Spruch:
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der ehelich geborene Minderjährige lebt seit der Trennung der Eltern im Oktober 1998 bei der Mutter, die im vorliegenden Verfahren mit Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 2. Dezember 1999 mit der alleinigen Obsorge betraut wurde (ON 9). Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 24. Juli 2001, 2 C 57/00-14, rechtskräftig geschieden.
Der Vater befand sich in der Zeit vom 6. 6. bis 2. 8. 1999 gegen seinen Willen in einer niederösterreichischen Landesnervenklinik. Am 3. 8. 1999 kehrte er in sein Heimatland zurück und ist dort "aller Voraussicht nach" unbekannten Aufenthalts. Bereits am 1. 5. 1999 litt der Vater an einer über mehrere Jahre sich entwickelnden prozesshaft verlaufenden, paranoid halluzinatorischen schizophrenen Psychose. Er ist zumindest seit 1. 5. 1999 nicht mehr in der Lage, einer geregelten beruflichen Beschäftigung nachzugehen. Aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht des Vaters ist davon auszugehen, dass er sich keiner psychiatrischen Behandlung unterzieht, weshalb ein weiteres Fortschreiten des Krankheitsprozesses "zu vermuten" ist. Dementsprechend ist davon "auszugehen", dass er auch im Weiteren nicht in der Lage war, einer geregelten beruflichen Beschäftigung nachzugehen. Voraussetzung dazu wäre, dass sich der Vater einer längerfristigen psychosozialen Rehabilitationsbehandlung unterzieht, was jedoch eine - hier fehlende - Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft voraussetzt. In der rechtlichen Beurteilung führt das Erstgericht noch aus, dass sich "daraus ableitend ergibt, dass der Vater höchstwahrscheinlich krankheitsbedingt nicht in der Lage war, eine für ihn und das anspruchsberechtigte Kind weitreichende Entscheidung selbst zu treffen". Aufgrund seiner Krankheit ist er auf das Einkommen aus einer Invaliditätspension angewiesen. Der Vater hat aber eine entsprechende Antragstellung "ob schuldhaft oder nicht" unterlassen.
Das Rekursgericht stellte weiters fest, dass eine allfällige Pension des Vaters in R***** wegen seiner Invalidität größenordnungsmäßig etwa EUR 30 pro Monat betragen würde, wobei damit nicht einmal die notwendigsten Bedürfnisse gedeckt wären. Aufgrund der in Österreich erworbenen Versicherungszeiten hätte der Vater Anspruch auf Invaliditätspension gehabt. Diese hätte - bei Antragstellung zum Stichtag 1. 5. 1999 - im Jahr 1999 EUR 612,28, im Jahr 2000 EUR 615,96, im Jahr 2001 EUR 620,89, im Jahr 2002 EUR 627,72 und im Jahr 2003 EUR 630,84 netto pro Monat betragen. Es sei davon auszugehen, dass der Vater die genannten Beträge an Invaliditätspension nach der Praxis des Sozialversicherungsträgers erhalten hätte, obwohl er sich im Ausland aufhält.
Für den Vater wurde mit Beschluss vom 11. 10. 2002 (ON 44) eine Kuratorin gemäß § 116 ZPO bestellt.
Der Vater wurde (ON 23) gemäß § 382a EO zur Leistung eines vorläufigen Unterhaltsbetrages von EUR 30 seit 9. 4. 2002 verpflichtet.
Der Minderjährige beantragt, seinen Vater zur Bezahlung eines monatlichen Unterhalts von EUR 185 vom 1. 5. 1999 bis 30. 6. 2000, EUR 188 vom 1. 7. 2000 bis 30. 6. 2001, EUR 194 für Juli 2001 und EUR 250 ab 1. 8. 2001 zu verpflichten. Der Vater sei gelernter Installateur und habe als solcher in Österreich jahrelang gearbeitet. Es sei davon auszugehen, dass der Vater auch in R***** die Regelbedarfssätze leisten könne.
