OGH 2Ob123/20g

OGH2Ob123/20g25.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** 2018 verstorbenen A***** G*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Ing. N***** G*****, vertreten durch Mähr Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 9. Juni 2020, GZ 21 R 111/20v‑101, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 30. April 2020, GZ 31 A 84/18b‑97, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00123.20G.0225.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

R***** G***** hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Erblasserverstarb am ***** 2018 unter Hinterlassung der letztwilligen Verfügung vom 1. 4. 2003 samt Nachtrag vom 1. 12. 2008. Er hatte zwei Söhne, den nunmehrigen Rechtsmittelwerber (in der Folge: jüngerer Sohn) und dessen Bruder (in der Folge: älterer Sohn). Der jüngere Sohn des Erblassers ist Vater zweier Töchter, von denen die jüngere wiederum drei in den Jahren 2004, 2007 und 2015 geborene Kinder hat. Der ältere Sohn des Erblassers hat drei Kinder, die insgesamt wieder vier Kinder haben. Das älteste dieser Enkelkinder wurde am 21. 6. 2003 geboren, die anderen stammen aus den Jahren 2010, 2012 und 2016.

[2] Punkt III. der letztwilligen Verfügung vom 1. 4. 2003 lautet auszugsweise wie folgt:

„Zu Erben setze ich meine Söhne:

1. [jüngerer Sohn]

2. [älterer Sohn]

gleichteilig stammweise ein, mit dem Recht, zur Gutmachung ihrer Erbteile zu übernehmen:

A) [jüngerer Sohn]:

a) die Liegenschaft in E.Zl. [...], worauf das Haus [...], steht, mit nachstehenden Beschränkungen auf die Lebensdauer der Kinder und Enkelkinder (Urenkel nicht mehr) der beiden Erben [jüngerer Sohn] und [älterer Sohn]:

aa) die Liegenschaft darf nur an [älterer Sohn] oder an die oder eines der Kinder oder Enkelkinder des [jüngerer Sohn] oder #älterer Sohn] verkauft werden, und zwar:

* das Haus [...] um EUR 50.000,00

* das Gst. [...] um EUR 100.000,00

beide wertgesichert unter Zugrundelegung des Lebenshaltungskostenindex des Amtes der Vorarlberger Landesregierung mit Wertbasis, wobei die vor dem Tage der Errichtung dieses Testaments und vor dem Verkaufstage zuletzt verlautbarte(n) Indizes zum Vergleich heranzuziehen sind.

bb) Sollte eines der Kinder oder Enkelkinder des Liegenschaftseigentümers ([jüngerer Sohn] oder des [älterer Sohn]) eine Wohnung benötigen – falls mehrere Berechtigte dies möchten, in der Reihenfolge des Alters – ist es berechtigt, auf seine Kosten die Wohnung im ersten Stock des Hauses [...] auszubauen.

cc) Eine Vermietung des Hauses [...] darf nur an [älterer Sohn] oder an Kinder oder Enkelkinder des #jüngerer Sohn] oder des [älterer Sohn] erfolgen.

[…]

B) [älterer Sohn]:

[...]

C) Sollte [jüngerer Sohn] auf die Übernahme des Anwesens in #...] aus welchem Grund auch immer verzichten bzw diese Liegenschaft nicht übernehmen wollen, hat [älterer Sohn] das Recht diese Liegenschaft zu den gleichen Bedingungen zu übernehmen; […]

[…]“

 

[3] Am 21. 5. 2019 schlossen die Söhne ein Erb- und Pflichtteilsübereinkommen mit ua folgendem Inhalt :

„I. Liegenschaften

Die Liegenschaft in EZ [Haus und Gst] sowie die Liegenschaft in EZ [...] wird [jüngerer Sohn] eingeantwortet.

