OGH 6Ob61/20v

OGH6Ob61/20v15.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach E*****, verstorben *****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Dr. U*****, Schweiz, dieser vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Dyck, Dr. Christine Monticelli, Rechtsanwälte in Salzburg, 2. P*****, vertreten durch Univ.‑Prof. Dr. Friedrich Harrer, Dr. Ines Harrer-Hörzinger, Rehtsanwälte in Salzburg, 3. M***** KG, *****, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Nichtigerklärung von Generalversammlungsbeschlüssen, positiver Beschlussfeststellung und Zustimmung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 18. Februar 2020, GZ 1 R 167/19p‑38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00061.20V.0915.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag der klagenden Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin, der Zweit- und die Drittbeklagte sind Gesellschafter der Erstbeklagten. Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung von Generalversammlungsbeschlüssen, verbunden mit dem Begehren auf positive Beschlussfeststellung, sowie die Verurteilung des Zweit- und der Drittbeklagten zur Zustimmung zur Fassung eines näher bezeichneten Gesellschafterbeschlusses in der Generalversammlung der Erstbeklagten. Sie stützt die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auf § 83b JN iVm § 42 Abs 2 GmbHG.

Der Zweit- und die Drittbeklagte erhoben jeweils die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit.

Das Erstgericht verwarf die Unzuständigkeitseinreden mit der Begründung, es bestehe eine materielle Streitgenossenschaft, durch die ein einheitlicher Gerichtsstand mit der Erstbeklagten begründet werde.

Das Rekursgericht wies die vom Zweit- und der Drittbeklagten erhobenen Rekurse zurück, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands jeweils 30.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Rechtlich führte es aus, der Zweitbeklagte habe sich nicht auf eine örtliche Unzuständigkeit gestützt, daher komme der Rechtsmittelausschluss des § 45 JN zur Anwendung.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Klägerin beantwortete außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

1. Vorauszuschicken ist, dass der Oberste Gerichtshof an den vom Rekursgericht vorgenommenen Bewertungsausspruch gebunden ist. Eine Bindung besteht nur dann nicht, wenn das Berufungs‑(Rekurs‑)gericht zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat, oder wenn eine Bewertung überhaupt hätte unterbleiben müssen (RS0042515 [T18, T21]; RS0042410 [T26]; RS0042450 [T8]; RS0042385 [T3]). Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor, weil der vom Erstgericht – mangels Bewertung durch die Klägerin – herangezogene Zweifelsstreitwert des § 56 Abs 2 Satz 3 JN keine zwingende Bewertungsvorschrift ist (RS0042450 [T16]) und sich der Bewertungsausspruch offenkundig ohne Ermessensüberschreitung an der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache orientiert.

2.1. Gemäß § 45 JN sind seit der ZVN 1983 nach Eintritt der Streitanhängigkeit getroffene Entscheidungen, mit denen ein Gericht seine sachliche Zuständigkeit bejaht, nicht anfechtbar; solche, mit denen es seine sachliche Unzuständigkeit ausspricht, nur dann, wenn das Gericht, das nach dieser Entscheidung sachlich zuständig wäre, seinen Sitz nicht in derselben Gemeinde hat. Durch die Neufassung des § 45 JN durch die ZVN 1983 sollte die Anfechtung von Entscheidungen über die sachliche Zuständigkeit weiter eingeengt und nunmehr klar ausgedrückt werden, dass die Bejahung der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts nie angefochten werden könne (RS0046318; 5 Ob 90/20a; Schneider in Fasching/Konecny ³ § 45 JN Rz 2 f).

Die Anfechtungsbeschränkung des § 45 JN soll den Verlust bereits getätigten Verfahrensaufwands verhindern; ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass ein berücksichtigungswürdiges Parteiinteresse nicht verletzt werden kann, wenn in einer Sache statt des Bezirksgerichts der Gerichtshof erster Instanz entscheidet (RS0046364; 8 Ob 9/18h).

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung macht es für die Anwendung des § 45 JN auch keinen Unterschied, mit welcher Begründung die Bejahung der sachlichen Zuständigkeit erfolgt (RS0103687). Ein Rechtsmittel ist daher selbst dann ausgeschlossen, wenn eine Nichtigkeit oder die Verletzung zwingenden Rechts ins Treffen geführt werden (RS0103687 [T2]).

2.3.1. In der Rechtsprechung wurden Ausnahmen von der Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Rechtsmittelausschluss des § 261 Abs 6 ZPO in engen Grenzen zugelassen, derzufolge der Rechtsmittelausschluss nicht gilt, wenn die ausgesprochene Überweisung den Bestimmungen des § 261 Abs 6 ZPO derart widerspricht, dass der Zweck des dort verfügten Rechtsmittelausschlusses nicht mehr erfüllt wird, wenn also die Überweisung ohne gesetzliche Grundlage erfolgte (4 Ob 43/19f; zu § 261 Abs 6 ZPO: RS0039091).

Eine Ausnahme vom Rechtsmittelausschluss des § 45 JN kommt demgemäß dann in Betracht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung nicht gegeben waren (RS0116856; 4 Ob 43/19f; Mayr in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 45 JN Rz 5).

