OGH 5Ob9/17k

OGH5Ob9/17k4.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. Dipl.‑Ing. Dr. B* G*, 2. Dipl.‑Ing. P* J*, beide *, 3. M* W*, 4. H* D*, alle vertreten durch MMag. (FH) Alexander Edelhauser, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. Mag. O* K*, 2. M* K*, 3. V* K*, 4. Mag. I* G*, Zweit- bis Viertantragsgegner vertreten durch die Kronberger Rechtsanwälte Gesellschaft mbH, Wien, sowie die weiteren Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ 7, KG *, wegen § 52 Abs 1 Z 2 WEG iVm § 16 Abs 2 WEG, über den Revisionsrekurs der Zweit‑ bis Viertantragsgegner gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. September 2016, GZ 40 R 148/16k‑14, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 26. Februar 2016, GZ 9 Msch 12/15v‑8, aufgehoben wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118168

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Sachbeschluss des Erstgerichts einschließlich dessen Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die Antragsteller sind schuldig, den Zweit‑ bis Viertantragsgegnern die mit 1.269,36 EUR (darin enthalten 172,56 EUR USt und 234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Parteien sind Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ 7 KG * mit einer Gesamtfläche von 3.446 m2. Auf der Liegenschaft, die sich zwischen der H* Straße und einem Sportplatz erstreckt, sind insgesamt vier Objekte mit jeweils mehreren Wohneinheiten errichtet. Die Antragsteller sowie der Drittantragsgegner und die Viertantragsgegnerin sind Eigentümer von Miteigentumsanteilen, mit welchen jeweils die ausschließliche Nutzung von Wohnungs-eigentumseinheiten im Haus IV verbunden ist. Dieses Haus ist am weitesten von der H* Straße entfernt und – wie zwei baugleiche Häuser dieser Liegenschaft – architektonisch so gestaltet, dass es in seinem Mittelteil 133 cm vorspringt und in diesem vorspringenden Teil pro Stockwerk zwei nebeneinanderliegende Fenster aufweist. Links und rechts von diesem vorspringenden Hausteil ist das Objekt gleich gestaltet und weist in jedem Stockwerk ebenfalls zwei nebeneinander liegende Fenster auf. Diese Front ist Richtung Sportplatz gerichtet. Zwischen diesem und dem Haus befindet sich ein Grünstreifen.

Die Antragsteller beabsichtigen – gesehen aus Richtung des Sportplatzes – links neben dem vorspringenden Mittelteil des Hauses ihren Wohnungseigentumseinheiten jeweils einen Balkon anzubauen, je ein bestehendes Fenster in eine Balkontüre zu diesen Balkonen umzubauen und in der Top 3 des Drittantragstellers zusätzlich ein bestehendes Fenster in eine Balkontüre (französisches Fenster) mit davor liegendem Gitter umzuwandeln. Die Balkone sollen dabei so gestaltet werden, dass jener im Erdgeschoss eine Fläche von 8,30 m2 aufweist und sich vom Mittelteil des Hauses nach links bis zur Hälfte der Fassade erstreckt; der Balkon im ersten Stock soll eine Fläche von 16,33 m2 aufweisen und sich über die gesamte links neben dem vorspringenden Teil gelegene Fassade erstrecken; der Balkon im zweiten Stock soll erneut eine Fläche von 8,30 m²aufweisen und sich von der linken Hauskante nach rechts über die Hälfte der Fassade erstrecken. Die geplanten Balkone sollen eine Tiefe von 235 cm aufweisen, sodass sie den vorspringenden Mittelteil des Hauses um 122 cm überragen und als sogenannter Balkonturm (laut Einreichplan) errichtet werden, der aus einem verzinkten Stahlrahmen besteht, dessen Stützen zum einen entlang der Fassade verlaufen und zum anderen in einem Abstand von 235 cm zu dieser auf Punktfundamenten im Grünstreifen zwischen dem Haus und dem Sportplatz verankert werden sollen.

