European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2004:009OBA00143.03Z.0317.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionsgegnerin hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass sich der Oberste Gerichtshof bisher mit der Frage der sexuellen Belästigung als Kündigungsgrund iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG sowie der sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers in diesem Zusammenhang noch nicht auseinandergesetzt habe. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Zulassungsausspruch des Berufungsgerichtes nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Eine beim vorliegenden Fall zu lösende erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird vom Berufungsgericht nicht aufgezeigt. Der Fall kann anhand der von der Rechtsprechung zur Kündigungsanfechtung erarbeiteten Grundsätze gelöst werden; diese Rechtsprechung ist weder uneinheitlich, noch ist das Berufungsgericht davon abgewichen. Im Übrigen wird die Lösung in erster Linie von den besonderen Umständen des Einzelfalls bestimmt, denen keine darüber hinausgehende Bedeutung zukommt. Die Parteien zeigen ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf, zumal sie in ihren Rechtsmittelschriften auch gar nicht näher auf die Zulässigkeit der Revision eingehen. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):
In tatsächlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der 49‑jährige Slavisa S***** bei der Beklagten als Vorarbeiter im Reinigungsbereich tätig war. Hierin kamen fast ausschließlich Leiharbeitnehmerinnen zum Einsatz. S*****, dem faktisch Vorgesetztenstellung zukam, wurde von der Beklagten am 22. 7. 2002 wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen des Reinigungsbereiches gekündigt, nachdem den Verantwortlichen verschiedene seiner einschlägigen Äußerungen bekannt geworden waren. Davon seien folgende beispielsweise hervorgehoben:
- Man werde in Hinkunft im Keller "ein Puff aufmachen"; die Mitarbeiterinnen könnten sich zu ihrem kargen Lohn "etwas dazuverdienen".
- "Wer hat dich da von hinten ... ?" Diese unvollständige, aber unmissverständliche Frage richtete er an eine Mitarbeiterin, die wegen eines Bandscheibenvorfalls nur gebückt gehen konnte.
- "Du kannst kein Stier sein, weil ich bin der Stier und du bist die Kuh!" Mit dieser Belehrung bedachte er eine Mitarbeiterin, die gemeint hatte, sie sei im Sternzeichen "Stier".
- "Das ist keine Protektion. Protektion wäre es, wenn ich eine von euch ficken würde." Diese Antwort gab er auf die Frage einer Mitarbeiterin, ob es etwas mit Protektion zu tun habe, dass die anderen Mitarbeiterinnen von ihm einen größeren Kalender als sie geschenkt bekommen haben.
Das Berufungsgericht gelangte zur rechtlichen Beurteilung, dass der beklagten Arbeitgeberin auf Grund dieser mehrfachen beleidigenden und herabwürdigenden Äußerungen eine andere (mildere) Reaktion als die Kündigung (zB Versetzung) des S***** nicht zumutbar gewesen sei, verneinte deren Sozialwidrigkeit und wies die Kündigungsanfechtungsklage des Arbeiterbetriebsrates der Beklagten als unbegründet ab.
Nach § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG kann die Kündigung beim Gericht angefochten werden, wenn sie sozial ungerechtfertigt und der gekündigte Arbeitnehmer bereits sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, beschäftigt ist. Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, die wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, es sei denn, der Betriebsinhaber erbringt den Nachweis, dass die Kündigung durch Umstände, die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind und die betrieblichen Interessen nachteilig berühren, begründet ist. Diese Umstände müssen nicht so gravierend sein, dass sie die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen (9 ObA 262/90; 9 ObA 146/93 = DRdA 1994/29 [Eypeltauer]; 9 ObA 272/97h; 9 ObA 113/98b; 9 ObA 145/02t ua). Es reicht aus, dass sie die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen (RIS‑Justiz RS0051888 ua). Als ein derartiger personenbezogener Umstand kann auch die Unverträglichkeit gegenüber Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu werten sein, die die Leistungsfähigkeit oder die Ordnung des Betriebes gefährdet (9 ObA 146/93 = DRdA 1994/29 [Eypeltauer] ua).
