OGH 9ObA37/17g

OGH9ObA37/17g30.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Hon.‑Prof. Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Thomas Dürrer als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei G*****, gegen die beklagte Partei Fonds K*****, vertreten durch Dr. Peter Döller, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (AZ 43 Cga 76/15h; Streitwert: 21.800 EUR) und Zahlung von 8.583,27 EUR brutto sA (AZ 29 Cga 15/15k), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 8.583,27 EUR brutto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Jänner 2017, GZ 9 Ra 72/16y‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00037.17G.1030.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die jüngere höchstgerichtliche Rechtsprechung nimmt eine Bindungswirkung nur bezüglich der im Vorprozess entschiedenen Hauptfrage, nicht aber einer dort beurteilten Vorfrage an (RIS-Justiz RS0042554; RS0041180 ua). „Entscheidungsharmonie“ allein begründet keine Bindungswirkung (RIS-Justiz RS0102102), sodass im Folgeprozess keine Bindung an die im früheren Prozess erfolgte Vorfragenbeurteilung besteht (RIS‑Justiz RS0041178).

Das Abweichen des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung eines anderen Gerichts zweiter Instanz lässt aber auch die Leitfunktion des Obersten Gerichtshofs grundsätzlich unberührt. Unterschiedliche Entscheidungen zweier oder mehrerer Rechtsmittelsenate desselben Gerichtshofs auf der Ebene der Landes- und Oberlandesgerichte über identische Sachverhalte, die Ausdruck eines Wertungsspielraums nach höchstgerichtlichen Leitlinien sind, werfen für sich betrachtet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RIS‑Justiz RS0116241).

Insofern ist nur bedeutsam, wie sich die jeweilige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung verhält; eine gegenteilige Entscheidung eines Gerichts zweiter Instanz kann die Erheblichkeit der Rechtsfrage daher nicht begründen (RIS‑Justiz RS0042690 [T5]). Das Ziel, bei verschiedenen Verfahren mit vergleichbaren Konstellationen eine „Entscheidungsharmonie“ zu erreichen, indiziert noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (4 Ob 116/16m mwN).

2.1. Die Auslegung einer Urkunde nach ihrem Wortsinn, somit nach ihrem objektiven Erklärungswert, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS‑Justiz RS0017911; RS0017849). Die Erforschung der wahren Absicht der Parteien ist dagegen eine Beweisfrage (RIS‑Justiz RS0017911). Da das Berufungsgericht seine Auslegung des Dienstvertrags nur auf diesen gründet, kommt es darauf, dass die Parteien eine vom Urkundeninhalt abweichende Vereinbarung nicht vorgebracht haben und dazu keine Feststellungen getroffen wurden, nicht an.

2.2. Die Berücksichtigung des Inhalts einer in den Feststellungen der Vorinstanzen – wenn auch ohne wörtliche Wiedergabe – oder in einem verlesenen Vorakt enthaltenen Urkunde, deren Echtheit überdies zugestanden wurde, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung stellt entgegen der Auffassung des Revisionswerbers keine unzulässige Umwürdigung der Beweisergebnisse durch das Berufungsgericht dar (RIS-Justiz RS0121557). Da der Urkundeninhalt (was nicht gleichzusetzen ist mit dessen Richtigkeit) nicht strittig ist, liegt darin kein Mangel des Berufungsverfahrens.

3. Zur Rechtsfrage, ob eine Versetzung des Dienstnehmers im Sinn einer Änderung des Tätigkeitsbereichs und/oder des Dienstorts zulässig ist, ist zwischen der arbeitsvertraglichen und der betriebsverfassungsrechtlichen Zulässigkeit nach § 101 ArbVG zu unterscheiden. Der angefochtenen Entscheidung liegt eine arbeitsvertragliche Beurteilung zugrunde.

Allgemein ist aus arbeitsvertraglicher Sicht entscheidend, ob die Anordnung (Weisung) des Dienstgebers über einen Wechsel des Tätigkeitsbereichs oder des Tätigkeitsorts des Dienstnehmers durch den Inhalt des Arbeitsvertrags gedeckt ist oder sich aus vereinbarten Gestaltungsvorbehalten ergibt (9 ObA 51/07a ua).

Für die Frage, welche Dienste der Arbeitnehmer zu leisten hat, ist grundsätzlich der Arbeitsvertrag maßgebend; er umschreibt die Gattung der Arbeit allgemein und steckt damit einen weiteren oder engeren Rahmen der vom Arbeitnehmer nach Bedarf auszuführenden Tätigkeit ab. Andere als die so vereinbarten Dienste braucht der Arbeitnehmer regelmäßig nicht zu leisten (RIS‑Justiz RS0021472).

Innerhalb des Arbeitsvertrags können Versetzungen einseitig, das heißt ohne Zustimmung des Arbeitnehmers, im Rahmen des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber vorgenommen werden. Fällt der „neue Arbeitsplatz“ in den vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeitsbereich, ist der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verpflichtet, einer „Versetzungsanordnung“ des Arbeitgebers Folge zu leisten. Werden hingegen die Grenzen des Arbeitsvertrags überschritten, kann die Änderung des Tätigkeitsbereichs nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer erfolgen (RIS-Justiz RS0021472 [T8]).

Bei der Feststellung des als vereinbart anzusehenden Tätigkeitsbereichs ist nicht nur die tatsächliche Verwendung ausschlaggebend (RIS‑Justiz RS0029787 ua). Aus der bloßen Tatsache der längeren Verwendung des Arbeitnehmers an einem bestimmten Arbeitsplatz kann nämlich für sich allein noch nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass sich der auf diese Weise als vereinbart anzusehende Aufgabenkreis des Arbeitnehmers auf diese zuletzt ausgeübte Tätigkeit beschränkt habe (RIS‑Justiz RS0029509). Insbesondere bei unkündbaren (definitiven) Arbeitsverhältnissen legt die Rechtsprechung den Umfang der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers weiter aus.

