European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00101.18H.0611.000
Spruch:
Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin führt ins Treffen, sie habe – nach Abweisung ihres Provisorialantrags (4 Ob 13/16i) – im Hauptverfahren die Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage angestrebt, insbesondere durch fachlich/empirische Nachweise zur fehlenden technischen Bedingtheit der Form der streitgegenständlichen Zeitungsschütten, zur Verkehrsgeltung und Bekanntheit dieser Form und zur Assoziation bzw Verwechslungsgefahr durch die Verwendung von ihrer Ansicht nach durch die Beklagte nachgeahmten Boxen. Die Vorinstanzen hätten aber Vorbringen, Beweise und Beweisanbote der Klägerin ignoriert.
Die Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
Rechtliche Beurteilung
1. Zur technischen Bedingtheit wird releviert, dass die Vorinstanzen die Frage der urheberrechtlichen Werkqualität zu Unrecht selbst und als Rechtsfrage beurteilt haben.
1.1. Das urheberrechtlich schützbare Werk muss neutral und objektiv umschrieben und für alle künstlerischen Phänomene und Entwicklungen offen sein. Ausgehend von einem offenen Kunstverständnis ist urheberrechtlicher Schutz allen schützenswerten geistigen Schöpfungen zu gewähren, die im weitesten Sinn als Kunst interpretierbar sind und ein Mindestmaß an Gestaltung aufweisen, das sie von anderen (ähnlichen) Produkten unterscheidet. Dieses Mindestmaß an formender Gestaltung wird im Urheberrecht als Originalität, Individualität, Eigenpersönlichkeit oder Eigentümlichkeit beschrieben (4 Ob 162/08i mwN).
Für das Vorliegen eines Werks der bildenden Kunst ist entscheidend, dass das Schaffensergebnis objektiv als Kunst interpretierbar ist; diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn es mit den Darstellungsmitteln der bildenden Künste durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht und zum Anschauen bestimmt ist (RIS‑Justiz RS0076367 [T18]). Technische Lösungen sind urheberrechtlich nicht schutzfähig, mag es für die technische Idee auch verschiedene Lösungsmöglichkeiten geben; Gegenstand des Urheberrechtsschutzes ist nur eine bestimmte Formung des Stoffs (RIS‑Justiz RS0076654 [insb T4, T6]).
Der Senat hat bereits zu 4 Ob 13/16i mwN ausgesprochen, dass die individuelle Erarbeitung einer funktionellen und zweckmäßigen technischen Lösung ohne besonderen ästhetischen Gehalt der Planung, in der kein besonderer künstlerisch-geistiger Formgedanke zum Ausdruck kommt, urheberrechtlich nicht geschützt ist. Die Frage, ob sich in einem Werk Technik und Kunst verbinden und damit auch ein Kunstwerk im Sinne des UrhG vorliegt, ist nur dadurch zu lösen, dass untersucht wird, inwieweit die verwendeten Formelemente technisch bedingt sind und inwieweit sie lediglich der Form halber, aus Gründen des Geschmacks, der Schönheit, der Ästhetik gewählt wurden. Es handelt sich also darum, ob die Form dem Techniker oder dem Künstler zuzurechnen ist (RIS‑Justiz RS0076633).
1.2. Ob eine Schöpfung urheberrechtlichen Schutz genießt, ist eine Rechtsfrage; ihre Beantwortung obliegt nicht dem Sachverständigen, sondern dem Gericht (RIS‑Justiz RS0043530 [insb T2]). Ob ein urheberrechtlich geschütztes Werk vorliegt, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab und hat keine darüber hinausgehende Bedeutung (RIS‑Justiz RS0122254; RS0115496 [T4]; vgl RS0076935 [T3]).
1.3. Der in der dargelegten Rechtsprechung erwähnte Vorgang der „Untersuchung“ bezieht sich auf das Werk und seine Formelemente und damit auf seine objektiven Eigenschaften und Gegebenheiten. Maßgeblich sind die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale deutlich werden (EuGH 8. 3. 2018, C‑395/16 , DOCERAM GmbH,Rn 37 f). Die rechtliche Beurteilung als Kunstwerk ist daher nicht abhängig von den bloß subjektiven Vorstellungen oder Erwägungen des Schöpfers, seiner Inspiration und seinem Schaffensvorgang oder von Meinungen und Eindrücken von Designexperten und anderen Dritten, sondern von der objektiven Gestalt des Werks.
