OGH 9ObA98/16a

OGH9ObA98/16a28.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. N*****, vertreten durch Frischenschlager . Navarro Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 64.797,43 EUR sA, Rechnungslegung (Streitwert: 2.000 EUR) und Feststellung (Streitwert: 3.000 EUR), über die Revisionen und Rekurse beider Parteien gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. Mai 2016, GZ 12 Ra 27/16a‑13, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 18. Jänner 2016, GZ 6 Cga 52/15t‑7, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00098.16A.1028.000

 

Spruch:

 

Die Revision und der Rekurs der klagenden Partei werden zurückgewiesen.

Der Revision und dem Rekurs der beklagten Partei werden nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Rechtsmittelbeantwortungen selbst zu tragen.

Die Kosten der Rechtsmittel der beklagten Partei und der Beantwortungen der klagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger steht seit 1. 1. 1998 als Arzt in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum beklagten Sozialversicherungsträger. Auf das Dienstverhältnis ist die Dienstordnung B für die Ärzte bei Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.B) anzuwenden.

Zu Beginn des Dienstverhältnisses wurde der Kläger in die Gehaltsgruppe B, Dienstklasse III, Bezugsstufe 8 DO.B eingereiht und mit seiner Bestellung zum Oberarzt am 1. 7. 2001 in die Gehaltsgruppe B, Dienstklasse II, Bezugsstufe 10 DO.B.. Dem Kläger wurden bei der Begründung des Dienstverhältnisses insgesamt Vordienstzeiten im Ausmaß von 14 Jahren, vier Monaten und neun Tagen angerechnet. Nicht angerechnet wurde ein weiterer Zeitraum an Dienstzeiten in anderen Dienstverhältnissen als angestellter Arzt im Ausmaß von einem Jahr, zehn Monaten und zehn Tagen.

Der Kläger erhält regelmäßig ordnungsgemäße Gehaltsabrechnungen.

Der Kläger erhebt mit seiner Klage vom 1. 12. 2015 ein Leistungs-, ein Rechnungslegungs- sowie ein Feststellungsbegehren. Diese begründet er damit, dass die Beklagte seine gesamten Vordienstzeiten als Arzt bei anderen Dienstgebern bei der Einstufung berücksichtigen hätte müssen. Die dieser Vordienstzeitenanrechnung entgegenstehende Regelung in der DO.B sei wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer unionsrechtswidrig und daher nicht anzuwenden. Soweit von der in Rede stehenden Regelung inländische Ärzte – wie der Kläger – betroffen seien, führe die Regelung in der DO.B zu einer nicht gerechtfertigten Inländerdiskriminierung, was gemäß § 879 ABGB sittenwidrig sei. Die Beklagte habe durch die Nichtanrechnung auch gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstoßen, weil es in dem Betrieb der Beklagten, in dem er tätig sei, lediglich fünf Ärzte gebe, deren Vordienstzeiten nicht zur Gänze angerechnet worden seien.

Das Leistungsbegehren bezifferte der Kläger mit 64.797,43 EUR sA. Dabei handle es sich um die geschätzte Bezugsdifferenz für die Zeit von Beginn des Dienstverhältnisses bis 31. 10. 2015. Die Beklagte habe es schuldhaft unterlassen, ihn bei Beginn des Dienstverhältnisses über seine Rechte auf Anrechnung sämtlicher Vordienstzeiten aufzuklären. Erstmals mit dem allgemeinen Bekanntwerden des Urteils des EuGH vom 5. 12. 2013 in der Rechtssache Salzburger Landeskliniken ( SALK ), Rs C‑514/12, habe er Kenntnis davon erhalten, dass seine gesamten Vordienstzeiten als Arzt in anderen Dienstverhältnissen anzurechnen gewesen wären.

