European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00129.16P.1129.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,24 EUR (davon 156,54 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Der Kläger wurde am 31. 3. 2013 im Pflegschaftsverfahren der minderjährigen Tochter der Beklagten zum Sachverständigen mit dem Auftrag bestellt, Befund und Gutachten darüber zu erstatten, ob die Gewaltvorwürfe der Minderjährigen gegenüber ihrem Vater erlebnisfundiert oder erfunden sind. Er vereinbarte mehrfach mit der Beklagten Termine zur Befundaufnahme. Die Beklagte sagte alle Termine ab, sodass es zu einer Befundaufnahme nicht kam.
In dieser Pflegschaftssache erstattete der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 15. 7. 2013 über Aufforderung der Richterin sein Gutachten. Er wies mehrmals darauf hin, das Kind nicht befundet zu haben, sondern sich nur auf den Akt, die Vorgutachten und den Versuch einer Beobachtung der Interaktion zwischen dem Vater und seinem Kind anlässlich einer Ausübung seines Kontaktrechts zu stützen. Damals hatte die Beklagte den Kontakt mit dem Vater sofort abgebrochen, als sie den Kläger bemerkt hatte. Eine Interaktion zwischen Vater und Kind war deshalb nicht möglich. Aufgrund dieses Gutachtens hob das Pflegschaftsgericht mit Beschluss vom 17. 7. 2013 die vorläufige Einschränkung des Kontaktrechts auf, sodass dem Vater unbegleitete Kontakte mit seiner Tochter zustanden. Der Beschluss erwuchs in Rechtskraft. Die Beklagte verhinderte jedoch die Ausübung des gerichtlich festgesetzten Kontaktrechts, weshalb über sie Strafen von insgesamt 3.000 EUR verhängt wurden.
Mit Schriftsatz vom 29. 7. 2013 zeigte die von einer Rechtsanwältin – der Schriftsatzverfasserin – vertretene Beklagte den Kläger bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachts der Urkundenfälschung, des Amtsmissbrauchs und der falschen Beurkundung im Amt an, „dies alles aufgrund des angeblich falschen Gutachtens“.
Die Staatsanwaltschaft Wien benachrichtigte den Kläger von der Einstellung des Verfahrens mit Schreiben vom 6. 8. 2016. Der Kläger sei kein Amtssachverständiger. Ein falsches Gutachten sei daher nicht nach § 302 StGB, sondern nach § 288 StGB (falsche Beweisaussage) zu prüfen. Der Kläger habe seine Ausführungen inhaltlich gut begründet und auch auf die Zwischengutachten hingewiesen. Das Pflegschaftsgericht habe die Ausführungen als schlüssig angesehen. Es liege daher nicht einmal der Anfangsverdacht einer Straftat nach § 288 StGB vor. Es könne höchstens eine Lugurkunde erstellt worden sein, jedoch keine falsche oder verfälschte Urkunde. Die Staatsanwaltschaft hielt fest: „Insgesamt ist klar ersichtlich, dass die gegenständliche Anzeige lediglich der Herabsetzung des [Klägers] zur Eröffnung einer Nebenfront im Pflegschaftsverfahren dient, wo die Anzeigerin offensichtlich keine Erfolge verzeichnen kann.“
Daraufhin ließ die Beklagte durch ihre Rechtsanwältin einen Fortführungsantrag stellen, in dem sie zudem den Verdacht der falschen Beweisaussage anführte. Über diesen Antrag wurde vom Gericht nicht entschieden, weil die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen hinsichtlich der falschen Beweisaussage fortsetzte. Mit Schreiben vom 5. 11. 2013 wurde das Verfahren mangels eines strafrechtlichen Verhaltens eingestellt.
Bei Einbringung der Strafanzeige und des Fortführungsantrags ging die Beklagte davon aus, dass diese gerechtfertigt seien.
Am 5. 2. 2014 brachte die durch ihre Rechtsanwältin vertretene Beklagte beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien Klage gegen den Beklagten ein, mit der sie den Ersatz der über sie im Pflegschaftsverfahren verhängten Strafen von 3.000 EUR begehrte. Der Beklagte habe diese durch sein falsches Gutachten verursacht.
Nach der Zustellung der Klage erklärte sich der Kläger im Pflegschaftsverfahren für befangen.
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wies die Klage ab, weil es ständiger höchstgerichtlicher Judikatur entspräche, dass derjenige, über den aufgrund eines gesetzwidrigen Verhaltens von einer Behörde eine Strafe verhängt worden sei, diese Strafe nicht im Rahmen des Schadenersatzes auf Dritte überwälzen könne, da dies Sinn und Zweck der Rechtsordnung widerspräche. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft.