Zu Gunsten von [älterer Sohn] wird ein Vorkaufsrecht hinsichtlich dieser Liegenschaften eingeräumt. Hinsichtlich weiterer Belastungen dieser Liegenschaften wird verzichtet, insbesondere erklären [jüngerer Sohn] und [älterer Sohn] für sich und ihre Rechtsnachfolger im Einvernehmen, dass im Sinne dieses Erb- und Pflichtteilsübereinkommens auf sämtliche Belastungen dieser Liegenschaft für sich und ihre Rechtsnachfolger verzichtet wird. Lediglich das Wohnrecht/gesetzliche Vorausvermächtnis von [Witwe] ist neben dem genannten Vorkaufsrecht zu übernehmen.

[…]“

 

[4] Mit Schriftsatz vom 17. 7. 2019 gab derjüngere Sohnaufgrund des Testaments vom 1. 4. 2003 unter Bezugnahme auf das abgeschlossene Erb- und Pflichtteilsübereinkommen vom 21. 5. 2019 zur Hälfte des gesamten Nachlasses die bedingte Erbantrittserklärung ab. Mit Schriftsatz vom 23. 7. 2019 gab auch der ältere Sohn aufgrund des Testaments zur Hälfte des Nachlasses die bedingte Erbantrittserklärung ab, wobei dieser jedoch das rechtswirksame Zustandekommen des Erb- und Pflichtteilsübereinkommens bestritt. Der jüngere Sohn habe ihn unter Druck gesetzt. Außerdem hätten seine Kinder und Enkelkinder auf die ihnen testamentarisch eingeräumten Rechte nicht verzichtet, es hätte daher ihrer Zustimmung bedurft.

[5] In der Abhandlungstagsatzung vom 16. 9. 2019 beantragten die erbantrittserklärten Erben die Einantwortung aus dem Titel des genannten Testaments. Der Gerichtskommissär stellte fest, dass seines Erachtens für die Einantwortung und Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens aufgrund der vom Testator in seinem Testament hinsichtlich der Liegenschaften angeordneten Beschränkungen den Kindern und Enkelkindern der Testamentserben gemäß § 176 AußStrG zumindest eine Ausfertigung des Testaments übermittelt werden müsse, weshalb er die Testamentserben ersuchte, die begünstigten Kinder und Enkelkinder jeweils mit Namen, Geburtsdatum und Anschrift bekanntzugeben.

[6] Der jüngere Sohnsprach sich gegen eine Beiziehung bzw Verständigung der Kinder und Enkelkinder der Testamentserben aus. Der ältere Sohn erwiderte, dass alle aus dem Testament im Sinne eines Wohnrechts, Vormietrechts und Vorkaufsrechts begünstigten Personen nicht nur zu benachrichtigen, sondern ihre Rechte von Amts wegen auch abzusichern seien.

[7] Die vom Gerichtskommissär am 16. 10. 2019 veranlasste Zustellung einer Kopie des Testaments an die Kinder und Enkelkinder desälteren Sohnes ist nicht ausgewiesen. Den Kindern und Enkelkindern des jüngeren Sohnes wurde am 3. 3. 2020 eine Kopie des Testaments nachweislich zugestellt.

[8] Das Erstgericht wies den Antrag auf Einantwortung an die Söhne ab. Aus dem Testament würden sich „erbliche Rechte“, insbesondere Vorkaufsrechte an den nachlasszugehörigen Liegenschaften sowie Wohn- und Gebrauchsrechte der minderjährigen Urenkel des Erblassers ergeben. Die Einantwortung dürfe vor Sicherstellung ihrer Ansprüche iSd § 176 AußStrG nicht erfolgen. Sollten die Enkelkinder des Erblassers im weiteren Verfahren die Rechte der Urenkel nicht wahrnehmen, sei zu prüfen, ob ein Kollisionsfall vorliege und die Bestellung eines Kollisionskurators erforderlich sei.

