VfGH G133/2018

VfGHG133/20184.10.2018

Abweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung bzw Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Niederlassungs- und AufenthaltsG betreffend die Selbsterhaltungsfähigkeit als Erteilungsvoraussetzung für einen Aufenthaltstitel; kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot behinderter Menschen und das Sachlichkeitsgebot des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung durch Ausschluss eines Aufenthaltstitels bei Vorliegen einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaften; Berücksichtigung von Art8 EMRK trotz mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit geboten; unterschiedliche Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln und die Verleihung der Staatsbürgerschaft im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art7 Abs1 dritter Satz
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
NAG §11 Abs2 Z4, §11 Abs5
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:G133.2018

 

Spruch:

I. Soweit sich der Antrag gegen §11 Abs2 Z4 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (NAG), BGBl I Nr 100/2005, und §11 Abs5 NAG, BGBl I Nr 100/2005, idF BGBl I Nr 70/2015 richtet, wird er abgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag begehrt der Verwaltungsgerichtshof, §11 Abs2 Z4 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (im Folgenden: NAG), BGBl I 100/2005, und §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 als verfassungswidrig aufzuheben sowie auszusprechen, dass §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 70/2015 verfassungswidrig war.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

§11 Abs2 Z4 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (NAG), BGBl I 100/2005, lautet:

"Allgemeine Voraussetzungen

 

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

 

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß §60 FPG besteht;

2. gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates besteht;

3. gegen ihn in den letzten zwölf Monaten eine Ausweisung gemäß §54 FPG oder §10 AsylG 2005 rechtskräftig erlassen wurde;

4. eine Aufenthaltsehe oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts im Zusammenhang mit §21 Abs4 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) die Integrationsvereinbarung nach §14 oder ein einzelnes Modul bereits erfüllt hat, soweit er bereits ein Jahr niedergelassen war und ihm kein Aufschub gemäß §14 Abs8 gewährt wurde.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs2 Z1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs2 Z1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können.

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs2 Z4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des §293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§2 Abs4 Z3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß §291 der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, nicht zu berücksichtigen.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs2 Z2 bis 4 mit einer Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß §23 FPG benötigen würde."

§11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 lautet:

"Allgemeine Voraussetzungen

 

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

 

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß §53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß §67 FPG besteht;

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß §21 Abs1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit §21 Abs6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und

7. in den Fällen der §§58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß §58 Abs5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs1 Z3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs2 Z1 bis 7 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl‑, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs2 Z1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs2 Z4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des §293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in §292 Abs3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§2 Abs4 Z3) oder durch eine Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß §291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs2 Z2 und 4 mit einer Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß §23 FPG benötigen würde."

§11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, lautete in der – zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes aktuellen – Fassung BGBl I 70/2015:

"Allgemeine Voraussetzungen

 

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

 

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß §53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß §67 FPG besteht;

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß §21 Abs1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit §21 Abs6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §14a rechtzeitig erfüllt hat.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs1 Z3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs2 Z1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl‑, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs2 Z1), wenn

1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können.

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs2 Z4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des §293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in §292 Abs3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§2 Abs4 Z3) oder durch eine Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß §291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

(6) Die Zulässigkeit, den Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des Abs2 Z2 bis 4 mit einer Haftungserklärung (§2 Abs1 Z15) erbringen zu können, muss ausdrücklich beim jeweiligen Aufenthaltszweck angeführt sein.

(7) Der Fremde hat bei der Erstantragstellung ein Gesundheitszeugnis vorzulegen, wenn er auch für die Erlangung eines Visums (§21 FPG) ein Gesundheitszeugnis gemäß §23 FPG benötigen würde."

§45 NAG, BGBl I 100/2005, lautete in der – zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtes aktuellen – Fassung BGBl I 70/2015:

 

"Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU'

 

§45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen zur Niederlassung berechtigt waren, kann ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§14b) erfüllt haben.

