European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00113.16F.0805.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und es wird die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Beklagte ist Betreiberin der Parkplätze auf dem Flughafengelände Wien‑Schwechat.
Die Klägerin begab sich am 2. 2. 2014 um ca 16:10 Uhr in Begleitung ihrer Töchter mit dem Pkw zum Flughafen Wien‑Schwechat, um eine der Töchter zur Abreise zu verabschieden. Die Klägerin parkte den Pkw auf dem Kurzparkplatz vor dem Parkhaus 4 und löste ein Kurzparkticket. Als die Klägerin um ca 16:22 Uhr vom Terminal 3 zum Parkplatz zurückkehrte, stürzte sie im Bereich des Flughafengeländes auf dem Schutzweg, somit in einem öffentlich zugänglichen Bereich des Flughafens, vor dem Parkhaus 4 vor dem Terminal 3.
Auf dem gesamten Gelände des Flughafens Wien‑Schwechat, insbesondere sämtlichen (Bewegungs‑)Flächen, somit auch im Bereich der Sturzstelle der Klägerin, gilt die StVO. Die Beklagte ist Eigentümerin des Geländes des Flughafens Wien‑Schwechat. Die Beklagte hat mit Vertrag vom 1. 8. 2013 die „G*****“ – ***** GmbH mit sämtlichen Reinigungsarbeiten und Kommunaldienstleistungen, insbesondere auch Winterdienstleistungen (unter anderem für Gehwege, Straßen und Parkplätze) auf dem gesamten Flughafengelände beauftragt.
Die Klägerin begehrte die Zahlung eines Schmerzengeldes von 13.000 EUR samt Zinsen sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für „sämtliche künftigen Schäden“ für den Vorfall vom 2. 2. 2014 auf dem Flughafen Wien. Sie brachte vor, als sie vom Terminal 3 in Richtung des Parkhauses zurückgegangen sei, sei sie ohne eigenes Verschulden aufgrund nicht geräumten Glatteises auf dem Schutzweg vor dem Parkhaus 4 gestürzt, wodurch sie (in näher dargestellter Weise) schwer verletzt worden sei und an Dauerfolgen leide. Zwischen den Streitteilen habe ein Vertragsverhältnis bestanden. Die Beklagte habe ihre vertragliche Nebenverpflichtung, die Zu‑ und Abgänge zu den kostenpflichtigen Parkplätzen eisfrei zu halten, grob fahrlässig verletzt, sodass sie aus Vertraghafte. Im Übrigen werde das Klagebegehren auf alle erdenklichen Rechtsgründe gestützt.
Die Beklagte wendete ein, selbst wenn zwischen den Streitteilen ein Vertrag bestehe, schulde sie als Nebenpflicht allenfalls die gefahrlose Begehungsmöglichkeit des Parkplatzareals, nicht aber des gesamten Flughafenareals. Es habe zwar für den Vorfallstag eine Eisregenwarnung gegeben. Der Eisregen habe am späten Nachmittag– allerdings erst unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin – eingesetzt, wodurch es zur Eisbildung und Rutschgefahr gekommen sei; davor habe keine Gefährdung bestanden. Es könne nicht vorausgesetzt werden, dass innerhalb kürzester Zeit alle Flächen des Flughafengeländes gestreut seien. Im Übrigen sei sie nicht passiv legitimiert, weil sie die Verpflichtung gemäß § 93 Abs 1 bis 3 StVO rechtsgeschäftlich an die G***** GmbH übertragen habe, die diese Arbeiten selbstständig und weisungsfrei durchzuführen habe. Dieses Unternehmen erfülle höchste Sicherheits‑ und Qualitätsstandards; das Management und die Organisation seien perfekt den Gegebenheiten angepasst. Wenn die Klägerin besser aufgepasst hätte, wäre sie nicht gestürzt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte den wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte rechtlich aus, sofern sich die Klägerin auf vertraglichen Schadenersatz stütze, schulde die Beklagte allenfalls die gefahrlose Begehungsmöglichkeit des Areals des benützten Parkplatzes, nicht aber des gesamten Flughafenareals, weil dies zu einer unbegrenzten Ausweitung