Ob die Änderung des Tätigkeitsbereichs durch den Arbeitsvertrag gedeckt ist, ist daher im Wege der Vertragsauslegung zu beurteilen. Da es dabei immer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, begründet die Auslegung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0029509 [T8]).

4. Das Berufungsgericht ist bei seiner Beurteilung diesen Grundsätzen gefolgt. Dabei ist es vertretbar davon ausgegangen, dass durch den Abschluss eines neuen Dienstvertrags mit der Änderung der Verwendung der Klägerin 2006 (Wechsel in die Zentrale) eine gewisse Einengung der Art der vertraglich geschuldeten Tätigkeit auf die zu diesem Zeitpunkt tatsächlich verrichtete oder gleichwertige Tätigkeiten erfolgte. Dass eine unrichtige Einstufung dieser Tätigkeit erfolgte, bedeutet nur die unwirksame Vereinbarung einer unterkollektivvertraglichen Entlohnung der ausgeübten Tätigkeit und sagt für sich allein nichts darüber aus, welche Tätigkeit Vertragsinhalt sein sollte. Auch die Beklagte verweist in ihrer Revision (S 12/13) darauf, dass die Einstufung aufgrund der in Aussicht genommenen Tätigkeit erfolgte, was letztlich bedeutet, dass sie dieser entsprechen sollte, nicht dass durch die Einstufung die vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalte abgegrenzt werden.

Dass das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang der in den Vertrag aufgenommenen Bezugnahme auf das Datum, zu dem die Klägerin die neue Tätigkeit aufnahm, besonderes Gewicht zuerkannte, stellt entgegen den Ausführungen in der Revision keine Aktenwidrigkeit dar, sondern eine rechtliche Schlussfolgerung aus dem Urkundeninhalt.

Die sich daraus ergebende Festlegung des Arbeitsbereichs bedeutet nicht den Verlust des Direktionsrechts des Arbeitgebers, sondern die Beschränkung auf in ihrer Wertigkeit als vergleichbar anzusehende Tätigkeiten. Die der Klägerin ab 1. 12. 2012 zugewiesenen Arbeiten sind aber, was letztlich auch in der Revision nicht in Frage gestellt wird, weder von der Verantwortung, der Entscheidungsbefugnis und der Selbständigkeit noch von der Einstufung her als gleichwertig anzusehen. Darin unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem der Entscheidung 8 ObA 81/04a zugrundeliegenden, auf die sich die Revision beruft.

Insgesamt bestehen daher keine Bedenken gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die hier zu beurteilende Änderung der Arbeitsbedingungen eine vertragswidrige Versetzung darstellte. Auf die Einhaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen für die Wirksamkeit einer verschlechternden Versetzung kommt es daher nicht an.

5. Die Frage, ob eine Präklusion der Ansprüche durch Verfall eingetreten ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (8 ObA 8/15g; 9 ObA 103/16m). Unter der – eine Verfallsfrist wahrenden – Geltendmachung ist ein dem Erklärungsempfänger zumindest erkennbares ernstliches Fordern einer Leistung im Sinn einer wenigstens aus den Umständen zu erschließenden Willenserklärung zu verstehen (vgl RIS-Justiz RS0051576), wobei es auf das Verständnis ankommt, das ein redlicher Erklärungsempfänger aus der Erklärung gewinnen durfte (RIS‑Justiz RS0051576 [T2]). Der Arbeitgeber muss zumindest erkennen können, welche Ansprüche ihrer Art und Höhe nach gemeint sind (vgl RIS-Justiz RS0034441), wogegen eine ziffernmäßige Aufgliederung nicht erforderlich ist (vgl RIS-Justiz RS0034446). Soweit der Arbeitnehmer allerdings dabei auf einen bestimmten Rechtsgrund und eine umfänglich genau umschriebene Forderung abstellt, werden damit aber nicht allfällige weitere Ansprüche aus demselben Rechtsgrund geltend gemacht (RIS-Justiz RS0034441).

Die kollektivvertraglichen Verfallsfristen verfolgen den Zweck, dem Arbeitgeber möglichst rasch Klarheit darüber zu verschaffen, welche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach Auffassung des Arbeitnehmers bestehen (RIS-Justiz RS0064548). Es soll somit verhindert werden, dass der Arbeitgeber über zu liquidierende Ansprüche im Unklaren gelassen wird und dadurch in Beweisschwierigkeiten gerät (RIS-Justiz RS0034417). Auch durch die Geltendmachung von Ansprüchen schon vor deren (hier im Kollektivvertrag geregelten) Fälligkeit wird aber dieser Zielsetzung entsprochen (8 ObA 29/12s; 9 ObA 100/14t).

Wenn das Berufungsgericht aufgrund des Schreibens vom 15. 2. 2012 und des Schriftsatzes vom 17. 5. 2012 davon ausgeht, dass die Klägerin mit der Forderung einer Einstufung zumindest in die Verwendungsgruppe 6 des anzuwendenden Kollektivvertrags für einen objektiven Erklärungsempfänger erkennbar auch die Gehaltsdifferenz, die sich darauf ergibt, nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft geltend gemacht hat, ist das nicht korrekturbedürftig. Gerade bei Forderungen aus einer behaupteten falschen Einstufung für die ausgeübte Tätigkeit kann der Arbeitgeber in der Regel nicht davon ausgehen, dass diese sich nur auf zurückliegende Perioden beschränken und der Arbeitnehmer für die Zukunft bereit ist, die geringere Einstufung zu akzeptieren.

6. Die außerordentliche Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte