OGH 9Ob364/97p

OGH9Ob364/97p26.11.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer, Dr. Steinbauer, Dr. Spenling und Dr. Hradil als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Robert P*****, geb. 12. Oktober 1994, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Kindes, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, 2. Bezirk, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. August 1997, GZ 45 R 530/97t-33, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in der Stattgebung des Unterhaltsfestsetzungsantrages für die Zeit vom 1. 10. 1995 bis zum 30. 11. 1996 als unangefochten von dieser Entscheidung unberührt bleiben, werden im übrigen dahin abgeändert, daß sie insgesamt wie folgt zu lauten haben:

"Jako P*****, geb. 27. 2. 1973, kroatischer Staatsbürger, dzt. unbekannten Aufenthaltes, ist als Vater des mj. Robert P*****, geb. 12. 10. 1994, schuldig, zu dessen Unterhalt für die Zeit ab 1. 10. 1995 monatliche Unterhaltsbeiträge von S 2.800,- zu Handen des besonderen Sachwalters des Kindes (derzeit Amt für Jugend und Familie für den 2. Bezirk, 1020 Wien, Karmelitergasse 9), zu zahlen.

Die bereits fällig gewordenen Beträge sind binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Leistungen am Ersten eines jeden Monates im vorhinein zu zahlen."

Text

Begründung

Der Minderjährige befindet sich in der Obsorge der Mutter. Der Vater ist kroatischer Staatsbürger. Er verdiente in der Zeit vom 4. 9. 1995 bis zum 29. 11. 1996 als Bauhilfsarbeiter bei einem Bau- und Abbruchunternehmen in Wien ca S 17.600,- monatlich (incl. anteiliger Sonderzahlungen). Er hat keine weiteren Sorgepflichten, geht im Inland keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nach und ist auch nicht arbeitssuchend gemeldet. Sein Aufenthalt ist unbekannt.

Der Unterhaltssachwalter beantragte am 3. 12. 1996, den Vater ab 1. 10. 1995 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.800,- zu verpflichten. Der geforderte Betrag, der nicht den Durchschnittsbedarf erreiche, sei dem Vater aufgrund des von ihm bezogenen Einkommens zumutbar.

Der für den Vater bestellte Kurator brachte vor, daß das vom Unterhaltssachwalter behauptete Einkommen des Vaters im Hinblick auf seinen nunmehr unbekannten Aufenthalt offensichtlich nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche. Im Hinblick auf die derzeitige wirtschaftliche Situation der Bauwirtschaft halte er einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 2.000,- als angemessen und gerechtfertigt.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Unterhaltssachwalters für die Zeit vom 1. 10. 1995 bis zum 30. 11. 1996 statt und wies ihn für die Zeit ab 1. 12. 1996 ab. Zum abweisenden Teil seiner Entscheidung verwies es auf eine Aussage der Mutter, wonach der Vater "von Abschiebung bedroht gewesen sein soll". Es vertrat die Rechtsauffassung, daß es dem ausländischen Vater nicht verwehrt werden könne, in seine Heimat zurückzukehren und dort einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Eine Anspannung auf ein fiktives in Österreich zu erzielendes Einkommen sei in einem solchen Fall unzulässig. Überdies komme eine Anspannung dann nicht in Betracht, wenn Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen unbekannt seien. Da sich der Unterhaltspflichtige nach der Aktenlage derzeit nicht in Österreich aufhalte, müsse als wahrscheinlich angesehen werden, daß er in seine Heimat zurückgekehrt sei, weshalb aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Jugoslawien davon auszugehen sei, daß er zu einer Unterhaltsleistung nicht imstande sei.

