VwGH Ra 2015/09/0053

VwGHRa 2015/09/005310.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Höhl, über die außerordentliche Revision der Disziplinaranwältin der Stadt Wien in 1082 Wien, Rathaus, Stiege 4, Hochparterre, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. März 2015, Zl. VGW- 171/083/34296/2014-16, betreffend Disziplinarangelegenheit nach der Wiener Dienstordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarkommission der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: XY in W; weitere Partei:

Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
BDG 1979 §92 Abs1 Z4;
BDG 1979 §93 Abs1 idF 2008/I/147;
BDG 1979 §93 idF 2008/I/147;
B-VG Art133 Abs4;
DO Wr 1994 §77 Abs1 Z2;
DO Wr 1994 §77 Abs1 Z3;
DO Wr 1994 §77 Abs3 idF 2010/002;
DO Wr 1994 §77;
StGB §32 Abs2;
StGB §32;
StGB §33;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §29 Abs1;
VwRallg;
ZPO §502;
ZPO §528;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
BDG 1979 §92 Abs1 Z4;
BDG 1979 §93 Abs1 idF 2008/I/147;
BDG 1979 §93 idF 2008/I/147;
B-VG Art133 Abs4;
DO Wr 1994 §77 Abs1 Z2;
DO Wr 1994 §77 Abs1 Z3;
DO Wr 1994 §77 Abs3 idF 2010/002;
DO Wr 1994 §77;
StGB §32 Abs2;
StGB §32;
StGB §33;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §29 Abs1;
VwRallg;
ZPO §502;
ZPO §528;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien und war im Tatzeitraum in der Magistratsabteilung X (in der Folge: MA) als Betriebsassistent tätig. Zu seinen Aufgaben zählte die Ahndung von Übertretungen des Wiener Reinhaltegesetzes mittels Organstrafverfügungen.

Mit Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission der Stadt Wien vom 16. Oktober 2014 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe es als Betriebsassistent der MA unterlassen, die ihm übertragenen Geschäfte unter Beachtung der bestehenden Rechtsvorschriften mit Sorgfalt und Fleiß zu besorgen sowie dem Gebot im Dienst alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, die seiner Stellung entgegengebracht werden, untergraben könnte, zuwider gehandelt, indem er im Zeitraum vom 14. Oktober 2011 bis 22. Oktober 2013 in 17 detailliert angeführten Fällen die von ihm in Vollziehung des Wiener Reinhaltegesetzes mit Organstrafverfügungen in der Höhe von jeweils EUR 36,-- eingehobene Geldstrafen nicht binnen einer Frist von sieben Tagen ab Vereinnahmung an die MA abgeführt, sondern sich mit dem Vorsatz zugeeignet habe, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern.

Wegen dieser Verletzungen seiner Dienstpflichten nach § 18 Abs. 1 erster Satz der Dienstordnung 1994 (DO 1994) wurde über ihn gemäß § 76 Abs.1 Z 3 DO 1994 die Disziplinarstrafe der Geldstrafe in Höhe des vierfachen Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage verhängt.

Die gegen die Strafhöhe dieser Entscheidung erhobene und auf die Verhängung einer Entlassung gerichtete Beschwerde der Disziplinaranwältin wies das Verwaltungsgericht Wien - nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und bestätigte das Erkenntnis der Disziplinarkommission. Die Revision wurde nicht zugelassen.

In der Begründung seiner Entscheidung stellte das Verwaltungsgericht nach Darlegung des Verfahrensganges (darunter auszugsweiser Wiedergabe der Aussagen des Mitbeteiligten in der Verhandlung beim Verwaltungsgericht) zur Strafbemessung fest, dass der Mitbeteiligte die von ihm einbehaltenen Strafbeträge von EUR 36,-- für seine wöchentlichen Essensausgaben dringend benötigte habe, weil er sich - entstanden durch Lohnpfändungen - in einer finanziellen Notlage befunden habe. Im Weiteren führte es im Wesentlichen aus, dass der Mitbeteiligte, der mittlerweile in den Bereich der Straßenreinigung der MA versetzt worden sei, durch seine Handlungen, wodurch er fortgesetzt über zwei Jahre hinweg insgesamt einen Betrag von EUR 612,-- nicht ordnungsgemäß abgeführt habe, das Vertrauensverhältnis zwischen sich und dem Dienstgeber grundlegend zerstört habe. Für die Frage der Zulässigkeit des Ausspruches einer Entlassung sei aber auch gemäß § 77 Abs. 3 DO 1994 zu prüfen, ob nicht ein besonderer Grund vorläge, der die an sich gebotene Entlassung hintanhalten könne. Vielmehr sei in Fällen einer besonderen Schuldkonstellation eine Entlassung stets untunlich, wenn nämlich die Tat auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen sei, die diese Übertretung auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte.