Das Erstgericht wies den auf Duldung der Errichtung dieses Balkonturms sowie den Einbau von Balkontüren und eines französischen Fensters gerichteten Antrag ab. Es ging davon aus, dass es an einem wichtigen Interesse der Antragsteller für die Errichtung von Balkonen auf der linken Seite des Hauses fehle und der nachträgliche Einbau von solchen Balkonen auch nicht verkehrsüblich sei, bejahte die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der Antragsgegner, weil die geplanten Balkone um 122 cm über den vorspringenden Mittelteil des Hauses hinausragen würden, sodass es zu Lärm‑ und Geruchsbelästigungen kommen könne, und sah auch eine optische Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds für gegeben an, weil zwar die übrigen Häuser der Wohnhausanlage ebenfalls über Balkone verfügen würden, diese jedoch symmetrisch gestaltet seien und jeweils mit dem vorspringenden Mittelteil bündig abschließen würden. Demgegenüber seien die Balkone im vorliegenden Fall lediglich im linken Teil des Hauses geplant, sollen asymmetrisch ausgeführt werden und über den vorspringenden Mittelteil des Hauses hinausragen.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Antragsteller Folge, hob den Sachbeschluss des Erstgerichts auf und trug diesem eine Ergänzung des Verfahrens auf. Es bejahte die Verkehrsüblichkeit der beabsichtigten nachträglichen Errichtung von Balkonen, weil nicht nur in der näheren Umgebung, sondern auch auf der verfahrensgegenständlichen Liegenschaft bereits zahlreiche Balkone vorhanden seien, und verneinte die Beeinträchtigung des optischen Erscheinungsbilds des Hauses, weil dessen Front auf einen Sportplatz gerichtet sei. Ob schutzwürdige Interessen der Antragsgegner beeinträchtigt seien, könne jedoch noch nicht abschließend beurteilt werden, weil von den Antragsgegnern zwar eine Beschädigung der Wärmedämmfassade durch die geplanten Baumaßnahmen releviert worden sei, aber Feststellungen fehlen würden, um eine solche Substanzschädigung abschließend beurteilen zu können.

Den Revisionsrekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss erklärte das Rekursgericht wegen einer seiner Ansicht nach uneinheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Übung des Verkehrs im Sinne des § 16 Abs 2 Z 2 1. Satz WEG 2002 für zulässig. Dazu verwies es auf die Entscheidungen 5 Ob 97/12v und 5 Ob 236/11h.

Der von den Antragstellern beantwortete (richtig:) Revisionsrekurs der Zweit- bis Viertantragsgegner ist mit seinem Hauptbegehren darauf gerichtet, die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen; in eventu stellen die Antragsgegner einen Aufhebungsantrag.

Die Erstantragsgegnerin hat sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zwar nicht wegen des vom Rekursgericht angeführten Grundes, aber deswegen zulässig, weil diesem eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist im Sinne seines Hauptantrags auch berechtigt.

1.1 Gemäß § 16 Abs 1 WEG 2002 kommt die Nutzung des Wohnungseigentumsobjekts dem Wohnungseigentümer zu. Nach § 16 Abs 2 WEG 2002 ist ein Wohnungseigentümer zu Änderungen an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten berechtigt. Mangels Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer hängt das Recht des Wohnungseigentümers zur Änderung seines Objekts von bestimmten, in § 16 Abs 2 WEG 2002 abgestuft geregelten Voraussetzungen ab. Dadurch sollen die anderen Wohnungseigentümer davor bewahrt werden, dass ihr Umfeld eigenmächtig unter Verletzung ihrer schutzwürdigen Interessen geändert wird (vgl RIS‑Justiz RS0083132 [T2]).

1.2 Nach § 16 Abs 2 Z 1 WEG 2002 ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen berechtigt, die weder eine Schädigung des Hauses noch eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Wohnungseigentümer, insbesondere keine Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbilds des Hauses und keine Gefahr für die Sicherheit von Personen, des Hauses oder von anderen Sachen zur Folge haben.

1.3 Einer Änderung steht dabei nicht jede Beeinträchtigung von Interessen der Miteigentümer entgegen, sondern nur eine wesentliche Beeinträchtigung, die die Interessen der anderen Wohnungseigentümer am Unterbleiben der Änderung so schutzwürdig erscheinen lässt, dass ein Anspruch des Wohnungseigentümers auf Änderungen im Sinne des § 16 Abs 2 WEG zurückzustehen hat (RIS‑Justiz RS0083236).

1.4 Werden für die Änderungen darüber hinaus allgemeine Teile der Liegenschaft in Anspruch genommen, so muss nach § 16 Abs 2 Z 2 WEG die geplante Maßnahme zudem entweder der Übung des redlichen Verkehrs entsprechen oder einem wichtigen Interesse des Wohnungseigentümers dienen.

2. Die Antragsgegner berufen sich auch noch in ihrem Revisionsrekurs darauf, dass die von den Antragstellern beabsichtigten Balkonanbauten (laut Einreichplan als Balkonturm bezeichnet) sowie die Errichtung eines französischen Fensters (französischer Balkon) die Einheitlichkeit des äußeren Erscheinungsbilds störe.

