OGH 5Ob97/24m

OGH5Ob97/24m29.7.2024

Der Oberste Gerichtshof als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.150 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 13. März 2024, GZ 6 R 20/24v‑49, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schärding vom 29. November 2023, GZ 3 C 397/20b‑44, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00097.24M.0729.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 17. 5. 2019 einen gebrauchten PKW Audi A4 Avant 3.0 TDI um 20.500 EUR, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 897angetrieben wird. Das Fahrzeug verfügt über ein Abgasreinigungssystem, in dem ein sogenanntes „Thermofenster“ verbaut ist, das bewirkt, dass das Abgasreinigungssystem nur zwischen 17 Grad Celsius und 33 Grad Celsius zur Gänze aktiv ist.

[2] Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs und stellt ein Software‑Update zu Verfügung, nach dessen Installation die Abgasreinigung zwischen 5 Grad Celsius und +33 Grad Celsius vollständig aktiv ist. Der Kläger hat dieses Update nicht durchführen lassen. Durch ein solches Software‑Update wäre eine „Höhenabschaltung“ eingerichtet worden, die bewirkt, dass die Abgasrückführungsrate über 1.000 Höhenmeter reduziert wird. Ob das Fahrzeug bereits bei seiner Auslieferung über eine solche „Höhenabschaltung“ verfügte, konnte nicht festgestellt werden.

[3] In dem Fahrzeug ist auch eine „Taxifunktion“ verbaut. Diese bewirkt, dass sich das Abgasreinigungssystem abschaltet, wenn der Motor mehr als 15 Minuten lang ohne Drehzahländerung und im Stillstand läuft.

[4] Wären am 17. 5. 2019 einem Autokäufer (fiktiv) zwei völlig idente Fahrzeuge angeboten worden, von denen eines eine nicht verordnungskonforme Software aufgewiesen hätte, allerdings mit der Zusage, dass dieser Mangel durch ein Software‑Update saniert wird, dann hätte dieses Fahrzeug um 10 % günstiger auf dem Markt angeboten werden müssen.

[5] Der Kläger begehrt von der Beklagten 6.150 EUR. Soweit für das Rekursverfahren wesentlich brachte er vor, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeliefert worden, aufgrund der die Abgasrückführung im überwiegenden Teil des Jahres nicht wirksam sei.Auch die „Höhenabschaltung“ und die „Taxifunktion“ entsprächen nicht den Vorgaben der VO 715/2007/EG und seien daher unzulässig. Die Beklagte hafte wegen listiger Irreführung nach § 874 ABGB und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB. Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG schütze auch reine Vermögensinteressen. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte er das Fahrzeug um einen 30 % geringeren Kaufpreis erworben, weil es entsprechend weniger wert gewesen sei. Das angebotene Software‑Update hätte die Überschreitung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb nicht beseitigt.

[6] Die Beklagte bestritt das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen; jedenfalls treffe sie kein Verschulden. Das Thermofenster erfülle den Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 lit a der VO 715/2007/EG und sei zulässig. Das Fahrzeug sei auch nicht von einem verbindlichen Rückrufbescheid des Kraftfahrt‑Bundesamts erfasst. Die EG‑Typengenehmigung für den gegenständlichen Fahrzeugtyp sei nach wie vor aufrecht; ein Zulassungsentzug nicht zu befürchten. Weder eine Täuschung noch eine sittenwidrige Schädigungshandlung durch die Beklagte lägen vor. Der Kläger habe das Fahrzeug ohne Einschränkungen nutzen können und auch nicht verkauft, sodass kein Schaden eingetreten, jedenfalls aber nicht bezifferbar sei. Im Weg des Vorteilsausgleichs sei zu berücksichtigen, ob bzw wie lange der Kläger das Fahrzeug uneingeschränkt benützen habe können („Nutzungsvorteil“).

