Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin brachte beim Erstgericht eine Klage wegen 3.500 EUR wegen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall ein. Das Erstgericht hielt mehrere Verhandlungen ab und holte unter anderem ein ärztliches Sachverständigengutachten ein. In der mündlichen Streitverhandlung vom 20. 1. 2011 dehnte die Klägerin ihr Begehren auf 38.522,79 EUR aus und legte dazu weitere Urkunden vor. Die Beklagte gab eine Urkundenerklärung ab und bestritt ein Vorbringen der Klägerin, um sodann den Einwand der sachlichen Unzuständigkeit zu erheben, soweit der Streitwert 10.000 EUR übersteige. Die Klägerin beantragte daraufhin die „Übertragung des Falls an das LGZ Wien“.
Mit Beschluss vom 15. 3. 2011 wies das Erstgericht die gesamte Klage gemäß § 43 Abs 1 JN zurück und überwies die Rechtssache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin wegen des Rechtsmittelausschlusses gemäß § 45 JN und § 261 Abs 6 ZPO zurück und sprach aus, dass der Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin. Sie argumentiert, der erstinstanzliche Beschluss sei trotz Rechtsmittelausschlusses anfechtbar, weil die qualifizierten rechtlichen Verstöße der Erstrichterin mit dem Zweck des Rechtsmittelausschlusses unvereinbar wären.
Die Beklagte stimmte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung der Rechtsansicht der Klägerin hinsichtlich der Unzulässigkeit des Überweisungsbeschlusses des Erstgerichts zu, beantragte aber dennoch die Ab- bzw Zurückweisung des Rechtsmittels.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
1. Eine Klagserweiterung, die eine Unzuständigkeit bewirken würde, kann nicht zur Zurückweisung der ursprünglichen Klage, sondern nur zur Nichtzulassung der Klagserweiterung führen (vgl 2 Ob 490/59 mwN; RIS-Justiz RS0039419).
2. § 261 Abs 6 ZPO ist auf die Nichtzulassung einer Klagsänderung nicht anzuwenden (2 Ob 204/99k). Wird eine bei einem Bezirksgericht eingebrachte Klage über die bezirksgerichtliche Wertgrenze ausgedehnt, so handelt es sich um ein nach § 235 ZPO zu lösendes Problem der Zulässigkeit der Klagsänderung, bei dem das Zuständigkeitsproblem als Vorfrage zu lösen ist. Es fehlen damit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Überweisung und eine Bindungswirkung (Kodek in Fasching/Konecny 2 § 261 ZPO Rz 138).
3. Gegen einen Beschluss nach § 261 Abs 6 ZPO ist kein Rechtsmittel zulässig. Der Rechtsmittelausschluss des § 261 Abs 6 ZPO gilt aber dann nicht, wenn eine Überweisung ohne gesetzliche Grundlage erfolgt ist, wenn sie also den Bestimmungen des § 261 Abs 6 ZPO derart widerspricht, dass der Zweck des dort verfügten Rechtsmittelausschlusses nicht erfüllt wird. Auch § 45 JN ist dann nicht anzuwenden (2 Ob 169/02w mwN).
Ein derartiger Fall ist hier gegeben. Die Klagszurückweisung und Überweisung des Verfahrens an ein anderes Gericht wegen Klagsausdehnung widerspricht elementaren Prozessgrundsätzen und stellt einen gravierenden Verstoß dar, welcher mit dem Zweck der in § 45 JN und § 261 Abs 6 ZPO normierten Rechtsmittelausschlüsse unvereinbar ist.
4. Gemäß § 235 Abs 2 ZPO bedarf die Klagsänderung nach Eintritt der Streitanhängigkeit der Einwilligung des Gegners; mit dieser Einwilligung ist eine Änderung der Klage auch dann zulässig, wenn das Prozessgericht für die geänderte Klage nicht zuständig wäre, sofern es durch Parteienvereinbarung zuständig gemacht werden könnte oder die Unzuständigkeit nach § 104 Abs 3 JN geheilt wird. Die Einwilligung des Gegners ist als vorhanden anzunehmen, wenn er, ohne gegen die Änderung eine Einwendung zu erheben, über die geänderte Klage verhandelt.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte vor der Erhebung ihrer Unzuständigkeitseinrede jedenfalls durch ihre Urkundenerklärung über die geänderte Klage verhandelt. Es gilt daher die dargelegte (unwiderlegbare) Rechtsvermutung der Einwilligung in die Klagsänderung.
Dem Revisionsrekurs war daher durch Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen Folge zu geben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens (über die erweiterte Klage) aufzutragen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf § 52 ZPO.
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