OGH 6Ob43/12k

OGH6Ob43/12k19.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei M***** H*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei W***** H*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen einstweiligen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 30. November 2011, GZ 23 R 522/11d‑19, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 21. Oktober 2011, GZ 3 C 31/11p‑4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ‑ unter Berücksichtigung der in Rechtskraft erwachsenen Teile ‑ dahin abgeändert, dass der Antrag der gefährdeten Partei auf Verpflichtung ihres Gegners zur Zahlung eines einstweiligen Ehegattenunterhalts in Höhe von monatlich 600 EUR ab 1. 8. 2011 zur Gänze abgewiesen wird.

Die gefährdete Partei ist schuldig, ihrem Gegner die mit 930,60 EUR (darin 155,10 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 683,38 EUR (darin 113,90 EUR Umsatzsteuer) des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Parteien sind aufrecht verheiratet, es behängt jedoch ein Scheidungsverfahren. Die beiden dieser Ehe entstammenden Kinder sind bereits selbsterhaltungsfähig.

Nach dem von den Vorinstanzen als bescheinigt angenommenen Sachverhalt bezieht der beklagte Mann aus seiner „betrieblichen“ Tätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen von 1.500 EUR, die klagende Frau ist seit Oktober 2011 ohne Beschäftigung und bezieht ein monatliches Arbeitslosenentgelt von rund 600 EUR.

Die Frau lebt allein in dem im Miteigentum der Parteien stehenden Haus, welches bislang als Ehewohnung diente. Der Mann ist im Mai 2011 ausgezogen, wobei die Frau anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Erstgericht zugestanden hat, damit einverstanden gewesen zu sein (AS 22). Der Mann hat im Verfahren erster Instanz einen Wohnungswert von monatlich 500 EUR behauptet (AS 11); dies wurde von der Frau nicht bestritten.

Es ist zwischen den Parteien im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig, dass der Frau bei Außerachtlassung des Umstands, dass sie das Haus allein bewohnt, ein monatlicher Ergänzungsunterhalt gemäß § 94 ABGB in Höhe von 243 EUR zustehen würde.

Die Vorinstanzen verpflichteten den Mann ab 1. 10. 2011 zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts in dieser Höhe und wiesen das Mehrbegehren von 357 EUR monatlich sowie das gesamte Begehren für August und September 2011 (insoweit rechtskräftig) ab. Der Mann könne sich nicht auf die Leistung von Naturalunterhalt durch Zurverfügungstellen des Hauses berufen, weil er die „Begleichung“ der Kosten für das Haus nicht „hinreichend bescheinigt“ habe (Erstgericht) und „sich aus dem bloßen Miteigentum allein kein Anspruch auf Anrechnung eines fiktiven Mietzinses als Naturalunterhalt auf den geschuldeten Geldunterhalt ableite“ (Rekursgericht).

Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht mit der Begründung zu, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob im Rahmen des Ehegattenunterhalts der fiktive Mietwert nur dann auf den Geldunterhaltsanspruch anzurechnen sei, wenn der Unterhaltspflichtige Leistungen für die von ihm zur Verfügung gestellte Wohnung erbringt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die Rechtslage verkannt hat; er ist auch berechtigt.

1. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist der fiktive Mietwert einer dem Unterhaltsberechtigten vom Unterhaltspflichtigen überlassenen Eigentumswohnung wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs ganz oder teilweise als Naturalunterhalt anzurechnen (statt vieler siehe 4 Ob 42/10w EF‑Z 2010/133 mwN). Dieser Grundsatz gilt sowohl im Kindes- als auch im Ehegattenunterhaltsrecht (vgl 6 Ob 5/08s EF‑Z 2008/83 [Deixler-Hübner]).

Steht die Wohnung im Miteigentum der Ehegatten, ist die fiktive Mietersparnis im Ausmaß der Miteigentumsanteile zu berücksichtigen (4 Ob 142/06w SZ 2006/144).

