OGH 9ObA120/22w

OGH9ObA120/22w19.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende,den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Kornsowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina Michor (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch AHP Rechtsanwälte OG in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Moser Mutz, Rechtsanwälte GesbR in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Einwilligung in die Auflösung eines Dienstverhältnisses, in eventu Feststellung (Streitwert 94.891,52 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. September 2022, GZ 7 Ra 23/22i‑24, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00120.22W.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte und deren Betriebsrat schlossen am 29. 10. 2020 für den aus wirtschaftlichen Gründen notwendigen Personalabbau einen Sozialplan zur Abfederung sozialer Härten für die betroffenen Mitarbeiter ab. In den persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans fielen zunächst alle voll‑ und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, die zum 1. 11. 2020 in einem aufrechten, vom Arbeitnehmer nicht gekündigten Arbeitsverhältnis zur Arbeitgeberin standen und deren Arbeitsverhältnis auf Initiative der Arbeitgeberin rechtswirksam einvernehmlich während der Geltungsdauer dieser Betriebsvereinbarung beendet wurde.

[2] Da bereits im Vorfeld mehrere Arbeitnehmer über Ersuchen der Arbeitgeberin freiwillig auf einen Teil ihres Gehalts/Lohns verzichtet hatten, wurden über Initiative des Betriebsrats auch diese Arbeitnehmer mit folgender Regelung in den Geltungsbereich des Sozialplans einbezogen:

„1.3. Änderung des Arbeitsvertrags ab 1. 9. 2020 Mitarbeitern, bei denen sich ab 1. 9. 2020 das Entgelt aufgrund einer einvernehmlichen Änderung des Arbeitsvertrags reduziert hat, steht es binnen offener Frist bis 30. 11. 2020 frei, eine einvernehmliche Auflösung ihres Arbeitsvertrags/Dienstvertrags im Rahmen des gegenständlichen Sozialplans zu verlangen.“

[3] Die bei der Beklagten seit 13. 11. 1989 beschäftigte (und überkollektivvertraglich entlohnte) Klägerin hatte, wie etwa 40 weitere Arbeitnehmerinnen, bereits am 8. 10. 2020 mit der Beklagten eine Zusatzvereinbarung abgeschlossen, wonach die Kollektivvertragserhöhungen der nächsten zwei Jahre (2020 und 2021) mit den Überzahlungen gegenverrechnet werden und das Jahresbruttogehalt für die nächsten zwei Jahre eingefroren wird. Das spätere Angebot der Beklagten, diese Vereinbarung aufzuheben, nahm die Klägerin nicht an.

[4] Im gegenständlichen Verfahren vertritt die Klägerin den Standpunkt, dass sie ebenfalls in den Geltungsbereich des Sozialplans falle, weil sich auch ihr Entgelt aufgrund ihrer Verzichtserklärung vom 8. 10. 2020 ab 1. 9. 2020 reduziert habe.

[5] Die Vorinstanzen teilten diese Ansicht nicht und wiesen sowohl das Klagehauptbegehren, gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten, in die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses einzuwilligen, als auch das Eventualbegehren auf Feststellung, dass die Klägerin gemäß Punkt 1.3. des Sozialplans vom 29. 10. 2020 vom Anwendungsbereich desselben umfasst sei und somit Anspruch auf einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß den Bestimmungen des Sozialplans habe, ab. Das Berufungsgericht ließ dabei die Frage, ob vom Geltungsbereich des Sozialplans auch Mitarbeiter umfasst seien, bei denen – wie bei der Klägerin – sich nicht bereits beginnend mit 1. 9. 2020 das Entgelt aufgrund einer einvernehmlichen Änderung des Arbeitsvertrags reduziert habe, offen. Jedenfalls sei es bei der Klägerin zu keiner Reduktion, also nach dem Wortsinn zu keiner Kürzung bzw Verminderung des Entgelts gekommen, sondern die Klägerin habe (lediglich) auf die kollektivvertragliche Erhöhung verzichtet. Der Wert des Entgelts bzw dessen Kaufkraft reduziere sich nicht aufgrund einer einvernehmlichen Änderung des Arbeitsvertrags, sondern inflationsbedingt. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zugelassen.

[6] In ihrer außerordentlichen Revision meint die Klägerin zum einen, dass das Berufungsgericht von der Entscheidung 8 ObA 173/98v abgewichen sei, weil es die Rechtsansicht vertrete, dass eine „Aufsaugungsklausel“ keine Entgeltreduktion bedeute. Zum anderen habe das Berufungsgericht bei der Auslegung des Sozialplans die ständige Rechtsprechung unberücksichtigt gelassen, wonach bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen anzustreben sei, dass keine nicht erklärbaren Ungleichbehandlungen zwischen Normadressaten aufträten.

