OGH 2Ob95/22t

OGH2Ob95/22t6.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Lattenmayer Luks & Enzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch MMag. Dr. Michael Stelzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung (hier: einstweiliger Unterhalt), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei (Revisionsrekursinteresse: 7.339,68 EUR) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Februar 2022, GZ 45 R 518/21s‑162, mit dem einem Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 15. Oktober 2021, GZ 92 C 4/20y‑146, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00095.22T.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Im vor dem Erstgericht zwischen den Parteien anhängigen Scheidungsverfahren begehrt der Beklagte von der Klägerin einstweiligen Unterhalt in Höhe von 1.436 EUR monatlich ab Juni 2021.

[2] Das Erstgericht verpflichtete die Klägerin zur Zahlung einstweiligen Unterhalts ab Juli 2021 in Höhe von 203,88 EUR (1.), für Juni 2021 in Höhe von 88,35 EUR (2.) und wies das Mehrbegehren ab (3.). Unter Berücksichtigung des durchschnittlichen monatlichen Einkommens der Klägerin (1.863,02 EUR sowie Sachbezug Dienstwohnung: 899,11 EUR), des Eigeneinkommens des Beklagten (1.000 EUR) sowie der vorhandenen zwei Sorgepflichten errechne sich ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 203,88 EUR. Da einstweiliger Unterhalt erst ab Antragstellung begehrt werden könne, sei dieser für Juni 2021 zu aliquotieren.

[3] Das Rekursgericht gab einem Rekurs der Klägerin Folge und wies den Sicherungsantrag zur Gänze ab. Die Hausgemeinschaft der Streitteile sei durch eine – wenn auch räumlich auf das eheliche Haus in * beschränkte – Wegweisung des Beklagten mit einstweiliger Verfügung nach § 382b EO aufgehoben. Die von ihm daher vereitelte Nutzung der Wohnmöglichkeit in der zuletzt gemeinsam bewohnten Dienstwohnung in Wien müsse er sich als Naturalunterhalt in Form der dadurch bewirkten Wohnkostenersparnis entsprechend seinem Kopfteil (225 EUR) anrechnen lassen, sodass kein Restunterhaltsanspruch in Geld mehr verbleibe. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege ob bzw inwieweit bei der Bemessung eines Unterhaltsanspruchs nach § 94 ABGB der Umstand einzubeziehen sei, dass die dem unterhaltspflichtigen Ehepartner als Sachbezug zuzurechnende Dienstwohnung, die die Ehewohnung darstelle, vom unterhaltsberechtigten Ehepartner aus Anlass einer mittels „Gewaltschutz-EV“ angeordneten Ausweisung aus einem zum ehelichen Vermögen gehörenden Objekt nicht mehr genutzt werde.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der von der Klägerin beantwortete Revisionsrekurs, mit dem der Beklagte die Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

[5] Der Revisionsrekurs macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, esfehle Rechtsprechung dazu, ob das Verlassen der Ehewohnung durch den Unterhaltsberechtigten aufgrund seiner polizeilichen Wegweisung bzw einstweiligen Verfügung nach § 382b EO gerechtfertigt sei. Überdies sei das Rekursgericht bei der Höhe des anzurechnenden Naturalunterhalts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen, weil dem Unterhaltsberechtigten stets ein Restunterhaltsanspruch in Geld zu verbleiben habe.

1. Anrechnung der Wohnkostenersparnis bei Wegweisung des Unterhaltsberechtigten mit einstweiliger Verfügung nach § 382b EO

[6] 1.1 Grundsätzlich ist nach Aufhebung der ehelichen Hausgemeinschaft der gesamte angemessene Unterhalt des Unterhaltsberechtigten in Geld zu leisten (RS0009414). Hat der Unterhaltsberechtigte aber nicht für die Kosten der Wohnversorgung aufzukommen, so bedarf er regelmäßig nicht mehr des gesamten festgesetzten Geldunterhalts, um seinen vollständigen Unterhalt zu decken (RS0047254). Für die Überlassung der Wohnung an den Unterhaltsberechtigten ist daher (nur) der fiktive Mietwert der Wohnung wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs aufgrund der Wohnkostenersparnis als Naturalunterhalt anzurechnen (RS0130891), wobei der für den Wohnungsaufwand geleistete Naturalunterhalt in der Regel nach Köpfen auf alle die Wohnung benutzenden Personen, die in einer unterhaltsrechtlichen Beziehung zum Unterhaltspflichtigen stehen, aufzuteilen und auf deren Unterhaltsansprüche anzurechnen ist (RS0123487 [T1]).

