Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art139 Abs1 Z3
EMRK Art8
EMRK 4. ZP Art2
EU-Grundrechte-Charta Art3
StGG Art2
StGG Art4
Tir LandesO 1989 Art31
EpidemieG 1950 §24, §43a
COVID-19-AusreiseV des Bezirkshauptmanns von Kufstein vom 29.03.2021
VfGG §7 Abs1, §57 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V131.2021
Spruch:
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge (ohne die Hervorhebung im Original)
"[…] die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein (GZ: KU-INF-309/788-2021) als gesetzeswidrig bzw als verfassungswidrig aufheben,
in eventu
nach einem Außerkrafttreten der angefochtenen Verordnung aussprechen, dass diese gesetzeswidrig bzw verfassungswidrig war".
II. Rechtslage
1. §1, §24, §40 und §43a Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl I 33/2021 lauteten:
"Anzeigepflichtige Krankheiten
§1. (1) Der Anzeigepflicht unterliegen:
1. Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an Cholera, Gelbfieber, virusbedingtem hämorrhagischem Fieber, infektiöser Hepatitis (Hepatitis A, B, C, D, E), Hundebandwurm (Echinococcus granulosus) und Fuchsbandwurm (Echinococcus multilocularis), Infektionen mit dem Influenzavirus A/H5N1 oder einem anderen Vogelgrippevirus, Kinderlähmung, bakteriellen und viralen Lebensmittelvergiftungen, Lepra, Leptospiren-Erkrankungen, Masern, MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus/'neues Corona-Virus'), Milzbrand, Psittakose, Paratyphus, Pest, Pocken, Rickettsiose durch R. prowazekii, Rotz, übertragbarer Ruhr (Amöbenruhr), SARS (Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom), transmissiblen spongiformen Enzephalopathien, Tularämie, Typhus (Abdominaltyphus), Puerperalfieber, Wutkrankheit (Lyssa) und Bissverletzungen durch wutkranke oder -verdächtige Tiere,
2. Erkrankungs- und Todesfälle an Bang`scher Krankheit, Chikungunya-Fieber, Dengue-Fieber, Diphtherie, Hanta-Virus-Infektionen, virusbedingten Meningoenzephalitiden, invasiven bakteriellen Erkrankungen (Meningitiden und Sepsis), Keuchhusten, Legionärskrankheit, Malaria, Röteln, Scharlach, Rückfallfieber, Trachom, Trichinose, West-Nil-Fieber, schwer verlaufenden Clostridium difficile assoziierten Erkrankungen und Zika-Virus-Infektionen.
(2) Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen kann, wenn dies aus epidemiologischen Gründen gerechtfertigt oder auf Grund internationaler Verpflichtungen erforderlich ist, durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen oder bestehende Meldepflichten erweitern.
[…]
Verkehrsbeschränkungen für die Personen, die sich in Epidemiegebieten aufhalten
§24. Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrbeschränkungen zu verfügen. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden.
[…]
Sonstige Übertretungen.
§40. (1) Wer durch Handlungen oder Unterlassungen
a) den in den Bestimmungen der §§5, 8, 12, 13, 21 und 44 Abs2 enthaltenen Geboten und Verboten oder
b) den auf Grund der in den §§7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 19, 20, 21, 22, 23 und 24 angeführten Bestimmungen erlassenen behördlichen Geboten oder Verboten oder
c) den Geboten oder Verboten, die in den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen enthalten sind, zuwiderhandelt oder
d) in Verletzung seiner Fürsorgepflichten nicht dafür Sorge trägt, daß die seiner Fürsorge und Obhut unterstellte Person sich einer auf Grund des §5 Abs1 angeordneten ärztlichen Untersuchung sowie Entnahme von Untersuchungsmaterial unterzieht,
macht sich, sofern die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, einer Verwaltungsübertretung schuldig und ist mit Geldstrafe bis zu 1 450 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen.
(2) Wer einen Veranstaltungsort gemäß §15 entgegen den festgelegten Voraussetzungen oder Auflagen betritt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 500 Euro, im Nichteinbringungsfall mit Freiheitsstrafe von bis zu einer Woche, zu bestrafen.
[…]
Zuständigkeiten betreffend COVID‑19
§43a. (1) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19 sind vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen.
(2) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19 können vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung gemäß Abs1 erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung gemäß Abs1 festgelegt werden.
(3) Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19 können von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen werden, wenn keine Verordnungen gemäß Abs1 oder 2 erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs1 oder 2 festgelegt werden.
(4) In einer Verordnung gemäß Abs1 bis 3 kann entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation regional differenziert werden.
(5) Durch Verordnung gemäß Abs1 können Verordnungen gemäß Abs2 und 3 oder Teile davon aufgehoben werden. Durch Verordnung gemäß Abs2 können Verordnungen gemäß Abs3 oder Teile davon aufgehoben werden.
(6) Verordnungen gemäß Abs2 und 3 sind vor deren Inkrafttreten dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister mitzuteilen."
2. §24 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl 186/1950, idF BGBl I 90/2021 lautet:
"Verkehrsbeschränkungen in Bezug auf Epidemiegebiete
§24. (1) Sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist, sind für die in Epidemiegebieten aufhältigen Personen Verkehrsbeschränkungen anzuordnen. Ebenso können Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten angeordnet werden.
(2) Verkehrsbeschränkungen für in Epidemiegebieten aufhältige Personen gemäß Abs1 sind insbesondere:
1. Voraussetzungen und Auflagen für das Verlassen des Epidemiegebietes, wie
a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Verlassen des Epidemiegebietes,
b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und
c) das Antreten einer selbstüberwachten Heimquarantäne nach Verlassen des Epidemiegebietes,
2. die Untersagung des Verlassens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.
(3) Beschränkungen für das Betreten von Epidemiegebieten gemäß Abs1 sind insbesondere:
1. Voraussetzungen und Auflagen für das Betreten des Epidemiegebietes, wie
a) das Vorliegen bestimmter Zwecke für das Betreten des Epidemiegebietes,
b) das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr und
c) zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19: die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden mechanischen Schutzvorrichtung,
2. die Untersagung des Betretens des Epidemiegebietes, sofern Maßnahmen nach Z1 nicht ausreichen, wobei solche Maßnahmen erforderlichenfalls nebeneinander zu ergreifen sind.
(4) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 gelten für das Erfordernis eines Nachweises über eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr §1 Abs5 Z5 und Abs5a bis 5e COVID‑19-MG sinngemäß.
(5) Im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 gelten als Epidemiegebiete gemäß Abs1 bestimmte örtlich abgegrenzte oder abgrenzbare Teile des Bundesgebietes, in denen außergewöhnliche regionale Umstände im Hinblick auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 vorliegen. Außergewöhnliche regionale Umstände liegen etwa vor, wenn aufgrund der Bewertung der epidemiologischen Situation gemäß §1 Abs7 COVID‑19-MG im bundesweiten Vergleich ein besonders hohes Risiko der Verbreitung von SARS-CoV-2 anzunehmen ist oder wenn aufgrund wesentlich veränderter Eigenschaften des Virus die bereits gesetzten Bekämpfungsmaßnahmen oder die weitere Bekämpfungsstrategie erheblich gefährdet sind."
3. Die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, lautet wie folgt:
"Auf Grund des §1 Abs2 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186/1950, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 37/2018, wird verordnet:
Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019‑nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')."
4. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein, Bote für Tirol Nr 118/2021, KU-INF-309/788-2021, (in der Folge: Ausreiseverordnung) lautete:
"Aufgrund des §24 in Verbindung mit §43a Abs3 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 33/2021, wird verordnet:
§1
Geltungsbereich
Diese Verordnung gilt für den politischen Bezirk Kufstein.
§2
Anforderungen beim Verlassen
des politischen Bezirks Kufstein
(1) Personen mit Wohnsitz im politischen Bezirk Kufstein dürfen dessen Grenzen nach außen hin nur überschreiten, wenn sie einen Nachweis über
a) ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARSCoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurü[c]k[…]liegen darf, oder
b) ein negatives Ergebnis eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 72 Stunden zurückliegen darf, mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.
(2) Abs1 gilt auch für Personen ohne Wohnsitz im politischen Bezirk Kufstein, wenn sie sich dort durchgehend über einen Zeitraum von mehr als 24 Stunden aufgehalten haben.
§3
Ausnahmen
a) Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr;
b) die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;
c) Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Gesundheitsbehörden sowie Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bzw von Einsätzen;
d) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere von Krankenanstalten, Arztpraxen, therapeutischen Einrichtungen und Praxen, Apotheken, Heimen zur Betreuung von hilfs-, betreuungs- und pflegebedürftigen, insbesondere älteren, Menschen sowie von mobilen Betreuungsangeboten für diese Menschen;
e) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Infrastrukturen und der Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Straßendienst, Müllabfuhr, Strom- und Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung;
f) die Aufrechterhaltung der allgemeinen Versorgung, insbesondere mit Lebensmitteln, sonstigen Waren des täglichen Bedarfes einschließlich periodischen Druckwerken und Heizmaterialien;
g) die Aufrechterhaltung des Lieferverkehrs zwischen Betrieben und Betriebsstätten von Betrieben sowie für die Durchführung notwendiger unaufschiebbarer Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten;
h) den Betrieb und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs;
i) die Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens, die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen und die Deckung eines dringenden Wohnbedürfnisses; dies jedoch nur dann, wenn diese Grundbedürfnisse nicht oder zumutbarer Weise nicht im politischen Bezirk Kufstein gedeckt werden können;
j) die Wahrnehmung von unaufschiebbaren behördlichen oder gerichtlichen Wegen;
k) Schülerinnen und Schüler von Schulen gemäß dem Schulorganisationsgesetz, BGBl Nr 242/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 19/2021, und dem Privatschulgesetz, BGBl Nr 244/1962, zuletzt geändert
durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 80/2020, sowie von land- und forstwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen gemäß dem Tiroler Landwirtschaftlichen Schulgesetz 2012, LGBl Nr 88/2012, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 90/2020, jedoch ausschließlich zum Zweck der Teilnahme am Unterricht an diesen Schulen (Hin- oder Rückfahrt); diese Ausnahme gilt sinngemäß für die Teilnahme am Unterricht an gleichartigen Schultypen im benachbarten Ausland;
l) Personen ohne Wohnsitz im politischen Bezirk Kufstein, bei denen vor der Rückreise zum Wohnsitz ein positives Ergebnis durch einen Antigen-Test auf SARS-CoV-2 oder einen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 festgestellt worden ist; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie sich so schnell wie möglich – entweder allein mit einem Kraftfahrzeug oder im Rahmen eines gesicherten Transports – zum Zweck der behördlichen Absonderung zu einem Wohnsitz begeben;
(2) Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe nach Abs1 glaubhaft zu machen.
§4
Nachweise
Als Nachweis im Sinn des §2 Abs1 lita und b sind jene Testergebnisse zu verstehen, die im Rahmen von Antigen-Tests oder molekularbiologischen Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden.
§5
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) Diese Verordnung tritt mit 31. März 2021 um 00.00 Uhr in Kraft und mit dem Ablauf des 14. April 2021 um 24.00 Uhr außer Kraft.
(2) §2 Abs2 gilt auch für Personen, deren Aufenthalt im politischen Bezirk Kufstein vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung begonnen hat."
5. Die "Verordnung des Landeshauptmanns [von Tirol] vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus Tirol", LGBl 51/2021, lautete:
"Aufgrund des §24 in Verbindung mit §43a Abs2 des Epidemiegesetzes 1950, BGBl Nr 186, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 33/2021, wird verordnet:
§1
Geltungsbereich
Diese Verordnung gilt für das Land Tirol mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee.
§2
Anforderungen beim Verlassen Tirols
(1) Personen mit Wohnsitz in dem im §1 umschriebenen Gebiet dürfen dessen Grenzen nach außen hin nur überschreiten, wenn sie einen Nachweis über
a) ein negatives Ergebnis eines Antigen-Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 48 Stunden zurückliegen darf, oder
b) ein negatives Ergebnis eines molekularbiologischen Tests auf SARS-CoV-2, dessen Abnahme nicht mehr als 72 Stunden zurückliegen darf,
mit sich führen. Diese Personen sind verpflichtet, diesen Nachweis bei einer Kontrolle vorzuweisen.
(2) Abs1 gilt auch für Personen ohne Wohnsitz in dem im §1 umschriebenen Gebiet, wenn sie sich dort durchgehend über einen Zeitraum von mehr als 24 Stunden aufgehalten haben.
§3
Ausnahmen
(1) §2 gilt nicht für
a) Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr;
b) die Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum;
c) Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Gesundheitsbehörden sowie Angehörige von Rettungsorganisationen und der Feuerwehr im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bzw von Einsätzen;
d) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere von Krankenanstalten, Arztpraxen, therapeutischen Einrichtungen und Praxen, Apotheken, Heimen zur Betreuung von hilfs-, betreuungs- und pflegebedürftigen, insbesondere älteren, Menschen sowie von mobilen Betreuungsangeboten für diese Menschen;
e) den Betrieb und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Infrastrukturen und der Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Straßendienst, Müllabfuhr, Strom- und Wasserversorgung oder Abwasserentsorgung;
f) die Aufrechterhaltung der allgemeinen Versorgung, insbesondere mit Lebensmitteln, sonstigen Waren des täglichen Bedarfes einschließlich periodischen Druckwerken und Heizmaterialien;
g) die Aufrechterhaltung des Lieferverkehrs zwischen Betrieben und Betriebsstätten von Betrieben sowie für die Durchführung notwendiger unaufschiebbarer Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten;
h) den Betrieb und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs;
i) die Versorgung mit Grundgütern des täglichen Lebens, die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen und die Deckung eines dringenden Wohnbedürfnisses; dies jedoch nur dann, wenn diese Grundbedürfnisse nicht oder zumutbarer Weise nicht im nach §1 umschriebenen Gebiet gedeckt werden können;
j) die Wahrnehmung von unaufschiebbaren behördlichen oder gerichtlichen Wegen;
k) Schülerinnen und Schüler von Schulen gemäß dem Schulorganisationsgesetz, BGBl Nr 242/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 19/2021, und dem Privatschulgesetz, BGBl Nr 244/1962, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr 80/2020, sowie von land- und forstwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen gemäß dem Tiroler Landwirtschaftlichen Schulgesetz 2012, LGBl Nr 88/2012, zuletzt geändert durch das Gesetz LGBl Nr 90/2020, jedoch ausschließlich zum Zweck der Teilnahme am Unterricht an diesen Schulen (Hin- oder Rückfahrt); diese Ausnahme gilt sinngemäß für die Teilnahme am Unterricht an gleichartigen Schultypen im benachbarten Ausland;
l) Personen ohne Wohnsitz in dem im §1 umschriebenen Gebiet, bei denen vor der Rückreise zum Wohnsitz ein positives Ergebnis durch einen Antigen-Test auf SARS-CoV-2 oder einen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 festgestellt worden ist; dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie sich so schnell wie möglich – entweder allein mit einem Kraftfahrzeug oder im Rahmen eines gesicherten Transports – zum Zweck der behördlichen Absonderung zu einem Wohnsitz begeben.
(2) Im Fall einer behördlichen Überprüfung sind die Ausnahmegründe nach Abs1 glaubhaft zu machen.
§4
Nachweise
Als Nachweis im Sinn des §2 Abs1 lita und b sind jene Testergebnisse zu verstehen, die im Rahmen von Antigen-Tests oder molekularbiologischen Tests durch dazu befugte Stellen erlangt werden.
§5
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
(1) Diese Verordnung tritt mit 31. März 2021 in Kraft und mit dem Ablauf des 14. April 2021 außer Kraft.