[9] Das nur vom jüngeren Sohn angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

[10] Das Rekursgericht erörterte in rechtlicher Hinsicht, gemäß § 176 Abs 1 AußStrG seien insbesondere Pflichtteilsberechtigte von ihrem Pflichtteilsrecht sowie Legatare von ihrem Legat und ebenso Auflagenbegünstigte und Unterhaltsberechtigte nachweislich zu verständigen. Diese den Erben obliegende nachweisliche Verständigung sei gemäß §§ 176, 177 AußStrG Voraussetzung für die Einantwortung. Auch dürfe die Einantwortung bei sonstiger Nichtigkeit nicht vor dem Nachweis der gemäß § 176 Abs 2 AußStrG für die Ansprüche Pflegebefohlener zu erbringenden Sicherheitsleistung erfolgen.

[11] Im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen für die Einantwortung noch nicht erfüllt: Die Übernahme der Liegenschaft werde im Testament des Erblassers mehreren Beschränkungen unterworfen, die den Miterben sowie die Kinder und Enkelkinder beider Erben (in Punkt III A a aa und cc) bzw die Kinder und Enkelkinder des übernehmenden Erben (Punkt III A a bb) begünstigten. Die letztwilligen Anordnungen begründeten zweifelsfrei auf die Verlassenschaft bezogene Rechte iSd § 176 Abs 1 AußStrG, wobei dahingestellt bleiben könne, ob es sich dabei um Bedingungen, Auflagen oder Vermächtnisse handle. Ein wirksamer Verzicht auf die im Testament angeordneten Beschränkungen des übernehmenden Erben liege – unabhängig von der Frage des rechtswirksamen Zustandekommens des Erb- und Pflichtteilsübereinkommens – nicht vor. Vor der Einantwortung bedürfe es der nachweislichen Verständigung sämtlicher im Testament begünstigter Personen sowie des Nachweises der Sicherstellung der Minderjährigen.

[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekursdes jüngeren Sohnes mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Nachlass im Sinne der in der Abhandlungstagsatzung vom 16. 9. 2019 gestellten „Schlussanträge“ eingeantwortet werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[13] Der Rechtsmittelwerber macht zusammengefasst geltend, § 176 Abs 2 AußStrG beziehe sich nur auf Geldansprüche und nicht auf Auflagen, die keinen Rechtsanspruch Dritter begründeten und deren Erfüllung mangels Zuwendung an die Erben noch gar nicht fällig sei. Es bestehe daher kein zu sichernder Anspruch der minderjährigen Nachkommen der beiden Erben, denen keine Beteiligtenstellung zukomme und die sich am Verfahren ohnehin nicht beteiligt hätten. Bei Errichtung des Testaments sei lediglich eine Enkeltochter des älteren Sohnes „Zeitgenosse“ des Erblassers iSd § 612 ABGB gewesen, weshalb die Begünstigung der übrigen Enkelkinder der Söhne unwirksam sei. Aus Punkt III A a bb des Testaments ergebe sich überdies keine Einräumung von Rechten zugunsten der Kinder und Enkelkinder des älteren Sohnes. Im Übrigen hätten die beiden Erben für sich und ihre Nachkommen auf allfällige Belastungen und Verpflichtungen aus dem Testament verzichtet, wozu sie in analoger Anwendung des § 551 ABGB berechtigt gewesen seien. Da keine minderjährigen Berechtigten existierten, stehe der Einantwortung nichts entgegen.

[14] Der ältere Sohn beantragt in der ihm durch den Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[15] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil es klarstellender Ausführungen des Obersten Gerichtshofs zur Reichweite des § 176 AußStrG bedarf; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[16] 1. Gemäß § 176 Abs 1 AußStrG ist Voraussetzung für die Einantwortung, dass alle Personen, denen an der Verlassenschaft andere erbrechtliche Ansprüche zustehen als die eines Erben, vor der Einantwortung nachweislich von diesen verständigt wurden. Stehen schutzberechtigten Personen Ansprüche nach Abs 1 zu, die noch nicht erfüllt sind, so ist nach Abs 2 dieser Bestimmung vor Einantwortung Sicherheit zu leisten (§ 56 ZPO), die auch beim Gerichtskommissär hinterlegt werden kann. Wird die Sicherheit trotz fristgebundener Aufforderung nicht erlegt, so hat das Verlassenschaftsgericht den Erlag mit Beschluss aufzutragen. Abs 3 gewährt die Möglichkeit, die Sicherheit aus dem Verlassenschaftsvermögen zu stellen.

