European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00180.14K.0527.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Die Beklagte betreibt einen Supermarkt in einem aus mehreren Geschäftslokalen gebildeten Einkaufszentrum. Am 27. 11. 2013 parkte die Klägerin mit ihrem Auto auf dem Parkplatz dieses Einkaufszentrums in der ‑ vom Geschäftslokal der Beklagten aus gesehen ‑ dritten Parkreihe mit freiem Zugang zum Supermarkt. Um die 400 Stellplätze umfassende Parkfläche reihen sich die übrigen 16 Geschäfte des Einkaufszentrums. Die einzelnen Abstellflächen für die Autos sind nicht bestimmten Geschäften zugeordnet, sondern können von allen Kunden des Einkaufszentrums benützt werden.
Nachdem die Klägerin im Supermarkt der Beklagten eingekauft hatte, ging sie zu ihrem Auto zurück. Dabei kam sie auf einer zwischen den Parkreihen liegenden Gehfläche zu Sturz und erlitt Verletzungen.
Die Beklagte ist Bestandnehmerin ihres Geschäftslokals und des Bereichs unmittelbar vor diesem. Sie hat das Recht, dass ihre Kunden auf dem Parkplatz parken dürfen. Aufgrund ihrer vertraglichen Vereinbarung mit der Bestandgeberin ist diese für den Winterdienst und die Verkehrssicherung am Parkplatz verantwortlich. Die Reinigung der Außen‑ und Parkflächen, deren Verkehrssicherung und der Winterdienst sind vertragsgemäß Aufgabe der Vermieterin, die auch Bestandgeberin der anderen Geschäftslokale des Einkaufzentrums ist. Die Kosten hiefür werden im Weg der Betriebskosten von den Bestandnehmern der Bestandgeberin ersetzt.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Zahlung von 7.350 EUR (Schmerzengeld, Ersatz für eine beschädigte Brille, Generalunkosten). Sie sei nach dem Einkauf bei der Beklagten auf dem Weg zu ihrem Auto am Parkplatz auf einer Eisplatte zu Sturz gekommen, wobei sie sich schwer verletzt habe. Dauernde Spätfolgen seien nicht auszuschließen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Unfallstelle falle nicht in ihren Betreuungsbereich. Die Betreuung des für alle Geschäfte offenstehenden Parkplatzes sei Sache der Liegenschaftseigentümerin und Vermieterin. Diese habe damit Dritte betraut. Aufgrund der vor dem Unfallszeitpunkt herrschenden Witterungsverhältnisse sei ein Räumeinsatz, auch vorbeugend, nicht notwendig gewesen. Die feuchte Stelle auf dem Zebrastreifen, auf der die Klägerin ausgerutscht sei, sei für sie erkennbar gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Die Beklagte hafte nicht, weil sie keinerlei ausreichende Einflussmöglichkeit auf die Parkfläche gehabt habe. Für den Winterdienst sei ausschließlich der Vermieter verantwortlich.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Begründung, die Unfallstelle befände sich nicht unmittelbar im räumlichen Nahebereich des Geschäftseingangs der Beklagten, sondern auf einer für Kunden verschiedener Geschäfte des Einkaufszentrums vom Vermieter der Geschäftslokale zur Verfügung gestellten Parkfläche. Deshalb bestünden keine Verkehrssicherungspflichten der Beklagten.
Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Frage, ob den Geschäftsinhaber auch vertragliche Schutz‑ und Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden im Hinblick auf einen von einem Dritten ‑ und nicht ausschließlich diesem Geschäftsinhaber ‑ zur Verfügung gestellten Parkplatz treffen, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist zulässig; sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Revisionswerberin macht geltend, dass nach der Rechtsprechung ein Geschäftsinhaber, der seinen Kunden den vor seinem Geschäft gelegenen Parkplatz zur Verfügung stellt, im Rahmen der vor- und nachvertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten dafür sorgen müsse, dass seinen Kunden der Zugang vom Parkplatz zum Geschäft und zurück gefahrlos möglich sei. Umso mehr müsse dies gelten, wenn mehrere Geschäftsinhaber den vor ihren Geschäften befindlichen gemeinsamen Parkplatz zur Verfügung stellen. Es komme nicht darauf an, wer Eigentümer des Parkplatzes sei.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde erwogen:
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs treffen einen Geschäftsinhaber bei Anbahnung eines geschäftlichen Kontakts gegenüber seinen potenziellen Kunden nicht nur allgemeine Verkehrssicherungspflichten, sondern auch schon vorvertragliche Schutzpflichten (2 Ob 158/06h mwN; RIS-Justiz RS0016402). Er hat daher für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen (RIS-Justiz RS0016407), aber auch den sicheren Zugang zu seinem Geschäftslokal zu gewährleisten, etwa indem er den Eingang und den unmittelbar davor befindlichen Gehsteigbereich von Schnee und Eis säubert und bestreut (3 Ob 666/78 SZ 52/135; 9 Ob 162/00i; 2 Ob 158/06h mwN). Für diese Pflicht des Geschäftsinhabers zur Sicherung des Eingangsbereichs nach Vertragsgrundsätzen kommt es auf die Eigentumsverhältnisse am Gehsteig vor dem Geschäftslokal oder auf die rechtliche Verfügungsmöglichkeit des Geschäftsinhabers auf den zu sichernden Bereich nicht an (2 Ob 158/06h mwN; 3 Ob 160/04g). Wie groß dieser Bereich ist, hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab (9 Ob 162/00i; 2 Ob 158/06h je mwN). Entsprechend den vorvertraglichen sind nach der Rechtsprechung auch nachvertragliche Pflichten des Geschäftsinhabers zu bejahen, sich im Hinblick auf die Rechtsgüter des Vertragspartners sorgfältig zu verhalten (3 Ob 160/04g mwN; vgl 7 Ob 624/88).
2. Der Oberste Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen (RIS‑Justiz RS0023768; 1 Ob 304/99h) ausgesprochen, dass sich die (vor‑, nach‑)vertraglichen Verkehrssicherungspflichten eines Geschäftsinhabers auch auf die seinen (potentiellen) Kunden zur Verfügung gestellten Parkplätze und die Zugangswege zu diesen bezieht. In den entschiedenen Fällen war die Fläche der Parkplätze einem Geschäftsinhaber eindeutig zugeordnet, während hier die Parkfläche des Einkaufzentrums Kundenparkplatz aller im Einkaufszentrum angesiedelten Geschäftsbetreiber ist.
3. Dieser Unterschied führt aber nicht zu einer Verneinung der Haftung der Beklagten für den Unfall eines ihrer (potentiellen) Kunden auf dem Parkplatz. Denn sie (wie auch die anderen Geschäftsbetreiber) stellt den gesamten Kundenparkplatz als Zufahrts- und Parkfläche (möglichen) Kunden zur Befriedigung ihrer Kaufabsichten zur Verfügung. Das Recht hiezu hat sich die Beklagte in ihrem Bestandvertrag einräumen lassen. Sie hat schon deshalb die Einwirkungsmöglichkeit auf diesen Gefahrenbereich, weil ihr die Bestandgeberin vertraglich zum entgeltlichen Winterdienst auf der Parkfläche verpflichtet ist. Ihre vor- oder nachvertraglichen Schutzpflichten erstrecken sich daher auch in der vorliegenden Fallkonstellation auf den Kundenparkplatz.
4. Die Bestandgeberin der Beklagten ist in Bezug auf die Räumung und Streuung des Parkplatzes, die die Beklagte ihren (potentiellen) Kunden schuldet, deren Erfüllungsgehilfe iSd § 1313a ABGB (vgl 8 Ob 53/14y mwN). Im Umfang der von einem Geschäftsherrn gegenüber seinen (möglichen) Vertragspartner übernommenen konkreten Leistungspflichten bzw Schutz- und Sorgfaltspflichten (vgl RIS‑Justiz RS0121745) können grundsätzlich auch selbständige Unternehmen Erfüllungsgehilfen sein (RIS‑Justiz RS0028563). Auf die Weisungsbefugnis des Geschäftsherrn kommt es nicht an (RIS‑Justiz RS0121746; RS0121747).
5. Da Feststellungen fehlen, um die Frage der schuldhaften Verletzung der zu bejahenden vertraglichen Verkehrssicherungspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin beurteilen zu können, ist mit Aufhebung vorzugehen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)