European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00182.22A.1220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurswird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.
Begründung:
[1] Die Beklagte brachte ein Produkt mit folgender Etikettierung in Verkehr:
[2] Das von der Klägerin gegen die Abweisung des zur Sicherung ihres Unterlassungsbegehrens beantragten Provisorialantrags angerufene Rekursgericht verneinte in Ansehung eines allenfalls verwirklichten Verstoßes gegen die seit 25. 5. 2021 anzuwendende VO (EU) 2019/787 („Spirituosen-VO“) sowohl dessenobjektive Eignung zur Beeinträchtigung des freien Leistungswettbewerbs nach § 1 UWG als auch die Irreführungseignung nach § 2 UWG.
Rechtliche Beurteilung
[3] 1.1. Voraussetzung eines Anspruchs nach § 1 UWG ist die „Spürbarkeit“ eines Verstoßes durch eine nicht unerhebliche Nachfrageverlagerung (RS0121680; RS0117605). Ob diese Schwelle überschritten wird, begründet von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen keine erhebliche Rechtsfrage (RS0121680 [T2]; RS0123243).
[4] 1.2. Das Rekursgericht hielt dafür, dass der beanstandete Eierlikör, der unstrittig Milch enthält (was nach der Spirituosen-VO an sich zulässig ist), zwar mit der Zusatzbezeichnung „Creme“ anstatt der nunmehr nur noch zulässigen Zusatzbezeichnung „Cream“ versehen sei, aber ohnehin prominent die vorgesehene und auch zulässige Bezeichnung „Eierlikör“ trage, und es sich bei der beanstandeten Bezeichnung als Creme somit nur um eine zusätzliche Bezeichnung handle; zudem werde auf dem Etikett der Flaschenrückseite ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Produkt Milch enthalte.
[5] Es unter diesen Voraussetzungen für ausgeschlossen zu halten, dass die zusätzliche vorangestellte Bezeichnung „Creme“ bzw – kleingeschrieben in der Zutatenliste – „Eiercreme“ für einen Eierlikör – welcher ausdrücklich Milch enthalte und auch enthalten dürfe – dazu geeignet wäre, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zum Nachteil von Unternehmen, die für ihre milchhaltigen Eierliköre den zulässigen Terminus „Cream“ verwendeten, zu beeinflussen, hält sich im Einzelfall im Rahmen des den Gerichten zukommenden Ermessensspielraums.
[6] 1.3. In der vom Revisionsrekurs selbst zitierten Entscheidung 4 Ob 225/07b wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass sich die Eignung zur Beeinflussung des Wettbewerbs – ausgehend vom Regelungszweck der verletzten Norm und von den typischen Auswirkungen des Rechtsbruchs – aus dem (Wiederholungsgefahr indizierenden) Normverstoß als solchem ergeben kann, dass aber die Frage, ob es darüber hinaus – insbesondere bei der Verletzung wettbewerbsneutraler Normen – noch weiterer vom Kläger zu behauptender und zu beweisender Sachverhaltselemente bedarf, aus denen auf die Eignung zur Beeinflussung des Wettbewerbs geschlossen werden kann, von den Umständen des Einzelfalls abhängt, ohne dass sich eine allgemeine Regel dafür aufstellen lässt (vgl 4 Ob 48/18i). Der Sachverhalt zu 4 Ob 49/05t (Überschreitung gesetzlich vorgeschriebener Höchstsendezeiten für Kurzbericht-erstattungen) ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, zumal die Wettbewerbsrelevanz einer Norm nicht anhand ihres Zwecks oder ihres Regelungsgegenstands, sondern anhand ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt zu beurteilen ist (RS0123243 [T1]).
[7] Aus EuGH C‑422/16 , TofuTown, ist hier nichts zu gewinnen: Dass die Bezeichnung „Milch“ nicht zur Bezeichnung eines rein pflanzlichen Produkts verwendet werden darf, die „ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten“ ist, ist für den vorliegenden Fall nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Im vorliegenden Einzelfall kann die prominente und prägende Kennzeichnung als „Eierlikör“ als den wahren Sachverhalt (in Ansehung des Inhaltsstoffes Milch) gerade nicht verschleiernd angesehen werden; dasselbe gilt für den vorangestellten Zusatz „Creme“, der nicht nahelegt, es handle sich um eine (zB Frucht-) „‑creme“ iSd Anh I Z 34 Spirituosen-VO, oder etwas anderes als um einen Bezug auf eine cremige Konsistenz des Eierlikörs.
[8] Dass Verletzungen der Spirituosen-VO verwaltungsstrafbewehrt sein mögen, wie das Rechtsmittel betont, ist hier nicht nur kein zwingendes Argument für die von der Klägerin angestrebte Sicht auf die Eignung zur Beeinflussung des Wettbewerbs, sondern erhellt, dass eine nationale Pflicht zur Durchsetzung der VO auch abseits des Lauterkeitsrechts erfüllt werden kann, gerade um auch die Eignungsschwelle nicht übersteigende Verletzungen ahnden zu können.
[9] Insgesamt zeigt der Revisionsrekurs keine aufzugreifende Fehlbeurteilung auf.