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da das Fahrzeug am Prüfstand den Grenzwert einhalte, erfülle es (zumindest nach dem [Anm: angebotenen, aber vom Kläger nicht durchgeführten] Software‑Update) den Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG . Die Abschalteinrichtung sei auch nicht unzulässig, weil sie nur unter 5 Grad Celsius und über 33 Grad Celsius aktiv sei. Voraussetzung für die Aktivierung der „Taxifunktion“ sei, dass der Motor mehr als 15 Minuten lang im Stillstand ohne Drehzahländerung laufe, was aber gegen § 102 Abs 4 KFG verstoße. Vom Verbot des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG seien gesetzwidrige Betriebsarten nicht erfasst.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es stellte klar, dass nach den Feststellungen im Fahrzeug nach wie vor ein „Thermofenster“ verbaut sei, welches bewirke, dass das Abgasreinigungssystem nur zwischen 17 Grad Celsius und 33 Grad Celsius zur Gänze aktiv ist. Das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Software‑Update hätte zwar dazu geführt, dass die Abgasreinigung zwischen 5 Grad Celsius und 33 Grad Celsius vollständig aktiv sei.Zur Durchführung des Software‑Updates sei der Kläger aber nicht verpflichtet gewesen, weil auch ein solches „Thermofenster“ nach der engen Auslegung des EuGH den Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG nicht erfülle und unzulässig sei.

[9] Abschalteinrichtung sei nach der Begriffsbestimmung des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, mit dem die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert werde. Damit sei die Verwendung des Fahrzeugs unter tatsächlichen Fahrbedingungen, wie sie im Unionsgebiet üblich seien, gemeint. Das sei bei einem Laufenlassen des Motors im Stand und ohne Drehzahländerung über 15 Minuten nicht der Fall, sodass bei der „Taxifunktion“ nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sei.

[10] Der individuelle Käufer eines Kraftfahrzeugs habe gegen den Hersteller Anspruch darauf, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (dem Thermofenster) im Sinn des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausgestattet sei. Diese Bestimmungen schützten neben den allgemeinen Rechtsgütern auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers, sodass der Beklagten als Herstellerin eine objektive Schutzgesetzverletzung zur Last zu legen sei. Der EuGH habe in der Rechtssache C‑100/21 , QB gegen Mercedes Benz‑Group AG, den Eintritt eines objektiv abstrakt zu ermittelnden Schadens allein aufgrund des Kaufvertrags bejaht. Da das Fahrzeug bei Erwerb durch den Kläger aufgrund des „Thermofensters“ latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet sei, sei ein Schaden grundsätzlich zu bejahen. Der Oberste Gerichtshof gehe dabei aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität von einer Untergrenze von 5 % und aus Gründen unionsrechtlicher Verhältnismäßigkeit von einer Obergrenze von 15 % aus.

[11] Ein Schadenseintritt wäre aber dann zu verneinen, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug konkret dem Willen des Käufers entsprochen hätte. Die Beweislast dafür treffe die Beklagte. Zum dazu erstatteten – widersprechenden – Parteienvorbringen habe das Erstgericht keine Feststellungen getroffen.

[12] Die Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung nach § 1311 ABGB setze zudem ein Verschulden voraus, wobei infolge der Beweislastumkehr der Schädiger nachzuweisen habe, dass ihn an der Übertretung kein Verschulden treffe. Die Beklagte habe insoweit ein ausreichendes Vorbringen erstattet, sodass das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren auch dazu ergänzende Feststellungen zu treffen haben werde.

[13] Auch zum eingewendeten Vorteilsausgleich erachtete das Berufungsgericht – der Judikatur des BGH folgend – weitere Feststellungen für erforderlich. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs und die damit bis zum Schluss der Verhandlung zurückgelegten Kilometer seien festzustellen, weil der Gebrauchsnutzen des Käufers in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen sei. Festzustellen sei auch der Restwert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung. Zu ermitteln sei weiters, ob und inwieweit die Summe aus diesen Beträgen den gezahlten Kaufpreis abzüglich des ermittelten Minderwerts übersteige. Die darüber hinausgehende Differenz vermindere den zuvor ermittelten Minderwert des Fahrzeugs, sodass dem Kläger nur der verbleibende Betrag zustehe.

