European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00044.22T.0530.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.
Begründung
und
Entscheidungsgründe:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Umstand, dass die in § 52 NO vorgesehene Belehrung nicht erteilt wurde, der Wirksamkeit eines Notariatsakts entgegensteht.
[2] Die 1933 geborene Klägerin ist die Mutter des Beklagten. Sie ist grundbücherliche Eigentümerin der gegenständlichen Liegenschaft.
[3] Am 22. 11. 2016 beauftragte der Beklagte eine Notarin mit der Errichtung eines Vertrags zur Übergabe der Liegenschaft der Klägerin an ihn gegen Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechts. Die Notarin bereitete auf Grundlage der vom Beklagten erteilten Informationen einen Schenkungsvertrag vor und begab sich am 30. 11. 2016 zur Unterfertigung dieses Vertrags zu den Streitteilen in das Krankenhaus, in dem sich die Klägerin in stationärer Behandlung befand. Dort unterfertigten die Klägerin und der Beklagte den vorbereiteten Notariatsakt, nachdem ihnen der Vertragstext von der Notarin vorgelesen worden war. Die Klägerin nahm vor Abschluss des Schenkungsvertrags keine rechtliche Beratung in Anspruch.
[4] Die Klägerin begehrte (zuletzt) die Feststellung, dass der am 30. 11. 2016 zwischen den Streitteilen unterzeichnete Schenkungsvertrag über die gegenständliche Liegenschaft nichtig ist. Hilfsweise begehrt sie die Aufhebung des Vertrags und die Übergabe der Liegenschaft (erstes Eventualbegehren), die Feststellung, dass der Schenkungsvertrag aufgehoben sei (zweites Eventualbegehren), die Aufhebung des Schenkungsvertrags wegen groben Undanks (drittes Eventualbegehren) und die Anpassung des Schenkungsvertrags im Sinne der Einräumung der Dienstbarkeit auch gegenüber ihrem Lebensgefährten (viertes Eventualbegehren). Soweit für das Revisionsverfahren relevant brachte die Klägerin vor, dass ein wirksamer Notariatsakt nicht vorgelegen sei. Die Notarin hätte eine Pflicht zur eingehenden Belehrung getroffen, die nicht erfolgt sei.
[5] Der Beklagte bestritt und wendete ein, dass die Schenkung ohne wirkliche Übergabe lediglich die Notariatsaktspflicht bedinge, die gegenständlich erfüllt worden sei.
[6] Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab. Es stellte den eingangs auf das für das Revisionsverfahren Relevante zusammengefassten Sachverhalt fest und folgerte rechtlich, dass der Schenkungsvertrag in Form eines Notariatsakts errichtet worden sei, sodass der Vertrag gemäß § 1 Abs 1 lit d Notariatsaktsgesetz auch ohne wirkliche Übergabe der Liegenschaft gültig sei.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts im Hauptbegehren als Teilurteil und hob es im Übrigen auf. Hinsichtlich der Abweisung des Hauptbegehrens ging es davon aus, dass die unterbliebene Belehrung der Klägerin nicht zur Nichtigkeit des Notariatsakts führe, sodass die Entscheidung insofern zu bestätigen sei.
[8] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nachträglich zu, weil zur Frage, ob ein Verstoß gegen § 52 NO die Nichtigkeit des Notariatsakts bewirke, Klarstellungsbedarf bestehe.
[9] Gegen die Abweisung des Hauptbegehrens richtet sich die – nach Freistellung durch das Berufungsgericht beantwortete – Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidung der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Hauptbegehren auf Feststellung der Nichtigkeit des am 30. 11. 2016 zwischen den Streitteilen unterzeichneten Schenkungsvertrags über die Liegenschaft der Klägerin stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[11] A. Die Revisionsbeantwortung des Beklagten ist verspätet. Der Abänderungsbeschluss des Berufungsgerichts mit der Mitteilung nach § 508 Abs 5 ZPO wurde dem Beklagten am 7. 2. 2022 zugestellt. Die Revisionsbeantwortung wurde am 1. 3. 2022 beim Erstgericht eingebracht. Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit ist jedoch jener Zeitpunkt maßgebend, an dem die Revisionsbeantwortung beim funktionell zuständigen (§ 507a Abs 3 Z 1 ZPO) Berufungsgericht einlangte (RS0043678 [T1]). Dies geschah hier erst am 9. 3. 2022, sohin nach Ablauf der Revisionsbeantwortungsfrist mit 7. 3. 2022.
[12] B.1.1. Nach § 52 NO ist der Notar ua verpflichtet, bei Aufnahme eines Notariatsakts die Parteien über den Sinn und die Folgen desselben zu belehren. Das Ausmaß der Belehrung richtet sich dabei nach dem gegebenen Bildungs- und Intelligenzgrad, den offenbaren Kenntnissen der Parteien und einer allfälligen rechtskundigen Vertretung (RS0026419 [T15]; Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 52 Rz 7), hängt demnach also von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (9 Ob 82/04f; RS0026419 [T10]). Keine Pflicht zur Belehrung besteht, wenn die Parteien darauf verzichten, weil sie schon (rechtskundigen) Rat eingeholt haben oder rechtskundig (zB Juristen) sind, oder wenn feststeht, dass sie zwecklos wäre (etwa bei unumstößlicher Voreingenommenheit, offensichtlicher „Sturheit“, völliger Uneinsichtigkeit) oder wenn die Parteien einen rechtlich unbedenklichen vollständigen Entwurf vorlegen und sich über Bedeutung und Folgen des Geschäfts im Klaren sind (Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 52 Rz 10).