Mit seiner Stufenklage begehrt der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen, zum einen die Nachverrechnung seiner Bezüge für den Zeitraum 1. 1. 1998 bis einschließlich des Vormonats vor jenem Monat, in welches der Eintritt der Rechtskraft des Urteils im gegenständlichen Rechtsstreit falle, derart durchzuführen, dass ihm die Dienstbezüge unter Anrechnung aller von ihm im Zeitraum vom 1. 9. 1981 bis 31. 12. 1997 geleisteten Vordienstzeiten ohne Abschläge und in vollem Ausmaß gewährt werden und diese so nachverrechneten Bezüge den ihm tatsächlich ausbezahlten Bezügen gegenübergestellt und diese von den nachverrechneten Bezügen in Abzug gebracht werden. Zum anderen seien die aus dieser Nachverrechnung sich ergebenden restlichen Ansprüche ordnungsgemäß abzurechnen. Der sich daraus ergebende Nettobetrag sei ihm zu bezahlen, soweit der Anspruch nicht bereits im Betrag laut Z 1 dieses Urteilsspruchs enthalten sei, wobei die Bezifferung des Anspruchs bis zum Erhalt der Nachverrechnung ausdrücklich vorbehalten bleibe. Da ihm eine exakte Berechnung seiner Ansprüche ohne Mithilfe der Beklagten nicht möglich sei, sei er zur Erhebung einer Stufenklage nach Art XLII EGZPO berechtigt.

Mit dem Feststellungsbegehren begehrt der Kläger schließlich festzustellen, dass ihm eine Auszahlung von Bezügen und sonstigen Ansprüchen unter gänzlicher Anrechnung seiner Vordienstzeiten in der Zeit vom 1. 9. 1981 bis zum Ablauf des 31. 12. 1997 zustehe, sodass die Beklagte verpflichtet sei, für die Zukunft eine Abrechnung seiner Bezüge unter voller Berücksichtigung auch dieser Vordienstzeiten vorzunehmen.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Eine allfällige Inländerdiskriminierung werde vom Unionsrecht bei rein inländischen Sachverhalten nicht erfasst. Das Unionsrecht verbiete eine allfällige Inländerdiskriminierung nicht, weil die Grundfreiheiten, wie auch jene des Art 45 AEUV, einen zwischenstaatlichen Sachverhalt voraussetzten. Die Regelungen der DO.B über die Anrechnung der Vordienstzeiten seien jedenfalls verhältnismäßig, weil sie die Betriebstreue stärken würden. Darüber hinaus hätten die Vertragspartner der DO.B in ihrer diesbezüglichen Autonomie mit der Vordienstzeitenanrechnung ein sachgerechtes Regelungssystem gefunden. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor, weil der Kläger weder als einzelner Arbeitnehmer noch als Mitglied einer klaren Minderheit von Arbeitnehmern gegenüber einer deutlichen Mehrheit von Arbeitnehmern willkürlich oder aus sachfremden Gründen schlechter gestellt worden sei. Abgesehen davon, dass ein Dienstgeber gegenüber seinem Dienstnehmer nicht zur Rechnungslegung über seine Bezüge verpflichtet sei, stehe dem Kläger ein Rechnungslegungsanspruch auch deshalb nicht zu, weil es ihm auf Grundlage der DO.B und des Gehaltsschemas möglich gewesen wäre, ein bestimmtes Begehren auf Geldleistung zu stellen. Die geltend gemachten Ansprüche für den Zeitraum vor Jänner 2013 seien gemäß § 1486 Z 5 ABGB verjährt.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Die aktuelle Regelung über die Vordienstzeitenanrechnung in der DO.B sei nicht unionsrechtswidrig, weil sie – im Gegensatz zu dem der Entscheidung SALK zugrundeliegenden Sachverhalt – die Betriebstreue belohne und daher einen zumutbaren und verhältnismäßigen Eingriff in die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstelle. Auch das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot sei durch diese Bestimmung nicht verletzt worden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es gab dem Feststellungsbegehren dahin statt, dass dem Kläger aufgrund seines Dienstverhältnisses zur Beklagten eine Auszahlung von Bezügen und sonstigen Ansprüchen unter Anrechnung von weiteren Vordienstzeiten in der Dauer von einem Jahr, zehn Monaten und zehn Tagen zustehe. Die erstgerichtliche Abweisung des Rechnungslegungsbegehrens wurde bestätigt. Die Entscheidung über das Leistungsbegehren hob es auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Für die Beurteilung des Anspruchs auf Vordienstzeitenanrechnung sei die zum Zeitpunkt der Begründung des Dienstverhältnisses des Klägers geltende Fassung der DO.B anzuwenden. Damals habe § 13 Abs 1 Z 1 DO.B vorgesehen, dass nach Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegte Dienstzeiten im Anstellungsverhältnis zu österreichischen Sozialversicherungsträgern anzurechnen seien. Diese Regelung schließe von vornherein die Anrechnung ausländischer, im Geltungsbereich des Unionsrechts verbrachter Vordienstzeiten aus und sei nach Art 45 Abs 2 AEUV (ex-Art 39 EGV) sowie Art 7 Abs 4 der damals gültigen Verordnung (EWG) 1612/68 des Rates (nunmehr Freizügigkeitsverordnung VO (EU) 492/2011) unionsrechtswidrig. Diese Regelung sei mittelbar diskriminierend, weil sie nur bei Anstellungsverhältnissen zu österreichischen Sozialversicherungsträgern eine Vollanrechnung von Vordienstzeiten vorsehe und bei anderen (ausländischen) Vordienstzeiten eine Begrenzungsregelung enthalte. Aus der Judikatur des EuGH sei abzuleiten, dass auch eine geringerwertige Berücksichtigung von facheinschlägigen Berufsjahren, die beim Arbeitgeber zurückgelegt wurden, für die Entgelthöhe als nicht zu rechtfertigende mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zu qualifizieren und damit als Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit anzusehen sei. Der Kläger könne sich zwar auf keine im EU-Ausland erworbenen Vordienstzeiten berufen, sei aber von der diskriminierenden Vorschrift insofern betroffen, als auch sein Anspruch auf Arbeitnehmerfreizügigkeit, nämlich als österreichischer Staatsangehöriger im Ausland zu arbeiten und bei einer Rückkehr keine Nachteile in Bezug auf die Anrechnung von Vordienstzeiten zu erleiden, betroffen sei. Nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaats sei, daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellten Beeinträchtigungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit des betreffenden Arbeitnehmers angewandt werden.