(2) §2 Abs2 gilt auch für Personen, deren Aufenthalt in dem im §1 umschriebenen Gebiet vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung begonnen hat."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Antragsteller legt seine unmittelbare Betroffenheit und seine Bedenken gegen die angefochtene Verordnung wie folgt dar:
"2. Sachverhalt
Der Antragsteller wohnt im Bezirk Kufstein (Tirol). Der Antragsteller ist Landtagsabgeordneter, als solcher auch Mitglied im Ausschuss für Föderalismus und Europäische Integration des Tiroler Landtages und beteiligt sich als solcher an der gemeinsamen Willensbildung der Länder in Angelegenheiten der europäischen Integration (Tir Landesverfassungsgesetz vom 18. November 1992 über die Mitwirkung des Landes Tirol in Angelegenheiten der europäischen Integration, Tir LGBl 17/1993). Aufgrund seiner pflichtgemäßen Mandatsausübung als Abgeordneter zum Tiroler Landtag hat er wiederkehrend von seinem Wohnort nach Innsbruck anzureisen, neben ordentlichen und außerordentlichen Sitzungen des Tiroler Landtags und einzelner Ausschüsse etwa auch zu Klubsitzungen seines Landtagsklubs.
[…]
Mit der (hier nicht anfechtungsgegenständlichen) COVID‑19-Virusvariantenverordnung des BMSGPK, die mit 12.02.2021 in Kraft trat, wurde ganz Tirol als 'Epidemiegebiet' deklariert (BGBl II 63/2021 idF BGBl II 85/2021, BGBl II 98/2021). Seit Inkrafttreten verpflichtete diese Norm dazu, vor jeder Ausreise aus Tirol die Vornahme eines bestimmten Antigen- oder PCR-Tests zu dulden, sodann sich das Testergebnis bestätigen zu lassen, dieses bei einer geplanten Ausreise mitzuführen und bei einer Kontrolle vorzuweisen. Andernfalls ist eine Ausreise unzulässig.
Die COVID‑19-Virusvariantenverordnung des BMSGPK mit Geltungsanspruch für das Bundesland Tirol trat mit 10.03.2021 außer Kraft, wurde aber in weiterer Folge funktional durch Nachfolgeverordnungen anderer Behörden ersetzt, die bisweilen für die Tiroler Landesgrenzen und bisweilen für einzelne Bezirksgrenzen Geltung beanspruchten.
Am 29.3.2021 wurde die (hier nicht anfechtungsgegenständliche) Verordnung des Landeshauptmanns vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus Tirol kundgemacht und für den Geltungszeitraum zwischen 31.3.2021 und 14.4.2021 in Kraft gesetzt (Tir LGBl 51/2021). Diese Verordnung wird beim Verlassen Tirols, also für Personen wirksam, die die Tiroler Landesgrenzen nach außen hin überschreiten (§2 leg cit).
[…]
Am 30.3.2021 wurde sodann die (hier anfechtungsgegenständliche) 'Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein', GZ: KU-INF-309/788-2021, im Amtsblatt der Behörden, Ämter und Gerichte Tirols ('Bote für Tirol') kundgemacht und für den Zeitraum zwischen 31.3.2021 und 14.4.2021 in Geltung gesetzt. Weitere Kundmachungen der Verordnung erfolgten etwa via Veröffentlichung im Internet (https://www.tirol.gv.at/gesundheitvorsorge/infekt/coronavirus-covid-19-informationen/ausreise-aus-dem-bezirk-kufstein/ ) und an den Amtstafeln der Gemeinden im Bezirk. Diese Verordnung wird aktuell beim Verlassen des Bezirks Kufstein wirksam, also für Personen wie den Antragsteller, die die Bezirksgrenzen reisebedingt von Kufstein nach außen hin überschreiten (§2 leg cit).
[…]
4. Unmittelbare Betroffenheit, Aktualität und Umwegunzumutbarkeit
Der Antragsteller ist durch die angefochtene Verordnung in seiner Rechtssphäre,
insbesondere
in seinem Grundrecht auf Bewegungsfreiheit bzw Freizügigkeit der Person (Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK),
in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art3 GRC),
in seinem Grundrecht auf freie Mandatsausübung als Abgeordneter (Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989, LGBl 61/1988),
in seinem Grundrecht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, das auch vor willkürlicher Gesetzesanwendung schützt (Art2 StGG 1867, Art7B‑VG),
persönlich, unmittelbar, nachteilig und aktuell betroffen.
Um sowohl den Anforderungen der angefochtenen Verordnung als auch seinen mandatsbezogenen Rechten und Pflichten zu entsprechen, hat sich der Antragsteller bei jeder Ausreise von seinem Wohnort nach Innsbruck einer Testung zu unterziehen. Der Antragsteller hat nach dieser Rechtslage nur die Möglichkeit, entweder auf seine grundrechtlich geschützte Bewegungsfreiheit im gesamten Bundesgebiet (und damit auf die Wahrnehmung seiner Teilnahme-, Rede- und Stimmrechte im Tiroler Landtag) zu verzichten oder aber wiederkehrende Testpflichten (und damit zugleich gesetzeswidrige, sachwidrige, willkürliche und unzumutbare Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor Überschreitung der Bezirksgrenze Kufstein) zu dulden.
'Antigen-Tests auf SARS-CoV-2' oder 'molekularbiologische Tests auf SARS-CoV-2' die 'durch dazu befugte Stellen erlangt werden' können, sind mit schmerzhaften körperlichen Eingriffen verbunden, bei denen körpereigenes Untersuchungsmaterial aus der Nase entnommen werden muss. Bei der Probenentnahme kann eine Verletzung der Schleimhäute zu Nasenbluten führen. Vereinzelt führten Fehler auch zum Austritt von Hirnflüssigkeit (https://jamanetwork.com/journals/jamaotolaryngology/article-abstract/2771362 ).
Angesichts der den Antragsteller betreffenden, aktuell wirksamen Verbotsbestimmungen sowie der damit verbundenen gesetzlichen Strafdrohungen einerseits, der wiederkehrenden mandatsbedingten Ausreiseverpflichtungen aus dem Bezirk Kufstein andererseits, sind die angefochtenen Bestimmungen für den Antragsteller bereits tatsächlich und ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder Erlassung eines Bescheides wirksam geworden.
Die Aktualität der Betroffenheit geht nach gefestigter, zutreffender Rechtsprechung des VfGH auch nicht dadurch verloren, dass die betreffenden Bestimmungen womöglich zum Zeitpunkt einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes schon wieder außer Kraft getreten sind bzw bereits durch neuere Bestimmungen ersetzt wurden (VfGH-E 14.7.2020, V411/2020; 1.10.2020, V405/2020 ua). Das fortgesetzte Rechtsschutzinteresse des Antragstellers kann auch in einem absehbar späteren Entscheidungszeitpunkt noch nicht weggefallen sein, da fortlaufende Änderungen derartiger COVID‑19-Maßnahmen der Gesundheitsbehörden ('Verschärfungen' bzw 'Lockerungen') stets die Möglichkeit einschließen, die angefochtenen Regelungen zu verlängern, auf diese neu zurückzukommen und diese neuerlich in dieser oder in ähnlicher Form zu erlassen.
Ein anderer zumutbarer Weg zur Normenkontrolle ist nach geltender Rechtslage nicht gegeben. Der denkmögliche Umweg, die angefochtenen Bestimmungen zu missachten, so ein Straferkenntnis zu provozieren und dieses dann im Rechtsweg zu bekämpfen, ist dem Antragsteller nicht zumutbar (stRsp; vgl VfGH-E 01.10.2020, V405/2020 ua)."
2. In der Sache bringt der Antragsteller die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung sowie einen Verstoß gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG sowie Art7 B‑VG, auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art3 GRC, auf Freizügigkeit gemäß Art4 StGG sowie Art2 Abs1 4. ZPEMRK und auf "freie Mandatsausübung als Landtagsabgeordneter" vor. Hiezu führt der Antragsteller Folgendes aus:
"5. Gesetzeswidrigkeit der Verordnung
5.1. Vorbemerkung
Die Verordnung ist aus mehreren Gründen gesetzeswidrig. §24 Epidemiegesetz ermächtigt ausschließlich die zuständige Behörde dazu, Verkehrsbeschränkungen zu verfügen, sofern dies zum Schutz vor der Weiterverbreitung meldepflichtiger Krankheiten unbedingt erforderlich ist.
5.2. Unzuständigkeit der belangten Behörde
§43a Abs1 bis 3 Epidemiegesetz (zuletzt geändert durch BGBl I 104/2020) lautet:
[…]
Die Zuständigkeit der belangten Behörde setzt gemäß §43a Abs3 Epidemiegesetz voraus, dass keine Verordnungen von übergeordneten Gesundheitsbehörden (BMSGPK oder LH von Tirol) erlassen wurden. Die erste Zuständigkeitsalternative ist nicht erfüllt (vgl die 4. COVID‑19‑SchuMaV des BMSGPK, BGBl II 58/2021 [zuletzt geändert durch BGBl II 147/2021] sowie die VO des Landeshauptmanns vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K, Tir LGBl 51/2021).
Die zweite Zuständigkeitsalternative erlaubt der belangten Behörde (ausschließlich) die Festlegung 'zusätzlicher Maßnahmen zu Verordnungen nach Abs1 oder 2'.
Tatsächlich regelt die angefochtene Verordnung der belangten Behörde aber keine solche 'zusätzliche Maßnahme', sondern sachlich ein- und dieselbe Maßnahme wie die VO des LH Tirol (LGBl 51/2021); beide Verordnungen regeln eine Testpflicht vor Ausreise aus einem 'Epidemiegebiet'. Die Geltungsbereiche der Verordnungen sind nicht nur im zeitlichen Geltungsbereich ident, sondern sind auch teilweise räumlich ident, dort, wo der Grenzverlauf des Bezirks ident ist mit der Tiroler Landesgrenze (und der österreichischen Staatsgrenze).
Wollte man aber – umgekehrt – bestimmte Gesichtspunkte betonen, wonach eben sehr wohl 'zusätzliche' (nämlich: 'andere') Maßnahmen verordnet worden wären und dies auch gesetzeskonform sei, werden hierdurch die rechtlichen Bedenken gegen die Zuständigkeit der belangten Behörde nicht beseitigt, sondern verstärkt:
Unterstellt man nämlich die Zuständigkeit der belangten Behörde, 'zusätzliche' ('andere') Ausreisepflichten für den Bezirk Kufstein erlassen zu dürfen, während der LH von Tirol als übergeordnete Gesundheitsbehörde eine Ausreisepflicht für ganz Tirol verordnet hat, schließt diese Zuständigkeit denklogisch auch ein gesetzesgebundenes Ermessen der belangten Behörde mit ein, 'zusätzliche Maßnahmen' in Form geeigneter strengerer Mittel zu erlassen (beispielsweise ein striktes Ausreiseverbot oder eine behördlich überwachte Quarantäne an der Bezirksgrenze ohne die Möglichkeit eines 'Freitestens'). Ist aber die gesetzliche Zuständigkeitsregelung für 'zusätzliche Maßnahmen' tatsächlich in diesem Sinn auszulegen, stellt sich die Frage, welche Regelung für die gemeinsame Bezirks- und Landesgrenze dann zur Anwendung gelangt, wenn ein negatives Testergebnis vorgewiesen werden kann: Die Zulässigkeit des Grenzübertritts gemäß der Verordnung des LH oder die Unzulässigkeit des Grenzübertritts gemäß der Verordnung der BH?
Zur Auflösung dieser Zuständigkeitskonkurrenz kommen zwei Alternativen in Betracht, die jeweils beide zur Aufhebung der angefochtenen Verordnung für den Antragsteller führen:
§43a Abs3 Epidemiegesetz kann vor seiner Anwendung verfassungskonform dahingehend interpretiert werden, dass der Begriff der 'zusätzlichen Maßnahmen' eingeschränkt ausgelegt wird. Demgemäß ist aber die angefochtene Verordnung am Maßstab des Gesetzes aufzuheben (etwa weil sie keine 'zusätzliche Maßnahme' enthält, sie die Tiroler Landesgrenze nicht vom Geltungsbereich ausnimmt o. dgl.).
§43a Abs3 Epidemiegesetz kann nicht verfassungskonform interpretiert werden, sondern ist verfassungswidrig, weil die Behördenzuständigkeiten nicht klar voneinander abgegrenzt sind, der Begriff der 'zusätzliche Maßnahme' unbestimmt bzw die Regelung mit dem Legalitätsprinzip unvereinbar ist. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet Art18 (iVm Art83 Abs2) B‑VG den Gesetzgeber zu einer – strengen Prüfungsmaßstäben standhaltenden – präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (vgl VfSlg 3994/1961, 5698/1968, 9937/1984, 10.311/1984, 13.029/1992, 13.816/1994, 16.794/2003, 17.086/2003, 18.639/2008, 19.970/2015; zuletzt VfGH-E vom 10.3.2021, G380/2020-17 ua).
Im Hinblick auf die letztgenannte Auslegungsalternative, die dem Antragsteller plausibler erscheint, wird daher
angeregt,
angesichts der Präjudizialität für das Verordnungsprüfungsverfahren von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art140 Abs1 litb B‑VG einzuleiten, dies zu Zwecken der Prüfung der Verfassungskonformität des die Zuständigkeit der belangten Behörde begründenden §43a Abs3 Epidemiegesetz 1950 (BGBl I 104/2020) bzw dessen Vereinbarkeit mit dem Legalitätsprinzip und der damit verbundenen Verpflichtung des einfachen Gesetzgebers zur präzisen Regelung der Behördenzuständigkeit (Art18 B‑VG).
Eine verfassungsgerichtliche Klärung der Abgrenzung von Behördenzuständigkeiten in COVID‑19-Fragen ist auch österreichweit relevant, zumal beispielsweise die aktuell geltende Fassung der 4. COVID‑19-SchuMaV des BMSGPK, BGBl II 58/2021 [zuletzt geändert durch BGBl II 147/2021] regionale Sonderregelungen für Vorarlberg (§24 leg cit), aber auch für Burgenland, Wien und Niederösterreich enthält (§25 leg cit). Auch diese Arrogation des BMSGPK führt zu der Folgefrage, inwiefern die nachgeordneten Gesundheitsbehörden der betreffenden Bundesländer sodann nach eigenem Ermessen 'zusätzliche Maßnahmen' verordnen können (bzw je nach regionaler Entwicklung der Lage: verordnen müssen).
5.3. Keine meldepflichtige Krankheit
Meldepflichtige Krankheiten sind in §1 Abs1 Epidemiegesetz aufgezählt. Auf Grund des §1 Abs2 Epidemiegesetz 1950 wurde mit BGBl II 15/2020 die 'Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020' kundgemacht: 'Der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019‑nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus').' Weitere Verordnungen existieren nicht. Inwiefern eine Verordnung, die ihrem Titel zufolge 'anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020' regelt, im Jahr 2021 überhaupt noch relevant sein kann, sei dahingestellt. Nach der aktuellen Gesetzeslage ist 'SARS-CoV-2', auf das sich die Testpflicht beziehen will, keine anzeigepflichtige Krankheit im Sinne des §1 Epidemiegesetzes.
5.4. Keine unbedingte Erforderlichkeit einer Quarantäne über Kufstein
Auch eine 'unbedingte Erforderlichkeit' im Sinne des §24 Epidemiegesetzes, die wohl im Sinne einer 'Unerlässlichkeit' zum Schutz vor Weiterverbreitung einer Krankheit zu verstehen ist, besteht nicht. Um die Verordnung in Bezug auf dieses Tatbestandsmerkmal dennoch rechtfertigen zu wollen, kommen abstrakt nur zwei Argumentationsansätze in Frage. Der erste Argumentationsansatz besteht in der beabsichtigten Verhinderung der Weiterverbreitung von 'SARS-CoV-2' allgemein. Insoweit war schon die isolierte Einstufung von Tirol als 'Epidemiegebiet' schon deshalb willkürlich, weil Tirol verglichen mit anderen Bundesländern, die nicht als 'Epidemiegebiet' eingestuft wurden (etwa: Wien: 278,5; Kärnten: 213,8; Oberösterreich: 203,7) eine relativ niedrige 7-Tages-Inzidenz aufweist (nämlich ca 193,5), was sich auch in relativ niedrigen Hospitalisierungszahlen widerspiegelt. Der Bezirk Kufstein zeigte wiederum – verglichen mit anderen Tiroler Bezirken – eine unterdurchschnittliche Inzidenz (ca. 187,7). Es kann daher evidenzbasiert nicht ansatzweise dargelegt werden, dass Kufstein in Relation zu Restösterreich eine problematische Entwicklung gezeigt hätte, die Ausreiseverbote auf Basis einer Grundrechts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtfertigen könnten.
