Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.121,81 EUR bestimmten Kosten des Berufungs‑ und des Revisionsverfahrens (darin enthalten 152,96 EUR USt, 204 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Pächterin eines Kleingartengrundstücks, das im Eigentum der Stadt Wien steht. Sie errichtete auf dem Grundstück ohne Baubewilligung ein Haus und einen Schuppen. Das Haus wird von der Klägerin selbst bewohnt und steht im vorderen Bereich des Grundstücks, das als Bauland gewidmet ist. Der Schuppen befindet sich auf jenem Teil des Grundstücks, der eine Widmung „Gärtnerische Gestaltung“ aufweist.
Vor etwa 14 Jahren schloss die Klägerin mit ihrer Tochter, der Beklagten, einen mündlichen Mietvertrag und überließ ihr den Schuppen zu Wohnzwecken. Die Beklagte, die den Schuppen adaptierte und neu ausgestaltete, wohnt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in diesem Gebäude.
Nach Streitigkeiten zwischen der Klägerin und der Beklagten bzw deren Lebensgefährten, die auch zu verschiedenen Gerichtsverfahren führten, erstattete die Klägerin bei der Baupolizei eine Selbstanzeige bezüglich der nicht konsensgemäß errichteten Gebäude.
Hinsichtlich beider Gebäude wurde am 25. Jänner 2011 wegen fehlender Baubewilligung ein Abbruchbescheid erlassen. Aufgrund der Berufungsentscheidung der Bauoberbehörde vom 20. Juni 2012 ist dieser Bescheid rechtskräftig. Der Klägerin wurde eine Leistungsfrist von sechs Monaten eingeräumt. Eine Verlängerung dieser Leistungsfrist wäre im Hinblick auf das hier geführte Gerichtsverfahren möglich.
Die Klägerin erwirkte für ihr Haus eine nachträgliche Baubewilligung.
Für das von ihrer Tochter bewohnte Gebäude war dies aufgrund der bestehenden Widmung „Gärtnerische Gestaltung“ nicht möglich. Aussicht auf Erteilung einer Baubewilligung würde nur dann bestehen, wenn jener Teil der Liegenschaft, auf der sich das von der Beklagten bewohnte Gebäude befindet, umgewidmet würde. Ein Ersuchen um Umwidmung wäre von der Grundeigentümerin (Stadt Wien) zu stellen. Weder die Klägerin noch die Beklagte traten an die zuständige Magistratsabteilung mit dem Wunsch einer Umwidmung heran.
Die Klägerin begehrt die Räumung des von der Beklagten bewohnten L‑förmigen Wohnhauses im rechten hinteren Teil des näher bezeichneten Grundstücks im Ausmaß von 117 m² und beruft sich auf den am 25. Jänner 2010 erlassenen Abbruchbescheid. Der mittlerweile in Rechtskraft erwachsene Bescheid, für den infolge der fehlenden Baulandwidmung keine nachträgliche Baubewilligung erwirkt werden könne, bewirke den Untergang der Bestandsache und führe daher gemäß § 1112 ABGB zur Auflösung des Bestandvertrags. Es stehe fest, dass die dem rechtskräftigen Abbruchauftrag zugrunde liegenden Gebrechen nicht beseitigt werden könnten.