Die Beklagte hätte daher bei der Begründung des Dienstverhältnisses mit dem Kläger die diskriminierende Anrechnungsbestimmung nicht anwenden dürfen und dem Kläger für die Einstufung in das Gehaltsschema die als Vordienstzeiten als Arzt bei einem anderen Arbeitgeber verbrachten Zeiten von einem Jahr, zehn Monaten und zehn Tagen anrechnen müssen. Aufgrund der erfolgten Fehleinstufung habe der Kläger einen Nachzahlungsanspruch, der jedoch der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1486 Z 5 ABGB unterliege. Soweit der Kläger der Beklagten eine schuldhafte Verletzung ihrer Aufklärungspflichten vorwerfe, halte er damit dem Verjährungseinwand der Beklagten die Replik der Arglist entgegen. Dies jedoch zu Unrecht, weil der Beklagten nach der Aktenlage die Unionsrechtswidrigkeit der in Rede stehenden Bestimmungen der DO.B nicht bewusst gewesen sei.

Das Rechnungslegungsbegehren des Klägers sei verfehlt, weil dem Dienstnehmer gegenüber dem Dienstgeber kein gesetzlicher Anspruch auf Rechnungslegung über seine Bezüge zustehe und sich aus der DO.B ohnehin sämtliche Parameter für die Einstufung und die Bezugsdifferenzen ermitteln ließen. Da das Erstgericht zur Höhe der nicht verjährten Forderung des Klägers keine Feststellungen getroffen habe, sei das Ersturteil in Bezug auf das Leistungsbegehren aufzuheben gewesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision und der Rekurs zulässig seien, weil die Frage der Unionsrechtswidrigkeit der Anrechnungsbestimmung des § 13 DO.B in der hier anzuwendenden Fassung für eine Vielzahl von Dienstverhältnissen bei Sozialversicherungsträgern von Relevanz sei.

