Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrte mit ihrer beim Erstgericht am 18. 1. 2011 eingebrachten Mahnklage vom Beklagten die Zahlung von 9.226,25 EUR sA. Sie brachte vor, dass sie den Beklagten in dessen Eigenschaft als faktischer Geschäftsführer der C***** GmbH aus dem Titel des Schadenersatzes ex delicto in Anspruch nehme. Der Beklagte sei gemäß § 12 dritter Fall, § 153d Abs 1 StGB rechtskräftig und mit bindender Wirkung strafgerichtlich für den Deliktszeitraum 1. 9. bis 1. 10. 2009 verurteilt worden. Der auf diesen Zeitraum entfallende Schaden der Klägerin ergebe den Klagsbetrag.
Zur in Anspruch genommenen Zuständigkeit des Erstgerichts führte die Klägerin aus, dass durch die Novellierung der Z 6 des § 51 JN mit der Zivilverfahrens-Novelle (ZVN) 1983, BGBl 1983/135, eine Konzentration der Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen der dort bezeichneten Personen zu Dritten, denen sie sich in ihrer gesellschaftsbezogenen Funktion verantwortlich gemacht hätten, erreicht habe werden soll. Eine Klage, mit der ein Dritter mit der Behauptung eines deliktischen Verhaltens die persönliche Haftung eines faktischen Geschäftsführers für Verpflichtungen der GmbH geltend mache, falle daher in die handelsgerichtliche Zuständigkeit.
Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass unter den Zuständigkeitstatbestand des § 51 Abs 1 Z 6 JN auch eine Klage falle, mit der ein Dritter mit der Behauptung eines deliktischen Verhaltens die persönliche Haftung des Geschäftsführers für Verpflichtungen der GmbH geltend mache. Zuständigkeitsbegründend sei dabei die Eigenschaft des Beklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft, die gemäß § 15 GmbHG durch Beschluss der Gesellschaft zu erfolgen habe und ins Firmenbuch einzutragen sei. Eine solche Geschäftsführerbestellung des Beklagten sei aber nach den Angaben der Klägerin nicht erfolgt, nehme diese doch den Beklagten bloß als faktischen Geschäftsführer in Anspruch. Da auch sonst keine Grundlage für die Kausalgerichtsbarkeit in Handelssachen zu erkennen sei, sei die Klage zurückzuweisen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dass mit der durch die ZVN 1983 novellierten Bestimmung des § 51 Abs 1 Z 6 JN die handelsgerichtliche Zuständigkeit auf Rechtsstreitigkeiten aus Rechtsverhältnissen zwischen Organen und Mitgliedern von Handelsgesellschaften zu Dritten, denen sie sich in dieser Eigenschaft verantwortlich gemacht haben, ausgedehnt worden sei. In den EB ([richtig: im JAB] 1337 BlgNR 15. GP 4) werde dazu ausgeführt, dass Angestellte einer Gesellschaft, die sich deren Vertragspartnern, also Dritten, durch rechtswidriges Verhalten im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft verantwortlich gemacht haben, nach § 51 Abs 1 Z 3 JN - so wie die Gesellschaft selbst - vor dem Handelsgericht geklagt werden könnten. Für die Vorstandsmitglieder, die Geschäftsführer und sonstigen Funktionäre oder die Mitglieder einer Gesellschaft, die sich im Rahmen ihrer Tätigkeiten Dritten gegenüber verantwortlich gemacht hätten, fehle nach herrschender Rechtsprechung eine solche Bestimmung; sie könnten wegen dieser deliktischen Schädigung nur vor dem allgemeinen Gericht geklagt werden. Es sollte daher in der Z 6 des § 51 Abs 1 JN nach dem Vorbild der Z 3 auch das Rechtsverhältnis der hier genannten Personen zu Dritten in die Handelsgerichtsbarkeit einbezogen werden (vgl auch 10 Ob 333/99i). Vorliegend mache die Klägerin eine Haftung des Beklagten als „faktischer Geschäftsführer“ aus dem Titel des Schadenersatzes ex delicto geltend. Als faktische Geschäftsführer würden nach Lehre und Rechtsprechung (8 Ob 124/07d mwN) Personen verstanden, die das Unternehmen tatsächlich leiteten, ohne wirksam zum