Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht zur Durchführung eines weiteren Verbesserungsverfahrens zurückgestellt.
Text
Begründung
Das Erstgericht entschied nach der Erstanhörung der Betroffenen, dass das Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters geprüft wird, fortgesetzt werde und bestellte einen Rechtsanwalt zum Verfahrenssachwalter.
Das von der Betroffenen angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Rekursentscheidung wurde am 3. 7. 2008 der Betroffenen und dem Verfahrenssachwalter zugestellt. Am 10. 7. 2008 überreichte die Betroffene beim Erstgericht eine selbst verfasste, weder von einem Rechtsanwalt noch einem Notar unterfertigte Eingabe, in der sie sinngemäß zum Ausdruck brachte, sich gegen die Bestellung eines Sachwalters zur Wehr setzen zu wollen. Das Erstgericht übermittelte eine Abschrift dieser Eingabe an den Verfahrenssachwalter, dem es auftrug, binnen 14 Tagen mitzuteilen, ob die Eingabe als außerordentlicher Revisionsrekurs zu verstehen sei und diesen gegebenenfalls auszuführen. Daraufhin brachte der Verfahrenssachwalter innerhalb der Verbesserungsfrist im Namen der Betroffenen einen neu formulierten, von ihm unterfertigten außerordentlichen Revisionsrekurs ein.
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht legte dieses Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Der betroffenen Person steht im Verfahren über die Sachwalterschaft gemäß § 127 AußStrG ein Rekursrecht im eigenen Namen zu. Ihre Rechtsmittellegitimation bezieht sich auf sämtliche Beschlüsse im Bestellungsverfahren, wozu auch die Bestellung eines Verfahrenssachwalters gehört (6 Ob 74/07m; vgl 2 Ob 168/07f; 2 Ob 100/08g). Die zitierte Bestimmung gilt analog auch für die Befugnis zur Erhebung des Revisionsrekurses (Zankl/Mondel in Rechberger, AußStrG § 127 Rz 5; Schauer in FS Rechberger, Zu Rechtsmittellegitimation und Vertretungszwang im Sachwalterschaftsverfahren, 487 [496]).
Gemäß § 6 Abs 2 AußStrG müssen sich die Parteien ua im Verfahren über die Sachwalterschaft für behinderte Personen einschließlich der Vermögenswerte solcher Pflegebefohlener im Revisionsrekursverfahren durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten lassen. Gemäß § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG bedarf der Revisionsrekurs, der auch bestimmte Inhaltserfordernisse erfüllen muss (§ 65 Abs 3 Z 1 bis 4 und 6 AußStrG), der Unterschrift eines Rechtsanwalts oder Notars. Leidet das Rechtsmittel an einem Form- oder Inhaltsmangel, der weitere Verfahrensschritte hindert, hat das Gericht gemäß § 10 Abs 4 AußStrG für die Verbesserung des Mangels zu sorgen. Die Partei ist unter Setzung einer angemessenen Frist aufzufordern, den näher zu bezeichnenden Mangel zu verbessern (6 Ob 74/07m).
Das Erstgericht hat in Ansehung der Eingabe der Betroffenen zwar das gebotene Verbesserungsverfahren eingeleitet, den Verbesserungsauftrag aber nicht der Betroffenen persönlich, sondern dem bestellten Verfahrenssachwalter erteilt. Diese Maßnahme scheint in zweifacher Hinsicht bedenklich zu sein: Zum einen stellt sich die Frage, ob die Bestellung des Verfahrenssachwalters bereits wirksam ist und er daher in dieser Funktion im Interesse der Betroffenen schon tätig werden kann; zum anderen ist zu prüfen, ob der Verbesserungsauftrag nicht (auch) an die Betroffene selbst zu richten gewesen wäre.
Der erkennende Senat hat hiezu erwogen:
1. a) § 247 AußStrG aF sah vor, dass der Beschluss, mit dem der Sachwalter bestellt wird, mit dem Eintritt der Rechtskraft wirksam wird. Nach einhelliger Auffassung bezog sich diese Ausnahmevorschrift nur auf die Bestellung des endgültigen Sachwalters; sowohl der einstweilige Sachwalter gemäß § 238 Abs 1 AußStrG aF (Verfahrenssachwalter) als auch jener nach § 238 Abs 2 AußStrG aF wurde hingegen mit sofortiger Wirksamkeit bestellt (vgl 9 Ob 382/97k; 1 Ob 63/01y; RIS-Justiz RS0008550, RS0081672; Gitschthaler, Verfahrenssachwalter und einstweiliger Sachwalter, ÖJZ 1990, 762 [763 und 766]; Maurer/Tschugguel, Sachwalterrecht² § 238 Rz 23).