[17] Mit dieser Regelung wurden die nach §§ 157 ff AußStrG 1854 erforderlichen Abhandlungsausweise stark vereinfacht, weil als Voraussetzung für die Einantwortung nur noch von der Art der Begünstigung abhängige Nachweise zu erbringen sind (vgl 2 Ob 9/16m; Bittner/Gruber in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 176 Rz 1).

[18] 2. Die „anderen erbrechtlichen Ansprüche“ werden im Gesetz nicht genannt. Nach den Materialien zu § 176 AußStrG handelt es sich dabei um alle auf die Verlassenschaft bezogenen Rechte, die sich aus dem Recht der Vermögensnachfolge von Todes wegen („erbrechtliche Ansprüche“) ergeben, ohne eine Erbenstellung zu verleihen, also insbesondere Pflichtteilsansprüche und Ansprüche aus Vermächtnissen, während jegliche Erbenstellung von der Nachweispflicht nicht berührt wird (ErläutRV 244 BlgNR 22. GP  111; vgl 2 Ob 9/16m; 2 Ob 128/16m).

[19] Im Schrifttum ist die Meinung vorherrschend, dass auch Auflagenbegünstigte nach § 176 Abs 1 AußStrG nachweislich zu verständigen sind (vgl etwa Bittner/Gruber in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 176 Rz 2 und 3; Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 176 Rz 3; Ferrari in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht² Rz 12.92; Bittner/Hawel in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögens-nachfolge² § 11 Rz 112). Sailer verzichtet zwar (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 176 Rz 1) auf die ausdrückliche Nennung Auflagenbegünstigter, fordert aber an anderer Stelle (in KBB6 § 817 Rz 1) als Voraussetzung für die Einantwortung den Nachweis der Sicherung von Auflagen, soweit sie Pflegebefohlene begünstigen.

[20] 3. Der Oberste Gerichtshof hat sich bislang mit der Verständigungs- und Sicherstellungspflicht nach § 176 AußStrG nur im Zusammenhang mit Vermächtnissen (vgl 3 Ob 260/09w; 6 Ob 74/12v), mit nach § 233 ABGB übergegangenen Unterhaltsansprüchen (2 Ob 128/16m) sowie mit § 14 WEG (2 Ob 9/16m) befasst, nicht aber im Zusammenhang mit Auflagen.

[21] 4. Während es sich bei einemVermächtnis(§ 535 ABGB) um die Zuwendung eines Vorteils an den Bedachten handelt, die keine Gesamtrechtsnachfolge bewirkt und dem Vermächtnisnehmer einen schuldrechtlichen Anspruch zunächst gegen den Nachlass und nach der Einantwortung gegen die Erben verschafft (vgl 2 Ob 84/17t; Apathy/Neumayr in KBB6 § 535 Rz 1), wird unter einer Auflage die einer letztwilligen Verfügung beigefügte Nebenbestimmung verstanden, durch die ein Zuwendungsempfänger (Erbe oder Legatar) zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wird (RS0012650). Die Auflage kann in einem Tun oder auch in einem Unterlassen bestehen. Sie dient besonderen Interessen des Erblassers oder begünstigt Dritte oder die Öffentlichkeit, manchmal auch den Beschwerten selbst (2 Ob 128/10b). Die Auflage beschwert den Bedachten, ohne dass ihm ein auf Leistung Berechtigter gegenübersteht. Der Auflagenbegünstigte hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf die Leistung (1 Ob 67/12b mwN), zur Durchsetzung wäre nur ein Testamentsvollstrecker oder ein Miterbe legitimiert (2 Ob 2209/96h). Ergibt dagegen die Auslegung der letztwilligen Anordnung einen Anspruch des Begünstigten, liegt ein Vermächtnis und keine Auflage vor (vgl RS0012600 [insb T1]).