Die Beklagte wusste nicht, dass „das Einklagen einer Ordnungsstrafe als Schadenersatz nicht möglich sei“. Ob es ihr bei der Einbringung der Klage darauf ankam, dass der Kläger sich im Pflegschaftsverfahren für befangen erklären müsse, kann nicht festgestellt werden. Sie hatte sich vor der Einbringung der Strafanzeige, des Fortsetzungsantrags und der Klage mit ihrer Rechtsanwältin beraten. Was ihr die Rechtsanwältin mitteilte, kann nicht festgestellt werden. Die Beklagte war zu jedem Zeitpunkt überzeugt, dass das Gutachten des Klägers inhaltlich falsch war.
Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz von 12.449,38 EUR Verdienstentgang und der Kosten der Verteidigung von 513 EUR. Die Beklagte habe ihm durch die wissentlich falsche Strafanzeige und durch eine missbräuchliche und in Schädigungsabsicht getätigte Klagsführung einen erheblichen Schaden zugefügt. Er sei gezwungen gewesen, sich ernst und intensiv mit der Strafanzeige auseinanderzusetzen, sodass ihm Arbeitszeit verloren gegangen sei. Der Beklagten sei es auch darauf angekommen, durch die Einbringung der Strafanzeige und der Klage eine Befangenheit des Klägers im Pflegschaftsverfahren herbeizuführen. Die Beklagte müsse sich das Verhalten ihrer Rechtsvertreter zurechnen lassen. Die wissentliche rechtsmissbräuchliche Klagsführung ergebe sich bereits aus der vorauszusetzenden Kenntnis eines nach ständiger Rechtsprechung fehlenden Rechtsanspruchs vor Klagseinbringung in Verbindung mit dem intendierten eigentlichen Verfahrensziel, nämlich der Befangenheit des Klägers.
Das Erstgericht traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und wies die Klage ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Den Feststellungen sei nicht zu entnehmen, dass die Strafanzeige und der Fortsetzungsantrag wider besseres Wissen oder allenfalls rechtsmissbräuchlich erfolgt seien, sodass diese Handlungen der Beklagten nicht haftungsbegründend seien. Die Beklagte müsse im Rahmen der Haftung für rechtsmissbräuchliche Prozesshandlungen auch für Fehler ihrer Rechtsanwältin einstehen. Die vom Prozessgericht im klagsabweisenden Urteil im Vorprozess zitierte Judikatur (RIS‑Justiz RS0026746) betreffe Strafansprüche des Staats, nicht aber eine Strafe zur Rechtsdurchsetzung. Von einer aussichtslosen Rechtsansicht könne deshalb nicht ausgegangen werden. Der Kläger habe nicht bewiesen, dass die Klage nur eingebracht worden sei, um auf den Kläger Druck auszuüben, sich im Pflegschaftsverfahren für befangen zu erklären.
Nachträglich ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision zu. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob bei einem Begehren auf Ersatz einer Geldstrafe, bei der es sich um einen Fall der Rechtsdurchsetzung (Durchsetzung eines Kontaktrechts über Betreiben des Kontaktrechtsberechtigten) handelt, von einer aussichtslosen Rechtsverfolgung bzw unvertretbaren Rechtsansicht gesprochen werden könne.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten beantwortete Revision der klagenden Partei ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Eine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) zeigen die Ausführungen der Revision nicht auf.
Der Kläger führt in seiner Rechtsrüge aus, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, dass schwerwiegende Fehler des Rechtsanwalts der Partei zuzurechnen seien. Die rechtliche Beurteilung der Rechtsanwältin der Beklagten im Strafverfahren, der Kläger habe sich durch seine Gutachtertätigkeit im Pflegschaftsverfahren der Urkundenfälschung, der falschen Beweisaussage und des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht, sei ebenso unvertretbar wie die Beratung der Beklagten, das Einklagen einer Ordnungsstrafe aus dem Titel des Schadenersatzes sei möglich. Die Rechtsanwältin hätte die Beklagte aufklären müssen, dass der einseitig subjektive Vorwurf der Beklagten, das Gutachten des Klägers sei falsch, niemals den Vorwurf einer strafbaren Handlung rechtfertigen könne. Der Beklagten sei zuzurechnen, dass auch die Rechtsanwältin hätte erkennen können, dass „die gegenständliche Anzeige lediglich der Herabsetzung des [Klägers] zur Eröffnung einer Nebenfront im Pflegschaftsverfahren dient, wo die Anzeigerin offensichtlich keine Erfolge verzeichnen kann“. Sowohl der Klägerin als auch ihrer Rechtsanwältin hätte bewusst sein müssen, dass die Strafanzeige und der Fortführungsantrag wider besseres Wissen und rechtsmissbräuchlich erfolgten. Die gegenteilige Beurteilung widerspreche nach dem festgestellten Sachverhalt den Denkgesetzen.
