Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass die Einrede des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit sowie der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts verworfen wird. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.490,20 EUR (darin enthalten 1.415,03 EUR USt) bestimmten Kosten des Zuständigkeitsstreits in allen drei Instanzen binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Begründung
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage von der Beklagten die Bezahlung von 161.338,10 EUR sA. Die Beklagte habe die Klägerin im April 2005 mit der Durchführung von Isolierarbeiten der Gewerke Heizung/Sanitär/Kälte/Lüftung und Brandschutz beim Bauvorhaben C***** Klagenfurt beauftragt. Die Klägerin habe mit Auftragsbestätigung vom 19. 5. 2005 diesen Auftrag angenommen und in der Folge ordnungsgemäß durchgeführt. Der Klagsbetrag sei der restlich aushaftende Werklohn. Das angerufene Erstgericht sei gemäß Art 5 Z 1 EuGVVO zuständig, Erfüllungsort für die Werkleistung sei Klagenfurt. Eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 23 EuGVVO schlösse zwar die Anwendung des Erfüllungsgerichtsstands gemäß Art 5 EuGVVO aus, sei jedoch nicht getroffen worden. Im „Verhandlungsprotokoll" vom 6. 4. 2005 sei die Geltung der VOB/B (deutsche Verdingungsordnung für Bauleistungen) enthalten. Der Vertrag sei jedoch erst mit der Retournierung dieses Protokolls als Beilage der Auftragsbestätigung der Klägerin vom 19. 5. 2005 zustandegekommen. In der Auftragsbestätigung verweise die Klägerin auf die Geltung ihrer beigelegten Verkaufsbedingungen, sodass dadurch der Geltung der VOB/B widersprochen worden sei. In den Verkaufsbedingungen der Klägerin sei eine Vereinbarung der Anwendung österreichischen Rechts sowie des Gerichtsstands Wien oder jedes anderen gesetzlichen Gerichtsstands enthalten. Selbst wenn die VOB/B vereinbart worden wären, wäre damit keine gültige Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art 23 EuGVVO getroffen worden. Die Frage der Gerichtsstandsvereinbarung sei weder zwischen den Vertragsparteien erörtert noch seien der Klägerin vor Vertragsabschluss die VOB/B übergeben worden, sie seien ihr auch nicht vorgelegen. Der Klägerin sei nicht bewusst gewesen, dass in den VOB/B eine Gerichtsstandsvereinbarung oder die Wahl materiellen Rechts enthalten sei.
Die Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts sowie der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit und beantragte, die Klage mangels Zuständigkeit zurückzuweisen, hilfsweise, das Klagebegehren abzuweisen. Grundlage des zwischen den Parteien abgeschlossenen Werkvertrags bilde das beiderseitig unterfertigte Verhandlungsprotokoll vom 6. 4. 2005. Danach sei die Geltung der VOB/B vereinbart worden. Gemäß § 18 Nr 1 der VOB/B hätten die Parteien ausdrücklich einen Gerichtsstand vereinbart, nämlich die örtliche Zuständigkeit nach dem Gerichtsstand des Auftraggebers, hier der Beklagten. Zuständig sei daher das für B***** in Deutschland örtlich zuständige Gericht. Diese Gerichtsstandsvereinbarung schließe die Anwendbarkeit des Gerichtsstands des Erfüllungsorts gemäß Art 5 Nr 1 EuGVVO aus.
Das Erstgericht wies die Klage mangels örtlicher und internationaler Zuständigkeit bzw mangels inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Es traf folgende entscheidungswesentlichen Feststellungen:
Die Parteien sind Unternehmer. Der Geschäftsführer der Beklagten, Burkhard T*****, stellte das von ihm am 6. 4. 2005 entworfene Verhandlungsprotokoll anlässlich der Besprechung am 28. 4. 2005 fertig. Burkhard T*****, Christian B***** (ein Angestellter der Klägerin) und DI Helmut P***** für die Klägerin besprachen die einzelnen Punkte des Verhandlungsprotokolls. Christian B***** und DI Helmut P***** akzeptierten bei der Besprechung, dass deutsches Recht für den Vertrag zur Anwendung komme. Nach Einigung, dass die Beklagte der Klägerin den Auftrag erteile, unterfertigte Christian B***** das Verhandlungsprotokoll für die Klägerin.
Im Verhandlungsprotokoll vom 6. bzw 28. 4. 2005 führte der Geschäftsführer der Beklagten ua an:
„...
Es wird die Geltung der VOB/B vereinbart.
...
Der Auftrag wurde bereits am 28. 4. 2005 mündlich erteilt."
Der Geschäftsführer der Beklagten hat die VOB den Vertretern der Klägerin nicht ausgehändigt. Über Zuständigkeiten bzw Gerichtsstandsvereinbarungen wurde konkret nie gesprochen. Die VOB ist die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, ein vorformuliertes Regelwerk, das Regelungen für Vergabe- und Vertragsrecht für Bauleistungen enthält. Die VOB sind über das Internet jederzeit leicht beschaffbar.
