Verwaltungsgerichtshofes.

41 Die Kostenentscheidungen gründen sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung.

42 Die Revision der LPD war, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte III. und V. der angefochtenen Entscheidung richtete, nach § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG mit Beschluss zurückzuweisen.

43 Von der von den mitbeteiligten Parteien beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1, 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 22. November 2017

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