1. Gemäß § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB haftet der Mitteilende nicht für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit er nicht kennt, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte. Strafanzeigen an die zuständigen Stellen sind nach dieser Norm grundsätzlich gerechtfertigt, es sei denn, die Beschuldigung wird vom Anzeiger wider besseres Wissen erhoben (6 Ob 226/05m mwN). Die Beweislast für die Kenntnis der Unwahrheit trifft den Kläger (RIS‑Justiz RS0105665). Eine besondere Sorgfaltspflicht des Anzeigers in der Richtung, die vorliegenden Verdachtsgründe auf ihre Stichhältigkeit zu prüfen und das Für und Wider selbst abzuwägen, besteht hingegen nicht. Es genügt daher grundsätzlich das Vorliegen nicht offenkundig bereits widerlegter Verdachtsgründe für die Annahme, dass eine Strafanzeige nicht wider besseres Wissen und somit rechtmäßig erstattet wurde (4 Ob 210/15h; RIS‑Justiz RS0031957). Die Ausführung des Berufungsgerichts, den Feststellungen sei nicht zu entnehmen, dass die Strafanzeige und der Fortsetzungsantrag wider besseres Wissen eingebracht worden seien, ist dem vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Tatsachenbereich zuzuordnen, bringt sie doch zum Ausdruck, dass dem Kläger der Beweis des Bewusstseins der Unwahrheit nicht gelungen ist. Dass die Rechtsanwältin in der Strafanzeige und im Fortsetzungsantrag wissentlich falsche Tatsachen mitteilte oder sie wusste, dass das Verhalten des Klägers den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung nicht erfüllte, wurde nicht nachgewiesen.
2. An sich ist jedermann berechtigt, sich zur Durchsetzung eigener oder zur Abwehr fremder Ansprüche in einen Rechtsstreit einzulassen. Eine über die Kostenersatzpflicht hinausgehende Verpflichtung zum Ersatz der durch die Prozessführung verursachten Schäden an einen Dritten ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der im Verfahren Unterlegene wusste oder wenigstens wissen musste, dass sein Rechtsstandpunkt entweder der tatsächlichen Voraussetzungen entbehrt oder schon an sich unhaltbar ist, sodass sein gegenteiliger Standpunkt bei zumutbarer Aufmerksamkeit als schlechthin aussichtslos erscheinen muss, oder er den Prozess gar überhaupt wider besseres Wissen oder mutwillig geführt hat (RIS‑Justiz RS0022840 [T11]; vgl 4 Ob 37/16v). Eine gutgläubige Anrufung des Gerichts wird vermutet, weshalb bei der Beurteilung der Frage, ob ein Prozess mutwillig oder nur unter Außerachtlassung der zu beobachtenden Sorgfalt geführt wurde, (zu Lasten des Geschädigten) ein strenger Maßstab angelegt werden muss (RIS‑Justiz RS0022777). Der Geschädigte muss behaupten und beweisen, dass der Schädiger den Prozess schuldhaft rechtswidrig führte (1 Ob 223/03f; RIS‑Justiz RS0022777 [T2]).
Dass die Vertreterin der Beklagten davon ausging, dem Begehren auf Ersatz der im Pflegschaftsverfahren verhängten Geldstrafen (§ 110 Abs 2 iVm § 79 Abs 2 Z 1 AußStrG) fehle die Rechtsgrundlage, behauptete der Kläger nicht.
Nur wenn die konkrete Rechtslage bei Aufwendung der gehörigen Aufmerksamkeit so klar ist, dass der gegenteilige Standpunkt schlechthin aussichtslos scheinen muss, wird ein Verfahren missbraucht, wenn seine Möglichkeiten in Anspruch genommen werden, obwohl in Wahrheit nichts Zweifelhaftes zu klären ist (RIS‑Justiz RS0022804).
Die Aussichtslosigkeit der Klage der Beklagten begründet der Kläger mit dem Rechtssatz RIS‑Justiz RS0026746. Nach diesem ist „der Strafanspruch des Staats, dem der Kläger Genüge leisten musste (Geldstrafe), kein ziviler Schadenersatzanspruch, dessen Befriedigung der Bestrafte im Rückgriffsweg auf einen anderen überwälzen könnte“. In den drei unter diesem Rechtssatz bezogenen Entscheidungen (2 Ob 662/57 JBl 1958, 400; 1 Ob 89/73; 6 Ob 281/02w) ging es um den Ersatz von Geldstrafen, die wegen gerichtlich oder verwaltungsrechtlich strafbarer Handlungen verhängt worden waren. Geldstrafen nach § 110 Abs 2 iVm § 79 Abs 2 Z 1 AußStrG sind hingegen Beugemittel, deren Zweck es nicht ist, die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung zu bestrafen, sondern dieser Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RIS‑Justiz RS0007310 [T10]).
Dass die Vertreterin der Beklagten aus der Rechtsprechung zu RIS‑Justiz RS0026746 nicht den Schluss zog, dass ein Begehren auf Ersatz der über die Beklagte verhängten Geldstrafen aussichtslos ist, ist ihr bei Anlegung eines (zu Lasten des Geschädigten gebotenen) strengen Maßstabs nicht vorwerfbar. Es ist ihr zuzubilligen, dass diese Vorentscheidungen den Ersatz von Beugestrafen nicht behandeln.
3. Die Zurückweisung konnte sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat nach dem Inhalt ihrer Ausführungen hinreichend deutlich auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)