Die Beklagte wendet ein, sie habe ihr ausdrückliches Einverständnis zu einer Teilung des Grundstücks, die nach den Bestimmungen der Bauordnung für Wien grundsätzlich möglich sei, erteilt. Dadurch würde es möglich, eine Baubewilligung für das bereits errichtete Objekt zu erlangen, das dann jedoch auf Kosten der Klägerin nach den aktuellen bautechnischen Vorschriften saniert werden müsste. An dieser Lösung habe die Klägerin nicht mitgewirkt. Die Beklagte habe der Klägerin auch angeboten, das Objekt auf Kosten der Klägerin auf einem von der Beklagten gemieteten Nachbargrundstück neu errichten zu lassen. Der Abbruchbescheid bewirke nach der Rechtsprechung nicht die Auflösung des Mietvertrags. Vielmehr müsse die Klägerin alle ihr zu Gebote stehenden Mittel ausgeschöpft haben, um der Beklagten als Bestandnehmerin den bedungenen Gebrauch zu verschaffen. Das habe die Klägerin unterlassen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es vertrat die Auffassung, dass die den Bestandgeber betreffende Verpflichtung, die zum bedungenen Gebrauch erforderlichen Bewilligungen zu verschaffen, ihre Grenze nur in der Unmöglichkeit und in der Unwirtschaftlichkeit habe, wofür der Bestandgeber beweispflichtig sei. Da eine Möglichkeit bestehe, im Hinblick auf das Gerichtsverfahren um eine Verlängerung der im Abbruchbescheid gesetzten Leistungsfrist anzusuchen und da eine Umwidmung durchaus denkbar sei, liege keine abschließende rechtliche Unmöglichkeit vor. Dass nach Stattgebung eines Umwidmungsansuchens die notwendigen Adaptierungskosten, um eine Baubewilligung für das von der Beklagten gemietete Objekt zu erlangen, so hoch wären, dass sie praktisch einem Neubau gleichkämen, habe die Klägerin nicht vorgebracht. Ein Untergang des Bestandobjekts iSd § 1112 ABGB liege daher noch nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Räumungsbegehrens ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht ging davon aus, dass zwar ein rechtskräftiger Abbruchbescheid der Verwaltungsbehörde nur dann den Untergang der Bestandsache und damit die Auflösung des Bestandvertrags bewirke, wenn er endgültig sei. Allerdings sei hier nicht zu prüfen, ob die Klägerin zur Behebung von Baugebrechen verpflichtet sei, sondern ob sie alles unternommen habe, um der Beklagten die Benützung des Objekts zu erhalten. Zwar könne sich die Klägerin durch ihre Selbstanzeige bei der Baubehörde und den darauf folgenden Abbruchauftrag nicht ihrer bestandrechtlichen Verpflichtung entziehen. Es bestehe jedoch auch in diesem Fall eine Grenze für die Zumutbarkeit des Handelns. Der Beklagten sei ein Schuppen „zu Wohnzwecken“ überlassen worden, der von der Beklagten ohne Rücksichtnahme auf eine dem entgegenstehende Flächenwidmung ‑ wenn auch offensichtlich mit Zustimmung der Klägerin ‑ zu Wohnzwecken ausgestaltet worden sei. Eine Möglichkeit, die erforderliche Baubewilligung zu erlangen, würde nur insofern bestehen, als die Stadt Wien als Liegenschaftseigentümerin zur Einleitung eines entsprechenden Verfahrens zur Abänderung des Flächenwidmungsplans veranlasst werden müsste. Auch bei Antragstellung durch die Grundeigentümerin bestehe jedoch kein Rechtsanspruch auf Umwidmung.
In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision macht die Beklagte als erhebliche Rechtsfrage geltend, dass es dem Vermieter seit der Entscheidung 3 Ob 37/94, die zu einer Wende in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung geführt habe, nicht möglich sei, sich durch Erwirkung eines ‑ hier überdies provozierten - Abbruchauftrags unter Berufung auf § 1112 ABGB von den Vertragspflichten zu lösen. Das Berufungsgericht habe missachtet, dass der Tatbestand des § 1112 ABGB zwar auch dann verwirklicht sei, wenn die für die Vermietbarkeit zu einem bestimmten Zweck erforderliche Qualifikation endgültig und unabänderlich verloren gehe. Hier stehe jedoch nicht endgültig fest, dass die zur Aufrechterhaltung des Mietvertrags erforderliche Umwidmung nicht möglich sei.
Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von den Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist.
Der Beklagten wurde daher die Erstattung einer Revisionsbeantwortung freigestellt.
