OGH 9ObA45/23t

OGH9ObA45/23t26.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C* K*, vertreten durch Dr. Johann Grandl, Rechtsanwalt in Mistelbach, gegen die beklagte Partei M* eG, *, vertreten durch Stempkowski Schröter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 53.428,80 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2023, GZ 8 Ra 20/23d‑24, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 7. Dezember 2022, GZ 9 Cga 41/22k‑18, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00045.23T.0726.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.685,48 EUR (darin 447,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin war beim beklagten Kreditinstitut von 1. 10. 1996 bis 31. 3. 2022 als Angestellte beschäftigt. IhrArbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten.

[2] Die Klägerin war bis 30. 4. 2021 in den Bereichen Sondergestion, Kreditmanagement (für Neukunden) und Risikomanagement tätig. Letzterer Bereich wurde am 1. 5. 2021 aufgrund bankenaufsichtsrechtlicher Vorgaben in eine neue Abteilung unter der Leitung der bisherigen Vorgesetzten der Klägerin ausgegliedert. Diese Umstrukturierung hatte mit der späteren Kündigung der Klägerin nichts zu tun. Der Bereich Sondergestion umfasste zum einen die Betreibung ausständiger (Kredit‑)Forderungen und damit in Zusammenhang stehende Tätigkeiten (Routineaufgaben) und zum anderen die Bearbeitung von Sanierungsfällen, dh von Fällen, in denen der Zahlungsausfall eines Kunden drohte oder bereits eingetreten war. Diese Tätigkeit erforderte eine eigenständige Bonitäts- und Risikobeurteilung der neuen Sicherheiten und war viel komplexer als die übrigen Aufgaben in der Sondergestion. Tatsächlich hatte die in Vollzeit tätige Klägerin ausschließlich Routineaufgaben wahrgenommen. Jedenfalls komplexe Sanierungsfälle hatte die Klägerin (zunächst) nicht zu bearbeiten. Dazu war sie auch nicht fähig. Komplexe Sanierungsfälle hatte daher ihre Arbeitskollegin P* übernommen.

[3] Der mit 1. 2. 2021 zum neuen Vorstandsmitglied der Beklagten ernannte Direktor W* hatte die Aufgabe, zum einen die bankenaufsichtsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich der Organisationsstruktur der Beklagten umzusetzen und zum anderen, die angespannte Ertragssituation der Beklagten zu verbessern. Die Vorgaben der Bankenaufsicht wurden (ua) durch die bereits oben erwähnte Ausgliederung des Bereichs Risikomanagement erfüllt.

[4] Der zweite Aufgabenbereich umfasste zunächst die Schließung mehrerer Filialen der Beklagten und den Aufbau einer zentralisierten Vertriebseinheit für Finanzprodukte. Da nicht alle nicht mehr benötigten Filialmitarbeiter aufgrund ihrer individuellen Qualifikation sinnvoll für die neue Vertriebseinheit umgeschult werden konnten, bedingte dies einen weitgehenden Personalabbau. Zur Abfederung sozialer Härten (konkret stand die Kündigung von acht namentlich genannten Filialmitarbeitern in Rede, wobei der Betriebsrat die Besorgnis hatte, dass es zu weiteren Umstrukturierungs- und Reorganisationsmaßnahmen, insbesondere auch in der Zentrale, kommen könnte), schlossen die Beklagte und ihr Angestelltenbetriebsrat am 17. 6. 2021 eine bis 31. 3. 2022 befristete Betriebsvereinbarung, gestützt auf § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG iVm § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG, ab (Blg ./B). Diese lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 1 Grundsätzliches

Die M* eG plant zum nachhaltigen Erhalt der Selbständigkeit eine Restrukturierung ihres Geschäftsmodells. Zielsetzung dieser Vereinbarung ist es, soziale Härten und wirtschaftliche Nachteile, die den betroffenen Arbeitnehmern auf Grund der Restrukturierung erwachsen, so weit als möglich zu vermeiden bzw. abzufedern. Darunter werden einerseits verschlechternde Versetzungen und andererseits die Auflösung des Dienstverhältnisses auf Grund von Reorganisations- und Umstrukturierungsmaßnahmen verstanden. Für diese Varianten werden jeweils unterschiedliche Maßnahmen vereinbart.

Die Parteien sind sich bewusst, dass die bevorstehende Restrukturierung in Einzelfällen zur Auflösung des Dienstverhältnisses führen kann. Es besteht der gemeinsame Wille, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Die Vertragsparteien gehen davon aus, dass es in vertrauensvoller Zusammenarbeit gelingen wird, geplante Maßnahmen sozialverträglich umzusetzen.

§ 2 Geltungsbereich

1. Die folgenden Regelungen sind für alle Angestellten anzuwenden, die bei Abschluss der Betriebsvereinbarungen in einem aufrechten und ungekündigten Dienstverhältnis zur M* eG standen und im Zuge der Restrukturierung persönlich, verschlechternd von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen sind.