Steht fest, dass einerseits durch die Kündigung wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtigt werden und andererseits in der Person des Arbeitnehmers liegende Umstände betriebliche Interessen nachteilig berühren, dann sind diese Voraussetzungen zueinander in eine Wechselbeziehung zu setzen und es ist eine Abwägung dieser sich gegenüberstehenden Interessen vorzunehmen, um den Zweck des Kündigungsschutzes, nämlich Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen, erfüllen zu können (Kuderna, DRdA 1975, 9 [14]; 9 ObA 105/93; 9 ObA 113/98b; RIS‑Justiz RS0051818 ua).
Sexuelle Belästigung beeinträchtigt die menschliche Würde. Die Erscheinungsformen sexueller Belästigung sind vielfältig. Es geht dabei nicht nur um den Schutz der körperlichen Integrität vor unerwünschten sexuellen Handlungen, sondern es ist auch die psychische Verletzbarkeit gemeint. Die Verletzung kann nämlich auch durch Äußerungen erfolgen, die geeignet sind, das Ansehen und die soziale Wertschätzung einer Person etwa durch Geringschätzung oder Verspottung herabzusetzen und auf diese Weise das Ehrgefühl zu verletzen (9 ObA 292/99b = DRdA 2001/15 [Smutny]).
Gemeinsam ist den gegenständlichen Äußerungen des Vorarbeiters S*****, dass er hierin den ihm unterstellten Mitarbeiterinnen des Reinigungsbereiches ein hohes Maß an Geringschätzung und Herabsetzung zum Ausdruck brachte. Die Äußerungen waren in objektiver Hinsicht geeignet, das Ehrgefühl der Adressatinnen grob zu verletzen; sie riefen diese Wirkung auch in subjektiver Hinsicht teilweise hervor. Bei sexueller Belästigung geht es in aller Regel nicht um sexuelle Befriedigung, sondern um sexuell gefärbte Machtausübung (Smutny/Mayr, GlBG 318 f). Das Muster, nach dem im vorliegenden Fall ein Mann gegenüber den ihm unterstellten Frauen immer wieder Macht und Überlegenheit demonstrierte, ist nicht neu; es entsprach genau jenem, das vom Obersten Gerichtshof auch in der Entscheidung 9 ObA 292/99b zu beurteilen war, worin der (männliche) Vorarbeiter zum sexuell belästigten (weiblichen) Lehrling meinte, dass (er schon wisse und entscheide, dass) sie "dies so brauche und dies so wolle". Dort wurde die Begründetheit der Entlassung des Vorarbeiters bejaht. Auch in 9 ObA 319/00b (= DRdA 2001/16 [Smutny]) kam der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass sexuelle Belästigung durch den mehrmaligen Gebrauch ordinärer Worte den Entlassungsgrund des § 82 lit g erster Tatbestand GewO 1859 verwirklichen kann (vgl auch Kuderna, Entlassungsrecht² 122, der darauf verweist, dass "unsittliche Reden" den Entlassungstatbestand des § 27 Z 6 AngG verwirklichen können).