[13] B.1.2. Die Folgen der Nichteinhaltung der Belehrungspflicht sind im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Im Unterschied dazu knüpfen § 66 NO an die Außerachtlassung der in den §§ 54 bis 65 NO gebotenen Förmlichkeiten und Vorsichten sowie § 68 Abs 1 NO an die Unterlassung der dort genannten Erfordernisse die Folge des Verlusts der Kraft einer öffentlichen Urkunde (Solennitätsverlust), woraus auch die Formungültigkeit des Notariatsakt folgt (6 Ob 20/20i [Pkt 1.]; 2 Ob 13/18b [Pkt B.2.1.]; P. Bydlinski, Notariatsakt und Notarshaftung, NZ 1991, 235 ff [236]). Die Beteiligung eines nach § 33 Abs 1 NO ausgeschlossenen Notars führt ebenfalls dazu (§ 33 Abs 2 NO).
[14] B.1.3. Nach Rechtsprechung (6 Ob 122/21s [Pkt 3.4 und 4.1]; 9 Ob 82/04f [obiter]; OLG Wien 16 R 124/19a, 4 R 67/10t [beide unveröffentlicht]; VwGH 92/16/0102 ecolex 1994, 428 = AnwBl 1994/4872 [Arnold]) und überwiegender Literatur (Wagner/Knechtel, Notariatsordnung6 § 52 Rz 1; P. Bydlinski, NZ 1991, 236; vgl zu § 76 Abs 2 NO: Schönherr, Kann ein deutscher Notar die Übertragung von Geschäftsanteilen einer österreichischen GmbH rechtswirksam beurkunden? GesRZ 1985, 63 sowie Kralik, Locus regit actum und die ausländische Beurkundung, Schima-FS [1969] 229 ff [243 f]) berühren (nicht aufgrund einer anderen Bestimmung ausdrücklich mit Solennitätsverlust verbundene) Verstöße gegen die in § 52 NO angeordnete Belehrungspflicht die Wirksamkeit des Notariatsakts grundsätzlich nicht.
[15] B.1.4. Für dieses Ergebnis spricht auch das schutzwürdige Vertrauen des Rechtsverkehrs auf die Wirksamkeit äußerlich ordnungsgemäßer Notariatsaktsurkunden. Die Einhaltung der ausdrücklich mit Solennitätsverlust sanktionierten Förmlichkeiten kann regelmäßig einfach überprüft werden. Die Erforderlichkeit und das Ausmaß einer allenfalls nötigen Belehrung hängen demgegenüber von den Umständen des Einzelfalls ab (oben Pkt B.1.1.), sodass eine (unzulässigerweise) unterlassene oder nicht ausreichende Belehrung typischerweise nicht erkennbar ist (P. Bydlinski, NZ 1991, 236 f).
[16] B.2. Die in der Revision dagegen vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.
[17] B.2.1. Zwar ist jedes Formgebot, wenn seine Reichweite in Frage steht, auf seinen Zweck zu prüfen (RS0031424). Aus diesem Grund unterliegt im Fall der Schenkung nach § 1 Abs 1 lit d Notariatsaktsgesetz etwa nur die Erklärung des Geschenkgebers der Formpflicht (RS0132218), weil dies zur Gewährleistung des mit dieser Bestimmung angestrebten Übereilungsschutz hinreicht (RS0132218 [T1]). Dieser Formzweck rechtfertigt es aber nicht, an einen Verstoß gegen § 52 NO den Solennitätsverlust zu knüpfen. Einer Übereilung wirkt insbesondere bereits entgegen, dass eine öffentliche Urkundsperson am Vertragsschluss mitwirkt und den Inhalt der Urkunde verliest. Entgegen der in der Revision geäußerten Rechtsansicht würde das Formgebot bei Wirksamkeit eines ohne Belehrung zustandegekommenen Notariatsakts somit nicht „völlig ins Leere laufen“. Die Belehrungspflicht des Notars ist auch nicht sinnlos, wenn Notariatsakte trotz ihrer Verletzung wirksam bleiben, weil darauf Schadenersatzansprüche gegründet werden können.
[18] B.2.2. Soweit die Revisionswerberin aus den im Rechtsmittel genannten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs ein anderes Ergebnis ableitet, betreffen diese– wie sie teilweise selbst erkennt – nach den §§ 66 oder 68 Abs 1 NO mit Solennitätsverlust sanktionierte Verstöße oder lassen sich die von der Klägerin gezogenen Schlüsse daraus nicht ziehen. Richtig ist zwar, dass § 52 NO dem Schutz der Allgemeinheit in ihrem Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit der durch einen Notariatsakt beurkundeten Rechtsgeschäfte dient (RS0071158). Dies kann für allfällige Schadenersatzansprüche gegen den Notar relevant sein, sagt jedoch über die Wirksamkeit eines ohne ausreichende Belehrung zustande gekommenen Notariatsakts nicht unmittelbar etwas aus.
[19] B.3. Die Klägerin meint schließlich, dass der vorliegende Schenkungsvertrag auch dann unwirksam sei, wenn man ihrem Standpunkt nicht folgte, und der Beklagte jedenfalls nicht auf die Wirksamkeit des Schenkungsvertrags vertrauen habe dürfen. Worauf sie diese Behauptungen stützt, lässt sich der Revision jedoch nicht nachvollziehbar entnehmen, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist (RS0043603; RS0043605). Die Abweisung des auf Unwirksamkeit des Schenkungsvertrags gerichteten Feststellungsbegehrens durch die Vorinstanzen entspricht somit der Rechtslage.
B.4. Zusammenfassend ergibt sich:
[20] B.4.1. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 52 NO führt nicht zur Unwirksamkeit des Notariatsakts.
[21] C. Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 40, 50 ZPO.
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