[22] 5. Wenn aber eine letztwillige Auflage keinen vom Begünstigten durchsetzbaren und damit auch keinen erbrechtlichen Anspruch des Begünstigten iSd § 176 Abs 1 AußStrG schafft, fallen Auflagenbegünstigte nichtunter den dort genannten Personenkreis. Sie sind daher entgegen der im zitierten Schrifttum vertretenen Auffassung auch nicht nach dieser Bestimmung zu verständigen, weil der offensichtliche Sinn und Zweck der Verständigungspflicht nach § 176 Abs 1 AußStrG, jene Personen, denen durch den Tod des Erblassers Rechte entstehen, von ihren Ansprüchen in Kenntnis zu setzen, nicht erreicht werden kann. Da ihnen keine „Ansprüche nach Abs 1“ zustehen, kommt auch eine Sicherstellung von Ansprüchen schutzberechtigter Auflagenbegünstigter nach § 176 Abs 2 AußStrG nicht in Betracht.

[23] 6. Eine Verständigungs- und Sicherstellungspflicht nach § 176 AußStrG kann daher im vorliegenden Fall nur bejaht werden, wenn und soweit die letztwilligen Anordnungen des Erblassers in seinem Testament nicht als Auflagen, sondern als Vermächtnisse zu qualifizieren sind, was nur im Wege der Auslegung ermittelt werden kann:

[24] 6.1. In den Punkten III A a aa und cc des Testaments hat der Erblasser einen Personenkreis festgelegt, an den das Haus verkauft oder vermietet werden darf. Innerhalb dieses Personenkreises kann der Liegenschaftseigentümer aber ebenso frei wählen wie er unabhängig über die Frage entscheiden kann, ob er überhaupt verkaufen oder vermieten will. Schon die Formulierung der genannten Punkte spricht somit eindeutig dafür, dass kein Recht der dort genannten Begünstigten begründet, sondern lediglich eine Beschränkung der Verfügungsbefugnis des Erben für den Fall einer bestimmten, ihm grundsätzlich freistehenden Disposition (wenn er verkauft bzw vermietet) erreicht werden sollte. Diese letztwilligen Anordnungensind daher (nur) als Auflage zu qualifizieren, sodass insoweit § 176 AußStrG nicht zur Anwendung kommt.

[25] 6.2. InPunkt III A a bb der letztwilligen Verfügung wird dagegen ausdrücklich von der „Berechtigung“ der Kinder und Enkelkinder des Liegenschaftseigentümers gesprochen, in einem bestimmten Fall (bei entsprechendem Bedarf) eine Wohnung im ersten Stock des Hauses auszubauen. Damit wurde zugunsten der Kinder und Enkelkinder des Liegenschaftseigentümers ein testamentarisches Recht begründet, daszwar einerseits von einem Wohnungsbedarf der Bedachten abhängig ist und andererseits davon, dass kein älterer Berechtigter das Recht in Anspruch nehmen möchte, ihnen aber dennoch einen direkten, wenngleich bedingten Anspruch einräumt. Diese letztwillige Verfügung ist daher als Vermächtnis zu qualifizieren. Insofern ist bereits durch die bestehende Judikatur (vgl oben Punkt 3.) geklärt, dass § 176 AußStrG Anwendung findet.

[26] 7. Der Revisionsrekurswerber verweist darauf, dass auch Vermächtnisse an den Wertungen des § 612 ABGB zu messen sind und daher nur ein Nachlegat zulässig gewesen wäre, nicht aber – wie dies seiner Ansicht nach angeordnet wurde – deren mehrere. Dem ist zu entgegnen:

[27] 7.1. Zunächst ist festzuhalten, dass sich die folgenden Zitate gesetzlicher Bestimmungen jeweils auf deren hier anzuwendende Fassung des ErbRÄG 2015 beziehen (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB).