der vertraglichen Nebenpflichten führte. Die Beklagte habe daher nicht für die mangelhafte Räumung des Schutzwegs vor dem Parkhaus 4 als öffentlicher Verkehrsfläche einzustehen. Die Beklagte hafte aber auch nicht deliktisch, weil sie ihre Verpflichtungen gemäß § 93 Abs 1 bis 3 StVO rechtsgeschäftlich an die G***** GmbH und somit an ein anderes selbständiges und weisungsfrei agierendes Unternehmen übertragen habe (§ 93 Abs 5 StVO). Für dieses hafte die Beklagte – auch im Rahmen der Wegehalterhaftung gemäß § 1319a ABGB – aber nur für Auswahlverschulden (§ 1315 ABGB). Den Nachweis, dass es sich bei diesem Unternehmen um einen untüchtigen Besorgungsgehilfen handle, habe die Klägerin nicht erbracht.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Es führte aus, es sei gerichtsbekannt, dass zwischen dem Parkhaus 4 und dem Fußgängerübergang zum Gelände des Terminals 3 nur eine Gehstrecke von wenigen Metern liege. In rechtlicher Hinsicht meinte es, der Vertrag zwischen den Streitteilen umfasse als Hauptpflicht lediglich die temporäre Zurverfügungstellung von Parkraum. Dass die Klägerin darüber hinaus in einem geschäftlichen Kontakt zur Beklagten in Bezug auf deren Kernaufgabe – den Betrieb des Flughafens Wien‑Schwechat – gestanden sei oder allenfalls von einer vertraglichen Schutzwirkung zugunsten Dritter erfasst sei, lasse sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. In seinem örtlichen Wirkungsbereich habe sich das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen daher „auf das Parkhaus an sich“ beschränkt. Dies unterscheide den vorliegenden Fall von jenen Fällen, in denen sich die Schutzwirkung auf den Weg zwischen dem Geschäftslokal (als dem Ort, in dem der geschäftliche Kontakt im engeren Sinn zu Stande komme) und dem dem Geschäftslokal zugeordneten Parkplatz erstrecke. Darüber hinausgehende Fußgängerübergänge seien davon aber grundsätzlich nicht umfasst. Wäre die Beklagte als Betreiberin des Parkhauses eine von der Betreiberin des Flughafens verschiedene Person, käme deren Haftung für den Zustand der Wege auf dem gesamten übrigen Flughafenareal ebenso wenig in Betracht. Eine Haftung der Beklagten als Parkhausbetreiberin für Flächen, die örtlich über das von ihr betriebene Parkhaus hinausgingen, scheide daher aus.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob ein Rechtsträger, der Parkraum zur Verfügung stelle, seinem Vertragspartner hafte, der die entgeltliche Parkmöglichkeit nur deshalb in Anspruch nehme, um seinen Besorgungen - wie hier am Flughafen - nachgehen zu können. Wenn für die Beklagte als Betreiberin des Parkhauses vorhersehbar sei, dass ihre (Parkhaus‑)Kunden ihre Fahrzeuge nur deshalb im Parkhaus abstellten, um von dort das Hauptgebäude des Flughafens (und vice versa) zu Fuß zu erreichen, wäre eine Ausdehnung der Haftung zumindest auf den Fußgängerübergang, auf dessen dem Parkhaus gegenüberliegenden Seite sich das Hauptgebäude des Flughafens befinde, nicht zwingend als Überspannung der Schutz- und Sorgfaltspflichten anzusehen. Dass die gegenständliche Fahrbahnfläche von der Beklagten auch in ihrer Eigenschaft als Betreiberin des Flughafens zu warten sei, wäre dann von bloß untergeordneter Bedeutung, weil der Oberste Gerichtshof davon ausgehe, dass dieselbe Fläche auch mehreren Schutzpflichtigen zur Betreuung zugewiesen sein könne (6 Ob 180/14k). Gerade im Hinblick auf die zahlreichen Benützer von Kraftfahrzeugen, die lediglich einen „Parkplatzvertrag“ mit der Beklagten abgeschlossen hätten, sonst aber in keiner (vor‑)vertraglichen Verbindung mit dieser stünden, gehe diese Rechtsfrage über den bloßen Einzelfall hinaus.
Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren dem Grunde nach stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.
Die Revisionswerberin macht geltend, die Beklagte als ihre Vertragspartnerin müsse die Sicherheit nicht nur des eigentlichen Parkplatzareals, sondern auch den sicheren Zu‑ und Abgang zum Parkhaus gewährleisten. Da sich der Unfall unmittelbar vor dem Parkhaus 4 auf einem hinführenden Schutzweg ereignet habe, sei dieser Bereich auf dem Flughafen Wien der Beklagten zuzurechnen.
Hierzu wurde erwogen:
1. Bestehende Rechtsprechung
1.1. Vom Halter eines Parkplatzes müssen zumutbare Maßnahmen betreffend die Räumung von Schnee und die Streuung (eis‑)glatter Flächen im Rahmen vertraglicher Schutz‑ und Sorgfaltspflichten verlangt werden (6 Ob 509/82 = RIS‑Justiz RS0023558).
1.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs treffen einen Geschäftsinhaber schon bei Anbahnung eines geschäftlichen Kontakts gegenüber seinen potenziellen Kunden nicht nur allgemeine Verkehrssicherungspflichten, sondern auch schon vorvertragliche Schutzpflichten (2 Ob 158/06h mwN; 6 Ob 180/14k; RIS‑Justiz RS0016402). Er hat daher für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen (6 Ob 180/14k; RIS‑Justiz RS0016407), aber auch den sicheren Zugang zu diesem zu gewährleisten, etwa indem er den Eingang und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich von Schnee und Eis säubert und bestreut (3 Ob 666/78 SZ 52/135; 9 Ob 162/00i; 2 Ob 158/06h mwN; 6 Ob 180/14k). Wie groß dieser Bereich ist, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab (9 Ob 162/00i; 2 Ob 158/06h je mwN; 6 Ob 180/14k). Entsprechend den vorvertraglichen sind nach der Rechtsprechung auch nachvertragliche Pflichten des Geschäftsinhabers zu bejahen, sich im Hinblick auf die Rechtsgüter des Vertragspartners sorgfältig zu verhalten (3 Ob 160/04g mwN; vgl 7 Ob 624/88; 6 Ob 180/14k). Der Oberste Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen (RIS‑Justiz RS0023768; 1 Ob 304/99h ZVR 2000/69; 6 Ob 180/14k) überdies ausgesprochen, dass sich die (vor‑, nach‑)vertraglichen Verkehrssicherungspflichten eines Geschäftsinhabers auch auf die seinen (potenziellen) Kunden zur Verfügung gestellten Parkplätze und die Zugangswege zu diesen beziehen.
2. Vorliegender Fall
2.1. Zwischen den Streitteilen besteht dadurch, dass die Klägerin für das Parken auf dem Kurzparkplatz ein Kurzparkticket gelöst hat, ein entgeltlicher Vertrag.
2.2. Für die Beklagte als Vermieterin von Parkplätzen im Freien oder in einem Parkhaus auf dem Flughafen ist klar, dass das Parken auf diesen Parkplätzen nur einen vernünftigen Zweck haben kann, nämlich vom Parkplatz in das Flughafengebäude zu gelangen und umgekehrt. Dies steht auch mit den oben genannten Fällen in Einklang, wonach sich die (vor‑, nach‑)vertraglichen Verkehrssicherungs-pflichten eines Geschäftsinhabers auch auf die seinen (potenziellen) Kunden zur Verfügung gestellten Parkplätze und die Zugangswege zu diesen beziehen.
