OGH 9ObA18/14h

OGH9ObA18/14h26.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** F*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Friedrich Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Engelbrecht und Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2013, GZ 12 Ra 88/13t‑43, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, da diese Beurteilung regelmäßig nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls erfolgen kann (RIS‑Justiz RS0106298 mzwN).

Eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende massive Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht vermag die Revision nicht darzustellen.

Fasst man die wesentlichen Feststellungen zusammen, so wurde der Kläger, ein begünstigter Behinderter iSd BEinstG, vom beklagten Reinigungsunternehmen nach Beschwerden eines Großkunden über den Kläger als Servicemanager für den Bereich der Hotels eingesetzt. Nachdem wegen des Agierens des Klägers sich innerhalb kürzester Zeit das Betriebsergebnis dieses Bereichs massiv verschlechterte, wurde dem Kläger ein Gebiet mit etwa 60 Kunden und 40 eingesetzten Reinigungskräften übertragen. Der Kläger machte von Anfang an keinen Hehl daraus, dass er diese Tätigkeit nicht wahrnehmen wollte. Die Kundenbeschwerden in seinem Bereich häuften sich massiv, er nahm jedoch seine Verantwortung als Manager nicht wahr, sondern schrieb täglich E‑Mails an die Vorgesetzte. Nach der ausdrücklichen Feststellung war der Kläger nicht willens oder nicht in der Lage, den Anforderungen dieses Betreuungsgebiets nachzukommen. Etwa zwei Monate vor der hier maßgeblichen Entlassung bestellte der Kläger Reinigungsmaterial im Wert von 8.800 EUR, obwohl durchschnittlich der Materialwert monatlich nur 717 EUR beträgt. Die Materiallager bei den Kunden quollen förmlich über. Ebenfalls im März 2012 äußerte der Kläger im Zusammenhang mit einem dort durchzuführenden „Qualitätsaudit“, dass der Kunde ohnehin „etwas Schlechteres hergeben“ könne. Schlechte Bewertungen wirken sich aber negativ bei Neuausschreibungen aus. Ende März 2012 unterließ es der Kläger dann entgegen seiner Verantwortung, eine Abmeldung einer Reinigungskraft zu veranlassen. Am 25. April 2012 unterließ es der Kläger, sich rechtzeitig darum zu kümmern, dass ein anfragender potentieller Großkunde, an dessen Gewinnung die Beklagte interessiert gewesen wäre, eine Vertretungskraft für die Reinigung bekommt. Bei einer anderen Kundenanfrage teilte der Kläger dem Kunden mit, dass keine Reinigungskraft verfügbar wäre, obwohl eine Betreuung möglich gewesen wäre. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass der Kläger in den zwei Monaten vor seiner Entlassung Anfang Mai 2012 die ihm übertragenen Gebiete nicht ordentlich betreute und nicht einmal die Hälfte der Kunden besuchte, obwohl ihm dies zeitlich ohne weiteres möglich gewesen wäre, die Reinigungsleistungen unzureichend kontrollierte und sich das Betriebsergebnis wie bei dem davor vom Kläger betreuten Hotelbereich massiv verschlechterte.

Der vom Berufungsgericht bejahte Entlassungstatbestand der Vertrauenswürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG liegt dann vor, wenn die Handlungen oder Unterlassungen des Angestellten mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers nicht würdig erscheinen lassen, weil der Arbeitgeber befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitnehmers gefährdet sind (RIS‑Justiz RS0029547). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RIS‑Justiz RS0029323 mwN). Es geht also um die berechtigte Befürchtung des Arbeitgebers, dass seine Interessen durch den Angestellten gefährdet werden (RIS‑Justiz RS0029833 mzwN), wobei gerade an Angestellte in leitender Stellung strengere Anforderungen gestellt werden und auch fahrlässiges Verhalten ausreicht (RIS‑Justiz RS0029652 mzwN).

Diese Grundsätze wurden vom Berufungsgericht zugrunde gelegt. Wenn das Berufungsgericht im vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, dass bei objektiver Betrachtungsweise die Beklagte damit rechnen musste, dass der in vielen Bereichen selbständig als leitender Angestellter (Personalaufnahme, Kündigung, Personaleinteilung, Kundenbetreuung) agierende Kläger ihre Interessen nicht entsprechend wahrnimmt, so kann darin jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung gesehen werden.

Soweit sich der Kläger darauf stützt, dass es doch einer gewissen Mindestintensität des Anlassfalls bedürfe, beziehen sich die von ihm herangezogenen Entscheidungen (8 ObA 61/08s; 8 ObA 37/11s; 9 ObA 78/12d und 8 ObA 64/12p) darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung auch ein sich über einen längeren Zeitraum erstreckendes „Gesamtverhalten“ eine Entlassung wegen berechtigten Vertrauensverlust rechtfertigen kann (RIS‑Justiz RS0081395), jedoch auch der eigentliche Anlass eine gewisse Mindestintensität haben muss (RIS‑Justiz RS0029600). Dies ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass unabhängig von der Kenntnis des Arbeitgebers länger zurückliegende Vorfälle ihre Bedeutung als Entlassungsgrund verlieren (RIS‑Justiz RS0029020). Die hier festgestellten konkreten Verhaltensweisen ‑ Verstöße gegen die Interessen der Beklagten durch ein die Kunden abschreckendes Verhalten ‑ haben sich in den letzten Wochen vor der Entlassung verwirklicht. Ein Einwand der Verfristung wurde insoweit in erster Instanz nicht konkret erhoben.

Der Hinweis des Klägers auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 21. 2. 2013 zu 9 ObA 127/12k wonach im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzes des § 8 BEinstG der Kündigungsgrund der dauernden Dienstunfähigkeit nur mehr in Ausnahmefällen als Entlassungsgrund herangezogen werden kann, ist für den hier vorliegenden Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit ohne Relevanz. Entspricht es doch im Übrigen der ständigen Rechtsprechung, dass die Berechtigung der Entlassung auch bei Behinderten nach den allgemeinen Bestimmungen des Entlassungsrechts zu beurteilen ist (RIS‑Justiz RS0108889).

Wenn sich die Revision letztlich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung von Aussagen sowie Urkunden eigene Feststellungen zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme eines der Entlassungsgründe durch die Arbeitgeberin getroffen habe, so ist dies ohne Relevanz, da sich das Berufungsgericht primär ‑ und insoweit vom Kläger gar nicht bekämpft ‑ darauf gestützt hat, dass der Kläger eine Verfristung nicht konkret eingewendet habe (vgl dazu auch RIS‑Justiz RS0029249 mzwN). Dass der Arbeitgeber auch nach Ausspruch der Entlassung sich davor ereignete Gründe als Entlassungsgründe „nachschieben“ darf, entspricht der ständigen Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0029131 mwN).

Insgesamt vermag die Revision jedenfalls keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.

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