[14] Für den Fall arglistiger Täuschung nach § 874 ABGB oder vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB seien allerdings die unionsrechtlichen Vorgaben zur Schadenshöhe nicht zu berücksichtigen und der Schadenersatzanspruch nicht mit 15 % des Kaufpreises begrenzt. Im Hinblick auf die unterschiedliche Schadenshöhe seien noch Feststellungen erforderlich, die eine Beurteilung des Klagebegehrens auf den Anspruchsgrundlagen des § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB zulassen. Insbesondere zur behaupteten Täuschung durch Funktionsträger innerhalb des Unternehmens der Beklagten sei die Sachverhaltsgrundlage zu erweitern.

[15] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Soweit überblickbar, fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Fragen,

- ob die vorliegende temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung („Thermofenster“), sei es in einem Temperaturbereich zwischen 17 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius oder zwischen 5 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius, notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, und damit den Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG erfülle,

- ob es sich bei der gegenständlichen „Taxifunktion“ um eine im Sinn des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung handle,

- ob und wie eine Vorteilsanrechnung im Fall, dass der Kläger das Fahrzeug behält und den Ersatz des Minderwerts begehrt, zu erfolgen habe,

- ob die Vorteilsanrechnung im Hinblick auf die unionsrechtlichen Vorgaben auch dazu führen könne, dass ein Schadenersatzanspruch zur Gänze entfalle.

[16] Diesen Aufhebungsbeschluss bekämpft der Kläger in seinem Rekurs mit dem Antrag, die Zurückverweisung zu beheben und „in der Sache selbst“ zu entscheiden.

[17] Die Beklagte beantragte, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18] Der Rekurs ist zulässig, weil die vom Berufungsgericht dem Erstgericht überbundene Rechtsauffassung teilweise nicht der – mittlerweile vorliegenden – höchstgerichtlichen Rechtsprechung entspricht. Er ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.

[19] 1. Das Berufungsgericht hat seiner Beurteilung zugrunde gelegt, dass eine temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung, die die Abgasrückführung außerhalb von 17 Grad Celsiusbis 33 Grad Celsius oder auch 5 Grad Celsiusbis 33 Grad Celsius reduziert oder ganz ausschaltet, gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässig und daher verboten ist. Diese Frage ist ebenso wenig Gegenstand des Rekursverfahrens, wie die sogenannte „Taxifunktion“, die der Kläger ausdrücklich als nicht mehr entscheidungsrelevant bezeichnet. Insoweit liegen abschließend erledigte Streitpunkte vor (RS0042031), auf die nicht mehr einzugehen ist. Im Rekursverfahren ist auch nicht mehr strittig, dass die Beklagte als Herstellerin des konkreten Fahrzeugs für die Verletzung von emissionsrechtlichen Bestimmungen des Unionsrechts und damit für eine objektive Schutzgesetzverletzung einzustehen hat.

[20] 2. Der Kläger wendet sich gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zur Schadenshöhe unter Hinweis darauf, dass der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt habe, dass die Bandbreite von 5 % bis 15 % und damit eine Ausmittlung nach § 273 ZPO bei einem eingeholten Sachverständigengutachten und entsprechenden Feststellungen nicht zum Tragen und ein Vorteilsausgleich bei objektiv-abstrakter Schadensberechnung nicht in Betracht komme. Er hält das Verschulden der Beklagten für erwiesen und die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht, weil Feststellungen fehlten, ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug konkret dem Willen des Käufers entsprochen habe, mangels ausreichender Bestreitung durch die Beklagte für nicht erforderlich.

Dazu ist auszuführen:

[21] 2.1. Bereits zu 10 Ob 16/23k (Rz 39 ff) konkretisierte der 10. Senat die Erfordernisse auf Tatsachenebene, um beurteilen zu können, ob das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch dem Willen des Käufers entsprach. Demnach bedarf es Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob der Kläger das Fahrzeug gekauft hätte, hätte er gewusst, dass es sich bei der vorhandenen Software (Thermofenster) um ein verbotenes Konstruktionselement handelt, das der Behörde verschwiegen wurde, sodass nur deshalb die EG‑Typengenehmigung erteilt wurde, und ob der Kläger die Notwendigkeit des Software‑Updates und die vom EuGH angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs in Kauf genommen und das Fahrzeug dennoch erworben hätte. Dieser Auffassung hat sich auch der erkennende Senat (5 Ob 159/23b; 5 Ob 83/24b) ausdrücklich angeschlossen.

