OGH 9Ob25/14p

OGH9Ob25/14p27.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj G***** A*****, geboren am ***** 2008, *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger (*****), wegen „Rückführung in den Haushalt der Mutter“, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter J***** A*****, vertreten durch Dr. Markus Tesar, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 14. Februar 2014, GZ 16 R 417/13g‑48, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Baden vom 20. Oktober 2013, GZ 2 Ps 98/13w‑45, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0090OB00025.14P.0527.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Am 4. 4. 2013 wurde der mj G***** vom Kinder‑ und Jugendhilfeträger im Sinne einer vorläufigen Maßnahme nach § 211 Abs 1 ABGB im Landeskinderheim ***** fremduntergebracht.

Mit (rechtskräftigem) Beschluss des Erstgerichts vom 6. 5. 2013 wurde der Mutter die Obsorge über ihren mj Sohn entzogen und dem Kinder- und Jugendhilfeträger über dessen Antrag vorläufig übertragen. Bei einem Weiterverbleib des Kindes in der Pflege und Erziehung der Mutter sei das Kindeswohl gefährdet. Dem von der Mutter dagegen erhobenen Rekurs wurde mit Beschluss des Rekursgerichts vom 5. 7. 2013 nicht Folge gegeben.

Die von der Mutter am 13. 5. 2013, 17. 7. 2013 und 23. 9. 2013 im Wesentlichen (sinngemäß) gleichlautenden Anträge auf umgehende Rückführung ihres Sohnes in ihre Pflege und Erziehung wurden von den Vorinstanzen abgewiesen. Die Fremdunterbringung des Kindes sei derzeit nach wie vor notwendig, weil eine Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter das Kindeswohl akut gefährde. Erst nach Vorliegen weiterer Erhebungsergebnisse und Abklärung sämtlicher entscheidungswesentlicher Faktoren könne eine endgültige Obsorgeentscheidung getroffen werden.

Rechtliche Beurteilung

In ihrem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Mutter keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf:

Musste eine Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten bereits stattfinden, muss ‑ wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (9 Ob 28/04i; 5 Ob 103/10y; RIS‑Justiz RS0048731; RS0109080; RS0009676) ‑ bei einem Antrag auf Rückführung des Kindes in Pflege und Erziehung der leiblichen Mutter mit großer Wahrscheinlichkeit klargestellt sein, dass nunmehr die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung durch den antragstellenden Elternteil, dem schon einmal die Obsorge wegen Gefährdung des Kindeswohls entzogen werden musste, gewährleistet ist und keine Gefahr für das Wohl des Kindes mehr besteht. Dabei ist nicht nur von der aktuellen Situation auszugehen, sondern auch eine Zukunftsprognose anzustellen; ein Obsorgewechsel hat zu unterbleiben, wenn keine sichere Prognose über dessen Einfluss auf das Kind vorliegen (RIS‑Justiz RS0048632 [T2, T3 und T6]).

Die ausführlich begründeten und sämtliche Beweisergebnisse berücksichtigenden übereinstimmenden Entscheidungen der Vorinstanzen tragen diesen Grundsätzen Rechnung. Mit den dagegen von der Mutter im außerordentlichen Revisionsrekurs vorgetragenen Argumenten, das Erstgericht hätte vor der Entscheidung ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen, ein von der zuständigen Sachbearbeiterin des KJHT im Juni 2013 verfasstes Zwischenprotokoll, eine im Jänner 2013 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ***** von ihr und ihrem Sohn angefertigte Videoaufzeichnung beischaffen und die Leiterin des Landeskinderheims ***** einvernehmen müssen, macht sie vom Rekursgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz geltend, die jedoch keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS‑Justiz RS0050037; RS0030748). Gründe des Kindeswohls, die eine Einschränkung des vorstehenden Grundsatzes erfordern würden (RIS‑Justiz RS0050037 [T5, T8]; zuletzt etwa 4 Ob 81/13k; 8 Ob 36/13z), liegen nicht vor.

Ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft im Regelfall keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf (RIS‑Justiz RS0007009 [T4]; RS0115719). Gründe dafür, dass die Vorinstanzen in ihren Entscheidungen nicht ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen hätten (vgl RIS‑Justiz RS0007101 [T2, T3]), vermag die Mutter in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht darzulegen. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zeigt die Mutter auch mit ihrem Verweis auf die Entscheidung 4 Ob 165/13p, der ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt, nicht auf.

Die von der Mutter im Rekursverfahren ‑ als Neuerung iSd § 49 Abs 1 und 2 AußStrG ‑ vorgelegte ärztliche Stellungnahme vom 4. 11. 2013 meint, dass die derzeit bei ihr noch bestehenden Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung aus psychotherapeutischer Sicht ihre Erziehungskompetenz nicht einschränken. Daraus kann aber mit der für eine sofortige Rückübertragung der Obsorge notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit noch nicht ‑ und im Gegensatz zu anderen von den Vorinstanzen zur Beurteilung herangezogenen Verfahrensergebnissen ‑ gesagt werden, dass die Erziehungsfähigkeit der Mutter derzeit nicht aus anderen Gründen (noch) derart eingeschränkt sei, dass eine Rückübertragung der Obsorge dem Kindeswohl entspreche. Wie das Rekursgericht ua ausgeführt hat, ist die Mutter derzeit nicht in der Lage, ihre eigenen Anteile im Zusammenhang mit den unstrittigen Verhaltensauffälligkeiten ihres Sohnes zu erkennen.

Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist (RIS‑Justiz RS0007236), kann auf die weiteren Argumente der Mutter, die Vorinstanzen hätten wesentliche Beweisergebnisse, etwa die Stellungnahme des KJWT vom 14. 6. 2011, nicht beachtet, Akteninhalte, ua das im Obsorgeverfahren betreffend ihre mj Tochter Sarah eingeholte Sachverständigengutachten, einseitig gewürdigt und unrichtige Feststellungen zu ihren Besuchskontakten mit ihrem mj Sohn und über ihre reaktive Bindungsstörung zu ihrem Sohn getroffen, nicht eingegangen werden. Die Mutter hatte im erstinstanzlichen Verfahren auch ausreichend Gelegenheit, zu sämtlichen Beweisergebnissen Stellung zu nehmen.

Da der außerordentliche Revisionsrekurs danach insgesamt keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt, ist er zurückzuweisen.

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