OGH 9ObA56/00a

OGH9ObA56/00a9.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Wolfgang Stelzmüller und Mag. Dr. Jörg Krainhöfner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Jelle ***** P*****, Zahnarzt, *****, vertreten durch Dr. Martin Kloser, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Vorarlberger Gebietskrankenkasse, Jahngasse 4, 6850 Dornbirn, vertreten durch Dr. Manfred Ammann, Rechtsanwalt in Rankweil, wegen S 74.877 brutto sA (Revisionsinteresse S 45.753 brutto), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. November 1999, GZ 13 Ra 45/99m-16, womit das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. März 1999, GZ 34 Cga 198/98a-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.058,80 (darin enthalten S 676,40 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der bei der Beklagten beschäftigte Kläger mit niederländischer Staatsangehörigkeit Anspruch auf Anrechnung des in den Niederlanden absolvierten gesetzlichen Wehrdienstes hat, zutreffend bejaht. Es reicht daher insoweit aus, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin Folgendes entgegenzuhalten:

Der Kläger ist seit 1. 10. 1988 als Zahnarzt in einem Ambulatorium der Beklagten beschäftigt. Sein Dienstverhältnis unterliegt der Dienstordnung B (DO.B) für die Ärzte und Dentisten bei den österreichischen Sozialversicherungsträgern. Bereits vor Beginn des Dienstverhältnisses absolvierte der Kläger ab März 1981 seinen Wehrdienst in den Niederlanden in der Dauer von 16 Monaten und 21 Tagen.

§ 13 DO.B regelt die Anrechnung von Dienstzeiten für die Einstufung in das Gehaltsschema. Diese Bestimmung sah in der bei Begründung des Dienstverhältnisses des Klägers geltenden Fassung neben verschiedenen anderen Fällen wie beispielsweise der Anrechnung von Dienstzeiten im Anstellungsverhältnis zu österreichischen Sozialversicherungsträgern (Abs 1 Z 1) in Abs 1 Z 3 lit a bis zum Höchstmaß von zusammen fünf Jahren auch die Anrechnung folgender Zeiten vor:

"Zeiten der Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht, einer Kriegsdienstleistung, einer Kriegsgefangenschaft oder einer Haft aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen, sofern der Arzt während dieser Zeiten die österreichische Staatsbürgerschaft .... besessen hat".

Die innerhalb der Gemeinschaft gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitnehmer umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen (Art 39 EG [ex-art 48 EGV]). Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer (Art 7 Abs 1 FreizügigkeitsVO Nr 1612/68). Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen (Art 7 Abs 4 FreizügigkeitsVO Nr 1612/68). Die durch die Freizügigkeit garantierten Rechte sind unmittelbar anwendbar. Die Rechtsunterworfenen können sich auf Grund des Anwendungsvorrangs vor widersprechendem innerstaatlichem Recht vor nationalen Gerichten und Behörden darauf berufen (Runggaldier, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer im EG-Vertrag, in Oetker/Preis, EAS B 2000, RdNr 44 mwN; DRdA 1994, 436 [Kirschbaum]; Lienbacher, Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Zugang zu Wohnmöglichkeiten, WoBl 1998, 321 mwN).

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass sich die DO.B in der bei Begründung des Arbeitsverhältnisses des Klägers geltenden Fassung, soweit sie die Anrechnung der gesetzlichen Wehrdienstpflicht von der österreichischen Staatsbürgerschaft abhängig macht, klar und eindeutig zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirkt. Die Revisionswerberin bestreitet dies auch nicht, rechtfertigt sich jedoch damit, dass bei Begründung des gegenständlichen Dienstverhältnisses (1. 10. 1988) die europarechtlichen Normen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft in Österreich noch nicht anzuwenden gewesen seien. Die FreizügigkeitsVO Nr 1612/68 wirke nicht zurück; sie erfasse nur Sachverhalte, die sich in Österreich nach dem 1. 1. 1994 (Beitritt zum EWR) verwirklicht haben.

