OGH 8Ob124/22a

OGH8Ob124/22a21.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei G* GmbH, *, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagten Parteien 1. K*, 2. M* und 3. M*, alle vertreten durch Dr. Ulrich Gstrein, Rechtsanwalt in Imst, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. Juli 2022, GZ 4 R 23/22v‑78, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Imst vom 30. November 2021, GZ 7 C 619/18m‑67, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00124.22A.1121.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 433,74 EUR (darin 72,29 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagten sind jedenfalls seit dem Jahr 2002 Mieter einer Wohnung im Haus der Klägerin. Anlässlich eines Brandes kam es zu einer feuerpolizeilichen Nachschau, bei der schwerwiegende Brandschutzmängel festgestellt wurden, sodass die Behörde ein Benützungsverbot aussprach. Dennoch weigerten sich die Beklagten, die Wohnung zu verlassen. Es stellte sich dann heraus, dass sich die baurechtliche Benützungsbewilligung aus dem Jahr 1998 auf die Verwendung als Betriebs- und Personalwohnungen beschränkt, weil die zwischen stark frequentierten Bundesstraßen gelegene Liegenschaft im Flächenwidmungsplan der Gemeinde aus dem Jahr 2000 als Gewerbegebiet ausgewiesen ist.

[2] Die Vorinstanzen haben dem Räumungsbegehren der Klägerin stattgegeben. Da eine Änderung des Flächenwidmungsplans im vorliegenden Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, liege eine rechtliche Unmöglichkeit vor, die nach § 878 ABGB zur Unwirksamkeit des Mietvertrags führe.

[3] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Soweit sich die Beklagten darüber beschweren, dass das Erstgericht keinen Sachverständigen bestellt und den Ausgang des anhängigen Verwaltungsverfahrens nicht abgewartet hat, ist ihnen entgegenzuhalten, dass Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens, welche in der Berufung nicht beanstandet wurden, in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden können (RIS-Justiz RS0043111; RS0074223). Auch eine in der Berufung nicht geltend gemachte Aktenwidrigkeit des erstinstanzlichen Urteils kann im Revisionsverfahren nicht nachgetragen werden (RS0041773).

[5] 2. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass ein Vermieter dem Mieter nicht entgegenhalten kann, dass er das Bestandobjekt zu einem widmungswidrigen Gebrauch vermietet hat, wenn er dennoch in der Lage ist, dem Mieter den bedungenen Gebrauch der Bestandsache zu sichern (RS0020955). Daraus kann sich die Verpflichtung des Vermieters ergeben, ein Ersuchen auf Änderung des Flächenwidmungsplans einzubringen (3 Ob 16/14w; 5 Ob 35/16g). Aber auch der Vermieter, der einen solchen Antrag unterlassen hat, ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs von seiner vertraglichen Verpflichtung befreit, wenn er nachweist, dass ein solcher Antrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg gehabt hätte (RS0016405).

[6] 3. Nach § 74 Abs 1 TROG sind Eigentümer von Grundstücken berechtigt, der Gemeinde die Änderung des Flächenwidmungsplans hinsichtlich eines in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks vorzuschlagen. Eine Änderung des Flächenwidmungsplans ist nach § 36 Abs 2 TROG aber unzulässig, wenn sie den Zielen der Raumordnung widerspricht. Zudem bedarf jede Änderung des Flächenwidmungsplans im Hinblick auf das aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ableitbare Willkürverbot einer sachlichen Rechtfertigung (VfGH V 74/01; V 29/12; V 462/2020). Nach der Rechtsprechung des VfGH ist eine Änderung des Flächenwidmungsplans, umeine widmungswidrige Nutzung einer Liegenschaft nachträglich zu sanieren, gleichheitswidrig und deshalb unzulässig (VfGH V 2/2013; V 74/2016).

[7] 4. Ob eine dauernde Unmöglichkeit der Leistung vorliegt, ist nicht nur eine Tatfrage, sondern kann teilweise auch eine Wertungsfrage sein (RS0034104). Dass die Vorinstanzen angesichts der Lage der Liegenschaft in einem Gewerbegebiet zwischen zwei stark befahrenen Bundesstraßen und der Rechtsprechung des VfGH zu Flächenwidmungsplanänderungen bloß zur Sanierung von Widmungsverstößen davon ausgegangen sind, dass eine Umwidmung nicht möglich war, ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Die Entscheidung der Vorinstanzen, die von der Unwirksamkeit des Mietvertrags nach § 878 ABGB ausgegangen sind, ist damit von der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung gedeckt.

[8] 5. § 32 MRG ist nicht anwendbar, weil das Mietverhältnis nicht aus einem der dort genannten Gründe gekündigt wurde. Ob die Beklagten den Ersatz eines allfälligen Vertrauensschadens nach § 878 dritter Satz ABGB beanspruchen können, ist im Verfahren über das Räumungsbegehren nicht entscheidungswesentlich.

[9] 6. Die Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

[10] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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