Geschäftsführer bestellt zu sein. Häufig handle es sich dabei um den Mehrheits- oder Alleingesellschafter, der die Geschäfte tatsächlich leite, sodass der formell bestellte Geschäftsführer „nichts mehr zu sagen habe“. Es seien aber auch Nichtgesellschafter in der Stellung des faktischen Geschäftsführers beobachtbar. Häufig übten ehemalige Gemeinschuldner oder Geschäftsführer gemeinschuldnerischer Gesellschaften die faktische Geschäftsführung im Unternehmen der Gattin oder naher Verwandter aus. Zwar habe durch die Einbeziehung von Streitigkeiten der in § 51 Abs 1 Z 6 JN bezeichneten Personen zu Dritten eine gewisse Konzentration der aus der Geschäftstätigkeit einer Handelsgesellschaft entstandenen Streitigkeiten vor dem Kausalgericht herbeigeführt werden sollen, doch sei der faktische Geschäftsführer gerade nicht als Mitglied der Handelsgesellschaft anzusehen; dessen Subsumtion unter den Zuständigkeitstatbestand des § 51 Abs 1 Z 6 JN gehe über den äußersten Wortsinn dieser Bestimmung hinaus. Es liege aber auch keine planwidrige Lücke vor, die eine analoge Anwendung auf faktische Geschäftsführer rechtfertige. § 51 Abs 1 Z 3 JN sehe nämlich eine handelsgerichtliche Zuständigkeit für andere nicht unter § 51 Abs 1 Z 6 JN fallende Personen nur vor, wenn diese entweder als Prokurist, Handlungsbevollmächtigter, Handlungsgehilfe oder als Scheinvertreter aufgetreten seien. Damit nehme der Gesetzgeber bewusst in Kauf, dass deliktische Schädigungen Dritter durch andere Personen vor den allgemeinen Gerichten geltend zu machen seien. Auch die Arbeitsgerichtssachen fielen schon nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht in die handelsgerichtliche Zuständigkeit. Eine Konzentration aller aus einer Geschäftstätigkeit einer Handelsgesellschaft entstandenen Streitigkeiten sei somit eindeutig nicht Ziel des § 51 Abs 1 Z 3 und 6 JN. Faktische Geschäftsführer würden überdies auch in der Rechtsprechung nicht zwingend mit den organschaftlichen Geschäftsführern gleichgesetzt. So seien rechtsgeschäftliche Handlungen der faktischen Geschäftsführer ausschließlich nach vollmachtsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Der faktische Geschäftsführer habe keine Befugnis, die GmbH im rechtsgeschäftlichen Verkehr organschaftlich zu vertreten (2 Ob 238/09b). Eine Haftung des Beklagten als Handlungsbevollmächtigter, Handlungsgehilfe oder Scheinvertreter iSd § 51 Abs 1 Z 3 JN sei in der Klage nicht behauptet worden; derartiges könne auch aus der Bezeichnung als faktischer Geschäftsführer nicht abgeleitet werden. Der Rekurs sei daher nicht berechtigt.
Das Rekursgericht sprach aus, das der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage der Zuständigkeit nach § 51 Abs 1 Z 6 JN bei Inanspruchnahme eines faktischen Geschäftsführers noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zur Kausalgerichtsbarkeit in Handelssachen gehören gemäß dem von der Klägerin allein in Anspruch genommenen § 51 Abs 1 Z 6 JN Streitigkeiten aus dem Rechtsverhältnis zwischen den Mitgliedern einer Handelsgesellschaft oder zwischen dieser und ihren Mitgliedern, zwischen den Mitgliedern der Verwaltung und den Liquidatoren der Gesellschaft und der Gesellschaft oder deren Mitgliedern, zwischen dem stillen Gesellschafter und dem Inhaber des Unternehmens, zwischen den Teilnehmern einer Vereinigung zu einzelnen unternehmensbezogenen Geschäften für gemeinschaftliche Rechnung sowie Streitigkeiten aus Rechtsverhältnissen aller dieser Personen zu Dritten, denen sie sich in dieser Eigenschaft verantwortlich gemacht haben, und zwar in allen diesen Fällen sowohl während des Bestands als auch nach der Auflösung des gesellschaftlichen Verhältnisses, sofern es sich nicht um eine Arbeitsrechtssache handelt.
2. § 51 Abs 1 Z 6 JN geht auf die Zivilverfahrens-Novelle (ZVN) 1983, BGBl 1983/135, zurück. Mit diesem Zuständigkeitstatbestand sollte die handelsgerichtliche Zuständigkeit auf Rechtsstreitigkeiten aus Rechtsverhältnissen zwischen Organen und Mitgliedern von Handelsgesellschaften zu Dritten, denen sie sich in dieser Eigenschaft verantwortlich gemacht haben, ausgedehnt werden. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien (JAB 1337 BlgNR 15. GP 4) ergibt, sollte damit die Möglichkeit geschaffen werden, derartige Organe oder Gesellschafter, die sich im Rahmen ihrer gesellschaftsbezogenen Tätigkeit Dritten gegenüber verantwortlich gemacht haben, wegen deliktischer Schädigung der Handelsgerichtsbarkeit zu unterstellen (2 Ob 601/90). Damit sollte - soferne es sich nicht um Arbeitsrechtssachen handelt - offenbar eine gewisse Konzentration solcher Streitigkeiten vor den Kausalgerichten herbeigeführt werden (6 Ob 526/95).
3. Ansprüche des Sozialversicherungsträgers ex delicto gegen eine der in § 51 Abs 1 Z 6 JN genannten Personen wegen vorenthaltener Beiträge gehören ihrer Art nach vor die Kausalgerichte (vgl 7 Ob 532/92 [dort auch Bürgschaft]; Schalich, Überblick über die Zivilverfahrensnovelle 1983, ÖJZ 1983, 253 [257]; Simotta in Fasching 2 § 51 JN Rz 108).
4. Die danach verbleibende, vom Rekursgericht und von der Klägerin für erheblich erachtete Rechtsfrage, ob auch der „faktische Geschäftsführer“ (zumindest per analogiam) zu den in § 51 Abs 1 Z 6 JN genannten Personen zu zählen ist, muss hier nicht abschließend geklärt werden:
4.1. Die gesetzliche Regelung für die Vertretung einer GmbH findet sich in § 18 Abs 1 GmbHG, wonach die Gesellschaft „durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten wird. Die Geschäftsführer erlangen ihre körperschaftsrechtliche Funktion als vertretungsbefugte Organe durch ihre Bestellung, die entweder durch Beschluss der Gesellschafter oder - wenn Gesellschafter zu Geschäftsführern bestellt werden - im Gesellschaftsvertrag erfolgen kann (§ 15 Abs 1 GmbHG; vgl RIS-Justiz RS0027940, RS0059816). Ihre Eintragung im Firmenbuch hat nur deklarative Bedeutung (8 Ob 84/03s; RIS-Justiz RS0059880; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 [2007] § 15 Rz 7). Die Vertretungsmacht der Geschäftsführer ist ausschließlich; der einzelne Gesellschafter ist bloß aufgrund dieser Eigenschaft, also ohne zum Geschäftsführer bestellt oder bevollmächtigt zu sein, zur Vertretung der Gesellschaft - von Sonderkompetenzen abgesehen - nicht befugt (2 Ob 238/09b GesRZ 2011, 43 [Frenzel/Schörghofer] = NZ 2011/4 = wbl 2011/39 = ecolex 2010/435; 6 Ob 170/07d; RIS-Justiz RS0108225, RS0049150; Koppensteiner/Rüffler aaO § 18 Rz 5; U. Torggler in Straube, GmbHG [2008] § 18 Rz 6 und 9; Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht I2 [1997] Rz 2/191).
4.2. Demgegenüber hat die Rechtsfigur des „faktischen Geschäftsführers“ in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, aber auch in der Lehre vor allem im Zusammenhang mit der Frage der deliktischen Haftung für seine Handlungen und Unterlassungen Bedeutung erlangt (2 Ob 238/09b mzN GesRZ 2011, 43 [Frenzel/Schörghofer] = NZ 2011/4 = wbl 2011/39 = ecolex 2010/435; 8 Ob 124/07d; 8 Ob 108/08b; RIS-Justiz RS0123113 [Haftung für Konkursverschleppung]; 6 Ob 704/89 = ecolex 1990, 419; 8 ObA 98/00w [Haftung gemäß § 25 GmbHG]; vgl auch RIS-Justiz RS0084661; RS0095015, RS0096108 [Strafrechtliche Verantwortlichkeit]; Thöni, Zur Verantwortlichkeit des GmbH-Gesellschafters [II], GesRZ 1987, 126; Ruhm/Toms, Zur Haftung von faktischen Geschäftsführern und Nichtgesellschaftern, ecolex 2009, 682 [Entscheidungsbesprechung zu 8 Ob 108/08b]).