In diesem Zusammenhang sei darauf zu verweisen, dass der Mitbeteiligte bewusst und vorsätzlich gehandelt habe. Dennoch habe er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht glaubwürdig vermittelt, dass seine durch Lohnpfändungen entstandene finanzielle Notlage ihn dazu veranlasst habe, das einbehaltene Geld für den Einkauf von Essen zu verwenden. Dies habe er eindringlich und nachvollziehbar geschildert. Das Verwaltungsgericht gehe davon aus, dass im vorliegenden Fall von einem besonderen Beweggrund im Sinn des § 77 Abs. 3 DO 1994 auszugehen sei, weshalb die Entlassung daher nicht auszusprechen gewesen sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision der Disziplinaranwältin. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Allein das Vorbringen der Revisionswerberin in der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ist maßgeblich für die Zulassung. Dem Erfordernis, dass die Revision gesondert die Gründe zu enthalten hat, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen, wird nicht schon durch nähere Ausführungen zur behaupteten Rechtswidrigkeit der bekämpften Entscheidung nach § 28 Abs. 1 Z. 5 VwGG Genüge getan (vgl. den hg. Beschluss vom 25. März 2014, Ra 2014/04/0001). Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage "abhängt". Im Zulassungsvorbringen ist daher konkret darzutun, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juli 2014, Ro 2014/04/0055).

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 16 , RV 2009 BlgNR 24. GP 10f) betonen, dass die Kriterien der außerordentlichen Revision jenen nachgebildet worden sind, die in den §§ 502 und 528 ZPO für die Zulassung der Revision bzw. des Revisionsrekurses an den Obersten Gerichtshof aufgestellt werden. Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung können nicht nur solche des materiellen sondern auch des Verfahrensrechtes sein. Eine solche erhebliche Bedeutung kommt der Entscheidung jedenfalls dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. dazu die Urteile des OGH vom 19. September 1984, 1 Ob 660/84, und vom 12. April 2007, 2 Ob 227/05; sowie die hg. Erkenntnisse vom 20. November 2014, Ra 2014/07/0052, und vom 24. März 2015, Ra 2015/09/0011).

Die Revisionswerberin bringt für die Zulässigkeit der Revision zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht stütze sich in seiner Entscheidung auf die Bestimmung des § 77 Abs. 3 DO 1994, welche erst mit der Novelle zur Dienstordnung 1994, LGBl. Nr. 2/2010, hinzugekommen sei; es fehle zur Lösung der - hier relevanten - Rechtsfrage, ob eine Entlassung gerade wegen dieser Ausnahmebestimmung nicht zu verhängen ist, wenn "die Tat auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte", Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

In den Revisionsgründen wird eine unrichtige Auslegung des § 77 Abs. 3 DO 1994 moniert und vermeint, dass dessen Ausnahmeregelung nicht das Vorliegen finanzieller Engpässe mitumfassen würde bzw. nicht vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen sei. Darüber hinaus wendet die Revisionswerberin als Verfahrensmangel im Wesentlichen ein, dass für die Annahme einer finanziellen Notlage eine amtswegige Überprüfung der Situation bei jedem einzelnen Zugriff (also bei jedem einzelnen Nichtabführen der eingenommen EUR 36,--) notwendig, jedoch unterblieben sei und eine genaue Darlegung der finanziellen Situation zu den einzelnen Tatzeitpunkten erfolgen hätte müssen; dasselbe gelte für die vom Mitbeteiligten erstmals in der Verhandlung über Befragung seitens des Verwaltungsgerichtes behaupteten Gehaltspfändungen und deren Höhe, die von maßgeblicher Bedeutung für die Anwendung des § 77 Abs. 3 DO 1994 seien; eine Aktenwidrigkeit wird überdies darin erblickt, dass die (in der Entscheidung nicht zitierte) Angabe des Mitbeteiligten in der Verhandlung am 10. Februar 2015 beim Verwaltungsgericht, wonach er "mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld vermutlich die offenen Beträge zurückzahlen hätte können" nicht berücksichtigt worden sei (womit letztlich auch die Beweiswürdigung bekämpft wird).