(2) Zur Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen ist die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§8 Abs1 Z10) oder, eines Aufenthaltstitels 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' (§57 AsylG 2005) zur Hälfte auf die Fünfjahresfrist gemäß Abs1 anzurechnen. Zur Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen ist die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet aufgrund einer 'Aufenthaltsberechtigung plus' (§54 Abs1 Z1 AsylG 2005) oder einer 'Aufenthaltsberechtigung' (§54 Abs1 Z2 AsylG 2005) zur Gänze auf die Fünfjahresfrist anzurechnen.

(3) Nach zwei Jahren ununterbrochener Niederlassung eines Inhabers eines Aufenthaltstitels 'Blaue Karte EU' gemäß §50a Abs1 ist sein zuvor rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat mit einem Aufenthaltstitel 'Blaue Karte EU' dieses Mitgliedstaates auf die Fünfjahresfrist gemäß Abs1 anzurechnen.

(4) Die Fünfjahresfrist gemäß Abs1 wird durchbrochen, wenn sich der Drittstaatsangehörige innerhalb dieser Frist insgesamt länger als zehn Monate oder durchgehend mehr als sechs Monate außerhalb des Bundesgebietes aufgehalten hat. In diesen Fällen beginnt die Frist ab der letzten rechtmäßigen Einreise neuerlich zu laufen.

(4a) Abweichend von Abs4 letzter Satz können bei Inhabern eines Aufenthaltstitels 'Familienangehöriger' die Zeiten einer rechtmäßigen Niederlassung vor Eintreten der Unterbrechung der Fünfjahresfrist gemäß Abs1 auf diese angerechnet werden, wenn

1. sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, oder

2. sein Ehegatte, eingetragener Partner oder Elternteil Österreicher ist, der in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Körperschaft öffentlichen Rechts steht und dessen Dienstort im Ausland liegt, soweit die Tätigkeit dieser Körperschaft im Ausland im Interesse der Republik liegt und

er die beabsichtigte Aufgabe der Niederlassung (§2 Abs2) der Behörde vorher mitgeteilt hat. Das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Z1 oder 2 hat der Fremde nachzuweisen.

(5) Abweichend von Abs4 wird bei Inhabern eines Aufenthaltstitels 'Blaue Karte EU' die Fünfjahresfrist gemäß Abs1 erst durchbrochen, wenn sich der Drittstaatsangehörige innerhalb dieser Frist insgesamt länger als 18 Monate oder durchgehend mehr als zwölf Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufgehalten hat. In diesen Fällen beginnt die Frist ab der letzten rechtmäßigen Einreise neuerlich zu laufen.

(6) Aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen, wie einer schwerwiegenden Erkrankung, der Erfüllung einer sozialen Verpflichtung oder der Leistung eines der allgemeinen Wehrpflicht vergleichbaren Dienstes, kann sich der Drittstaatsangehörige innerhalb der Fünfjahresfrist bis zu 24 Monate außerhalb des Bundesgebietes aufhalten, ohne sie zu unterbrechen, wenn er dies der Behörde nachweislich mitgeteilt hat.

(7) Weiters wird die Fünfjahresfrist nicht unterbrochen, wenn sich der Drittstaatsangehörige im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit, insbesondere zur grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen, außerhalb des Bundesgebietes aufhält.

(8) Liegt eine Verständigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl oder des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß §7 Abs3 AsylG 2005 vor, ist dem betreffenden Fremden ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' von Amts wegen zu erteilen. Diese Amtshandlungen unterliegen nicht der Gebührenpflicht. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder das Bundesverwaltungsgericht ist von der rechtskräftigen Erteilung des Aufenthaltstitels zu verständigen.

(9) Liegt ein Fall des §41a Abs6 vor, verkürzt sich die Fünfjahresfrist gemäß Abs1 auf 30 Monate.

(10) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist auf Antrag ohne weiteres ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' zu erteilen, wenn ein Fall des §59 Abs2 StbG vorliegt und sie in den letzten fünf Jahren zur Niederlassung berechtigt waren.