Gegenstand des Verfahrens ist die Anrechnung von Wehrdienstzeiten des Klägers, die er vor dem Beitritt der Republik Österreich zum europäischen Wirtschaftsraum bzw zur Europäischen Union zurückgelegt hat. Wie der EuGH bereits in dem hinsichtlich der angesprochenen zeitlichen Problematik durchaus vergleichbaren, ebenfalls Österreich betreffenden Verfahren bezüglich der Anrechnung von Vordienstzeiten nach dem Vertragsbedienstetengesetz (VBG) 1948 betont hat (Urteil vom 30. 11. 2000, C-195/98 , Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft öffentlicher Dienst gegen Republik Österreich; ARD 5181/40/2001 = ZASB 2001, 15), betrifft das Verfahren nicht die Anerkennung von Rechten aus Gemeinschaftsrecht, die vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union erworben wurden, sondern die Diskriminierung eines Wanderarbeitnehmers in Bezug auf seine gegenwärtige Rechtsstellung (RdNr 54). Die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl 1994, C 241, S 21, und ABl 1995, L 1, S 1) enthalten keine Übergangsregelung für die Geltung des Art 48 EGV (nach Änderung jetzt Art 39 EG) bzw des Art 7 Abs 1 der FreizügigkeitsVO Nr 1612/68. Diese Bestimmungen gelten ab dem Zeitpunkt des Beitritts der Republik Österreich zur Europäischen Union, dem 1. 1. 1995, dort unmittelbar und sind bindend. Wanderarbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten können sich von diesem Zeitpunkt an darauf berufen. Da es keine Übergangsregelung gibt, müssen die früheren Beschäftigungszeiten daher zwangsläufig angerechnet werden (RdNr 55). Die in anderen Mitgliedstaaten an Einrichtungen, die den in § 26 Abs 2 VBG aufgezählten österreichischen Einrichtungen vergleichbar sind, zurückgelegten Zeiten müssen für die Berechnung der Entlohnung von Vertragslehrern und Vertragsassistenten zeitlich unbegrenzt berücksichtigt werden (RdNr 56).

Der EuGH folgt in seiner Begründung den Ausführungen des Generalanwalts Jacobs in seinen Schlussanträgen vom 27. 1. 2000. Dieser verwies darauf, dass die Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten mangels einer Übergangsregelung ab dem Zeitpunkt des Beitritts zur Europäischen Union mit unmittelbarer Wirkung verboten sei. Frühere Beschäftigungszeiten dürften notwendigerweise vor dem Beitritt zurückgelegt worden sein. Mangels einer Übergangsregelung müssten diese Beschäftigungszeiten daher notwendigerweise berücksichtigt werden (RdNr 144). Generalanwalt Jacobs unterstrich dies überzeugend mit einem Beispiel zum Grundsatz der gleichen Bezahlung für Männer und Frauen für gleichwertige Arbeit:

Falls etwa in einem Mitgliedstaat Männer eine jährliche Gehaltserhöhung zur Anerkennung ihrer Erfahrung und ihres Dienstalters erhielten, Frauen eine solche Gehaltserhöhung jedoch versagt würde, wäre dieser Mitgliedstaat (mangels einer Übergangsregelung) beim Beitritt zur Europäischen Union verpflichtet, den Grundsatz gleicher Bezahlung durchzusetzen. Frauen hätten einen Anspruch darauf, dass vor dem Beitritt zurückgelegte Beschäftigungszeiten berücksichtigt würden. Man könnte dann aber nicht ernsthaft vorschlagen, dass eine Frau im Vergleich zu einem Mann mit einem Dienstalter von zehn Jahren weitere zehn Jahre warten müsste, ehe sie die gleiche Bezahlung erhielte (und sich das Dienstalter des Mannes in dieser Zeit um weitere zehn Jahre verlängerte). Dadurch würde die Diskriminierung auf unbestimmte Zeit fortgesetzt. Genau dasselbe habe aber auch für die Diskriminierung aus Gründen der Staatangehörigkeit in Bezug auf die in anderen Mitgliedstaaten zurückgelegten Beschäftigungszeiten zu gelten (RdNr 145).

Die vorstehenden Ausführungen haben auch für den vorliegenden Fall der Anrechnung von Wehrdienstzeiten vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union zu gelten, weil jede andere Vorgangsweise eine Diskriminierung eines niederländischen, in Österreich beschäftigten Wanderarbeitnehmers in Bezug auf seine gegenwärtige, nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union liegende Rechtsstellung bewirken würde. An den Überlegungen zur Diskriminierung eines Wanderarbeitnehmers in Bezug auf seine gegenwärtige Rechtsstellung ändern auch die Ausführungen der Revisionswerberin, die darauf abstellen, der Kläger wäre bereits vor dem Beitritt des Klägers zur Europäischen Union nach Österreich gekommen, und hätte sich seither nicht mehr "bewegt", nichts.

