OGH 2Ob100/22b

OGH2Ob100/22b25.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am * 2018 verstorbenen E*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der erbantrittserklärten Tochter B*, vertreten durch Schmid & Horn Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 6. April 2022, GZ 4 R 64/22v‑90, womit infolge Rekurses der erbantrittserklärten Tochter der Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom 7. Februar 2022, GZ 15 A 433/18m‑86, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00100.22B.1025.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die 2018 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorbene Erblasserin hatte zwei Kinder, die nunmehrige Revisionsrekurswerberin (in der Folge: Tochter) und deren Bruder (in der Folge: Sohn). Beide Kinder gaben aufgrund des Gesetzes bedingte Erbantrittserklärungen jeweils zum halben Nachlass ab.

[2] Die Tochter beantragte die „Hinzurechnung von Vermögen gemäß §§ 753 ff ABGB“ mit dem Vorbringen, dass die Erblasserin dem Sohn mehrere (Anteile an) Liegenschaften und Anteile an Gesellschaften (einer KG und einer GmbH) geschenkt habe. Sie beantragte in der Folge ausdrücklich die Bewertung dieser Liegenschaften und Gesellschaftsanteile. Die Hinzu‑ und Anrechnung entsprechend § 753 ABGB habe im Verlassenschaftsverfahren zu erfolgen, wobei der Sohn aus der Verlassenschaft nichts mehr zu erhalten habe.

[3] Der Sohn sprach sich gegen die Bewertung der erfolgten Schenkungen im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens aus. Die Erbteilung habe im streitigen Verfahren zu erfolgen.

[4] Das Erstgericht erließ einen Einantwortungsbeschluss, mit dem es die Verlassenschaft den Kindern je zur Hälfte einantwortete und aussprach, dass das Eigentumsrecht der Kinder an einer verlasszugehörigen Liegenschaft je zur Hälfte einzuverleiben sein werde.

[5] Die Tochter stellte einen Ergänzungsantrag, mit dem sie – soweit für das Revisionsrekursverfahren von Interesse – eine Entscheidung über ihre Anträge auf Bewertung sowie Anrechnung näher genannter Vermögenswerte begehrte; hilfsweise erhob sie Rekurs gegen den Einantwortungsbeschluss, über den das Rekursgericht bisher nicht entschieden hat.

[6] Das Erstgericht ergänzte daraufhin den Einantwortungsbeschluss, indem es die Anträge der Tochter (soweit für das Revisionsrekursverfahren von Interesse) zurückwies.

[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Tochter – soweit für das Revisionsrekursverfahren von Interesse – mit der Maßgabe nicht Folge, dass es deren Anträge abwies, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Die in § 753 ABGB geregelte Anrechnung auf den gesetzlichen Erbteil führe zu keiner Veränderung der Erbquoten. Die Bewertung sowie Hinzu‑ und Anrechnung geschenkten Vermögens nach §§ 752 ff ABGB stelle nach der Rechtsprechung keine Voraussetzung für die Einantwortung dar.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Tochter ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehlt, in welcher Weise über das Begehren eines Kindes auf Anrechnung nach § 753 ABGB idF ErbRÄG 2015 zu entscheiden ist. Er ist aber nicht berechtigt.

[9] 1. Aufgrund des Todeszeitpunkts der Erblasserin ist die Rechtslage nach dem ErbRÄG 2015 anzuwenden (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB; vgl Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 753 Rz 4).

[10] 2. Nach § 753 ABGB muss sich ein Kind bei der gesetzlichen Erbfolge auf Verlangen eines anderen Kindes eine Schenkung unter Lebenden – von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen – anrechnen lassen. Im Vergleich zur alten Rechtslage (§§ 790 ff ABGB aF) kam es durch das ErbRÄG 2015 zu einer Ausweitung der Anrechnung bei der gesetzlichen Erbfolge von Kindern, waren doch nach alter Rechtslage nur Vorempfänge und Vorschüsse anrechenbar (Nemeth in Schwimann/Kodek 5 §§ 752–755 ABGB Rz 7).