b) Im Gegensatz zur früheren Rechtslage geht das neue AußStrG grundsätzlich von der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels aus; der Eintritt der Wirkungen eines Beschlusses wird bis zu dessen Rechtskraft gehemmt. Als Ausnahme von dieser Grundregel sieht § 44 AußStrG - sofern es sich nicht um eine Personenstandsache handelt - die Möglichkeit vor, einem Beschluss vorläufige Wirksamkeit zu verleihen (Rechberger in Rechberger, AußStrG § 44 Rz 1). Für das Sachwalterschaftsverfahren bestimmt aber § 125 AußStrG, dass dem Beschluss, mit dem der Sachwalter bestellt wird, keine vorläufige Wirksamkeit zuerkannt werden kann. Diese Bestimmung entspricht dem Regelungsgehalt des § 247 AußStrG aF (so auch die ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 82) und ist demnach nur bei Bestellung des endgültigen Sachwalters anzuwenden (6 Ob 201/05k). Der einstweilige Sachwalter wird nun kraft gesetzlicher Anordnung (§ 120 Abs 1 Satz 1 AußStrG) mit sofortiger Wirksamkeit bestellt. Für den Verfahrenssachwalter (§ 119 AußStrG) fehlt hingegen eine vergleichbare Ausnahmeregelung. Der einleitende Satz der Erläuternden Bemerkungen zu § 119 AußStrG stellt aber immerhin klar, dass diese Bestimmung im Wesentlichen - dh von der ausdrücklichen Erwähnung materieller Kollisionsfälle und der terminologischen Abgrenzung zum einstweiligen Sachwalter abgesehen - § 238 Abs 1 AußStrG aF entsprechen soll.
c) Während den Gesetzesmaterialien zu § 119 AußStrG keine (weiteren) Hinweise auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses zu entnehmen sind, halten sie zu § 125 AußStrG fest:
„Diese Bestimmung entspricht dem Regelungsgehalt des § 247 AußStrG aF. Die Praxis hat gezeigt, dass für das Wirksamwerden zwischen dem Verfahrenssachwalter bzw einstweiligen Sachwalter einerseits und dem endgültigen Sachwalter andererseits zu unterscheiden ist: Anzustreben ist vor allem, dass das Gericht die Möglichkeit erhält, für dringende Sofortmaßnahmen vorerst ohne Erstanhörung (§ 120 dritter Satz) und mit sofortiger Wirksamkeit einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen. Dadurch werden gewisse Regelungsdefizite der bisherigen Lösung (Maurer/Tschugguel Rz 23 § 238) beseitigt. Die nunmehr klare Trennung des Verfahrenssachwalters (§ 119 Verfahrenssachwalter), des einstweiligen Sachwalters (§ 120 vorläufige Maßnahmen) und des endgültigen Sachwalters erlaubt es, bei der Regelung über das Wirksamwerden der Sachwalterbestellung bloß auf den endgültigen Sachwalter abzustellen. Beim endgültigen Sachwalter schließt die vorgeschlagene Bestimmung die in § 44 vorgesehene Möglichkeit, einem Beschluss vorläufige Verbindlichkeit oder Vollstreckbarkeit zuzuerkennen, aus; dessen Bestellung wird erst mit Eintritt der Rechtskraft wirksam. Die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters erfolgt dagegen immer mit sofortiger Wirkung (s auch die Erläuterungen zu § 120). Im Fall des Verfahrenssachwalters gilt der Allgemeine Teil. Seine Bestellung kann unter gleichzeitiger Zuerkennung der vorläufigen Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit nach § 44 erfolgen."
Vom überwiegenden Teil der Lehre wird aus den beiden letzten Sätzen abgeleitet, dass ein dringendes Handeln des Verfahrenssachwalters für die betroffene Person vor Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses nur möglich ist, wenn das Gericht dem Beschluss vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit nach § 44 AußStrG zuerkennt (Maurer, Sachwalterrecht3 [2007] § 119 AußStrG Rz 6; Hengl/Mänhardt in Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts [2007] 554; Maurer/Schrott/Schütz, AußStrG neu [2006], § 119 Rz 2). Zankl/Mondel vertreten hingegen (aaO § 119 Rz 2 und § 125 Rz 2) die Rechtsansicht, dass die Bestellung des Verfahrenssachwalters - wie jene des einstweiligen Sachwalters - auch nach der neuen Rechtslage bereits mit der Zustellung des Bestellungsbeschlusses wirksam wird.