(11) Abs1 gilt auch für Drittstaatsangehörige, denen in den letzten fünf Jahren ununterbrochen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zugekommen ist, eine Aufenthaltsbeendigung trotz Verlusts dieses Aufenthaltsrechts jedoch unterblieben ist.

(12) Asylberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen über den Status des Asylberechtigten (§3 AsylG 2005) verfügten und subsidiär Schutzberechtigten, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (§8 Abs4 AsylG 2005) rechtmäßig aufhältig waren, kann ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' erteilt werden, wenn sie

1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§14b) erfüllt haben.

Der Zeitraum zwischen Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz (§17 Abs2 AsylG 2005) und Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten ist zur Hälfte, sofern dieser Zeitraum 18 Monate übersteigt zur Gänze, auf die Fünfjahresfrist anzurechnen."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die beim Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Parteien sind beide Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die erstmitbeteiligte Partei ist die Mutter und Sachwalterin der zweitmitbeteiligten Partei. Sie stellten jeweils am 8. November 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. November 2011 wurde jeweils ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation unzulässig sei, und jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs3 Asylgesetz 1997 für die Dauer von einem Jahr erteilt. In der Folge wurden die Aufenthaltsberechtigungen verlängert, zuletzt verfügten sie jeweils über eine bis zum 11. November 2016 befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte gemäß §8 Abs4 AsylG 2005. Am 4. April 2016 stellten sie jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" gemäß §45 Abs12 NAG. Mit Bescheiden vom 24. Mai 2016 wies der Landeshauptmann von Wien die Anträge gemäß §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG ab. Begründend wurde ausgeführt, dass sie Grundversorgung, Mindestsicherung und – für die Tochter – Pflegegeld beziehen würden, die allesamt kein Einkommensbestandteil seien und daher bei der Einkommensberechnung nicht berücksichtigt werden könnten. Somit könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung führen könnte. Eine Abwägung gemäß §11 Abs3 NAG könne unterbleiben, da sie ohnehin auf Grund ihrer gültigen Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte aufenthaltsberechtigt seien. Gegen diese Bescheide erhoben die vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Parteien Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien. Mit Erkenntnis vom 14. November 2016 hob das Verwaltungsgericht Wien die Bescheide auf und erteilte jeweils den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU", da sie bereits Sozialhilfeleistungen beziehen würden und diese nach dem Wortlaut des §11 Abs5 letzter Satz NAG e contrario zu berücksichtigen seien. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Bundesminister für Inneres ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung, die Leistungsfähigkeit des bereits im Inland aufhältigen Fremden sei danach zu beurteilen, wie sie sich ohne den bereits erfolgten Zuzug darstellen würde. Die vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie auf das Erkenntnis VfSlg 19.732/2013 verwiesen.

2. Der Verwaltungsgerichtshof legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

2.1. Die in dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.732/2013 zu §10 Abs1 Z7 und Abs5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (im Folgenden: StbG) geäußerten Bedenken in Bezug auf das Diskriminierungsverbot behinderter Menschen gemäß Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG und das Sachlichkeitsgebot des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973 träfen auch auf die angefochtenen Bestimmungen zu. Die Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" gemäß §45 NAG bewirke eine wesentliche Verbesserung der Rechtsstellung für die vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Parteien, da sie zur unbefristeten Niederlassung in Österreich berechtigt wären, wohingegen ihre Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte nur bei weiterem Vorliegen der Voraussetzungen zu verlängern sei, welche vom Fremden nicht beeinflusst werden und ohne sein Zutun wegfallen könnten. Somit würden behinderte Menschen, die das Erfordernis ausreichender finanzieller Unterhaltsmittel ohne eigenes Verschulden nicht erbringen könnten, benachteiligt, was durch budgetäre Gründe alleine nicht zu rechtfertigen sei. Die finanzielle Belastung bestehe bei den mitbeteiligten Parteien unabhängig von der Erteilung des Aufenthaltstitels: Der Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung resultiere bereits aus der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte (§5 Abs2 Z1 Wiener Mindestsicherungsgesetz). Die Benachteiligung ließe sich durch eine entsprechende Ausgestaltung des §11 Abs2 NAG leicht vermeiden: So sei §10 Abs1 Z7 StbG dahingehend abgeändert worden, dass die Voraussetzung des gesicherten Lebensunterhaltes auch dann erfüllt sei, wenn der Fremde diesen aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern könne.