[7] 1.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Unterhaltspflichtige durch sein Verhalten seine unterhaltsberechtigten Kinder nicht in ihren Ansprüchen schmälern darf, sodass sein Auszug aus der Ehewohnung gegenüber den Kindern regelmäßig unbeachtlich und sein „Kopf“ bei der Ermittlung der anzurechnenden Anteile weiterhin zu berücksichtigen ist (RS0123488). Dies gilt auch für den Ehegattenunterhalt, wenn kein einvernehmlicher Auszug oder die Voraussetzungen des § 92 ABGB vorliegen (RS0123488 [T2]). Wenn daher kein Einvernehmen der Ehegatten nach § 91 ABGB vorliegt und es dem Unterhaltspflichtigen auch nicht gelingt, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 92 ABGB zu beweisen, oder wenn er nicht darlegt, dass das weitere Zusammenwohnen mit dem Unterhaltsberechtigten aus besonderen Gründen nicht mehr zumutbar ist, ist er in die Aufteilung des fiktiven Mietwerts der Wohnung miteinzubeziehen (RS0123488 [T3]). Dass dem freiwilligen Auszug des Unterhaltspflichtigen auch eine Wegweisung oder eine entsprechende einstweilige Verfügung nach § 382b EO gleichzuhalten sind, wurde bereits mehrfach festgehalten (4 Ob 42/10w Pkt 3.3.; 10 Ob 7/14y; 3 Ob 164/17i; 4 Ob 54/19y Pkt 1.).

[8] 1.3 Auch dann, wenn der Unterhaltsberechtigte die Ehewohnung verlässt, kommt es für die Anrechenbarkeit der Wohnkostenersparnis als Naturalunterhalt darauf an, ob dieser aus gerechtfertigten Gründen auszog. Das Verlangen des (gesamten) Geldunterhalts wäre unbillig, wenn der Unterhaltsberechtigte die Ehewohnung, die ihm zur Deckung seines Wohnbedürfnisses zur Verfügung stünde, ohne gerechtfertigte Gründe verlässt (6 Ob 15/08m ErwGr 1.4.). Dass ebenso eine Wegweisung des Unterhaltsberechtigten oder eine gegen ihn erlassene einstweilige Verfügung nach § 382b EOseinem freiwilligen (grundlosen) Auszug gleichzuhalten sind, folglich keine gerechtfertigten Auszugsgründe auf seiner Seite vorliegen, ist schon aus Gründen der Gleichbehandlung der Ehegatten selbstverständlich und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf (vgl RS0042656). Auch wenn die einstweilige Verfügung – wie im vorliegenden Fall – nicht die Ehewohnung betrifft, sondern (räumlich) auf eine andere Unterkunft der Ehegatten beschränkt ist, wird dadurch die Unzumutbarkeit der gemeinsamen Nutzung der Ehewohnung aus vom Unterhaltsberechtigten zu vertretenden Gründen dokumentiert. Vereitelt er daher die (gemeinsame) Nutzung der Ehewohnung wäre das Verlangen des gesamten Geldunterhalts unbillig, sodass er sich die Wohnkostenersparnis anrechnen lassen muss.

2. Höhe des anzurechnenden Naturalunterhalts

[9] 2.1 Naturalunterhalt ist grundsätzlich nur im angemessenen Umfang zu berücksichtigen (RS0123487 [T4]); dem Unterhaltsberechtigten hat grundsätzlich stets ein in Geld zu leistender Unterhalt zuzukommen, weil er ja von der Wohnung alleine nicht leben kann (RS0123487 [T6]). Zumindest bei durchschnittlichen Verhältnissen lässt die Rechtsprechung eine Kürzung des Geldunterhaltsanspruchs aus dem Titel der Wohnversorgung daher lediglich um rund ein Viertel zu. Steht dabei jenem Ehegatten, der die Wohnung benutzt (bzw hier: aus ihm zuzurechnenden, einem freiwilligen Auszug gleichzuhaltenden Gründen nicht mehr benutzt) aufgrund eigenen Einkommens nur ein Ergänzungsunterhalt zu, ist dieses Viertel nicht aus diesem zu ermitteln, sondern aus dem Eigeneinkommen und dem (ungekürzten) Ergänzungsunterhalt, kommt es doch maßgeblich darauf an, dass diesem Ehegatten ausreichend Geldmittel zur Verfügung stehen, um seine Bedürfnisse jenseits des Wohnens angemessen befriedigen zu können; dabei ist aber auch Eigeneinkommen zu berücksichtigen (3 Ob 164/17i mwN).

[10] 2.2 Aus dem Eigeneinkommen (1.000 EUR) und dem (ungekürzten) Ergänzungsunterhalt (203,88 EUR) müssen dem Unterhaltsberechtigten daher etwa drei Viertel (rund 900 EUR) verbleiben. Übersteigt das Eigeneinkommen den sich so errechnenden Betrag verbleibt kein Anspruch auf weiteren Unterhalt (vgl 6 Ob 43/12k ErwGr 2.). Wenn das Rekursgericht daher einen Restunterhaltsanspruch in Geld verneint, hält sich auch diese Beurteilung im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

[11] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen (RS0112296). Die Bemessungsgrundlage für das anwaltliche Honorar bildet ausschließlich der Jahreswert der strittigen Unterhaltsleistung. Rückstände sind nicht zu berücksichtigen (RS0121989). Die insoweit verfehlte Verzeichnung hat aber keinen Tarifsprung zur Folge.

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