Das Erstgericht wies den Antrag des Minderjährigen zur Gänze ab und hob die einstweilige Verfügung gemäß § 382a EO gemäß § 399a Abs 2 Z 1 EO auf. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, dass es dem ausländischen Vater nicht verwehrt werden könne, in seine Heimat zurückzukehren, auch wenn er für ein Kind in Österreich sorgepflichtig sei. Aufgrund der Krankheit könne er kein Arbeitseinkommen erzielen und sei auf das Einkommen aus der Invaliditätspension angewiesen. Da er eine entsprechende Antragstellung "ob schuldhaft oder nicht" unterlassen habe, sei zu prüfen, wie sich ein rechtschaffener pflichtbewusster Familienvater verhalten hätte. Maßgebend sei die vom Vater nach seinen jeweils gegebenen konkreten Umständen für den Entscheidungszeitpunkt als vertretbar zu erkennende Maßnahme. Der Vater sei "höchstwahrscheinlich" krankheitsbedingt nicht in der Lage, eine für sich und den Minderjährigen weitreichende Entscheidung selbst zu treffen. Seine Rückkehr zu seiner Familie nach R***** sei unter diesen Umständen zu billigen.
Das Rekursgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass der Akteninhalt "zu der Annahme" zwinge, dass der Vater bereits lange vor dem 1. 5. 1999 bzw seiner Rückkehr nach R***** im September 1999 aufgrund eines psychischen Zustandes objektiv nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Antrag auf Gewährung der Invaliditätspension zu stellen. Der Anspannungsgrundsatz sei in jenen Fällen anzuwenden, in denen schuldhaft die zumutbare Erzielung deutlich höherer Einkünfte versäumt werde. Ein Vorwurf könne den Vater schon deshalb nicht treffen, da er sich nicht krank fühle und keine Einsicht in seine Krankheit aufweise.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, da oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Erfordernis eines Verschuldens für die Anspannung auf Inanspruchnahme einer an sich zustehenden öffentlich-rechtlichen Leistung nicht vorliege.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen mit einem Abänderungsantrag.
Der Vater beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrag auch berechtigt.
Der Unterhaltspflichtige hat alle Kräfte anzuspannen, um seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen. Es trifft ihn demnach die Obliegenheit, im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen (Gitschthaler, Unterhaltsrecht, Rz 136 mwN). Die Anspannung eines Unterhaltspflichtigen kommt also immer dann zum Tragen, wenn ihm ein höheres als das tatsächliche Einkommen zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0047550). Dies richtet sich immer nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei ist die für die Ausmittlung des konkreten Unterhaltsbedarfs zu bestimmende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen danach zu bemessen, wie ein pflichtbewusster Familienvater in der konkreten Lage des Unterhaltspflichtigen die diesem zur Erzielung von Einkommen zur Verfügung stehenden Mittel an Arbeitskraft und Vermögen vernünftigerweise einsetzen würde (RIS-Justiz RS0113751). Die Anspannungstheorie ist auch auf einen Unterhaltspflichtigen, der unbekannten Aufenthalts (allenfalls auch im Ausland) ist, anzuwenden (9 Ob 364/97p, RIS-Justiz RS0047695).
Unterlässt es der Unterhaltspflichtige, aus in seiner Sphäre liegenden Gründen einen Antrag auf Gewährung einer öffentlich-rechtlichen Leistung zu stellen, so muss er sich dieses im möglichen Einkommen im Sinne der Anspannungstheorie für die Unterhaltsleistung anrechnen lassen (RIS-Justiz RS0047385).
Nach ständiger Rechtsprechung darf aber die Anspannung nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muss immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen der Unterhaltsbemessung unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage gewesen wäre. Dabei kommt dem Gesundheitszustand sowie der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen wesentliche Bedeutung zu (8 Ob 503/96, RIS-Justiz RS0047579). Die Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen darf nur dann erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er keine Erwerbstätigkeit ausübt oder eine Antragstellung zur Erlangung öffentlich-rechtlicher Zahlungen unterlässt (vgl RIS-Justiz RS0047495).