[28] 7.2. Nach § 612 ABGB ist dann, wenn die Nacherben im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung noch keine Zeitgenossen des Verfügenden sind, die Nacherbschaft bei Geld und anderen beweglichen Sachen auf zwei Nacherbfälle, bei unbeweglichen Sachen auf einen Nacherbfall beschränkt.

[29] Gesetzeszweck dieser Beschränkungen ist die Verhinderung lang dauernder Vermögensbindungen. Handelt es sich um Zeitgenossen des Erblassers, dh um Personen, die bei Errichtung des letzten Willens schon am Leben, also gezeugt oder geboren sind, so können aus diesem Kreis beliebig viele Nacherben substituiert werden, die Zahl der Nacherbfälle ist dann nicht beschränkt (§ 611 ABGB). Soweit jedoch als Nacherben Personen berufen werden, die keine Zeitgenossen sind, gelten die von § 612 ABGB angeordneten Beschränkungen (Welser, Erbrechts-Kommentar § 612 Rz 1).

[30] 7.3. Auch für das Nachlegat gelten gemäß § 652 ABGB die §§ 604 bis 617 ABGB sinngemäß. Sie sind anzuwenden, soweit sich aus der Natur des Vermächtnisses nichts anderes ergibt (Apathy/Neumayr, KBB6 § 652 Rz 1). So wie der Nacherbe gemäß § 608 Abs 1 ABGB eine Person ist, die der letztwillig Verfügende als Erben so einsetzt, dass er erst nach einem anderen Erben erbt, liegt ein Nachlegat iSd § 652 ABGB vor, wenn ein Legatar die vermachte Sache selbst nach bestimmter Zeit oder bei Eintritt einer Bedingung einer anderen Person zu überlassen hat (3 Ob 176/01f; RS0107757 [T1]).

[31] 7.4. Wenn dagegen nach Anordnung eines Erblassers aus dem dem Erben zugekommenen Nachlass beim Tod des Erben oder beim Eintritt eines sonstigen Termins oder einer Bedingung bestimmte Sachen an begünstigte Personen auszufolgen sind, liegt ein sogenanntes uneigentliches Nachlegat vor, für das § 652 ABGB sinngemäß gilt und worauf die §§ 604 bis 617 ABGB ebenfalls anzuwenden sind. Die Erben haben dann die Stellung eines Vorlegatars (2 Ob 84/17t; RS0107196).

[32] 7.5. Ein solcher Fall liegt hier vor: Beide Söhne sind Erben, wobei die Liegenschaft mit der in Punkt III A a bb des Testaments näher bezeichneten Wohnung in den Nachlass fällt. Mit der in diesem Punkt getroffenen Anordnung wurdedaher zugunsten der Kinder und Enkelkinder des Liegenschaftseigentümers ein bedingtes uneigentliches Nachlegat – in Form eines einem Wohnungsgebrauchsrecht vergleichbaren Rechts – verfügt. Mit seiner Ausnützung durch den ältesten Nachlegatar mit Wohnungsbedarf wäre das uneigentliche Nachlegat aber nach der testamentarischen Anordnung, die keine weitere Ausübung des eingeräumten Rechts durch nachrangig Bedachte (zB bei Wegfall des Bedarfs des Erstausübenden) vorsieht, erschöpft. Es kann also nur einmal ausgeübt werden. Somit ist aber nur einSubstitutionsfall angeordnet, sodass die Regelung jedenfalls § 612 ABGB entspricht.