1.4. An objektiven Gestaltungselementen sahen die Vorinstanzen als vorwiegend technisch bedingt an: Die– durch die Neigung nach vorne der beiden durch eine Trennwand geteilten Entnahmeschächte – erleichterte schnelle Zeitungsbefüllung und -entnahme, die Möglichkeit der einladenden Präsentation, abgerundete Ecken zur Verringerung der Verletzungsgefahr und frei bleibende Flächen, die für Werbung genutzt werden können. Eine von der Klägerin behauptete „skulpturale Ausformulierung“ trete gegenüber diesen technisch geprägten Formelementen in den Hintergrund, zumal einfache Formen gewählt worden seien, welche zusätzliche Feststellungen zum und eine Auseinandersetzung mit dem Formenschatz nicht erforderten.
1.5. Die daraus abgeleitete Ansicht der Vorinstanzen, dass die konkreten objektiven Gestaltungen der Schütten den Werkbegriff nicht erfüllen, steht im Einklang mit der Rechtsprechung und ist im Einzelfall nicht korrekturbedürftig. Auch gegen die vom Erstgericht erwogene Bedeutung der technischen Gestaltung für die Stabilität der Schütten (vgl etwa Gegenneigung des Fußes und den Einbau eines Gewichtes) führt die Revision nichts ins Treffen. Die dort noch behauptete „Dysfunktionalität“ etwa in Ansehung der Höhe der Schütten ist nicht stichhältig: Angesichts der seit Jahren ausgetragenen Auseinandersetzungen auf dem Gratiszeitungsmarkt kann es als geradezu notorisch angesehen werden, dass gerade die physische Auffälligkeit der Schütten und die durch ihre Höhe ermöglichten zusätzlichen Werbeflächen eine zweckbestimmte Funktion im Kampf um die Aufmerksamkeit der Leserkunden erfüllen sollen. Ein überzeugendes Argument gegen die von den Vorinstanzen bejahte technische Bedingtheit ist auch daraus nicht abzuleiten.
2.1. Auch die Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist grundsätzlich eine Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0043640). Die Verkehrsauffassung über die Verwechselbarkeit zweier Zeichen ist zwar eine Tatfrage. Beweisaufnahme über die Anschauung der angesprochenen Verkehrskreise zur Verwechselbarkeit mehrerer Zeichen sind aber nicht erforderlich, wenn die allgemeine Lebenserfahrung ausreicht (RIS‑Justiz RS0043640 [T3, T6]). Der Beweis eines abweichenden Erfahrungssatzes ist zwar zulässig, jedoch nur dann aufzunehmen, wenn die Lebenserfahrung keine sichere Beurteilung der Verkehrsauffassung gestattet (vgl RIS‑Justiz
RS0040682 [insb T3], RS0039926 [insb T26, T28]); er ist in der Regel nur durch ein alle Zweifel ausschließendes demoskopisches Gutachten zu erbringen (vgl RIS‑Justiz
RS0040682 [insb T2]). Dass ein solcher Sachverständigenbeweis nur ausnahmsweise (und nicht jedenfalls schon bei einem darauf gerichteten Antrag) aufzunehmen ist, entspricht der jüngeren Rechtsprechung (17 Ob 27/11m mwH).
2.2. Die Revision zeigt mit ihrem Verweis auf erstinstanzliches Vorbringen keine Umstände auf, die geeignet wären, den auch im Sicherungsverfahren angenommenen Erfahrungssatz zu erschüttern, wonach das angesprochene Publikum nicht aufgrund einer ähnlichen äußeren Form der Verkaufsständer annimmt, dass zwischen den Herausgebern der beiden Zeitungen ungeachtet der allgemein bekannten Konkurrenzsituation ein wirtschaftlicher Zusammenhang besteht.
Schon nach den von der Klägerin ins Treffen geführten Umfragen verbinden bei offener, nicht gestützter Fragestellung 5 % der Befragten die Schütte der Beklagten mit der Gratiszeitung der Klägerin und weitere 4 % mit beiden Zeitungen. 11 % der Befragten würden eine Verbindung zwischen den beiden Zeitungsprodukten annehmen.
Dass eine solche Quote nicht eine den Erfahrungssatz widerlegende Annahme einer lauterkeitsrechtlich relevanten Irreführungseignung nahelegt (vgl RIS‑Justiz RS0124842 [T6]), stellt im Lichte der Rechtsprechung (vgl 4 Ob 221/16b mwN) keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
3.1. Zur Frage des Kennzeichenmissbrauchs nach § 9 Abs 3 UWG hat der Senat bereits ausgesprochen, dass unlautere Rufausbeutung die Gefahr einer Rufübertragung voraussetzt, wobei die angesprochenen Kreise die Qualitätsvorstellungen, die sie mit einem bestimmten Unternehmen oder einer bestimmten Ware oder Dienstleistung verbinden, auf ein anderes Unternehmen oder eine andere Ware oder Dienstleistung übertragen müssen („Imagetransfer“).