Die in vereinzelten Entscheidungen vom 2. Senat des Obersten Gerichtshofs vertretene Auffassung, aus dem bloßen Miteigentum lasse sich noch kein Anspruch auf Anrechnung eines fiktiven Mietzinses als Naturalunterhalt ableiten (2 Ob 39/08m iFamZ 2009/7; 2 Ob 224/08t EF‑Z 2009/141 [Gitschthaler] = iFamZ 2009/226 [Neumayr] = Zak 2009/594 [Kolmasch]; ebenso 1 Ob 71/07h unter Berufung auf 2 Ob 169/05z), wurde in jüngerer Zeit unter dem Eindruck der an der Entscheidung 2 Ob 224/08t von den Glossatoren geäußerten Kritik nicht aufrecht erhalten. Tatsächlich kommt es auf die (gänzliche oder teilweise) Wohnkostenersparnis durch Zurverfügungstellen der Wohnung an (4 Ob 42/10w; 4 Ob 203/10x iFamZ 2011/122 [Deixler‑Hübner]; ebenso 2 Ob 246/09d EF‑Z 2011/42 [Gitschthaler] [unter ausdrücklicher Ablehnung der eigenen gegenteiligen Vorjudikatur]). Dieser jüngeren Rechtsprechung schließt sich auch der erkennende Senat vor allem im Hinblick darauf an, dass es auch bei Zurverfügungstellen (lediglich) von Miteigentum zu einer teilweisen Doppelalimentation des Unterhaltsberechtigten käme.

Ausgehend von dem im vorliegenden Verfahren unbestritten gebliebenen „Wohnungswert“ des von der Frau nunmehr allein genutzten Hauses in Höhe von 500 EUR und bestehendem (jeweiligem) Hälfteeigentum der Parteien kann sich der Mann somit monatlich 250 EUR als Naturalunterhalt auf die ihn treffende Unterhaltsverpflichtung anrechnen lassen. Dass er das Haus verlassen hat, kann dabei nicht zu seinen Lasten gehen, war die Frau damit doch einverstanden (§ 90 ABGB; 6 Ob 5/08s; 4 Ob 203/10x).

2. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung ist der Naturalunterhalt grundsätzlich nur im angemessenen Umfang anzurechnen; dem Unterhaltsberechtigten hat stets ein in Geld zu leistender Unterhalt zuzukommen, weil er ja von der Wohnung allein nicht leben kann (statt vieler siehe 2 Ob 246/09d mwN). Zumindest bei durchschnittlichen Verhältnissen lässt die Rechtsprechung eine Kürzung des Geldunterhaltsanspruchs aus dem Titel der Wohnversorgung daher lediglich um rund ein Viertel zu (4 Ob 42/10w; LG Wels EFSlg 122.627 [2009]; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR [2011] § 94 ABGB Rz 260). Steht dabei jenem Ehegatten, der die Eigentumswohnung benutzt, aufgrund eigenen Einkommens nur ein Ergänzungsunterhalt zu, ist dieses Viertel nicht aus diesem zu ermitteln, sondern aus dem Eigeneinkommen und dem (ungekürzten) Ergänzungsunterhalt, kommt es maßgeblich doch darauf an, dass diesem Ehegatten ausreichend Geldmittel zur Verfügung stehen, um seine Bedürfnisse jenseits des Wohnens angemessen befriedigen zu können; dabei ist aber auch sein Eigeneinkommen zu berücksichtigen.

Das Eigeneinkommen der Frau beträgt hier rund 600 EUR, der Ergänzungsunterhalt (ungekürzt) rund 240 EUR. Von diesen rund 800 EUR müssen der Frau rund drei Viertel, also rund 600 EUR in Geld zukommen. Da die Frau über ein Eigeneinkommen in dieser Höhe verfügt, hat sie keinen Anspruch auf (weiteren) Provisorialunterhalt.

3. Damit war in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen und in Entsprechung der Rekurs- und Revisionsrekursanträge ab 1. 10. 2011 das gesamte Provisorialbegehren abzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 393 EO, § 41 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf § 393 EO, §§ 41, 50 ZPO. Die Bemessungsgrundlage richtet sich nach § 9 Abs 3 RATG und beträgt daher im Verfahren erster Instanz 7.200 EUR und im Rechtsmittelverfahren 2.916 EUR.

Stichworte