[22] Die Auffassung des Berufungsgerichts, aus den Feststellungen lasse sich nicht ableiten, ob der Kläger von objektiven Verkehrserwartungen abweichende Umstände konkret in Kauf genommen und sein Fahrzeug dennoch erworben hätte, entspricht dieser Rechtsprechung. Die Frage, ob die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen auf der Grundlage seiner zutreffenden oder gar nicht bekämpften Rechtsauffassung tatsächlich notwendig ist, ist der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (RS0042179).

[23] Damit ist schon die Frage, ob überhaupt ein Schaden vorliegt, noch nicht abschließend beantwortbar. Aus prozessökonomischen Gründen ist aber auf die weiteren in der Zulassungsbegründung und im Rechtsmittel aufgeworfenen Rechtsfragen einzugehen.

[24] 2.2. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, dass die vom Obersten Gerichtshof auf Basis des Unionsrechts postulierte Spanne des Schadenersatzbetrags von 5 % bis 15 % zum Tragen komme, und legte die Ausmittlung nach § 273 Abs 1 ZPO in der genannten Bandbreite zugrunde.

[25] 2.2.1. Zu 10 Ob 27/23b wies der 10. Senat darauf hin, dass bei Feststellbarkeit des Minderwerts des Fahrzeugs im Ankaufszeitpunkt jener zu ersetzen ist. Nur wenn dies nicht der Fall ist, ist auf die Ausmittlung nach § 273 Abs 1 ZPO in der genannten Bandbreite von 5 % bis 15 % zurückzugreifen. Zu 8 Ob 109/23x hielt der 8. Senat fest, dass der festgestellte Minderwert im Zeitpunkt des Ankaufs des Fahrzeugs (dort 20 %) zu ersetzen ist. Auch der erkennende Senat folgte jüngst (5 Ob 33/24z; 5 Ob 83/24b) dieser Auffassung. Zu 10 Ob 46/23x führte der 10. Senat aus, es bedürfe konkreter Feststellungen zu einer allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses und ließ Feststellungen, wie sich „durchschnittliche“ oder „nicht durchschnittliche“ Käufer bei Kenntnis vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung verhalten würden, nicht genügen.

[26] 2.2.2. Im vorliegenden Fall steht (sinngemäß) fest, dass das Fahrzeug im Verkaufszeitpunkt um 10 % günstiger auf dem Markt angeboten hätte werden müssen, sofern die Zusage vorlag, dass der Mangel durch ein Software‑Update saniert wird. Dazu ist abschließend geklärt, dass auch nach dem von der Beklagten angebotenen Software‑Update, hätte es der Kläger durchführen lassen, eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung vorgelegen wäre. Ausgehend davon kann nicht von einer Zusage einer Mangelbeseitigung – weder zum Ankaufs- noch einem späteren Zeitpunkt – ausgegangen werden, sodass der vom Sachverständigen ermittelte Minderwert nicht zum Tragen kommt und ein konkreter Minderwert des Fahrzeugs zum Ankaufszeitpunkt derzeit nicht feststeht. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren daher herausstellen, dass der Kläger die Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs nicht in Kauf genommen hätte, wäre nach derzeitigem Verfahrensstand ein Schadenersatzanspruch des Klägers gemäß § 273 ZPO in einem Bereich von 5 % bis 15 % des gezahlten Kaufpreises auszumitteln.

[27] 2.3. Die in der Zulassungsbegründung angesprochene Frage einer Vorteilsanrechnung wegen der Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger ist mittlerweile ebenfalls durch höchstgerichtliche Rechtsprechung – allerdings nicht im Sinn der Vorgaben des Berufungsgerichts – geklärt. Auch darauf ist bereits jetzt einzugehen.