3.1 Die Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbilds des Hauses ist ein spezifischer Fall der Interessenbeeinträchtigung (5 Ob 47/06g). Darunter ist nicht jede wertneutrale Veränderung zu verstehen, sondern nur eine solche Veränderung, die eine Verschlechterung des Erscheinungsbilds bewirkt (RIS‑Justiz RS0043718). Dabei ist unter anderem maßgeblich, ob die bisherige Gestaltung des Gebäudes einem bestimmten architektonischen Konzept folgt oder ob es sich um ein äußerlich eher einfallsloses Bauwerk handelt (Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 16 WEG Rz 30 mwN). Auch die Einheitlichkeit des äußeren Erscheinungsbilds per se kann einen schutzwürdigen Wert darstellen (Loggienverbauung: LGZ Wien MietSlg 40.641; Vergrößerung von Windfängen auf einer Dachterrasse: 5 Ob 36/90 MietSlg 42.435; 5 Ob 35/90 MietSlg 42.436). Zwar ist für die Beurteilung der Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbilds primär die straßenseitige Ansicht der Liegenschaft maßgeblich (Vonkilch aaO), doch können auch optische Aspekte, die eine negative Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds einer Wohnhausanlage bewirken, ausschlaggebend sein (vgl 5 Ob 208/11s).

3.2 Auf der gegenständlichen Liegenschaft sind insgesamt vier Häuser errichtet, die im Wesentlichen einem einheitlichen architektonischen Konzept folgen. Den Feststellungen und den im Akt erliegenden Lichtbildern, wie sie unter anderem auch dem Sachbeschluss des Erstgerichts angeschlossen sind, kann dazu entnommen werden, dass die drei nicht unmittelbar an der Straßenfront errichteten Wohnhäuser im Wesentlichen baugleich ausgeführt sind. Diese verfügen zwar auch über Balkone, die allenfalls ebenfalls nachträglich errichtet wurden; diese sind jedoch symmetrisch – also links und rechts vom jeweils vorspringenden Mittelteil des Hauses – angebracht und ragen dabei auch nicht über den vorspringenden Mittelteil der jeweiligen Häuser vor. Demgegenüber sollen die Balkone im vorliegenden Fall als sogenannter „Balkonturm“ asymmetrisch und nur links vom Mittelteil des Hauses IV derart errichtet werden, dass sie 122 cm über den Mittelteil hinausragen. In seiner geplanten Ausführung stellt dieser Balkonturm einen auffallenden Fremdkörper dar, der dem Haus vorgesetzt werden soll. Auch wenn die davon betroffene Hausfront nicht der Straße, sondern einem Sportplatz zugewandt ist, liegt auch keine reine „Innenhof - Situation“ vor. Mag die Wohnhausanlage architektonisch auch wenig anspruchsvoll ausgeführt sein, so steht doch ein einseitig errichteter Balkonturm in auffallendem Gegensatz zu der sonst von Symmetrie geprägten Bauweise und bewirkt dadurch eine negative Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds der Wohnhausanlage.

3.3 Da auch die Zulässigkeit einer Änderung nach baurechtlichen Vorschriften für sich noch keine Duldungspflicht des anderen Wohnungseigentums begründet (5 Ob 82/95 wobl 1996/23 [Markl]), fehlt es bereits an den Voraussetzungen nach § 16 Abs 2 Z 1 WEG, sodass nicht mehr geprüft werden muss, ob die Änderung der Übung des Verkehrs oder sonst wesentlichen Interessen der Antragsteller entspricht.

4. Da sich Fragen nach der Übung des Verkehrs (§ 16 Abs 2 Z 2 WEG), zu der ohnedies bereits umfangreiche Judikatur des Obersten Gerichtshofs existiert (RIS‑Justiz RS0119528; RS0110976; RS0126244; uva), nicht mehr stellen, erübrigt es sich auch, auf die vom Rekursgericht in seiner Zulassungsbegründung angesprochene – vermeintliche – Judikaturdivergenz näher einzugehen.

5. Dem Revisionsrekurs ist damit Folge zu geben und der Sachbeschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

6. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittel-verfahren beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG 2002. Es entspricht der Billigkeit, dass die Zweit‑ bis Viertantragsgegner die Kosten der Rekursbeantwortung sowie ihres erfolgreichen Revisionsrekurses ersetzt erhalten. § 23 Abs 9 RATG kommt jedoch nicht zum Tragen, sodass für die Rekursbeantwortung lediglich der einfache Einheitssatz gebührt. Die Pauschalgebühr für das Verfahren in dritter Instanz beträgt gemäß TP 12a iVm TP 12 lit c GGG 234 EUR.

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