2.2. Eine Behinderung könne zwar im Rahmen einer Interessenabwägung nach §11 Abs3 NAG von Bedeutung sein – etwa bei einem besonderen familiären Abhängigkeitsverhältnis –, jedoch stelle sie nur einen Aspekt unter vielen dar. Im vorliegenden Fall bestehe ein besonderes familiäres Abhängigkeitsverhältnis zwischen zwei Fremden, die beide die Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit auf Grund ihrer persönlichen Situation nicht erfüllen würden und stehe eine Rückkehr in den Herkunftsstaat auf Grund des asylrechtlichen Aufenthaltstitels nicht in Rede.

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof teile die Auslegung des §11 Abs5 NAG des Verwaltungsgerichtes Wien nicht, wonach bereits bezogene Sozialhilfeleistungen als eigene Einkünfte zu berücksichtigen seien. Die Erteilungsvoraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit bezwecke, dass ein Aufenthaltstitel nur erteilt werde, wenn eine Unterstützung durch Sozialhilfeträger nicht notwendig werden würde. Gemäß §11 Abs5 letzter Satz NAG seien bei Erstanträgen soziale Leistungen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, nicht zu berücksichtigen. Die Leistungsfähigkeit sei daher nach der finanziellen Situation ohne den Zuzug des Fremden zu beurteilen. §11 Abs5 letzter Satz NAG bezwecke keine großzügigere Regelung für Verfahren über Erstanträge als für Verfahren über Verlängerungsanträge. Zudem habe der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.732/2013 ausgeführt, es sei "schon wegen Vorschriften wie §11 Abs5 NAG" nicht möglich, Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften als "eigene Einkünfte" iSd §10 Abs5 StbG zu verstehen.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:

3.1. Innerhalb der Schranken des Gleichheitssatzes könne die Gesetzgebung im Rahmen ihres rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes einfache und leicht handhabbare Regelungen treffen und dürfe bei der Normsetzung generalisierend von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen, auf den Regelfall abstellen und auch Härtefälle in Kauf nehmen. Im Hinblick auf Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG bedürften staatliche Regelungen, die zu einer Benachteiligung behinderter Menschen führen würden, einer besonderen Rechtfertigung. Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG berechtige auch Fremde. ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973 enthalte ein – auch ein Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander.

3.2. Zunächst sei festzuhalten, dass die angefochtenen Bestimmungen in Bezug auf den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EU" gemäß §45 NAG durch Art5 Abs1 lita der Richtlinie 2003/109/EG vorgegeben seien. Mit dieser Norm bestehe für die Erteilung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" die zwingende unionsrechtliche Vorgabe, dass der betreffende Fremde eigene Einkünfte habe und nicht von Sozialleistungen des Staates abhängig sei, die mit §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG umgesetzt worden sei.