[…]
Der zweite Ansatz besteht in der argumentativen Hervorhebung des Schutzes vor einer als 'B.1.1.7/E484K' bezeichneten 'Mutation' des 'SARS-CoV-2'-Virus. Bekanntlich mutieren Coronaviren fortwährend, ohne dass damit eine Aussage darüber getroffen werden kann, dass diese hierdurch gefährlicher werden. Tatsächlich ist diese Mutation nicht gefährlicher als andere Virusmutationen von 'SARS-CoV-2', sie führt auch nicht zu überdurchschnittlich schwereren Krankheitsverläufen. Selbst wenn ein solcher Unterschied gegeben wäre, wofür es keine Evidenz gibt, müsste die besondere Relevanz einer bestimmten Mutante zumindest ansatzweise dem §1 Abs1 Epidemiegesetz oder einer Verordnung des BMSGPK gemäß §1 Abs2 Epidemiegesetz zu entnehmen sein. Nach geltendem Recht ist diese Virusvariante aber nicht anders zu behandeln wie sonstige Erscheinungsformen von 'SARS-CoV-2'.
Mutationen wie 'B.1.1.7/E484K' sind auch nicht auf den Bezirk Kufstein oder andere Bezirke beschränkt. Bezirksweite Verkehrsbeschränkungen in Bezug auf Kufstein sind vor diesem Hintergrund per se kein geeignetes Mittel zu deren Eindämmung.
Das gilt umso mehr, als justament die Einreise nach Tirol und im Speziellen auch die Einreise von angrenzenden Bezirken in den Bezirk Kufstein keinen ähnlichen Beschränkungen unterliegt, also das Virus – einschließlich dieser Mutation – ständig wieder von außen neu eingeschleppt werden kann. Hier mangelt es an einer klaren Ziel-Mittel-Relation.
Im Sinne der §§1, 24 Epidemiegesetz kann jedenfalls auf Basis der tatsächlichen Lageentwicklung von einer 'unbedingten Erforderlichkeit' der angefochtenen Verordnung in Bezug auf die Verbreitung von 2019‑nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus') keine Rede sein.
5.5. Verkehrsbeschränkungen rechtfertigen keinen Testzwang
Vor der COVID‑19-Pandemie bestand unter Verfassungsjuristen weitgehend Einvernehmen darin, dass der staatliche Zwang zur Duldung intensiver körperlicher Eingriffe – auch durch medizinisches Fachpersonal – einer besonderen verfassungsgesetzlichen Ermächtigung bedarf (vgl etwa zur Blutabnahme §5 Abs6 und 10 iVm §99 Abs1 litc StVO).
Die angefochtene Verordnung bewegt sich mit ihrer Testpflicht im gesetzesfreien Raum. Selbst wenn temporäre Verkehrsbeschränkungen an einer Bezirksgrenze evidenzbasiert gesetzeskonform erlassen werden könnten, dürfen diese nicht mit der Vorlagepflicht von sachlich unzuverlässigen, in Bezug auf die Infektiösität nicht aussagekräftigen PCR- oder Antigen-Testergebnissen (anstelle einer einfachen Untersuchung auf Krankheitssymptome vor Grenzübertritt oder, sofern es die Lage erfordert, einer ausnahmslosen Ausreisesperre) bei sonstigem Ausreiseverbot verknüpft werden.
Der Testzwang befördert zwar kommerzielle Interessen der Anbieter derart unzuverlässiger Tests sowie das Bestreben der österreichischen Bundesregierung, im internationalen Vergleich zum COVID‑19-Testweltmeister zu avancieren. Diese Sonderverpflichtung hat aber keine gesetzliche Grundlage in der im Anfechtungszeitpunkt geltenden Fassung des §24 Epidemiegesetz. Derartiges ist mit dem Legalitätsprinzip (Art18 B‑VG) unvereinbar.
5.6. Keine Prüfung auf Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn
Die belangte Behörde hat offenkundig die außer Kraft getretene COVID‑19-VvV des BMSGPK geringfügig modifiziert und sinngleich für den Bezirk Kufstein übernommen. Sie folgte damit zentralen Vorgaben des BMSGPK und hat es unterlassen, in diesem grundrechtssensiblen Bereich eine eigenständige Prüfung der in Aussicht genommenen Regelung durchzuführen, eine Abwägung mit allen davon betroffenen Grundrechten der Rechtsunterworfenen vorzunehmen, nach Gewichtung eine nachvollziehbare und evidenzbasierte Entscheidung zu treffen und die Gesetzes- und Verfassungskonformität der Maßnahme stichhaltig zu begründen.
6. Verfassungswidrigkeit der VO
6.1. Verletzung im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art2 StGG 1867, Art7 B‑VG) Die Testpflicht ist auch – aus mehreren Gründen – verfassungswidrig, sie ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH zum Gleichheitsgebot unsachlich, ja geradezu willkürlich (Art2 StGG 1867, Art7 B‑VG).
Selbst wenn man akzeptieren wollte, dass sich – ungeachtet aller bundesweit verordneten COVID‑19-Maßnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot usw) – kerngesunde Personen vor der Staatsmacht zu rechtfertigen und einen Nachweis mitzuführen haben, wonach von Ihnen 'eine lediglich geringe epidemiologische Gefahr' ausgeht (vgl etwa §1 Abs5 Z5 COVID‑19-Maßnahmengesetz), so ist es willkürlich, diesen Nachweis justament auf 'Antigen-Tests auf SARS-CoV-2' oder 'molekularbiologische Tests auf SARS-CoV-2' zu reduzieren, anstelle tatsächlich geeignete Nachweise über eine kürzlich überstandene Erkrankung oder eine Impfung und eine damit tatsächlich verbundene geringe Infektiösität ebenso zu akzeptieren.
So wurde beispielsweise auf der Webseite des BMSGPK noch bis vor kurzem die stark begrenzte Aussagekraft derartiger Tests für gesunde Personen hervorgehoben:
'Ich gehöre einer Risikogruppe an und fühle mich gesund – brauche ich einen Test?
Nein.
Ein PCR-Test sollte nur bei Krankheitszeichen zur Klärung der Ursache durchgeführt werden, bei einer gesunden Person hat ein PCR-Test nur eine sehr begrenzte Aussagekraft. (Auch ein negatives Ergebnis kann eine Infektion nicht mit Sicherheit ausschließen.) Wenn man gesund ist, sich aber noch in der Inkubationszeit befindet, sagt ein negativer Test auf COVID‑19 nichts darüber aus, ob man doch noch krank werden kann. Ein PCR-Test stellt daher keinesfalls eine Schutzmaßnahme dar. Personen, die der Risikogruppe angehören, brauchen daher nicht getestet werden, wenn sie sich gesund fühlen. Das gilt auch für deren Bezugspersonen. Schutzmaßnahmen, wie zB regelmäßiges Händewaschen, auf Händeschütteln und Umarmen verzichten und Abstand halten, sind unbedingt zu beachten!'
- Quelle: https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus —Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ–Testungen-und-Quarantaene.html | Stand 17.09.2020 (zuletzt abgerufen am 05.02.2021)
Diese behördliche Stellungnahme wurde mittlerweile gelöscht, weil sie mit de[m] von der Bundesregierung willkürlich forcierten Konzept des 'Freitestens' nicht mehr im Einklang stand. An der medizinischen Richtigkeit dieser Aussagen ändert dies nichts. Derartige Testpflichten sind ungeeignet zur Zielerreichung.
Die fehlende Geeignetheit der PCR- und Antigentests zur Bestimmung der Ansteckungsgefahr einer Person ist nicht etwa eine Behauptung irgendwelcher radikalen Maßnahmengegner, sondern entspricht den Richtlinien der WHO und der tatsachen- und evidenzbasierten Rechtsprechung österreichischer Gerichte (vgl etwa LVwG Wien, VGW-103/048/3227/2021-2). Selbst bei Patienten mit gesicherter COVID‑19-Infektion führen Testungen nur bei 32–63 % zu einem positiven Ergebnis (OGH 23.09.2020, 7 Ob 151/20m).
Die Willkür der Zwangstestungen gilt umso mehr in Ansehung einer relativ hohen Anzahl an Ausnahmebestimmungen für Personen und Fallkonstellationen, in denen kein vorheriger Test verlangt wird. So werden etwa für die Versorgung mit 'Waren des täglichen Bedarfes einschließlich periodischen Druckwerken', die 'Aufrechterhaltung des Lieferverkehrs zwischen Betrieben und Betriebsstätten von Betrieben', für Schülertransporte oder für den 'Betrieb und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs' allgemein breitflächig Ausnahmen von der Testpflicht vorgesehen, also sogar überall dort, wo nachweislich Ansteckungen stattfinden. Selbst wenn man also im Prinzip (fiktiv) die Sachlichkeit und Geeignetheit einer Verknüpfung von Ausreisebeschränkung mit Testpflichten anerkennen will, wird mit dieser Verordnung, die von willkürlich privilegierten Gruppen keine solche Testpflicht abverlangt – bildlich gesprochen – das Fenster geschlossen und zugleich die Fensterscheibe eingeschlagen.
Aufgrund dieser offenkundigen Unsachlichkeit und Willkür verletzt die angefochtene VO den Antragsteller in seinen Grundrechten gemäß Art2 StGG 1867 und Art7 B‑VG.
6.2. Verletzung im Recht auf freie Mandatsausübung als Landtagsabgeordneter
Die Abgeordneten des Tiroler Landtages sind bei der Ausübung ihres Mandates an keinen Auftrag gebunden (Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989, LGBl 61/1988), Die verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit des Antragstellers von behördlichen Aufträgen, wie etwa die Duldung eines medizinischen Eingriffs in Form einer schmerzhaften (und unzuverlässigen) Testung unter sonstiger Strafdrohung vor Anreisen vom Wohnort und Wahlkreis des Antragstellers in den Tiroler Landtag, ist daher mit dem Wortlaut und dem Telos eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf freie Mandatsausübung unvereinbar (vgl dazu etwa Koja, Das freie Mandat des Abgeordneten [1971], insbes. S. 14 ff. Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht Bd. 2 [1998], 66 f; Wieser, Art56 Abs1 B‑VG in: Korinek/Holoubek [Hg.], Österreichisches Bundesverfassungsrecht).
6.3. Verletzung im Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art3 GRC ua)
Die Testpflicht verletzt den Antragsteller in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das sich ua aus Art3 GRC ableiten lässt. Der Antragsteller genießt den Schutz der Europäischen Grundrechtecharta als Unionsbürger, der im Rahmen des der wiederkehrenden Sitzungen des Ausschusses für Föderalismus und Europäische Integration (./A), die nicht im Bezirk Kufstein stattfinden, an der Willensbildung von Organen gemäß EUV und AEUV beteiligt ist.
'Antigen-Tests auf SARS-CoV-2' oder 'molekularbiologische Tests auf SARS-CoV‑2', die durch 'dazu befugte Stellen erlangt werden' können, sind mit schmerzhaften körperlichen Eingriffen verbunden, bei denen körpereigenes Untersuchungsmaterial aus der Nase entnommen werden muss. Bei der Probenentnahme kann eine Verletzung der Schleimhäute zu Nasenbluten führen. Vereinzelt führten Fehler auch zum Austritt von Hirnflüssigkeit (https://jamanetwork.com/journals/jamaotolaryngology/article-abstract/2771362 ).
Die behördliche Anordnung derartiger Tests (bei sonstigem Ausreiseverbot) ohne vorherige Aufklärung über die Risiken und ohne eine tatsächlich freie Einwilligung ist mit dem Grundrecht des Antragstellers auf körperliche Unversehrtheit unvereinbar. Derartige Testpflichten sind ebenso ungeeignet zur Zielerreichung wie nach Gesamtabwägung der Rechtsgüter unverhältnismäßig im engeren Sinn.
6.4. Verletzung im Grundrecht auf Freizügigkeit (Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK)
[…]
Evidenzbasiert ist der Bezirk Kufstein in Relation zu anderen Bezirken in Österreich kein COVID-Problemfall. Diese bezirksbezogene Ausreisebeschränkung in Verknüpfung mit unzuverlässigen und nicht aussagekräftigen Tests (ohne Zulassung tatsächlich geeigneter medizinischer Nachweise einer geringen Ansteckungsgefahr) einerseits, breiten Ausnahmebestimmungen für eine Vielzahl von ebenso potentiell ansteckenden Personen andererseits, war und ist ungeeignet zur Zielerreichung, nicht erforderlich und unverhältnismäßig, sie verletzt den Antragsteller auch in seinen Grundrechten gemäß Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK."
3. Der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein legte den Verordnungsakt vor und erstattete eine Äußerung, in der er den Antrag für zulässig, aber unbegründet erachtet. Dem Vorbringen des Antragstellers in der Sache entgegnet der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein Folgendes:
"V.
Zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Verordnung insgesamt:
1. Hintergrund für die Erlassung der Verordnung war die zunehmende Verbreitung der britischen Virusmutation B.1.1.7 samt der Fluchtvariante E484K im Bezirk Kufstein. Von diesen Mutationen geht eine besondere Gefahr aus, weil sie nicht nur ansteckender als der bisher bekannte Wildtyp sind, sondern auch die Immunantwort von Personen, die bereits von einer COVID‑19-Erkrankung genesen sind oder gegen COVID‑19 geimpft wurden, beeinträchtigen können (s dazu zB die Darstellung der Reinfektionsfälle seit 1. Jänner 2021 im Report Mutationen Nr 31 im Verordnungsakt S 335; vgl auch die in der Anlage übermittelten fachlichen Ausführungen zur 3. Novelle der COVID‑19-Schutzmaßnahmen-verordnung, BGBl II Nr 105/2021). Deshalb wurde die Mutation B.1.1.7/E484K als besorgniserregend eingestuft (s https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/corona-virus/sars-cov-2-varianten-in-oesterreich/ , zuletzt abgerufen am 20.5.2021).
2. Im Bezirk Kufstein leben 110.287 Menschen, weshalb der Bezirk Kufstein gemessen an der Einwohnerzahl der Bezirke der drittgrößte Bezirk Tirols nach Innsbruck-Land und Innsbruck Stadt ist.
3. Im Folgenden soll dargelegt werden, warum es aus Sicht der Bezirkshauptmannschaft Kufstein angesichts der von ihr als Verordnungsgeberin vorgefundenen Krisensituation im Interesse des Gesundheitsschutzes notwendig und auch verhältnismäßig war, zum Zweck der Verhinderung der weiteren Verbreitung und des Eindämmens von COVID‑19, insbesondere in Form der im Bezirk Kufstein aufgetretenen Virusmutation B.1.1.7/E484K, zeitlich befristet und nur von punktuellen Ausnahmen durchbrochene Anforderungen, nämlich die Vorlage eines negativen Antigen-Tests, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, oder eines negativen molekularbiologischen Test, der nicht älter als 72 Stunden sein darf, an das Verlassen des politischen Bezirks Kufstein zu stellen:
a. Situation im Bezirk Kufstein im Zeitraum unmittelbar vor und während des Geltungszeitraums der angefochtenen Verordnung
1. Zur allgemeinen Situation im Bundesland Tirol vor Erlassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein:
Die Landessanitätsdirektion beurteilte am 29. März 2021 die Situation im Land Tirol und hielt dabei fest, dass in Tirol die pandemische 3. Welle an SARS-CoV-2 mit einer steigenden Reff. von 1,21 am 26. März 2021 an Dynamik im exponentiellen Wachstum zunehme und sich gemäß den einschlägigen Prognosen weiter beschleunigen werde, sodass mit immer kürzeren Fallverdopplungszeiten zu rechnen sein werde. Die nicht adjustierten und damit wenig vergleichbaren 7‑Tagesinzidenzen würden sich in den Bezirken zwischen 174 im Bezirk Kitzbühel und 393 im Bezirk Lienz bewegen. Das Gesamtbild sei geprägt durch eine ongoing Transmission mit vielen kleinen nicht als zusammenhängend imponierenden Infektionsketten und einem hohen Anteil an als asymptomatisch identifizierten Personen von ca 26% aller positiv Getesteten. Insgesamt könne angenommen werden, dass der Anteil der asymptomatischen Personen am Fallgeschehen zwischen 30 und 50% liege. In einigen Studien werde modelliert, dass bis zu 65% aller Ansteckungen durch asymptomatische Personen vor Beginn ihres Symptombeginns stattfänden.