Das nur vom Unterhaltssachwalter angerufene Rekursgericht bestätigte den abweisenden Teil dieser Entscheidung und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Festsetzung der Unterhaltspflicht eines unbekannt abwesenden Unterhaltspflichtigen dann möglich sei, wenn der Aktenlage ausreichende Grundlagen für dessen wirtschaftliche Verhältnisse zu entnehmen seien. Sei die Wahrscheinlichkeit, daß ein ausländischer Vater in Österreich geblieben sei, nicht größer als die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr in sein Heimatland, sei eine Anspannung auf österreichische Einkommensverhältnisse nicht möglich. Die Rekursbehauptung des Unterhaltssachwalters, der Vater sei nicht abgeschoben worden, könne dahingestellt bleiben, weil der Vater auch ohne Abschiebung in seine Heimat zurückgekehrt sein könne. Da ab 1. 12. 1996 sein Aufenthaltsort sowie seine Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht bekannt seien, könne der Anspannungsgrundsatz nicht angewendet werden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht gegeben seien.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung iS der Verpflichtung des Vaters zur Zahlung der begehrten Unterhaltsleistung über den 1. 12. 1996 hinaus abzuändern.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichtes nicht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entspricht. Er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann der gemäß § 140 Abs 1 ABGB zur Deckung der angemessenen Bedürfnisse seines mj. Kindes "nach seinen Kräften" beitragspflichtige Vater, dem seine Unterhaltsverpflichtung bekannt ist, ungeachtet seines unbekannten (Auslands)aufenthaltes iS der Anspannungstheorie zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet werden. Dies hat der Oberste Gerichtshof in SZ 53/54 anläßlich der Entscheidung über einen Antrag auf Erhöhung eines schon früher vertraglich festgelegten Unterhaltsbeitrages ausgesprochen. Nach dieser Entscheidung ist in einem solchen Fall bis zum Beweis des Gegenteils von jenen Verhältnissen auszugehen, die der erstmaligen Festsetzung des Unterhaltsbeitrags zugrunde gelegen sind; nach den allgemeinen Beweislastregeln ist es Sache des Unterhaltspflichtigen, eine ihn entlastende Änderung der Verhältnisse iS einer verminderten Leistungsfähigkeit zu beweisen. Seit SZ 63/40 vertritt der Oberste Gerichtshof die Auffassung, daß diese Beweislastregeln nicht nur dann anzuwenden sind, wenn die dem abwesenden und unbekannten Aufenthaltes befindlichen Vater bekannte gesetzliche Unterhaltsverpflichtung bereits durch einen noch unter seiner Beteiligung geschaffenen Titel individuell konkretisiert wurde, sondern auch dann, wenn ein solcher Titel nicht vorliegt, aber die dafür zur Zeit seines letzten bekannten Aufenthaltes maßgeblichen Tatsachenprämissen noch festgestellt werden können. Auf dieser Grundlage sei dann auch gegen einen unterhaltsverpflichteten Vater unbekannten Aufenthaltes unter Anwendung der Anspannungstheorie zu entscheiden, wenn entlastende Veränderungen der Verhältnisse von ihm nicht bewiesen werden können (SZ 63/40; ÖA 1992,125; Ris-Justiz RS0047695).

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Außerstreitverfahren sind die allgemeinen Beweislastregeln von Bedeutung, wenngleich die subjektive Beweislast durch die Verpflichtung des Gerichts ergänzt wird, auch ohne entsprechende Behauptungen der Parteien die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen zu erheben. Wird aber trotz des Untersuchungsgrundsatzes der Beweis für erhebliche Tatsachen nicht erbracht, so richtet sich nach den allgemeinen Beweislastregeln, zu wessen Lasten die Unmöglichkeit der Beweisführung geht (SZ 54/54; EvBl 1991/69; ÖA 1992,125 ua). Im Unterhaltsverfahren hat demnach der Unterhaltsberechtigte die Abstammung, das Wissen des Unterhaltspflichtigen von seiner Unterhaltsverpflichtung und seinen Unterhaltsbedarf, der Unterhaltspflichtige hingegen seine Unfähigkeit zur Leistung der vollen gesetzlichen Verpflichtung trotz Anspannung seiner Kräfte zu beweisen (SZ 63/40; ÖA 1992,125).

Unterhaltsbedarf und Abstammung des Unterhaltsberechtigten vom Unterhaltsschuldner stehen hier nicht in Frage. Ebenso blieben die Behauptung der Mutter unwidersprochen, wonach dem Vater die Existenz seines Kindes - und damit die Unterhaltsverpflichtung - bekannt ist. Ferner steht fest, daß der Unterhaltspflichtige zur Zeit seines letzten bekannten Aufenthaltes ein Einkommen erzielt hat, das den begehrten Unterhaltsbetrag rechtfertigt. Da wegen des unbekannten Aufenthaltes des Vaters Näheres über seine derzeitigen Lebens- und Einkommensverhältnisse nicht feststellbar ist, obliegt es daher im Sinne der dargestellten Rechtslage ihm, seine Unfähigkeit zur Leistung des aufgrund des letzten bekannten Einkommens für die Zeit bis 30.11.1996 festgesetzten Unterhaltsbetrages zu beweisen. Diesen Beweis hat der durch den Kurator vertretene Vater aber nicht angetreten.

Für Überlegungen darüber, wie wahrscheinlich es ist, daß sich der Vater im Inland, in seinem Heimatstaat oder in einem anderen ausländischen Staat aufhält, fehlt jegliche Grundlage. Der Hinweis des Erstgerichtes, der Vater "soll" von Abschiebung bedroht gewesen sein, ändert daran nichts, weil es sich dabei um keine verwertbare Tatsachenfeststellung handelt. Dabei handelt es sich um eine bloße Vermutung, der überdies die Rekursbehauptung des Unterhaltssachwalters entgegensteht, er habe erhoben, daß der Vater nicht abgeschoben worden sei. Im Sinne der dargestellten Beweislastverteilung geht aber die somit gegebene Unklarheit über den Aufenthalt und die Verdienstmöglichkeiten des Vaters zu seinen Lasten.

Dem Revisionsrekurswerber ist daher beizupflichten, daß im Sinne der Anspannungstheorie über das die Zeit ab 30. 11. 1996 betreffende Unterhaltsbegehren auf der Grundlage des vom Vater zuletzt bezogenen Einkommens zu entscheiden ist. Damit erweist sich der Unterhaltsfestsetzungsantrag auch für die Zeit ab 30. 11. 1996 als berechtigt.

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