3.3. Die angefochtenen Bestimmungen seien nicht unsachlich: Nach dem Erkenntnis VfSlg 19.732/2013 sei für die Verfassungswidrigkeit des §10 Abs1 Z7 iVm Abs5 StbG 1985 vor allem der Umstand ausschlaggebend gewesen, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit "ausnahmslos" normiert gewesen sei. Im Gegensatz dazu stelle §11 Abs2 Z4 NAG nur eine relative Erteilungsvoraussetzung dar. Könne der Nachweis nach §11 Abs2 Z4 NAG nicht erbracht werden, so führe dies nicht zwingend und ausnahmslos zur Versagung des Aufenthaltstitels. Gemäß §11 Abs3 NAG könne der Aufenthaltstitel vielmehr trotzdem erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art8 EMRK geboten sei. Liege diese Voraussetzung vor, müsse der Aufenthaltstitel erteilt werden; die Behörde verfüge in diesem Fall über kein Ermessen. Die Beurteilung gemäß §11 Abs3 NAG müsse unter Bedachtnahme auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles und die in §11 Abs3 Z1 bis 9 NAG demonstrativ aufgezählten Kriterien erfolgen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei auch eine Behinderung bzw eine aus einer Behinderung resultierende Unterstützungsbedürftigkeit gemäß §11 Abs3 NAG als Aspekt des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen. Daneben könnten in Verfahren auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß §11 Abs5 NAG soziale Leistungen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, durchaus als (Teile der) eigene(n) Einkünfte berücksichtigt werden; dies sei nur bei Erstanträgen ausgeschlossen. Demnach werde Fremden mit einer Behinderung und ohne eigenes Erwerbseinkommen nicht jedenfalls ein Aufenthaltstitel nach dem NAG versagt. Die angefochtenen Bestimmungen lägen innerhalb des rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes der Gesetzgebung.

3.4. Abgesehen davon würden das StbG und das NAG unterschiedliche Ordnungssysteme darstellen. Aufenthaltstitel nach dem NAG würden vor allem den erstmaligen Zuzug von Fremden nach Österreich ermöglichen und lägen damit gewissermaßen im "Vorfeld" der Erlangung der Staatsbürgerschaft, die den Abschluss einer (erfolgreichen) Integration darstelle. Sie stünden daher in Wechselwirkungen zu den Normen des Fremdenpolizeigesetzes, nach denen ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung eingeleitet werden könne, wenn ein Fremder seinen gesetzlich vorgesehenen Unterhalt nicht zu sichern vermöge (§§52 ff. FPG). Mit der (Nicht-)Erteilung von Aufenthaltstiteln nach dem NAG seien vergleichsweise weniger weitreichende Rechtsfolgen verbunden als mit der (Nicht-)Zuerkennung der Staatsbürgerschaft.

3.5. Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes lege den Begriff der "Einkünfte" im StbG und im NAG unterschiedlich aus und gehe in Bezug auf das StbG von einem höheren Erfordernis, die Nachhaltigkeit der Einkommenssicherung nachzuweisen, aus: So könne der Lebensunterhalt nach dem NAG auch durch bestimmte Vermögenswerte, wie Sparguthaben in gewisser Höhe, nachgewiesen werden, während im StbG nur auf Einkommensquellen "wiederkehrender Natur" abgestellt werden dürfe. Nach dem NAG könne sich der Antragsteller in bestimmten Konstellationen auch zur Gänze auf Unterhaltsmittel einer anderen Person stützen. Im StbG würden sich die zu betrachtenden finanziellen Umstände auf Sachverhalte gründen, die sich in der Vergangenheit im Inland ereignet hätten. Daher könne es bei Staatsbürgerschaftswerbern geboten sein, eine während des rechtmäßigen Aufenthalts des Fremden entstandene unverschuldete Notlage zu berücksichtigen. §11 Abs2 Z4 NAG stelle hingegen auf eine Zukunftsprognose ab. Die Behörde habe vorausschauend einzuschätzen, ob der Lebensunterhalt des Fremden für die Dauer des beantragten Aufenthaltstitels – und damit bloß künftig – entsprechend gesichert sein werde. Vor diesem Hintergrund liege die Erfüllung der nachzuweisenden Kriterien bis zu einem gewissen Grad im Einflussbereich des Fremden und seien auch die an ihn künftig gestellten finanziellen Anforderungen vorhersehbar. Antragsteller nach dem NAG befänden sich in der Regel am Beginn oder im Zuge eines Integrationsprozesses. Befinde sich der Antragsteller bereits vor seinem erstmaligen Zuzug nach Österreich in einer unverschuldeten Notlage, sei die Erteilung des Aufenthaltstitels – es sei denn, der Zuzug wäre nach Art8 EMRK geboten – grundsätzlich ausgeschlossen. Die Möglichkeit, den Aufenthaltstitel trotz Nichterfüllung des Kriteriums der finanziellen Leistungsfähigkeit zu erlangen, wenn dies im Hinblick auf Art8 EMRK geboten sei, bestehe im StbG nicht.