[28] 2.3.1. Zu 3 Ob 203/23h entgegnete der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall, in dem der Fahrzeughalter ebenfalls den „kleinen Schadenersatz“ in Höhe von 30 % des Kaufpreises als Minderwert begehrt hatte, dem Einwand der Vorteilsanrechnung unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung, dass eine solche nur in Betracht käme, wenn das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat. Es muss sich um einen zeitlich und sachlich kongruenten Vorteil handeln, der durch das pflichtwidrige Handeln entsteht oder wenigstens im selben Tatsachenkomplex wurzelt (so bereits 5 Ob 100/22z).

[29] 2.3.2. Die Vorteilsanrechnung setzt daher im Regelfall eine subjektiv‑konkrete Schadensberechnung voraus, weil es bei objektiv‑abstrakter Berechnung unerheblich ist, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert und welchen Erlös er dadurch erzielt hat (4 Ob 3/19y mwN). Bei objektiv‑abstrakter Schadensberechnung ist ein Vorteil nur dann anrechenbar, wenn er am beschädigten Gut selbst entstanden ist (5 Ob 100/22z). Dies war in dem zu 3 Ob 203/23h beurteilten gleichgelagerten Fall nicht erfüllt.

[30] 2.3.3. Daran hielt der 3. Senat zu 3 Ob 219/23m mit ausführlicher Begründung fest. Der dem Kläger zuzusprechende Schadenersatz wurde im unteren Bereich der „Bandbreite“ ermittelt und dabei auch die in rund elfeinhalb Jahren seit dem Ankauf zurückgelegte Laufleistung berücksichtigt. Zum Vorteilsausgleich verwies der 3. Senat darauf, dass der Schaden objektiv‑abstrakt berechnet worden sei, weshalb die Voraussetzungen für eine Vorteilsanrechnung fehlten.

[31] 2.3.4. Der erkennende Senat vertrat zu 5 Ob 33/24z und 5 Ob 83/24b ebenfalls diese Auffassung und erachtete Entscheidungen deutscher Gerichte zum Vorteilsausgleich durch ein Software‑Update für nicht einschlägig, zumal mit dem Update ein etwaiger Schaden nach den Feststellungen nicht vollständig beseitigt wäre.

[32] 2.3.5. Auch im hier zu beurteilenden Fall steht eine objektiv‑abstrakte Schadensberechnung im Raum, sollte es sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass der Kläger bei Kenntnis von der Funktionsweise der Software das Fahrzeug nicht erworben hätte. Einer Vorteilsanrechnung im Sinn der vom Berufungsgericht vorgegebenen „Formel“ bedarf es in diesem Fall nicht.

[33] 2.4. Den Schädiger trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes (hier: Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ) kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]). Ob die Beklagte im Verfahren erster Instanz ein Verschulden ausreichend konkret bestritten hat, betrifft die Auslegung ihres Prozessvorbringens und ist damit eine Frage des Einzelfalls, der regelmäßig keine erhebliche Bedeutung zukommt (RS0042828). Die Beklagte hat zu dieser Frage umfangreich vorgebracht, sodass es auch nicht zu beanstanden ist, wenn das Berufungsgericht ihre Prozessbehauptungen als ausreichend erachtete. Wenn es eine Ergänzung des Verfahrens auch insoweit für notwendig hält, kann dem der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten (RS0042179).

[34] 3. Auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Haftung der Beklagten wegen arglistiger Täuschung nach § 874 ABGB und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB geht der Rekurs nicht ein. Damit kann dahin stehen, inwieweit sie im hier zu beurteilenden Fall noch von Bedeutung sind, zumal die Herstellereigenschaft der Beklagten unstrittig ist.

[35] 4. Damit konnte dem Rekurs im Ergebnis kein Erfolg beschieden sein.

[36] 5. Nach §§ 40, 50 ZPO war die Kostenentscheidung der Endentscheidung vorzubehalten.

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