[10] 2.1. Beim Irreführungstatbestand des § 2 UWG ist zu prüfen, (a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, (b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob (c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Kaufinteressenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RS0123292). Zu den wesentlichen Merkmalen eines Produkts, die im Fall unrichtiger Angaben oder sonstiger Täuschungseignung den Tatbestand der irreführenden Geschäftspraktik (§ 2 Abs 1 Z 2 UWG) erfüllen können, zählt auch dessen Zusammensetzung; dazu zählen nicht nur Angaben zur Zusammensetzung einer Ware, wie zB das Zutatenverzeichnis, sondern auch und gerade die Bezeichnung einer Ware (vgl RS0126590). Nach § 2 Abs 5 UWG (Art 7 Abs 5 RL‑UGP) gelten jedenfalls die im Unionsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing als wesentliche Informationen (4 Ob 107/15m). In der Frage des Verständnisses der angesprochenen Verkehrskreise von Produkt- oder Verpackungsaufschriften, die einen Irrtum ausschließen sollen, ist auf den Grad der dem Anlass angemessenen Aufmerksamkeit des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers abzustellen (vgl RS0114366).
[11] Der Frage, ob nach den im konkreten Fall gegebenen Umständen die Relevanz der Irreführung zu bejahen ist, kommt regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0053112 [insb T2, T3, T5]; vgl RS0107771).
[12] 2.2. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat das nationale Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob eine Etikettierung den Käufer irreführen kann, hauptsächlich auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen, die dieser in Bezug auf den Ursprung, die Herkunft und die Qualität des Lebensmittels hegt, wobei es hauptsächlich darauf ankommt, dass der Verbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat (EuGH C‑195/14 , Teekanne Rn 36). Der Umstand, dass das Verzeichnis der Zutaten auf der Verpackung angebracht ist, kann für sich allein nicht ausschließen, dass die Etikettierung dieses Erzeugnisses und die Art und Weise, in der sie erfolgt, geeignet sein könnten, den Käufer irrezuführen. In der Praxis kommt es vor, dass einige der verschiedenen Elemente der Etikettierung unwahr, falsch, mehrdeutig, widersprüchlich oder unverständlich sind. Ist dies der Fall, kann das Verzeichnis der Zutaten, auch wenn es richtig und vollständig ist, in bestimmten Fällen gleichwohl nicht geeignet sein, einen falschen oder missverständlichen Eindruck des Verbrauchers bezüglich der Eigenschaften eines Lebensmittels zu berichtigen, der sich aus den anderen Elementen der Etikettierung ergibt. Lassen die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, insgesamt den Eindruck entstehen, dass das Lebensmittel eine Zutat enthält, die tatsächlich nicht darin vorhanden ist, ist eine solche Etikettierung daher geeignet, den Käufer über die Eigenschaften des Lebensmittels irrezuführen. Es ist daher Sache des nationalen Richters, die verschiedenen Bestandteile der Etikettierung insgesamt zu prüfen, um festzustellen, ob ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Verbraucher über das Vorhandensein von bestimmten Zutaten irregeführt werden kann (Rn 38–42).
[13] 2.3. Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, dass sich kein Durchschnittsverbraucher zu einer Kaufentscheidung den gegenständlichen Eierlikör betreffend hinreißen ließe, weil er nicht als „Cream Eierlikör“ bzw schlicht als „Eierlikör“ bezeichnet sei. Der Durchschnittskonsument werde nicht allein aufgrund der Zusatzbezeichnung als „Creme“ davon ausgehen, dass der Eierlikör keine Milch enthalte, zumal Eierlikör an sich Milch enthalten dürfe und auf die Verwendung von Milch auf der Flaschenrückseite zusätzlich hingewiesen werde.
[14] Dass die angesprochenen Verkehrskreise die unterschiedlichen Vorgaben der nach der Spirituosen‑VO zulässigen Zutaten bei Likören, die als „‑creme“ und solchen, die als „Cream“ bezeichnet würden, nicht kennen würden und sich dies auf deren Erwartungshaltung auswirke, hält sich ebenso im Rahmen des den (nationalen) Gerichten zukommenden Ermessensspielraums wie der vom Rekursgericht im Einzelfall gezogene Schluss, dass die beanstandete unrichtige Zusatzbezeichnung des Likörs jedenfalls dann, wenn wie hier die richtige Bezeichnung „Eierlikör“ angebracht sei, insgesamt keine falsche Produktvorstellung auslöse.
[15] 2.4. Aus der vom Revisionsrekurs ins Treffen geführten Entscheidung des EuGH C‑462/17 , Tänzer & Trasper, und daraus abgeleiteten allgemeinen Überlegungen ist dagegen nichts zu gewinnen, weil diese zur „alten“ Spirituosen-VO 110/2008 erging, nach welcher Eierlikör – anders als nach der nunmehr geltenden VO – gerade keine Milch enthalten durfte, was mit diesem Urteil klargestellt wurde. Weder daraus noch aus den sonstigen Darlegungen des Rechtsmittels ist aber konkret eine unvertretbare Ermessensübung durch das Rekursgericht in Ansehung der vom EuGH aufgezeigten Kriterien zu erschließen. Auch zu § 2 UWG wird somit keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
[16] 3.1. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.
[17] 3.2. Die Revisionsrekursbeantwortung der Beklagten, deren Erstattung vom Obersten Gerichtshof nicht freigestellt wurde, ist als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig nicht zu honorieren (§ 508a Abs 2Satz 2 iVm § 521a Abs 2 ZPO).
[18] 3.3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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