4.3. Im Schrifttum wird der „faktische Geschäftsführer“ zumeist als Person definiert, die das Unternehmen leitet, ohne wirksam zum Geschäftsführer bestellt worden zu sein (vgl Harrer, Haftungsprobleme bei der GmbH [1990] 190; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Insolvenzrecht4 II/2 [2004] § 69 Rz 183). Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der „faktische Geschäftsführer“ gleichzeitig auch Gesellschafter ist (vgl 8 Ob 124/07d, 8 Ob 108/08b). Als Beispiel für einen „faktischen Geschäftsführer“ wird häufig der Fall genannt, dass die eigentlich bestellten Geschäftsführer als Strohmänner ihre Organfunktionen nicht ausüben und stattdessen ein anderer (meist ein Mehrheitsgesellschafter) die Gesellschaft tatsächlich leitet, wobei zumeist auch ein nach außen erkennbares Gerieren wie ein Geschäftsführer als erforderlich erachtet wird (2 Ob 238/09b mzN GesRZ 2011, 34 [Frenzel/Schörghofer] = NZ 2011/4 = wbl 2011/39 = ecolex 2010/435).
4.4. Damit zeichnet sich der gesetzlich nicht näher determinierte Begriff des faktischen Geschäftsführers durch ein vielschichtiges, rechtlich keineswegs exakt umrissenes Verständnis aus. In Hinblick auf die von der neueren Rechtsprechung (vgl abermals 2 Ob 238/09b) betonten deutlichen Unterschiede zwischen dem faktischen Geschäftsführer und organschaftlichen Vertretern erscheint eine erweiternde Auslegung des § 51 Z 6 JN dahin, dass diese Bestimmung auch den faktischen Geschäftsführer umfasst, nicht möglich. Eine andere Auslegung würde die Klärung der Zuständigkeit mit erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten belasten. Ein derartiges Verständnis wäre der Rechtssicherheit nicht förderlich, soll doch die Zuständigkeit des Gerichts möglichst einfach und klar umrissen sein.
5.1. Im Übrigen hat die Klägerin im vorliegenden Fall eine Stellung des Beklagten als „faktischer Geschäftsführer“ auch nicht durch ein ausreichendes Tatsachensubstrat konkretisiert:
In strafrechtlicher Hinsicht haftet der faktische Geschäftsführer einer GmbH, etwa für seine kridaträchtige Geschäftsführung, als unmittelbarer Täter (RIS-Justiz RS0095015). Auch dem bloß faktischen Geschäftsführer einer GmbH, zu dessen tatsächlich übernommenen Agenden das Einbehalten und die Abführung von Dienstnehmeranteilen an Sozialversicherungsbeiträgen zählt, kommt Subjektqualität nach § 153c Abs 1 und 2 StGB zu (14 Os 100/08z; RIS-Justiz RS0084661; zu § 153d StGB s Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 153d Rz 5 ff). Andere Personen kommen mangels der das Unrecht bestimmenden Subjektsqualität (§ 14 Abs 1 StGB) nur als Bestimmungs- oder Beitragstäter nach § 12 zweiter und dritter Fall StGB in Betracht (14 Os 100/08z; Kirchbacher/Presslauer aaO Rz 9).
5.2. Hier hat die Klägerin behauptet, der Beklagte sei gemäß § 12 dritter Fall, § 153d Abs 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Aus dem Klagsvorbringen folgt demnach, dass der Beklagte gerade nicht als unmittelbarer Täter, was auf eine Tätigkeit als faktischer Geschäftsführer hindeuten könnte, sondern (nur) als sonstiger Beitragstäter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde; dies spricht aber gerade gegen die von der Beklagten behauptete Funktion des Beklagten als angeblich faktischer Geschäftsführer.
6. Damit erweist sich der angefochtene Beschluss als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war.
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