[33] 8. Zum behaupteten Verzicht auf die Rechte der Nachkommen im Erb- und Pflichtteilsübereinkommen vom 21. 5. 2019:

[34] Bereits zu § 551 Satz 3 ABGB aF war herrschende Ansicht, dass sich ein Erbverzicht nur insoweit auf die Nachkommen erstreckt, als diese kraft Eintrittsrechts an die Stelle des Verzichtenden treten würden. Ein eigenes (nicht über den Verzichtenden abgeleitetes) Erb- oder Pflichtteilsrecht eines Nachkommen oder ein diesem zugedachtes Vermächtnis war daher von der Wirkung des § 551 Satz 3 ABGB aF von vornherein nicht erfasst (Kogler in Klang3 § 551 Rz 21 mwN; Welser in Rummel/Lukas, ABGB4 § 551 Rz 9; vgl auch 7 Ob 631/90 [„Repräsentation beim Erbverzicht“]). Diesbezüglich trat durch die laut den Übergangsvorschriften (§ 1503 Abs 7 Z 1 bis 3 ABGB) hier maßgebliche Neufassung des § 551 ABGB keine Änderung ein. Schon deshalb scheitert die vom Revisionsrekurswerber angestrebte analoge Anwendung des § 551 ABGB auf den vorliegenden Fall. Ein anderer Rechtsgrund für einen wirksamen Verzicht wird nicht geltend gemacht.

[35] 9. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass § 176 AußStrG auch die Ansprüche von Nachlegataren erfasst (2 Ob 84/17t). Mangels erkennbaren Grundes für eine abweichende Beurteilung hat dies auch für die Ansprüche der uneigentlichen Nachlegatare zu gelten. Auch diese sind „andere erbrechtliche Ansprüche“ iSd § 176 Abs 1 AußStrG.

[36] Da im Hinblick auf die verfügte Bedingung aber noch nicht abzusehen ist, welcher der möglichen Nachlegatare zum Zug kommen wird, sind sämtliche in Frage kommenden uneigentlichen Nachlegatare zu verständigen. Auch nach dem besagten Erb- und Pflichtteilsübereinkommen, dessen wirksames Zustandekommen der ältere Sohn bestreitet, ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der ältere Sohn das Liegenschaftseigentum kraft seines Erbrechts erlangt (P III C des Testaments), worauf der Erblasser bei der Formulierung von Punkt III A a bb seines Testaments offenkundig Bedacht genommen hat. Zu den in Frage kommenden uneigentlichen Nachlegataren sind daher auch die Kinder und Enkelkinder des älteren Sohnes zu zählen.

[37] 10. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Kinder und Enkelkinder beider Söhne nach § 176 Abs 1 AußStrG vor der Einantwortung von den ihnen in Punkt III A a bb des Testaments eingeräumten Rechten nachweislich zu verständigen sind.

[38] Diese Verständigung ist inBezug auf dieNachkommen des älteren Sohnes bisher nicht nachgewiesen, sodass es bereits aus diesem Grund an einer Voraussetzung für die Einantwortung fehlt. Den beiden Töchtern des jüngeren Sohnes wurde hingegen vor Erlassung des erstgerichtlichen Beschlussesbereits eine Kopie des Testaments zugestellt, der jüngeren Tochter auch als gesetzlicher Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder. Da nach den Bestimmungen des Testaments die Mutter ohnehin den Kindern vorgehen würde, ist ein Kollisionsfall nicht ersichtlich und daher auch insoweit von einer iSd § 176 AußStrG gültigen Verständigung auszugehen.

[39] Für die bedingten Ansprüche der minderjährigen uneigentlichen Nachlegatare ist nach § 176 Abs 2 AußStrG vor der Einantwortung Sicherheit zu leisten, wobei das Erstgericht erforderlichenfalls – wenn eine fristgebundene Aufforderung erfolglos bleibt – einen vollstreckbaren Beschluss zu fassen hat (vgl 2 Ob 84/17t mwN).

[40] Die Einantwortung ist, wie die Vorinstanzen richtig erkannten, noch nicht möglich, weil die Erfüllung der in § 176 AußStrG genannten Voraussetzungen noch nicht nachgewiesen ist (§ 177 AußStrG). Dem Rechtsmittel des jüngeren Sohnes ist deshalb ein Erfolg zu versagen.

[41] Ein Kostenersatz findet im Verlassenschaftsverfahren – außer im hier nicht vorliegenden Verfahren über das Erbrecht – gemäß § 185 AußStrG nicht statt.

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