Gegen diese Entscheidung erhoben beide Parteien Revision und Rekurs. Mit seiner Revision strebt der Kläger die Stattgebung des Rechnungslegungsbegehrens an, die Beklagte mit ihrer Revision die Abweisung des Feststellungsbegehrens. Der Rekurs des Klägers gegen den Aufhebungsbeschluss zielt auf die Stattgabe, jener der Beklagten auf die Abweisung des Leistungsbegehrens ab. Beide Parteien beantragen in ihren Revisions- und Rekursbeantwortungen, den Rechtsmitteln des Gegners nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision und der Rekurs der Beklagten sind aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie sind jedoch nicht berechtigt.

Die Revision und der Rekurs des Klägers sind ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulassungsausspruchs nicht zulässig.

I. Zur Revision und zum Rekurs der Beklagten:

I. 1. Die Beklagte vertritt in ihren – gemeinsam ausgeführten – Rechtsmitteln unter Berufung auf Art 28 der Grundrechtecharta und Art 152 Abs 1 AEUV den Standpunkt, dass den Kollektivvertragsparteien der DO.B auf nationaler Ebene bei der Festlegung der sozial- und beschäftigungspolitischen Schutzziele sowie bei den für ihre Erreichung geeigneten Maßnahmen ein weiter Ermessensspielraum zustehe. Im Zweifel führe die in einer Kollektivvertragsbestimmung zum Ausdruck gelangende übereinstimmende sozialpolitische Einschätzung zu einer sachlichen Rechtfertigung dieser Kollektivvertragsbestimmung. Auch für das in der DO.B enthaltene Regelungssystem der Anrechnung von zurückgelegten Dienstzeiten gelte daher, dass diese dem beiderseitigen Interessenausgleich diene und jenes Ergebnis festhalte, das die Kollektivvertragsparteien als sachlichen Endpunkt ihrer Verhandlungen angesehen hätten. Die EuGH‑Entscheidung SALK sei nicht einschlägig, weil es sich im Anlassfall um einen rein inländischen Sachverhalt handle und das Unionsrecht eine Inländerdiskriminierung nicht verbiete.

I. 2. Im Rahmen der den Sozialpartnern nach Art 28 der Grundrechtecharta gewährten Befugnis, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen, kommt ihnen kein größerer Gestaltungsspielraum zu als den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und sie sind in gleicher Weise wie diese an das Unionsrecht gebunden (vgl 9 ObA 20/15d mwN; Köchle in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar, Art 28 Rn 46). Die Gerichte haben daher auch Kollektivverträge dahin zu überprüfen, ob sie allenfalls gegen Unionsrecht verstoßen (9 ObA 84/15s mwN; RIS-Justiz RS0018063 [T5]). Ein Verstoß gegen unmittelbar anzuwendendes Unionsrecht zieht die Unwirksamkeit des davon betroffenen Kollektivvertrags(‑teils) nach sich (vgl RIS-Justiz RS0117073). Daher sind auch Kollektivvertragsbestimmungen, die Art 45 AEUV entgegenstehen, nichtig (Windisch-Graetz in Mayer/Stöger, EUV/AEUV, Art 45 AEUV Rn 3; EuGH 15. 1. 1998, C-15/96 , Schöning-Kougebetopoulou, Antwort 2; 9 ObA 19/09y zur vergleichbaren Ungleichbehandlung von Beschäftigungszeiten zu einer Gebietskörperschaft eines Mitgliedstaats im Vergleich zu inländischen Zeiten gemäß § 14 DO 1994). Die nationalen Normen sind dann so zu lesen, als ob die verdrängte Bestimmung bzw der davon betroffene Teil nicht vorhanden wäre; es ist also der unionsrechtskonforme nationale Regelungstorso anzuwenden (4 Ob 255/15a). An dieser Beurteilung ändert auch der Verweis auf die– ausschließlich programmatischen Charakter beinhaltende – Bestimmung des Art 152 AEUV nichts (Hesse in Mayer/Stöger, EUV/AEUV, Art 152 AEUV Rn 1).

