OGH 9ObA105/93

OGH9ObA105/939.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely und Helmut Prenner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Klägers Otto G*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die Beklagte T***** AG, ***** vertreten durch Dr.Franz Wallentin, Rechtsanwalt in Zell am Ziller, wegen Anfechtung einer Kündigung (Streitwert S 400.000), infolge Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.Februar 1993, GZ 5 Ra 17/93-22, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 5.November 1992, GZ 47 Cga 5/92-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 15.658,20 (darin S 2.609,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Kündigung sozial ungerechtfertigt war, zutreffend bejaht, so daß es insofern ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin folgendes entgegenzuhalten:

Der Betriebsrat erhob gegen die Kündigung mit dem Einspruchsschreiben vom 16.Dezember 1991 Widerspruch, das bei der Beklagten am 18. Dezember 1991 einlangte. Der Postenlauf ist zwar gemäß § 169 ArbVG, § 33 AVG nicht in die Frist des § 105 Abs 1 ArbVG einzurechnen (Floretta in ArbVG HdKomm 668; ZAS 1990/20 [bezüglich der Frist des § 105 Abs 4 ArbVG mit Kritik von Andexlinger]), jedoch ist eine Postaufgabe am 16.Dezember 1991 nicht nachgewiesen. Ein Beweis für die Einhaltung der Frist des § 105 Abs 1 ArbVG in der Dauer von fünf Arbeitstagen zur Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung fehlt damit. Es macht dabei keinen Unterschied, ob man mit dem Berufungsgericht von einer Übergabe dieses Schreibens an die Beklagte am 18.Dezember 1991 oder vom handschriftlichen Eingangsvermerk der Beklagten auf Beilage 4 (18.Dezember 1991) ausgeht.

Im Fall des rechtzeitigen Widerspruches des Betriebsrates gegen die Kündigungsabsicht hat der Arbeitnehmer nur ein subsidiäres Anfechtungsrecht (§ 105 Abs 4 ArbVG; Cerny ArbVG8, 469; Floretta aaO 672). Gibt jedoch der Betriebsrat keine rechtzeitige Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung ab, so kann der Arbeitnehmer gemäß § 105 Abs 4 ArbVG innerhalb einer Woche nach Zugang der Kündigung diese beim Gericht selbst anfechten. Eine mangelhafte oder verspätete Stellungnahme des Betriebsrates ist rechtsunwirksam, so als ob keine Stellungnahme abgegeben worden ist (Floretta aaO 668). Der Kläger hat sein Anfechtungsrecht nach Zustellung der Kündigung am 3.Jänner 1992 mit der am 10.Jänner 1992 zur Post gegebenen Klage fristgerecht ausgeübt.

Die Revisionswerberin läßt die zutreffende Annahme der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen des Klägers durch die Kündigung (Floretta in WBl 1991, 14; Arb 10.874) unbekämpft, wendet sich aber gegen die Interessenabwägung durch das Berufungsgericht, das trotz Bejahung einer nachteiligen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen durch die Äußerungen des Klägers den Verstoß des Klägers als nicht so gravierend ansah, daß er die Kündigung als gerecht erscheinen lasse.

Steht fest, daß durch die Kündigung wesentliche Interessen des gekündigten Arbeitnehmers beeinträchtigt sind und andererseits in der Person des Arbeitnehmers liegende Umstände betriebliche Interessen nachteilig berühren, dann sind diese Voraussetzungen zueinander in eine Wechselbeziehung zu setzen und eine Abwägung dieser sich gegenüberstehenden Interessen vorzunehmen, um den Zweck des Kündigungsschutzes, nämlich Schutz vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen erfüllen zu können (Floretta in ArbVG HdKomm 637; Kuderna, Die sozial ungerechtfertigte Kündigung nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG, DRdA 1975, 9 ff [14]; Köck, Der "neue" allgemeine Kündigungsschutz, ecolex 1990, 42 [44]; Arb 10.771, 10.874; ZAS 1992/19). Die Kündigung muß bei Gegenüberstellung der Interessen im Einzelfall objektiv als gerechte dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen (Kuderna aaO 14; SZ 63/198 = JBl 1991, 259).

Alle dem Kläger zur Last liegenden, die Beklagte herabsetzenden Äußerungen stehen mit einem Bauprojekt der Beklagten und dessen Auswirkungen auf den Kläger als Anrainer (nicht aber als Dienstnehmer) im Zusammenhang. Erst durch die Doppelstellung des Klägers auch als Dienstnehmer der Beklagten wird ein Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis des Klägers hergestellt.