Teil B der VOB lautet „Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen".
§ 18 der VOB/B lautet:
„1. Liegen die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 ZPO vor, richtet sich der Gerichtsstand für Streitigkeiten aus dem Vertrag nach dem Sitz der für die Prozessvertretung des Auftraggebers zuständigen Stelle, wenn nichts Anderes vereinbart ist. Sie ist dem Auftragnehmer auf Verlangen mitzuteilen. ..."
Die Vertreter der Klägerin wussten, dass die VOB für Deutschland ein Regelwerk vergleichbar mit den Ö-Normen in Österreich darstellt. Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Vertrag zwischen den Streitteilen sei anlässlich der Unterfertigung des Protokolls am 28. 4. 2005 zustandegekommen. Den Formerfordernissen einer Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 23 Abs 1 lit a bis c EuGVVO sei entsprochen worden. Die Vereinbarung der VOB/B, die mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vergleichbar sei, sei nicht an versteckter Stelle erfolgt. Durch die Unterfertigung des Protokolls habe die Klägerin die Gerichtsstandsvereinbarung pauschal angenommen, da die Vereinbarung der VOB/B unmissverständlich enthalten gewesen sei. Wenngleich hier die VOB/B der Klägerin nicht ausgehändigt worden seien, hätte die Klägerin dem Hinweis bei Anwendung normaler Sorgfalt leicht nachgehen und die VOB/B auch ohne Ausfolgung durch die Beklagte mühelos erlangen können. Im Unterschied zu Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Vertragspartners seien die VOB allgemein zugängliche Regelwerke, die nach dem Stand der Technik Kaufleute im Baugewerbe allgemein bekannt seien. Die Gerichtsstandsvereinbarung der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts des Auftraggebers stelle einen Verzicht auf eine Prozessführung am Sitz des Auftragnehmers dar.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin in der Hauptsache nicht Folge. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts sei im Wesentlichen zutreffend. Dem Schriftformerfordernis gemäß Art 23 Abs 1 lit a EuGVVO könne auch durch eine Bezugnahme auf AGB entsprochen werden, wenn der Vertragstext auf diese Bezug nehme. Es genüge auch ein entsprechender Hinweis in getrennten Schriftstücken, wenn die andere Partei diesen unter Anwendung normaler Sorgfalt nachgehen könne und die genannten AGB dieser Partei tatsächlich zugegangen seien. Diese Grundsätze stünden mit der Entscheidung des Erstgerichts im Einklang: Es sei keineswegs notwendig, dass sich die andere Partei (Klägerin) tatsächlich Kenntnis von den AGB verschafft habe, es genüge vielmehr, wenn ihr dies ohne besondere Probleme möglich gewesen sei, sonst würde es schon genügen, sie einfach zu ignorieren oder zu beseitigen. Wesentlich sei also die Möglichkeit der rechtzeitigen Kenntnisnahme. AGB seien vom Verwender für eine Vielzahl von Geschäften vorgesehene vorformulierte Vertragsbedingungen. Bei diesen sei naturgemäß in der Regel der tatsächliche Zugang zur Kenntnisnahme erforderlich. Anderes gelte für ein vorformuliertes Regelwerk wie hier die VOB, die jederzeit insbesondere über das Internet leicht beschaffbar sei. Hier wäre es ein überspitzter Formalismus, die Übergabe der VOB von der Beklagten an die Klägerin zu verlangen. Denn die Beklagte habe unter den festgestellten Umständen objektiv gerechtfertigt davon ausgehen können, dass die Klägerin (als in der Baubranche tätige Unternehmerin, die mit deutschen Vertragspartnern zu kontrahieren bereit sei und die VOB ohne weiteres Nachfragen akzeptiere) dieses Regelwerk entweder ohnehin kenne oder es sich jederzeit problemlos verschaffen könne. Dazu komme, dass die Vertreter der Klägerin ohnehin gewusst hätten, dass die VOB für Deutschland ein Regelwerk sei, das mit den Ö-Normen in Österreich vergleichbar sei. Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten zu verwerfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.
Die Revisionsrekurswerberin führt zusammengefasst aus, nach den strengen Kriterien des EuGH und des Obersten Gerichtshofs sei im vorliegenden Fall die von der Beklagten behauptete Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 23 EuGVVO nicht zustandegekommen, sodass das Erstgericht aufgrund des Erfüllungsorts Klagenfurt gemäß Art 5 EuGVVO zuständig sei.
