European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00082.23V.0524.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,92 EUR (darin enthalten 125,32 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 06/2014) der R* zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„ Artikel 2
Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
[…]
3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Art 17 Pkt. 2.1, Art 18 Pkt. 2.1, Art 19 Pkt. 2.1) sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Art. 23.2.1 und Art. 24.2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften […].
Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,
1.1 den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;
[…].
Artikel 9
Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen? Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)
[…]
Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhalts unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,
[…]
2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.
[…].“
Rechtliche Beurteilung
[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, ist die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[3] 1. Das Erstgericht beurteilte – entsprechend dem Vorbringen des Klägers – den Eintritt des Versicherungsfalls nach Art 2.3 ARB. Erstmals in der Revision argumentiert die Beklagte, dass der Eintritt des Versicherungsfalls nicht nach Art 2.3 ARB, sondern nach Art 2.1 ARB zu prüfen sei. Eine in einem selbständig beurteilbaren Teilbereich in zweiter Instanz unterlassene Rechtsrüge kann aber in der Revision nicht nachgeholt werden (RS0043573 [T33]; vgl RS0043480 [T22]), weshalb sich eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung erübrigt.
[4] 2. Die Beklagte releviert keine Unschlüssigkeit des Klagebegehrens im Deckungsprozess, nämlich die fehlende Darlegung durch den Kläger, dass der von ihm verfolgte oder abzuwehrende Anspruch aus einem Rechtsverhältnis herrührt, das in den Schutzbereich seines Versicherungsvertrags fällt. Vielmehr zielen ihre Ausführungen auf die Behauptung der Unschlüssigkeit des Begehrens im zu deckenden Prozess und damit auf das Vorliegen des Ausschlussgrundes nach Art 9.2.3 ARB ab.
[5] 2.1.1 Bei der Erfolgsaussichtsprüfung nach den ARB können die zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze übernommen werden. Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs‑ oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann (insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand, RS0116448, RS0117144). Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aufgrund einer Prognose nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt (RS0124256 [T1]). Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt daher im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht (RS0081927).
[6] 2.1.2 Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits klargestellt, dass dann, wenn der Ausgang im zu deckenden Prozess bei Fehlen einer klaren Gesetzeslage von einer bisher nicht gelösten Rechtsfrage abhängt, dies nicht die Annahme rechtfertigt, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Eine Vorwegnahme des Ergebnisses des zu deckenden Prozesses im Deckungsprozess durch Klärung der dort gegenständlichen – bisher noch nicht gelösten – Rechtsfragen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten kommt ebensowenig in Betracht wie die Vorwegnahme der Klärung der Tatfragen (7 Ob 161/16a = RS0124256 [T3]).
[7] 2.3 Für die Schlüssigkeit einer Klage genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell‑rechtlich aus dem zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516). Es müssen also die Behauptungen aufgestellt werden, die es zulassen, dass der vom Kläger begehrte Anspruch als sich daraus herleitende Rechtsfolge gegebenenfalls auch im Wege eines Versäumungsurteils ergehen könnte (RS0001252 [insb T4]).
[8] 2.4 Der Kläger begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 Abs 2 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 %) des Kaufpreises gegen die Herstellerin wegen des Kaufs eines Fahrzeugs, dessen Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden sei. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass dieses Vorbringen nicht unschlüssig sei, eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und die von der Beklagten erhobenen Einwände (dem Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs stünden keine Schadenersatzansprüche gegenüber der Herstellerin zu; der Kläger sei nicht getäuscht worden; zufolge Vollamortisierung sei ihm kein Schaden entstanden; Eintritt der Verjährung; allfällige Höhe einer Vorteilsanrechnung) als Tat‑ und – von österreichischen Gerichten bisher nicht gelöste – Rechtsfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und daher für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht korrekturbedürftig (7 Ob 130/22a mwN).
[9] 2.5.1 Entgegen der Ansicht der Beklagten stellte der Kläger auch die Behauptung auf, dass er mit Rechtsschutzdeckung gegen die Herstellerin V*‑AG vorzugehen beabsichtige. Dies wurde von der Beklagten im erstgerichtlichen Verfahren nicht nur nicht bestritten, sondern ihrem eigenen Vorbringen sogar ausdrücklich zugrunde gelegt. Ihre nunmehrigen Revisionsausführungen zur allfälligen fehlenden Herstellereigenschaft der V*‑AG, verstoßen damit gegen das Neuerungsverbot.
[10] 2.5.2 Der vermeintliche Widerspruch zu den Entscheidungen 7 Ob 91/22s und 7 Ob 152/22m besteht nicht. Die Entscheidung 7 Ob 91/22s betraf die Unschlüssigkeit des Klagebegehrens im Deckungsprozess, der Entscheidung 7 Ob 152/22m lag die beabsichtigte gleichzeitige Klagsführung gegen Hersteller und Verkäufer zugrunde.
[11] 3.1 Offensichtlicher Zweck der Auskunfts‑ und Belegobliegenheit, dem auch Art 8.1.1 ARB dient, ist es, Informationsdefizite des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer auszugleichen. Naturgemäß ist der Versicherungsnehmer über die ihn betreffenden Lebenssachverhalte umfassender informiert als der Versicherer. Er soll daher dem Versicherer alle ihm bekannten Informationen erteilen und ihm zur Verfügung stehende Unterlagen ausfolgen (7 Ob 91/22s mwN). Die Beweislast dafür, dass der Versicherungsnehmer eine Aufklärungs- und/oder Belegobliegenheit verletzt hat, trifft den Versicherer (RS0081313, RS0043510, RS0043728).
[12] 3.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass dieser Beweis der Beklagten nicht gelungen sei, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Schadensmeldung und Deckungsanfrage des Klägers lehnte die Beklagte unter Hinweis darauf ab, dass durch den Weiterverkauf des Gebrauchtwagens an den Kläger die Schadenersatzansprüche gegen V* weiterverkauft und damit im Sinn der Rechtsschutz‑Versicherungsbedingungen abgetreten worden seien, sowie, dass dem Käufer eines mit Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestatteten Gebrauchtwagens, der sein Fahrzeug erst nach Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals gekauft habe, an sich schon keine Schadenersatzansprüche zustehen würden. Vor dem Hintergrund dieser Ansicht nahm die Beklagte keine weitere Prüfung vor und die von ihr nunmehr vermissten Detailinformationen über den Kenntnisstand des Klägers betreffend den Dieselskandal und den Zeitpunkt der Vornahme des Software‑Updates wurden gar nicht abverlangt.
[13] 3.3 Eine allfällige Verletzung der „Kostenschonungsobliegenheit“ nach Art 8.1.4 ARB hat die Beklagte bereits in der Berufung nicht mehr geltend gemacht, weshalb sich auch hier ein weiteres Eingehen erübrigt (RS0043573 [T33]; vgl RS0043480 [T22]).
[14] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
[15] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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