[…]

§ 4 Freiwillige Abfertigung bei verschlechternder Versetzung

[...]

§ 6 Auflösung von Dienstverhältnissen

Die Bestimmungen des § 6 gelten für jene Mitarbeiter, die im Zuge der Restrukturierung persönlich von Umstrukturierungsmaßnahmen durch Auflösungen ihres Dienstverhältnisses betroffen sind.

[…]

§ 7 Leistungen bei Beendigung von Dienstverhältnissen nach § 6

[…]

Freiwillige Abfertigung

[…]

Freiwillige Zusatzzahlungen für Kinder

[…]“

[5] Aus wirtschaftlichen Überlegungen beabsichtigte Direktor W* auch, sowohl die faktisch bestehende Arbeitstrennung zwischen den Arbeitsbereichen Sondergestion und Kreditmanagement als auch jene innerhalb der Sondergestion zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitskollegin P* aufzuheben. Die fachgerechte Handhabung von Sanierungsfällen war deutlich ertragreicher als das bloße Mahnwesen und Abwicklungsmanagement. Direktor W* wollte daher Ressourcen weg von den von der Klägerin bearbeiteten Routineaufgaben der Sondergestion hin zu den ertragreicheren Sanierungsfällen verschieben. Da die Klägerin jedoch dazu fachlich nicht in der Lage war, ihre Arbeitskraft daher nicht (teilweise) sinnvoll dorthin verschoben werden konnte, aber kein ausreichender Bedarf (mehr) an einer ausschließlich zur Bearbeitung der Routinefälle eingesetzten Vollzeitkraft bestand, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin auf.

[6] Die von der Klägerin beherrschten Routineaufgaben übernahm eine (lediglich) in (Alters‑)Teilzeit beschäftigte Mitarbeiterin. Die Bearbeitung sämtlicher Sanierungsfälle wurden der Arbeitskollegin der Klägerin, P*, übertragen, die sukzessive ihre Arbeitsstunden von 24 auf 30 Wochenstunden erhöhte. Dabei wird sie seit 1. 10. 2021 von einem Experten für die Bonitäts- und Bilanzanalyse unterstützt. Weitere Aufgaben der Klägerin wurden an andere Mitarbeiter der Abteilung verteilt.

[7] Die Klägerin begehrte an freiwilliger Abfertigung zuzüglicher freiwilliger Zusatzzahlung für ihr Kind 53.428,80 EUR, abgeleitet aus dem dargestellten Sozialplan.

[8] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach und wendete im Wesentlichen ein, die Kündigung der Klägerin falle nicht in den Anwendungsbereich des Sozialplans.

[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Kündigung der Klägerin falle in einer Gesamtbetrachtung der Rationalisierungs- bzw Reorganisationsmaßnahmen der Beklagten in den Sozialplan, weil sie persönlich von den Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen gewesen sei.

[10] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Die bloße Umschichtung von Ressourcen in einem bereits vorhandenen Aufgabenbereich, der weder mit einem Wechsel der betrieblichen Strukturen, noch mit einem tiefgreifenden Wandel des Unternehmens verbunden sei, sei keine „Restrukturierung“ im Sinne des Sozialplans. Diese Verlagerung der Ressourcen stelle insbesondere auch keine Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG dar, deren Vorliegen eine Voraussetzung für den Abschluss eines Sozialplans darstelle. Selbst wenn mit der Ressourcenverschiebung ein Personalabbau verbunden gewesen wäre (was nicht festgestellt ist), hätte es sich nicht um eine Rationalisierungsmaßnahme von erheblicher Bedeutung gehandelt, die mit wesentlichen Nachteilen für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft verbunden gewesen wäre. Die Kündigung der Klägerin sei nicht aufgrund einer Betriebsänderung erfolgt, sondern ausschließlich deshalb, weil sie für die fachgerechte Bearbeitung der Sanierungsfälle fachlich nicht geeignet gewesen sei.

[11] Das Berufungsgericht hat die Revision zur Auslegung der Begriffe „Restrukturierungsmaßnahmen“ und „Reorganisationsmaßnahmen“ in Sozialplänen sowie zur Frage der Anwendbarkeit eines Sozialplans, wenn betriebliche und persönliche Gründe für die Kündigung kausal seien, zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