Die Transmission durch asymptomatische/präsymptomatische Personen sei eine der größten Herausforderungen in der Bekämpfung der pandemischen Ausbreitung, da sich diese Personen innerhalb der Bevölkerung als Gesunde bewegen und nicht immer sämtliche nichtmedikamentösen Vorsichtsmaßnahmen strikt einhalten würden. Somit sei deren Identifikation durch flächenhaftes PCR-Screening von Gesunden (bestmöglich verpflichtend) eines der obersten Ziele der Pandemiebekämpfung.
Der Anteil der besorgniserregenden Varianten (VOC) habe sich ebenfalls innerhalb weniger Wochen innerhalb der Gesamtfallzahl von 40% in Kalenderwoche 8 auf 85% in Kalenderwoche 12 verdoppelt. Die zunehmende Prädominanz der UK-Variante sei auf Basis deren erhöhten Transmissibilität (Übertragbarkeit wie auch Ansteckungsfähigkeit) als zusätzlicher Falltreiber zu identifizieren. Zwischenzeitlich seien zudem mit Identifikation des ersten Falls an der Virus-Variante UK mit der Mutation E484K am 16. März 2021 in rückwirkender Aufarbeitung ab dem 5. März 2021 bis zum 28. März 2021 insgesamt 362 derartige Befunde identifiziert worden, mehrheitliche im Bezirk Kufstein mit 77 Fällen und im Bezirk Schwaz mit 174 Fällen. In Bezug auf die Mutation E484K bestehe die weitere Besorgnis, dass ein Immunescape-Phänomen auftrete, durch das die Wirkung der Impfung unterlaufen werde, dh dass die durch die Impfung ausgebildete Immunität diese Virusmutation nicht ausreichend kontrollieren könne.
Vor diesem Hintergrund seien strengste Containmentregeln unabdingbar, va. sei fächerhaftes Rücktracen und Testen nach hinten über 14 Tage entsprechend den Lebensräumen nicht nur der angegeben konkreten Kontaktpersonen der VOCpos. Q4‑ Personen mit E484K erforderlich. Weiters müsse berücksichtigt werden, dass sich Viren der Linie B.1.1.7 (501Y.V1) seit September 2020 mit Schwerpunkt im Süden und Südosten Großbritanniens sehr rasch ausbreiten würden. Sie würden sich durch eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Mutationen im Spike Protein sowie anderen Genombereichen auszeichnen. Diese würden den Anschein erwecken, eine Erhöhung der Affinität für das zelluläre ACE2 Rezeptorprotein mit sich zu bringen, wodurch ein leichteres Andocken des SARS-CoV-2 an die Wirtszelle ermöglicht werde. Die Zellen würden schneller mit weniger Viren (die Infektionsdosis sinkt) infiziert. Epidemiologische und phylodynamische Daten/Modellierungen würden auf eine rund 1.5-fach erhöhte Reproduktionszahl der neuen Variante hindeuten (Vöhringer et al., 2020; Volz et al., 2021). Kontaktnachverfolgungsdaten von Public Health England zeigen eine höhere Rate an infizierten Kontaktpersonen an [1361/9228 (15%) VOC-Kontakte vs. 1244/11269 (11%) non-VOC-Kontakte] (Public Health England, 2021), sodass man mittlerweile davon ausgehen könne, dass die neue Variante eine leichtere Übertragbarkeit aufweise.
Neue Aspekte würden zudem darauf hinweisen, dass Infektionen mit dieser Variante mit erhöhter Fallsterblichkeitsrate einhergehen könnten (European Centre for Disease Prevention and Control, 2020; New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group, 2021). In einer Preprint-Studie vom 8. März 2021, Grint et al, über die Fallsterblichkeit der VOC (Variante of Concern) B.1.1.7 sei eine Risikozunahme an dieser Variante im Vergleich zu nicht VOC-Varianten zu versterben von 1,76 gefunden worden. Diese Variante habe das Potential, sich schneller mit höherer Mortalität auszubreiten als die nicht VOC-Varianten. Im Fall, dass diese Variante vorherrschen würde, könne auf Basis der erhöhten Ansteckungsrate jedoch von mehr Erkrankten und damit in den bekannten Häufigkeiten auch von mehr schwerkranken Personen ausgegangen werden, was wiederum die Gesundheitssysteme belasten würde. Bereits bei der Normalvariante zeige sich ein starker Zusammenhang zwischen Fall-Verstorbenen-Anteil und dem Alter: Während der Fall-Verstorbenen-Anteil bei Erkrankten bis etwa 50 Jahren unter 0,1% liege, steige er ab 50 Jahren zunehmend an und liege bei Personen über 80 Jahren häufig über 10%.
Daher sei es unabdingbar, frühzeitig weitere Mitigationsschritte zur Eindämmung der Ausbreitung zu setzen, sodass Maßnahmen die Ausbreitung der Variante B.1.1.7 und B.1.1.7+E484K eindämmen könnten. In Interpretation des Infektionsgeschehens mit Zunahme der deutlich steigenden 7-Tages-Inzidenz, der weiteren raschen Verbreitung der Variante B.1.1.7, des Auftretens der Immune-Escape-Mutation E484K in der B.1.1.7 Variante erscheine neben der Einhaltung aller üblichen nichtmedikamentösen Maßnahmen (ua intensives Kontakttracing, strenge Einhaltung der Quarantäne- und Hygieneregeln) die verpflichtende hochfrequente PCR-Testung der Bewohnerinnen und Bewohner zumindest über den Zeitraum von weiteren 14 Tagen (einfache Inkubationszeit) eine sinnvolle Möglichkeit, frühzeitig neue (asymptomatische) virusproduzierende Personen herauszufiltern, sodass keine weiteren oder deutlich weniger Infektionsketten entstehen und eine weitere ongoing Transmission mit zahlreichen asymptomatisch ansteckenden Personen bestmöglich unterbunden bzw mitigiert würden. Eine Eindämmung jener Varianten, welche die Mutation mit E484K aufweisen, sei in Bezugnahme auf die erhoffte Wirksamkeit der Impfungen von großer Bedeutung, Ausreisetestungen im Sinne von Screenen asymptomatischer Personen und Einreisetestungen im Sinn der Verhinderung von Infektionsimporten aus den Bundesländern mit ähnlichen oder noch höheren 7‑Tages-Inzidenzen als Tirol erscheine zudem als eine Möglichkeit, zumindest einen Bevölkerungsanteil verbindlich zu screenen. Gleichzeitig müsse die breite Bevölkerung laufend mittels entsprechender Öffentlichkeitsarbeit motiviert und angehalten bzw im besten Sinne verpflichtet werden, in kurzen Abständen sich möglichst vollständig Testungen zu unterziehen und die nichtmedikamentösen Hygieneregeln einzuhalten. Insbesondere auf das Einhalten der Abstandregeln sei erhöhtes Augenmerk zu legen. Plätze und Ortsbereiche, in welchen mit Menschenansammlungen zu rechnen sei, sollten nur mit dem Tragen von FFP2-Masken auch im Freien geduldet werden.
Ein weiteres Ziel der Ausbreitungsminimierung sei neben dem Senken der Krankheitslast und den damit verbundenen Implikationen, das Bestreben die Impfwirkung auf die Population bestmöglich zu erhalten. Die Landessanitätsdirektion empfiehlt, sollte dies rechtlich nicht umsetzbar sein, sich diesen Forderungen mit der schärfsten rechtlich umsetzbaren Maßnahme anzunähern.
2. Zur Situation im Bezirk Kufstein vor Erlassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein:
Die Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Kufstein hielt zur Lage im Bezirk Kufstein am 27. März 2021 fest wie folgt:
'Sämtliche Gegebenheiten sind aus meiner Sicht beunruhigend und der Punkt, an dem Sondermaßnahmen angezeigt sind, wäre für mich heute erreicht:
unsere Bezirks-Inzidenz hat sich in den letzten Tagen deutlich erhöht – ich denke die kritische 7‑Tage-Inzidenz von 400 könnte schneller erreicht werden wie erwartet
6 Gemeinden (Langkampfen, Erl, Alpbach, Walchsee, Münster, Schwoich) haben inzwischen eine 7‑-Tage-Inzidenz von über 400 bzw nahe an 400 (Schwoich) – hier sind jene Gemeinden mit sehr geringer EW-Zahl und hoher Inzidenz nicht zugerechnet. Die Hochinzidenzgemeinden stehen lokal nicht unbedingt in einem Zusammenhang und sind in ihrer Entwicklung unabhängig voneinander zu sehen.
mit heute Vormittag sind leider alle Gemeinden von aktiv positiven Fällen betroffen, nur Scheffau ist hier die Ausnahme mit 0 Fällen
Kufstein als Stadtgemeinde zählt 75 positive Fälle, neben der Stadt Innsbruck ein Höchstwert/Gemeinde im Bundesland
Wörgl zählt inzwischen 59 Fälle – hier haben wir viele Q4‑Fälle – ich schätze die Dunkelziffer hier als relativ hoch ein
im Bildungsbereich sind seit vorgestern sämtliche Einzelfälle aufgetreten – es lassen sich hier keine Schwerpunktgemeinden definieren, der Bildungsbereich ist flächig betroffen
das BKH Kufstein kämpft mit einem internen Cluster (mit B117/E484K), das momentan schon eine außerordentliche Covid-Normalbetten-Belegung (20 Normalbetten belegt!) zur Folge hat; die Intensivbettenbelegung ist derzeit noch nicht beunruhigend (1 Intensivbett ist belegt), aber wir wissen, dass sich die Fallzahl von heute in der Intensiv-Bettenbelegung niederschlagen wird
wir haben neben SZ die höchste Anzahl an SA- und B117 + 484K Mutationen (Stand gestern: 19 SA + 31 B117/E484K Fälle) bei einer viel geringeren Durchimpfungsrate
Zur Ausbreitung:
natürlich kann man insgesamt die Schwerpunktgemeinden benennen, aber mittlerweile sind praktisch alle Gemeinden von Fällen betroffen und es ist naturgemäß zu erwarten, dass sich die Situation in den meisten Gemeinden nicht ohne Sondermaßnahmen stabilisieren wird und die Ausbreitung noch flächiger wird als sie ohnehin schon ist
wir können mit viel Mühe jeweils noch die Zusammenhänge und Verbindungen zwischen den positiven Fällen/Familienclustern nachvollziehen, mit dieser Fallzahl ist dies aber fast nicht mehr machbar
Testen und Kontaktpersonennachverfolgung:
wir stoßen immer mehr an unsere Grenzen, positive Fälle in Betrieben etc. nachzuverfolgen (K2-Tracing) und anderweitige Spezialtracings vorzunehmen.'
3. Zur Situation im Bezirkskrankenhaus Kufstein vor und nach der Erlassung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein:
Zum Zeitpunkt der amtsärztlichen Analyse am 27. März 2021 waren im Bezirkskrankenhaus Kufstein 20 Normalbetten sowie 1 Intensiv-Bett mit Covid-Patienten belegt, von denen 67% der Patienten mit der Variante B.1.1.7/E484K, 24% mit Variante B1.1.7 und 9% mit der Wildtyp-Variante infiziert waren. Im Vergleich zur Belegung beispielsweise am 3. Mai 2021, an dem lediglich 3 Covid-Normalbetten und 1 Intensiv-Bett belegt waren, war die Situation im Analysezeitpunkt schon als außerordentlich starke Covid-Bettenbelegung einzustufen. Die für Covid-Patienten reservierten Intensivbetten im Bezirkskrankenhaus Kufstein waren zum Analysezeitpunkt zwar nur zur Hälfte belegt, jedoch kam es im weiteren Verlauf am 9. April 2021 aufgrund der initial hohen Covid-Normalbettenbelegung zu einer Überbelegung der reservierten Covid-Intensivbetten und damit zu einer Schmälerung der Intensiv-Kapazitäten des Bezirkskrankenhauses Kufstein für anderweitig intensivpflichtige Patienten. Zusätzlich zur Isolier-Station 'Interne 1' musste ab 23. März 2021 die Station 'Interne 2' mit Covid-Patienten belegt und für internistische Patienten-Neuaufnahmen gesperrt werden. Im Verlauf der Sondermaßnahmen hat sich die Belegungs-Situation im Bezirkskrankenhaus Kufstein wieder etwas entspannt, beispielsweise waren am 14. April 2021 16 Covid-Normalbetten sowie 3 Intensivbetten belegt und die Station 'Interne 2' konnte wieder für Neuaufnahmen von Nicht-Covid-Patienten freigegeben werden.
4. Die Situation beim Absehen von einer weiteren Verlängerung der angefochtenen Verordnung am 13. April 2021:
In ihrer Stellungnahme vom 13. April 2021 hält die Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Kufstein fest, dass zu Beginn der Sondermaßnahme 'Ausreisetestverpflichtung' am 29. bzw 31. März 2021 (zusätzlich zum verstärkten Testangebot im peripheren Raum) der Bezirk Kufstein mit 61 aktiv positiven Fällen, der von der Immun-Escape-Variante B.1.1.7/E484K am zweitstärksten betroffene Bezirk gewesen sei. Die Fallzahl dieser Variante habe im Rahmen der Sondermaßnahmen zwischenzeitlich signifikant verringert werden können und der im Analysezeitpunkt evident gewordene Anstieg der Fallzahl zu B.1.1.7/E484K – insbesondere in den Städten Kufstein und Wörgl – auf 54 sei als im Zusammenhang mit dem durch eine erhöhte Kontaktfrequenz in den Osterfeiertagen bedingter Anstieg zu werten. Durch intensivierte Tracing-Maßnahmen sollten diese aktuellen lokalen Anstiegskurven abgefedert werden können. Wesentlich sei weiters, dass der Vergleich mit anderen Bezirken nun keine besondere Betroffenheit des Bezirks Kufsteins hinsichtlich des Auftretens der Variante B.1.1.7/E484K mehr zeigt. Zum gesamten Infektionsgeschehen im Bezirk Kufstein werde angemerkt, dass sich dieses nach den Osterfeiertagen nun verstärkt auf die Städte Kufstein und Wörgl konzentriere, was einen Strategiewechsel hin zu intensivierten lokalen Tracing-Maßnahmen und einer Aufforderung zur verstärkten Nutzung bereits etablierter Testmöglichkeiten ermöglichen würde. Eine Verlängerung der Sondermaßnahme Ausreisetestpflicht sei daher aus amtsärztlicher Sicht zur Erreichung der primär festgelegten Ziele der Bekämpfung des diffusen Infektionsgeschehens im Bezirk und des Schutzes angrenzender Bezirke vor übermäßiger Eintragung der B.1.1.7/E484K-Variante aus dem Bezirk Kufstein nicht mehr zwingend erforderlich, da die Ziele zu einem wesentlichen Teil erreicht gewesen seien und dem nun auf die Städte konzentrierten Infektionsgeschehen mit gezielten lokalen Maßnahmen wie Aufrufe zur verstärkten Nutzung des Testangebots bzw intensiviertes Tracing entgegengetreten werden könne.
b. Zur Frage, warum mit den bisher bestehenden bundes- bzw landesgesetzlichen Regelungen nicht das Auslangen gefunden werden konnte und zur Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung:
Rechtsgrundlage für die erlassene Verordnung ist §24 Epidemiegesetz. Nach diesem hat die Bezirksverwaltungsbehörde für die Bewohner von Epidemiegebieten Verkehrsbeschränkungen zu verfügen, sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist. Ebenso können Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete von außen angeordnet werden. Betreffend die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung führen die Erläuterungen aus wie folgt (s dazu im Verordnungsakt S 572):
'Seit der Novelle BGBl I Nr 33/2021 sieht §24 EpiG 'Verkehrsbeschränkungen für die Personen, die sich in Epidemiegebieten aufhalten' vor. Als ein solches Epidemiegebiet kann eine bestimmte Fläche, in diesem Fall ein Großteil des Bezirks Kufstein, bestimmt werden. Die Definition der möglichen betroffenen Regionen wurde bereits durch eine Novelle im Jahr 2006 erweitert und ist seither so weit gefasst, dass sie 'neben Siedlungen auch mehr oder weniger ausgedehnte Flächen (bis hin zum gesamten Bundesgebiet) umfassen kann' (Kopetzki, Verkehrsbeschränkungen gem §24 EpG vs COVID‑19-MaßnahmenG – eine Parallelaktion?, RdM 2020, 84 [86]).