I. 3. Die Dienstordnung B für die Ärzte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs ist ein Kollektivvertrag (RIS-Justiz RS0054394 [T8]). Das Berufungsgericht hat ausführlich und zutreffend unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (insbesondere die Entscheidung vom 5. 12. 2003, C-514/12 , SALK) begründet, weshalb § 13 Abs 1 Z 1 DO.B in der zum Zeitpunkt der Begründung des Dienstverhältnisses zwischen den Parteien anzuwendenden Fassung (vgl 9 ObA 56/00a) eine unzulässige Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV (ex-Art 39 EGV) und Art 7 Abs 1 der damals gültigen Verordnung (EWG) Nr 1612/68 des Rates vom 15. 10. 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (abgelöst durch die Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 4. 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union) darstellt. Da auch die Beklagte in ihren Rechtsmittelschriften die Richtigkeit dieser Beurteilung nicht in Zweifel zieht, genügt es, darauf zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

I. 4. Der als Grundvoraussetzung für die Anwendung des Unionsrechts zu fordernde Unionsrechtsbezug setzt grundsätzlich voraus, dass Personen, Sachverhalte oder Begehren eine rechtliche Beziehung zu einem anderen Mitgliedstaat aufweisen (RIS‑Justiz RS0117828 [T3]). Eine Beeinträchtigung des Freizügigkeitsrechts nach Art 45 Abs 1 AEUV (ex-Art 39 EGV) und der hier ebenfalls unmittelbar anwendbaren Freizügigkeitsverordnung (9 ObA 56/00a) benötigt daher ein grenzüberschreitendes Anknüpfungsmoment.

Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht aber darauf hingewiesen, dass der Europäische Gerichtshof dazu folgende Rechtsauffassung vertritt: Auch nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Arbeitnehmer angewandt werden (SALK, Rn 30 mwN). Sämtliche Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit sollen nämlich, wie die der Verordnung Nr 492/2011, den Angehörigen der Mitgliedstaaten die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die sie benachteiligen könnten, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (EuGH 30. 9. 2003, C‑224/01, Köbler, Rn 74; SALK, Rn 32). Zudem stellen die Artikel des Vertrags über den freien Warenverkehr, die Freizügigkeit sowie den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr grundlegende Bestimmungen für die Union dar, und daher ist jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, verboten (SALK, Rn 34).

Diese Wertungen des EuGH treffen auch auf den Anlassfall zu. Dass der Kläger derzeit keine einschlägigen Beschäftigungszeiten im Ausland vorweisen kann, ist unbeachtlich, weil subjektive Gründe, weshalb sich ein Arbeitnehmer dafür oder dagegen entscheidet, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, bei der Beurteilung des diskriminierenden Charakters einer nationalen Vorschrift nicht berücksichtigt werden können (SALK, Rn 33).

Der Revision und dem Rekurs der Beklagten waren daher nicht Folge zu geben.