Rechtliche Beurteilung

[7] Damit gelingt es der außerordentlichen Revision aber nicht, eine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzuzeigen.

1. Zutreffend ist, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 ObA 173/98v eine einzelvertragliche „Aufsaugungsklausel“ unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erachtet hat. Auch wenn die Revision unter Bezugnahme auf Literaturstimmen festhält, dass eine solche Vereinbarung einen Verzicht des Arbeitnehmers auf einen abdingbaren Anspruch darstelle, stützt sich die Revision nicht auf eine Unzulässigkeit der gegenständlichen Zusatzvereinbarung, würde der Klägerin doch ein Wegfall dieser Vereinbarung in keinem Fall zum Durchbruch ihrer Begehren verhelfen. Offensichtlich hat die Klägerin auch aus diesem Grund die von der Beklagten angebotene Rücknahme der Zusatzvereinbarung abgelehnt.

[8] Richtig ist auch, dass sich in dieser Entscheidung die Aussage, mit einer „Aufsaugungsklausel“ gehe eine Entgeltreduktion einher, nicht findet. Dies aber nicht, weil dies so evident sei, dass dies keiner gesonderten Erwähnung bedurft hätte, sondern weil es der Oberste Gerichtshof im konkreten Fall für zulässig ansah, dass der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer bei Arbeitsvertragsabschluss ein überkollektivvertragliches Gehalt unter Anrechnung auf künftige kollektivvertragliche Gehaltserhöhungen vereinbarte. Dabei handle es sich – so der Oberste Gerichtshof – niemals um einen Verzicht auf die künftigen Rechte des Arbeitnehmers, sondern immer um die Ausweitung seiner Rechte gegenüber dem ihm zu gewährenden Mindestlohn, zumindest durch zeitliche Vorverlagerung einer Gehaltserhöhung.

[9] 2.1. Der normative Teil von (hier: Sozialplan‑) Betriebsvereinbarungen ist – wie jener von Kollektivverträgen – nach den für die Interpretation von Gesetzen geltenden Regeln (§§ 6, 7 ABGB) auszulegen (RS0050963 [T2, T4]). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088 [T30]). In erster Linie ist bei der Auslegung einer Betriebsvereinbarung daher der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text der Betriebsvereinbarung ergebende Absicht der Betriebsparteien zu berücksichtigen (RS0008782, RS0010089 ua). Bei der Auslegung muss zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass die Parteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RS0008897, RS0008828).

[10] 2.2. Zahlreiche Ansprüche, die Sozialpläne gewähren, verfolgen das Ziel, den Arbeitnehmern bisher zugestandene Rechtspositionen solange wie möglich zu erhalten bzw deren Verlust auszugleichen (RS0107237). Der typische Zweck eines Sozialplans, die sich aus einer betrieblichen Änderung für alle oder einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerschaft ergebenden wesentlichen Nachteile zu verhindern, zu beseitigen oder zu mildern, ist bei der Auslegung des Sozialplans ebenfalls zu berücksichtigen (RS0010088 [T19]).

[11] 2.3. Die angefochtene Entscheidung bewegt sich im Rahmen dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Auslegung eines Sozialplans. Es mag zutreffen, dass es in bestimmten Fällen für das wirtschaftliche Ergebnis am Ende keinen Unterschied macht, ob das Gehalt durch die kollektivvertragliche Valorisierung erhöht und dann um den Erhöhungsbetrag reduziert wird (oder umgekehrt) oder der Arbeitnehmer bereits im Vorhinein auf die Anpassung des Gehalts verzichtet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die im Sozialplan erfolgte Differenzierung zwischen Mitarbeitern, die gekündigt worden seien oder unter dem Eindruck einer drohenden Kündigung (Versetzung) Entgeltreduktionen akzeptiert hätten, und jenen, die angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens und ihrer überkollektivvertraglichen Entlohnung (lediglich) auf zwei Lohnerhöhungen gemäß Kollektivvertrag verzichtet hätten, widerspräche nicht den zu vermutenden Gleichbehandlungs‑ und Ausgleichsbestrebungen der Vertragsparteien, ist nicht unvertretbar. Dass daher die Betriebsvereinbarungsparteien mit Punkt 1.3. des Sozialplans beabsichtigt hätten, auch jene Arbeitnehmer, die auf die Kollektivvertragserhöhungen für die kommenden zwei Jahre verzichteten, in den Geltungsbereich des Sozialplans einzubeziehen, weil auch diese Gruppe von Arbeitnehmern durch den beabsichtigten Personalabbau wesentliche Nachteile erleiden würde, lässt sich dem Text des Sozialplans nicht entnehmen.

[12] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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