Sie beantragt, „die außerordentliche Revision für nicht zulässig zu erklären“; hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
1. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats 3 Ob 37/94 (SZ 67/64) entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass die von der Verwaltungsbehörde wegen Baugebrechen verfügte Anordnung des Abbruchs der Baulichkeit, die Bestandgegenstand ist oder in der sich der Bestandgegenstand befindet, nur und erst dann gemäß § 1112 ABGB die Auflösung des Bestandvertrags bewirkt, wenn feststeht, dass die Baugebrechen nicht beseitigt werden können oder vom Bestandgeber nicht beseitigt werden müssen (RIS‑Justiz RS0027764). Die Bindungs‑ und Tatbestandswirkung des Bescheids hat das Erlöschen des Bestandvertrags iSd § 1112 ABGB erst dann zur Folge, wenn der Sachverhalt, aus dem sie sich ergibt, endgültig gewährleistet ist (2 Ob 147/02k; 3 Ob 255/08h).
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gilt dieser Grundsatz nicht nur bei Erlassung eines Abbruchauftrags wegen Baugebrechen, sondern auch, wenn die für die Vermietbarkeit überhaupt oder für die Vermietung zu einem bestimmten Zweck erforderliche Qualifikation endgültig und unabänderlich verloren geht, etwa bei Entzug der baubehördlichen Benützungsbewilligung (2 Ob 147/02k; RIS‑Justiz RS0033014 [T2]).
3. Die Beweislast, alle ihm zu Gebote stehenden Mittel ausgeschöpft zu haben, um dem Bestandnehmer den bedungenen Gebrauch (hier: Benützung des Gebäudes zu Wohnzwecken) zu verschaffen, trifft den Bestandgeber. Seiner Beweispflicht hat er im Fall der Nichtanrufung der Baubehörde nur dann genügt, wenn er eine so klare Rechtslage dartut, dass mit Gewissheit eine Verweigerung der baubehördlichen Genehmigung angenommen werden muss (1 Ob 573/94 SZ 67/112; 6 Ob 4/09w; RIS‑Justiz RS0016405).
4. In sinngemäßer Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den Anlassfall, bei welchem die fehlende Baubewilligung zur Erlassung des baubehördlichen Abbruchbescheids führte, wäre daher ein Untergang der Bestandsache iSd § 1112 ABGB nur dann zu bejahen, wenn endgültig und unabänderlich feststeht, dass eine ‑ für die Erlangung einer nachträglichen Baubewilligung erforderliche ‑ Umwidmung jenes Grundstücksteils, auf dem sich das gemietete Objekt befindet, nicht möglich ist.
Der fehlende Rechtsanspruch der Klägerin gegenüber der Liegenschaftseigentümerin darauf, dass diese ein entsprechendes Umwidmungsansuchen stellt, rechtfertigt entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung noch nicht die Beurteilung, dass die Unmöglichkeit der Verschaffung des bedungenen Gebrauchs endgültig und unabänderlich feststeht: Die Klägerin hat nicht einmal versucht, ein entsprechendes Umwidmungsansuchen an die Liegenschaftseigentümerin zu stellen.
Nach den ‑ dislozierten ‑ Feststellungen des Erstgerichts in seiner Beweiswürdigung ist eine solche Umwidmung auch nicht völlig ausgeschlossen.
Im Übrigen hat sich die Klägerin auch nur auf ihren fehlenden Rechtsanspruch gegenüber der Gemeinde Wien, nicht aber darauf berufen, dass diese eine Umwidmung nicht unterstützen werde bzw eine Umwidmung aus anderen Gründen unmöglich sei.
5. Da es somit der behauptungs‑ und beweispflichtigen Klägerin nicht gelungen ist, einen Sachverhalt nachzuweisen, aus dem abzuleiten wäre, dass es unmöglich (oder unerschwinglich) wäre, nach Umwidmung der Grundstücksfläche in Bauland eine nachträgliche Baubewilligung zu erlangen, war der Revision Folge zu geben und das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.
6. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs‑ und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)