II. 1. Zur Revision des Klägers:

Die Zulässigkeit seiner Revision begründet der Kläger damit, dass es keine Rechtsprechung zur Frage gebe, ob der Umstand der Fehleinstufung und des unbekannten Ausmaßes der angerechneten Vordienstzeiten als unbekannte Berechnungsgrößen anzusehen seien, die zur Stellung eines Rechnungslegungsbegehrens berechtige. Damit zeigt der Kläger aber keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Dienstgeber dem Dienstnehmer grundsätzlich nicht zur Rechnungslegung über seine Bezüge verpflichtet ist, wird vom Kläger nicht weiter in Frage gestellt. Richtig ist aber auch, dass ein Rechnungslegungsanspruch des Dienstnehmers über sein Entgelt allgemein dann bejaht wird, wenn die Entgeltvereinbarung eine Bezugnahme auf dem Arbeitnehmer unbekannte Berechnungsgrößen vorsieht (Konecny in Fasching/Konecny³ II/1 Art XLII EGZPO Rz 39). Zweck der Rechnungslegungspflicht nach Art XLII Abs 1 EGZPO ist es nämlich, den Berechtigten in die Lage zu versetzen, Leistungsansprüche gegen den Rechnungslegungspflichtigen festzustellen und geltend zu machen (RIS-Justiz RS0034907 [T6, T8]). Eines solchen Anspruchs bedarf es daher dann nicht, wenn der Berechtigte die erforderlichen Daten schon anderweitig in Erfahrung bringen konnte (RIS-Justiz RS0034907). Sind die zur Erhebung der Klage notwendigen Umstände dem Kläger bereits bekannt, fehlt es an einem privatrechtlichen Interesse an der Ermittlung des Vermögens oder des Schuldenstandes (RIS-Justiz RS0034956 [T1]; 9 ObA 125/14v; 9 ObA 54/16f). Dies ist hier der Fall.

Weshalb der Kläger auf Basis der DO.B, der ihm bekannten Vordienstzeiten und der monatlich erhaltenen Gehaltszettel nicht eine Differenzrechnung zwischen dem ihm seiner Ansicht nach zustehenden und dem tatsächlich erhaltenen Entgelt anstellen hätte können, ist nicht ersichtlich. Spätestens im Verfahren war er durch den Schriftsatz der Beklagten (ON 4) auch in Kenntnis jener konkreten (verfahrensgegenständlichen) Vordienstzeiten, die die Beklagte bei seiner Einstufung zu Beginn des Dienstverhältnisses nur zur Hälfte berücksichtigt hat. Dass diese Berechnung „kompliziert“ sei, kann einen Rechnungslegungsanspruch nicht begründen. Dem Kläger fehlen keine Berechnungsgrößen, die nur die Dienstgeberin hat.

II. 2. Zum Rekurs des Klägers:

Die Zulässigkeit des Rekurses gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts begründet der Kläger mit einer Vielzahl von Dienstverhältnissen, die bei den Sozialversicherungsträgern betroffen seien. Bei der Beurteilung der Verjährungsfrage habe das Berufungsgericht übersehen, dass sich die Beklagte bei der Anrechnungsfrage wider Treu und Glauben verhalten habe. Für die Beklagte wäre mit dem EU‑Beitritt Österreichs erkennbar gewesen, dass die Regelung der DO.B in der Frage der Anrechnung von zurückgelegten Zeiten europarechtswidrig sei.

Der Umstand alleine, dass die zu lösenden Fragen in einer Vielzahl von Fällen auftreten, bewirkt noch nicht ihre Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO.

Richtig ist, dass nach ständiger Rechtsprechung die Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben verstößt, wenn das Fristversäumnis des Berechtigten auf ein Verhalten seines Gegners zurückzuführen ist (RIS-Justiz RS0014838). Diese Frage kann aber nur nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden und begründet daher in der Regel ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 519 Abs 2 Z 1 iVm § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0014838 [T15]). Eine die Zulässigkeit des Rekurses dennoch rechtfertigende unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts zeigt der Kläger auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts jedoch nicht auf.

Die Revision und der Rekurs des Klägers waren daher zurückzuweisen.

III.  Die Entscheidung über die Kosten der Revisions- und Rekursbeantwortung der Beklagten beruht auf den §§ 50 und 40 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittel des Klägers nicht hingewiesen, sodass ihr mangels zweckentsprechender Rechtsverteidigung kein Kostenersatz zusteht (RIS-Justiz RS0035979). Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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