[11] 3. Diese Ausweitung der Anrechnung auf alle Schenkungen durch das ErbRÄG 2015 ändert aber nichts daran, dass die Anrechnung die Erbquoten nicht verschiebt oder verändert, sondern nur einen Wertausgleich herbeiführen soll, sohin die Werte verändert, die die Erben aus dem Nachlass erhalten (Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 755 Rz 3; Welser, Erbrechts‑Kommentar, § 752 ABGB Rz 9; vgl auch Klampfl, Hinzurechnung und Anrechnung auf den Erbteil, JEV 2017, 124). Da die (Hinzu- und) Anrechnung nach § 753 ABGB die Erbquoten nicht verändert, spielt sie letztlich nur bei der Erbteilung eine Rolle, wenn es darum geht, welcher Erbe wie viel aus der Verlassenschaft erhalten soll (Schauer in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 58; Müller/Melzer in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge² § 4 Rz 7; vgl auch Eccher/Umlauft, Erbrecht7 Rz 7/17).

[12] Die im Revisionsrekurs zitierten Ausführungen von Umlauft (Hinzu- und Anrechnung² [2018] 28 und 56), wonach der Erbteil eines „übermäßig vorausbedachten“ Kindes negativ und daher „zu eliminieren“ sei bzw der übermäßig bedachte Erbe wegen der Anrechnung „aus der Erbengemeinschaft ausscheide“, sind bloß dahin zu verstehen, dass bei der im Rahmen der Erbteilung vorzunehmenden konkreten Aufteilung des vorhandenen Nachlasses das übermäßig vorausbedachte Kind rechnerisch nichts erhält. Der Argumentation Umlaufts lässt sich aber entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht weder entnehmen, dass die Frage der Anrechnung gemäß § 753 ABGB im Verlassenschaftsverfahren selbst zu lösen wäre, noch, dass sich durch die Anrechnung etwas an den Erbquoten ändern würde.

[13] 4. Mit dem Tod eines Erblassers, der mehrere Erben hinterlässt, entsteht zwischen diesen zunächst schlichte Rechtsgemeinschaft nach den §§ 825 ff ABGB, die sich auf das Erbrecht bezieht (RS0012313). Mit der Einantwortung werden die Erben, solange keine Erbteilung stattfindet, Miteigentümer der körperlichen Nachlasssachen nach dem Verhältnis ihrer Erbteile. Die Gemeinschaft wird nach ständiger Rechtsprechung durch die Erbteilung aufgehoben, die von jedem Miterben vor oder nach der Einantwortung verlangt werden kann, aber erst mit dieser dinglich wirksam wird; sie erfolgt entweder durch Erbteilungsübereinkommen, für welches Vertragsfreiheit besteht, oder – mangels Einigung – durch Erbteilungsklage (RS0012311).

[14] 5. Nach § 177 AußStrG ist die Verlassenschaft einzuantworten, wenn die Erben und ihre Quoten feststehen und die Erfüllung der „übrigen Voraussetzungen“ nachgewiesen ist. Diese Voraussetzungen umfassen im Kern die nach § 176 AußStrG erforderlichen Vorkehrungen (2 Ob 123/20g Rz 40; 3 Ob 168/13x; vgl Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 177 Rz 8), sohin die Verständigung aller Personen mit erbrechtlichen Ansprüchen (dazu näher 2 Ob 123/20g Rz 16 ff) und die Sicherheitsleistung (nur) zugunsten schutzberechtigter Personen (vgl RS0128163). Zu den „übrigen Voraussetzungen“, die im Gesetz nicht genannt werden, zählt überdies die Errichtung des Inventars, sofern diese geboten ist (RS0130972). Hingegen stehen mögliche Ansprüche, die in einem Streitverfahren durchzusetzen sind, einer Einantwortung nicht entgegen (vgl RS0130873; 2 Ob 218/15w [Anfechtung eines Übergabsvertrags], 2 Ob 38/19f [Pflichtteilsanspruch]).

[15] 6. Der Senat hat bereits in der Entscheidung 2 Ob 774/32, SZ 14/158 (= RS0008145) in einem Fall, in dem die beiden erbantrittserklärten Söhne im Verlassenschaftsverfahren die „Einrechnung beiderseits behaupteter Vorempfänge“ beantragt hatten, ausgeführt, dass (jedenfalls bei nicht schutzbefohlenen Erben) die Erbteilung „und damit auch die Anrechnung“ Sache der Erben und bei deren mangelnder Einigkeit im Streitverfahren auszutragen sei. Weder die Erbteilung noch die Anrechnung gehörten zu den Voraussetzungen für die Erlassung eines Einantwortungsbeschlusses.

