European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130813
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Die Erstantragsgegnerin und der Zweitantragsgegner haben die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die Parteien sind Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft mit einer Wohnungseigentumsanlage. Die Antragstellerin strebt die Zustimmung der Antragsgegner zu dem von ihr beabsichtigten Bau eines Wintergartens auf ihrer Terrasse durch Anbringung einer – näher bezeichneten – Aluvorrichtung samt Glasfenstern an.
[2] Das Erstgericht wies den Antrag ab.
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[5] 1. Auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren gilt der Grundsatz, dass ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz nicht mehr zum Gegenstand der Bekämpfung der rekursgerichtlichen Entscheidung gemacht werden kann (RIS‑Justiz RS0050037; RS0043919; 5 Ob 256/07v). Diese Anfechtungsbeschränkung für Verfahrensmängel kann auch nicht mit der Behauptung unterlaufen werden, das Rekursgericht sei nicht ausreichend auf die Argumente im Rekurs im Zusammenhang mit einem erstinstanzlichen Verfahrensmangel eingegangen (RS0030748 [T16]). Das Rekursgericht hat den in der unterbliebenen Einholung eines Sachverständigengutachtens angeblich liegenden Verfahrensmangel erster Instanz geprüft und mit schlüssiger Begründung verworfen, dies kann nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (vgl 1 Ob 216/17x).
[6] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wegen unzureichender Behandlung der Beweisrüge wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).
[7] 3. Die Zulässigkeit der Änderung eines Wohnungseigentumsobjekts im Sinn des § 16 Abs 2 Z 1 und 2 WEG lässt sich nicht grundsätzlich bejahen oder verneinen. Es kommt dabei vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, die in ihrer Gesamtheit zu beurteilen sind (RS0083309; vgl auch RS0109643). Dabei ist den Vorinstanzen ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt (5 Ob 186/18s). Nur bei einer groben, die Rechtssicherheit in Frage stellenden Fehlbeurteilung hätte der Oberste Gerichtshof korrigierend einzugreifen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor:
[8] 4.1 Die in § 16 Abs 2 Z 1 WEG ausdrücklich genannte Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses – die die Vorinstanzen hier übereinstimmend bejahten – ist ein spezifischer Fall der Interessensbeeinträchtigung (5 Ob 9/17k; 5 Ob 186/18s). Grundsätzlich steht einer Änderung nicht jede Beeinträchtigung von Interessen der Miteigentümer entgegen, sondern nur eine wesentliche Beeinträchtigung, die die Interessen der anderen Wohnungseigentümer am Unterbleiben der Änderung so schutzwürdig erscheinen lässt, dass der Anspruch des Wohnungseigentümers auf Änderung zurückzustehen hat (RS0083236). Als Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses ist nicht jede (wertneutrale) Veränderung zu verstehen, sondern nur eine solche, die eine Verschlechterung des Erscheinungsbildes bewirkt (RS0043718). Die Rechtsprechung stellt zunächst darauf ab, ob die bisherige Gestaltung des Gebäudes einem bestimmten architektonischen Konzept folgt oder es sich um ein äußerlich eher einfallsloses Gebäude handelt. Selbst architektonisch weniger anspruchsvolle Gebäude können aber eine Verschlechterung des Erscheinungsbildes erfahren (RS0127251, vgl auch RS0083321). Auch die Einheitlichkeit des äußeren Erscheinungsbildes per se kann ein schutzwürdiger Wert sein (5 Ob 9/17k). Primär ist für die Beurteilung der Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes auf die straßenseitige Ansicht der Liegenschaft abzustellen, doch können auch optische Aspekte, die eine negative Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes einer Wohnhausanlage an sich bewirken, ausschlaggebend sein (5 Ob 9/17k; 5 Ob 208/11s). Bei der Beurteilung der Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Hauses kommt dem Rechtsanwender wegen des dabei gebrauchten unbestimmten Gesetzesbegriffs ein Ermessensspielraum zu (5 Ob 186/18s), den die Vorinstanzen hier nicht verlassen haben.