2.3. Wenn bei Geschäftsinhabern die Haftung auch aus vorvertraglichen Schutzpflichten besteht, muss umso mehr im vorliegenden Fall die Haftung bejaht werden, wo zwischen den Streitteilen bereits ein Vertrag besteht.
2.4. Entsprechend der Haftung des Geschäftsinhabers für den Zustand der seinen (potenziellen) Kunden zur Verfügung gestellten Parkplätze und der Zugangswege zum Geschäft besteht hier die Haftung für den Zustand des Parkplatzes und des Weges vom Parkplatz in das Flughafengebäude und umgekehrt. Der Parkplatzvermieter ist somit gegenüber den Parkplatzmietern verpflichtet, diejenigen Wege, die dazu dienen, vom Parkplatz in das Flughafengebäude und umgekehrt zu gelangen, von Schnee und Eis zu säubern bzw diese Flächen zu bestreuen.
2.5. Wie schon das Berufungsgericht in der Begründung der Zulassung der Revision zutreffend ausgeführt hat, führt diese Haftung für die Zugangswege (und nicht für das ganze Flughafenareal) auch nicht zu einer Überspannung der Schutz‑ und Sorgfaltspflichten. Für den vorliegenden Fall sei auch noch darauf verwiesen, dass nach den Ausführungen des Berufungsgerichts (S 5) zwischen dem Parkhaus 4 und dem Fußgängerübergang zum Gelände des Terminals 3 „nur eine Gehstrecke von wenigen Metern liegt“.
2.6. Dass die Beklagte ein anderes Unternehmen mit den Winterdienstleistungen beauftragt hat, ändert an ihrer Haftung nichts, weil sie für das beauftragte Unternehmen als ihren Erfüllungsgehilfen gemäß § 1313a ABGB einzustehen hat.
2.7. Da eine Haftung grundsätzlich bereits aus Vertrag besteht, muss nicht mehr geprüft werden, ob allenfalls aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen (§ 93 StVO, § 1319a ABGB) gehaftet wird.
2.8. Zusammenfassend wird daher festgehalten:
Der Vermieter eines Parkplatzes (im Freien oder in einem Parkhaus) auf einem Flughafen haftet den Parkplatzmietern für den Zustand der Wege, die nach den örtlichen Verhältnissen dazu dienen, vom Parkplatz in das Flughafengebäude und umgekehrt zu gehen. Er ist gegenüber den Parkplatzmietern verpflichtet, diese Wege von Schnee und Eis zu säubern bzw zu bestreuen.
3. Folgerungen
Aus dieser rechtlichen Beurteilung folgt aber noch nicht zwingend die Haftung der Beklagten im vorliegenden Fall; das Verfahren ist ergänzungsbedürftig, weshalb die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben waren und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen war:
Das Erstgericht wird zuerst festzustellen haben, ob der Sturz der Klägerin auf einem derartigen Verbindungsweg zwischen Parkplatz und Flughafengebäude passiert ist. Ist dies der Fall, hängt die Haftung der Beklagten weiters davon ab, ob – wie von der Klägerin behauptet – der Unfall auf nicht geräumtes Glatteis zurückzuführen ist. In weiterer Folge ist auf den impliziten Einwand der Beklagten einzugehen, ihre Haftung sei wegen Unzumutbarkeit der Einhaltung der Räum‑ und Streuverpflichtung (Eisregen am späten Nachmittag unmittelbar vor dem Sturz der Klägerin) zu verneinen (vgl 2 Ob 211/15s mwN; RIS‑Justiz RS0023277 [T10, T11, T16, T18]; RS0023453 [T1, T2, T4]). Ist danach eine Haftung der Beklagten zu bejahen, ist auf den impliziten Mitverschuldenseinwand der Beklagten einzugehen, wonach der Unfall (auch) durch die Unachtsamkeit der Klägerin (mit‑)verursacht wurde. Besteht auch nach dieser Prüfung eine (uU teilweise) Haftung der Beklagten dem Grunde nach, wird sich das Erstgericht auch mit der Höhe der Klageforderung und mit dem Feststellungsbegehren zu befassen haben.
5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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