d) Der erkennende Senat teilt die Ansicht der zuletzt genannten Autoren. Diese verweisen (aaO § 125 Rz 2) zutreffend darauf, dass eine unterschiedliche Bewertung des Rechtsschutzbedürfnisses der betroffenen Person je nachdem, ob ein Verfahrenssachwalter oder ein einstweiliger Sachwalter bestellt wurde, nicht gerechtfertigt ist; in beiden Fällen sind in der Regel dringende Maßnahmen geboten, die keinen Aufschub dulden. Auch die Erläuterungen des Gesetzgebers zu den §§ 119 und 120 AußStrG sowie teilweise auch zu § 125 AußStrG deuten darauf hin, dass bei beiden Instituten im Wesentlichen eine inhaltliche Bestätigung der früheren Rechtslage angestrebt wurde. Dann wäre aber nicht einzusehen, warum das angestrebte Ziel nur durch Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 44 AußStrG im jeweiligen Einzelfall erreichbar sein sollte.
Sofern in den Erläuterungen zu § 125 AußStrG (auch) die gegenteilige Meinung zum Ausdruck kommt, vermag ihr der erkennende Senat daher nicht zu folgen. Eine Auslegung durch Feststellung des Willens des historischen Gesetzgebers an Hand der Gesetzesmaterialien bedarf besonderer Vorsicht, weil diese nicht Gesetz geworden sind und mit dem wahren Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimmen müssen (7 Ob 24/08t; RIS-Justiz RS0008776). Die Norm selbst mit ihrem Wortlaut, mit ihrer Systematik und ihrem Zusammenhang mit anderen Normen steht insoweit über der Meinung der (Gesetzes-)Redaktoren (4 Ob 50/00g mwN; 7 Ob 24/08t). Hinsichtlich des Fehlens einer klarstellenden Regelung über den Eintritt der Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses ist nach diesen Kriterien von einer planwidrigen Unvollständigkeit des § 119 AußStrG auszugehen, die durch analoge Anwendung des § 120 AußStrG geschlossen werden kann.
Diese Erwägungen führen zu dem Ergebnis, dass die Bestellung eines Verfahrenssachwalters (weiterhin) bereits mit der Zustellung des Bestellungsbeschlusses wirksam wird. Auch im vorliegenden Sachwalterschaftsverfahren ist der bestellte Verfahrenssachwalter somit bereits befugt und verpflichtet, die Interessen der Betroffenen zu wahren.
2. a) Dennoch hätte das Erstgericht den Verbesserungsauftrag (auch) an die Betroffene persönlich richten müssen. Es ließ unberücksichtigt, dass eine betroffene Person gemäß § 119 AußStrG (vgl auch § 127 AußStrG) durch die Bestellung eines Verfahrenssachwalters in ihren Rechtshandlungen nicht beschränkt wird (so bereits § 238 Abs 1 AußStrG aF), sondern grundsätzlich selbständig verfahrensfähig bleibt (1 Ob 63/01y; 1 Ob 90/06a). Das bedeutet, dass sie auch selbst darüber entscheiden können muss, ob sie einen selbst gewählten Rechtsanwalt oder Notar mit ihrer Vertretung betraut oder ob sie sich vom Verfahrenssachwalter vertreten lassen will (vgl etwa 2 Ob 188/05v).
Nur bei offenkundiger Unfähigkeit der betroffenen Person, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen, sodass eine Bevollmächtigung als unwirksam angesehen werden müsste (3 Ob 14/06i; 1 Ob 81/08t; RIS-Justiz RS0008539), könnte der Verbesserungsauftrag sogleich (nur) an den Verfahrenssachwalter gerichtet werden. Für eine derartige Beeinträchtigung der Betroffenen ergibt sich aus der Aktenlage allerdings vorerst kein zwingender Anhaltspunkt.
b) Das Erstgericht hätte daher der Betroffenen den Verbesserungsauftrag erteilen müssen, ihre als außerordentlichen Revisionsrekurs zu wertende Eingabe durch einen Rechtsanwalt oder Notar unterfertigen und gleichzeitig die bestimmt zu bezeichnenden Inhaltsmängel beheben zu lassen (2 Ob 188/05v; 6 Ob 74/07m). Dies wird nunmehr nachzuholen sein. Dabei wird das Erstgericht die Betroffene darauf hinzuweisen haben, dass der bestellte Verfahrenssachwalter bereits in ihrem Namen tätig geworden ist. Nach erfolgter Verbesserung, aber auch nach ergebnislosem Ablauf der zu setzenden (weiteren) Verbesserungsfrist sind die Akten dem Obersten Gerichtshof umgehend wieder vorzulegen.
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