Für eine solche Rufübertragung ist zwar die Gleichartigkeit des Unternehmensgegenstands oder der Waren und Dienstleistungen nicht erforderlich und es müssen die übernommenen Zeichen auch nicht Sonderrechtsschutz genießen. Wohl aber muss es objektiv möglich sein, dass das Publikum die für das Ausgangsunternehmen oder -produkt typischen Qualitätsvorstellungen auf das Zielunternehmen oder -produkt überträgt. Bei einer – hier angesprochenen – mittelbaren Rufausbeutung ist die hohe Bekanntheit eines Zeichens meist mit einer positiven Grundeinstellung zu den damit bezeichneten Waren oder Dienstleistungen verbunden; daher werden solche Zeichen bei den angesprochenen Kreisen in der Regel positive Emotionen hervorrufen. Dritte, die bekannte Zeichen in der Werbung für eigene Waren oder Dienstleistungen verwenden, nutzen diese positive Stimmung und fördern auch dadurch ihren eigenen Wettbewerb. Auch insofern partizipieren sie ohne eigene Leistung an den Kosten und Mühen, die der Inhaber des Zeichens aufwenden musste, um den hohen Bekanntheitsgrad und die damit meist verbundene Wertschätzung zu erreichen. Das Ausnutzen der Unterscheidungskraft (des Auffälligkeitswerts) wird daher in vielen Fällen – auch ohne Rufübertragung im engeren Sinne – mit einem Ausnutzen der dem Zeichen entgegengebrachten Wertschätzung (des „Rufes“) einhergehen (4 Ob 212/11x mwN).
Bei der Beurteilung der Bekanntheit sind nicht feste Prozentsätze maßgebend, vielmehr sind alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere der Marktanteil des Zeichens, die Intensität, geographische Ausdehnung und Dauer seiner Benutzung sowie der Umfang der Investitionen, die das Unternehmen zu seiner Förderung getätigt hat (17 Ob 28/08d mwN; vgl auch 4 Ob 203/17g). Der Vorteil, der sich aus der Verwendung eines solchen Zeichens durch einen Dritten ergibt, ist daher dann eine unlautere Ausnutzung der Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung durch den Dritten, wenn dieser durch die Verwendung versucht, sich in den Bereich der Sogwirkung dieser Marke zu begeben, um von ihrer Anziehungskraft, ihrem Ruf und ihrem Ansehen zu profitieren und ohne finanzielle Gegenleistung die wirtschaftlichen Anstrengungen des Zeicheninhabers zur Schaffung und Aufrechterhaltung des Images dieses Zeichens auszunutzen (vgl EuGH 18. 6. 2009, C‑487/07 , L‘Oréal SA, insb Rn 50). Relevant ist der Vorteil, den der Dritte aus der Benutzung des identischen oder ähnlichen Zeichens zieht, indem aufgrund der Übertragung des Images des Zeichens oder der durch das Zeichen vermittelten Merkmale auf die mit dem identischen oder ähnlichen Zeichen gekennzeichneten Waren eine eindeutige Ausnutzung der Sogwirkung des bekannten Zeichens gegeben ist („Trittbrettfahren“ – EuGH 22. 9. 2011, C‑323/09 , Interflora, Rn 74)
3.2. Schon das Erstgericht hat darauf hingewiesen, dass der im Zeichen selbst gelegene Imagewert und der Sogwert des konkreten Zeichens schmarotzerisch ausgebeutet werden müsste. Warum hier neben der Bekanntheit der Schütte der Klägerin dieser auch ein bestimmtes Image zukommen oder eine gewisse Wertschätzung entgegengebracht werden soll, wurde – anders als im Fall der Trikots der österreichischen Fußballnationalmannschaft (4 Ob 212/11x) – aber weder vorgebracht, noch ist dies ersichtlich, zumal nach den Feststellungen beide Parteien neben den fraglichen Schütten auch eine Vielzahl anderer (überwiegend nicht einmal im Ansatz ähnlicher) Bauformen für ihre Entnahmeboxen verwenden. Es wurde weder dargelegt noch ersichtlich gemacht, inwiefern die Verwendung des konkreten Zeichens– die fragliche Schütte – die Verkörperung der Wertschätzung für das Gratisblatt der Klägerin wäre, oder dass gerade diese eine Schüttenform einen mit der Zeitung verknüpften Imagewert aufwiese, den die Beklagte ausgenützt hätte. Zu einem konkret zu dessen Herstellung und Pflege von der Klägerin getriebenen (Werbe‑)Aufwand (vgl 4 Ob 38/06a, 17 Ob 27/11m) führt auch die Revision nichts Konkretes aus (vgl 4 Ob 203/17g).
3.3. Insgesamt zeigt die Revision auch in diesem Punkt keine im Einzelfall vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung auf.
4. Weder die behaupteten rechtlichen Feststellungsmängel noch die behaupteten Verfahrensmängel liegen vor; einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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