Mit diesem Vorbringen ist die Revision zulässig:

§ 77 DO 1994 idF LGBl. 2/2010 lautet wie folgt:

"(1) Maßgebend für die Höhe der Strafe ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist insbesondere Rücksicht zu nehmen

1. inwieweit das Vertrauen des Dienstgebers in die Person des Beamten durch die Dienstpflichtverletzung beeinträchtigt wurde,

2. inwieweit die beabsichtigte Strafe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten,

3. sinngemäß auf die gemäß §§ 32 bis 35 StGB, für die Strafbemessung maßgebenden Gründe.

(2) Hat ein Beamter durch eine Tat oder durch mehrere selbständige Taten mehrere Dienstpflichtverletzungen begangen und wird über diese Dienstpflichtverletzungen gleichzeitig erkannt, ist nur eine Strafe zu verhängen. Diese Strafe ist nach der schwersten Dienstpflichtverletzung zu bemessen, wobei die weiteren Dienstpflichtverletzungen als Erschwerungsgrund zu werten sind.

(3) Hat sich der Beamte einer derart schweren Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstgeber oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben so grundlegend zerstört ist, dass er für eine Weiterbeschäftigung in seiner bisherigen Verwendung untragbar ist, ist ohne Rücksichtnahme auf die in Abs. 1 Z 2 und 3 genannten Strafbemessungsgründe jedenfalls die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen, es sei denn, die Tat ist auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte."

Mit der Novelle der Dienstordnung LGBl. Nr 2/2010 wurde dem § 77 DO 1994 der oben angeführte Absatz 3 angefügt.

In der Beschlussvorlage (Beilage Nr. 30/2009) zu dieser Ergänzung des § 77 DO wird ausgeführt:

"Probleme:

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115, seine bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit bzw. Erforderlichkeit einer disziplinären Entlassung bei objektiv festgestellter Untragbarkeit dahingehend geändert, dass er nunmehr davon ausgeht, dass sich der Gesetzgeber nicht dazu entschlossen habe, den Gesichtspunkt der 'Untragbarkeit' als Zumessungskriterium im Disziplinarverfahren zu verselbständigen.

Ziele:

Der sog. 'Untragbarkeitsgrundsatz' soll der bisherigen Verwaltungspraxis und der bisherigen Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes entsprechend weiterhin als selbständiges Zumessungskriterium für eine Entlassung gelten.

Inhalt/Problemlösung:

Hat der Beamte oder die Beamtin das in ihn oder sie gesetzte Vertrauen derart zerstört, dass er oder sie für eine Weiterbeschäftigung untragbar geworden ist, ist ohne Rücksichtnahme auf spezialpräventive Überlegungen und auf die Strafbemessungsgründe der §§ 32 bis 35 StGB die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen.

...

Zu Art. I Z 9 (§ 77 Abs. 3 DO 1994):

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115, seine bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit bzw. Erforderlichkeit einer disziplinären Entlassung bei objektiv festgestellter Untragbarkeit dahingehend geändert, dass er nunmehr davon ausgeht, dass sich der Gesetzgeber nicht dazu entschlossen habe, den Gesichtspunkt der 'Untragbarkeit' als Zumessungskriterium im Disziplinarverfahren zu verselbständigen. Auch in seinem ausdrücklich zu § 77 DO 1994 ergangenen Erkenntnis vom 13. Dezember 2007, Zl. 2005/09/0149-5, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass der § 77 Abs. 1 DO 1994 bei Bemessung der Strafe die Berücksichtigung aller in den Ziffern 1 bis 3 genannten Kriterien in gleichem Maße fordere. Daher komme es bei Festsetzung der Disziplinarstrafe nicht nur auf die Verletzung des Vertrauens des Dienstgebers in die Person des Beamten oder der Beamtin (Z 1) an, sondern auch auf spezialpräventive Überlegungen (Z 2) und auf die Strafbemessungsgründe gemäß §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches (Z 3).