2.3.2. So wurde die Anwendbarkeit des § 45 JN im Hinblick auf einen Beschluss verneint, mit dem das Bezirksgericht nach vom Beklagten nicht gerügter Klagsausdehnung über die bezirksgerichtliche Wertgrenze seine Unzuständigkeit ausgesprochen und die Klage an den Gerichtshof überwiesen hatte (2 Ob 128/11d). Als ausschlaggebend wurde der mit dem Zweck der Rechtsmittelausschlüsse nach § 45 JN und § 261 Abs 6 ZPO nicht vereinbare gravierende Verstoß gegen elementare Verfahrensgrundsätze angesehen (2 Ob 128/11d). Ebenso wurde der Anfechtungsausschluss in einem Fall als nicht anwendbar angesehen, in dem der Gerichtshof in einer in seine Eigenzuständigkeit fallenden Sache den Streitwert gemäß § 60 JN unter die bezirksgerichtliche Wertgrenze herabgesetzt und die Streitsache dem Bezirksgericht abgetreten hatte (2 Ob 169/02w; RS0116856).

2.3.3. Bei der Annahme des Vorliegens einer Ausnahme vom Anfechtungsausschluss des § 45 JN ist jedoch Zurückhaltung geboten, weil der Gesetzgeber es nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung in Kauf genommen hat, dass selbst schwere Verstöße gegen das Verfahrensrecht im Interesse der Verfahrensökonomie nicht aufgegriffen werden können (4 Ob 43/19f; vgl Schneider in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze³ § 45 JN Rz 14).

2.4. Der Zweitbeklagte macht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO geltend, das Rekursgericht habe dem Beschluss des Erstgerichts in unvertretbarer Weise die Bedeutung der Bejahung der sachlichen Zuständigkeit zugemessen; dieses habe in Wahrheit aber nur seine örtliche Zuständigkeit bejaht.

Die Auslegung des Sinngehalts einer gerichtlichen Entscheidung im Einzelfall ist regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 bzw 528 Abs 1 ZPO (RS0118891).

Hier hat das Erstgericht ausgeführt, dass es seine „für sich betrachtet“ fehlende sachliche sowie hinsichtlich des Zweitbeklagten auch örtliche Zuständigkeit aufgrund des – vom Erstgericht angenommenen – einheitlichen rechtserzeugenden Sachverhalts als gegeben erachte. Die Auslegung des Rekursgerichts, das Erstgericht habe seine sachliche Zuständigkeit bejaht, begründet angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit im erstgerichtlichen Beschluss keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung. Die örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts hat der Zweitbeklagte nicht eingewendet.

2.5. Eine weitere erhebliche Rechtsfrage erblickt der Zweitbeklagte darin, dass das Rekursgericht von der Rechtsprechung zu den Ausnahmen vom Anfechtungsausschluss des § 45 JN abgewichen sei. Dies deshalb, weil das Erstgericht seine sachliche Zuständigkeit aus § 93 JN ableite, obwohl diese Bestimmung nur die örtliche Zuständigkeit regle (vgl Auer in Höllwerth/Ziehensack , Taschenkommentar ZPO, § 93 Rz 21).

2.5.1. Der vorliegende Fall ist der vom Revisionsrekurswerber zitierten Entscheidung 2 Ob 128/11d nicht vergleichbar. Dort wurde die nach § 235 ZPO zu beurteilende (Nicht‑)Zulassung einer Klagsänderung entgegen der grundlegenden gesetzlichen Systematik durch Anwendung der Regeln über die Gerichtszuständigkeit gelöst. Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor.

Der vorliegende Fall ist auch nicht der Entscheidung 2 Ob 169/02w vergleichbar, in der die Anwendung des § 60 JN in einer in die Eigenzuständigkeit des Gerichtshofs fallenden Sache zu beurteilen war.

2.5.2. Das Vorbringen des Revisionsrekurswerbers beschränkt sich hier vielmehr darauf, die Entscheidung des Erstgerichts über die von ihm erhobene Unzuständigkeitseinrede als rechtlich unrichtig zu rügen. Damit wird aber kein Abgehen von der Rechtsprechung zur Ausnahme vom Rechtsmittelausschluss des § 45 JN aufgezeigt. Es wird auch nicht dargetan, dass hier eine Zuständigkeitsentscheidung ohne gesetzliche Grundlage oder unter derart gravierender Verletzung von Verfahrensregeln getroffen worden wäre, dass dadurch der Zweck des Rechtsmittelausschlusses des § 45 JN der Anwendung dieser Bestimmung entgegenstünde. § 45 JN verfolgt ja gerade den Zweck, Zuständigkeitsstreitigkeiten hintanzuhalten und die Überprüfung der Richtigkeit der Bejahung der sachlichen Zuständigkeit auszuschließen (vgl RS0103687).

2.6. Da eine Rechtsfrage der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO nicht dargetan wird, ist der außerordentliche Revisionsrekurs des Zweitbeklagten zurückzuweisen.

3. Die von der Klägerin eingebrachte Revisionsrekursbeantwortung dient nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, weil eine Rechtsmittelbeantwortung nicht freigestellt war (§§ 508a Abs 2 Satz 2 iVm 528 Abs 3 ZPO; 9 ObA 25/15i mwN).

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