[9] 4.2 Nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Erstgerichts liegt der hier zu beurteilenden Wohnungseigentumsanlage ein einheitliches architektonisches Konzept zugrunde. Der von der W*straße aus einsehbare Gebäudeteil weist sechs markante vorspringende Gebäudekanten auf, die eine Flucht bilden und die Gesamtausrichtung des Objekts bestimmen. Auch die Terrassen im Erdgeschoss (darunter die nach dem Wunsch der Antragstellerin zum Wintergarten auszubauende) sind der Gebäudeflucht folgend abgeschrägt. Das leicht und feingliedrig wirkende Gesamterscheinungsbild der Anlage würde durch den aufgrund der kräftigen Aluminiumkonstruktion wuchtig erscheinenden Zubau, der unter dem darüber liegenden Balkon und die Gebäudeflucht hervorspringen würde, erheblich gestört. Dieser Zubau würde als Fremdkörper wirken. Wenn die Vorinstanzen auf Basis dieser Feststellungen von einer erheblichen Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes der Anlage ausgingen, ist dies keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung, zumal sie sich dabei auf die Erwägungen der Entscheidung 5 Ob 9/17k stützen konnten. Ein nur in einem von vier, einem einheitlichen architektonischen Konzept folgenden Häusern geplanter, asymmetrisch zu errichtender Balkonturm wurde als auffallender Fremdkörper ungeachtet dessen nicht genehmigt, dass er nicht an der Straßenfront errichtet werden sollte. In der Entscheidung 5 Ob 186/18s wurde der geplanten Errichtung einer Aufzugsanlage als Liftturm an der straßenseitigen Hausfassade in Form einer schmuck‑ und fensterlosen Betonkonstruktion ebenso eine Absage erteilt. Warum die Grundsätze dieser Entscheidungen hier nicht anwendbar sein sollten, führt die Revisionsrekurswerberin nicht aus.
[10] 5.1 Die ins Treffen geführten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 16 WEG 2002 teilt der erkennende Senat nicht. Zwar ist das Eigentumsrecht nach Art 5 StGG und Art 1 des 1. ZPEMRK verfassungsrechtlich geschützt und wird seit jeher weit – im Sinn aller privatrechtlichen Vermögenspositionen – verstanden (VfSlg 20.103/2016 mwN). Allerdings kann der Gesetzgeber angesichts des in Art 1 1. ZPEMRK enthaltenen Gesetzesvorbehalts Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechts der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (VfSlg 20.103/2016 mwN), wenn die Eigentumsbeschränkungen im öffentlichen Interesse liegen (VfSlg 15.577/1999; 17.071/2003) und nicht unverhältnismäßig ist (15.367/1988; vgl hiezu auch Muzak, B‑VG6 Art 5 StGG Rz 2 ff mwN).
[11] 5.2 Das Wohnungseigentum ist die untrennbare Verbindung eines ideellen Miteigentumsanteils mit einem servitutsähnlichen Nutzungsrecht an einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt (RS0081766) und daher grundsätzlich vom verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff erfasst. Die Bestimmungen des WEG regeln die Begründung von Wohnungseigentum und auch die Rechtsverhältnisse der Wohnungseigentümer untereinander, sie dienen dem Ausgleich der wechselseitigen Interessen der Wohnungseigentümer. Dass der Erwerb einer Eigentumswohnung kein völlig uneingeschränktes Eigentumsrecht mit sich bringt, ist dem Rechtsinstitut des Wohnungseigentums daher immanent. Dieses bedarf eines Regelungssystems für ein geordnetes Zusammenleben der Wohnungseigentümer. Daran besteht auch ein öffentliches Interesse im Sinn der zitierten verfassungsgerichtlichen Judikatur. Gerade § 16 Abs 2 WEG schränkt überdies das Eigentumsrecht des einzelnen Mit‑ und Wohnungseigentümers gar nicht ein, sondernermächtigtihn sogar zu Änderungen am Objekt unter den dort genannten Voraussetzungen. Warum dies verfassungsrechtlich problematisch sein soll, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht. Die im Revisionsrekurs zitierte Entscheidung VfSlg 14.679/1996 verneinte ein öffentliches Interesse an konkreten Raumordnungsbestimmungen und ist nicht einschlägig. Da der erkennende Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 16 Abs 2 WEG 2002 somit nicht teilt, kann auch dieser Aspekt die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen (RS0116943).
[12] 6. Damit war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.
[13] 7. Die Revisionsrekursbeantwortung war den Antragsgegnern nicht freigestellt und ist deshalb nicht zu honorieren (vgl RS0113633; 5 Ob 53/14a).
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