[12] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

[13] Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die Auslegung von auf spezielle betriebliche Situationen ausgerichteten Betriebsvereinbarungen nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte, etwa wegen der Bedeutung für einen größeren Personenkreis, als erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO anzusehen ist (8 ObA 54/05g; 9 ObA 154/07y; RS0109942 [T2]). Dies ist hier beim zeitlich bereits abgelaufenen Sozialplan und der besonderen Situation der Klägerin nicht der Fall. Auch die Klägerin behauptet nicht, dass ihr Rechtsproblem potentiell auch andere Personen und vergleichbare Fälle berühren würde. Die Kasuistik des Einzelfalls schließt in der Regel – wie auch hier – eine beispielgebende Entscheidung aus (vgl RS0042405 [T2]). Eine aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts ist nicht ersichtlich. Die Entscheidung kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[14] 1. Der normative Teil von (hier: Sozialplan‑)Betriebsvereinbarungen ist nach den für die Interpretation von Gesetzen geltenden Regeln (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen (RS0050963 [T2, T4]). Die für die Interpretation von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen normierten Grundsätze des ABGB haben daher keine Anwendung zu finden (RS0050963 [T2, T4, T14]). In erster Linie ist bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text ergebende Absicht der Parteien der Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen (RS0010089 [T35]; 9 ObA 120/22w Rz 9 mwN). Der typische Zweck des Sozialplans, die sich aus einer betrieblichen Änderung für alle oder einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft ergebenden wesentlichen Nachteile zu verhindern, zu beseitigen oder zu mildern, ist bei der Auslegung des Sozialplans ebenfalls zu berücksichtigen (RS0010088 [T19]).

[15] 2. Zutreffend hat das Berufungsgericht bei der Auslegung des Begriffs „Restrukturierung“ bzw „Umstrukturierung“ auf die gesetzlichen Grundlagen der nach § 97 Abs 1 Z 4 ArbVG abgeschlossenen Betriebsvereinbarung Bedacht genommen. Danach dürfen in Betriebsvereinbarungen „Maßnahmen zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung der Folgen der Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG, sofern diese wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich bringt“, geregelt werden. Will man nun den Betriebsvereinbarungsparteien nicht unterstellen, dass sie ihre Regelungsbefugnis überschreiten wollten (vgl RS0050956 [T2, T5]), so kann der Begriff „Umstrukturierungsmaßnahmen“ nur so verstanden werden, dass damit ausschließlich Betriebsänderungen im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG gemeint sind.

[16] 3. Unter diesem Blickwinkel ist die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die Ressourcenverlagerung in der Abteilung der Klägerin stelle keine Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG dar, die wesentliche Nachteile für alle oder erhebliche Teile der Arbeitnehmerschaft mit sich brächte (vgl § 109 Abs 3 ArbVG), weshalb die Klägerin, die aufgrund ihrer mangelnden fachlichen Qualifikation für einen nicht unwesentlichen Teil der ihr nach dem Arbeitsvertrag zukommenden Aufgaben fachlich nicht geeignet gewesen sei, gekündigt worden sei, nicht unter die Betriebsvereinbarung falle, nicht unvertretbar.

[17] 4. Die Rechtsansicht der Revision, der Abbau eines in unproduktiven Bereichen bestehenden Personalüberstandes und die Ersetzung durch höher qualifizierte Mitarbeiter in produktiveren Bereichen stelle eine klassische Rationalisierungsmaßnahme dar, mag zwar durchaus richtig sein, doch beschränkte sich diese Maßnahme (§ 109 Abs 1 Z 6 ArbVG) in ihrer personellen Auswirkung lediglich auf die Kündigung der Klägerin. Wenn das Berufungsgericht darin aufgrund der konkreten Gegebenheiten im Betrieb der Beklagten (vgl Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 36 [2020] § 109 Rz 34) keine Maßnahme von erheblicher Bedeutung sah, so ist dies nicht zu beanstanden. Die (bloße) Ressourcenverlagerung stellt aber auch keine Änderung in der Betriebsorganisation (§ 109 Abs 1 Z 6 ArbVG) dar, weil damit weder der Betriebsaufbau noch die hierarchischen Strukturen in der Zentrale der Beklagten grundlegend verändert wurden (vgl Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht 36 [2020] § 109 Rz 31).

[18] 5. Soweit die Revision meint, es dürfe zur Beurteilung der Frage, ob die Klägerin in den Geltungsbereich des Sozialplans falle, nicht auf eine einzelne Reorganisationsmaßnahme abgestellt werden, sondern entscheidend sei das Gesamtbild aller Maßnahmen, die zur Verbesserung der Ertragslage der Beklagten beitragen sollten, lässt sie zudem § 6 Satz 1 der Betriebsvereinbarung außer Betracht. Danach gilt § 6 nur für jene Mitarbeiter, die im Zuge der Restrukturierung „persönlich“ von Umstrukturierungsmaßnahmen durch Auflösungen ihres Dienstverhältnisses betroffen sind. Dies war hier aber nicht der Fall. Die Klägerin war weder von der Ausgliederung des Risikomanagements noch von Filialschließungen und den dadurch bedingten Kündigungen von Mitarbeitern (persönlich) betroffen. Die Ressourcenverschiebung in der Zentrale stellte aber, wie oben erläutert, keine Betriebsänderung im Sinne des § 109 Abs 1 Z 1 bis 6 ArbVG dar.

[19] Da die Revision der Klägerin insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufweist, ist sie zurückzuweisen.

[20] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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