Demgegenüber ist anzumerken, dass die Entlassung keine Strafe im eigentlichen Wortsinn darstellt, die der Sicherung der Gesellschaft, der Resozialisierung des Täters oder der Täterin oder gar der Vergeltung dient, sondern eine dienstrechtliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes darstellt. So hat auch der Dienstrechtssenat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass das öffentlichrechtliche (pragmatische) Dienstverhältnis generell nicht dazu dient, das Dienstverhältnis in seinem Bestand auch dann zu schützen, wenn ein Verhalten durch einen Beamten oder eine Beamtin gesetzt worden ist, das objektiv betrachtet auch in der 'allgemeinen' Arbeitswelt zu einer gerechtfertigten Entlassung geführt hätte. Aus diesem Grund soll in derartigen Fällen jedenfalls mit einer Entlassung vorgegangen werden können, wobei hinsichtlich der Untragbarkeit in der bisherigen Verwendung auf den bisherigen tatsächlichen Einsatz des oder der Beschuldigten abzustellen ist.

Nur dann, wenn die Tat auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte, ist von einer Entlassung Abstand zu nehmen. Diese Ausnahme erfasst nur Situationen großer Bedrängnis, die einen so starken Motivationsdruck entfalten, dass auch ein maßgerechter Mensch zur Tat verleitet würde."

Durch die mit der Dienstrechts-Novelle 2008, BGBl. I Nr. 147/2008, erfolgte Novellierung des vergleichbaren § 93 BDG 1979 wurde im zweiten Satz des § 93 Abs. 1 BDG1979 die Zielsetzung "der Begehung von Dienstpflichtverletzungen durch andere Beamte entgegenzuwirken", als zusätzliches Strafbemessungskriterium in das Gesetz eingefügt. Dieser Rechtslagenänderung Rechnung tragend hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner dazu ergangenen Judikatur zu § 93 BDG 1979 ausgeführt, dass (Anm.: nunmehr) der spezialpräventiven Erforderlichkeit der Strafe bei der Bemessung daher nicht mehr eine derart wesentliche Bedeutung wie bisher zukomme und Gründe der Generalprävention wie solche der Spezialprävention für die Bemessung der Strafe gleichrangig zu berücksichtigen sind. Ist eine Disziplinarstrafe in einem bestimmten Ausmaß geboten, um der Begehung von Dienstpflichtverletzungen durch andere Beamte entgegenzuwirken, dann haben gegebenenfalls spezialpräventive Überlegungen, die eine solche Disziplinarstrafe nicht als erforderlich erscheinen lassen würden, demgegenüber zurückzutreten. Dementsprechend enthalten die Gesetzeserläuterungen zu dieser Bestimmung die Aussage, es solle nach der Novelle möglich sein, dass "bei besonders schweren Dienstpflichtverletzungen allein schon aus generalpräventiven Gründen eine Entlassung auszusprechen" sein werde (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, 2011/09/0105).

Bezüglich eines - wie hier gegebenen - Falles der Strafbemessung nach § 77 DO 1994 ist zu beachten, dass nach der (aus den oben wiedergegebenen Erläuterungen zur Beschlussfassung ersichtlichen) Intention des Gesetzgebers zur Anfügung des (neuen) Absatz 3 dieser Bestimmung, der sogenannte "Untragbarkeitsgrundsatz" weiterhin als selbständiges Zumessungskriterium für eine Entlassung gelten solle. Im Absatz 3 wurde in diesem Sinne normiert, dass diesfalls ohne Rücksichtnahme auf die in Abs. 1 Z 2 und 3 genannten Strafbemessungsgründe jedenfalls die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen ist, aber als Ausnahmetatbestand vorgesehen, wenn "die Tat auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte."

Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht zutreffend die Dienstpflichtverletzungen des Mitbeteiligten als so schwerwiegend angesehen, dass dadurch das Vertrauensverhältnis zu seinem Dienstgeber grundlegend zerstört wurde und dadurch eine Entlassung nach § 77 Abs. 3 DO 1994 an sich gerechtfertigt wäre (vgl. dazu das bereits vom Verwaltungsgericht herangezogene hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2014, 2013/09/0133).

Wie die Revisionswerberin zutreffend aufzeigt, fehlt soweit erkennbar Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes dazu, ob eine finanzielle Notlage unter diesen Ausnahmetatbestand subsumiert werden kann; der Beurteilung dieser Frage kommt auch über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung zu.