Unbegründet ist auch die Befürchtung der Revisionswerberin, durch die Anrechnung der niederländischen Wehrdienstzeiten des Klägers in voller Höhe käme es zu einer durch Art 39 Abs 2 EGV nicht gebotenen Besserstellung des Klägers gegenüber den Inländern. Die Revisionswerberin zielt mit dieser Argumentation offenbar auf den im Vergleich mit den Niederlanden kürzeren Präsenzdienst in Österreich ab. Dabei lässt sie jedoch unberücksichtigt, dass die DO.B in der hier anzuwendenden Fassung Zeiten der Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht bis zum Höchstmaß von zusammen fünf Jahren vorsieht. In dieser Obergrenze finden die Wehrdienstzeiten des Klägers im Ausmaß von 16 Monaten und 21 Tagen ohne weiteres Deckung. Dass der Rahmen von fünf Jahren beim Kläger bereits durch die Anrechnung von Zeiten einer Kriegsdienstleistung, Kriegsgefangenschaft etc (§ 13 Abs 1 Z 3 lit a DO.B) aufgebraucht worden wäre, wurde nie vorgebracht; hiefür gibt es auch keine Anhaltspunkte.

Die vorliegende Beurteilung steht auch im Einklang mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Ugliola (15. 10. 1969, RS 15/69, Slg 1969, 363; vgl K. Mayr, Anwendbarkeit des Arbeitsplatz-Sicherungsgesetzes auf Ausländer, RdW 1998, 411; Rauch,

Zur Anwendbarkeit des Arbeitsplatzsicherungsgesetzes auf ausländische Arbeitnehmer, ecolex 2001, 57), wonach ein Wanderarbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und seine Tätigkeit in einem Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats zur Erfüllung der Wehrpflicht gegenüber seinem Heimatland hat unterbrechen müssen, Anspruch auf Anrechnung der Wehrdienstzeit auf die Betriebszugehörigkeit hat, soweit im Beschäftigungsland zurückgelegte Wehrdienstzeiten den einheimischen Arbeitnehmern gleichfalls angerechnet werden. Da auch bei österreichischen Staatsangehörigen nach der hier anzuwendenden Bestimmung der DO.B gesetzliche Dienstpflichten bis zum Höchstmaß von zusammen fünf Jahren angerechnet wurden, kann schon aus diesem Grund keine unzulässige Besserstellung des Klägers vorliegen. Andernfalls läge immer eine der Anrechnung entgegenstehende Besserstellung gegenüber denjenigen vor, die - aus welchen Gründen immer - gar keinen oder einen kürzeren Präsenzdienst abgeleistet haben.

Die Revisionswerberin kann für ihren Standpunkt auch nichts aus den Überlegungen Runggaldiers (aaO RdNr 58 Fn 208) zu § 8 APSG ableiten. Während der hier anzuwendende Kollektivvertrag ohne weitere Differenzierung lediglich auf "gesetzliche Dienstpflichten" abstellt und diese ohne weiteres bis zum Höchstausmaß von zusammen fünf Jahren berücksichtigen will, stellt § 8 APSG unter anderem auf bestimmte explizit genannte Dienste nach dem WehrG ab, die ihrerseits nähere Regelungen über die jeweilige Dauer enthalten, die jedoch im vorliegenden Fall gänzlich fehlen. Die sich dort stellenden Probleme der Vergleichbarkeit einzelner militärischer Dienste in Österreich mit jenem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union können hier daher ebenso dahingestellt bleiben wie Überlegungen zur allfälligen Besserstellung im Rahmen der Anrechnung nach § 8 APSG, die anders als die Anrechnung nach § 13 DO.B nur für Dienste während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt.

Die DO.B hat den Charakter eines Kollektivvertrages (Arb 9.895 mwN ua). Da alle Bestimmungen in Kollektivverträgen betreffend den Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen nichtig sind, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen (Art 7Abs 4 FreizügigkeitsVO Nr 1612/68), hat der in § 13 Abs 1 Z 3 lit a DO.B enthaltene Zusatz "sofern der Arzt während dieser Zeiten die österreichische Staatsbürgerschaft ..... besessen hat" bei der im Übrigen gebotenen vollen Anrechnung der Wehrdienstzeiten des Klägers unbeachtet zu bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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