§24 EpiG hält nicht ausdrücklich fest, dass (absolute) Verkehrsbeschränkungen unter der Auflage eines negativen Testergebnisses auf SARS-CoV-2 (relativ) gelockert werden können. Allerdings ergibt sich schon aus der in §24 EpiG ausdrücklich vorgesehenen Verhältnismäßigkeitsprüfung ('[s]ofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist'), dass jede verkehrsbeschränkende Maßnahme nur so weit reichen darf, wie dies zur Erreichung ihres Ziels (i.e. der Schutz [vor] der Weiterverbreitung einer meldepflichtigen Erkrankung) unbedingt erforderlich ist. Die Pflicht zur Vorlage eines negativen Testergebnisses, welches im Bezirk Kufstein erlangt wurde, für Personen, die im Epidemiegebiet wohnhaft sind oder sich für mehr [als] 24h dort aufgehalten haben, erfüllt genau dieses Ziel.
Vergleichbare Maßnahmen wurden sehr erfolgreich bereits für das Gebiet der Marktgemeinde Mayrhofen gesetzt (VO der BH Schwaz vom 25. Februar 2021, Bote für Tirol 69/2021), womit eine hohe Testbeteiligung erzielt wurde, viele positive asymptomatische Träger des Coronavirus identifiziert und damit potentielle Neuinfektionen verhindert werden konnten. So konnte am Ende auch der Inzidenzwert deutlich gesenkt werden. Ebenso wurden Maßnahmen für den Bezirk Schwaz zur Verhinderung der Verbreitung der Virusvariante B.1.351 sowie für weitere Gemeinden verordnet, die sich jeweils als sehr effektiv und wirksam erwiesen haben (VO der BH Schwaz vom 09. Und 10. März 2021, Bote für Tirol Nr 86/2021 und 87/2021, VO der BH Imst vom 10. März 2021, Bote für Tirol Nr 88/2021, VO der BH Lienz vom 10. März 2021, Bote für Tirol Nr 89/2021, VO der BH Imst vom 16. März 2021, Bote für Tirol Nr 90/2021, VO der BH Reutte vom 21. März 2021, Bote für Tirol Nr 104/2021; vgl Mutationsreports im Verordnungsakt).
Nach §43a Abs3 des Epidemiegesetzes 1950 können Verordnungen nach diesem Bundesgesetz betreffend COVID‑19 von der Bezirksverwaltungsbehörde ua erlassen werden, wenn keine entsprechenden Verordnungen (hier) des Landeshauptmanns erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung (hier wiederum) des Landeshauptmanns festgelegt werden. Überschneidet sich nun die gegenständliche Verordnung der Bezirkshauptmannschaft mit einer Verordnung des Landeshauptmanns, die eine dieser vergleichbare Test-Nachweispflicht für das Verlassen des Bezirks vorsieht, weil die Bezirksgrenze gleichzeitig die Landesgrenze bildet, so geht dementsprechend die Verordnung des Landeshauptmanns jener der Bezirksverwaltungsbehörde vor. Eine Bestrafung kommt diesfalls daher ausschließlich mit Blick auf die Verordnung des Landeshauptmanns in Frage, welche im dargelegten Überschneidungsbereich jene der Bezirksverwaltungsbehörde verdrängt. Mit LGBl Nr 51/2021 wurde beispielsweise eine solche Verordnung des Landeshauptmanns erlassen, weswegen die soeben beschriebenen Folgen eintreten.'
Vor dem Hintergrund dieser Erläuterungen wird deutlich, dass sich der Verordnungsgeber mit dieser Frage auseinandergesetzt hat und daher klarstellen wollte, dass es sich bei der angefochtenen Verordnung lediglich um eine die Verordnung des Landeshauptmanns ergänzende Verordnung handeln kann.
Die ausdrückliche Anordnung einer Derogation parallel laufender Bestimmungen der Verordnung einer Bezirksverwaltungsbehörde (s §43a Abs5 des Epidemiegesetzes 1950) wurde in die Verordnung des Landeshauptmanns, LGBl Nr 51/2021, deshalb nicht aufgenommen, weil aufgrund der dynamischen Entwicklung des Infektionsgeschehens nicht absehbar ist, wie lange die betreffenden Bestimmungen überhaupt parallel in Geltung stehen werden; dies insbesondere auch aufgrund der strengen Revisionspflicht des Verordnungsgebers, wonach Maßnahmen nur so lange aufrechterhalten werden dürfen, als es zur Eindämmung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist (s dazu die Erläuterungen zur angefochtenen Verordnung im Verordnungsakt S. 572 sowie zur Verordnung des Landeshauptmanns vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus Tirol in der Anlage). Es kann daher vorkommen, dass entsprechende Verordnungen des Landeshauptmanns bereits vor der Verordnung der Bezirksverwaltungsbehörde aufgehoben werden oder auch länger als diese in Kraft bleiben; die Anordnung einer Derogation würde für diesen Fall ein[en] Regelungstorso bewirken. §43a Abs5 Epidemiegesetz 1950 verpflichtet den Verordnungsgeber der höheren Ebene nicht in jedem Fall zur Erlassung von Derogationsbestimmungen, sondern räumt diese Möglichkeit lediglich ein, um allfällige entgegenstehende Regelungen aufheben zu können (so ausdrücklich der AB 370 BlgNR 27. GP , S 2 iVm. S 6), was in solchen Konstellationen gerade nicht der Fall ist. Im Ergebnis ordnet die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein – im Einklang mit der Kaskadenregelung – für die Dauer der Geltung der genannten Verordnung des Landeshauptmanns lediglich Ergänzendes an (Ausreisetestnachweispflicht auch an den Binnengrenzen des Bezirks, während sich die Ausreisetestnachweispflicht an den Landesgrenzen unmittelbar aus der Verordnung des Landeshauptmanns ergibt), weshalb hier weder die Anpassung des Verordnungstextes noch die Aufhebung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein geboten war.
Die 4. COVID‑19-SchuMaV des Bundes konnte der Ausbreitung der als 'variant of concern' (Voc, besorgniserregende Virusvariante) eingestuften Virusvariante B.1.1.7(+E484K) kaum etwas entgegensetzen, da sie für die Eindämmung einer Ausbreitung der Variante B.1.1.7/E484K innerhalb Tirols nicht oder allenfalls nur bedingt geeignet ist, die COVID‑19‑VvV war im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung bereits außer Kraft. Die Regelungen der Bezirkshauptmannschaft Kufstein zielen auf eine Verhinderung der Verbreitung der Virusmutation B.1.1.7/E484K im Bezirk Kufstein und deren Weiterverbreitung auf weitere Teile Tirols ab. Im Zusammenhang mit der Impfstrategie und zur Absicherung von deren Erfolg wurde mit der Erlassung der angefochtenen Verordnung das Ziel verfolgt, die Virusvariante B.1.1.7+E484K in Tirol auszurotten. Die regionale Einschränkung einer bestimmten Krankheitsvariante verlangt andere Maßnahmen als die Verhinderung der unkontrollierten Verbreitung einer bereits in der gesamten Bevölkerung (bzw der ganzen Welt) verbreiteten Infektionskrankheit. Da die Infektionen mit der Virusvariante B.1.1.7/E484K im Bezirk Kufstein in aller Regel innerhalb des häuslichen bzw familiären Umfelds (s dazu und zur diffusen Verbreitung insgesamt oben IV.a.2) erfolgten, ist die 4. COVID-19‑SchuMaV als Eindämmungsinstrument nicht ausreichend effektiv. Weiterreichende Maßnahmen waren dringend angezeigt, um einen kaum wiedergutzumachenden Schaden für die Impfstrategie und damit für den Verlauf der Pandemie hintanzuhalten. Das bezirksweite Abfahrtsverbot verbunden mit dem gelinderen Mittel, eine Abfahrt jener Personen zuzulassen, die entweder unter eine Ausnahme fallen, oder einen Nachweis über eine von ihnen ausgehende lediglich geringe epidemiologische Gefahr vorweisen, war angesichts der Gefahrenlage die ultima ratio.
Abschließend sei noch auf den Hochinzidenzerlass (BMSGPK GZ 2021-0.166.395) des Bundes hingewiesen, der im Zusammenhang mit der Ergreifung von Maßnahmen ausführt wie folgt: 'Diese Vorgabe [hinsichtlich Hochinzidenz] lässt es natürlich unberührt, dass der Landeshauptmann/die Landeshauptfrau auf Basis einer Evaluierung des epidemiologischen Geschehens, wenn dieses eine zunehmende Dynamik aufweist, Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung zu setzen hat, obwohl die 7‑Tages-Inzidenz den Wert von 400/100.000 Einwohnern noch nicht erreicht hat.' Aufgrund dessen, darf nicht sehenden Auges zugewartet werden, bis eine 7‑Tages-Inzidenz den Wert von 400/100.000 Einwohner übersteigt, sondern es sind bereits vorher Maßnahmen zu setzen. Insbesondere beim Auftreten von volksgesundheitsgefährdenden Mutationen ist eine Dynamik vorhanden, welche ein weitaus früheres Tätigwerden der Behörden nicht bloß rechtfertigt, sondern zu so einem Handeln verpflichtet. Das diffuse Auftreten der B.1.1.7/E484K Variante im Bezirk Kufstein, wozu eine evidente Verdachtslage hinsichtlich eines Immunescapes und schwerer Erkrankungsverläufe besteht, hat frühzeitige Eindämmungsmaßnahmen, wie die getroffenen, zwingend erfordert.
c. Zur Eignung und Verhältnismäßigkeit der Verordnung
Mit der Erlassung der angefochtenen Verordnung wurde das Ziel verfolgt, die Bevölkerung des Landes Tirol sowie der angrenzenden Bundesländer und Staaten vor der Ausbreitung von SARS-CoV-2, insbesondere der Virusmutationen B.1.1.7 bzw B.1.1.7/E484K zu schützen. Diese Virusmutationen sind besonders gefährlich, weil sie ansteckender und darüber hinaus mit der Immunescape-Mutation E484K ausgestattet sind, die unter Verdacht steht, sowohl die Bindungsfähigkeit von neutralisierenden Antikörpern als auch die Wirksamkeit einer Schutzimpfung oder Antikörper-Therapie zu beeinträchtigen.
Da mit den bestehenden bundes- bzw landesgesetzlichen Regelungen nicht das Auslangen gefunden werden konnte (s oben V.b.), mussten weitere Maßnahmen gesetzt werden, um das Infektionsgeschehen im Bezirk einzudämmen. Wie bereits unter V.a. ausführlich dargestellt wurde, war ein rapider Anstieg der bestätigten Fälle und Fälle mit Mutationsverdacht im Bezirk Kufstein sowie eine langsame Verdrängung des Wildtyps zu beobachten. Innerhalb des Bezirks konnten keine kleineren Epidemiegebiete definiert werden, weil die Virusmutationen im gesamten Bezirk diffus verbreitet waren, nämlich in jeder Gemeinde außer Angerberg, Bad Häring, Brandenberg, Niederndorferberg, Reith im Alpbachtal, Rettenschöss, Scheffau, Söll und Walchsee. Die genannten Gemeinden konnten jedoch aufgrund ihrer geografischen Lage nicht von der Definition des Epidemiegebietes ausgenommen werden.
Eine aktuelle Studie des Complexity Science Hub Vienna, die das Infektionsgeschehen mit Datenstand 6. April 2021 in 14 politischen Bezirken, die Ausreisetests eingeführt haben, analysiert hat, kam zum Ergebnis, dass die durchschnittliche tägliche Wachstumsrate nach Einführung der Tests um knapp 6 % in den Hochinzidenzregionen und um knapp 3 % in den umliegenden Regionen gesenkt wurde. Das Einführen von Ausreisetests führt daher eindeutig zu einer Reduktion der Infektionsdynamik, und zwar unabhängig davon, ob die Maßnahme aufgrund einer hohen Inzidenz oder zur Eingrenzung neuer Virusmutationsvarianten gesetzt wurde. Quarantänemaßnahmen, insbesondere in Form von Ausreisetests, werden als hocheffektives Mittel angesehen, um eine Reduktion der 7 Tage-Inzidenz herbeizuführen. Die Verpflichtung, eine Region nur mit einem aktuellen negativen Testresultat verlassen zu dürfen, führt zu einer Reduktion von Kontakten mit Bewohnerinnen und Bewohnern anderer Regionen und zu einer Mobilitätsreduktion der Bewohnerinnen und Bewohner der Hochinzidenzregion, wodurch sich indirekt deren Kontakthäufigkeiten reduzieren und das Infektionsgeschehen schneller abnimmt. Daher wirken Ausreisetestungen auch positiv auf die angrenzenden Regionen, weil so verhindert wird, dass eine Hochinzidenzregion eine andere 'ansteckt'. Ein Ergebnis der Studie ist weiters, dass bei Auftreten von Virusmutationen mit Immunflucht wie etwa B.1.1.7+E484K ein rasches, regional gezieltes Vorgehen bereits bei sehr niedrigen Fallzahlen erforderlich ist, um möglichst früh eine Ausbreitung verhindern zu können (s Klimek/Thurner/Heiler, CSH Policy Brief - Hin zu einer regionalisierten Niedriginzidenz-Strategie für kommende COVID-19 Infektionswellen vom 19. April 2021, abrufbar unter https://www.csh.ac.at/wp-content/uploads/2021/04/2021-April-CSH-Policy-Brief-Ausreisetests.pdf [20.5.2021]).
Die mit der angefochtenen Verordnung gesetzte Maßnahme ist somit zur Zielerreichung geeignet. Dies untermauern auch die den Stellungnahmen der Amtsärztin zugrunde gelegten Daten: Mit Stichtag 1. März 2021 war im Bezirk Kufstein noch kein PCR‑bestätigter Fall der B.1.1.7/E484K Mutation bekannt (s dazu den Report Mutationen mit Stand 1.3.2021, 07.00 Uhr im Verordnungsakt S 3 f). Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung am 31. März 2021 betrug im Bezirk Kufstein die Anzahl der PCR-bestätigten Fälle der B.1.1.7/E484K Mutation bereits 67 (s dazu den Report Mutationen Nr 50 mit Stand 31.3.2021, im Verordnungsakt S 835 f). Im angrenzenden Bezirk Schwaz betrug zum selben Zeitpunkt die Anzahl der PCR bestätigten Fälle der B.1.1.7/E484K Mutation 106, im angrenzenden Bezirk Kitzbühel 14 und im Bezirk Innsbruck Land 42 (s dazu den Report Mutationen Nr 50 mit Stand 31.3.2021, im Verordnungsakt S 865 f). Aufgrund dieser Ausbreitung innerhalb des Bezirks Kufstein war ein Abfahrtsverbot aus Gründen des Volksgesundheitsschutzes der anderen Bezirke erforderlich und zur Eindämmung über den Bezirk hinaus auch geeignet, da eine Abfahrt in die angrenzenden Bezirke nur mit Nachweis einer von der betroffenen Person ausgehenden geringen epidemiologischen Gefährdung möglich ist. Zum Zeitpunkt des Außerkrafttretens der angefochtenen Verordnung am 14. April 2021 betrug die Anzahl der PCR-bestätigten Fälle von B.1.1.7/E484K im Bezirk Kufstein nur noch 49 (s dazu den Report Mutationen Nr 64 mit Stand 14.4.2021, im Verordnungsakt S 1415 f) und konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Städte Kufstein und Wörgl. Die Stabilisierung der Fallzahlen innerhalb des Bezirks und die Verlangsamung der Verbreitung über den Bezirk hinaus (aktiv positive Personen mit B.1.1.7/E484K im Außerkrafttretenszeitpunkt 27 im Bezirk Schwaz und 14 im Bezirk Kitzbühel) zeigen, dass die erforderlichen Maßnahmen geeignet waren.