3.6. Beiden Materiengesetzen liege die – im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum liegende – Intention der Gesetzgebung zugrunde, dass sich die Rechtsposition eines Fremden erst mit zunehmender Aufenthaltsdauer weiter verstärken solle. Davon ausgehend, sei unterschiedlichen Voraussetzungen für den erstmaligen Zuzug und für die Verlängerung von Aufenthaltstiteln oder die Verleihung der Staatsbürgerschaft grundsätzlich nicht entgegenzutreten. Die Bedenken hinsichtlich des StbG seien daher nicht ohne weiteres auf das NAG übertragbar. Eine Anpassung des §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG an das StbG hätte weitreichende Auswirkungen auf den gesamten Zuzug von Fremden in das österreichische Aufenthalts- und Niederlassungsrecht und in weiterer Folge auf das österreichische Sozialhilfesystem. Dass Aufenthaltstitel für den erstmaligen längerfristigen Zuzug nur erteilt werden könnten, wenn und soweit ein Antragsteller seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen des Staates bestreiten könne, oder die Erteilung im Hinblick auf Art8 EMRK geboten sei, sei sachlich gerechtfertigt.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.1.1. Der Verwaltungsgerichtshof beantragt die Aufhebung des §11 Abs2 Z4 NAG, BGBl I 100/2005, und die Feststellung, dass §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl 70/2015 verfassungswidrig war, sowie auf Grund eines "untrennbaren Zusammenhangs" die Aufhebung des §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017. Eine Nichteinbeziehung auch dieser – von ihm nicht anzuwendenden – Fassung des §11 Abs5 NAG könnte dazu führen, dass bei "Aufhebung nur des §11 Abs2 Z4 NAG […] §11 Abs5 NAG als inhaltsleere Anordnung bestehen" bliebe.

1.1.2. Mit diesem Vorbringen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht im Recht.

1.1.3. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach §62 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103-104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).

Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).

Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.

1.1.4. Es ist offenkundig unrichtig (denkunmöglich), dass der angefochtene §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 eine Voraussetzung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Anlassfall bildet. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien – und damit auch vor dem Verwaltungsgerichtshof – war §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 70/2015 anzuwenden. Bei Aufhebung des §11 Abs2 Z4 NAG würde §11 Abs5 NAG auch keinen sprachlich unverständlichen und inhaltsleeren Torso darstellen. Selbst wenn – für den Fall der Aufhebung des §11 Abs2 Z4 NAG – die Begriffsdefinition des §11 Abs5 NAG (zumindest in diesem Kontext) ins Leere ginge, begründet dies nicht die Präjudizialität des §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017, aber auch keinen Regelungszusammenhang dieser Bestimmung mit §11 Abs2 Z4 NAG, BGBl I 100/2005, und §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl 70/2015 (vgl VfGH 16.6.2014, G82/2013 mwN zur Unanwendbarkeit einer Bestimmung nach Aufhebung durch den VfGH).

1.1.5. Der Antrag ist daher, soweit er sich gegen §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 richtet, als unzulässig zurückzuweisen.

1.1.6. Hingegen ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität des §11 Abs2 Z4 NAG, BGBl I 100/2005, und des §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 70/2015 zweifeln ließe.