Der Arbeitgeber ist auf Grund der ihn treffenden Fürsorgepflicht - im Fall der Arbeitnehmerüberlassung obliegt sie dem Beschäftiger für die Dauer der Beschäftigung im Betrieb des Beschäftigers (§ 6 Abs 3 AÜG; Geppert, AÜG § 6 Erl 1.2.2; DRdA 1993, 314 [Ritzberger‑Moser]) - gefordert, wenn derartige Vorkommnisse im Betrieb bekannt werden (§ 1157 ABGB; § 18 AngG). Nach heutiger Auffassung umfasst der Schutz der Fürsorgepflicht die Persönlichkeit des Arbeitnehmers; es geht nicht nur punktuell um die Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Sittlichkeit und Eigentum, sondern um die Persönlichkeitsrechte in ihren diversen Ausstrahlungen schlechthin (vgl §§ 16, 17 ABGB; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht10 331 f; Smutny/Hopf, DRdA 2003, 110 [114 f mwN]). Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass die geschlechtliche Selbstbestimmung, sexuelle Integrität und Intimsphäre der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und damit zusammenhängende immaterielle Interessen nicht gefährdet werden (9 ObA 292/99b = DRdA 2001/15 [Smutny] mwN ua). Die Beklagte war daher zum unverzüglichen Einschreiten verpflichtet, als die gegenständlichen Äußerungen hervorkamen, zum einen um die Betroffenen nicht der Gefahr weiterer Belästigung des Vorarbeiters S***** auszusetzen, zum anderen aber auch um sich nicht selbst dem Vorwurf auszusetzen, nicht wirksam für geeignete Abhilfe gesorgt zu haben (vgl § 2 Abs 1a Z 3 GlBG; Smutny/Mayr aaO 325 ff).
Letztlich kommt es hier auf das Vorliegen (auch) eines Entlassungsgrundes nicht an, denn die Beklagte reagierte auf das inkriminierte Verhalten nicht mit Entlassung, sondern lediglich mit einer Kündigung. Personenbezogene Gründe iSd § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, müssen nicht so gravierend sein wie Entlassungsgründe, sie müssen aber eine Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber doch in erheblichem Ausmaß als nachteilig erscheinen lassen (Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller, ArbVG² § 105 Erl 41). Ist dies der Fall, steht es dem Arbeitgeber frei, den Arbeitnehmer sofort zu kündigen (vgl 9 ObA 242/97x); einer Ermahnung bzw Verwarnung bedarf es diesfalls nicht (vgl Gahleitner aaO § 105 Erl 41; 9 ObA 125/95; 8 ObA 161/98y ua). Die soziale Gestaltungspflicht des Arbeitgebers stößt an ihre Grenzen, wenn Gründe vorliegen, die die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen.
Das Berufungsgericht bejahte bei der vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen Interessen der Parteien des Arbeitsvertrages die Frage, ob die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers im vorliegenden Fall bereits so erheblich berührt wurden, dass sie die (wesentlichen) Interessen des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses überstiegen. Es stützte sich dabei auf die vorstehend dargelegten Grundsätze der Rechtsprechung und des Schrifttums. Dass im vorliegenden Fall - neben der primär verletzten Würde der betroffenen Mitarbeiterinnen, die die ordinären Reden ihres Vorarbeiters über Monate ertragen mussten - die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers erheblich berührt wurden, steht außer Zweifel. Ob die Abwägung mit den Interessen eines Arbeitnehmers fortgeschrittenen Alters mit langer Betriebszugehörigkeit die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen, ist eine Frage, die von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig ist (9 ObA 310/93 ua). Das Berufungsgericht hat diese Frage nach sorgfältiger Abwägung aller relevanter Aspekte im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessensspielraums bejaht. Da sich die Rechtsansicht der zweiten Instanz dabei im Rahmen der aufgezeigten Grundsätze der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hielt, hat die Sicht des Revisionswerbers, dass auch eine andere Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage vertretbar wäre, mangels Vorliegens einer gravierenden Fehlbeurteilung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und bildet demnach auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl 4 Ob 271/97z; 6 Ob 244/01b; RIS‑Justiz RS0107768, RS0110837, RS0112106, RS0116755 ua). Die Revision des Klägers war daher als unzulässig zurückzuweisen.
Kosten der Revisionsbeantwortung waren nicht zuzusprechen, weil die Revisionsgegnerin auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen hat. Ihre Revisionsbeantwortung konnte demnach nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig angesehen werden (RIS‑Justiz RS0035962).
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