Aufgrund der diffusen Verbreitung der Virusmutationen im Bezirk Kufstein war keine weitere räumliche Begrenzung der Verkehrsbeschränkungen möglich. Die mit der angefochtenen Verordnung gewählte Verkehrsbeschränkung dergestalt, dass bei Ausreise aus dem Bezirk ein negatives Testergebnis auf SARS-CoV-2 mitzuführen ist, ist gegenüber einem generellen Ausreiseverbot jedenfalls das gelindere Mittel. Weiters wurden in erster Linie Personen mit Wohnsitz im nach §1 festgelegten Epidemiegebiet verpflichtet, ein negatives Testergebnis bei der Ausreise mitzuführen. Personen, die sich im Epidemiegebiet aufgehalten haben, sind nur dann zur Mitnahme eines negativen Testergebnisses verpflichtet, wenn sie sich über einen Zeitraum von zumindest 24 Stunden im Epidemiegebiet aufgehalten haben. Somit werden Transitierende und Pendler, von denen eine geringere epidemiologische Gefahr ausgeht, ausgenommen. Zudem enthält §3 einen Katalog mit Ausnahmen von der Verpflichtung, ein negatives Testergebnis mitzuführen, der auch durch nachfolgende Verordnungen erweitert wurde. Im gesamten Bezirk Kufstein gab es zahlreiche Möglichkeiten, kostenlos einen nach der Verordnung erforderlichen Test vornehmen zu lassen: Im Geltungszeitraum der Verordnung wurde in der Screeningstraße Kufstein täglich zwischen 8.00 und 17.00 Uhr und in der Teststation Wörgl von Montag bis Freitag zwischen 8.00 und 16.00 Uhr sowie an 4 weiteren Standorten, die täglich zwischen 06.00 und 9.00 Uhr sowie 17.00 bis 19.00 Uhr geöffnet waren, ein kostenloses Testangebot zur Verfügung gestellt. Daneben bestand die Möglichkeit bei niedergelassenen Ärzten, zahlreichen Apotheken und sonstigen Stellen wie der WK Tirol einen kostenlosen Antigentest durchführen zu lassen. Somit war es in diesem Zeitraum leicht möglich, einen kostenlosen COVID‑19-Test durchführen zu lassen und ein negatives Testergebnis für die Ausreise aus dem Bezirk Kufstein zu erhalten (s dazu die Medieninformation zum Testangebot im Verordnungsakt S 792).
Vor diesem Hintergrund war die Erlassung der genannten Verordnung erforderlich und angemessen, weil kein gelinderes Mittel zur Zielerreichung als ein Ausreiseverbot mit den oben dargelegten Ausnahmen sowie einer Freitestungsmöglichkeit zur Verfügung stand."
4. Der Landeshauptmann von Tirol erstattete eine Äußerung, in der er sich den Ausführungen des Bezirkshauptmannes des politischen Bezirks Kufstein anschließt. Ergänzend führt der Landeshauptmann von Tirol zum Vorbringen des Antragstellers, der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein sei zur Erlassung der angefochtenen Verordnung nicht zuständig gewesen, Folgendes aus:
"§43a EpiG trifft eine Kaskadenregelung im Hinblick auf die Zuständigkeiten zur Erlassung der genannten Verordnungen betreffend COVID‑19. Demnach kann der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister Verordnungen erlassen, in denen entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation auch regional differenzierende Maßnahmen gesetzt werden können. Verordnungen können weiters vom Landeshauptmann erlassen werden, wenn keine Verordnung des zuständigen Bundesministers erlassen wurde oder zusätzliche Maßnahmen festgelegt werden. Zuletzt können Verordnungen von der Bezirksverwaltungsbehörde erlassen werden, wenn keine Verordnungen des zuständigen Bundesministers oder Landeshauptmannes erlassen wurden oder zusätzliche Maßnahmen festgelegt werden.
Der Antragsteller moniert, dass die Verordnung des Landeshauptmanns vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus Tirol, LGBl Nr 51/2021, von 31. März 2021 bis 14. April 2021 in Geltung gestanden und sich damit zeitlich zur Gänze und inhaltlich zum Teil mit der angefochtenen Verordnung überschnitten habe. Die angefochtene Verordnung könne somit keine zusätzliche Maßnahme darstellen und sei verfassungswidrig, weil sie von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde.
Die mit 31. März 2021 in Kraft getretene Verordnung des Landeshauptmanns LGBl Nr 51/2021 bestimmt in ihrem §1 den örtlichen Geltungsbereich der Verordnung für das ganze Land Tirol (mit Ausnahme des politischen Bezirks Lienz, der Gemeinde Jungholz sowie des Rißtals im Gemeindegebiet von Vomp und Eben am Achensee); sie legt somit eine Testnachweispflicht für das Verlassen von Nordtirol im Sinn einer Überschreitung der Landesgrenze fest. Der örtliche Geltungsbereich der ebenfalls mit 31. März 2021 in Kraft getretenen angefochtenen Verordnung umfasst den gesamten politischen Bezirk Kufstein; sie legt eine Testnachweispflicht für das Verlassen das politischen Bezirks Kufstein im Sinn einer Überschreitung der Bezirksgrenze fest. Die genannten Verordnungen regeln daher jeweils ein aliud. Nach §43a EpiG könnte auch der Landeshauptmann eine Verordnung betreffend eine Ausreisetestpflicht für einen oder mehrere Bezirke Tirols erlassen. Solange der Landeshauptmann von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch macht, sondern nur eine Ausreisetestpflicht für die Überschreitung der Landesgrenze vorsieht, ist die von der Bezirkshauptmannschaft Kufstein verordnete Ausreisetestpflicht für das Verlassen des Bezirks jedenfalls als zusätzliche Maßnahme im Sinn des §43a EpiG anzusehen, auch wenn es eine Überschneidung der beiden Verordnungen in jenem Bereich gibt, wo die Bezirksgrenze des politischen Bezirks Kufstein gleichzeitig die Landesgrenze bildet. Allein das Vorhandensein einer solchen Überschneidung macht die Bezirkshauptmannschaft Kufstein nicht zur Erlassung einer Verordnung wie der angefochtenen unzuständig, weil §43a Abs3 EpiG den Bezirkshauptmannschaften das Recht einräumt, in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich zusätzliche Regelungen zu erlassen, um auf regionale Entwicklungen im Infektionsgeschehen zu reagieren. Nichts anderes hat die Bezirkshauptmannschaft Kufstein vorliegend getan.
Der ergänzende Charakter der Verordnungen auf Bezirksebene zur Verordnung auf Landesebene wird besonders deutlich, wenn man die mit den erlassenen Verkehrsbeschränkungen verfolgten Ziele betrachtet: Während die Verordnung des Landeshauptmanns mit der darin vorgesehenen Testnachweispflicht verhindern soll, dass sich die Virusmutation über die Grenzen Nordtirols in das umliegende In- und Ausland verbreitet, verfolgen Verordnungen auf Bezirksebene das Ziel, die Verbreitung in den von der Virusmutation am stärksten betroffenen Gemeinden bzw Bezirken innerhalb des Bundeslandes einzudämmen und so zu verhindern, dass eine Hochinzidenzregion eine andere 'ansteckt'. Die Verpflichtung zu Ausreisetests ist eine hochwirksame Maßnahme, weil sich die Eindämmung von Kontakten sowie die geminderte Mobilität positiv auf die angrenzenden Regionen auswirkt (s Klimek/Thurner/Heiler, CSH Policy Brief - Hin zu einer regionalisierten Niedriginzidenz-Strategie für kommende COVID‑19 Infektionswellen vom 19. April 2021, abrufbar unter https://www.csh.ac.at/wp-content/uploads/2021/04/2021-April-CSH-Policy-Brief- Ausreisetests.pdf , zuletzt abgerufen am 25.5.2021).
Für die rasche Eindämmung von Virusmutationen war es daher sinnvoll und erforderlich, dass landesweit geltende Maßnahmen durch gemeinde- bzw bezirksweit geltende Maßnahmen ergänzt werden. Dies auch vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt der Erlassung solcher Testnachweis-Verordnungen aufgrund der schwer prognostizierbaren Entwicklung des Infektionsgeschehens nicht absehbar war, wie lange diese Verordnungen parallel in Geltung stehen werden, weil die jeweiligen und – wie dargelegt – unterschiedliche Ziele verfolgenden Maßnahmen aufgrund der strengen Revisionspflicht des Verordnungsgebers nur so lange aufrechterhalten werden dürfen, wie es zur Eindämmung der Verbreitung von COVID‑19 erforderlich ist. Es kann daher – aus einer ex-ante Sicht bei Verordnungserlassung – sein, dass die die Verordnung des Landeshauptmannes ergänzenden Verordnungen von Bezirksverwaltungsbehörden bereits vor der landesweit geltenden Verordnung aufgehoben werden oder auch, dass sie länger als diese in Kraft bleiben. Während eine Verlängerung der angefochtenen Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein aus epidemiologischer Sicht nicht erforderlich war (s dazu die Äußerung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein V.a.4), wurde die vom Landeshauptmann verordnete Ausreisetestpflicht zwei Mal bis 5. Mai 2021 verlängert (s LGBl Nr 59/2021 und LGBl Nr 66/2021).
Wie zudem aus den der Äußerung der Bezirkshauptmann[schaft] Kufstein als Anlage angeschlossenen Erläuterungen zur Verordnung des Landeshauptmanns LGBl Nr 51/2021 hervorgeht, hat sich dieser mit der Frage einer allenfalls nach §43a Abs5 EpiG vorzusehenden Derogation auseinandergesetzt, sich jedoch aus den dort genannten Gründen dagegen entschieden."
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‐VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung – im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit verletzt.
Nicht jedem Normadressaten kommt aber die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).
1.2. Der Antragsteller ist durch die angefochtenen Verordnungsbestimmungen unmittelbar und aktuell betroffen. Durch die angefochtenen Bestimmungen wird dem Antragsteller untersagt, den Bezirk Kufstein – in dem der Antragsteller wohnhaft ist – ohne Nachweis eines negativen Ergebnisses eines Antigen- oder molekularbiologischen Tests im Hinblick auf COVID‑19 zu verlassen (§2 iVm §1 Ausreiseverordnung), sofern kein Ausnahmetatbestand (§3 Ausreiseverordnung) vorliegt.
1.3. In der vorliegenden Konstellation erweist sich der Antrag auch nicht deswegen mangels aktueller Betroffenheit als unzulässig, weil die angefochtene Verordnung im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist:
1.3.1. Aus dem Wortlaut des Art139 Abs1 Z3 B‑VG ("verletzt zu sein behauptet") ergibt sich, dass die angefochtenen Verordnungsbestimmungen zum Zeitpunkt der Antragstellung tatsächlich unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreifen müssen (siehe statt vieler zu Verordnungsbestimmungen VfSlg 12.634/1991, 13.585/1993, 14.033/1995; zu Gesetzesbestimmungen VfSlg 9096/1981, 12.447/1990, 12.870/1991, 13.214/1992, 13.397/1993).
Der Verfassungsgerichtshof geht weiters davon aus, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen auch im Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Antragsteller noch entsprechend wirksam sein müssen (vgl für Verordnungsbestimmungen VfSlg 12.413/1990, 12.756/1991, 12.877/1991, 14.712/1996, 14.755/1997, 15.852/2000, 16.139/2001, 19.391/2011; für Gesetzesbestimmungen VfSlg 12.999/1992, 16.621/2002, 16.799/2003, 17.826/2006, 18.151/2007; VfGH 6.3.2019, G318/2018), was in der Regel dann nicht mehr der Fall ist, wenn die bekämpften Bestimmungen bereits außer Kraft getreten oder wesentlich geändert worden sind und damit das Ziel des Art139 Abs1 Z3 B‑VG schon erreicht ist (zB VfSlg 17.653/2005, 18.284/2007, 18.837/2009, 15.491/1999, 19.391/2011). Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch bereits außer Kraft getretene Regelungen die Rechtssphäre des Antragstellers aktuell berühren (vgl zB VfSlg 16.581/2002, 18.235/2007, 10.313/1984, 15.888/2000, 17.798/2006; allgemein auch zB 15.116/1998, 17.826/2006, 12.976/1992). Solches hat der Verfassungsgerichtshof bislang insbesondere dann angenommen, wenn es sich um einen auf einzelne Kalenderjahre bezogenen Anspruch handelt (VfSlg 16.581/2002) oder wenn die außer Kraft getretene Bestimmung die Rechtssphäre des Antragstellers weiterhin etwa in Beziehung auf privatrechtliche Verträge, die der Anfechtende während des Zeitraums der Geltung abgeschlossen hat, unmittelbar berührt (VfSlg 12.976/1992).
Insbesondere erachtet der Verfassungsgerichtshof eine entsprechende Wirksamkeit angefochtener Verordnungsbestimmungen und damit die Antragslegitimation ungeachtet des Umstandes, dass die Verordnung bereits außer Kraft getreten ist, bei zeitraumbezogenen Regelungen für gegeben, weil diese für den entsprechenden Zeitraum weiterhin anzuwenden sind (siehe VfSlg 10.820/1986 sowie insbesondere die Rechtsprechung zu sogenannten Systemnutzungstarifen im Energierecht VfSlg 15.888/2000, 15.976/2000, 17.094/2003, 17.266/2004, 17.798/2006, 19.840/2013).
1.3.2. Wie Art139 Abs4 (und ebenso Art140 Abs4) B‑VG deutlich macht, kann bzw muss dem Rechtsschutzziel eines Antrages nach Art139 Abs1 Z3 B‑VG in bestimmten Konstellationen auch durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes Rechnung getragen werden, dass die bekämpften Verordnungsbestimmungen gesetzwidrig waren.
Die vom Antragsteller bekämpften Verordnungsbestimmungen sind Teil eines gesetzlichen und verordnungsmäßigen Regelungssystems, das zur Bewältigung einer krisenhaften Situation, der Bekämpfung der COVID‑19-Pandemie und ihrer Auswirkungen, dadurch gekennzeichnet ist, dass der Gesetzgeber Ermächtigungen für die Verwaltung erlassen hat, auf die Verordnungen gestützt werden, die Ge- und Verbote enthalten, die unmittelbar (verfassungsgesetzlich gewährleistete) Rechte einschränken und die Nichteinhaltung dieser Anordnungen unter Strafe stellen. Anlass und Zielsetzung dieses Regelungssystems verlangen von der Vollziehung eine laufende Beobachtung und Anpassung ihrer Maßnahmen, was eine rasche Abfolge von Bestehen und Änderung einzelner Verordnungen und Verordnungsbestimmungen bewirkt.
Ein Antrag nach Art139 Abs1 Z3 B‑VG soll (wie auch ein solcher nach Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG) Rechtsschutz gewährleisten, wenn dieser gegen individuelle Rechtseingriffe durch (Gesetzes- oder) Verordnungsbestimmungen sonst nicht oder nur auf unzumutbarem Weg (zur diesbezüglichen Subsidiarität des Individualantrages vgl Rohregger, Art140 B‑VG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 163) erlangt werden kann. Insofern hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach festgestellt, dass der Sinn des rechtsstaatlichen Prinzips darin gipfelt, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein System von Rechtsschutzeinrichtungen die Gewähr dafür bietet (VfSlg 11.196/1986, 16.245/2001).
Dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers an der Klärung, ob der durch die angefochtenen Verordnungsbestimmungen bewirkte Eingriff in seine (Grund‑)Rechtssphäre, den zunächst hinzunehmen er unter Strafsanktion verpflichtet ist, recht- und letztlich verfassungsmäßig erfolgte, kann angesichts des Umstandes, dass ansonsten Rechtsschutz nur bei Setzen einer strafbaren Handlung zu erlangen (gewesen) wäre, nur in einem Verfahren nach Art139 Abs1 Z3 B‑VG Rechnung getragen werden. Dieses Rechtsschutzinteresse, das insoweit über den kurzen Zeitraum hinausreicht, in dem die angefochtenen Bestimmungen in Kraft gestanden sind (vgl das von einem ähnlichen Rechtsschutzgedanken getragene System der Maßnahmenbeschwerde oder die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Versammlungsuntersagungen, zB VfSlg 20.312/2019), bewirkt, dass im vorliegenden Fall die Rechtssphäre des Antragstellers auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes berührt wird, und begründet – noch (vgl VfSlg 10.819/1986, 11.365/1987) – die Wirksamkeit der angefochtenen Bestimmungen, auch wenn diese zwischenzeitig außer Kraft getreten sind.
1.3.3. Die angefochtene Verordnung ist zwar mit Ablauf des 14. April 2021 außer Kraft getreten. Vor dem Hintergrund der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes greifen die angefochtenen Verordnungsbestimmungen dennoch unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers ein und beeinträchtigen seine rechtlich geschützten Interessen auch noch aktuell (vgl VfGH 14.7.2020, V363/2020; V395/2020; V396/2020; V411/2020; G202/2020).
1.3.4. Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder bestimmte Stellen als gesetzwidrig aufgehoben werden.
1.3.5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt dargelegt hat (siehe nur VfSlg 20.161/2017 mwN), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen eine untrennbare Einheit bilden. Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Verordnungsstelle etwa als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 17.512/2005, 19.413/2011, 20.161/2017).
Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit der Antragsteller solche Normen anficht, durch die seine (rechtlich geschützten) Interessen aktuell beeinträchtigt sind und die mit diesen in untrennbarem Zusammenhang stehen; dabei darf aber nach §57 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Vorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des Antragstellers aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).
Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, durch welche die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht aktuell beeinträchtigt sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers aktuell beeinträchtigenden (und nach Auffassung des Antragstellers den Sitz der Gesetzwidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers bildenden, die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers aktuell beeinträchtigenden Bestimmungen offensichtlich trennbar, führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers aktuell beeinträchtigenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), ist der Antrag insgesamt zulässig (vgl VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle einer ganzen Verordnung), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).
1.3.6. Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Aufhebung der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein zur Gänze.
1.3.7. Der Antrag auf Aufhebung der gesamten Verordnung erweist sich als zulässig. Anders als in jenen Fällen, in denen der Verfassungsgerichtshof die Anfechtung eines gesamten Regelwerks für unzulässig erklärt hat (vgl zB VfGH 29.9.2015, G324/2015; VfSlg 20.112/2016; VfGH 14.7.2020, G180/2020 ua), greifen sämtliche Regelungen der Ausreiseverordnung derart ineinander, dass eine isolierte Anfechtung einer einzelnen Bestimmung nicht möglich ist. Die Verordnung enthält nämlich nicht mehrere voneinander trennbare Tatbestände und die Bedenken des Antragstellers beziehen sich auf sämtliche (wesentliche) Bestimmungen der Verordnung, weswegen die Anfechtung der gesamten Verordnung zulässig ist (vgl VfGH 3.3.2021, V75/2019 ua).
1.3.8. Dem Antragsteller steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, seine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, weil dem Antragsteller im Fall des Zuwiderhandelns gegen die angefochtenen Bestimmungen eine Verwaltungsstrafe nach §40 EpiG droht (vgl zB VfGH 3.3.2021, V75/2019 ua mwN).
1.3.9. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Die Ermächtigung in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 determiniert den Verordnungsgeber in folgender Hinsicht:
2.2.1. §24 erster Satz EpiG idF BGBl I 33/2021 ermöglicht, Verkehrsbeschränkungen für in einem Epidemiegebiet aufhältige Personen zu verfügen, sofern dies im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren (Weiter-)Verbreitung unbedingt erforderlich ist. Gemäß §24 zweiter Satz EpiG idF BGBl I 33/2021 können ebenso Beschränkungen für den Verkehr mit den Bewohnern solcher Gebiete "von außen" angeordnet werden.
Die Verordnungsermächtigung zur Verhängung von Verkehrsbeschränkungen in einem (Epidemie-)Gebiet nach §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 hat – wie alle im II. Hauptstück des Epidemiegesetzes 1950 vorgesehenen Maßnahmen – die Verhinderung der Ausbreitung ansteckender, nach dem Epidemiegesetz 1950 meldepflichtiger Krankheiten vor Augen. Dies mit der Einschränkung, dass die Verkehrsbeschränkung "im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens einer meldepflichtigen Erkrankung zum Schutz vor deren Weiterverbreitung unbedingt erforderlich ist".
2.2.2. §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 legt das Ziel einer möglichen Verkehrsbeschränkung zwischen Personen eines bestimmten (Epidemie-)Gebietes mit dem Schutz vor der Weiterverbreitung einer meldepflichtigen Krankheit fest. Welche Krankheiten "meldepflichtig" (bzw "anzeigepflichtig") sind, ist in §1 EpiG bestimmt, wobei der Bundesminister für Gesundheit und Frauen (nunmehr: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) durch Verordnung weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterwerfen kann (§1 Abs2 EpiG).
2.2.3. Dem Verordnungsgeber ist im Hinblick auf die Entscheidung, ob bzw in welcher Ausgestaltung eine Verkehrsbeschränkung in einem bestimmten (Epidemie-)Gebiet in Anbetracht der "Art und des Umfanges" der dort auftretenden meldepflichtigen Krankheit nach §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 zur Verhinderung der Weiterverbreitung "unbedingt erforderlich" ist, ein Einschätzungs- und Prognosespielraum übertragen. Der Verordnungsgeber hat zu beurteilen, ob und inwieweit er zur Verhinderung der Weiterverbreitung der meldepflichtigen Krankheit die Beschränkung der Aus- und Einreise in ein bestimmtes Gebiet für erforderlich hält, und dabei eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen der betroffenen Personen vorzunehmen. Der Verordnungsgeber hat also in Ansehung des Standes und der Ausbreitung der Krankheit sowie der in Geltung stehenden übrigen Maßnahmen notwendig prognosenhaft zu beurteilen, ob und inwieweit die Beschränkung der Aus- und Einreise in ein (Epidemie-)Gebiet geeignet, erforderlich und insgesamt angemessen ist (vgl zur Verordnungsermächtigung nach §5c EpiG VfGH 10.3.2021, V573/2020).
2.3. Die Zuständigkeit zum Erlass einer Verordnung nach §24 EpiG (idF BGBl I 33/2021) ist in §43a EpiG wie folgt geregelt:
2.3.1. Gemäß §43a Abs1 EpiG sind Verordnungen nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID‑19 vom für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen. Der Landeshauptmann kann eine Verordnung nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID‑19 erlassen, wenn der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister keine solche Verordnung (nach Abs1 leg cit) erlassen hat oder der Landeshauptmann kann zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung (nach Abs1 leg cit) festlegen (§43a Abs2 EpiG). Die Bezirksverwaltungsbehörde kann eine Verordnung nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID‑19 erlassen, wenn weder der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister (nach Abs1 leg cit) noch der Landeshauptmann (nach Abs2 leg cit) eine Verordnung erlassen hat oder die Bezirksverwaltungsbehörde kann zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung (nach Abs1 oder Abs2 leg cit) festlegen (§43a Abs2 EpiG).
§43a Abs4 EpiG hält fest, dass in einer Verordnung nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID‑19 entsprechend der jeweiligen epidemiologischen Situation regional differenziert werden kann.
Gemäß §43a Abs5 EpiG können Verordnungen des für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesministers (nach Abs1 leg cit) Verordnungen des Landeshauptmannes (nach Abs2 leg cit) und der Bezirksverwaltungsbehörde (nach Abs3 leg cit) zur Gänze bzw teilweise aufheben. Gleiches gilt für Verordnungen des Landeshauptmannes (nach Abs2 leg cit) im Hinblick auf Verordnungen der Bezirksverwaltungsbehörden (nach Abs3 leg cit).
2.3.2. §43a EpiG wurde mit Bundesgesetz BGBl I 104/2020 in das Epidemiegesetz 1950 eingeführt und trat mit 26. September 2020 in Kraft. Ausweislich der Materialien sollte die Regelung der Klarstellung und der Vereinheitlichung der Kaskadenregelung im Hinblick auf die Zuständigkeiten "(analog auch im COVID‑19-Maßnahmengesetz)" dienen. Da derzeit ein "kompletter Lockdown" kein zweites Mal in Frage komme, müsse nach regionaler epidemiologischer Situation auch das Ergreifen differenzierter Maßnahmen möglich sein (IA 826/A 27. GP , 8).
2.4. Zum behaupteten Verstoß der angefochtenen Verordnung gegen §43a EpiG:
2.4.1. Die angefochtene Verordnung regelt Anforderungen für das Verlassen des politischen Bezirks Kufstein für den Zeitraum von 31. März bis 14. April 2021. Vorgesehen wurde die (Ausreise-)Bedingung, den politischen Bezirk Kufstein (§1 Ausreiseverordnung) nur mit gültigem Nachweis über ein negatives Ergebnis eines Antigen- oder molekularbiologischen Tests auf COVID‑19 (in der Ausreiseverordnung bezeichnet als "SARS-CoV-2") zu verlassen. Dies galt für Personen mit Wohnsitz im genannten Gebiet sowie Personen, die sich dort durchgehend über einen Zeitraum von mehr als 24 Stunden aufhielten (§2 Abs1 und Abs2 Ausreiseverordnung), sofern die Person nicht einen Ausnahmegrund im Sinne des §3 Ausreiseverordnung glaubhaft machen konnte.
2.4.2. Nach Ansicht des Antragstellers war der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein zur Erlassung der angefochtenen Verordnung gemäß §43a EpiG nicht zuständig, weil zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung eine entsprechende Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol – konkret die Verordnung des Landeshauptmanns vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus Tirol, LGBl 51/2021 – in Geltung gestanden sei. Bei der angefochtenen Verordnung könne es sich um keine "zusätzliche Maßnahme" im Sinne des §43a Abs3 EpiG handeln, weil die genannte Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol sowohl in zeitlicher als auch teilweise in inhaltlicher Hinsicht mit der angefochtenen Verordnung übereingestimmt habe.
2.4.3. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes war der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein zum Erlass der angefochtenen Verordnung gemäß §43a Abs3 EpiG zuständig. Gemäß §43a Abs3 EpiG können Bezirksverwaltungsbehörden "zusätzliche Maßnahmen" zu einer Verordnung des Landeshauptmannes (bzw des für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesministers) nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID‑19 vorsehen. Bei der angefochtenen Verordnung des Bezirkshauptmannes des politischen Bezirks Kufstein handelt es sich um eine zusätzliche Maßnahme zu der in der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol von 29. März 2021, LGBl 51/2021, vorgesehenen Verkehrsbeschränkung. Die angefochtene Verordnung sollte durch die Beschränkung der Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein die (Weiter-) Verbreitung von COVID‑19 (bzw der Virusmutationen) über die Bezirksgrenze hinweg, sprich in den Rest des Bundeslandes Tirol hintanhalten. Aus diesem Grund sah der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein die Pflicht zum Nachweis eines negativen Testergebnisses auf COVID‑19 bei Überschreiten der Grenzen des Bezirks Kufstein für dort wohnhafte bzw aufhältige Personen vor. Demgegenüber zielte die genannte Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol auf die Verhinderung der Weiterverbreitung der Krankheit über die Landesgrenzen hinaus ab. Der Umstand, dass sich die Bezirksgrenzen des politischen Bezirks Kufstein teilweise mit den Landesgrenzen Tirols überschneiden, ändert nichts an der Einordnung der angefochtenen Verordnung als "zusätzliche Maßnahme" im Sinne des §43a Abs3 EpiG.
2.4.4. Die vom Antragsteller geltend gemachten Bedenken gegen die Zuständigkeit des Bezirkshauptmannes des politischen Bezirks Kufstein zur Erlassung der angefochtenen Verordnung treffen daher nicht zu.
2.5. Zum behaupteten Verstoß des §43a EpiG gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art18 B‑VG:
2.5.1. Der Antragsteller zieht zudem die hinreichende Bestimmtheit des §43a EpiG in Zweifel. Soweit es §43a Abs3 EpiG Bezirksverwaltungsbehörden erlaube, strengere Verkehrsbeschränkungen in Form von "zusätzlichen Maßnahmen" neben einer Verordnung des Landeshauptmannes zu verhängen, sei die Bestimmung nach Ansicht des Antragstellers mit dem Legalitätsprinzip unvereinbar. Es sei in diesem Fall unklar, welche Regelung (jene des Landeshauptmannes oder der Bezirksverwaltungsbehörde) zur Anwendung gelange. Insoweit sei die Behördenzuständigkeit in §43a EpiG – entgegen den Vorgaben des Art18 B‑VG – nicht klar abgegrenzt. Es sei zudem unklar, was unter dem Begriff "zusätzliche Maßnahmen" in §43a Abs2 und Abs3 EpiG zu versehen sei.
2.5.2. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ist die Zuständigkeit zum Erlass einer Verordnung nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID‑19 in §43a Abs1 bis Abs3 EpiG ausreichend bestimmt geregelt: Gemäß §43a Abs1 EpiG ist eine Verordnung nach §24 EpiG (primär) von dem für das Gesundheitswesen zuständigen Bundesminister zu erlassen. Der Landeshauptmann kann eine Verordnung nach §24 EpiG erlassen, wenn der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister keine solche Verordnung (nach Abs1 leg cit) erlassen hat oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung (nach Abs1 leg cit) festgelegt werden (§43a Abs2 EpiG). Die Bezirksverwaltungsbehörde kann eine Verordnung nach dem Epidemiegesetz 1950 betreffend COVID‑19 erlassen, wenn weder der für das Gesundheitswesen zuständige Bundesminister (nach Abs1 leg cit) noch der Landeshauptmann (nach Abs2 leg cit) eine Verordnung erlassen hat oder zusätzliche Maßnahmen zu einer Verordnung (nach Abs1 oder Abs2 leg cit) festgelegt werden (§43a Abs2 EpiG).
Hat sohin der Landeshauptmann eine Verkehrsbeschränkung (wie in der vorliegenden Konstellation) gemäß §24 EpiG für das Bundesland Tirol erlassen, kommt der Bezirksverwaltungsbehörde (nur mehr) die Zuständigkeit zur Verhängung zusätzlicher Maßnahmen zur bestehenden Verordnung des Landeshauptmannes für Tirol gemäß §43a Abs3 EpiG zu. Die Verkehrsbeschränkung der Bezirksverwaltungsbehörde nach §24 EpiG besteht als zusätzliche Maßnahme gemäß §43a Abs3 EpiG neben der Verkehrsbeschränkung des Landeshauptmannes. Bei einer "zusätzlichen Maßnahme" im Sinne des §43a (Abs3) EpiG kann es sich – dem Wortlaut und dem Telos der Regelung entsprechend – nur um eine über die vom Landeshauptmann nach §43a Abs2 EpiG getroffene Regelung hinausgehende Maßnahme handeln. Der Begriff der "zusätzlichen Maßnahme" in §43a (Abs3) EpiG ist daher den Anforderungen des Art18 Abs1 B‑VG entsprechend (vgl zB VfGH 25.9.2020, G222/2020 mwN) hinreichend bestimmt.