Soweit in der Revision diese Subsumtion verneint wird, ist

Folgendes zu entgegnen: Das dazu ins Treffen geführte

hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1995, 95/17/0074, bezog sich auf die Auslegung des besonderen Milderungsgrundes nach § 34 Abs. 1 Z 3 StGB ("wenn der Täter die Tat aus achtenswerten Beweggründen begangen hat."). Für die Auslegung des vom Verwaltungsgericht hier herangezogenen Ausnahmetatbestandes nach § 77 Abs. 3 DO 1994, der der Regelung zu den Allgemeinen Grundsätzen zur Strafbemessung in § 32 Abs. 2 zweiter Satz StGB teilweise angelehnt ist (wo es lautet: "Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen naheliegen könnte.") ist daraus nichts unmittelbar zu gewinnen.

Wenngleich der revisionswerbenden Disziplinaranwältin zuzugestehen ist, dass § 77 Abs. 3 letzter Satzteil DO 1994 als Ausnahmetatbestand eng auszulegen sein wird, erfasst dieser nach der oben zitierten Erläuterungen zur Beschlussvorlage "nur Situationen großer Bedrängnis, die einen so starken Motivationsdruck entfalten, dass auch ein maßgerechter Mensch zur Tat verleitet würde".

Dies schließt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes finanzielle Notlagen zwar grundsätzlich nicht aus, diese müssen aber einerseits den zuvor genannten starken Motivationsdruck für einen mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen erreicht haben, andererseits ist von einem solchen maßgerechten Menschen auch zu erwarten, dass er zuvor alle anderen Möglichkeiten zur Hintanhaltung einer solchen Lage gesetzt hat (also u.a. seine sonstigen Auslagen auf das Mindestmaß reduziert hat); zweifelsohne können damit nur Sonderfälle von finanziellen Notlagen unter diesen Ausnahmetatbestand fallen.

Der Revision kommt auch Berechtigung zu:

Vor dem Hintergrund des § 17 VwGVG 2014 hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung iSd § 58 AVG zu begründen (vgl. Abs. 2 dieser Bestimmung). Im Sinne des § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen, sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (vgl. zur ständigen Judikatur zu den Begründungserfordernissen die hg. Erkenntnisse vom 24. April 2014, 2013/09/0041, sowie vom 21. Oktober 2014, Ro 2014/03/0076, mwN).

Das Verwaltungsgericht hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, Ro 2014/09/0056).

Für eine abschließende Beurteilung, ob eine finanzielle Notlage des Mitbeteiligten im Tatzeitraum vorgelegen habe, die die Anwendung des Ausnahmetatbestandes nach dem letzten Halbsatz dieser Bestimmung zu tragen vermochte, reichen aber die Ermittlungen des Verwaltungsgerichtes nicht aus bzw. hält die angefochtene Entscheidung den zuvor aufgezeigten Begründungserfordernissen nicht stand:

Das Verwaltungsgericht blendet aus, dass der Mitbeteiligte in der Verhandlung am 10. Februar 2015 auch die - bei der Zitierung seiner Aussage in der Entscheidung ausgeklammerte - Angabe gemacht hat, "mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld hätte (er) vermutlich die offenen Beträge zurückzahlen können". Diese seine Einschätzung steht der Annahme einer Notlage über den gesamten inkriminierten Zeitraum evident entgegen, wird aber in der Argumentation des Verwaltungsgerichts völlig übergangen. Ebenso fehlen Feststellungen dazu, ob der Mitbeteiligte seine von ihm behaupteten Fixkosten zwischen EUR 600,-- und 800,-- pro Monat senken oder andere Maßnahmen ergreifen hätte können, um seine finanzielle Engpasssituation zu mildern, bzw. welche Umstände einer solchen Vorgangsweise entgegengestanden wären. Einer Auseinandersetzung damit hätte es aber bedurft, um dem Mitbeteiligten im Sinne von § 77 Abs. 3 DO 1994 im Vergleich seines Verhaltens mit einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen zu den jeweiligen Zeitpunkten, zu welchen er die inkriminierten Handlungen gesetzt hat, jeweils eine Ausnahmesituation zuzubilligen, die die Abstandnahme von der Entlassung gerechtfertigt erscheinen ließe.

Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und ohne ausreichende Ermittlungen bzw. Feststellungen die Annahme des einer Entlassung entgegenstehenden Ausnahmetatbestandes nach § 77 Abs. 3 DO 1994 bejaht hat, hat es die angefochtene Entscheidung mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet.

Das angefochtene Erkenntnis war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 10. September 2015

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