Nach ständiger Rechtsprechung gelten auch im außerstreitigen Verfahren trotz des Untersuchungsgrundsatzes (§ 2 Abs 2 Z 5 AußStrG) subjektive Behauptungs- und Beweislastregeln, wenn es sich - wie hier - um nur über Antrag zu entscheidende vermögensrechtliche Ansprüche handelt. Der Unterhaltspflichtige hat die seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände zu behaupten und zu beweisen (7 Ob 132/03t, 7 Ob 92/03k, RIS-Justiz RS0006261, RS0047536).
Die Anspannungstheorie und die Beweislastregeln sind auch im Verfahren gegen einen Unterhaltsverpflichteten unbekannten Aufenthalts anzuwenden, wenn es zur erstmaligen Festsetzung des Unterhalts kommt, wenn die zur Zeit seines letzten bekannten Aufenthalts maßgeblichen Tatsachenprämissen noch festgestellt werden können (RIS-Justiz RS0047695).
Wendet man nun die oben dargelegten Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich Folgendes:
Auf den Vater wäre grundsätzlich die Anspannungstheorie dann anzuwenden, wenn er es schuldhaft unterlässt, beim Sozialversicherungsträger Anträge auf Gewährung einer Pensionsleistung zu stellen, wodurch er ein Einkommen zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten erzielen könnte. Ausschlaggebend ist aber, ob den Vater an der Unterlassung der Antragstellung ein Verschulden trifft, da ja die Anspannungstheorie nicht zu einer bloßen Fiktion führen soll. Gerade aber zur Frage, ob dem offensichtlich geisteskranken Vater ein anderes Verhalten, nämlich die Antragstellung beim Sozialversicherungsträger, möglich war, fehlen eindeutige Feststellungen. Daher ist derzeit eine Beurteilung, ob er überhaupt soweit noch einsichtig ist, zu erkennen, dass er sich eines Einkommensbestandteiles beraubt oder nicht, nicht möglich. Das Erstgericht trifft nur Feststellungen dazu, dass der Vater nicht in der Lage war und ist, einer geregelten beruflichen Beschäftigung nachzugehen und stützt sich diesbezüglich auch auf ein Sachverständigengutachten, das nur diesen Themenkreis beurteilt. Lediglich in der rechtlichen Beurteilung im Zusammenhang mit dem Unterlassen der Antragstellung beim Sozialversicherungsträger führt es aus, dass der Vater "höchstwahrscheinlich krankheitsbedingt nicht in der Lage war, eine für ihn und das anspruchsberechtigte Kind weitreichende Entscheidung selbst zu treffen." Es lässt aber audrücklich in der rechtlichen Beurteilung die Frage des Verschuldens offen, sodass unklar bleibt, ob das Erstgericht hier eine "Nichtfeststellung" getroffen hat und dies in der rechtlichen Beurteilung beweiswürdigend begründet, dass eben nicht feststeht, ob die Einsichtsfähigkeit des Vaters hinsichtlich der Antragstellung gegeben war oder nicht oder ob es feststellen wollte, dass der Vater diese Einsichtsfähigkeit nicht hat. Im ersteren Fall käme die oben dargelegte Beweislast zum Tragen, wonach der Vater die Umstände, die seine Unterhaltspflicht einschränken oder aufheben, beweisen muss. Der Vater wäre daher im Falle der Nichterweisbarkeit seines Verschuldens an der mangelnden Antragstellung im oben dargelegten Sinn zur Unterhaltszahlung zu verpflichten. Steht aber fest, dass ihn kein Verschulden an der unterlassenen Antragstellung trifft, so ist der Antrag des Kindes abzuweisen.
Die Rechtssache war daher an das Erstgericht zur Abklärung der Tatsachengrundlage (allenfalls nach Ergänzung des Beweisverfahrens) zurückzuverweisen.
Unter Umständen wird es geboten sein, für den unterhaltspflichtigen Vater einen Abwesenheitskurator (über den Umfang von § 116 ZPO hinausgehende Vertretungspflichten) zur Stellung eines Antrags beim Sozialversicherungsträger auf Bezahlung einer Invaliditätspension zu bestellen, um den Vater und damit das Kind vor weiteren Rechtsnachteilen zu schützen (vgl 10 ObS 92/97w).
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