2.6. Zum behaupteten Verstoß gegen §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 und das Recht auf Freizügigkeit nach Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK:
2.6.1. Der Antragsteller ist der Auffassung, die angefochtene Verordnung finde in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 keine gesetzliche Grundlage und greife in unverhältnismäßiger Weise in das Recht auf Freizügigkeit des Antragstellers nach Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK ein. Die Verordnungsermächtigung in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 verlange, dass die verhängte Verkehrsbeschränkung zum Schutz vor der Weiterverbreitung einer meldepflichtigen Krankheit "unbedingt erforderlich" sei. Es sei weder eine "meldepflichtige Krankheit" vorgelegen, noch sei die angefochtene Ausreisebeschränkung im Hinblick auf die Infektionszahlen betreffend COVID‑19 bzw die Virusmutation "B.1.1.7/E484K" im politischen Bezirk Kufstein bzw im Bundesland Tirol im Vergleich zu anderen Bundesländern "unbedingt erforderlich" gewesen. Die verlangten Antigen- bzw molekularbiologischen Tests seien im Hinblick auf ihr Resultat unzuverlässig und auch in Anbetracht der "breiten Ausnahmebestimmungen" (§3 Ausreiseverordnung) zur Zielerreichung ungeeignet.
2.6.2. Der Verfassungsgerichtshof teilt die Ansicht des Antragstellers nicht:
2.6.2.1. Gemäß Art4 Abs1 StGG unterliegt die Freizügigkeit der Person innerhalb des Staatsgebietes keiner Beschränkung. Dieses Grundrecht schützt davor, durch die Staatsgewalt daran gehindert zu werden, sich an einen bestimmten Ort oder in ein bestimmtes, räumlich begrenztes Gebiet zu begeben. Art2 Abs1 4. ZPEMRK garantiert jeder Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen, somit die Möglichkeit, nach Belieben "zu kommen und zu gehen" (EGMR 22.2.1994, Fall Raimondo, Appl 12.954/87, [Z39]; 1.7.2004, Fall Vito Sante Santoro, Appl 36.681/97 [Z43]). Diese Freiheit, an jeden Ort zu gehen und an jedem Ort zu bleiben, ist ein wesentlicher Teil der Selbstbestimmung des Menschen. Die Freizügigkeit ist aber auch Voraussetzung für die Wahrnehmung einer Reihe anderer Rechte und Freiheiten (siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 6. Lfg. 2003, Rz 6). Schließlich steht es nach Art2 Abs2 des 4. ZPEMRK jedermann frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.
Die Freizügigkeit ist nicht schrankenlos gewährleistet. Schon in VfSlg 3447/1958 hat der Verfassungsgerichtshof mit Blick unter anderem auf behördlich angeordnete Seuchenmaßnahmen ausgeführt, dass diese durch öffentliche Rücksichten geboten sein und sich daher ihrem Inhalt und ihrem örtlichen und zeitlichen Wirkungsbereich nach auf die Wahrung dieser Rücksichten beschränken müssen (in der Folge hat der Verfassungsgerichtshof den, Art4 Abs1 StGG immanenten Gesetzesvorbehalt dadurch begrenzt gesehen, dass der Gleichheitsgrundsatz durch öffentliche Rücksichten nicht gebotene Einengungen der Freizügigkeit mittels willkürlicher Veränderung der Rechtsordnung verhindert, siehe VfSlg 7379/1974, 7686/1975, 8373/1978 und zur Kritik an dieser Rechtsprechung mwN Pöschl, Art4 StGG, in: Korinek/Holoubek et al [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg. 2002, Rz 44 f.). Nach dem materiellen Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs3 4. ZPEMRK – der besondere Gesetzesvorbehalt des Art2 Abs4 4. ZPEMRK (zu dessen Zielrichtung siehe Pöschl, Art2 4. ZPEMRK, Rz 67) spielt im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Maßnahmen keine Rolle – müssen Einschränkungen der Freizügigkeit gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem im Interesse des Schutzes der Gesundheit notwendig sein. Einschränkungen der durch Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK gewährleisteten Freizügigkeit sind daher verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie gesetzlich zum Zwecke eines legitimen öffentlichen Interesses vorgesehen und zur Zielerreichung geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn sind (vgl VfGH 14.7.2020, V363/2020).
2.6.2.2. In diesem Sinne ist auch die in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 vorgesehene Einschränkung der Verordnungsermächtigung zu sehen, wonach Verkehrsbeschränkungen zum Schutz vor der Weiterverbreitung einer meldepflichtigen Krankheit nur vorgesehen werden dürfen, soweit sie im Hinblick auf Art und Umfang des Auftretens der Krankheit "unbedingt erforderlich" sind. Die Frage, ob die angefochtenen Verordnungsbestimmungen ihre gesetzliche Grundlage in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 finden, ist somit im Lichte des Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK zu beurteilen.
2.6.2.3. Mit der (auf §1 Abs2 EpiG gestützten) Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II 15/2020, wurde festgelegt, dass "Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfälle an 2019‑nCoV ('2019 neuartiges Coronavirus')" der Anzeigepflicht nach dem Epidemiegesetz 1950 unterliegen. Für den Verfassungsgerichtshof besteht kein Zweifel, dass die Erweiterung des Kataloges der meldepflichtigen Krankheiten in §1 EpiG eine Reaktion des Verordnungsgebers auf das Auftreten des neuartigen Virus COVID‑19 (zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung mit der Bezeichnung "2019‑nCoV") war. Die Erweiterung der in §1 EpiG aufgelisteten meldepflichtigen Krankheiten hatte die Bekämpfung und Verhinderung der Weiterverbreitung der neuartigen COVID‑19-Krankheit zum Ziel.
Bei der in Rede stehenden Virusvariante B.1.1.7/E484K handelt es sich um eine neue, später aufgetretene Mutation der neuartigen COVID‑19-Krankheit. Da es sich nach unbestrittener Auffassung bei den Mutationen von COVID‑19 nicht um eigenständige, sondern von der Bezeichnung "2019‑nCoV" umfasste Krankheiten handelt, handelt es sich auch bei der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K – anders als der Antragsteller meint – um eine meldepflichtige Krankheit iSd §24 iVm §1 EpiG idF BGBl I 33/2021.
2.6.2.4. Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen werden dem im Lichte der Anforderungen des Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK zu verstehenden §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 gerecht:
Aus dem vom Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein vorgelegten Verordnungsakt und der an den Verfassungsgerichtshof erstatteten Äußerung geht hervor, dass zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Verordnung von einer zunehmenden Verbreitung der COVID‑19-Virusmutation B.1.1.7 samt der "Fluchtvariante E484K" im politischen Bezirk Kufstein auszugehen war (sogenannte "britische" Virusmutation). Der Bezirkshauptmann des politischen Bezirks Kufstein stufte die Virusmutation B.1.1.7/E484K – auf Grundlage der im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen – als besonders gefährlich ein, weil diese Variante von COVID‑19 als erhöht ansteckend galt und auch Personen betreffen könne, die über Antikörper gegen die "Wildtyp-Variante" von COVID‑19 aufwiesen. Unter Berücksichtigung der im Verordnungsakt dokumentieren Analysen der Tiroler Landessanitätsdirektion zum Stand 29. März 2021 über ein mögliches Infektionsgeschehen im Bundesland Tirol einerseits und in den jeweiligen Bezirken andererseits sowie der Auslastung der Intensivstationen im Bezirkskrankenhaus Kufstein erachtete der Bezirkshauptmann für den politischen Bezirk Kufstein die Verhängung zusätzlicher Maßnahmen gegen die Weiterverbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K für notwendig.
Die angefochtene Verkehrsbeschränkung bei der Ausreise aus dem Bezirk Kufstein diente dem Ziel des Gesundheitsschutzes, nämlich der Verhinderung der Weiterverbreitung von COVID‑19, insbesondere der Virusvariante B.1.1.7/E484K, im Sinne des Art2 Abs3 4. ZPEMRK. Der in §2 Ausreiseverordnung für die Überschreitung der Grenzen des politischen Bezirks Kufstein verlangte Nachweis eines negativen Ergebnisses eines Antigen-Tests oder eines molekularbiologischen Tests auf COVID‑19, der nicht mehr als 48 bzw 72 Stunden zurückliegen durfte, ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet: Der Verfassungsgerichtshof geht – anders als der Antragsteller – davon aus, dass der in §2 Ausreiseverordnung verlangte Nachweis des Infektionsstatus anhand eines hinreichend aktuellen Testergebnisses einer hiezu befugten Stelle (§4 Ausreiseverordnung) ein geeignetes Mittel ist, um die Ausreise von mit COVID‑19 infizierten Personen hintanzuhalten und damit die Weiterverbreitung des Virus einzudämmen. Dass die verlangten Antigen´- bzw molekularbiologischen Tests auf COVID‑19 – wie der Antragsteller behauptet – in Einzelfällen auch bei infizierten Personen ein negatives Testergebnis ausweisen könnten, ändert nichts daran, dass der Verordnungsgeber von der allgemeinen Zuverlässigkeit von durch eine hiezu befugten Stelle durchgeführten Antigen- bzw molekularbiologischen Tests ausgehen durfte. Gleiches gilt für die vorgesehenen Ausnahmen von der Nachweispflicht eines negativen Testergebnisses bei der Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein: Die in §3 Ausreiseverordnung aufgelisteten Ausnahmetatbestände von der Nachweispflicht eines gültigen negativen Testergebnisses auf COVID‑19 bei der Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein stellen allesamt auf den dringenden Bedarf der Überschreitung der Bezirksgrenzen bzw die Aufrechterhaltung der Versorgung des betroffenen (Epidemie-)Gebietes ab. Die im Übrigen geltende Verpflichtung zur Vorlage eines gültigen Nachweises des negativen Infektionsstatus bei der Ausreise ist auch im Hinblick auf die in §3 Ausreiseverordnung bestimmten Ausnahmen geeignet, die Weiterverbreitung von COVID‑19 (bzw der Virusmutation B.1.1.7/E484K) über die Grenzen des politischen Bezirks Kufstein einzudämmen.
Wie bereits ausgeführt ist im Verordnungsakt und in der Äußerung des Bezirkshauptmannes des politischen Bezirks Kufstein nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und während der Geltungsdauer der angefochtenen Ausreiseverordnung von einem erhöhten Auftreten der Virusmutation B.1.1.7/E484K im politischen Bezirk Kufstein auszugehen war. Die mit der "Testpflicht" für die Ausreise gemäß §2 Ausreiseverordnung verbundene Einschränkung der Freizügigkeit der im umfassten Gebiet wohnhaften bzw aufhältigen Personen ist im Lichte des verfolgten Ziels der Verhinderung der Weiterverbreitung dieser Virusmutation verhältnismäßig. Zunächst handelt es sich bei der in §2 Ausreiseverordnung vorgesehenen Verpflichtung zum Nachweis eines negativen Testergebnisses auf COVID‑19 bei der Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein um keinen schwerwiegenden Eingriff in Art4 Abs1 StGG und Art2 Abs1 4. ZPEMRK, zumal die Bewegungsfreiheit für Bewohner bzw Aufhältige innerhalb des Bezirks von der Ausreisebeschränkung unberührt blieb. Der gemäß §2 Ausreiseverordnung für die Ausreise verlangte Nachweis eines negativen Antigen- bzw molekularbiologischen Testergebnisses auf COVID‑19 ist im Hinblick auf die Verfügbarkeit solcher Tests, die angewendeten (Test‑)Verfahren, die Dauer der Gültigkeit des Nachweises über das negative Testergebnis und die Ausnahmetatbestände in §3 Ausreiseverordnung gerechtfertigt.
Ausgehend von den im Verordnungsakt dokumentierten Entscheidungsgrundlagen und festgestellten Tatsachen erweist sich die Verhängung der zeitlich befristeten Ausreisebeschränkung zum Schutz vor der Weiterverbreitung von COVID‑19 bzw der Virusmutation B.1.1.7/E484K zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung und während der Geltungsdauer der angefochtenen Verordnungsbestimmungen als verhältnismäßige Verkehrsbeschränkung im Sinne des §24 EpiG idF BGBl I 33/2021. Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen sind somit – anders als der Antragsteller meint – im Sinne des §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 "unbedingt erforderlich" und damit rechtmäßig.
2.6.3. Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen finden dementsprechend in §24 EpiG idF BGBl I 33/2021 ihre gesetzliche Grundlage und sind mit dem Recht auf Freizügigkeit gemäß Art4 Abs1 StGG und Art2 4. ZPEMRK vereinbar.
2.7. Zum behaupteten Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 B‑VG:
2.7.1. Der Antragsteller meint, einen Verstoß der angefochtenen Verordnung gegen den Gleichheitsgrundsatz darin zu erkennen, dass §2 Ausreiseverordnung auf einen Nachweis durch einen Antigen- bzw molekularbiologischen Test "reduziert" sei. Es sei "willkürlich", dass nicht auch der – nach Ansicht des Antragstellers weitaus geeignetere – Nachweis über eine kürzlich überstandene Erkrankung mit COVID‑19 oder eine Impfung gegen COVID‑19 ebenso für die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein akzeptiert worden sei.
2.7.2. Wie aus dem Verordnungsakt sowie der Äußerung des Bezirkshauptmannes des politischen Bezirks Kufstein folgt, war zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung von einer reduzierten Immunantwort nach Infektion mit der "Wildtyp-Variante" von COVID‑19 bzw Impfung im Hinblick auf die Virusmutation B.1.1.7/E484K auszugehen. Vor diesem Hintergrund war es sachlich gerechtfertigt, auch von genesenen oder bereits gegen COVID‑19 geimpften Personen einen Nachweis eines negativen Testergebnisses gemäß §2 Ausreiseverordnung zu verlangen. Die behauptete unsachliche Gleichbehandlung im Widerspruch zu Art2 StGG und Art7 B‑VG liegt nicht vor.
2.8. Zum behaupteten Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art3 GRC:
2.8.1. Der Antragsteller bringt zudem vor, die in der angefochtenen Verordnung verlangten Antigen- oder molekularbiologischen Tests auf COVID‑19 seien mit "schmerzhaften körperlichen Eingriffen" verbunden, weil körpereigenes Untersuchungsmaterial aus der Nase entnommen werden müsse. Die Probenentnahme könne wegen der Verletzung der Schleimhäute zu Nasenbluten führen; vereinzelt führe ein Anwendungsfehler auch zum Austritt von Hirnflüssigkeit. Die Pflicht zu derartigen Tests sei mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art3 GRC unvereinbar.
2.8.2. Ungeachtet der Frage, ob der Anwendungsbereich des Art3 GRC im konkreten Fall überhaupt eröffnet ist, ist dem Vorbringen des Antragstellers (auch im Hinblick auf Art8 EMRK) bereits deshalb nicht zu folgen, weil die mit einem Antigen- oder molekularbiologischen Test auf COVID‑19 in der Regel verbundene Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit im Hinblick auf das verfolgte Ziel gerechtfertigt ist. Der Verordnungsgeber verhängte die angefochtene "Testpflicht" als Bedingung für die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein zum Schutz der Gesundheit anderer, in concreto zum Schutz vor einer Infektion mit COVID‑19 bzw bestimmter Virusmutationen. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes überwiegt – aus den bereits unter Punkt 2.6.2.4. angeführten Gründen – der Gesundheitsschutz die seitens des Antragstellers unter Art3 GRC ins Treffen geführten Interessen.
2.9. Zum behaupteten Verstoß gegen Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989:
2.9.1. Der Antragsteller bringt ferner vor, durch die angefochtene Verordnung im Recht auf freie Mandatsausübung als Mitglied des Tiroler Landtages gemäß Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989 verletzt zu sein.
2.9.2. Ein Verstoß des §2 Ausreiseverordnung gegen Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989 liegt aus den unter Punkt 2.6.2.4. dargelegten Gründen nicht vor: Im verlangten Nachweis eines gültigen negativen Testergebnisses im Hinblick auf COVID‑19 für die Ausreise aus dem Bezirk Kufstein vermag der Verfassungsgerichtshof – auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit des vorgesehenen Test(verfahren)s – keinen Verstoß gegen Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989 zu sehen. Das unter Art31 Abs1 Tiroler Landesordnung 1989 geäußerte Bedenken des Antragstellers geht somit ins Leere.
V. Ergebnis
1. Die vom Antragsteller ob der Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. März 2021 über zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung der COVID‑19-Virusvariante B.1.1.7/E484K betreffend die Ausreise aus dem politischen Bezirk Kufstein geltend gemachten Bedenken treffen allesamt nicht zu.
Der Antrag ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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