European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00089.23Y.0628.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Diebeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten liegen deren Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung R915 (ARB 2014) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
„ Artikel 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
1. Für die Geltendmachung eines Personen-, Sach- oder Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.4), gilt als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrundeliegende Schadenereignis. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles gilt der Eintritt dieses Schadenereignisses. […]
[...]
3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17 Pkt. 2.1, Artikel 18 Pkt. 2.1, Artikel 19 Pkt. 2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23 Pkt. 2.1 und Artikel 24 Pkt. 2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. […]
[...]
Artikel 7
Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
1. Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen
[...]
6. aus dem Bereich des Kartell- oder sonstigen Wettbewerbsrechtes;
[…]
Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,
1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;
[…]
Artikel 9
Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? […]
[…]
2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,
[...]
2.2 dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d. h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;
2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“
Rechtliche Beurteilung
[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[3] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[4] 2.1. Für das Vorliegen des Versicherungsfalls trifft nach der allgemeinen Risikoumschreibung den Versicherungsnehmer die Beweislast (RS0043438). Der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung behauptet, muss daher die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls beweisen (RS0080003).
[5] 2.2. Hier hat der Versicherungsnehmer während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel-PKW erworben und begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) sowie eine Haftung für Spät- und Dauerfolgen gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, damit habe der Kläger den Versicherungsfall schlüssig dargelegt, entspricht der Rechtsprechung des Fachsenats (vgl etwa 7 Ob 91/22s; 7 Ob 61/22d; 7 Ob 130/22a; 7 Ob 45/23b).
[6] 2.3. Die Beklagte vermeint, dass sich der Versicherungsfall hier nicht nach Art 2.3. ARB 2014, sondern nach Art 2.1. ARB 2014 richte, weil der Kläger einen Vermögensschaden geltend mache, der auf einen Sachschaden zurückzuführen sei. Dies habe zur Folge, dass der Schaden nicht beim Kläger eingetreten sei, weil dieser einen Gebrauchtwagen gekauft habe. Entgegen der Ansicht der Beklagten macht der Kläger auch hier keinen Sachschaden im Sinn des Art 2.1. ARB 2014 geltend (vgl 7 Ob 32/18h). Der Versicherungsfall richtet sich daher nach Art 2.3. ARB 2014.
[7] 3. In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).
[8] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das anspruchsbegründende Vorbringen des Klägers nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und dass die von der Beklagten erhobenen Einwände als Tatfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 7 Ob 61/22d; 7 Ob 129/22d; 7 Ob 130/22a). Der vorliegende Sachverhalt ist entgegen der Ansicht der Revision auch nicht mit der Entscheidung 7 Ob 152/22m vergleichbar, beabsichtigt der Kläger doch hier gar keine Rechtsverfolgung gegen den Verkäufer, sodass sich auch keine Zuordnungsprobleme ergeben.
[9] 4. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 95/21b ausgesprochen, dass der Ausschluss nach Art 7.1.6 ARB 2009 (hier Art 7.1.6 ARB 2014) für einen durchschnittlich verständigen Verbraucher dahin zu verstehen ist, dass der Rechtsschutzversicherer für die Verfolgung von ihm nach Kartell- oder sonstigem Wettbewerbsrecht (einschließlich UWG) zustehenden Ansprüchen keine Deckung übernimmt (vgl RS0109433 [T4]). Anders als in der zitierten Entscheidung stützt der Kläger seinen Anspruch im vorliegenden Fall aber nicht auf Kartell- oder sonstiges Wettbewerbsrecht. Der Versicherer hat auch keinen Anspruch darauf, dass nicht behauptete und daher bloß hypothetische Anspruchsgrundlagen die von einem Risikoausschluss erfasst sind explizit vom Feststellungsurteil ausgenommen werden (auch keine entsprechende Verpflichtung des Klägers zur Einschränkung des Klagebegehrens vgl 7 Ob 86/23g).
[10] 5.1. Die Auskunftsobliegenheit (§ 34 Abs 1 VersVG; Art 8.1.1 ARB 2014) endet mit der Ablehnung des Entschädigungsanspruchs durch den Versicherer, weil sich das der Vereinbarung zugrundeliegende Ziel, die Leistung des Versicherers zu ermöglichen oder zu erleichtern, danach nicht mehr erreichen lässt. Mit anderen Worten bringt der Versicherer mit der Deckungsablehnung zum Ausdruck, dass er weiterer Auskünfte zur Beurteilung seiner Leistungspflicht nicht mehr bedarf (7 Ob 190/22z mwN). Dies gilt freilich nicht, wenn der Versicherer nach der Ablehnung zu erkennen gibt, er lege gleichwohl noch Wert auf Erfüllung der Obliegenheiten, und diese zumutbar erscheint (7 Ob 60/86; 7 Ob 319/01i; 7 Ob 153/20f). Letzteres setzt aber jedenfalls voraus, dass der Versicherer klarmacht, inwieweit er noch ein Aufklärungsbedürfnis hat (7 Ob 190/22z mwN).
[11] 5.2. Im vorliegenden Fall lehnte die Beklagte die Versicherungsdeckung mit Schreiben vom 11. Mai 2021 definitiv ab, worauf der Kläger am 6. August 2021 die Deckungsklage einbrachte. Erst kurz vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 3. Oktober 2022 auf, ihr Informationen und Unterlagen über den Besitzstatus, den Kilometerstand, die Ausstattung des Fahrzeugs, den Kenntnisstand des Klägers betreffend den Dieselskandal und die vom Kläger wahrgenommenen Täuschungshandlungen der Fahrzeugherstellerin zu erteilen. Ganz abgesehen davon, dass die verlangten Informationen entweder nicht „erforderlich“ (vgl RS0080185) sind oder vom Kläger ohnehin im Rahmen dieses Verfahrens erteilt wurden, ist auch das Aufklärungsbedürfnis der Beklagten nicht erkennbar, hat sie es doch über einen Zeitraum von 1,5 Jahren nach Ablehnung der Deckung und von einem Jahr nach Beginn dieses Verfahrens nicht für notwendig erachtet, die nunmehr verlangten Informationen zu fordern, obwohl sich die Sachlage seither nicht geändert hat. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, es liege keine Verletzung des Art 8.1.1. ARB 2014 vor, ist daher nicht korrekturbedürftig.
[12] 6. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[13] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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