1.2. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag hinsichtlich §11 Abs2 Z4 NAG, BGBl I 100/2005, und §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 70/2015 daher als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

 

2.2. Der Antrag ist nicht begründet:

Der Antrag, der eingangs durch wörtliche Wiedergabe des Erkenntnisses VfSlg 19.732/2013 die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit erörtert, geht – auf das Wesentliche zusammengefasst – von der Prämisse aus, dass die in dieser Entscheidung zur Aufhebung führenden "Bedenken in Bezug auf Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG sowie das Sachlichkeitsgebot des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung […] auch auf die angefochtenen Bestimmungen des §11 Abs2 Z4 und Abs5 NAG" zutreffen. Selbst wenn der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis VfSlg 18.269/2007 festgehalten habe, dass dem Gesetzgeber zur Vermeidung finanzieller Belastungen einer Gebietskörperschaft nicht entgegengetreten werden könne, wenn er Einkünfte in bestimmter Höhe verlange, so könnten "budgetäre Gründe allein eine – wie dargelegt – schwer wiegende Benachteiligung behinderter Menschen" nicht rechtfertigen.

Solange die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Aufenthaltstitels als subsidiär Schutzberechtigte bestünden, würden diese "finanziellen Aspekte" gar nicht schlagend werden, da die Belastung durch den bereits bestehenden Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ohnehin schon gegeben sei. Eine "besondere sachliche Rechtfertigung […] für diese Benachteiligung" von behinderten Personen im NAG sei jedenfalls nicht ersichtlich. Die Benachteiligung ließe sich durch eine entsprechende Ausgestaltung des §11 Abs2 NAG – ähnlich wie im StbG – leicht vermeiden. Auch im Rahmen des §11 Abs3 NAG stelle eine Behinderung nur einen Aspekt unter vielen dar.

Damit ist der Verwaltungsgerichtshof nicht im Recht:

2.3. Es ist unbestritten, dass Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG ein Diskriminierungsverbot im Hinblick auf behinderte Menschen nicht nur gegenüber Staatsbürgern, sondern gegenüber jedermann (VfSlg 19.732/2013) enthält. Durch Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG soll der "innere Gehalt des Gleichheitssatzes […] durch das explizite Verbot der Diskriminierung von Behinderten nicht verändert, sondern zusätzlich bekräftigt werden, daß auch bei einer auftretenden Ungleichbehandlung von behinderten Menschen der Verfassungsgerichtshof diese immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen hat" (AB 785 BlgNR 20. GP , 5). Der Verfassungsgesetzgeber hat mit der Aufnahme eines ausdrücklichen Verbots der Diskriminierung von Behinderten betont, dass staatliche Regelungen, die zu einer Benachteiligung behinderter Menschen führen, einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedürfen (VfSlg 19.732/2013).

2.3.1. Mit Erkenntnis VfSlg 19.732/2013 hat der Verfassungsgerichtshof §10 Abs1 Z7 StbG, BGBl 311/1985 idF BGBl I 37/2006, sowie §10 Abs5 StbG idF BGBl I 122/2009 wegen Verstoßes gegen Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG und das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Bestimmungen im StbG knüpften in Bezug auf die Erteilungsvoraussetzungen für die Staatsbürgerschaft an das Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit an. Diese Gleichbehandlung im Wege der ausnahmslosen Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit benachteiligte behinderte gegenüber nichtbehinderten Menschen bei der Erlangung der Staatsbürgerschaft, da Menschen mit Behinderung regelmäßig erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und somit durch die gesetzliche Anknüpfung von vornherein von der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen waren. Die ausnahmslos zur Anwendung gelangende Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit war mit dem – auch dem Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, immanenten – Sachlichkeitsgebot sowie mit Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG sohin nicht vereinbar.