[16] In den zu RS0008145 indizierten Folgeentscheidungen 8 Ob 215/65, 6 Ob 120/67 und 1 Ob 623/93, die jeweils keine Fälle der Anrechnung auf den Erbteil betrafen, hielt der Oberste Gerichtshof daran fest, dass strittige Fragen der Erbteilung zwischen eigenberechtigten Erben im Rechtsweg auszutragen sind.

[17] Die Entscheidung 5 Ob 127/94 betrifft insofern einen Sonderfall, als dort die Frage der Erbteilung (ausnahmsweise) zwingend vor der Einantwortung zu klären war, weil ein Wohnungseigentumsobjekt verlasszugehörig war und (nach der damaligen Rechtslage: § 8 WEG 1975) keine Teilung des Mindestanteils zwischen den Erben in Betracht kam. Sie ist für den vorliegenden Fall damit ebenso wenig einschlägig wie der aufgrund dieser Entscheidung gebildete Rechtssatz RS0037880, der sich mit vom Erblasser getroffenen Erbteilungsanordnungen befasst.

[18] In der Entscheidung 3 Ob 168/13x hielt der Oberste Gerichtshof zur – auch hier anzuwendenden – Rechtslage nach dem AußStrG 2005 daran fest, dass strittige Fragen der Erbteilung die Einantwortung nicht hindern und lediglich entscheidend ist, ob der Nachlass iSd § 177 AußStrG einantwortungsreif ist.

[19] Die zuletzt indizierte Entscheidung 2 Ob 41/15s behandelt die hier interessierende Frage nur obiter.

7. Der Senat sieht sich aufgrund der teilweisen Neuregelung der Anrechnung auf den Erbteil durch das ErbRÄG nicht veranlasst, von der dargestellten Rechtsprechung abzugehen. Es gilt damit weiterhin:

[20] Über die Berechtigung der von einem Kind nach § 753 ABGB verlangten Anrechnung von Schenkungen auf den gesetzlichen Erbteil ist nicht im Verlassenschaftsverfahren abzusprechen. Differenzen zwischen den eigenberechtigten Erbprätendenten über die Frage der Anrechnung auf den Erbteil stehen einer Einantwortung des Nachlasses an sich nicht entgegen. Über die aus diesen Differenzen resultierende Uneinigkeit über die Erbteilung ist vielmehr im streitigen Rechtsweg zu entscheiden.

[21] 8. Im vorliegenden Fall haben die beiden eigenberechtigten gesetzlichen Erben jeweils eine Erbantrittserklärung zum halben Nachlass aufgrund des Gesetzes abgegeben. Der von der Tochter im Revisionsrekurs gestellte Antrag, den Sohn aus der Erbengemeinschaft auszuscheiden und sie selbst als Alleinerbin einzuantworten, ist mit ihrer in erster Instanz abgegebenen Erbantrittserklärung nicht in Einklang zu bringen. Wenn sie nunmehr sinngemäß argumentiert, dass die Frage der Anrechnung gemäß § 753 ABGB zum Zweck der Ausmittlung der Erbquoten jedenfalls im Verlassenschaftsverfahren selbst zu klären sei, übergeht sie, dass bis zur Bindung des Erstgerichts an den von ihm erlassenen Einantwortungsbeschluss (§ 164 AußStrG) gerade keine widerstreitenden Erbantrittserklärungen vorlagen. Eine (unmittelbare) Anwendung der Bestimmungen des Verfahrens über das Erbrecht (§§ 161 ff AußStrG) kommt im vorliegenden Fall schon deswegen keinesfalls in Betracht.

[22] 9. Aber auch die im Revisionsrekurs angedeutete analoge Anwendung dieser Bestimmungen kommt nicht in Frage, weil die Fortsetzung und Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens nicht von der Berechtigung des Antrags auf Anrechnung auf den Erbteil abhängt (vgl Ferrari in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht² [2020] Rz 12.72; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 160 Rz 11; RS0006546 [zu den „Vorgängerbestimmungen“ der §§ 125 ff AußStrG 1854]). Aus vergleichbaren Erwägungen hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung GlU 13.894 eine analoge Anwendung der §§ 125 ff AußStrG 1854 auf die Frage der Einrechnung von Vorausempfängen in den Erbteil abgelehnt.

[23] 10. Das Rekursgericht hat die Anträge der Tochter damit insgesamt zutreffend abgewiesen.

[24] 11. Ein Kostenersatz findet nach § 185 AußStrG nicht statt.

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