OGH 6Ob50/13s

OGH6Ob50/13s8.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** K*****, vertreten durch Dr. Andreas Köb, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** AG, *****, vertreten durch Brandl & Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 50.750 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Jänner 2013, GZ 2 R 65/12m-36, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Beratung von Anlegern muss vollständig, richtig, rechtzeitig und für den Kunden verständlich sein, wobei auf dessen persönliche Kenntnisse und Erfahrungen Rücksicht zu nehmen ist; der Kunde muss die Auswirkungen seiner Anlageentscheidung erkennen können (RIS-Justiz RS0123046 [T3]). Die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Beratung ergibt sich dabei jeweils im Einzelfall in Abhängigkeit vom Kunden, insbesondere von dessen Professionalität, sowie vom ins Auge gefassten Anlageobjekt (RIS-Justiz RS0119752 [T6]). Entscheidend sind einerseits die erkennbare Unerfahrenheit und Informationsbedürftigkeit des konkreten Kunden, andererseits die Art des beabsichtigten Geschäfts- bzw Wertpapiers. Je spekulativer die Anlage und je unerfahrener der Kunde, desto weiter reichen die Aufklärungspflichten (RIS-Justiz RS0026135 [T12]).

Eine Bank ist jedoch nicht verpflichtet, einen spekulierenden Kunden zu bevormunden (6 Ob 110/07f). Eine Aufklärung über ein letztlich jeder Fremdveranlagung immanentes Risiko, etwa über eine schadenskausale Veruntreuung des Geldes, ist bei einer Anlageberatung nicht zu verlangen (vgl RIS-Justiz RS0124492).

Vielmehr sind Inhalt und Umfang der Beratungspflicht von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprojekt beziehen. Die konkrete Ausgestaltung der Beratungspflichten hängt damit entscheidend von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0029601 [T9]).

Beim vom Kläger erworbenen Produkt handelt es sich nach seinem Vorbringen um ein 2006 erworbenes Zertifikat der Lehman-Gruppe, wobei eine niederländische Gesellschaft der Gruppe als Emittentin und die Muttergesellschaft als Garantin fungierten.

Der Oberste Gerichtshof hatte sich bereits in mehreren Entscheidungen mit einem anderen Finanzprodukt der Lehman-Gruppe („Dragon FX Garant“) und mit der dieses Produkt bewerbenden Broschüre zu beschäftigen (vgl RIS-Justiz RS0124492 [T2]; 6 Ob 65/11v).

Die Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers samt der mit ihr verbundenen Unternehmen im September 2008 war auch für Fachkreise überraschend, galt sie doch als eine der international renommiertesten Investmentbanken, die bis kurz vor ihrem Zusammenbruch von den drei großen Ratingagenturen übereinstimmend mit einer sehr guten Bonitätseinstufung bewertet wurde und in Amerika als hochgradig systemrelevant galt. Unter diesen Umständen war die in der Werbebroschüre in Form des Ratings enthaltene Information über die Bonität der Emittentin ausreichend und es bedurfte keiner darüber hinausgehenden Aufklärung über das allgemeine Bonitätsrisiko (4 Ob 20/11m mwN; vgl auch 7 Ob 29/11g; 8 Ob 148/10t uva). An dieser Rechtsansicht hat der Oberste Gerichtshof trotz der von Graf (Sind Drachen wirklich so harmlose Tiere?, ecolex 2011, 506) geäußerten Kritik in zahlreichen Entscheidungen festgehalten, sodass mittlerweile von einer gefestigten Rechtsprechung auszugehen ist (2 Ob 68/11b).

Verwirklicht hat sich auch im vorliegenden Fall einzig das Insolvenzrisiko, über das die beklagte Partei im Hinblick auf die Einschätzung durch die Fachkreise im November 2006 nicht aufzuklären hatte. Soweit sich der Kläger darüber hinaus auf eine Verletzung von sonstigen Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten beruft, ist ihm entgegenzuhalten, dass die behaupteten Unterlassungen und daraus allenfalls resultierende Fehlvorstellungen ohnehin nicht schlagend geworden sind (2 Ob 68/11b mwN).

Demnach war eine Aufklärung über das allgemeine Bonitätsrisiko von Emittentin und Garantin nicht erforderlich. Über welche sonstigen „wertpapierspezifischen“ Risken der Kläger durch Übergabe des Emissionsprospekts oder auf andere Weise aufzuklären gewesen wäre, vermag die Revision nicht darzutun.

Ebenso wie der Umfang der Aufklärungspflichten allgemein ist aber auch die Frage, ob im Zuge der Beratung ein Emissionsprospekt zu übergeben ist, eine solche des Einzelfalls. Im Hinblick darauf, dass es sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen beim Kläger um einen sehr interessierten und erfahrenen Anleger handelt, der mündlich ohnehin über wesentliche Eigenschaften des Finanzprodukts aufgeklärt worden ist, ist in der Auffassung der Vorinstanzen, dass hier kein Aufklärungsfehler vorliegt, keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz (vgl RIS-Justiz RS0042963) können vom Obersten Gerichtshof ebenso wenig überprüft werden wie die Beweiswürdigung der Vorinstanzen (vgl RIS-Justiz RS0043371, RS0043162).

Damit bringt die Revision aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

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