2.3.2. Wenn der Verwaltungsgerichtshof von der Prämisse ausgeht, dass das Erkenntnis VfSlg 19.732/2013 zum StbG auch auf die Frage der Erteilung von Aufenthaltstiteln nach dem NAG zu übertragen ist, trifft dies schon grundsätzlich nicht zu. Die dem Erkenntnis VfSlg 19.732/2013 zugrunde liegende Annahme ist auf die im vorliegenden Fall angefochtenen Rechtsvorschriften von vornherein nicht übertragbar, da das StbG und das NAG schon auf Grund ihrer Zielsetzungen und Regelungsbereiche derart unterschiedlich sind, dass bereits die Ausgangslagen nicht vergleichbar sind:

Während das StbG die Verleihung der Staatsbürgerschaft als erfolgreichen Abschluss eines Integrationsprozesses vorsieht, beziehen sich die angefochtenen Bestimmungen des NAG auf den erstmaligen Zuzug bzw die erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels für das österreichische Bundesgebiet. Dass es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes nicht verwehrt ist, verschiedene Voraussetzungen für den erstmaligen Zuzug bzw die Erteilung von Aufenthaltstiteln und die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorzusehen, liegt auf der Hand.

2.3.3. Wenn nun der Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus die Auffassung vertritt, "dass budgetäre Gründe allein eine – wie dargelegt – schwer wiegende Benachteiligung behinderter Menschen, wie sie durch die angefochtenen Bestimmungen bewirkt wird" jedenfalls nicht rechtfertigen könnten und damit aus dem Blickwinkel seines Anlassfalles davon ausgeht, §11 Abs2 Z4 NAG und §11 Abs5 NAG verstießen gegen Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG, ist ihm Folgendes entgegenzuhalten:

Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung VfSlg 19.732/2013 auch festgestellt hat, kommt dem Gesetzgeber bei der Regelung, welchen Personen in Österreich ein – im Fall des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" dauerhafter – Aufenthaltstitel zuerkannt werden soll, ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Diesen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber mit der Festlegung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit in §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG nicht überschritten. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er zur Vermeidung von finanziellen Belastungen für die Gebietskörperschaften grundsätzlich an die Selbsterhaltungsfähigkeit anknüpft und hinsichtlich der in diesem Zusammenhang nachzuweisenden Einkünfte als Maßstab die Richtsätze des §293 ASVG anlegt (vgl bereits VfSlg 18.269/2007).

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass für den Nachweis der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nach §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG auch ein Sparguthaben ab einer gewissen Höhe als hinreichend angesehen werden kann und zudem die Beurteilung anhand einer Zukunftsprognose erfolgt. Dies ist vor dem Hintergrund der Dauer der zu verleihenden Rechtsposition verständlich, da das NAG – mit Ausnahme des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt – EU" – nur befristete Rechtspositionen mit der Möglichkeit der Neubewertung der finanziellen Situation in einem allfälligen Verlängerungsverfahren verleiht (vgl VwGH 30.4.2018, Ro 2017/01/0003). Die Behörde hat im Rahmen der Zukunftsprognose vorausschauend einzuschätzen, ob der Lebensunterhalt des Fremden für die Dauer des beantragten Aufenthaltstitels gesichert sein wird (Peyrl/Czech, §11 NAG, in: Abermann/Czech/Kind/Peyrl, Kommentar zum Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, 2016, Rz 24).

2.3.4. Im Übrigen ist gemäß §11 Abs3 NAG trotz Nichterfüllung der Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit der Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies auf Grund des Art8 EMRK geboten ist. Auch eine Behinderung kann einen Umstand darstellen, der gemäß §11 Abs3 NAG als Aspekt des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen ist (vgl VwGH 21.12.2010, 2009/21/0002; zur Judikatur des EGMR Oswald, Das Bleiberecht, 2012, 281).

2.3.5. Vor diesem Hintergrund kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, dass die angefochtenen Bestimmungen gegen das Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen gemäß Art7 Abs1 dritter Satz B‑VG verstoßen.

2.4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Die angefochtenen Bestimmungen verstoßen aus den unter 2.3. angeführten Erwägungen auch nicht gegen das aus dem Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, abzuleitende Sachlichkeitsgebot.

V. Ergebnis

1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §11 Abs2 Z4 NAG, BGBl I 100/2005 und des §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 70/2015 erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

Im Übrigen, also hinsichtlich des §11 Abs5 NAG, BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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