Die Treuepflicht des Arbeitnehmers ist eine Verhaltenspflicht, die ausschließlich dienstliche Belange betrifft (Martinek-M.Schwarz-W.Schwarz7, AngG7, 602). Der Arbeitnehmer hat die Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag so zu erfüllen, seine Rechte so auszulegen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer im Betrieb nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch7, 323). Die Treuepflicht schränkt die Freiheit des Arbeitnehmers, seine Meinung zu äußern, soweit ein, als er den Zwecken und Interessen des Betriebes nicht zuwiderhandeln darf. Auch dabei müssen aber die sich gegenüberstehenden Interessen des Arbeitnehmers und des Betriebes abgewogen werden (Schaub aaO 327).

Für die Äußerung vom 23.August 1989, "......die Beklagte sei wie die

Kommunisten in Rußland vorgegangen...." erhielt der Kläger einen

Verweis unter Androhung der Beendigung des Dienstverhältnisses im

Wiederholungsfall; für die zweite Äußerung (6.Juli 1990), "....ob nun

die Perestrojka komme.... er sei einer Gehirnwäsche unterzogen

worden......" entschuldigte sich der Kläger, weil ihm die Kündigung

angedroht worden war, auftragsgemäß. Diese zurückliegenden Verhaltensweisen des Klägers können infolge Verzichtes der Beklagten zur Rechtfertigung der Kündigung nicht herangezogen werden, sind aber bei der Würdigung des Gesamtverhaltens des Klägers zu berücksichtigen (Kuderna aaO 13).

Die weitere herabsetzende Äußerung des Klägers vom 29.November 1991 "....er würde von Seiten der Beklagten wie ein Schwerverbrecher behandelt...." berührt die betrieblichen Interessen der Beklagten nachteilig, weil dadurch eine Beeinträchtigung des Betriebsfriedens behauptet wurde, die das Ansehen der Beklagten in der Allgemeinheit herabgesetzt hat. Entscheidend ist jedoch, daß die Unbeherrschtheit und Uneinsichtigkeit des Klägers nicht durch seine dienstliche Tätigkeit veranlaßt wurde und keine Auswirkungen auf die Arbeitsleistung des Klägers hatte. Die Ursache der ausfälligen Bemerkungen des Klägers liegt ausschließlich in seinen gestörten Beziehungen zur Beklagten als Anrainer eines ihrer Bauprojekte. Die zur Kündigung führende Äußerung fiel nicht im Zusammenhang mit seiner Dienstleistung sondern bei einer - allerdings öffentlichen - Gemeinderatssitzung. Den Äußerungen des Klägers, die er in vermeintlich berechtigter Wahrung von Privatinteressen als Anrainer abgab, beruhen zwar auf einer völlig unsachlichen, subjektiven und mißverstandenen Wertung des Verhaltens der Beklagten und gehen damit über keine adäquate Reaktion hinaus. Dennoch ist die Äußerung des Klägers einer offensichtlich grundlosen Beleidigung nicht gleichzuhalten, hat doch die Beklagte die schonende, die Anrainer wenig belästigende Durchführung des Bauvorhabens versprochen, aber diese Zusage nicht erfüllt. Mit der Fertigstellung der den Kläger als Anrainer berührenden Baustelle und der Beendigung des zwischen den Streitteilen anhängigen Prozesses wegen der Schäden am Haus des Klägers wird jeder Anlaß für die ausschließlich im Nachbarschaftsverhältnis zu einer Baustelle der Beklagten begründeten unsachlichen und herabsetzenden Äußerungen wegfallen; unter Berücksichtigung aller dieser Umstände ist der Beklagten die Weiterverwendung des Klägers trotz seines Verhaltens zumutbar. Die Kündigung kann daher im Hinblick auf die gewichtige Verletzung sozialer Interessen des Klägers durch die Kündigung nicht als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme angesehen werden; die Beeinträchtigung der Interessen des Klägers durch die Kündigung überwiegt trotz des Verstoßes des Klägers die Nachteile, die der Beklagten durch die Weiterbeschäftigung des Klägers entstehen.

Der Verfassungsgerichtshof hat ausgesprochen, daß die Regelung des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht unsachlich ist und daher auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Kündigungsanfechtung in Betrieben, in denen Betriebsräte errichtet sind und in solchen, in denen sie nicht bestehen und das Fehlen von Kündigungsschutz in Betrieben, in denen Betriebsräte nicht zu errichten sind, seien aus Unterschieden im Tatsächlichen sachlich begründet (DRdA 1985/14 [zust. Floretta]). Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher nicht veranlaßt, aus den vom Revisionswerber dargelegten, vom Verfassungsgerichtshof nicht als stichhältig angesehenen Gründen die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 105 Abs 3 Z 2a ArbVG zu beantragen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 58 Abs 1 ASGG und §§ 41, 50 ZPO.

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