Diese Ausführungen sind berechtigt:
Die VOB/B (Verdingungsordnung für Bauleistungen) sind ein Typenvertrag oder Allgemeine Geschäftsbedingungen (Sprau in Palandt67, Einf v § 631 Rz 5; vgl zu Ö-Normen 6 Ob 98/00f; RIS-Justiz RS0038622).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs kann die Wahl des in einer Gerichtsstandsklausel vereinbarten Gerichts nur anhand von Erwägungen geprüft werden, die im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art 23 EuGVVO stehen. Erwägungen zu den Bezügen zwischen dem vereinbarten Gericht und dem streitigen Rechtsverhältnis zur Angemessenheit der Klausel und zu dem am gewählten Gerichtsstand geltenden materiellen Haftungsrecht stehen nicht im Zusammenhang mit diesen Erfordernissen. Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß Art 23 EuGVVO sind daher autonom auszulegen (EuGH 16. 3. 1999, Rs C-159/97 , Trasporti Castelletti/Hugo Trumpy, Slg 1999, I-1597; RIS-Justiz RS0114193).
Die im Art 23 EuGVVO (Art 17 LGVÜ) aufgestellten Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsklauseln sind eng auszulegen (EuGH 14. 12. 1976, Rs 24/76 , Estasis Salotti/Rüwa, Slg 1976, 1831; 14. 12. 1976, Rs 25/76, Galeries Segoura SPRL/Rahim Bonakdarian, Slg 1976, 1851 ua; RIS-Justiz RS0114604). Weiters vertreten der EuGH (Estasis Salotti/Rüwa; Galeries Segoura SPRL/Rahim Bonakdarian) und - dem EuGH folgend - auch der Oberste Gerichtshof (RIS-Justiz RS0111716, RS0115079 [T2], RS0109865 [T4, T5]) in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass zum Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 23 EuGVVO (Art 17 LGVÜ) die eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (hier: VOB/B) spätestens im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den Vertragspartnern vorliegen müssen.
Da es an dieser Voraussetzung im vorliegenden Fall mangelt, ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 23 EuGVVO nicht zustandegekommen. Der Verweis des Rekursgerichts auf die leichte Abfragbarkeit der VOB/B im Internet kann an dieser Beurteilung nichts ändern. Denn nach dem hier vorliegenden Sachverhalt musste dem Geschäftsführer der Beklagten bei Unterfertigung des Verhandlungsprotokolls durch den Vertreter der Klägerin bei der Besprechung am 28. 4. 2005 (womit der Vertrag zustandekam) klar sein, dass eine Interneteinsicht (vor Unterfertigung und somit vor Zustandekommen des Vertrags) nicht erfolgt war. Die Beklagte konnte daher keinesfalls von einer tatsächlichen Zustimmung zur aus dem Text des Verhandlungsprotokolls nicht ersichtlichen Gerichtsstandsklausel ausgehen (vgl Tiefenthaler in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2, Art 23 Rz 22, 29 aE; Mayr in Rechberger3 § 104 JN Rz 23 S 378).
Die Klägerin hat sich für die Zuständigkeit des Erstgerichts auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 5 EuGVVO berufen. Nach Art 5 Z 1 lit a EuGVVO kann eine Person verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Orts, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Alle Arten von Werkverträgen zählen zu den Dienstleistungsverträgen iSd Art 5 Z 1 lit b zweiter Fall EuGVVO (Czernich in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht2, Art 5 Rz 40; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht8, Art 5 Rz 44). Gemäß dieser Bestimmung ist (sofern - wie hier - nichts Anderes vereinbart worden ist) der Erfüllungsort der Verpflichtung im Sinne dieser Vorschrift für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen. Der Erfüllungsort für Kauf- und Dienstleistungsverträge gemäß Art 5 Z 1 lit b EuGVVO ist autonom zu bestimmen (Kropholler, aaO Art 5 Rz 27; Klauser/Kodek, ZPO16 Art 5 EuGVVO Anm 1; EuGH 3. 5. 2007, Rs C-386/05 , Color Drack/Lexx International, Rz 26 für Kaufverträge; RIS-Justiz RS0119733, vgl RS0118507). Für Verträge, die wie der hier vorliegende Werkvertrag unter Art 5 Z 1 lit b EuGVVO fallen, ist der Erfüllungsort der charakteristischen Leistung für alle Klagen aus dem Vertrag, auch für Klagen auf Zahlung des Werklohns wie im vorliegenden Fall, das maßgebliche Anknüpfungskriterium (Kropholler, aaO Art 5 Rz 27, 45; Klauser/Kodek, aaO; Czernich, aaO Art 5 Rz 26, 41; vgl EuGH Color Drack/Lexx International; RIS-Justiz RS0118507, RS0118364, RS0119434 [T8]). Da hier die Klägerin die charakteristische Leistung (Bauarbeiten) an einem in Klagenfurt gelegenen Bauobjekt erbracht hat oder erbringen hätte müssen, ist daher für alle Klagen aus dem Vertrag Klagenfurt der maßgebliche Erfüllungsort.
Somit ist sowohl die inländische Gerichtsbarkeit als auch die (örtliche und sachliche) Zuständigkeit des Erstgerichts gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher spruchgemäß abzuändern und die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten zu verwerfen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Schriftsatz vom 27. 11. 2006 wurde nicht einbezogen, weil er auch (überwiegend) Vorbringen zur Sache enthält und die Kosten dieses Schriftsatzes durch den Zuständigkeitsstreit nicht verursacht wurden.
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